Nr. 34, Mai - DS-InfoCenter
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F R E I Z E I T<br />
Europäische Kulturwoche für<br />
Jugendliche mit Behinderungen<br />
Ute Brüns und Carl-Martin Wilken<br />
W<br />
enn aus Kindern “Jugendliche”<br />
werden, dann ändert sich vieles.<br />
Der Wunsch nach Selbstständigkeit und<br />
Unabhängigkeit von den Eltern – im Alltag<br />
und in der Freizeit – ist dabei ein<br />
wichtiges Ziel. Dies gilt auch für die Urlaubsplanung:<br />
Der Urlaub mit den Eltern<br />
ist eindeutig zu langweilig, eine<br />
Pauschalreise zu schnöde, eine Individualreise<br />
traut man sich noch nicht zu –<br />
oder sie wird von den Eltern kategorisch<br />
ausgeschlossen. Jugendgruppenreisen<br />
sind für viele Jugendliche ein Ausweg<br />
aus diesem Dilemma und so boomt denn<br />
auch der Jugendfreizeitmarkt. Entsprechend<br />
schwer fällt natürlich die Urlaubsentscheidung:<br />
Lieber die “Party,<br />
Fun & Sun”-Tour oder der Abenteuerurlaub<br />
mit Kanu und Fahrrad? Eher<br />
der ökologische und möglichst “pädagogisch<br />
wertvolle” Freizeitspaß oder die<br />
pure Freiheit in irgendeiner “Mega-Party-Town”,<br />
wo man bei Sangria-Disco-<br />
Nächten das Nachtleben genießen<br />
kann?<br />
Urlaub ohne Eltern<br />
Auch für Jugendliche und junge Erwachsene<br />
mit Down-Syndrom oder anderen<br />
physischen bzw. mentalen Beeinträchtigungen<br />
stellt sich im Jugendalter<br />
die Aufgabe, sich von den eigenen<br />
Eltern zu emanzipieren. Die Unabhängigkeit<br />
behinderter Jugendlicher und<br />
junger Erwachsener ist möglicherweise<br />
eine andere. So ist die Reichweite persönlicher<br />
Freiheiten und unabhängiger<br />
Lebensgestaltung vielfach kleiner und<br />
umgrenzter. Ihre Bedeutung für diese<br />
Jugendlichen ist jedoch genauso groß<br />
wie für andere Gleichaltrige: Etwas<br />
selbst zu können, alleine eine Woche ohne<br />
Eltern Urlaub gemacht zu haben,<br />
fremde Menschen zu treffen, die nicht<br />
die eigene Sprache sprechen und sich<br />
trotzdem mit ihnen verständigen zu<br />
können – das sind Erfahrungen, die<br />
über den Urlaub hinaus in den Alltag<br />
hineinwirken können: Auf diese Weise<br />
können junge Menschen wichtige<br />
Schritte zugunsten des Selbstwertgefühls<br />
und der persönlichen Autonomie<br />
tun. Für solche Erlebnisse und Er-<br />
48 Leben mit Down-Syndrom <strong>Nr</strong>. <strong>34</strong>, <strong>Mai</strong> 2000<br />
fahrungen benötigen Menschen mit<br />
Down-Syndrom Unterstützung. Ihnen<br />
jedoch derartige Urlaubserfahrungen<br />
vorzuenthalten, weil sie diese etwa nicht<br />
nachdrücklich einfordern, erscheint<br />
nicht als angemessen. Denn auch bei ihnen<br />
werden Wünsche zur Urlaubsgestaltung<br />
deutlich, wenn sie nach ihnen<br />
befragt werden und für solche Angebote<br />
entsprechende “Werbung” gemacht<br />
wird.<br />
Workshops<br />
Die ”Europäische Kulturwoche für Jugendliche<br />
mit Behinderung”, die seit<br />
fünf Jahren im Internationalen Haus<br />
