Download der Publikation - Hanns-Seidel-Stiftung
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ezensionen<br />
Jungbauer, Stefan: Parlamentarisierung<br />
<strong>der</strong> deutschen<br />
Sicherheits- und Verteidigungspolitik?<br />
Die Rolle des<br />
Bundestags bei Auslandseinsätzen<br />
deutscher Streitkräfte.<br />
Münster: Lit Verlag 2012, 442<br />
Seiten, € 59,90.<br />
Lange Zeit war das Mitspracherecht<br />
<strong>der</strong> Parlamente bei Auslandseinsätzen<br />
<strong>der</strong> Streitkräfte in den entwickelten Demokratien<br />
eingeschränkt, es dominierten<br />
die Regierungen. In den USA wies<br />
<strong>der</strong> Kongress Präsident Richard Nixon<br />
mit <strong>der</strong> War Powers Resolution 1970 in<br />
die Schranken. Seit dem Ende des Ost-<br />
West-Konfliktes und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>vereinigung<br />
ist auch Deutschland gefragt,<br />
weltpolitische Verantwortung zu übernehmen<br />
– nicht mehr nur diplomatisch<br />
und ökonomisch, son<strong>der</strong>n auch militärisch<br />
mittels Auslandseinsätzen <strong>der</strong><br />
Bundeswehr. Im Jahr 1994 urteilte das<br />
Bundesverfassungsgericht, dass Auslandseinsätze<br />
<strong>der</strong> Bundeswehr grundsätzlich<br />
<strong>der</strong> vorherigen Zustimmung<br />
des Bundestages unterliegen. Das Parlamentsbeteiligungsgesetz<br />
aus dem<br />
Jahr 2005 regelt detailliert die parlamentarische<br />
Beteiligung bei <strong>der</strong> Entsendung<br />
deutscher Streitkräfte in einen<br />
Auslandseinsatz.<br />
Doch in welcher Form und in welchem<br />
Ausmaß kann <strong>der</strong> Bundestag tatsächlich<br />
Auslandseinsätze kontrollieren<br />
und gegebenenfalls einschränken? Kann<br />
das Parlament jenseits des tagespolitischen<br />
Geschehens die strategische Dimension<br />
von Auslandeinsätzen beeinflussen?<br />
Wird <strong>der</strong> konstitutive Parla-<br />
mentsvorbehalt den stetig sich verän<strong>der</strong>nden<br />
sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen<br />
gerecht? Diesen Fragen<br />
stellt sich <strong>der</strong> Politikwissenschaftler Stefan<br />
Jungbauer in seiner Dissertation. Dabei<br />
bettet er die Fragestellungen in den<br />
theoretischen Spannungsbogen zwischen<br />
Entparlamentarisierung (Postparlamentarismus)<br />
und (Re-)Parlamentarisierung<br />
(Neoparlamentarismus) ein.<br />
Sein Forschungsdesign zeigt sich unspektakulär<br />
aber effizient. Er untersucht<br />
fünf Auslandseinsätze <strong>der</strong> Bundeswehr,<br />
unter ihnen die Engagements im Kosovo<br />
und in Afghanistan. Hohes Verdienst<br />
<strong>der</strong> Studie sind die penibel recherchierten<br />
Statistiken über Abstimmungsverhalten<br />
und Einsatz <strong>der</strong> parlamentarischen<br />
Kontrollinstrumente <strong>der</strong> Abgeordneten.<br />
Jungbauer will die tatsächliche<br />
Machttektonik des parlamentarischen<br />
Systems <strong>der</strong> Bundesrepublik durchleuchten.<br />
Die juristische Betrachtung<br />
greife da zu kurz, vielmehr komme es<br />
nicht nur auf die legislativen gestalterischen<br />
Ressourcen, son<strong>der</strong>n auch auf die<br />
Kontroll- und Kommunikationsressourcen<br />
des Bundestages an. Hierzu identifiziert<br />
Jungbauer die Bruttomachtressourcen<br />
des Parlaments, genauer: die öffentlich-kritische<br />
Kontrollfunktion, die intern-kritische<br />
Mitsteuerungsfunktion<br />
und die vermittelnde Kommunikationsfunktion.<br />
Die Bruttomachtressourcen<br />
seien in praxi durch Gegenmachtstendenzen<br />
wie Globalisierung, die Souveränitätsabgabe<br />
Deutschlands an EU,<br />
NATO und UNO sowie innerstaatliche<br />
Entwicklungen begrenzt. Per Saldo ergäbe<br />
sich die Nettomacht des Bundestages.<br />
Jungbauer kommt zu dem für ihn<br />
„äußerst besorgniserregende[n]“ Schluss,<br />
<strong>der</strong> Bundestag sei bei <strong>der</strong> Entsendung <strong>der</strong><br />
Bundeswehr nur eine „Ratifizierungsinstanz“,<br />
nicht jedoch eine „Mitentschei-<br />
dungszentrale“: „So hat sich … herauskristallisiert,<br />
dass die (neo-)parlamentarischen<br />
