Onlinepublikation - Fachbereich 12 - Universität Bremen
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Beobachtungen der Relevanz dieses Distinktionsmerkmals beruht, sondern insbesondere als Folge<br />
der Zuweisung von Aufgaben für Kinder und Eltern mit Migrationshintergrund durch die<br />
Praktikumsschule an sie entwickelt wird. Aysel erhält die Aufgabe, eigenverantwortlich eine Klasse<br />
mit einem hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund zu unterrichten,<br />
Gespräche mit türkischsprachigen Eltern zu führen und deutsch-türkische Ü bersetzungen von<br />
Elternbriefen zu erstellen. Ihr werden diese Aufgaben ohne jegliche einführende und erprobende<br />
Professionalisierungselemente übertragen. Sie selbst reagiert mit einem hohen Maß an<br />
selbstständiger Verantwortungsübernahme. Aysels migrationsspezifischer, affektiv-motivationaler<br />
Zugang zum Lehrberuf erschweren, sich gegenüber diesen kritisch zu verhalten oder sie gar<br />
abzulehnen. Stattdessen fühlt sich Aysel geschmeichelt, denn es wird ihr signalisiert, dass ihre<br />
lebensgeschichtlich erworbene mehrsprachige sowie kulturspezifischen Kompetenzen im Umgang<br />
mit migrationsbedingter Heterogenität als berufsspezifische Kompetenzen in der Schule anerkannt<br />
werden. Sie erlebt, dass ihre spezifischen Kompetenzen für die (vorgeblich professionelle)<br />
Bewältigung des Schulalltags von Nutzen sind. Aus einer Professionalisierungsperspektive muss<br />
eingewandt werden, dass sie durch die Ausbildungskoordinatoren keine diese Aufgaben professionell<br />
reflektierende Unterstützung erhält. Sie wird als Ressource im Umgang mit migrationsbedingter<br />
Heterogenität genutzt, ihre sozialisatorisch erworbenen Sprach- und Kulturkenntnisse erfahren aber<br />
keine professionelle Transformation, die es ihr ermöglichen würde, professionelle Distanz etwa in<br />
Konfliktsituationen zu entwickeln.<br />
Die Analysen des Interviews mit der Lehramtsstudentin Daniela, einer Angehörigen der<br />
Mehrheitsgesellschaft, offenbaren eine abwehrende Haltung gegenüber migrationsbedingt-religiöser<br />
Heterogenität in der Schule. Dabei stellt die religiöse Heterogenität für Daniela keine<br />
Selbstverständlichkeit sondern eine problematische Konstellation für sie dar,<br />
wenn etwa muslimische Schülerinnen und Schüler am „Zuckerfest“ von der Teilnahme am<br />
Schulunterricht befreit werden. Aus Danielas Sicht erfahren damit Schülerinnen und Schüler<br />
muslimischen Glaubens eine „Extrabehandlung“, die sie nicht vertreten kann, denn auf Seiten der<br />
„deutschen Schüler“ entzündet sich damit ein Unverständnis für religiöse Andersartigkeit, die ihr<br />
Unbehagen gegenüber ihrer Benachteiligung äußern, da sie verpflichtet sind, am `Zuckerfest´ in die<br />
Schule zu kommen. Danielas Strategie im Umgang mit dem religiös aufgeladenen Konflikt besteht<br />
darin, sich mit der `deutschen´ Schülerschaft zu solidarisieren und eine Gleichbehandlung für alle<br />
Schülerinnen und Schüler unabhängig ihrer religiösen Zugehörigkeit einzufordern. Der Blickwinkel<br />
verdeutlicht, dass Daniela nach wie vor eine Schülerperspektive einnimmt und (noch) nicht über die<br />
professionelle Kompetenz verfügt, das Unbehagen der `deutschen´ Schülerschaft gegenüber<br />
vermeintlicher Bevorzugung aufgrund von Religion aus einer erziehungswissenschaftlichen<br />
Perspektive pädagogisch zu reflektieren und für die Schülerinnen und Schüler in produktiver Weise<br />
aufzufangen. Die erfahrende Situation und damit verbundene Irritation kann nicht als Möglichkeit<br />
genutzt werden, die gesellschaftliche Realität religiöser Pluralität zu reflektieren und die Frage zu<br />
stellen, wie der adäquate Umgang einer Lehrperson mit dieser Realität aussehen könnte, etwa im<br />
Hinblick auf eine Thematisierung religiöser Pluralität im Unterricht.<br />
Auch bei der Lehramtsstudentin Gülay lässt sich ein noch wenig ausgebildetes professionelles<br />
Wahrnehmungsmuster hinsichtlich migrationsbedingter Heterogenität der Schülerschaft ausmachen.<br />
Im erziehungswissenschaftlichen Praktikum interessiert sich Gülay für ethnisch homogene<br />
Gruppenzusammensetzungen im Kontext informeller Schulsettings, denn dieses Thema scheint für<br />
sie vor dem Hintergrund der sozialen Integrationsfrage von zentraler Bedeutung zu sein. Demnach<br />
wäre eine soziale Integration von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund im<br />
Schulkontext gegeben, wenn Schülergruppen ethnisch heterogen zusammengesetzt wären bzw.<br />
keine Gruppenbildungen nach ausschließlich kulturell-ethnischen Differenzierungsmerkmalen<br />
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