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atw - International Journal for Nuclear Power | 2.2024

Internationale Entwicklungen und Trends

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Editorial<br />

3<br />

Abschied von 100 Prozent Erneuerbaren in der<br />

Stromerzeugung – erster Schritt oder Notnagel?<br />

Anfang Februar wurde von der Bundesregierung ein Ausblick auf eine Kraftwerksstrategie in Begleitung der<br />

Stromwende vorgestellt. Es handelt sich dabei zwar noch nicht um eine Strategie, die Investoren tatsächlich<br />

Auskunft über die Rahmenbedingungen für neue Gaskraftwerke geben könnte, aber doch um lang erwartete<br />

Eckpunkte zur Absicherung der Stromversorgung in einem System mit immer mehr erneuerbaren, insbesondere<br />

volatilen Energieerzeugern.<br />

Unausgesprochen sind die Eckpunkte dennoch ein Abschied<br />

vom Mantra einer Vollversorgung durch 100 Prozent<br />

erneuerbare Energien. Um die Ver sorgungssicherheit<br />

langfristig aufrecht zu erhalten, soll es zunächst 10 Gigawatt<br />

geförderte Kapazität an Gaskraftwerken und später<br />

einen technologieoffenen Kapazitätsmarkt geben. Man<br />

versucht zwar dies mit dem Hinweis auf eine Umstellung<br />

auf „grünen“ Wasser stoff zu bemänteln. Aber angesichts<br />

der hohen Unsicherheit über die künftige Verfügbarkeit<br />

solchen Wasserstoffs und dem Einschluss auch von „blauem“<br />

Wasserstoff, der aus Erdgas mit anschließender CO₂-<br />

Abscheidung gewonnen wird sowie der CCS-Technologie<br />

auch am Kraftwerk, wird klar, dass hier tatsächlich eine<br />

Gaskraftwerksstrategie vorbereitet wird. Entsprechend<br />

gab es bereits grundsätzliche Kritik seitens einer der<br />

Hauptverfechterinnen der Wende zu 100 Prozent erneuerbaren<br />

Energien, Frau Kemfert vom DIW, sowie von der<br />

grünen Partei wegen des Tabubruchs hinsichtlich CCS als<br />

Kraftwerkstechnologie.<br />

Wenn man optimistisch ist, kann man gerade im Gegensatz<br />

zu den Kritikern in der geplanten Gaskraftwerksstrategie<br />

einen ersten Schritt zurück zur energiewirtschaftlichen<br />

Vernunft erkennen, zur Erkenntnis, dass die<br />

theoretischen Konzepte für eine Vollversorgung durch<br />

überwiegend volatile Energieträger mit riesigen Überkapazitäten,<br />

massivem Netzausbau, teuren Speichern und<br />

Elektrolyseuren sowie großen Mengen an abschaltbaren<br />

oder verschiebbaren Lasten nicht realistisch umsetzbar<br />

oder extrem teuer sind. Die Folgerung, auch den weiteren<br />

Ausbau von erneuerbaren Erzeugungsanlagen und Netzen<br />

infrage zu stellen, ist aber in Deutschland noch nicht<br />

erkennbar.<br />

Realistisch betrachtet, handelt es sich bei den Eckpunkten<br />

zu einer deutlich geschrumpften Gaskraftwerksstrategie<br />

vermutlich um einen Notnagel, den man so schnell wie<br />

möglich einschlagen muss, um die Illusion eines Kohleausstiegs<br />

bis 2030 wenigstens bis zur Wahl 2025 aufrecht<br />

zu erhalten. Die Bundesregierung selbst nennt die vorab<br />

anzureizenden 10 GW Gaskraftwerke eine no regret Maßnahme,<br />

also sinnvoll auch dann, wenn man sich hinterher<br />

alles wieder anders überlegt. Sie wird mit 16 Milliarden<br />

Euro Förderung aus dem Klima- und Trans<strong>for</strong>mationsfonds<br />

unterlegt. Eine stolze Summe für Gasturbinenanlagen,<br />

die auch bei den potentiellen Investoren das „no<br />

regret Gefühl“ erzeugen soll. Allerdings sind die 10 GW<br />

bei weitem nicht genug zur Absicherung eines Kohleausstiegs,<br />

bei dem 37,5 GW Kapazität in Rede stehen. Und die<br />

anderen angekündigten Maßnahmen sind noch zu konkretisieren<br />

oder unzureichend wie die Verbesserung der<br />

Marktregulierung für Speicher und Elektrolyseure oder<br />

die Förderung von bis zu 500 MW Kraftwerkskapazität,<br />

die ausschließlich mit Wasserstoff betrieben wird.<br />

Auch bei der Umsetzung der verkleinerten Kraftwerksstrategie<br />

gibt es aber Untiefen: Offenbar ist geplant, die<br />

beihilferechtliche Genehmigung durch die EU-Kommission<br />

unter dem Punkt 4.1 der Leitlinien für staatliche<br />

Klima-, Umweltschutz- und Energiebeihilfen 2022 zu<br />

erhalten, „Beihilfen zur Verringerung und zum Abbau von<br />

Treibhausgasemissionen, u. a. durch die Förderung von<br />

erneuerbaren Energien und von Energieeffizienz“ und<br />

nicht dem nahe liegenden Punkt 4.8, „Beihilfen zur<br />

Gewährleistung der Stromversorgungssicherheit“. Hintergrund<br />

könnte die Befürchtung sein, dass die Kommission<br />

im letzteren Fall eine beihilferechtliche Erlaubnis von der<br />

Einrichtung unterschiedlicher Strompreisgebotszonen in<br />

Deutschland abhängig macht. Für die geplanten Kraftwerke<br />

kommen Beihilfen gemäß 4.1 allerdings nur für<br />

hocheffiziente KWK-Anlagen in Betracht. Um Investitionen<br />

in solche Anlagen anzureizen, muss das KWK-Gesetz<br />

verlängert und um eine Förderung für KWK-Peaker<br />

ergänzt werden, wie der Bundesverband Kraft-Wärme-<br />

Kopplung folgerichtig <strong>for</strong>dert. Da die Anlagen aber de<br />

facto doch der Versorgungssicherheit dienen, müssen sie<br />

stromgeführt betrieben werden, was die Erfüllung der<br />

EU-Effizienzvorgaben in Frage stellt.<br />

Gar nicht gelöst wird mit der Kraftwerksstrategie das<br />

Problem zu hoher Industriestrompreise. Im reinen Strombetrieb<br />

werden die neuen Anlagen nur sehr teuren Strom<br />

bereitstellen können und die wegen der Funktion der Anlagen<br />

als Lückenbüßer für zu geringe EE-Erzeugung unstetige<br />

und nicht vorhersagbare Wärmeabgabe wird nur<br />

kleine Deckungsbeiträge leisten. Mit der Umstellung auf<br />

Wasserstoff würden auch in den dreißiger Jahren noch<br />

mehr als doppelt so hohe Brennstoffkosten anfallen, egal<br />

ob blau oder grün. Aus der derzeitigen energiewirtschaftlichen<br />

und industriepolitischen Sackgasse mit zu hohen<br />

Strompreisen und unter der Bedingung der Dekarbonisierung<br />

mit Folge einer Abwanderung der energieintensiven<br />

Industrie aus Deutschland – wie jetzt schon zu beobachten<br />

– führt die vorgenannte Kraftwerksstrategie jedenfalls<br />

nicht heraus.<br />

Nicolas Wendler<br />

– Chefredakteur –<br />

Vol. 69 (2024)

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