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Nr. 34, Mai - DS-InfoCenter

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I N T E G R A T I O N<br />

Warum ist es so schwer, über das<br />

Thema Integration zu sprechen?<br />

Gedanken des Vaters eines sechsjährigen Jungen mit<br />

Down-Syndrom<br />

Peter Aymanns<br />

A<br />

nlässlich eines Elterntages treffen<br />

sich Eltern behinderter Kinder.<br />

Das eine Kind besucht eine Sonderschule,<br />

ein anderes Kind wird gemeinsam<br />

mit nicht beeinträchtigten Kindern<br />

unterrichtet und ein drittes Kind besucht<br />

die Grundschule, aber eine Umschulung<br />

in die Sonderschule steht an,<br />

weil die Regelschule sich nicht in der<br />

Lage sieht, das Kind weiter zu fördern.<br />

Das Gespräch kommt bald auf das Thema<br />

Integration. Schnell werden klare<br />

Positionen pro und kontra bezogen.<br />

Nach kurzer Zeit wird das Gesprächsklima<br />

zunehmend emotional: Ein jeder<br />

versucht den Weg zu rechtfertigen und<br />

zu verteidigen, den sein Kind geht oder<br />

gezwungen ist zu gehen. Irgendwann<br />

erinnert das Gespräch an einen Glaubensstreit,<br />

wie er früher zwischen den<br />

Angehörigen unterschiedlicher Religionen<br />

über den wahren Weg zum Heil<br />

üblich war: Jeder ist davon überzeugt,<br />

auf dem rechten Weg zu sein, und voller<br />

Bemühen, den anderen von seinen irrigen<br />

Überzeugungen abzubringen.<br />

Reizthema Integration<br />

Ähnliche Erfahrungen kann man überall<br />

machen, wenn man über das “Reizthema<br />

Integration” ins Gespräch<br />

kommt. In der Tat geht es dabei um etwas<br />

sehr Wichtiges: um die Zukunft unserer<br />

behinderten Kinder. Denn alle Eltern<br />

wollen ihrem Kind einen Weg ebnen,<br />

der es ihm erlaubt, sich zu entfalten<br />

und sein Leben nach seinen<br />

Möglichkeiten zu gestalten oder zumindest<br />

mitzugestalten; sie alle wollen ihrem<br />

Kind möglichst viele Chancen eröffnen,<br />

zumal sie wissen, wie dünn diese<br />

für behinderte Menschen immer noch<br />

gesät sind. Und niemand will sein Kind<br />

wissentlich überfordern. Aber warum<br />

ist es dann so schwierig, sachlich miteinander<br />

über Integration in der Schule<br />

zu sprechen?<br />

44 Leben mit Down-Syndrom <strong>Nr</strong>. <strong>34</strong>, <strong>Mai</strong> 2000<br />

Hoffnung<br />

Nach meinem Eindruck gibt es hierfür<br />

vor allem zwei Gründe. Der erste Grund<br />

liegt darin, dass gerade bei diesem Thema<br />

sich die vielfältigen Gefühle, die wir<br />

als Eltern angesichts der schulischen Situation<br />

unserer Kinder erleben, nicht<br />

ausblenden lassen.<br />

Für Eltern, die sich für einen gemeinsamen<br />

Unterricht einsetzen, überwiegt<br />

die Hoffnung. Beispielsweise die<br />

Hoffnung, dass die Berührungsängste<br />

vor dem spastischen Rollstuhlfahrer<br />

endlich abgebaut werden, wenn nicht<br />

beeinträchtigte Kinder schon in der<br />

Schule körperbehinderte Kinder kennen<br />

lernen und sie deren ungelenke Bewegungen<br />

mit ansehen können. Oder die<br />

Hoffnung, dass dem eigenen Kind einmal<br />

andere Wege offen stehen als allein<br />

die Werkstätten für Behinderte und es in<br />

einem gestützten Arbeitsverhältnis<br />

lernt, die eigenen Fähigkeiten auszubauen<br />

und den Kontakt zu nicht behinderten<br />

Menschen im Alltag zu erhalten.<br />

(Damit soll die Bedeutung der Werkstätten<br />

