Didaktik der Algebra - Die Seiten der
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S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 1<br />
Alle Teilnehmer(innen) haben die Klausur vom 28.01.2008 bestanden.<br />
<strong>Die</strong> Scheine werden am <strong>Die</strong>nstag, 15.04.2008, 12.00 im Physiksaal, KG I A204, ausgegeben.<br />
Skript zur Vorlesung<br />
<strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong><br />
(Wintersemester 2007/08)<br />
<strong>Die</strong>ses Geheft enthält in kompakter, manchmal nur stichpunktartig aufzählen<strong>der</strong> Form, die wesentlichen<br />
didaktischen, fachlichen, schulpraktischen Grundlagen, wie sie in <strong>der</strong> Vorlesung ,,<strong>Didaktik</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>Algebra</strong>” vorgestellt werden.<br />
Es ist zum Gebrauch neben <strong>der</strong> Vorlesung gedacht und erhebt nicht den Anspruch, ,,in sich<br />
selbst verständlich” o<strong>der</strong> vollständig zu sein.<br />
S. Hilger<br />
<strong>Die</strong>ses Skript liegt in einer jeweils aktualisierten Form im Internet vor:<br />
http://www.ku-eichstaett.de/Fakultaeten/MGF/<strong>Didaktik</strong>en/dphys/Lehre.de
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 2<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einführung 5<br />
1.1 Der Begriff <strong>Algebra</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
1.2 Leitideen im <strong>Algebra</strong>–Unterricht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
2 Terme 7<br />
2.1 Historische und allgemein–didaktische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
2.2 Der Syntax–Zugang zum Termbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />
2.3 Der Semantik–Zugang zum Termbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
2.4 Terme in <strong>der</strong> Schulpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
2.4.1 Einstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
2.4.2 Variable . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
2.4.3 Terme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
2.4.4 Abkürzende Schreibweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
2.4.5 Auswerten von Termen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
2.4.6 Auswerten von Termen mit mehreren Variablen . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />
2.4.7 Glie<strong>der</strong>n von Termen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
2.4.8 Grund– und Definitionsmenge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />
2.4.9 Äquivalenz von Termen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
2.4.10 Nachweis <strong>der</strong> Nicht–Äquivalenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />
2.4.11 Nachweis <strong>der</strong> Äquivalenz: Äquivalenzumformungen . . . . . . . . . . . . . 15<br />
2.5 Vereinfachende Äquivalenzumformungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
2.6 Der Term–Kurs in <strong>der</strong> Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
2.6.1 Produktterme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
2.6.2 Summenterme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
2.6.3 Multiplikation von Summentermen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
2.6.4 Faktorisierung von Summentermen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />
2.6.5 Typische Fehler beim Termrechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />
3 Gleichungen und Ungleichungen 25<br />
3.1 Historische Episoden, Klassische und mo<strong>der</strong>ne Auffassung . . . . . . . . . . . . . 25<br />
3.2 Wandel <strong>der</strong> Begriffe von Gleichung und Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
3.2.1 Klassische Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />
3.2.2 Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
3.3 Heute: Pragmatismus in <strong>der</strong> Schulpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />
3.4 Gleichungen: Der Kurs in <strong>der</strong> Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 3<br />
3.5 Gleichungen als Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />
3.5.1 Typische Fehler bei Äquivalenzumformungen von Gleichungen . . . . . . 30<br />
3.6 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
3.6.1 Der Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
3.6.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
3.6.3 Lösungsverfahren anhand von Beispielen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />
3.6.4 <strong>Die</strong> Lösungsformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />
4 <strong>Die</strong> reellen Zahlen 35<br />
4.1 Unvollständigkeit <strong>der</strong> rationalen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35<br />
4.2 Intervallschachtelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