Bruttomachtressourcen … aufgrund<br />
<strong>der</strong> Gegenmachtstendenzen nur<br />
sehr ungenügend … in tatsächliche<br />
Nettomacht überführt werden konnten.“<br />
Keineswegs könne man von einer<br />
„Parlamentarisierung <strong>der</strong> deutschen<br />
Sicherheits- und Verteidigungspolitik“<br />
sprechen. Vielmehr sei die Entsendung<br />
bewaffneter deutscher Kräfte in einen<br />
Auslandseinsatz immer noch eine „exekutive<br />
Prärogative.“ So überfor<strong>der</strong>e die<br />
Globalisierung das Arbeitspensum <strong>der</strong><br />
Abgeordneten, in internationalen Gremien<br />
und seitens <strong>der</strong> Bundesregierung würden<br />
Vorentscheidungen getroffen, <strong>der</strong><br />
Informationsvorsprung <strong>der</strong> Bundesregierung<br />
sei immens und die Kommunikation<br />
<strong>der</strong> Abgeordneten mit den Bürgern<br />
reduziere sich auf Rechtfertigungen, warum<br />
Auslandseinsätze erfor<strong>der</strong>lich seien.<br />
Dieser Entparlamentarisierung könne<br />
aus parlamentarismustheoretischer<br />
Sicht Einhalt geboten werden, wenn<br />
nicht nur die Opposition, son<strong>der</strong>n auch<br />
die Regierungsfraktionen die Bundesregierung<br />
gewissenhafter kontrollierten.<br />
Im Gegenzug müsse die Regierung den<br />
Parlamentariern mehr Zugang zu Informationen<br />
und Planung <strong>der</strong> Einsätze gewähren,<br />
die Abgeordneten ihrerseits<br />
sollten ihr Re<strong>der</strong>echt im Parlament stärker<br />
nutzen. Jungbauer argumentiert<br />
stringent und zeigt keine theoretische<br />
o<strong>der</strong> empirische Blöße. Indes offenbaren<br />
seine Argumente die Grenzen <strong>der</strong> Erklärungskraft<br />
<strong>der</strong> Theorien, denn die vorhergehenden<br />
Empfehlungen klingen<br />
zwar intellektuell homogen und harmonisch,<br />
haben aber mit dem politischen<br />
Alltag, bei dem es um Einfluss und<br />
Macht geht, wenig zu tun. Hinzu<br />
kommt, dass die von Jungbauer richtig<br />
diagnostizierte parlamentarische Im-<br />
potenz die Apathie <strong>der</strong> Wähler zu außenpolitischen<br />
Fragen reflektiert. Jungbauer<br />
erkennt dies wohl selbst, klagt er<br />
doch an an<strong>der</strong>er Stelle, dass außenpolitisches<br />
Handeln <strong>der</strong> Abgeordneten im<br />
Kern innenpolitisch motiviert sei. Jede<br />
Abstimmung im Bundestag sei letzten<br />
Endes von <strong>der</strong> Opportunität gegenüber<br />
dem Wähler motiviert, nicht von <strong>der</strong><br />
Sinnhaftigkeit des Auslandseinsatzes.<br />
Das theoretisch schlagkräftigste parlamentarische<br />
Kontrollinstrument, <strong>der</strong><br />
Untersuchungsausschuss, sei weniger<br />
von inhaltlicher Aufklärungsabsicht<br />
getragen als von <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
zwischen Regierungsfraktionen<br />
und <strong>der</strong> Opposition. Jungbauer hätte es<br />
hier auf den Punkt bringen können:<br />
Parlamentarische Kontrollinstrumente<br />
wie <strong>der</strong> Untersuchungsausschuss sind<br />
im Ernstfall in einem parlamentarischen<br />
System zahnlos.<br />
Damit die Bezeichnung <strong>der</strong> Bundeswehr<br />
als „Parlamentsheer“ nicht zu einer<br />
Worthülse degeneriere, regt Jungbauer<br />
an, jede Fraktion solle einen Obmann<br />
für Auslandseinsätze stellen, <strong>der</strong><br />
ordentliches Mitglied des Auswärtigen<br />
Ausschusses ist. Die Obmänner sollten<br />
sich zu einem Arbeitskreis als Verbindungsglied<br />
zwischen Regierung und<br />
Parlament zusammenschließen und als<br />
Transmissionsriemen in Richtung Bundesregierung<br />
wirken. In einem nächsten<br />
Schritt solle ein Unterausschuss des<br />
Auswärtigen Ausschusses für Auslandseinsätze<br />
eingerichtet werden, <strong>der</strong> die<br />
„informelle“ Tätigkeit <strong>der</strong> Obmänner<br />
institutionalisiert. Die Vorschläge zeugen<br />
von hoher Fachkompetenz des Autors,<br />
doch angesichts <strong>der</strong> ernüchternden<br />
Darstellung des Status quo klingen sie<br />
dann doch etwas zu optimistisch.<br />
MaNfrED GrOß<br />
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