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Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...

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Der <strong>Deutsche</strong> <strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag 010<br />

Hyperalgesie durch <strong>Schmerz</strong>mittel<br />

Werden Opioide kontinuierlich appliziert und<br />

abrupt abgesetzt, kommt es aber zu einem<br />

Anstieg der Kalziumionen in den Nervenzellen<br />

des Rückenmarks, die von den C-Fasern erregt<br />

werden. Dieser Kalziumanstieg führt wie<br />

beim <strong>Schmerz</strong>gedächtnis zu einer Langzeitpotenzierung<br />

an C-Fasern und zur verstärkten<br />

Nozizeption. Um dieses Entzugsphänomen zu<br />

vermeiden, empfiehlt Sandkühler, eine Opioidtherapie<br />

stets langsam auszuschleichen. Nach<br />

den Experimenten der Wiener Arbeitsgruppe<br />

lässt sich die opioidinduzierte Hyperalgesie<br />

auch durch die Zugabe eines NMDA-Rezeptorantagonisten<br />

verhindern. Möglicherweise verursachen<br />

auch starke Schwankungen des<br />

Opioidspiegels während der <strong>Therapie</strong> eine Hyperalgesie.<br />

„Darum ist der Einsatz retardierter<br />

Darreichungsformen, die den Wirkstoff gleichmäßig<br />

über einen längeren Zeitraum abgeben,<br />

besonders wichtig“, so Sandkühler.<br />

Neben diesem Entstehungsmechanismus<br />

wird auch die Downregulation der Opioidrezeptoren<br />

über die zentrale Sensibilisierung<br />

bis hin zur Zellapoptose von GABA-Neuronen<br />

als weiterer Mechanismus diskutiert,<br />

ergänzte Dr. Uwe Junker, Remscheid. Klinisch<br />

bedeutsam ist, dass eine opioidinduzierte<br />

Hyperalgesie keineswegs nur unter<br />

Morphin, sondern ebenso bei transdermalem<br />

Fentanyl entstehen kann. Jeder diffuse<br />

<strong>Schmerz</strong> wechselnden Charakters, der sich<br />

auf Erhöhung der Opioidddosis nicht bessert<br />

sondern verschlimmert, sollte an diese<br />

Diagnose denken lassen. Um diese Komplikation<br />

zu vermeiden, empfiehlt der Algesiologe,<br />

stets Opioide in der niedrigstmöglichen Dosis<br />

einzusetzen und je nach Situation mit Regionalverfahren,<br />

Koanalgetika und auch Ketamin<br />

zu kombinieren. Als Beispiel für eine derartige<br />

Behandlung schilderte Junker den Fall einer<br />

49-jährigen Patientin mit einem neuroektodermalen<br />

Tumor mit schwersten stechendbohrenden<br />

gemischten <strong>Schmerz</strong>en, die nozizeptiv<br />

durch den destruierenden Tumor und<br />

neuropathisch durch die Kompression nervaler<br />

Strukturen waren. Dieses komplexe <strong>Schmerz</strong>bild<br />

konnte mit der Fixkombination Oxycodon/<br />

Naloxon in einer Dosis von 40/20–20/10 mg<br />

in Kombination mit Naproxen und Pregabalin<br />

und der Bedarfsmedikation mit 5 mg unretardiertem<br />

Oxycodon beherrscht werden. Oxycodon<br />

besitzt eine hohe Affinität zu Kappa-<br />

Opioidrezeptoren, eignet sich besonders für<br />

neuropathische <strong>Schmerz</strong>en und reduziert die<br />

Dosis des Koanalgetikums wie Pregabalin, bei<br />

dem in diesem Fall nur 75 mg morgens und<br />

150 mg abends nötig waren.<br />

Ansätze aus der Stammzellforschung<br />

Neue Perspektiven für die <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

eröffnet die Stammzellforschung, die Prof. Dr.<br />

Jürgen Hescheler skizzierte. Humane Fibroblasten<br />

in Kultur können über die Übertragung<br />

von vier Genen, den sog. Pluripotenzfakto-<br />

ren, mithilfe von Lentiviren zu pluripotenten<br />

Stammzellen zurückverwandelt werden. Je<br />

nach <strong>Therapie</strong>zweck können daraus Herzmuskelzellen<br />

oder auch Neurone gezüchtet werden,<br />

die dann in den Spender zurückimplantiert<br />

werden. Pluripotente Stammzellen ermöglichen<br />

erstmals eine Forschung ohne das<br />

ethische Problem der Embryonalzellen. Die<br />

Kölner Arbeitsgruppe konnte so z.B. hochspe-<br />

Ehrenpreis des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>preises <strong>2010</strong><br />

Dr. rer. nat. Ruth Drdla, Mag. rer. nat.<br />

Matthias Gassner und Prof. Dr. med. Jürgen<br />

Sandkühler wurden auf dem <strong>Deutsche</strong>n<br />

<strong>Schmerz</strong>- und Palliativtag in Frankfurt/Main mit<br />

dem Ehrenpreis des <strong>Deutsche</strong>n <strong>Schmerz</strong>preises<br />