4.2.1 Mathematische Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
4.2.2 Schulische Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />
4.3 Das Heron–Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />
5 Potenzen 39<br />
5.1 Von 2 3 bis π √ 3+2i : Erweiterungen <strong>der</strong> Definitionsmenge . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
5.2 Kontextfel<strong>der</strong> . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
5.3 Schulpraktische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />
6 Funktionen 44<br />
6.1 Mathematische Fundierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44<br />
6.2 Schulische Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46<br />
6.2.1 Der Funktionenfundus <strong>der</strong> Gymnasialmathematik . . . . . . . . . . . . . . 47<br />
6.2.2 Darstellung von Funktionen als Graphen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />
6.3 Kontextfel<strong>der</strong> zur Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
7 Sachrechnen 50<br />
7.1 Mathematische Modellbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
7.2 Sachrechnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
7.3 Typen von Sachaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
7.4 Simplexe und Komplexe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />
7.5 <strong>Die</strong> Problemlösung im einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />
7.5.1 <strong>Die</strong> Mathematisierung des Problems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54<br />
7.5.2 Das mathematische Operieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />
7.5.3 Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56<br />
7.5.4 Mathematisierung von Sachsituatioen durch Gleichungen . . . . . . . . . 57
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 4<br />
Literatur<br />
[HS95] Horst Hischer and Harald Scheid. Grundbegriffe <strong>der</strong> Analysis. Texte zur <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong><br />
Mathematik. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 1995.<br />
[PDS95] Friedhelm Padberg, Rainer Dankwerts, and Martin Stein. Zahlbereiche. Spektrum<br />
Hochschultaschenbücher. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 1995.<br />
[Sch93] August Schmid, editor. Lambacher/Schweizer, <strong>Algebra</strong> Bayern 9. Ernst–Klett–<br />
Schulbuchverlag, Stuttgart, 1993.<br />
[Vol94] Hans-Joachim Vollrath. <strong>Algebra</strong> in <strong>der</strong> Sekundarstufe, volume 32 of Lehrbücher und<br />
Monographien zur <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> Mathematik. BI–Wissenschaftsverlag, Mannheim, Leipzig,<br />
1994.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 5<br />
1 Einführung<br />
1.1 Der Begriff <strong>Algebra</strong><br />
• Das Wort <strong>Algebra</strong> entlehnt sich dem Titel einer Abhandlung des Arabers Abu Abdallah<br />
Muhammed ibn Musa al–Hwarizmi al–Magusi Über quadratische Gleichungen: al–gabr.<br />
(Aus dem Namen al–Hwarizmi entstand das Wort Algorithmus).<br />
• <strong>Die</strong> obige Schrift wurde ins Lateinische übersetzt und prägte die mitteleuropäische Mathematik.<br />
Hier bezeichnete <strong>Algebra</strong> im wesentlichen die Lehre von den Gleichungen.<br />
• Nach heutigem wissenschaftlich–mathematischen Verständnis umfasst <strong>Algebra</strong> das Teilgebiet<br />
<strong>der</strong> Mathematik, in dem die inneren Strukturen, die Verknüpfungen, auf einer Menge<br />
untersucht werden. Begriffsbildungen in <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> sind Gruppen, Ringe, Körper, Vektorräume,<br />
Moduln,. . .<br />
• Schulisch: Hier wird <strong>Algebra</strong> als Gegenüber von Geometrie aufgefasst, sie umfasst das<br />
Umgehen mit Zahlen, Termen und Gleichungen. (Im wissenschaftlich–fachlichen Sinne ist<br />
dies eigentlich die Arithmetik).<br />
1.2 Leitideen im <strong>Algebra</strong>–Unterricht<br />
Der <strong>Algebra</strong>–Unterricht folgt dem Ineinan<strong>der</strong>greifen vier grundlegen<strong>der</strong> Leitideen:<br />
Zahl — Term — Gleichung — Funktion.<br />
<strong>Die</strong>se Begriffe bilden eine Art Grundgerüst aus vier Strängen, um die die Schul–<strong>Algebra</strong> sich<br />
,,spiralig” entwickelt. <strong>Die</strong> Begriffe werden immer wie<strong>der</strong> neu — bei zunehmen<strong>der</strong> Abstraktion<br />
und Komplexität — zum Inhalt des <strong>Algebra</strong>–Unterrichts.<br />
In dieser Vorlesung werden wir diese vier Begriffe unter verschiedenen Aspekten aufgreifen. Der<br />
fachliche Hintergrund, die fachdidaktische Theorie, lerntheoretische Einsichten, die Wechselwirkung<br />
mit <strong>der</strong> Schulpraxis, bilden dabei den Rahmen.<br />
