art-e-conomy _ reader - marko stamenkovic
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Die Mechanik des Kunstbegriffs<br />
Tatsächlich läßt sich nur deshalb Neues in das Terrain der Kunst überführen und<br />
dabei veredeln, weil deren Begriff zuvor so stark mit Bedeutung aufgeladen wurde,<br />
daß er auf alles ausstrahlt, was in Kontakt mit ihm gelangt. Wie Ilsebill sich mit allen<br />
gesellschaftlichen Statussymbolen zugleich schmücken wollte und ökonomische,<br />
politische sowie religiöse Macht in sich zu vereinen suchte, hat sich der Kunstbegriff<br />
im Verlauf der beiden letzten Jahrhunderte mit jeweils neuem – geltungsstarkem<br />
– Vokabular angereichert, sich Macht erworben und damit den Wert all dessen erhöht,<br />
was unter ‚Kunst‘ firmiert. Anders formuliert: Der Gefräßigkeit des Kunstbetriebs, der<br />
nach immer neuen Aschenputtels sucht, liegt eine Gefräßigkeit des Kunstbegriffs<br />
zugrunde, der wie Ilsebill Wertsachen akkumuliert. Nochmals anders formuliert: Erst<br />
indem sich der Kunstbegriff mehrere favorisierte, als mächtig und wertvoll angesehene<br />
Jargons vereinnahmt hat, kommt denen, die in seinem Namen agieren, die Macht<br />
zu, selbst favorisieren und etwas für wertvoll erklären zu können.<br />
Jedesmal wenn wieder ein Leitdiskurs auftauchte, wurden Eigenschaften<br />
reformuliert, die der Kunst bereits zuvor – in anderen Worten – zugesprochen worden<br />
waren, veränderte sich aber auch ihr Profil. Ein paar Beispiele: In der Romantik<br />
hielt eine religiöse Sprache Einzug, die Kunst wurde sakralisiert. Galt sie Schiller<br />
noch als Instanz, die den Menschen zu sich selbst befreit, bevorzugte Wackenroder<br />
bereits ein Vokabular der Erlösung und Transzendenz; die Kantische Zweckmäßigkeit<br />
ohne Zweck reformulierte Schelling als Heiligkeit und Reinheit der Kunst, und zum<br />
Mysterium oder zur Offenbarung wurde verklärt, was zuerst noch vom Impetus der<br />
Aufklärung geprägt gewesen war. Dieses Umschreiben des Kunstbegriffs in eine<br />
neue Sprache führte dazu, daß Kunstwerke wie Reliquien verehrt wurden, daß<br />
man ihnen Museen – heilige Hallen – baute, daß sich Kunstbetrachtung zu einem<br />
Pendant des Gottesdiensts entwickeln konnte – kurzum: daß die Wertschätzung für<br />
Kunst religionsähnliche sowie institutionalisierte Ausmaße annahm und ihre Pflege<br />
zu einer hoheitlichen Aufgabe wurde.<br />
Die Sakralsprache des Kunstbegriffs wurde dann im späten 19. und frühen 20.<br />
Jahrhundert m<strong>art</strong>ialisiert, als der Darwinismus bzw. Biologismus sowie das Militär<br />
an Reputation und Wichtigkeit gewannen. So wurde aus dem tradierten Gedanken,<br />
daß der Künstler naturhaft schaffe und (qua Genie) nicht in seiner Gewalt habe, was<br />
er mache, bei Nietzsche die Deutung des Künstlers als Raubtier und aggressives<br />
Gewaltwesen, die Stilgeschichte der Kunst zum Beleg für die These vom Recht des<br />
Stärkeren. Und selbst ein relativ gemäßigter Autor wie Thomas Mann schrieb, „daß<br />
es der schlechteste Künstler nicht sei, der sich im Bilde des Soldaten wiedererkenn[t]“.<br />
[1] Ohne das (Selbst)verständnis des Künstlers als eines heroischen Kämpfers wäre<br />
auch die Begeisterung nicht erklärbar, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs gerade Maler<br />
oder Dichter erfaßte. Für eine Generation, die ihre Rolle militärisch als Avantgarde sah,<br />
war der Krieg die Fortsetzung der Kunst mit anderen Mitteln.<br />
Die sakrale Dimension der Kunst brauchte deshalb jedoch nicht aufgegeben<br />
zu werden. So vereint sich etwa im Bild des Blauen Reiter die romantische Blaue<br />
Blume – als Chiffre der Transzendenz – mit dem Ideal des heldenhaften Ritters und