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Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...

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Pathophysiologie<br />

Pathophysiologisch spielen eine Aktivierung des<br />

NMDA-Rezeptors, eine Steigerung der spinalen<br />

Dynorphinkonzentration mit Freisetzung erregender<br />

Neurotransmitter, Einflüsse absteigender<br />

aktivierender Bahnen und eine jüngst nachgewiesene<br />

synaptische Langzeitpotenzierung in<br />

C-Fasern eine Rolle. Letztere wird durch einen<br />

Anstieg der Kalziumionenkonzentration in spinalen<br />

Nervenzellen verursacht und führt schließlich<br />

zum Phänomen der „Pronozizeption“ im<br />

Sinne eines <strong>Schmerz</strong>gedächtnisses. Differenzialdiagnostisch<br />

müssen eine Exazerbation vorbestehender<br />

<strong>Schmerz</strong>en, die Entwicklung einer<br />

Opioidtoleranz oder auch Einflüsse von Komorbiditäten<br />

wie Angst und/oder Depression bedacht<br />

werden. Einen Diagnosealgorithmus, der diese<br />

Aspekte berücksichtigt, zeigt Abbildung 3.<br />

Gezielt behandeln<br />

Das therapeutische Management des opioidinduzierten<br />

Hyperalgesiesyndroms kombiniert<br />

verschiedene Ansätze. Wichtig ist die rasche<br />

Dosisreduktion des verwendeten Opioids um<br />

ca. 25% und die am <strong>Schmerz</strong>mechanismus<br />

orientierte Kombination mit Nichtopioid- und/<br />

oder Koanalgetika. Bei Bedarf kann auf ein<br />

Opioid mit niedrigerem OIH-Potenzial gewechselt<br />

werden, z.B. Fentanyl > Morphin > Methadon<br />

> Buprenorphin. Unter Berücksichtigung<br />

der geschilderten pathophysiologischen Zusammenhänge<br />

und der Tatsache, dass OIH ein<br />

Phänomen darstellt, das sich nach heutigem<br />

Kenntnisstand ganz überwiegend am µ-Opioid-<br />

Rezeptor abspielt, spielen Methadon als<br />

NMDA-Antagonist und Buprenorphin als partieller<br />

µ-Rezeptor-Antagonist eine wichtige Rolle.<br />

Die vielfältigen Behandlungsmöglichkeiten<br />

fasst Abbildung 4 zusammen.<br />

Auch unsere beiden geschilderten Fälle behandelten<br />

wir gemäß diesem Algorithmus. Bei<br />

beiden Patienten reduzierten wir die Opioiddosis<br />

deutlich: Hydromorphon von 150 auf etwas<br />

mehr als 70 mg Tagesdosis in Fall 1, Fentanyl<br />

auf 100 µg pro 72 Stunden im Fall des Patienten<br />

mit Prostatakarzinom. Beide Patienten und ihre<br />

Angehörigen wünschten, eine Behandlung in<br />

der Klinik möglichst zu vermeiden bzw. so kurz<br />

und effektiv wie möglich zu gestalten.<br />

Differenzialtherapie<br />

Im Fall des 13-jährigen Jungen boten wir die<br />

Anlage eines Epiduralkatheters an, die dieser<br />

aber ablehnte, da er nicht „noch einen weiteren<br />

Schlauch in seinem Körper stecken“ haben<br />

wollte. Im Rahmen eines eintägigen Klinikaufenthaltes<br />

führten wir unter Analgosedierung<br />

einmalig eine Zöliakusneurolyse mit 90% Alkohol<br />

durch, wohl wissend, dass diese Maßnahme<br />

bei bereits stattgehabter abdomineller Me-<br />

SCHMERZTHERAPIE 2/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

Mod. nach Junker U et al. The Pain Clinic 2007;19(3):109–111<br />

Sachverhalt prüfen<br />

Hilft das?<br />

Ja<br />

Mod. nach Junker U, Wirz S, Pain Medicine <strong>2010</strong>, eingereicht Abb. 3: Diagnostisches Prozedere bei OIH<br />

tastasierung allein nicht ausreichen würde.<br />

Daher kombinierten wir intravenöses Hydromorphon<br />

mit dem NMDA-Antagonisten Ketamin<br />

in Form von S-Ketamin wegen seiner im<br />

Vergleich zum Racemat geringeren zentralnervösen<br />

Nebenwirkungen. Die Pumpe wurde so<br />

befüllt, dass der Junge durchschnittlich 3 mg<br />

Hydromorphon und 20 mg S-Ketamin stündlich<br />

erhielt. Auf Metamizol konnte bei diesem Kon-<br />

Abb. 4: Stufenplan der <strong>Therapie</strong> bei<br />

opioidinduzierter Hyperalgesie<br />

Opioide<br />

+<br />

S-Ketamin<br />

Regionale<br />

Verfahren<br />

Parecoxib<br />

Paracetamol i.v.<br />

Metamizol, NSARs<br />

Opioidrotation<br />

Ja<br />

Echte OIH wahrscheinlich<br />

Nein<br />

Ja<br />

Echte Opioidtoleranz<br />

wahrscheinlich<br />

Pharmakotherapie<br />

Keine adäquate Analgesie trotz Opioidgabe<br />

(scheinbare Opioidtoleranz)<br />

Fortschreiten des<br />

schmerzverursachenden Prozesses?<br />

Nein<br />

Psychische Faktoren relevant?<br />

Nein<br />

Echte Opioidtoleranz oder OIH?<br />

Klinische Symptome einer OIH?<br />

Nein<br />

Ja Weitere Opioidsteigerung hilft?<br />

Nein<br />

Ja<br />

zept verzichtet werden. Die von ihm gewünschte<br />

Reise nach Dänemark und den Besuch<br />

seiner Großeltern in Schleswig-Holstein konnte<br />

die Familie noch gemeinsam erleben. Das<br />

Kind blieb bis zu seinem Tod zu Hause im Kreis<br />

seiner Angehörigen gut schmerzgelindert.<br />

Der 62-jährige Patient mit Prostatakarzinom<br />

klarte nach der Reduktion der Fentanyldosis<br />

zunehmend auf und willigte in die Anlage eines<br />

untertunnelten Periduralkatheters ein, den wir<br />

kontinuierlich mit 0,2% Ropivacain beschickten.<br />

Er lebte mit diesem Konzept bei guter<br />

<strong>Schmerz</strong>kontrolle noch drei Wochen und starb<br />

ebenfalls friedlich im häuslichen Umfeld.<br />

Fazit<br />

Die opioidinduzierte Hyperalgesie ist Realität.<br />

Die erste und wohl wichtigste diagnostische<br />

Maßnahme besteht darin, an dieses Symptom<br />

zu denken. Immer noch werden durchschnittlich<br />

mindestens fünf Tage bis zur Diagnosestellung<br />

benötigt – für den betroffenen Patienten<br />

eine quälend lange Zeit. Die beste Prophylaxe<br />

ist eine individuelle, am <strong>Schmerz</strong>mechanismus<br />

orientierte analgetische Kombinationstherapie,<br />

bei der immer die niedrigstmögliche effektive<br />

Opioiddosis angestrebt werden sollte. ■<br />

Uwe Junker, Remscheid<br />

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