• Grundlegende Überlegungen zu den Zahlbereich(serweiterung)en finden sich in MUG.<br />
Zur Erinnerung:<br />
– Ein Mangel im vorhandenen Zahlbereich führt auf das Bestreben, ihn zu erweitern.<br />
Dabei sollten bestehende Rechen- und Ordnungsstrukturen möglichst beibehalten<br />
werden (Hankel’sches Permanenzprinzip).<br />
– Zahlschreibweisen, Eigenschaften, Beson<strong>der</strong>heiten,<br />
– Rechenstrukturen (Gesetze, Vorteile),<br />
– Ordnungsstrukturen,<br />
– Geometrische Darstellung (Zahlenstrahl, Gauß’sche Ebene),<br />
– Rechenfertigkeit auf verschiedenen Ebenen: Kopfrechnen, Schriftliches Rechnen, Taschenrechner,<br />
Numerisches Rechnen mit Hilfe des Computers.<br />
In dieser Vorlesung werden wir uns nur mit dem Übergang Q → R auseinan<strong>der</strong>setzen.<br />
• Weitere mathematische Konzepte sind
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 6<br />
– Mengenlehre: Sie ist heute nicht mehr eigener Inhalt. Sie wird dort verwendet, wo ihr<br />
Gehalt und ihre Begriffe nützlich sind.<br />
– Aussageformen, Aussagen.<br />
– Relationen.<br />
Ihre Anteils–Gewichtung und inhaltliche Bedeutung wandelten sich im Laufe <strong>der</strong> letzten<br />
Jahrzehnte:<br />
– 60/70er Jahre: Sie standen im Rahmen <strong>der</strong> ,,New Maths” Reformströmungen fast im<br />
Mittelpunkt des Mathematikunterrichts.<br />
– 80er Jahre: Sie bildeten eigenständige Inhalte.<br />
– 90er Jahre: Sie werden als notwendige Hilfskonzepte bzw. zweckmäßige Sprechweisen<br />
aufgefasst.<br />
– seit etwa 2000: In den (bayerischen) Lehrplänen (zumindest Gymnasium) sind diese<br />
Konzepte kaum mehr ausgewiesen. Sie müssen ,,auf Zuruf”, unterschwellig, in den<br />
Unterricht eingebracht werden.<br />
• Fundamentale mathematische Denk- und Arbeitsweisen wie<br />
– Abstrahieren, Konkretisieren, Formalisieren,<br />
– Axiomatisieren, exaktes logisches Schließen, Beweisen, Argumentieren<br />
– Mathematisieren, Anwenden,<br />
– Veranschaulichen.<br />
sollen im Rahmen <strong>der</strong> obigen Inhalte und Leitideen ,,mittransportiert” werden.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 7<br />
2 Terme<br />
2.1 Historische und allgemein–didaktische Aspekte<br />
Ich kann kaum mit Zahlen rechnen, wie soll ich dann mit Buchstaben umgehen?<br />
Das Rechnen mit Termen weist gegenüber dem Rechnen mit Zahlen einen qualitativ höheren<br />
Abstraktheitsgrad auf. Aufgrunddessen ist es einerseits schwieriger, an<strong>der</strong>erseits aber auch sehr<br />
,,erfolgreich”.<br />
• Baupläne, Flußdiagramme.<br />
• ,,Termgeometrie”.<br />
2.2 Der Syntax–Zugang zum Termbegriff<br />
Syntax ist allgemein die Lehre von den Regeln, die das Zusammenstellen und Manipulieren von<br />
Zeichen und Wörtern in einer Sprache beschreiben.<br />
Ein Term ist (lediglich) eine Folge von Symbolen.<br />
<strong>Die</strong> mathematische Ausgestaltung dieses Aspekts geschieht — grob beschrieben — wie folgt:<br />
1. Vorgegeben ist ein Alphabet, das ist eine beliebige Menge A, <strong>der</strong>en Elemente in diesem<br />
Zusammenhang Symbole, Buchstaben o<strong>der</strong> Zeichen heißen. Zum Beispiel ist dies<br />
�<br />
A = 0, 1, . . . , 9, a, b, . . . , z, A, B, . . . , Z,<br />
α, β, . . . , ω, +, −, ·, :, /, , √<br />
�<br />
, ↑, =, (, ), [, ], {, }, ⊔<br />
Das letzte Zeichen ⊔ nennen wir Leerstelle.<br />
2. Ein Term (fachmathematisch: Wort) ist eine Abbildung T : N → A mit T (n) = ⊔ für fast<br />
alle n ∈ N.<br />
3. <strong>Die</strong> ,,Syntax” legt fest, dass nur eine Teilmenge <strong>der</strong> Menge aller Terme als erlaubt gilt.<br />
4. Der Kalkül legt Regeln fest, welche Terme äquivalent sind. Beispiel: Ein Paar den Term<br />
einschließende Klammern kann entfernt werden<br />
o<strong>der</strong><br />
(a + b) ∼ a + b<br />
(a + b) ↑ 2 ∼ a ↑ 2 + 2 · a · b + b ↑ 2<br />
5. Optional kann noch eine Quasi–Ordnung (antisymmetrische und transitive Relation) ,,ist<br />
einfacher als” auf <strong>der</strong> Menge aller Terme durch Regeln festgelegt werden:<br />
T1 ist einfacher als T2<br />
Ziel des Manipulierens von Termen ist dann die Vereinfachung, das heißt das Auffinden<br />
eines möglichst einfachen äquivalenten Terms zu einem vorgegebenen Term.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 8<br />
Eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit, die Menge aller erlaubten Terme festzulegen, besteht in <strong>der</strong> Rekursiven<br />
Definition. Sehr ungenau kann dies an dem folgenden Beispiel verdeutlicht werden:<br />
1. Jede Zahl ist ein Term.<br />
2. Jede Variable ist ein Term.<br />
3. Sind T1 und T2 Terme, so sind auch Terme:<br />
T1 + T2, T1 − T2, T1 · T2, T1/T2<br />
4. Und so weiter . . .<br />
In einem solchen rekursiv definierten Termsystem entsteht das Entscheidbarkeitsproblem: Kann<br />
