Kunstverein und Kunsthalle - kunsthalle fridericianum kassel
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12. APRIL - 14. MAI 2006 KUNSTHALLE FRIDERICIANUM SEITE 23<br />
eignen zu wollen. Der Zufall fi ndet in der Kunst<br />
des Jalal Toufi c nicht statt. Der Zufall gehört in<br />
Beirut zum Alltag. Zu zufällig gef<strong>und</strong>enen Relikten<br />
des Bürgerkrieges, zu zufällig sich entladender<br />
heftiger psychischer Ausbrüche scheinbarer<br />
ausgeglichener Menschen, zu zufällig unter<br />
der Erde oder unter Schuttbergen gef<strong>und</strong>ener<br />
menschlicher Überreste. „Werden wir in den Szenen<br />
von Danielle Arbids Alone with War aus dem<br />
Jahr 2000, in denen sie die palästinensischen<br />
Flüchtlingslager Sabra <strong>und</strong> Shatila <strong>und</strong> die christliche<br />
Stadt Ad-Damur besuchte, die Schauplätze<br />
von Massakern 1982 resp. 1976, <strong>und</strong> spielende<br />
palästinensische Kinder fragt, ob sie beim Buddeln<br />
auf ihrem behelfsmäßigen Spielplatz irgend<br />
etwas Interessantes gef<strong>und</strong>en haben, zu Zeugen<br />
einer Archäologie der Bilder?“ ¹ Toufi cs konzep-<br />
tuelles Vorgehen zwischen Fantasie <strong>und</strong> Vorstellung<br />
des Realen ist subjektiv, voller Irritation <strong>und</strong><br />
geballtem Wissen. Aber, aller Schein trügt. Zwischen<br />
Wirklichkeit <strong>und</strong> Fiktion in sensiblem Ungleichgewicht<br />
fährt er mit dem Betrachter Schlitten,<br />
verunsichert ihn da, wo er vollends von der<br />
Richtigkeit seines Sehens überzeugt ist <strong>und</strong><br />
täuscht ihn dort, wo er sich in Sicherheit wiegt, in<br />
Besitz des geraden, ja „rechten“ Blicks zu sein.<br />
Jalal Toufi c, 1962 in Saida, im Süden des Libanon<br />
geboren, decodiert seine <strong>und</strong> unsere Vorstellungen<br />
des Orients <strong>und</strong> bringt seine subjektive<br />
Sicht der Dinge mit ein. Nicht von ungefähr widmet<br />
er Gilles Deleuze <strong>und</strong> Felix Guattari seine<br />
Serie Minor Art: Conceptual Film and Video Posters,<br />
die zwischen 2000 <strong>und</strong> 2005 entstanden<br />
sind. Raffi nierte Schnitte <strong>und</strong> Gegenschnitte<br />
Jalal Toufi c, Âshûrâ: This Blood Spilled in My Veins,<br />
2002, Still<br />
nützt Jalal Toufi c, um die Irritation zu einem<br />
schönen Zusammenspiel werden zu lassen. Die<br />
Täuschung funktioniert. Wir sehen, was wir sehen<br />
wollen.<br />
Gilles Deleuze defi niert die Frage nach dem Bild<br />
hinter dem Bild als eine der Kriegs- <strong>und</strong> Vorkriegszeit<br />
immanente. „Dieses erste Zeitalter<br />
lässt sich zunächst durch die Kunst der Montage<br />
defi nieren (...) durch eine unterstellte Tiefe des<br />
Bildes. (...), in dem es ‚hinter’ dem Bild nichts<br />
mehr zu sehen gab als die Bilder der KZ-Lager.<br />
(...) Nach dem Krieg ergaben sich neue Fragen. Es<br />
war nicht mehr wichtig zu wissen, was sich ‚hinter’<br />
dem Bild verbarg, sondern was mein Blick<br />
auszuhalten in der Lage sei, von dem, was ich ohnehin<br />
sehe, <strong>und</strong> was sich auf einer einzigen Ebene<br />
abspielt? (...) Die Tiefe wurde als ‚Täuschung’ gebrandmarkt,<br />
das Bild schien seine Flächigkeit<br />
akzeptiert zu haben, seine ‚Oberfl äche ohne Tie-<br />
Links: Jalal Toufi c, A Special Effect Termed “Time”;<br />
or, Filming Death at Work, 2005, Installationsansicht,<br />
<strong>Kunsthalle</strong> Fridericianum, 2006<br />
Fotos: Nils Klinger