art-e-conomy _ reader - marko stamenkovic
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Konkurrenz für den Kunstbegriff?<br />
Dennoch droht der Kunst eine Gefahr von seiten der Wirtschaft. Sie ergibt sich<br />
daraus, daß diese mittlerweile die Mechanik des Kunstbegriffs zu adaptieren scheint.<br />
Schon für die Mode hatte Roland B<strong>art</strong>hes das Spiel mit Paradoxien bemerkt und<br />
geschrieben: „Sanft und stolz, streng und zärtlich, korrekt und lässig: in solchen<br />
psychologischen Paradoxien drückt sich eine Sehnsucht aus; sie legen Zeugnis ab von<br />
einem Menschheitstraum, dem Traum von Totalität, dem zufolge jedes menschliche<br />
Wesen alles zugleich sein könnte und nicht zu wählen, das heißt keinen einzigen<br />
Charakterzug von sich zu weisen brauchte.“[12] Hatte B<strong>art</strong>hes diese jeweils (zumindest)<br />
doppelte Codierung eines Kleidungsstils noch mit einer Determinierungsunlust vieler<br />
Menschen erklärt, spielt sie bei der Inszenierung zahlreicher Markenprodukte, die,<br />
anders als früher, ebenfalls kein eindeutig-plakatives Eigenschaftsprofil mehr haben,<br />
vor allem eine Rolle als Methode der Auratisierung. So wird in Imagekampagnen<br />
darauf gesetzt, das jeweilige Produkt ähnlich einem Kunstwerk und damit als ein<br />
geheimnisvolles Sowohl-Als-auch zu beschreiben.<br />
In seinem Roman Der letzte Schrei, der im Milieu der Trendforscher spielt,<br />
beschreibt Alex Shakar diese Marketingstrategie ausführlich und prägt sogar einen<br />
eigenen Begriff dafür. So bezeichnet er die Anhäufung konträrer Eigenschaften,<br />
jenes Sowohl-Als-auch und Zugleich als „Paradessenz“ – als paradoxe Essenz<br />
– und schreibt etwa über Kaffee: „Die Paradessenz von Kaffee lautet Anregung<br />
und Entspannung. Jede erfolgreiche Anzeigenkampagne für Kaffee wird (...) diese<br />
beiden einander ausschließenden Zustände zugleich versprechen. (...) Die Aufgabe<br />
der Marketingexperten ist es, diesen zwiespältigen Kern, diese gebrochene Seele in<br />
jedem Produkt herauszustreichen.“[13] Damit verheißt heute Kaffee oder ein anderes<br />
Konsumprodukt, was lange Zeit – nicht nur bei Schiller – von einem Kunstwerk wie<br />
der Juno Ludovisi erw<strong>art</strong>et worden war. Als Paradessenz des Tourismus nennt Shakar<br />
Abenteuer und Erholung, als die von Turnschuhen Bodenhaftung und die Möglichkeit,<br />
Luftsprünge zu machen. Aber auch das Image-Styling von Stars gehorcht oft (nicht nur<br />
bei Madonna) dem Prinzip der Zusammenführung widersprechender Eigenschaften,<br />
so etwa bei Britney Spears, die einerseits viel Haut und zotige Liedertexte präsentiert,<br />
zugleich aber gelobt, bis zur Hochzeit Jungfrau bleiben zu wollen.<br />
Mag es noch skeptisch klingen, den Produkten (oder Stars) wegen ihres<br />
widerspruchsvollen Images eine “gebrochene Seele” zu unterstellen, so relativiert Shakar<br />
diese Formulierung im Verlauf seines Romans und hebt dafür die verklärende Dimension<br />
der Paradoxien hervor: “In milderem Licht betrachtet” könne die Widersprüchlichkeit<br />
eines Produkts “genauso gut sein Zauber genannt werden”, der nicht nur eine<br />
“Markenidentität”, sondern einen “Produktmythos” erschafft, welcher den Käufer<br />
fasziniert und es ihm erlaubt, “mit einem kühnen Satz der Einbildungskraft Brücken<br />
zu schlagen zwischen Körper und Geist, Traum und Verantwortung, Erscheinungen<br />
und Vorstellungen, Leben und Kunst...”[14]<br />
Markenprodukte üben damit eine Magie aus, die lange Zeit der Kunst zukam,<br />
und es erscheint daher nicht als zufällig, daß Shakers Trendforscher auch aus<br />
dem Künstlermilieu stammen: Wie Markenprodukte an die Stelle von Kunstwerken<br />
treten, können sich Künstler heutzutage als Trendscouts und Stichwortgeber für<br />
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