Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...
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© Virginie CASTOR/fotolia.com<br />
Biometrie<br />
Metaanalysen klinischer Studien –<br />
Stein der Weisen oder des Anstoßes?<br />
Metaanalysen können schnell missbräuchlich als pseudowissenschaftliches<br />
Instrument zur Rationalisierung angewendet werden und zu völlig irrationalen<br />
<strong>Therapie</strong>empfehlungen führen. Die Tücken dieser modernen Methode, die auch<br />
bei der LONTS-S3-Leitlinie zum Einsatz kam, erläutert Priv.-Doz. Dr. med. Michael<br />
A. Überall, Vizepräsident der DGS, Institut für Neurowissenschaften, Nürnberg,<br />
und appelliert an alle <strong>Schmerz</strong>therapeuten, diese Metaanalysen stets kritisch zu<br />
hinterfragen.<br />
1 976<br />
wurde von dem amerikanischen Psychologen<br />
Gene V. Glass in seinem Artikel<br />
„Primary, Secondary and Meta-Analysis of Research“<br />
ein neues methodologisches Prinzip<br />
zur Bewertung medizinischer Verfahren eingeführt,<br />
das sich im Rahmen der Bestrebungen<br />
zur Vereinheitlichung bzw. Normierung therapeutischer<br />
Verfahren innerhalb der evidenzbasierten<br />
Medizin (EbM) rasch weltweit etablierte<br />
und von denen, die es betrifft – die es jedoch<br />
in aller Regel nicht wirklich verstanden haben –<br />
mit erstaunlicher Naivität verherrlicht wird: die<br />
sogenannte Metaanalyse.<br />
Der Tanz um das goldene Kalb der<br />
Medizin<br />
Die Auswirkungen dieses neuen Götzen und<br />
seiner jüngsten Derivate (der sogenannten S3-<br />
Leitlinien) für die – meist erstattungsrelevante –<br />
Bewertung therapeutischer Verfahren sind fatal:<br />
Was in Metaanalysen nicht gut abschneidet,<br />
hat wenig Aussicht auf Erfolg. Was nicht<br />
die Voraussetzungen zur Berechnung einer<br />
Metaanalyse bietet, dem wird grundsätzlich<br />
eine fehlende Wirksamkeit bescheinigt. Wer<br />
erfolgreich verordnet, was in Metaanalysen<br />
nicht erfolgreich bewertet wird, dem werden<br />
Fehlverordnung und Unwirtschaftlichkeit unterstellt,<br />
dem drohen seitens der „hohen Priester<br />
der neuen EbM-Religion“ und ihrer ausführenden<br />
Organe öffentliche Diskreditierungen, Regresse<br />
und wirtschaftliche Restriktionen bis<br />
hin zum privaten finanziellen Ruin.<br />
Von Ketzern und Gläubigen<br />
Kein Wunder also, dass das Kollektiv derer, die<br />
angesichts derart harscher Methoden zwangsgläubig<br />
werden oder konvertieren, kontinuierlich<br />
ansteigt. Wer möchte schon auf dem Altar der<br />
neuen Glaubensrichtung geopfert werden, wenn<br />
es doch so einfach ist, sich zu dem neuen „EbM-<br />
Glauben“ zu bekennen? Und überhaupt: Was<br />
sollte denn an dieser neuen Glaubensrichtung<br />
falsch sein, wo sie doch so einfach ist und so<br />
Michael Überall,<br />
Nürnberg<br />
pragmatisch? Wo selbst die medizinisch Ahnungslosen<br />
auf der Grundlage von einigen<br />
wenigen Zahlen und ein paar übersichtlichen<br />
Diagrammen in die Lage versetzt werden, zwischen<br />
Gut und Böse, Richtig und Falsch zu<br />
unterscheiden.<br />
Und genau das ist der Fluch des Pragmatismus:<br />
diese verlockende Verführung, die machen,<br />
handeln und rechnen können mit sich<br />
bringt; ganz egal was das, was dabei rauskommt,<br />
bedeutet, ganz egal ob es begründet<br />
ist oder gerechtfertigt.<br />
Wie durch ein Wunder!<br />
Und plötzlich stehen dann irgendwie und irgendwann<br />
irgendwelche Zahlen im Raum, deren<br />
Herkunft nicht so ganz klar ist, die auch<br />
von niemandem mehr hinterfragt werden und<br />
die plötzlich ein ganz fatales Eigenleben entfalten.<br />
Ganz so, als ob die medizinische Versorgung<br />
unterschiedlichster Erkrankungen einem<br />
mathematischen Problem gleiche, für das es<br />
eine eindeutige Lösung geben muss, so wie es<br />
sie für mathematische Probleme eben immer<br />
gibt. Fast so, als ließen sich Krankheiten und<br />
<strong>Therapie</strong>n nach Art eines Heureka-Erlebnisses<br />
entschlüsseln, bei dem ein einzelner Zahlenwert<br />
einen erregenden Augenblick lang vor<br />
unserem geistigen Auge erscheint und alle<br />
Fragen zweifelsfrei beantwortet.<br />
42 – oder was?<br />
Ein wenig erinnert das Ganze an eine absurde<br />
Idee von Douglas Adams, der in seinem sarkastischen<br />
Science-Fiction-Roman „Per Anhalter<br />
durch die Galaxis“ unter anderem einen<br />
Computer namens Deep Thought beschreibt,<br />
der die letztgültige Antwort auf die Frage nach<br />
dem Universum errechnen soll, dafür siebeneinhalb<br />
Millionen Jahre braucht und schließlich<br />
als Antwort „42“ ausgibt, woraufhin ein<br />
noch größerer Computer gebaut werden muss,<br />
der herausfinden soll, was denn eigentlich die<br />
14 SCHMERZTHERAPIE 2/<strong>2010</strong> (26. Jg.)