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Nr. 34, Mai - DS-InfoCenter

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P S Y C H O L O G I E<br />

Neue Aspekte der schulischen Förderung<br />

bei Kindern mit Down-Syndrom<br />

Werner Dittmann<br />

Zusammenfassung des Workshops “Neue Aspekte der<br />

schulischen Förderung“ von Prof. Dittmann bei der<br />

Fachtagung “Perspektiven für Menschen mit Down-<br />

Syndrom“, die vom 1. bis 3. Oktober 1999 an der Ruhr-<br />

Universität Bochum stattfand.<br />

B<br />

ei Kindern mit Down-Syndrom müssen<br />

Eltern und Professionelle leider<br />

davon ausgehen, dass diese während<br />

ihres gesamten Lebens signifikante<br />

Lernschwierigkeiten haben. Die chromosomale<br />

Ausstattung der Kinder mit<br />

Down-Syndrom birgt im Rahmen ihrer<br />

persönlichen Entwicklung neben funktionalen<br />

und motorischen Beeinträchtigungen<br />

auch eine Vielzahl von kognitiven<br />

und kommunikativen Problemen<br />

ebenso wie gesundheitliche Risiken.<br />

Jegliches Lernen ist daher für die<br />

Schüler/innen mit Down-Syndrom im<br />

Vergleich zu nicht behinderten Schülern/innen<br />

erschwerter und problembehafteter.<br />

Trotz dieser das Lernen beeinträchtigenden<br />

Bedingungen dürfen<br />

Eltern von der Gewissheit ausgehen,<br />

dass in der Regel Menschen mit Down-<br />

Syndrom viele lebensbedeutsame Fertigkeiten<br />

und Kenntnisse für ihre aktuelle<br />

und zukünftige Lebensbewältigung<br />

lernen können, wie dies z.B. ESPINÀS<br />

(1988, 21) über seine Tochter Olga formuliert:<br />

“Viele Dinge, die wir auf dem<br />

üblichen schulischen Wege dich zu lehren<br />

versucht haben, hast du nicht gelernt;<br />

aber du hast dir dein Gepäck zusammengestellt,<br />

ein unregelmäßiges,<br />

aber ein nützliches.”<br />

Dies gilt umso mehr, je optimaler der<br />

besuchte Schultyp dem individuellen<br />

Lernbedarf des Schülers/der Schülerin<br />

mit Down-Syndrom gerecht wird (SELI-<br />

KOWITZ 1997, 129).<br />

Vor diesem Hintergrund sind daher<br />

zunächst die Lernbedürfnisse der Schüler/innen<br />

mit Down-Syndrom differenziert<br />

abzuklären, die zur individuellen<br />

Lebensbewältigung erforderlich sind.<br />

10 Leben mit Down-Syndrom <strong>Nr</strong>. <strong>34</strong>, <strong>Mai</strong> 2000<br />

Erst dann ist nach jenem Schultyp zu<br />

fragen, in dem diese Lernbedürfnisse<br />

optimal gesichert werden können. Eine<br />

Vorab-Entscheidung, ob eine geeignete<br />

Schule eine so genannte “reguläre”<br />

Schule oder eine “Sonderschule” ist,<br />

muss, wie BEVERIDGE (1996, 210) betont,<br />

nachrangig sein.<br />

Um den Anteil der nur bedingt oder<br />

nicht erwerbbaren Wissensinhalte und<br />

Kompetenzbereiche des Lebens möglichst<br />

gering zu halten, worauf ebenfalls<br />

ESPINÀS (1988) hinweist, “du bist<br />

sicher unfähig, manche Stoffe zu erlernen,<br />

die der traditionelle Schulunterricht<br />

vermittelt”, sind bei Interventionsmaßnahmen<br />

(Lernen) als “Lernproblem-Variablen”<br />

die verschiedenen ätiologiespezifischen<br />

Konditionen, die individuellen<br />

Fähigkeiten und auch das<br />

soziokulturelle Umfeld mit zu berücksichtigen.<br />

Entwicklung verläuft langsamer<br />

Über viele Jahrzehnte hinweg ging man<br />

in Fachkreisen davon aus, dass bei Menschen<br />

mit Down-Syndrom das so genannte<br />

normative Entwicklungskonzept<br />

(SPECK 1981) angelegt werden könne.<br />

Dies besagt, dass Menschen mit geistiger<br />

Behinderung sich prinzipiell entlang<br />

der kognitiven Entwicklungsabfolge wie<br />

nicht behinderte Kinder und Jugendliche<br />

entwickeln. Ihr Entwicklungsgeschehen<br />

ist jedoch dezeleriert. Dezeleration<br />

bedeutet hier, dass Menschen mit<br />

Down-Syndrom die normativen Entwicklungsschritte<br />

zeitverzögert und in<br />

einer gleich gerichteten, homogenen Art<br />

durchschreiten. Doch liegt das erreich-<br />

te Entwicklungsendniveau im Vergleich<br />

zu nicht kognitiv behinderten Kindern<br />

auf einem niedrigeren Niveau (WIS-<br />

HART 1995, 60 f.). Auf diesem Annahmehintergrund<br />

lesen wir dann z.B. bei<br />

RAUH: “In den ersten drei Lebensjahren<br />

entspricht nach den übereinstimmenden<br />

Befunden der geistige Entwicklungsverlauf<br />

der <strong>DS</strong>-Kinder im Mittel etwas<br />

mehr als dem halben Tempo nicht<br />

behinderter Kinder. ... Im Alter von<br />

zehn Jahren befanden sich die ... Kinder<br />

auf einem durchschnittlichen geistigen<br />

Entwicklungsniveau von vier Jahren<br />

....”<br />

Das jeweils erreichte Entwicklungsniveau<br />

wird mit Hilfe von Intelligenz-<br />

Testverfahren festzustellen versucht.<br />

Die Verwendung dieser Verfahren, die<br />

Berechnungen von IAs und IQs als Maße<br />

zur quantitativen Festsetzung des intellektuellen<br />

Niveaus, ist bis in unsere Gegenwart<br />

ein allgemein anerkanntes<br />

Konzept. Mit diesen Verfahren lässt sich<br />

das Retardationsniveau bestimmen,<br />

und damit der Dezelerationsprozess<br />

entsprechend den Klassifikationsniveaus<br />

der WHO (1968) oder der AAMD<br />

(GROSSMAN, 1983) mit den Untergliederungen<br />

nach den Minderbegabungsniveaus,<br />

mild (leicht), moderate (mittel),<br />

severe (schwer) oder profound (sehr<br />

schwer) ermitteln und u.a. eine Zuordnung<br />

von Schülern/innen zu Schultypen<br />

oder Leistungskursen vornehmen.<br />

Intelligenztests dienten damit über<br />

eine lange Zeitspanne hinweg als Unterstützungssystem,<br />

um einen als insgesamt<br />

verlangsamt bewerteten Prozess<br />

der normativen Entwicklung beim<br />

Down-Syndrom sowohl quantitativ als<br />

auch qualitativ aufzuzeigen.<br />

Die festgestellte Retardierung der<br />

kognitiven Leistungen in Bezug zum Lebensalter<br />

war damit bei Menschen mit<br />

Behinderungen folgerichtig immer defizitär<br />

im Vergleich zum nicht behinderten<br />

Menschen. Mediziner, Psychologen,<br />

Pädagogen qualifizierten daher auch<br />

pauschal den ganzen Menschen mit<br />

Down-Syndrom als “mental retardiert”,

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