man von jedem vorgegebenen Term T entscheiden, ob er in endlich vielen Schritten gemäß <strong>der</strong><br />
Rekursionsregeln bildbar ist o<strong>der</strong> nicht. Kurt Gödel: Das Axiomensystem ,,unserer” Mathematik<br />
ist unvollständig: Es gibt immer Terme, von denen nicht entschieden werden kann, ob sie bildbar<br />
sind. <strong>Die</strong>ses Problem kann auch nicht durch Hinzunahme weiterer Regeln (Axiome) behoben<br />
werden. (<strong>Die</strong>ses mathematische Grundlagenphänomen wird in dem Buch ,,Gödel, Escher, Bach”<br />
von D.R. Hofstadter populär auseinan<strong>der</strong>gesetzt.)<br />
<strong>Die</strong> Syntax-Mathematik ist die Grundlage <strong>der</strong> Computer–<strong>Algebra</strong>–Systeme (CAS) wie DERIVE,<br />
MAPLE, MATHEMATICA. Sie ist Bestandteil <strong>der</strong> Theoretischen Informatik.<br />
2.3 Der Semantik–Zugang zum Termbegriff<br />
Semantik bedeutet allgemein die Lehre von <strong>der</strong> inhaltlichen Bedeutung von Zeichen, Wörtern<br />
und Sätzen in einer Sprache.<br />
Beschreibung: Ein Term ist eine ,,Vorschrift”, mit <strong>der</strong>en Hilfe gegebenen Zahlen (INPUT) neue<br />
Zahlen (OUTPUT) zugeordnet werden.<br />
Hier wird schon <strong>der</strong> spätere Funktions– bzw. Operatorbegriff vorweggenommen. <strong>Die</strong>s geschieht<br />
aber nicht in voller Ausschärfung (Betonung <strong>der</strong> Eindeutigkeit) und umfassen<strong>der</strong> Begriffsumgebung<br />
(Definitionsmenge, Wertemenge, Umkehrbarkeit, graphischer Darstellung).<br />
2.4 Terme in <strong>der</strong> Schulpraxis<br />
Hier geschieht ein ständiges unausgesprochenes Wechselspiel zwischen formaler (Syntax) und<br />
inhaltlicher (Semantik) Auffassung.<br />
Verblasst bei Schülern die Einsicht, dass Terme die Möglichkeit des Einsetzens von Zahlen in sich<br />
bergen und daher <strong>der</strong> Umgang mit ihnen sich als natürlich–gesetzmäßig begründen läßt, so neigen<br />
sie dazu, den Termkalkül als ein Gebäude von formal–positivistischen Gesetzen anzusehen, nach<br />
dem sie — weil es halt so vorgeschrieben ist — verfahren müssen.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 9<br />
2.4.1 Einstieg<br />
Ganz allgemein läßt sich ein Einstieg beispielsweise — unter dem Semantik–Aspekt — über ein<br />
Sachwelt–Beispiel zur Zusammensetzung<br />
Gesamtkosten = Fixkosten + Variable Kosten<br />
herstellen. Beispiele sind:<br />
• Was kostet eine Nintendo– (bzw. Gameboy–)Ausstattung mit 2, 3, 4, . . . , x Spielen?<br />
• Telefonrechnung o<strong>der</strong> Stromrechnung: Grundgebühr plus Kosten für die Einheiten. (heute<br />
veraltet wegen Tarifgewirr)<br />
• Kartenhaus.<br />
<strong>Die</strong>se Beispiele führen auf einen vergleichsweise einfachen linearen (fachlich: affinen) Term a·x+b.<br />
In <strong>der</strong> Folge sind einige Begriffe genauer zu klären o<strong>der</strong> zu erläutern.<br />
2.4.2 Variable<br />
Symbole wie �, △, ?, x, y, z, a, b, c, . . ., an <strong>der</strong>en Stelle (rationale bzw. reelle) Zahlen eingesetzt<br />
werden können, heißen in <strong>der</strong> Mathematik Variable (in <strong>der</strong> Grundschule: Platzhalter).<br />
<strong>Die</strong> Mathematikdidaktik <strong>der</strong> 70er Jahre bemühte sich intensiv um eine genauere Klärung des<br />
Begriffs <strong>der</strong> Variablen. <strong>Die</strong>ses Bestreben produzierte eine Vielfalt an unterschiedlichsten Spezialfällen,<br />
es trat weniger ein klärendes, mehr ein verwirrendes System an unterschiedlichsten<br />
Begriffen, in Erscheinung.<br />
2.4.3 Terme<br />
Rechenausdrücke, in denen<br />
• Zahlen und/o<strong>der</strong> Variable<br />
• einzeln o<strong>der</strong> durch Rechenzeichen verknüpft<br />
auftreten, heißen in <strong>der</strong> Mathematik Terme.<br />
Beispiele:<br />
Hinweise:<br />
25 a 3 + 24 · x 26a 4 + 26x 3<br />
a 2 + b 2 − c 2<br />
• Rechenzeichen sind auch Klammern, Bruchstriche, Hochstellen.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 10<br />
• Der Malpunkt zwischen Zahl und Variable o<strong>der</strong> zwischen Variable und Variable kann<br />
weggelassen werden. <strong>Die</strong>s entspricht dem Sprachgebrauch ,,Zwei Semmeln” anstelle von<br />
,,Zwei mal Semmel”.<br />
Ein Konflikt entsteht hinsichtlich <strong>der</strong> Angabe von Größen in gemischten Einheiten<br />
(3 m25 cm = 3 m + 25 cm und nicht 3 m25 cm = 3 m · 25 cm) o<strong>der</strong> gemischten Zahlen<br />
(3 2 2<br />
2 2<br />
5 = 3 + 5 und nicht 3 5 = 3 · 5 ).<br />
• Konvention: Potenz vor Punkt vor Strich (Po vor Pu vor S).<br />
• Klammern: Gewöhnlich werden in <strong>der</strong> Reihenfolge von innen nach außen runde, eckige<br />
