Download der Publikation - Hanns-Seidel-Stiftung
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Im Fokus<br />
Zukünftig werden die europäer<br />
ihre krisen überwiegend ohNe die<br />
usa bewältigen müssen.<br />
– kurz, es handelt sich um fragile Staaten,<br />
die <strong>der</strong> Organisierten Kriminalität<br />
guten Nährboden bieten. Da we<strong>der</strong> die<br />
politische Entwicklung noch die wirtschaftliche<br />
eine Tendenz zum Besseren<br />
zeigt – in vielen Län<strong>der</strong>n ist auch aufgrund<br />
<strong>der</strong> Rezession <strong>der</strong> Weltwirtschaft<br />
seit 2008 das Gegenteil zu beobachten –,<br />
sieht die Jugend keine Lebenschancen<br />
für sich und versucht, ihre Heimat zu<br />
verlassen. Ein Brain-Drain gut ausgebildeter<br />
Osteuropäer könnte zwar in Zukunft<br />
<strong>der</strong> EU nutzen, schwächt aber diese<br />
Staaten weiter.<br />
Russland unter Putin ist bestrebt,<br />
mit Hilfe seiner Energiepolitik neue und<br />
stärkere Abhängigkeiten zu schaffen,<br />
um die post-sowjetischen Staaten erneut<br />
an sich zu binden. An einer nichtdemokratischen,<br />
vom Autoritarismus<br />
Moskaus beeinflussten Nachbarschaft<br />
fragiler Staaten kann den Europäern<br />
aber nicht liegen. Auf Dauer kann so<br />
auch die Stabilisierung <strong>der</strong> Staaten nicht<br />
gelingen. Im Osten muss die Europäische<br />
Union folglich weiterhin versuchen,<br />
wirtschaftliche und politische Anreize<br />
zu bieten, den Reformprozess fortzusetzen.<br />
Darüber hinaus brauchen die<br />
osteuropäischen Staaten die Unterstützung<br />
beim Aufbau <strong>der</strong> Polizei und <strong>der</strong><br />
Grenz- und Zollverwaltungen. Zugleich<br />
bedarf es <strong>der</strong> engen Kooperation <strong>der</strong><br />
Schengenstaaten, um das Überschwappen<br />
<strong>der</strong> Organisierten Kriminalität und<br />
48 POLITISCHE STUDIEN // 448<br />
Korruption einzudämmen. Das wirksamste<br />
Instrument für den Anreiz für<br />
Reformen will die EU aus gutem Grund<br />
nicht einsetzen: Es ist das Angebot einer<br />
EU-Mitgliedschaft. Es bleiben also ökonomische<br />
und politische Kooperationsangebote<br />
unterhalb dieser Schwelle, die<br />
dennoch attraktiv sein müssen – in Anbetracht<br />
<strong>der</strong> menschenrechtlich bedenklichen<br />
Lage, z. B. in Weißrussland<br />
und in <strong>der</strong> Ukraine, ein heikler Balanceakt<br />
für die EU.<br />
Problemlage Südeuropa<br />
Viel bedrohlicher ist die Lage im Süden.<br />
Es fragt sich, ob wir Nordeuropäer bereits<br />
wirklich erfassen, dass die Entwicklung<br />
im Mittelmeerraum auch uns<br />
betrifft. Zunächst ist <strong>der</strong> demographische<br />
Faktor zu erwähnen, den man<br />
durchaus unter an<strong>der</strong>em als tiefere Ursache<br />
für die Umstürze während <strong>der</strong> „Arabellion“<br />
betrachten kann. Alle Staaten<br />
im südlichen Mittelmeerraum haben ein<br />
sehr hohes Bevölkerungswachstum. Die<br />
Bevölkerung Ägyptens hat sich von rund<br />
20 Mio. (1950) auf über 80 Mio. (2011)<br />
vervierfacht. In manchen Län<strong>der</strong>n entlang<br />
des Mittelmeeres bzw. in den an<br />
ihnen angrenzenden arabischen Staaten<br />
liegt <strong>der</strong> Median <strong>der</strong> Bevölkerung zwischen<br />
17 und 25 Jahren, das heißt, die<br />
Hälfte <strong>der</strong> Bevölkerung ist unter 25 Jahren<br />
o<strong>der</strong> noch jünger, ca. 60 % sind nicht<br />
älter als 30. In Subsahara-Afrika, von<br />
die eu muss die post-sowjetischen<br />
staaten aus dem einflussbereich<br />
russlaNds bekommen.<br />
Europa nur durch zwei Grenzen getrennt,<br />
liegt <strong>der</strong> Median zwischen 14<br />
und 20 Jahren. Die Herausfor<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Staaten, ihrer nachwachsenden Bevölkerung<br />
