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Nachhaltiges Europa Abschlusspublikation - Global Marshall Plan

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Zukunftsinvestitionen ermöglichen<br />

Gerhard Schick, Projektmanager, Bertelsmann Stiftung<br />

Um die Frage, die über dieser Veranstaltung steht,<br />

gleich vorweg zu beantworten: Ja, wir können uns<br />

in Zukunft noch Zukunft leisten, wenn wir die<br />

wichtigsten Fehler in der Finanzpolitik überwinden.<br />

Diese führen derzeit dazu, dass wir es uns<br />

„leisten“, wichtige Zukunftsinvestitionen zu unterlassen<br />

und gleichzeitig neue Schulden anzuhäufen.<br />

So nimmt die Fähigkeit, die Schulden zu tragen<br />

ab, während gleichzeitig die Schulden ansteigen.<br />

Im folgenden will ich an vier Punkten deutlich<br />

machen, wo die gravierendsten Fehler liegen, die<br />

zu diesem nicht nachhaltigen Zustand führen.<br />

Nachhaltige Finanzpolitik<br />

Die wissenschaftliche Auseinandersetzung dar-<br />

über, welche Indikatoren zur Abbildung von Nachhaltigkeit<br />

geeignet sind, hat zwar keinen optimalen<br />

Nachhaltigkeitsindikator hervorgebracht. Eindeutiges<br />

Ergebnis ist jedoch, dass sich das in der<br />

finanzpolitischen Praxis und in der öffentlichen<br />

Diskussion herangezogene jährliche Budget-Defizit<br />

besonders schlecht eignet, um die Tragfähigkeit<br />

eines finanzpolitischen Pfades einzuschätzen.<br />

Trotzdem greift auch der Stabilitäts- und Wachs-<br />

tumspakt mit seiner 3%-Regel auf dieses Kriterium<br />

zurück.<br />

Eine Reform dieses Paktes müsste drei Aspekte<br />

umfassen:<br />

• eine stärkere Orientierung an geeigneten<br />

quantitativen Indikatoren (z.B. Primärsaldo),<br />

• eine verbesserte Durchsetzung der reformier-<br />

ten Regeln, indem die Kommission in diesem Prozess<br />

gegenüber dem Rat, also gegenüber den Mit-<br />

gliedstaaten gestärkt wird,<br />

• eine stärkere Berücksichtigung der Qualität<br />

der öffentlichen Haushalte, also der Haushaltsstruktur.<br />

Derzeit ist der Anteil zukunftsgerichteter<br />

Ausgaben viel zu gering.<br />

Darüber hinaus müsste der Stabilitätspakt in die<br />

innerdeutsche Finanzverfassung übertragen<br />

werden, damit die Verantwortlichkeiten zwischen<br />

Bund und Ländern klar aufgeteilt sind.<br />

Gute Politik muss sich lohnen<br />

Derzeit führt eine Schieflage im Steuerwettbewerb<br />

zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union dazu, dass sich gute Politik fiskalisch nicht<br />

lohnt. Denn die Steuereinnahmen, die durch gute<br />

Politik zusätzlich fließen, weil mehr wirtschaftliche<br />

Aktivität entsteht und die Rendite privater Investitionen<br />

aufgrund öffentlicher Vorleistungen steigt,<br />

<strong>Nachhaltiges</strong> <strong>Europa</strong><br />

fallen nicht in den Gebietskörperschaften an, in<br />

denen Bürger und Unternehmen öffentliche Leis-<br />

tungen nutzen. Gleiches gilt für den Standortwettbewerb<br />

zwischen den deutschen Bundesländern.<br />

Auf europäischer Ebene gelingt es kleinen Län-<br />

dern, durch besonders günstige Ausnahmeregelungen<br />

für ausländische Investoren, steuerliche<br />

Bemessungsgrundlagen aus den großen Mitglied-<br />

staaten anzulocken. Denn während sich die Wertschöpfung<br />

an den realen Standortbedingungen<br />

orientiert, wird die steuerliche Bemessungsgrund-<br />

lage dorthin verlagert, wo sich – häufig unter Ausnutzung<br />

komplizierter Konzernstrukturen und<br />

mehrerer Doppelbesteuerungsabkommen – opti-<br />

male steuerliche Bedingungen realisieren lassen.<br />

Deshalb können sich viele Staaten eine gute<br />

Standortpolitik, die an der Produktion von Gütern<br />

und Dienstleistungen orientiert ist, nicht mehr<br />

leisten. Darüber hinaus gibt es einen Wettbewerb<br />

um Steuerhinterziehungskapital, den solche Staaten<br />

gewinnen, die Betrügern aus Nachbarstaaten<br />

Schutz bieten. Diese Betrüger beziehen dann an<br />

ihren Wohnorten öffentliche Leistungen, verlagern<br />

aber die Steuerzahlung ins Ausland. Auch diesbe-<br />

züglich zahlt sich gute Standortpolitik also nicht<br />

aus. Diese beiden Probleme der europäischen Finanzordnung<br />

ließen sich lösen: das erste durch ei-<br />

ne einheitliche konsolidierte Bemessungsgrundlage<br />

für die Unternehmensbesteuerung im europäischen<br />

Binnenmarkt, das zweite durch automatische<br />

Kontrollmitteilungen über Kapitalerträge an<br />

die heimischen Finanzämter. Die kleinen europäischen<br />

Mitgliedstaaten, die von der derzeitigen<br />

Lage profitieren, verhindern jedoch eine solche<br />

Lösung.<br />

Innerhalb Deutschlands bewirkt die Finanzverfas-<br />

sung Ähnliches: Die Erträge, die eine Universität<br />

erwirtschaftet, bringen dem Bundesland, das diese<br />

Universität betreibt und den Studenten BaföG<br />

zahlt, in vielen Fällen nichts. Das gilt gerade für<br />

die ostdeutschen Bundesländer, deren Studenten<br />

mangels Jobs nach dem Diplom in andere Bundesländer<br />

ziehen und dort Steuern zahlen. Umgekehrt<br />

lohnt es sich, an der Finanzverwaltung zu sparen.<br />

Denn von dem Geld, das Steuerprüfer zusätzlich<br />

einnehmen, bleibt praktisch nichts im Haushalt des<br />

Landes, das den Steuerprüfer bezahlen muss. Über<br />

den Länderfinanzausgleich fließt das Geld an<br />

den Bund und an die anderen Bundesländer. Gute<br />

Politik im Sinne einer wirksamen Durchsetzung des<br />

geltenden Rechts lohnt sich also auch hier nicht.<br />

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