und geschweifte Klammern benutzt. <strong>Die</strong>s ist als Hilfestellung, nicht als unumstößliche<br />
Regel anzusehen.<br />
2.4.4 Abkürzende Schreibweise<br />
Für Terme gibt es eine abkürzende Schreibweise <strong>der</strong> Form<br />
T ( ), gesprochen: T von . . .<br />
In die Lücke zwischen den Klammern werden die Variablen eingetragen.<br />
• <strong>Die</strong> einzelnen Variablen werden durch Semikola voneinan<strong>der</strong> getrennt, da in <strong>der</strong> Schule das<br />
Komma <strong>der</strong> Dezimalbruch–Darstellung von Zahlen vorbehalten ist.<br />
• Verschiedene Terme können durch Indizes (tiefgestellte Zahlen) gekennzeichnet werden.<br />
• Beachte, dass alle Variable, die in einem Term auftreten, in <strong>der</strong> Klammerliste enthalten<br />
sein müssen.<br />
• <strong>Die</strong> Variablen in <strong>der</strong> Klammerliste werden — per Konvention — im allgemeinen alphabetisch<br />
angeordnet. Fachlich ist dies ohne Bedeutung.<br />
• Auch die Variablennamen sind eigentlich ohne Bedeutung, die Terme T3 und T7 sollten<br />
von vornherein als gleich angesehen werden.<br />
<strong>Die</strong>se Idee liegt auch <strong>der</strong> Definition von Funktionen o<strong>der</strong> Prozeduren beim Programmieren<br />
(B: PACSAL, C) zugrunde. Für die Weiterverwendung <strong>der</strong> Funktion o<strong>der</strong> Prozedur im<br />
Programm o<strong>der</strong> das Kompilieren ist <strong>der</strong> Variablenname ohne jede Bedeutung.<br />
Beispiele sind:<br />
T1(x) = x2 − 25 T5(a; b) = a2 − b2 T2(�) = 1<br />
�−2<br />
T6(x; �; f) = x� − f<br />
T3(a) = 2 · a − 3<br />
5 + 28a T7(x) = 2 · x − 3<br />
5 + 28x<br />
� �2 � �2 x<br />
x<br />
T4(x) = 10 (Bremsweg) T8(x) = 10 + 3 · x<br />
10<br />
(Anhalteweg)
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 11<br />
2.4.5 Auswerten von Termen<br />
Unter dem Auswerten eines Terms versteht man, dass anstelle <strong>der</strong> Variablen Zahlen eingesetzt<br />
werden (alternative Sprechweise: die Variablen mit Zahlen belegt) werden. Dabei nimmt <strong>der</strong> Term<br />
einen Wert an.<br />
Beispiele:<br />
T1(2) = 2 2 − 25 = 4 − 25 = −21 T1(− 1<br />
) = (−1<br />
2 2 )2 − 25 = −24 3<br />
4<br />
1<br />
T2(−4) = = −1<br />
−4 − 2 6<br />
T3( 5 5 3 5<br />
) = 2 · − + 28 6 = . . .<br />
6 6 5<br />
�<br />
20<br />
�2 T4(20) =<br />
10<br />
�<br />
100<br />
T8(100) =<br />
10<br />
= 4 T4(40) =<br />
� 2<br />
+ 3 · 100<br />
10<br />
= 130<br />
�<br />
40<br />
�2 = 16<br />
10<br />
Übungsaufgaben bestehen darin, dass Tabellen mit den Termwerten angelegt werden. Das Eintragen<br />
von Kreuzen in ein Koordinatensystem o<strong>der</strong> gar das Erstellen von Graphen würde den<br />
Charakter von Termen als ,,Wertzuweiser” zu sehr verschleiern. <strong>Die</strong>s sollte später im Kontext<br />
des Funktionsbegriffs erfolgen.<br />
2.4.6 Auswerten von Termen mit mehreren Variablen<br />
Anhand <strong>der</strong> obigen Beispiele:<br />
T2(−4) =<br />
1<br />
= −1<br />
−4 − 2 6<br />
T5(13; 5) = 13 2 − 5 2 = 144<br />
T6(2; 3; 12) = 2 3 − 12 = −4<br />
Treten in einem Term . . .<br />
• verschiedene Variable auf, so dürfen sie mit verschiedenen o<strong>der</strong> gleichen Zahlen belegt<br />
werden.<br />
• dieselben Variablen (mehrmals) auf, so müssen sie mit <strong>der</strong>selben Zahl belegt werden.<br />
In dem Term–Kurs wird ständig zwischen den Ebenen<br />
Eine Variable — mehrere Variable<br />
gewechselt, ohne dass dies extra deutlich gemacht würde.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 12<br />
2.4.7 Glie<strong>der</strong>n von Termen<br />
Hier tritt wie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Syntax–Aspekt des Termbegriffs stärker hervor.<br />
• Fachwörter — Text — Termbaum<br />
• Einstieg: Es soll ein Term beschrieben werden, ohne dass dabei Rechenzeichen genannt<br />
werden.<br />
• Merke: Bei <strong>der</strong> Termglie<strong>der</strong>ung muß genau in <strong>der</strong> umgekehrten Reihenfolge vorgegangen<br />
werden wie bei <strong>der</strong> Auswertung nach einer Variablenbelegung.<br />
• Idee <strong>der</strong> Unterklammerung.<br />
2.4.8 Grund– und Definitionsmenge<br />
<strong>Die</strong>se Begriffe werden definiert für den Fall von Termen mit beliebig vielen Variablen, in Beispielen<br />
wird diese Definition dann aber nur für Terme mit einer Variable umgesetzt.<br />
<strong>Die</strong> Menge, <strong>der</strong>en Elemente für die Einsetzung anstelle einer Variablen vorgesehen sind, heißt<br />
Grundmenge G des Terms.<br />
Wenn nicht an<strong>der</strong>s vereinbart, ist G = Q, ab <strong>der</strong> 9. JGS. G = R.<br />
<strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> Elemente aus <strong>der</strong> Grundmenge, die für eine Variable eingesetzt werden dürfen<br />
