Anwaltsblatt 2011/0708 - Österreichischer Rechtsanwaltskammertag
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Panta rhei – Urteil des EuGH zur notariellen<br />
Tätigkeit<br />
Die Medien haben darüber berichtet und die Notariatskammer<br />
hat sinngemäß dazu gesagt: Es wird<br />
sich nichts ändern. Am 24. 5. <strong>2011</strong> hat der Europäische<br />
Gerichtshof sein mit Spannung erwartetes Urteil in der<br />
Rs C-53/08 zum Staatsbürgerschaftsvorbehalt des Notariats<br />
vorgelegt. Er kommt darin zum Schluss, dass die<br />
berufliche Tätigkeit der Notare nicht mit der Ausübung<br />
öffentlicher Gewalt verbunden ist und das<br />
Staatsangehörigkeitserfordernis für den Zugang zum<br />
Notarberuf demzufolge eine verbotene Diskriminierung<br />
darstellt.<br />
Urteil<br />
Die in Art 49 AEUV verankerte Niederlassungsfreiheit<br />
findet gem Art 51 AEUV keine Anwendung auf Tätigkeiten,<br />
die einen Akt hoheitlicher Gewalt darstellen,<br />
wobei diese Ausnahme nach der stRsp des Gerichtshofs<br />
auf Tätigkeiten beschränkt werden muss, bei denen öffentliche<br />
Gewalt unmittelbar und spezifisch ausgeübt<br />
wird. Das Notariat fällt laut EuGH aus mehreren<br />
Gründen nicht unter diese Ausnahme. Zunächst sei<br />
die Beurkundungstätigkeit des Notars nicht mit der unmittelbaren<br />
und spezifischen Ausübung öffentlicher<br />
Gewalt verbunden, weil sich die beteiligten Parteien<br />
den beurkundeten Rechtsgeschäften freiwillig unterwerfen.<br />
Auch wenn eine Beurkundung bei bestimmten<br />
Akten oder Verträgen zwingende Voraussetzung ihrer<br />
Gültigkeit ist, handle es sich dabei nicht um eine Ausübung<br />
öffentlicher Gewalt. Die Parteien würden nämlich<br />
innerhalb der gesetzlich gezogenen Grenzen selbst<br />
über den Umfang ihrer Rechte und Pflichten entscheiden<br />
und die Bestimmungen, denen sie sich unterwerfen<br />
wollen, frei wählen. Ein Notar dürfe eine Urkunde weder<br />
errichten noch ändern, ohne dass die Parteien dem<br />
zugestimmt haben.<br />
Das Notariat könne sich auch nicht auf die Beweiskraft<br />
der Notariatsakte berufen. Die Beweiskraft verleihe<br />
den Urkunden zwar bedeutsame Rechtswirkungen,<br />
doch ergebe sich aus § 292 Abs 2 ZPO, dass der<br />
Beweis sowohl der Unrichtigkeit des bezeugten Vorgangs<br />
als auch der unrichtigen Beurkundung zulässig<br />
ist. Außerdem folge aus dem in § 272 ZPO verankerten<br />
Grundsatz der freien Beweiswürdigung, dass das Gericht<br />
durch die Beweiskraft des Notariatsakts in seiner<br />
Würdigung uneingeschränkt bleibt und seine Entscheidung<br />
nach freier Überzeugung unter Berücksichtigung<br />
aller Tatsachen und Beweise treffen kann, die während<br />
des Verfahrens zusammengetragen werden. Aus der<br />
den notariellen Urkunden verliehenen Beweiskraft<br />
Österreichisches <strong>Anwaltsblatt</strong> <strong>2011</strong>/07-08<br />
Europa aktuell<br />
lasse sich daher nicht ableiten, dass die Errichtung dieser<br />
Urkunden unmittelbar und spezifisch mit der Ausübung<br />
öffentlicher Gewalt verbunden ist.<br />
Der Gerichtshof sieht auch in der Vollstreckbarkeit<br />
des Notariatsakts kein Anzeichen für ein hoheitliches<br />
Handeln bei dessen Erstellung. Durch die Vollstreckbarkeit<br />
des Notariatsakts werde die Vollstreckung der<br />
in ihr enthaltenen Verpflichtung ermöglicht, ohne<br />
dass zuvor ein Gericht tätig werden muss. Die Vollstreckbarkeit<br />
verschaffe dem Notar jedoch keine Befugnisse,<br />
die mit der unmittelbaren und spezifischen<br />
Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind. Nach<br />
§ 3 NO setze die Vollstreckbarkeit des Notariatsakts<br />
voraus, dass der Schuldner sich darin der sofortigen<br />
Zwangsvollstreckung unterworfen hat, was bedeute,<br />
dass der Notariatsakt ohne Einverständnis des Schuldners<br />
nicht vollstreckbar erklärt werden kann. Der Notar<br />
verleihe zwar dem Notariatsakt die Vollstreckbarkeit<br />
dadurch, dass er die Vollstreckungsklausel anbringe,<br />
doch beruhe die Vollstreckbarkeit auf dem<br />
Willen der Parteien, eine Urkunde zu schaffen oder<br />
einen Vertrag zu schließen und ihnen Vollstreckbarkeit<br />
zu verleihen.<br />
Schließlich kann der EuGH selbst in den dem Notar<br />
im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens zukommenden<br />
Aufgaben keine Ausübung öffentlicher<br />
Gewalt erkennen. Die Aufgaben würden unter der<br />
Aufsicht des Gerichts wahrgenommen, dem der Notar<br />
Einwände zuleiten müsse und das die Letztentscheidungsbefugnis<br />
habe. Das Gericht könne den Notar jederzeit<br />
auffordern, über den Stand der Erfüllung seiner<br />
Aufgaben zu berichten, oder eine dahingehende<br />
Erhebung vornehmen. Es könne dem Notar eine Aufgabe<br />
entziehen, wenn er sie nicht innerhalb der ihm<br />
gesetzten Frist besorgt. Ferner müsse der Notar<br />
dem Gericht auf dessen Verlangen unverzüglich jeden<br />
Akt vorlegen. Es sei auch Sache des Gerichts, den Erben<br />
die Verlassenschaft einzuantworten und somit das<br />
Verfahren zu beenden.<br />
Immerhin gesteht der Gerichtshof dem Notariat zu,<br />
dass seine Tätigkeit ein im Allgemeininteresse liegendes<br />
Ziel verfolge, nämlich die Gewährleistung von<br />
Rechtssicherheit und Rechtmäßigkeit. Dies stelle einen<br />
zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar,<br />
der etwaige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit<br />
nach Art 49 AEUV rechtfertigen könne, die sich<br />
aus den Besonderheiten der notariellen Tätigkeit ergeben.<br />
Beispielhaft hierfür erwähnt der EuGH die<br />
für die Bestellung zum Notar geltenden Vorgaben,<br />
die Beschränkung ihrer Zahl und ihrer örtlichen Zu-<br />
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