010 – <strong>Deutsche</strong>r Förderpreis 010 für <strong>Schmerz</strong>forschung<br />

und <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong> ausgezeichnet.<br />

Die Arbeitsgruppe um Prof. Sandkühler, dem<br />

Leiter des Zentrums für Hirnforschung an der<br />

Medizinischen Universität Wien, lieferte grundlegend<br />

neue Erkenntnisse über die durch Opioide<br />

vermittelte <strong>Schmerz</strong>überempfindlichkeit.<br />

Die Biologin und Anthropologin Dr. rer. nat. Ruth<br />

Drdla absolvierte bei Prof. Sandkühler ihre Doktorarbeit<br />

und forscht seit 2008 in Sandkühlers Labor.<br />

Der Biologe und Zoologe Mag. rer. nat. Matthias<br />

Gassner schrieb Diplom­ und Doktorarbeit am<br />

Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität<br />

Wien und forscht seit 2007 in Sandkühlers<br />

Arbeitsgruppe. Der Preis wird<br />

jährlich an Persönlichkeiten verliehen,<br />

die sich durch wissenschaftliche<br />

Arbeiten über Diagnostik<br />

und <strong>Therapie</strong> akuter und chronischer<br />

<strong>Schmerz</strong>zustände verdient<br />

gemacht oder die durch ihre Arbeit<br />

oder ihr öffentliches Wirken<br />

entscheidend zum Verständnis des<br />

Problemkreises <strong>Schmerz</strong> und der<br />

davon betroffenen Personen<br />

beigetragen haben. Der wissenschaftliche<br />

Träger des Ehrenpreises<br />

ist die <strong>Deutsche</strong> Gesellschaft für <strong><strong>Schmerz</strong>therapie</strong><br />

e.V. Gestiftet wird der mit 3.000 Euro dotierte<br />

Preis von der Firma AWD.pharma GmbH, Dresden.<br />

In der Urkunde heißt es: „Mit ihren bahnbrechenden<br />

Arbeiten über die synaptischen Wirkungen der<br />

Opioide in <strong>Schmerz</strong>bahnen hat die Arbeitsgruppe<br />

Übergabe des Ehrenpreises <strong>2010</strong><br />

an die Wiener Preisträger<br />

zifische Herzmuskelzellen produzieren. Diese<br />

Technik eröffnet damit große Hoffnungen für<br />

Patienten mit Herzinfarkt oder für Patienten<br />

mit Diabetes mellitus, bei denen die Inselzellen<br />

ersetzt werden könnten. Neurologische<br />

Erkrankungen wie die Huntington-Erkrankung,<br />

Morbus Parkinson, Multiple Sklerose ebenso<br />

wie Rückenmarksverletzungen könnten Indikationen<br />

für eine regenerative <strong>Therapie</strong> mit<br />

Stammzellen darstellen. Denkbar wäre auch,<br />

dass aus den Stammzellen Neurone gezüchtet<br />

würden, die große Mengen Endorphine<br />

produzieren und dann ähnlich einer Medikamentenpumpe<br />

gezielt in das Hinterhorn des<br />

Rückenmarks injiziert würden, um dort über<br />

die Endorphine <strong>Schmerz</strong>en zu reduzieren.<br />

Erste Experimente bei ischämischen Hirnläsionen<br />

haben bereits gezeigt, dass Nervenzellen<br />

in den Neuronenverbund durch synaptische<br />

Verbindungen integriert werden und<br />

dort spezifische Reparaturprozesse einleiten<br />

können. Auch wenn diese Möglichkeiten derzeit<br />

noch reines Forschungsgebiet sind, erwartet<br />

Hescheler von dieser regenerativen<br />

Technik einen wertvollen Beitrag, um die Lebensqualität<br />

lange erhalten zu können.<br />

S3­Leitlinie ein Flop?<br />

Ein Risiko für die medikamentöse <strong>Therapie</strong> von<br />

chronisch <strong>Schmerz</strong>kranken stellt die neue S3-<br />

Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden<br />

(LONTS) bei nicht tumorbedingten <strong>Schmerz</strong>en<br />

dar, warnte Priv.-Doz. Dr. med. Michael Überall,<br />

Nürnberg. Massive methodische Schwächen<br />

bei der Analyse wissenschaftlicher Studien<br />

und ein Mangel an Langzeitstudien haben hier<br />

zu falschen Schlussfolgerungen geführt. Evi-<br />

das Verständnis über die opioidinduzierte Hyperalgesie<br />

grundlegend revolutioniert. Dies hat weitreichende<br />

Konsequenzen für die praktische <strong>Therapie</strong><br />

mit Opioiden und das Verständnis für die Entwicklung<br />

von Hyperalgesie bei Patienten unter Opioidtherapie.<br />

Gleichzeitig eröffnet es Perspektiven<br />

für eine bessere <strong>Therapie</strong>.“<br />

© Photo Grysa<br />

SCHMERZTHERAPIE 2/<strong>2010</strong> (26. Jg.)

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