(o<strong>der</strong>: sinnvoll eingesetzt werden können), heißt Definitionsmenge D des Terms.<br />
<strong>Die</strong> Unterscheidung zwischen Grund- und Definitionsmenge ist dann sinnvoll, wenn Divisionen<br />
von (Teil–)Termen auftreten. Der Divisor–Teilterm darf nicht den Wert Null annehmen.<br />
Im Kontext <strong>der</strong> Bemühung, das — vermeintlich (?) — überzogene Begriffssystem <strong>der</strong> Schulmathematik<br />
zu verschlanken, gibt es den Ansatz, einen <strong>der</strong> beiden Begriffe ganz zu vermeiden und<br />
die Problematik <strong>der</strong> nicht–zulässigen Einsetzungen da zu behandeln, wo man ihr begegnet.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 13<br />
2.4.9 Äquivalenz von Termen<br />
Beispiel: Ein quadratisches Grundstück soll eingezäunt werden. Auf je<strong>der</strong> Seite sollen n Pfähle<br />
mit immer gleichem Abstand stehen. Wie viele Pfähle müssen eingepflockt werden?<br />
✉ ✉ ✉ ✉ ✉ ✉ ✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
n = 7<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉ ✉ ✉ ✉ ✉ ✉ ✉<br />
� � � � � � � � � � �<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
� n = 11 �<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
�<br />
� � � � � � � � � � �<br />
♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
n = 16 ♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣<br />
♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣ ♣<br />
Lösung: Je nach Mathematisierung dieses Sachverhalts stößt man auf ,,verschiedene” Terme:<br />
• T1(n) = n + (n − 1) + (n − 1) + (n − 2)<br />
• T2(n) = n + n + (n − 2) + (n − 2)<br />
• T3(n) = 2 · n + 2 · (n − 2)<br />
• T4(n) = 4 · (n − 1)<br />
• T5(n) = n 2 − (n − 2) 2<br />
<strong>Die</strong> Grundmenge ist jeweils G = {2; 3; 4; . . .}. Wir werten die Terme für verschiedene n aus: (Man<br />
könnte zunächst auf die Idee kommen, dass T i nur Quadratzahlen als Werte annimmt)<br />
Term n = 2 n = 5 n = 10 n = 63<br />
T1(n) = n + (n − 1) + (n − 1) + (n − 2) 4 16 36 248<br />
T2(n) = n + n + (n − 2) + (n − 2) 4 16 36 248<br />
T3(n) = 2 · n + 2 · (n − 2) 4 16 36 248<br />
T4(n) = 4 · (n − 1) 4 16 36 248<br />
T5(n) = n 2 − (n − 2) 2 4 16 36 248<br />
<strong>Die</strong> Tabelle deutet darauf hin, dass bei <strong>der</strong> Belegung von n mit natürlichen Zahlen jeweils <strong>der</strong><br />
gleiche Wert angenommen wird.<br />
Zwei Terme T1(x) und T2(x) mit gemeinsamer Definitionsmenge D heißen äquivalent (über<br />
D), wenn sie bei allen Belegungen <strong>der</strong> Variablen mit Zahlen aus D jeweils den gleichen Wert<br />
annehmen.<br />
Man schreibt dann:<br />
T1(x) = T2(x), x ∈ D.<br />
Beachte, dass die Angabe <strong>der</strong> Definitionsmenge D weggelassen werden kann, wenn <strong>der</strong> Kontext<br />
klar ist.<br />
Beispiele:<br />
• <strong>Die</strong> beiden Terme (x + 3) 2 und x 2 + 6x + 9 sind äquivalent über R.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 14<br />
• <strong>Die</strong> beiden Terme x 2 und x sind äquivalent über {0, 1}, nicht aber über D � {0, 1}.<br />
Frage: Kann man äquivalente Terme als ,,gleich” bezeichnen?<br />
• In semantischer Hinsicht JA, da es sich um die gleichen Wertzuweisungen (Funktionen)<br />
handelt.<br />
• In syntaktischer Hinsicht NEIN, da es sich um verschiedene Symbolfolgen handelt.<br />
• In <strong>der</strong> Schulpraxis wird dieses Problem im allgemeinen ,,unter den” Teppich gekehrt. So<br />
wird zwar <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> ,,Äquivalenz” eingeführt, in <strong>der</strong> Folge aber werden beispielsweise<br />
die beiden Terme in jeweils den Zeilen<br />
p + q q + p<br />
(a + b) 2 a 2 + 2ab + b 2<br />
durchaus als gleich bezeichnet.<br />
2.4.10 Nachweis <strong>der</strong> Nicht–Äquivalenz<br />
Beachte: Nicht–Äquivalenz liegt vor, wenn die beiden Terme bei Einsetzung irgend einer (einzigen)<br />
Zahl aus <strong>der</strong> Grundmenge verschiedene Werte annehmen.<br />
Eine Fehlvorstellung besteht hier darin, dass die Nicht–Äquivalenz durch Äquivalenzumformungen<br />
(Begriff: Siehe unten) gezeigt werden muß.<br />
Beispiele:<br />
2x, G = N0<br />
0 2 = 2 · 0<br />
1 2<br />
�= 2 · 1 =⇒ Nicht äquivalent<br />
x 2<br />
x 3 − 3x 2 + 2x + 5 2x 3 − 6x 2 + 4x + 5 G = Q<br />
0 3 − 3 · 0 2 + 2 · 0 + 5 = 2 · 0 3 − 6 · 0 2 + 4 · 0 + 5<br />
1 3 − 3 · 1 2 + 2 · 1 + 5 = 2 · 1 3 − 6 · 1 2 + 4 · 1 + 5<br />
2 3 − 3 · 2 2 + 2 · 2 + 5 = 2 · 2 3 − 6 · 2 2 + 4 · 2 + 5<br />
3 3 − 3 · 3 2 + 2 · 3 + 5 �= 2 · 3 3 − 6 · 3 2 + 4 · 3 + 5 =⇒ Nicht äquivalent<br />
(x + 3) 2<br />
x 2 + 6x + 9 G = N<br />
(0 + 3) 2 = 0 2 + 6 · 0 + 9<br />
(1 + 3) 2 = 1 2 + 6 · 1 + 9<br />
(2 + 3) 2 = 2 2 + 6 · 2 + 9<br />
.<br />
.<br />
(7 + 3) 2 = 7 2 + 6 · 7 + 9 =⇒ (Nicht–)Äquivalenz?