Bildung und Arbeitsplätze zur Verfügung<br />
zu stellen, ist schlicht immens.<br />
Die Mittelmeeranrainer sind durch<br />
fragile Staatlichkeit gekennzeichnet und<br />
<strong>der</strong>zeit durchweg nicht in <strong>der</strong> Lage, für<br />
diese „Jugendblase“ (youth bulge) Ausbildung<br />
und Arbeitsplätze in ausreichendem<br />
Maße zur Verfügung zu stellen.<br />
In diesen traditionellen Gesellschaften<br />
ist damit zumeist eine Familiengründung<br />
nicht möglich. Die ihrer Lebenschancen<br />
beraubten jungen Menschen<br />
bieten somit ein Reservoir für<br />
die demographische entwicklung<br />
einiger mittelmeeranrainer birgt<br />
sozialen und politischen sprengstoff.<br />
Kriminalität, politische und islamistische<br />
Radikalisierung, Terrorismus und<br />
für bewaffnete Auseinan<strong>der</strong>setzungen,<br />
z. B. für Bürgerkriege. Die politischen<br />
und wirtschaftlichen Entwicklungen<br />
werden Flucht, Wirtschaftsmigration<br />
und Vertreibung zur Folge haben. Die<br />
größte Zahl werden weiterhin die Binnenmigranten<br />
stellen – displaced persons<br />
im eigenen Land. Dies wird zur<br />
weiteren Destabilisierung <strong>der</strong> armen<br />
und schwachen Staaten beitragen. Viele<br />
Flüchtlinge werden jedoch auch versuchen,<br />
in die sicheren und wohlhabenden<br />
Regionen im Norden – also nach Europa<br />
– zu fliehen.<br />
Problemlage Naher Osten und<br />
arabischer Raum<br />
Die wirtschaftliche Unterentwicklung<br />
und die autoritären bzw. diktatorischen<br />
politischen Systeme haben zu den Umstürzen<br />
in den Län<strong>der</strong>n des südlichen<br />
Mittelmeeres beigetragen. Es ist noch<br />
völlig offen, wie <strong>der</strong> Reformprozess verlaufen<br />
wird, zu islamistischen autoritären<br />
Regierungen o<strong>der</strong> zu islamischen<br />
Demokratien, die pluralistisch orientiert<br />
sind und (islamische und christliche)<br />
religiöse Min<strong>der</strong>heiten tolerieren.<br />
Zu befürchten ist jedoch, dass <strong>der</strong> Umbruchprozess<br />
eine Generation lang dauert,<br />
wie die in viel günstigerem Kontext<br />
und mit großer Hilfe <strong>der</strong> EU stattfindende<br />
Transformation Mittelost- und Osteuropas<br />
zeigt. Diese ist auch nach 20<br />
Jahren noch nicht abgeschlossen. Die<br />
revolutionäre, z. T. bürgerkriegsartige<br />
Situation, wie wir sie in Ägypten, Libyen<br />
und Syrien sehen, wird ausländische<br />
wie inländische Investoren abschrecken.<br />
Für die meisten Staaten ist <strong>der</strong><br />
Tourismus aber eine wichtige Einnahmequelle,<br />
die allen Bevölkerungsschichten<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten sichert.<br />
Der Tourismus ist eingebrochen<br />
und mit ihm die Staatseinnahmen, also<br />
die Fähigkeit, soziale Härten abzumil<strong>der</strong>n<br />
und Gesundheits- und Bildungssysteme<br />
zu erhalten. Die Spirale <strong>der</strong> Unzufriedenheit<br />
ist erneut in Gang gesetzt<br />
Wie in allen Konfliktregionen strahlen<br />
auch hier die Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
weit aus: Umliegende Staaten werden radikalisiert,<br />
Islamisten und ehemalige<br />
Söldner werden bewaffnet und überwältigen<br />
schwache Staaten. Mali ist dafür<br />
ein Beispiel par excellence: Gaddafis<br />
Waffen gelangten in die Hände von Islamisten<br />
in Mali und <strong>der</strong> schwache Staat<br />
hatte keine Abwehrmöglichkeit. Syrien<br />
– und möglicherweise nicht nur Syrien –<br />
steht vor <strong>der</strong> Gefahr, auseinan<strong>der</strong> zu<br />
brechen und den Weg Jugoslawiens zu<br />
gehen. Zugleich strömen syrische<br />
Flüchtlinge in die Nachbarstaaten wie<br />
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