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Im Fokus<br />

Die 27 Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> Europäischen Union<br />

sind in erster Linie eine Wirtschafts-<br />

und Sicherheitsgemeinschaft und in<br />

zweiter Linie aber auch eine regionale<br />

Wertegemeinschaft mit gleichen kulturellen<br />

Wurzeln. Als Erbe <strong>der</strong> Antike<br />

stieg das Abendland auf – als eine „gemeinsame<br />

Leistung von Christen, Juden<br />

und Muselmanen“, wie <strong>der</strong> Historiker<br />

Michael Borgolte dargelegt hat. 14 Daran<br />

anknüpfend, haben sich die Län<strong>der</strong> im<br />

EU-Vertrag von Lissabon auf folgende<br />

gemeinsame Werte verpflichtet: Freiheitliche<br />

Demokratie und Schutz <strong>der</strong><br />

Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit<br />

und Min<strong>der</strong>heitenschutz, Marktwirtschaft,<br />

nachhaltige Entwicklung und<br />

Umweltschutz sowie Toleranz gegenüber<br />

An<strong>der</strong>sdenkenden und friedliche<br />

Konfliktbeilegung.<br />

Auch Diaspora-Gemeinden<br />

pochen auf das Recht <strong>der</strong><br />

kulturellen Grenzziehung<br />

Dass das Recht auf (politische) Grenzziehung<br />

und kulturelle Abgrenzung bei<br />

konservativ-grenzverschlossenen o<strong>der</strong><br />

chauvinistisch-labilen Menschen auch<br />

als latentes Konfliktpotenzial in Erscheinung<br />

treten kann, lehrt uns eine<br />

an<strong>der</strong>e politische Entwicklung in <strong>der</strong><br />

EU. In bislang liberalen, grenzoffenen<br />

Staaten wie Holland, Österreich, Dänemark<br />

und Finnland mehren sich die<br />

die Globalisierung bewiRkT mit<br />

neuartigen wertehaltungen<br />

steigenden bedarf an mentaler<br />

orientierung.<br />

60 POLITISCHE STUDIEN // 448<br />

Stimmen <strong>der</strong> Fundamentalisten und <strong>der</strong><br />

nationalen Chauvinisten, die in militanter<br />

Form wie<strong>der</strong> mehr auf kulturelle<br />

Grenzziehung und nationale Abgrenzung<br />

nach außen setzen. Dänemark hat<br />

sogar wie<strong>der</strong> Grenzkontrollen eingeführt,<br />

vor allem, um Menschen aus dem<br />

Balkan (Rumänien und Bulgarien) fernzuhalten.<br />

Die als an<strong>der</strong>s und bedrohlich<br />

empfundenen Fremden sollen ausgegrenzt<br />

werden. Hier ist politischer<br />

Handlungsbedarf in Form von Bildungsarbeit<br />

entstanden. Culture matters!<br />

Aber auch zugewan<strong>der</strong>te Bürger in <strong>der</strong><br />

EU pochen auf das Recht auf Religionsfreiheit<br />

und kulturelle Selbstbestimmung.<br />

Dies gilt in hohem Maße für Migranten<br />

und Neubürger mit Migrationshintergrund,<br />

die in <strong>der</strong> ethnisch-kulturellen<br />

Diaspora leben und sowohl die<br />

Kultur des Herkunftslandes als auch<br />

die Kultur des Einwan<strong>der</strong>ungslandes<br />

ganz o<strong>der</strong> teilweise verinnerlicht haben.<br />

Mit zunehmenden Einflüssen aus Globalisierungsprozessen<br />

ist für Einzelne<br />

wie für Gruppen <strong>der</strong> Bedarf an mentaler<br />

kultureller (teils religiöser) Orientierung<br />

gestiegen, weil die Risiken und<br />

Chancen <strong>der</strong> Globalisierung neuartige<br />

Werthaltungen und innere Einstellungen<br />

verlangen. In jedem Fall ist es legitim<br />

und vernünftig, die Einwan<strong>der</strong>ung<br />

von Migranten und <strong>der</strong>en Integration<br />

mit staatlichen Mitteln umfassend zu<br />

för<strong>der</strong>n und dabei auch eine Anpassungsbereitschaft<br />

einzufor<strong>der</strong>n und zu<br />

belohnen. Hier hat sich in den vergangenen<br />

Jahren vieles zum Positiven gewandelt,<br />

sicherlich noch lange nicht genug,<br />

wohl aber sind richtige Kursän<strong>der</strong>ungen<br />

erkannt und eingeschlagen worden.<br />

Einwan<strong>der</strong>ung wird als Glücksfall,<br />

als Chance <strong>der</strong> Zukunftssicherung<br />

wahrgenommen. Um ein aktuelles Beispiel<br />

dazu anzuführen: Mit Unterstüt-<br />

zung des Bundesamtes für Migration<br />

und von <strong>der</strong> Volkshochschule in Nor<strong>der</strong>stedt<br />

