Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...
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Editorial<br />
LONTS –<br />
Kommentierung<br />
dringend erforderlich<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
„Ohne Morphium möchte ich kein Arzt sein“, sagte Albert Schweitzer, und<br />
Thomas Sydenham hatte bereits im 17. Jahrhundert den Stellenwert von Opium<br />
in der Medizin für sich eindeutig definiert.<br />
D iese<br />
fast euphorische Bewertung von Opioiden hat in<br />
der jüngsten Zeit einen erheblichen Dämpfer erhalten.<br />
Unter dem Schirm der <strong>Deutsche</strong>n Gesellschaft zum Studium<br />
des <strong>Schmerz</strong>es und unter der Federführung von Prof. Hardo<br />
Sorgatz, Professor für Psychologie an der Technischen Universität<br />
Darmstadt, haben Vertreter von 14 wissenschaftlichen<br />
Fachgesellschaften die Leitlinie LONTS – Langzeitanwendung<br />
von Opioiden bei nicht tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en – am<br />
25.06. 2009 auf der Homepage der Arbeitsgemeinschaft der<br />
wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften AWMF<br />
ins Netz gestellt. Diese – anfangs wenig von der medizinischen<br />
Öffentlichkeit beachtete – S3-Leitlinie hat inzwischen<br />
zu zahlreichen Diskussionen und kontroversen Kommentaren<br />
geführt. Nur drei Zitate sollen die in der Leitlinie selbst widersprüchlich<br />
erscheinenden Äußerungen unterstreichen:<br />
„Zur Verbesserung der Lebensqualität von <strong>Schmerz</strong>patienten<br />
wird eine Behandlung mit Opioiden nicht empfohlen,<br />
da aufgrund uneinheitlicher Studienbefunde keine zuverlässige<br />
Wirksamkeit der Opioide bestätigt werden kann ...“<br />
III. Empfehlung ↑↑ (A), uneinheitliche Studienlage ↔ (D)<br />
„Opioidhaltigen Analgetika ist aufgrund ihrer geringeren<br />
organtoxischen Wirkung gegenüber anderen Analgetika<br />
bei einer medikamentösen NTSLangzeittherapie der<br />
Vorzug zu geben….“<br />
III. Empfehlung ↑↑ (A), Kein primäres Untersuchungsziel<br />
Gerhard H. H. Müller-<br />
Schwefe, Göppingen<br />
„Wie bei der Kurzzeitanwendung von Analgetika (bis ca.<br />
drei Wochen) sollte auch bei der Langzeitanwendung opioidhaltiger<br />
Analgetika überwiegend mit NonRespondern<br />
gerechnet werden …“ Offene Empfehlung ↔ (KQ 36)<br />
Bereits diese wenigen Zitate belegen, dass in diesen Leitlinien<br />
reichlich Zündstoff für Diskussionen und widersprüchliche<br />
Betrachtensweisen, aber auch für Fehlinterpretationen<br />
steckt.<br />
Metaanalysen – der Stein der Weisen?<br />
Da klinischen Studien einzeln betrachtet der Nimbus anhaftet,<br />
durch immanente Fehler wie Beschränkung der Patientenrekrutierung,<br />
zu geringe Fallzahlen und Ähnliches wenig Aussagekraft<br />
zu haben, haben Metaanalysen, in denen zahlreiche<br />
Studien zusammengefasst werden, schon allein durch die<br />
schiere Zahl der dann erfassten Patienten in der öffentlichen<br />
Wahrnehmung eine wesentlich bessere Aussagefähigkeit.<br />
Dies gewinnt besonders Bedeutung, da die meisten Leitlinien,<br />
insbesondere auf hoher Evidenz basierende wie S3-Leitlinien<br />
– wie auch die Leitlinie LONTS – auf Metaanalysen zurückzuführen<br />
sind.<br />
Wie sehr Metaanalysen selbst äußeren Einflüssen unterliegen<br />
und wie limitiert unter Umständen ihre Aussage sein<br />
kann zeigt Michael Überall in seinem Beitrag „Metaanalysen<br />
klinischer Studien – Stein der Weisen oder des Anstoßes?“<br />
(S. 14).<br />
Nur wer Studien und Metaanalysen richtig lesen kann, hat<br />
eine Chance, hieraus abgeleitete Handlungsanweisungen<br />
oder Leitlinien auch kompetent zu hinterfragen.<br />
Kommentierung erforderlich<br />
Weil die Leitlinie LONTS und die daraus abgeleiteten Handlungsempfehlungen<br />
so widersprüchlich sind und damit einer<br />
missbräuchlichen Interpretation und Anwendung Tür und Tor<br />
öffnen, ist eine Kommentierung für den Praxisgebrauch dringend<br />
erforderlich. Aus diesem Grund hat die <strong>Deutsche</strong> Gesellschaft<br />
für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> im Januar bereits zu einer<br />
Themenkonferenz der beteiligten Experten und Fachgesellschaften<br />
eingeladen. Eine Fortsetzung der Expertenrunde hat<br />
das Ziel, eine für die Praxis taugliche Kommentierung dieser<br />
Leitlinie zu erarbeiten, um ihre wichtigen und richtigen<br />
Schlussfolgerungen herauszuarbeiten, aber auch ihre missverständlichen<br />
Aussagen und die Grenzen der Aussagefähig-<br />
SCHMERZTHERAPIE 2/<strong>2010</strong> (26. Jg.)