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 15<br />
2.4.11 Nachweis <strong>der</strong> Äquivalenz: Äquivalenzumformungen<br />
Zum Nachweis <strong>der</strong> Äquivalenz von zwei Termen müßte man gemäß Definition alle Elemente <strong>der</strong><br />
Definitionsmenge ,,durchtesten”. <strong>Die</strong>s ist bei unendlichen Definitionsmengen (B: Q) unmöglich.<br />
<strong>Die</strong>ses Problem wird nun — mathematisch wenig einwandfrei — wie<strong>der</strong> durch Rückgriff auf den<br />
Syntax–Aspekt ,,gelöst”, man definiert:<br />
Wird ein Term T1 durch Anwendung von gültigen Rechengesetzen in einen Term T2(x) umgeformt,<br />
so spricht man von einer Äquivalenzumformung.<br />
Bei dem Begriff ,,gültige Rechengesetze” nimmt man Bezug auf die in <strong>der</strong> bisherigen Schul–<br />
Mathematik erworbenen zum Teil intuitiv vorhandenen Auffassungen davon.<br />
Ein (nicht für die SchülerInnen gedachtes) illustratives Beispiel besteht in den beiden Termen<br />
artanh x und<br />
1<br />
2<br />
1 + x<br />
ln , D = ] − 1, 1[.<br />
1 − x<br />
<strong>Die</strong> beiden Terme sind äquivalent, es läßt sich aber nicht ohne weiteres eine (elementare) Äquivalenzumformung<br />
angeben.<br />
2.5 Vereinfachende Äquivalenzumformungen<br />
Das Programm (Ziel) des Schul–Term–Kurses besteht dann darin, einen gegebenen Term durch<br />
Äquivalenzumformung in eine möglichst ,,einfache” o<strong>der</strong> ,,zweckmäßige” Form zu bringen. Der<br />
Begriff ,,zweckmäßig” bezieht sich darauf, dass <strong>der</strong> Begriff ,,einfach”, und damit das Ziel einer<br />
Äquivalenzumformung, im allgemeinen nicht eindeutig ist. Beispiele:<br />
• Ein Term soll in Summenform o<strong>der</strong> in Produktform gewandelt werden.<br />
• Ein quadratischer Term soll in Summenform o<strong>der</strong> in Scheitelform dargestellt werden.<br />
• Bei <strong>der</strong> Berechnung des Rechteck–Umfangs ist <strong>der</strong> Term 2a + 2b ,,einfacher”, weil er den<br />
Sachkontext durchschaubar wie<strong>der</strong>gibt. Bei <strong>der</strong> Auswertung ist <strong>der</strong> äquivalente Term 2 ·<br />
(a + b) ,,einfacher”, da jetzt statt drei ,,Grundrechnungen” nur zwei durchzuführen sind.<br />
Außerdem entfällt die Speicherung eines Zwischenergebnisses.<br />
• Das letzte Beispiel zeigt den allgemeinen Sachverhalt auf, dass — je nach Kontext — ein<br />
Term in Summenform o<strong>der</strong> in Produktform als ,,einfacher” angesehen werden kann.<br />
Es erfolgt ein ständiges Wechselspiel von Einsicht (Hinter den Variablen stehen Zahlen) und<br />
Einschleifen (Korrekte Anwendung <strong>der</strong> syntaktisch aufgefaßten Formeln).
