Nachhaltiges Europa Abschlusspublikation - Global Marshall Plan
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Strategien der EU<br />
Christian Hey, Generalsekretär des Sachverständigenrates für Umweltfragen 5<br />
Die EU verliert sich seit Ende der 90er Jahre in einem<br />
Gestrüpp schönklingender Strategien. Gegenstand<br />
dieser Strategien sind Themen wie<br />
Nachhaltigkeit, Wettbewerbsfähigkeit, Umweltpoli-<br />
tikintegration, ausgewiesene Umweltprobleme,<br />
neue umweltpolitische Steuerungsansätze und<br />
Prioritäten. Zwischen den Strategien findet gerade<br />
ein wilder Kampf um die Hegemonie statt. Eine<br />
logische Architektur der vielfältigsten Strategien<br />
ist nicht erkennbar. Angesichts dessen stellt sich<br />
die grundsätzliche Frage, was eine „ Strategie“ auf<br />
der europäischen Ebene überhaupt ist.<br />
Strategien sind Teil eines neuen Steuerungs-<br />
ansatzes der Europäischen Kommission. In Ergänzung<br />
und auch anstelle von Integration durch<br />
Recht versucht sich die Europäische Kommission<br />
als Manager überkomplexer Strategiekonzepte und<br />
ambitionierter Projekte der Bildung von Akteursnetzwerken.<br />
Hierzu gehören neben den 7 thematischen<br />
Strategien in Folge des 6. Umwelt-<br />
aktionsprogrammes auch andere Strategie-<br />
prozesse, wie die Integrierte Produktpolitik, das<br />
Umwelttechnologieaktionsprogramm, das Europäi-<br />
sche Klimaschutzprogramm oder die übergeordneten<br />
Strategien, wie die Lissabon-, die Göteborgstrategie<br />
und der Cardiffprozess. Ob dies eine<br />
neue Qualität der Umweltpolitik oder einfach<br />
Handlungsersatz darstellt, ist noch nicht entschieden.<br />
Vom bisherigen Erfolgsmodell der europäischen<br />
Umweltpolitik soll zumindest weniger Ge-<br />
brauch gemacht werden .<br />
Strategien haben eine ganz besondere Funktion in<br />
der europäischen Umweltpolitik. Man sollte sich<br />
dabei von der Vorstellung einer „Strategie“ in der<br />
Clausewitz´schen Tradition als planmäßiges Handeln<br />
zur Umsetzung von Zielen unter Berücksichti-<br />
gung der gegebenen Handlungsbedingungen verabschieden.<br />
Im Mittelpunkt des Strategieverständnisses<br />
der Europäischen Kommission steht nicht<br />
ein top-down Prozess einer rationalen Ziel-<br />
Mittelfindung und einer Prioritätensetzung. Im<br />
Mittelpunkt stehen eher andere Funktionen im<br />
Sinne eines Prozessmanagements, das neue Hand-<br />
lungschancen identifiziert.<br />
Hierzu gehören:<br />
5 Die hier entwickelte Einschätzung ist eine persönliche Einschätzung des Autors. Sie spiegelt in keinster Weise einen offiziellen Meinungs- und Diskussionsstand des SRU.<br />
<strong>Nachhaltiges</strong> <strong>Europa</strong><br />
• die permanente Neufiguration politischer<br />
Konstellationen<br />
• die (Ex-Post)Legitimation konkreter Vorhaben<br />
• die Kommunikation durch Bündelung einzelner<br />
Vorhaben<br />
• die Pflege aktuell nicht durchsetzbarer, aber<br />
langfristig gewünschter Themen.<br />
Diese Funktionen lassen sich anhand der Strategiepapiere<br />
an einigen Beispielen gut illustrieren.<br />
a) Neufiguration der Debatte<br />
In der Auseinandersetzung zwischen der Nachhaltigkeitsstrategie<br />
(Göteborg) und der Lissabon-<br />
Strategie geht es im Kern um die Prioritäten-<br />
setzung der politischen Agenda. Gerade die Lissabon-Strategie<br />
ist strategisch genutzt worden, um<br />
die Umweltdiskussion in die Defensive zu rücken.<br />
Neue Verfahrenshürden wie das Impact Assessment<br />
wurden aufgebaut oder der Stellenwert der<br />
Umweltpolitiker im umweltpolitischen Entschei-<br />
dungsprozess wurde zurückgedrängt (Bsp.<br />
REACh). Dies hat wenig mit einer fachlichen Auseinandersetzung<br />
um den Zusammenhang zwischen<br />
Wettbewerbsfähigkeit und Umweltschutz zu tun -<br />
hier gibt es einen wissenschaftlichen Mainstream,<br />
der vielfältige Synergien identifiziert – mehr aber<br />
um die Konfiguration einer Debatte, mit anderen<br />
Worten darum, dass sich um die neuen Leitideen<br />
neue Akteurskoalitionen bilden, alte Fronten durch<br />
neue Konstellationen abgelöst werden, ein Moment<br />
von Wachheit, Offenheit und Unberechenbarkeit in<br />
den Prozess hereinkommt – letztlich um die ideologische<br />
Lufthoheit in der Debatte, um den Be-<br />
zugspunkt auf den sich alle Akteure beziehen<br />
müssen.<br />
Auch bei der Entwicklung der Abfallpolitik kann<br />
man eine solche Funktion von Strategien beobachten:<br />
Mit der Verabschiedung der Altauto–,<br />
Elektroschrott- und novellierten Verpackungsrichtlinien<br />
wurde politisch das Ende einer Politik der<br />
Abfallstromsteuerung durch Vorgaben von Zielen<br />
der hochwertigen Verwertung eingeläutet. Der<br />
Strategieentwicklungsprozess ist damit gleichzeitig<br />
auch ein Reflektionsprozess über die Neuausrichtung<br />
der Abfallpolitik insgesamt. Die Ressourcen-<br />
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