atw - International Journal for Nuclear Power | 2.2024
Internationale Entwicklungen und Trends
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Spotlight on <strong>Nuclear</strong> Law<br />
75<br />
Das „Herausbringen“<br />
aus dem Kontrollbereich<br />
› Christian Raetzke<br />
Immer wieder kommt es vor, dass der Verfasser in Unterhaltungen mit Betreibern<br />
kerntechnischer Anlagen und Einrichtungen auf das „Herausbringen aus dem Kontrollbereich“<br />
angesprochen wird. Dieses Thema hat offenkundig eine hohe praktische Relevanz;<br />
die Regelung im Strahlenschutzrecht ist jedoch nicht ganz eindeutig und lässt Raum für<br />
Zweifelsfragen; und so ist offenbar auch die Handhabung von Anlage zu Anlage zumindest in<br />
Nuancen verschieden. Insofern lohnt sich ein Blick durch die juristische Brille auf dieses<br />
Instrument des Strahlenschutzes.<br />
Die Regelung zum Herausbringen findet sich in § 58<br />
Abs. 2 StrlSchV. Die Vorschrift ist Teil eines Abschnitts,<br />
der sich mit Strahlenschutzbereichen beschäftigt;<br />
das Einrichten von Strahlenschutzbereichen und das<br />
Einhalten bestimmter Regelungen im Zusammenhang<br />
mit diesen Bereichen ist ja ein ganz wesentliches<br />
Instrument des Strahlenschutzes. In § 58 StrlSchV geht<br />
es darum, dass Personen (Abs. 1) oder bewegliche<br />
Gegenstände (Abs. 2), die den Kontrollbereich verlassen,<br />
darauf geprüft werden, ob sie kontaminiert<br />
(oder – im Falle der Gegenstände – aktiviert) sind. Ein<br />
wesentliches Ziel dieser Regelung ist es, eine Gefährdung<br />
von Mensch und Umwelt außerhalb des Kontrollbereichs<br />
durch Kontaminationsverschleppung zu<br />
verhindern.<br />
Abgrenzung zur Freigabe<br />
Abgrenzungsfragen ergeben sich vor allem mit Blick<br />
auf die Freigabe. Das Instrument der Freigabe hat<br />
zunächst einen anderen Ansatzpunkt: es geht um die<br />
Frage, ob ein Stoff oder Gegenstand radioaktiv im<br />
Rechtssinne ist oder nicht. Konkret bedeutet die<br />
Freigabe, dass ein Stoff oder Gegenstand, der bei einer<br />
genehmigten Tätigkeit „angefallen“ ist, kein radioaktiver<br />
Stoff mehr ist, wenn er „festgelegte Freigabewerte<br />
unterschreitet und der Stoff freigegeben worden<br />
ist“ (§ 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AtG, gleichlautend § 3 Abs. 2<br />
Satz 1 Nr. 2 StrlSchG). Die Terminologie ist also zunächst<br />
eine ganz andere: nicht „Herausbringen“ aus dem<br />
„Kontrollbereich“, sondern „Freimessung und Freigabe“<br />
eines „bei einer Tätigkeit anfallenden“ Stoffes<br />
oder Gegenstandes. Schaut man sich aber die näheren<br />
Regelungen zur Freigabe in der StrlSchV an, so wird<br />
klar, dass das gesetzliche Er<strong>for</strong>dernis der Freigabe sich<br />
im Wesentlichen auf Stoffe und Gegenstände bezieht,<br />
die aus Kontrollbereichen stammen (§ 31 Abs. 2 Satz 2<br />
StrlSchV) und die nunmehr anderweitig verwendet<br />
oder entsorgt werden (§ 31 Abs. 2 Satz 1 StrlSchV), also<br />
im Ergebnis den Kontrollbereich verlassen; nach<br />
Freimessung und Freigabe steht auch hier fest, dass die<br />
von den Stoffen oder Gegenständen ausgehende<br />
Aktivität, sofern überhaupt vorhanden, jedenfalls so<br />
gering ist, dass sie „außer Acht gelassen werden kann“<br />
(§ 2 AtG und § 3 StrlSchG, jeweils Abs. 2 Satz 1). Im<br />
Ergebnis setzen beide Regelungskomplexe also an der<br />
Entlassung von Gegenständen aus demselben räumlichen<br />
Bereich an (grob gesagt: dem Kontrollbereich)<br />
und dienen letztlich demselben Zweck (Gewährleistung,<br />
dass keine relevante Kontamination/Aktivierung<br />
vorliegt).<br />
Die Regelungen zur Freigabe sind aber in ihrer<br />
Begriffichkeit und auch in ihrem Anwendungsbereich<br />
(z. B. nicht nur auf bewegliche Gegenstände, sondern<br />
auch Gebäude/Bodenflächen und Stoffe) weiter gefasst<br />
als die Regelung zum Herausbringen; letztere knüpft<br />
überdies an einen bestimmten Verwendungszweck<br />
an (Stichworte: Wiederverwendung, Reparatur). § 58<br />
Abs. 2 StrlSchV ist also die speziellere Regelung. Das<br />
bedeutet: der Rechtsanwender – also etwa der Strahlenschutzbeauftragte<br />
(SSB) – muss zunächst prüfen, ob die<br />
Voraussetzungen des Herausbringens vorliegen. Ist<br />
dies nicht der Fall, ist dann auf die Regelungen zur<br />
Freigabe zurückzugreifen. Diesen Vorrang des Herausbringens<br />
sehen auch die gesetzlichen Regelungen<br />
vor, siehe einerseits § 58 Abs. 2 Satz 6 StrlSchV („§ 31<br />
findet keine Anwendung“) und andererseits § 31 Abs. 4<br />
StrlSchV („§ 58 Abs. 2 … bleib[t] unberührt“).<br />
Ist der Tatbestand des Herausbringens erfüllt, so ist die<br />
Rechtsfolge, dass der SSB den betreffenden Gegenstand<br />
Vol. 69 (2024)