22.05.2013 Aufrufe

Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...

Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...

Schmerztherapie 2 / 2010 - Schmerz Therapie Deutsche ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Pharmakotherapie<br />

Opioidinduzierte Hyperalgesie:<br />

keine Rarität und therapiebedürftig<br />

Lange Zeit galt das Phänomen „opioidinduzierte Hyperalgesie“ (OIH) als etwas Exotisches und wurde<br />

nahezu ausschließlich mit aktiven Metaboliten des Morphins in Verbindung gebracht. Anhand zweier<br />

Kasuistiken illustriert Dr. med. Uwe Junker, Remscheid, dass es sich um einen ernst zu nehmenden und<br />

unbedingt therapiebedürftigen Symptomenkomplex handelt, der nicht nur unter <strong>Therapie</strong> mit Morphin<br />

auftreten kann und von der Opioidtoleranz abgegrenzt werden muss.<br />

Fallbeispiel 1<br />

Der Hausarzt bittet uns um Unterstützung bei<br />

der Betreuung eines 13-jährigen Jungen, der<br />

an einem weit fortgeschrittenen Pankreaskarzinom<br />

erkrankt ist. Unter neoadjuvanter Chemotherapie<br />

ist der Primärtumor zwar deutlich<br />

kleiner geworden, doch leider ist eine diffuse<br />

Metastasierung in Lunge und Leber aufgetreten.<br />

Auf weitere palliative Chemotherapie wird<br />

im Einvernehmen mit Kind und Eltern verzichtet,<br />

der Junge soll sein letztes Weihnachtsfest<br />

im Kreise der Familie verleben. Er selbst hat<br />

außerdem den dringenden Wunsch, noch einmal<br />

mit seinen Eltern und seiner jüngeren<br />

Schwester an die dänische Küste zu reisen, wo<br />

die Familie meist ihre Ferien verbrachte.<br />

Der Junge ist mit einer intravenösen Analgesie<br />

in Form einer <strong>Schmerz</strong>pumpe mit einer<br />

Tagesdosis von 5 g Metamizol und zuletzt 150<br />

mg Hydromorphon versorgt. Das Konzept mit<br />

einem Nichtopioid, das bei viszeralen <strong>Schmerz</strong>en<br />

nicht zuletzt wegen seiner spasmolytischen<br />

Komponente effektiv ist, und einem Opioid,<br />

das sich durch seine im Vergleich zu Morphin<br />

etwa achtfach höhere analgetische Potenz bei<br />

gleichzeitig sehr geringem Interaktionsrisiko<br />

auszeichnet, ist gut durchdacht. Die Pumpe<br />

verfügt über eine PCA-Funktion zur Kupierung<br />

von Durchbruchschmerzen. In den letzten Tagen<br />

seien die <strong>Schmerz</strong>en fast dauerhaft viel<br />

intensiver geworden. Das Kind ist über seine<br />

begrenzte Lebenserwartung vollends im Bilde,<br />

akute Ängste scheiden daher als alleinige<br />

Ursache der starken <strong>Schmerz</strong>en aus. Beim<br />

gemeinsamen Hausbesuch mit dem Hausarzt<br />

empfängt uns das deutlich sediert wirkende<br />

und gangunsichere Kind mit den Worten: „Ihr<br />

müsst mir den Bolus höher stellen, ich habe<br />

überall <strong>Schmerz</strong>en.“ Den Versuch, einen Arm<br />

um seine Schultern zu legen, wehrt der Junge<br />

mit den Worten ab: „Bitte nicht anfassen, tut<br />

zu weh.“<br />

Bei der Durchsicht des vom Vater sorgfältig<br />

geführten <strong>Schmerz</strong>tagebuches fällt auf, dass<br />

<strong>Schmerz</strong>zunahme und vermehrte Müdigkeit in<br />

© Bildarchiv Junker<br />

Abb. 1 Kernspintomografie des Patienten<br />

mit Metastasen an der BWS (Fallbeispiel 2).<br />

zeitlichem Zusammenhang mit der Erhöhung<br />

der Hydromorphon-Tagesdosis auf 150 mg<br />

stehen.<br />

Fallbeispiel 2<br />

Ein 62-jähriger Mann, der unter einem fortgeschrittenen<br />

Prostatakarzinom mit intensiver<br />

Metastasierung in seine Wirbelsäule leidet,<br />

wird aus einer onkologischen Praxis auf unsere<br />

Palliativstation eingewiesen. Der Patient<br />

klagt trotz einer hoch dosierten <strong>Therapie</strong> mit<br />

300 µg transdermalem Fentanyl über stärkste<br />

<strong>Schmerz</strong>en; man käme einfach nicht mehr weiter.<br />

Außerdem erhält er noch 4 x 30 Tropfen<br />

Metamizol am Tag.<br />

Bei der stationären Aufnahme sehen wir einen<br />

stark somnolenten Patienten, der dennoch<br />

bei jeder Berührung stärkste <strong>Schmerz</strong>en angibt<br />

und nicht lagerungsfähig ist. Eine aktuelle<br />

Kernspintomografie der Wirbelsäule (Abb. 1)<br />

zeigt sowohl osteoblastische als auch osteoklastische<br />

Metastasen.<br />

Im Vergleich zum ersten Fall wurde hier ein<br />

undifferenziertes, wenig am <strong>Schmerz</strong>mechanismus<br />

orientiertes <strong>Therapie</strong>konzept gewählt: Nicht<br />

jeder <strong>Schmerz</strong> ist vollständig opioidsensitiv, die<br />

<strong>Schmerz</strong>…<br />

Uwe Junker,<br />

Remscheid<br />

…„immer da“<br />

…„anders als vorher“<br />

…„überall, am ganzen Körper“<br />

…„macht mich verrückt“<br />

Abb. 2 Patientensicht.<br />

befallenen Wirbelkörper können nozizeptive und<br />

neuropathische <strong>Schmerz</strong>en verursachen. Metamizol<br />

wirkt bei Knochenschmerzen nicht so gut<br />

wie tNSAR oder Coxibe. Retrospektiv betrachtet<br />

wäre bei diesem Patienten sicher ein <strong>Therapie</strong>regime<br />

effektiver gewesen, welches ein Opioid<br />

sowohl mit einer antinozizeptiv als auch mit<br />

einer antineuropathisch wirksamen Substanz<br />

kombiniert hätte, z.B. Fentanyl in niedrigerer<br />

Dosierung mit Celecoxib und Pregabalin.<br />

Diskussion<br />

Mögen beide Kasuistiken auf den ersten Blick<br />

auch völlig unterschiedlich anmuten, so zeigen<br />

sie doch im Kontext „opioidinduzierte Hyperalgesie“<br />

wichtige Gemeinsamkeiten:<br />

■ Zunahme der <strong>Schmerz</strong>en ohne aktuellen<br />

Krankheitsprogress<br />

■ Wechsel von lokalisierbarem zu diffusem<br />

Ganzkörperschmerz<br />

■ <strong>Schmerz</strong>charakter weniger eindeutig<br />

■ Erhöhung der Opioiddosis ohne Effekt.<br />

Bei diesen Symptomen, die Patienten mit ihren<br />

eigenen Worten oft recht gut beschreiben (Abb.<br />

2), sollte die mögliche Diagnose Opioid-Hyperalgesie<br />

bedacht werden.<br />

26 SCHMERZTHERAPIE 2/<strong>2010</strong> (26. Jg.)<br />

© Ivan Isak/Fotolia.com

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!