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150<br />

Die Mechanik des Kunstbegriffs<br />

Tatsächlich läßt sich nur deshalb Neues in das Terrain der Kunst überführen und<br />

dabei veredeln, weil deren Begriff zuvor so stark mit Bedeutung aufgeladen wurde,<br />

daß er auf alles ausstrahlt, was in Kontakt mit ihm gelangt. Wie Ilsebill sich mit allen<br />

gesellschaftlichen Statussymbolen zugleich schmücken wollte und ökonomische,<br />

politische sowie religiöse Macht in sich zu vereinen suchte, hat sich der Kunstbegriff<br />

im Verlauf der beiden letzten Jahrhunderte mit jeweils neuem – geltungsstarkem<br />

– Vokabular angereichert, sich Macht erworben und damit den Wert all dessen erhöht,<br />

was unter ‚Kunst‘ firmiert. Anders formuliert: Der Gefräßigkeit des Kunstbetriebs, der<br />

nach immer neuen Aschenputtels sucht, liegt eine Gefräßigkeit des Kunstbegriffs<br />

zugrunde, der wie Ilsebill Wertsachen akkumuliert. Nochmals anders formuliert: Erst<br />

indem sich der Kunstbegriff mehrere favorisierte, als mächtig und wertvoll angesehene<br />

Jargons vereinnahmt hat, kommt denen, die in seinem Namen agieren, die Macht<br />

zu, selbst favorisieren und etwas für wertvoll erklären zu können.<br />

Jedesmal wenn wieder ein Leitdiskurs auftauchte, wurden Eigenschaften<br />

reformuliert, die der Kunst bereits zuvor – in anderen Worten – zugesprochen worden<br />

waren, veränderte sich aber auch ihr Profil. Ein paar Beispiele: In der Romantik<br />

hielt eine religiöse Sprache Einzug, die Kunst wurde sakralisiert. Galt sie Schiller<br />

noch als Instanz, die den Menschen zu sich selbst befreit, bevorzugte Wackenroder<br />

bereits ein Vokabular der Erlösung und Transzendenz; die Kantische Zweckmäßigkeit<br />

ohne Zweck reformulierte Schelling als Heiligkeit und Reinheit der Kunst, und zum<br />

Mysterium oder zur Offenbarung wurde verklärt, was zuerst noch vom Impetus der<br />

Aufklärung geprägt gewesen war. Dieses Umschreiben des Kunstbegriffs in eine<br />

neue Sprache führte dazu, daß Kunstwerke wie Reliquien verehrt wurden, daß<br />

man ihnen Museen – heilige Hallen – baute, daß sich Kunstbetrachtung zu einem<br />

Pendant des Gottesdiensts entwickeln konnte – kurzum: daß die Wertschätzung für<br />

Kunst religionsähnliche sowie institutionalisierte Ausmaße annahm und ihre Pflege<br />

zu einer hoheitlichen Aufgabe wurde.<br />

Die Sakralsprache des Kunstbegriffs wurde dann im späten 19. und frühen 20.<br />

Jahrhundert m<strong>art</strong>ialisiert, als der Darwinismus bzw. Biologismus sowie das Militär<br />

an Reputation und Wichtigkeit gewannen. So wurde aus dem tradierten Gedanken,<br />

daß der Künstler naturhaft schaffe und (qua Genie) nicht in seiner Gewalt habe, was<br />

er mache, bei Nietzsche die Deutung des Künstlers als Raubtier und aggressives<br />

Gewaltwesen, die Stilgeschichte der Kunst zum Beleg für die These vom Recht des<br />

Stärkeren. Und selbst ein relativ gemäßigter Autor wie Thomas Mann schrieb, „daß<br />

es der schlechteste Künstler nicht sei, der sich im Bilde des Soldaten wiedererkenn[t]“.<br />

[1] Ohne das (Selbst)verständnis des Künstlers als eines heroischen Kämpfers wäre<br />

auch die Begeisterung nicht erklärbar, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs gerade Maler<br />

oder Dichter erfaßte. Für eine Generation, die ihre Rolle militärisch als Avantgarde sah,<br />

war der Krieg die Fortsetzung der Kunst mit anderen Mitteln.<br />

Die sakrale Dimension der Kunst brauchte deshalb jedoch nicht aufgegeben<br />

zu werden. So vereint sich etwa im Bild des Blauen Reiter die romantische Blaue<br />

Blume – als Chiffre der Transzendenz – mit dem Ideal des heldenhaften Ritters und

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