als eine wichtige Errungenschaft auf<br />

dem Weg, behinderte Menschen aus<br />

Untätigkeit herauszuführen und ihnen<br />

ein strukturierendes Tagesangebot zu<br />

machen, nicht geschmälert werden).<br />

Oder die Hoffnung, dass nicht alleine die<br />

Familie dafür zuständig ist, dass behinderte<br />

Kinder am Alltagsleben der nicht<br />

behinderten Menschen teilhaben können,<br />

sondern auch die Öffentlichkeit ihre<br />

Verantwortung wahr- und ernst<br />

nimmt.<br />

Eltern, deren Kind eine Sonderschule<br />

besucht, haben die Hoffnung, dass ihr<br />

Kind dort jenen Schutzraum erhält, den<br />

es benötigt, um sich zu entfalten, ohne<br />

an den ständigen Vergleichen mit den<br />

nicht behinderten Kindern zu leiden.<br />

Gemeinsam ist aber vielen Eltern die<br />

Sorge, dass ihr Kind an dem Lernort, an<br />

dem es gerade lernt, etwas verpasst,<br />

was ihm an einem anderen Lernort<br />

gewährt werden könnte, hier Schutz-<br />

und Schonraum der Sonderschule, dort<br />

die Anregungen und Förderungen<br />

durch die Gemeinschaft mit den nicht<br />

Behinderten.<br />

Verzweiflung<br />

Bei vielen Eltern beeinträchtigter Kinder<br />

kommt bei dem Thema “Schule”<br />

aber auch Verzweiflung auf. Nach meinem<br />

Eindruck gilt dies für viele Eltern,<br />

deren Kind auf eine Schule für Lernbehinderte<br />

umgeschult werden soll und<br />

die sich am Schulsystem und an der<br />

Auseinandersetzung mit den vielen Anlaufstellen<br />

wund gerieben haben. Wie<br />

sagte eine Mutter: “Wenn mein Sohn<br />

jetzt in die Sonderschule in unserem<br />

kleinen Dorf muss, dann wissen alle, der<br />

schafft die normale Schule ja doch nie,<br />

und mit so jemandem will freiwillig doch<br />

niemand spielen.” In Zeiten, in denen<br />

sich Freundschaften bilden, bedeutet<br />

die Überweisung auf die Sonderschule<br />

auch oft soziale Aussonderung.<br />

Eltern erleben dies oft als kränkend<br />

und stigmatisierend – für sich selbst und<br />

für das Kind. Sie fragen sich zu Recht:<br />

”Gibt es in unserem Ort keine integrierte<br />

Förderung, sondern nur in der<br />

nächstgelegenen Stadt, 50 Kilometer<br />

entfernt? Warum stellt unsere Schule<br />

keinen Antrag auf zusätzliche Förderstunden?”<br />

Wer auf solche Fragen keine<br />

angemessene Antwort bekommt, fühlt<br />

sich ungerecht behandelt und kann eigentlich<br />

nur mit Wut und Ohnmacht reagieren.<br />

Und viele Eltern erleben sich<br />

als ohnmächtig, weil ihnen immer noch<br />

das Recht verweigert wird, für ihr behindertes<br />

Kind die Schulform zu wählen,<br />

die sie für angemessen halten.<br />

Den Königsweg gibt es nicht<br />

Neben diesen vielfältigen Gefühlen, die<br />

ins Spiel kommen, macht noch ein zweiter<br />

Aspekt das Gespräch oft so<br />

schwierig. Es fehlen sachliche Informationen<br />

darüber, wie integrativer Unterricht<br />

in der Praxis tatsächlich aussieht.<br />

Wenn wir von den Erfahrungen ausgehen,<br />

die wir selbst als Kinder in der<br />

Grundschule gemacht haben, dann<br />

möchte sich keiner sein behindertes<br />

Kind in der Klasse vorstellen, in der er<br />

selbst einmal unterrichtet worden ist.<br />

Dies ist tatsächlich unvorstellbar, denn<br />

gemeinsamer Unterricht geht nur, wenn<br />

sich die Schule verändert. In den herkömmlichen<br />

Strukturen der Grundschule<br />

und der weiterführenden Schulen

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