IT-Freiberufler in guter Gesellschaft - Resoom Magazine

Stellen Sie sich vor, Sie seien als Freelancer
reich geworden und wollen nun Ihr sauer
verdientes Geld in einen schönen Porsche
investieren. Was tun Sie? Na klar, erst einmal
im Internet stöbern und sehen, was
Porsche denn gerade zu bieten hat. Aber
würden Sie wirklich über das Internet einen
Porsche kaufen? Gehen Sie nicht doch lieber
zum Händler Ihres Vertrauens und sehen
sich das neue Auto genau an, vielleicht eine
Probefahrt mit dem einen oder anderen Modell?
Schließlich investiert man eine Menge
Geld, da will man schließlich wissen, was
man bekommt und kein Detail vergessen.
Nun, Ihre Frage, was ein Porsche mit Freiberuflern
zu tun hat, möchte ich gleich
beantworten: Sie kosten beide eine Menge
Geld. Und dennoch scheint es bei der Beschaffung
elementare Unterschiede zu geben,
Freelancer werden aufgrund weniger
elementarer Skills beurteilt und geordert.
Nun, in den Low-Level-Bereichen mag das ja
noch gehen. Ist die Aufgabe klar, dann lässt
sich schnell herausfinden, welche Fähigkeiten
vonnöten sind, schnell noch ein paar
Extras wie Studienabschluss und ITIL oben -
drauf, und schon geht die Anforderung ab
an den Recruiter. Diesem ist natürlich sofort
völlig klar, was gefordert ist! Ein Blick in die
Datenbank und schon purzeln zwanzig Bewerber
heraus, die hundertprozentig auf
die Anforderung passen. Einer von diesen
wird dem Auftraggeber bestimmt gefallen.
Passen Sie? Wer aufmerksam Projektangebote
studiert, wird zwei elementare Feststellungen
machen. Je komplexer die Aufgabe
ist, je länger werden die Skill-Listen.
Noch interessanter als die Länge der Listen
sind die Inhalte und die Kombinatorik der
gefragten Skills. Sie verraten eine Menge
über das eigentliche Problem und den Auftraggeber,
aber ebenso auch über den Recruiter.
Je komplexer die Aufgabe, je mehr wird oft
die Vermittlung zum Stille-Post-Spiel. Der
Auftraggeber hat ein Problem, der Freelancer
eine passende Lösung und dazwischen
ein nach bestem Wissen und Gewissen erstelltes
Skill-Profil und ein Re cruiter, der
sich manchmal mehr, manchmal weniger
bemüht, das ganze Fachchinesisch zu verstehen.
Dabei ist das Thema grundsätzlich gar nicht
neu. Vor rund zehn Jahren nutzte ich auf
dem DGPF-Kongress in Wiesbaden die Gelegenheit,
einem sehr interessanten Vortrag
eines Professors zum Thema E-Learning zu
lauschen. Versuchte man doch damals, jedes
erdenkliche Thema elektronisch zu erschlagen.
Nach seiner These nehme der Nutzen
des E-Learning mit zunehmender Komplexität
der Lerninhalte ab. Als Grund nannte er
die Tatsache, dass komplexere Themen individueller
auf die Personen abgestimmt werden
müssen, die ein solches System nutzen.
Dadurch würde der Kostenvorteil der Standardisierung
von Lern-Inhalten ins Gegenteil
verkehrt. Die anwesenden E-Learning-
Anbieter hörten das gar nicht gerne. Die
Erfahrung der letzten zehn Jahre bestätigen
aber diese Thesen.
Was haben wir daraus gelernt? Wenig! Wir
versuchen die Beschaffung von Fachleuten,
Experten und Beratern genauso zu standardisieren
wie es damals im E-Learning-Sektor
versucht wurde. Ein Problem wird mit einem
Skill-Set in ein uniformes Muster gepresst.
Die Erstellung eines Skill-Sets setzt aber
voraus, dass man die Lösung des Problems
schon kennt!
Einige Recruiter sind zumindest auf einem
guten Weg. Sie haben die Vermittlung von
Low-Level- und High-Level-Projekten getrennt
und bestimmte Themen mit Fachleuten
besetzt, die wissen, worüber sie reden,
und den Kunden auch beraten können. Andere
haben sich auf bestimmte Themen spezialisiert.
Für den Rest wird wohl früher oder
später der Gang zum Insolvenzverwalter übrig
bleiben.
In einigen Unternehmen findet bereits ein
Umdenken statt, wenn dieses nicht von den
eigenen Beschaffungsprozessen vereitelt
wird. Heute sind vermehrt Projektangebote
zu finden, die das eigentliche Problem und
sein Umfeld beschreiben und damit nicht
mehr einem ellenlangen und uniformen
Skill-Waschzettel gleichen.
Wenn wir es nun hinbekommen, dass das
Problem des Auftraggebers mit der Lösung
des Freelancers zusammen kommt, dann hat
der Recruiter dazwischen gute Arbeit geleistet
und sein Geld verdient. Wer einen Porsche
bestellt, der will auch einen Porsche fah ren.
Wer aber Porsche verspricht und Käfer liefert,
der muss sich nicht wundern, wenn er
bald rechts überholt wird.
Über den Autor
IT-Business Glosse 13
Martin Bembenek
Einstein und die Skill-Listen
Simplifizierungen helfen bei der Bewältigung des Alltagslebens, um der allgegenwärtigen Zeitverknappung
zu trotzen. Doch stößt man damit bei IT-Projekten und deren Besetzung an Grenzen.
Martin Bembenek interpretiert die Einstein‘sche Einsicht „Alles sollte so einfach wie möglich gemacht
sein, aber nicht einfacher“ mit Blick auf das Rekrutieren von IT-Freiberuflern.
Martin Bembenek: „Heute sind vermehrt Projektangebote
zu finden, die das eigentliche Problem und sein
Umfeld beschreiben und damit nicht mehr einem ellenlangen
und uniformen Skill-Waschzettel gleichen.“
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Martin Bembenek, Diplom Betriebwirt,
seit 1993 in der IT-Branche selbstständig.
Großgeworden ist er in der klassischen
IT, in der Softwareentwicklung
sowie im Trainingsbereich. Schwerpunktmäßig
war er in den vergangen
Jahren im Projekt-Management-Umfeld
als Berater und Coach tätig. Verschiedene
Fachvorträge auf Messen und Kongressen
zu Themen wie „Halbwertzeit
des Wissens“, „Wertemanagement“,
„Vernetztes Denken“; zuletzt beim VDI
Düsseldorf zum Thema Projekt-Management
und warum Projekte eigentlich so
häufig scheitern, reflektieren sein umfangreiches
Wissens- und Erfahrungsspektrum.
Kontakt
E-Mail: mbe@logicsystems.de
Web: www.logicsystems.de