Nachhaltiges Europa Abschlusspublikation - Global Marshall Plan
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<strong>Nachhaltiges</strong> <strong>Europa</strong><br />
62<br />
Dieses Anreizproblem ließe sich lösen, indem die<br />
Steuerverwaltung dem Bund unterstellt wird. Doch<br />
die großen Bundesländer beharren auf ihrer Zuständigkeit<br />
für die Steuerverwaltung, obwohl sie<br />
sich gegenseitig seit Jahren selbst schaden und die<br />
Haushaltslöcher immer größer werden. Die kleinen<br />
Bundesländer äußern zwar insgeheim Sympathie<br />
für eine Bundessteuerverwaltung, haben sich aber<br />
von den großen Ländern ins Boot nehmen lassen<br />
und unterstützen nun die angeblich länderfreundliche<br />
Position der großen Länder.<br />
Transparenz und Kontrolle<br />
Voraussetzung für rationale Entscheidungen über<br />
Finanzen ist die Transparenz der Finanzstrukturen<br />
und die mögliche Kontrolle durch Bürger und Öf-<br />
fentlichkeit. Diese Voraussetzungen sind gerade in<br />
der Europäischen Union nicht gegeben. Die Union<br />
finanziert sich über das sogenannte Eigenmittel-<br />
system. Darin ist festgelegt, wie viel die einzelnen<br />
Mitgliedstaaten zugunsten des EU-Haushalts nach<br />
Brüssel abführen müssen. Dieses System ist selbst<br />
für Experten schwer durchschaubar. Das liegt u.a.<br />
auch am Beitragsrabatt für Großbritannien, der<br />
aufgrund des Widerstands der Briten nicht abgeschafft<br />
werden kann, obwohl die Voraussetzungen,<br />
die zu seiner Einführung geführt haben, nicht<br />
mehr gegeben sind. Des Weiteren wird in der Regel<br />
über die „Nettozahlung“ eines Landes disku-<br />
tiert. Dies ist extrem verwirrend: Denn die Saldierung<br />
von allgemeiner Steuerzahlung von Bürgern<br />
und Unternehmen einerseits und spezifischen Sub-<br />
ventionen, z.B. für die Landwirtschaft andererseits<br />
gibt wenig Sinn. Für die meisten Bürger ist die<br />
Bruttozahlung relevant, weil sie aus dem EU-Topf<br />
nichts zurückerhalten. Nur für bestimmte Regio-<br />
nen, die Regionalförderung erhalten (wie die ostdeutschen<br />
Bundesländer), gäbe eine Saldierung<br />
Sinn. Die Folge dieser intransparenten Finanzie-<br />
rung ist, dass<br />
• die Bürger die Kosten der europäischen Politik<br />
massiv überschätzen,<br />
• durchsetzungsstarke Interessengruppen wie<br />
die Landwirte ein Großteil der europäischen<br />
Ressourcen in ihre Taschen lenken können und<br />
dabei in der Öffentlichkeit sogar noch als Verlierer<br />
der europäischen Integration gelten und<br />
• die Finanzminister in Brüssel eine Art schwarze<br />
Kasse haben, weil sie zunächst viel nach Brüssel<br />
überweisen, am Jahresende jedoch in der Regel<br />
aufgrund nicht abgeschöpfter EU-Mittel einen Teil<br />
des Geldes wieder zurückbekommen.<br />
Abhilfe schaffen könnten europäische Steuern oder<br />
national erhobene Zwecksteuern für die Finanzierung<br />
des EU-Beitrags, die die Höhe dieses Beitrags<br />
für die Bürger offenlegen.16 Innerhalb Deutsch-<br />
lands ist die Finanzierung des Fernstraßenbaus,<br />
aber auch die Zusammenarbeit der verschiedenen<br />
staatlichen Ebenen im Rahmen des Gemeindever-<br />
kehrsfinanzierungsgesetzes ein Beispiel von<br />
Intransparenz und mangelnder öffentlicher Kontrolle.<br />
Ein wichtiger Schritt in Richtung Transpa-<br />
renz könnte deshalb durch die Föderalismusreform<br />
erreicht werden. Die Informationsfreiheitsgesetze<br />
der Länder, die Bürgern und damit natürlich auch<br />
Medienvertretern Einblick in staatliche Unterlagen<br />
gewähren, sollten außerdem unbedingt durch ein<br />
Informationsfreiheitsgesetz des Bundes ergänzt<br />
werden, das einige Ministerien bisher verhindert<br />
haben.<br />
Ökologische Finanzreform<br />
Noch immer finanziert der Staat die Umweltzerstörung<br />
mit und erleichtert umweltschädliches Verhal-<br />
ten durch Steuervorteile. Dies verstößt gleich doppelt<br />
gegen Kriterien einer nachhaltigen Finanzpolitik.<br />
Zum einen werden staatliche Ressourcen verschwendet,<br />
die für wichtige Zukunftsinvestitionen<br />
fehlen. Zum anderen wird die Umweltzerstörung<br />
vorangetrieben und somit die Lebensgrundlagen<br />
künftiger Generationen gefährdet. Das gilt zum<br />
Beispiel für die Privilegierung von Kerosin bei der<br />
Mineralölbesteuerung, für die Entfernungspauschale<br />
und die Eigenheimzulage. Zu nennen sind aber<br />
auch hier wieder – zumindest zu großen Teilen –<br />
die Agrarsubventionen der Europäischen Union<br />
und die Kofinanzierungsmittel von Bund und Län-<br />
dern, mit denen nichtnachhaltige Produktionsweisen<br />
in der Landwirtschaft unterstützt werden. Solange<br />
solche Ausgaben noch getätigt werden,<br />
bleibt die Aussage, dass wir uns Zukunftsinvestiti-<br />
onen nicht mehr leisten können, zynisch: Natürlich<br />
könnten wir uns in Deutschland, in <strong>Europa</strong> viel<br />
mehr Zukunft leisten, wenn wir nicht fern der<br />
Sachrationalitäten Steuererleichterungen und Ausgaben<br />
beschließen würden. Sinnvolle Indikatoren<br />
und Sanktionsmechanismen, die die Finanzpolitik<br />
auf den Weg der Nachhaltigkeit leiten, eine geeignete<br />
Rahmenordnung für den Steuerwettbewerb in<br />
Deutschland und <strong>Europa</strong>, die dazu führt, dass sich<br />
gute Politik wieder lohnt, die Verbesserung von<br />
Transparenz und Kontrolle und die Abschaffung<br />
widersinniger Subventionen auf der Einnahmen-<br />
und Ausgabenseite des Haushalts würden dazu<br />
führen, dass die öffentliche Hand wieder in der Lage<br />
ist, Zukunftsinvestitionen zu tätigen. Was Not<br />
tut ist, die Voraussetzungen in der deutschen und<br />
der europäischen Verfassung dafür zu schaffen,<br />
dass dieser Weg tatsächlich beschritten werden<br />
kann.<br />
16 Vgl. dazu Märkt, Jörg / Schick, Gerhard: Braucht die EU eine eigene Steuer? Deutsche Steuer-Zeitung, 1-2. 27-<br />
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