Sonnenberg im Oberharz angeboten<br />
wird, stellt ein solches Angebot dar. An<br />
der Tagung nehmen Einzelteilnehmer,<br />
Kleingruppen oder Gruppen aus Werkstätten<br />
teil, die einen kreativen oder<br />
sportlichen Urlaub mit anderen Jugendlichen<br />
aus ganz Europa verbringen<br />
möchten. Die Teilnehmer können dabei<br />
zwischen verschiedenen Kreativangeboten<br />
(z.B. Bildhauerei, Pantomime und<br />
Theater, Sport, Musik und Videofilme)<br />
selbstbestimmt wählen. Die Interessen<br />
der Teilnehmer stehen dabei eindeutig<br />
im Vordergrund. Die sonderpädagogisch<br />
qualifizierte Tagungsleitung stimmt das<br />
konkrete Workshopangebot vor Ort auf<br />
die Fähigkeiten und Fertigkeiten der<br />
Teilnehmer ab und leitet das Tun fachkundig<br />
an. Der Schwerpunkt der<br />
Workshops liegt jedoch nicht vorrangig<br />
auf den jeweiligen Ergebnissen, sondern<br />
vielmehr auf der Freude am gemeinsamen<br />
Tun, das zur Kommunikation<br />
und Interaktion anregt. Erfahrungsgemäß<br />
bietet das kreative Handeln<br />
in der Gruppe sehr eindrucksvolle<br />
Anlässe, aufeinander zuzugehen und<br />
sich kennen zu lernen. Individuelle<br />
sprachliche Handikaps sowie fremdsprachliche<br />
Barrieren werden in solchen<br />
Zusammenhängen rasch zur Nebensache.<br />
Erfahrungsaustausch<br />
Diese unmittelbaren Erfahrungen werden<br />
durch Informationsabende über die<br />
Lebens- und Arbeitsbedingungen der<br />
Tagungsteilnehmer ergänzt: Die Teilnehmer<br />
berichten über ihren Schulbesuch<br />
bzw. über ihr Berufsleben ebenso<br />
wie über persönliche Interessen. Dias<br />
und konkrete Gegenstände, z.B. aus<br />
dem Arbeitsleben, dienen dabei der<br />
Veranschaulichung. Aus diesen Präsentationen<br />
entwickeln sich häufig rege<br />
Gespräche über das alltägliche Leben<br />
(Wann steht ihr denn auf? Welche Hobbys<br />
habt ihr?), aber auch Fragen nach<br />
beruflichen Bedingungen (Löhne, Pausen,<br />
Zufriedenheit am Arbeitsplatz) und<br />
sozialem Erleben (Wie wohnt ihr? Wie<br />
wollt ihr wohnen?) kommen zur Sprache.<br />
Auf Grund unterschiedlicher Ausgangssituationen<br />
werden – mit oft er-<br />
Playback-Show – Anita Lailach (20)<br />
mit dem Schlager “So schön kann<br />
doch kein Mann sein” und …<br />
staunlicher Ausdauer – Erfahrungen<br />
verglichen und persönliche Wünsche<br />
formuliert.<br />
Freizeit<br />
Das Abendprogramm erfährt seine<br />
Abrundung durch gemeinsames Feiern:<br />
Es werden z.B. Feste vorbereitet, die kulinarische<br />
und musikalische Einblicke in<br />
die jeweilige kulturelle Herkunft erlauben<br />
und – je nach Kondition und<br />
Wunsch – in fröhliche Tanzabende<br />
münden.<br />
Auch das Erleben der Kulturlandschaft<br />
Harz steht auf dem Programm:<br />
Ausflüge in die nähere und weitere Umgebung<br />
des Tagungshauses, das mitten<br />
im Nationalpark Harz gelegen ist, vermitteln<br />
vielfältige Eindrücke in historische,<br />
landschaftliche und aktuelle Besonderheiten<br />
der Region.<br />
Sollte der eine oder andere Teilneh-