bei Hamburg ist 2012 ein Pilotprojekt<br />

begonnen worden, das in jeweils<br />

sechs Monaten Migranten dabei<br />

hilft, ihre Deutschkenntnisse zu verbessern,<br />

Bewerbungsschreiben erfolgversprechend<br />

zu verfassen und einen passenden<br />

Arbeitsplatz zu finden. 15<br />

Zusammenfassung und<br />

Ausblick: grenzbewusst und<br />

verän<strong>der</strong>ungsoffen<br />

Grenzgebiete sind nur selten Friedensräume,<br />

denn unter friedfertigen Bürgern<br />

bedarf es keiner Grenzzäune. Aber die<br />

historisch gewachsenen Differenzen im<br />

Lebensstandard und im kulturellen<br />

Selbstverständnis <strong>der</strong> Völker nördlich<br />

und südlich des Mittelmeeres sind noch<br />

so groß, dass es naiv wäre, einer grenzenlosen<br />

Zusammenarbeit das Wort zu<br />

reden. Vielmehr sollte für die EU die<br />

Maxime gelten, herkunftsbewusst und<br />

dennoch zukunftsoffen zu agieren.<br />

Dazu gehört zweifellos auch die Überwindung<br />

<strong>der</strong> Angst vor Fremden und<br />

dem Ungewohnten und die Bereitschaft,<br />

statt einer Kultur <strong>der</strong> Ausgrenzung eine<br />

Kultur <strong>der</strong> Toleranz gegenüber Zugewan<strong>der</strong>ten<br />

mit an<strong>der</strong>er kultureller Orientierung<br />

zu för<strong>der</strong>n. Ein durch permanente<br />

Diskussion belebter Gesellschaftsvertrag<br />

zwischen Menschen unterschiedlicher<br />

Herkunft ist nötig. Dabei<br />

ist von an<strong>der</strong>en Einwan<strong>der</strong>ungsgesellschaften<br />

wie Brasilien, Türkei o<strong>der</strong><br />

den USA zu lernen, dass Einwan<strong>der</strong>er<br />

oftmals zu den gesellschaftlichen Gruppen<br />

gehören, die durch ihren festen Willen<br />

zum sozialen Aufstieg überdurchschnittlich<br />

zur gesamtgesellschaftlichen<br />

Arbeitsleistung und nationalen Wertschöpfung<br />

beitragen. 16 Nach außen hat<br />

die Europäische Union noch keine ein-<br />

die eu muss schrittweise eine<br />

regelbasierte willkommenskulTuR<br />

entwickeln.<br />

deutige politisch-kulturelle Außengrenze,<br />

die für Fremde und Migrationswillige<br />

hinreichend transparent wäre. Sie<br />

wirkt auf viele eher als eine unterschiedlich<br />

funktionierende Festung mit starken<br />

Mauern <strong>der</strong> Abschreckung. In jedem<br />

Fall ist die EU von dem politischen<br />

Ideal des bewusst durchlässig gemachten,<br />

transparenten Grenzregimes noch<br />

weit entfernt, das wie eine pulsierende<br />

Membrane, wie sie aus <strong>der</strong> Biologie bekannt<br />

ist, funktionieren würde: Das<br />

System lässt das von außen herein, was<br />

als wünschenswert und nützlich erkannt<br />

wird und wehrt ab, was als unnütz<br />

o<strong>der</strong> schädlich angesehen wird.<br />

Der ideale EU-Politiker wäre demnach<br />

ein solcher, <strong>der</strong> grenzbewusst doch zugleich<br />

verän<strong>der</strong>ungsoffen wäre. 17 Hier<br />

das rechte Maß zu finden, ist prinzipiell<br />

eine zentrale Herausfor<strong>der</strong>ung von Gesellschaften,<br />

die sich ständig durch Ab-<br />

und Zuwan<strong>der</strong>ung verän<strong>der</strong>n.<br />

Keine <strong>der</strong> drei hier diskutierten politischen<br />

Handlungsoptionen für eine<br />

Bändigung <strong>der</strong> bislang unvollständigen<br />

Grenzschutz- und Einwan<strong>der</strong>ungspolitik<br />

Deutschlands und <strong>der</strong> EU bietet eine<br />

ideale Lösung an. Bei je<strong>der</strong> denkbaren<br />

Wahl gibt es Gewinner und Verlierer,<br />

was sowohl Politiker wie wissenschaftliche<br />

Ratgeber zur Bescheidenheit veranlassen<br />

sollte. Es steht ja nicht nur <strong>der</strong><br />

mehr o<strong>der</strong> wenige faire (und unkoordinierte)<br />

Wettkampf <strong>der</strong> Industrielän<strong>der</strong><br />

448 // POLITISCHE STUDIEN 61

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