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 16<br />
2.6 Der Term–Kurs in <strong>der</strong> Schule<br />
Wir schil<strong>der</strong>n hier den — auch gemäß Lehrplan — ablaufenden Term–Kurs. Das folgende ist ein<br />
Königsbeispiel für den technisch–methodischen Begriff des ,,kleinschrittigen Erarbeitens”.<br />
2.6.1 Produktterme<br />
a) Ein Term heißt Produktterm, wenn er ein Produkt aus Vorzeichenfaktoren, Zahlen und Potenzen<br />
von Variablen ist.<br />
Beispiele:<br />
43x 2 · y<br />
− 4<br />
3 ab · a2 xw<br />
−2, 5 · x 3 yz 4 · 6x 5<br />
p 6 q 8 = p · p · p · p · p · p<br />
� �� �<br />
6 Faktoren<br />
· q · q · q · q · q · q · q · q<br />
� �� �<br />
8 Faktoren<br />
<strong>Die</strong> herausgehobene Separierung bzgl. Faktortypen ist hilfreich.<br />
b) Man kann Produktterme vereinfachen, indem man . . .<br />
• Vorzeichen<br />
• Zahlfaktoren und<br />
• Variablenpotenzen mit gleicher Basis<br />
unter Anwendung des Kommutativ– und des Assoziativgesetzes zusammenfasst und dann evtl.<br />
die Variablenpotenzen alphabetisch ordnet.<br />
Es entsteht ein ,,Einfacher Produktterm” mit einem Vorzeichen, einem Zahlfaktor und jeweils<br />
einer Potenz für jede Variable.<br />
Beispiele:<br />
5a 2 b · (−4)ab 3 = 5 · (−4) · a 2 a bb 3 = −20a 3 b 4<br />
3 1<br />
· x ·<br />
4 2 · b2 · 1<br />
3 · a · b · 3 · x3 = 3 1 1<br />
· ·<br />
4 2 3 · a · b2 · b · x · x 3 = 1<br />
8 · a · b3 · x 4 .<br />
g 5 : g 3 = g 2<br />
4x 3 · 5y 2 : (−3) = 4x 3 · 5y 2 · 1<br />
−3<br />
<strong>Die</strong> letzten beiden Beispiele zeigen, dass Produktterme auch Divisionszeichen enthalten können,<br />
die dann mit Hilfe <strong>der</strong> Kehrbruchidee beseitigt werden können.<br />
Bei <strong>der</strong> Multiplikation von Variablen beachte, dass<br />
a n · a m = a n+m , da (a · a · . . . a)<br />
· (a · a · . . . a)<br />
= a · a · . . . a<br />
� �� �<br />
n Faktoren<br />
� �� �<br />
m Faktoren<br />
� �� �<br />
n+m Faktoren<br />
Beachte, dass ein häufig auftreten<strong>der</strong> Fehler darin besteht, dass — beispielsweise —<br />
a 2 · a 3 = a 6<br />
berechnet wird. Ursachen dafür sind . . .
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 17<br />
• das Verblassen einer lebendigen Vorstellung von <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Potenz, Es wird nur<br />
noch formal gerechnet.<br />
• das simple Übertragen <strong>der</strong> Multiplikation im Term auf den Exponenten,<br />
• die Verwechslung (Fehler durch Nähe) mit <strong>der</strong> Potenzregel (siehe unten).<br />
c) Produktterme werden multipliziert, indem man die Vorzeichenfaktoren, Zahlen und Variablen<br />
jeweils getrennt multipliziert und das entstehende Produkt dann vereinfacht.<br />
d) Potenzierung von Produkttermen: Ein Produktterm wird potenziert, indem man jeden Faktor<br />
einzeln (mit dem Exponenten) potenziert.<br />
(Veranschaulichung durch Würfelvolumen: Kantenlänge x → 2x).<br />
Beachte, dass für die Potenzierung von Potenzen gilt:<br />
(a n ) m = a n·m<br />
da (a � · a �� · . . . a�<br />
) · . . . · (a � · a �� · . . . a�<br />
)<br />
�<br />
n Faktoren<br />
��<br />
m Faktoren<br />
n Faktoren<br />
�<br />
= a · a · . . . a<br />
� �� �<br />
n·m Faktoren<br />
Im Zusammenhang mit dem Assoziativgesetz <strong>der</strong> Multiplikation und ihrer Umkehroperation<br />
ergibt sich eine Zweideutikgeit. Wie soll <strong>der</strong> Term<br />
15a 3 : 5a 2<br />
vereinfacht werden?<br />
• <strong>Die</strong> optisch–satztechnische Anordnung spricht dafür, dass die Klammern als<br />
(15a 3 ) : (5a 2 )<br />
gesetzt sind.<br />
• Würde man jedoch in dem obigen Term zusätzlich Mal–Punkte setzen<br />
15 · a 3 : 5 · a 2 ,<br />
so tritt die Konvention ,,Von Links nach Rechts” stärker hervor. Der Term würde auch<br />
bei <strong>der</strong> Verarbeitung durch ein Computerprogramm o<strong>der</strong> — nach Einsetzen einer Zahl —<br />
durch einen Taschenrechner so interpretiert werden.<br />
2.6.2 Summenterme<br />
Ein Term heißt Summenterm, wenn er als verallgemeinerte Summe von Produkttermen geschrieben<br />
ist. ,,Verallgemeinert” heißt hier, dass Additionen und Subtraktionen auftreten können<br />
(Früherer Ausdruck: Aggregat). <strong>Die</strong> einzelnen Summanden und Subtrahenden heißen in diesem<br />
Zusammenhang auch Glie<strong>der</strong>.<br />
Zwei (einfache) Produktterme heißen gleichartig, wenn sie als Faktoren die gleichen Variablenpotenzen,<br />
aber eventuell verschiedene Zahlfaktoren o<strong>der</strong> verschiedene Vorzeichen haben.<br />
5rs 2 t − 18rs 2 t rts 2<br />
2r · 5s · t · (−3s)
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 18<br />
Gleichartige Produktterme in einem Summenterm können mit Hilfe des Distributivgesetzes zusammengefaßt<br />
werden.<br />
5rs 2 t − 18rs 2 t + rts 2 + 2r · 5s · t · (−3s) =<br />
5rs 2 t − 18rs 2 t + rs 2 t + (−30)rs 2 t =<br />
−42rs 2 t.<br />
Summenterme werden vereinfacht, indem man<br />
• zunächst die Produktterme vereinfacht (und ordnet) und dann<br />
• gleichartige Produktterme zusammenfaßt.<br />
2.6.3 Multiplikation von Summentermen<br />
Das Distributivgesetz<br />
Das Distributivgesetz sollte bereits aus den ,,Zahlbereichen” bekannt sein.<br />
a · (b + c) = a · b + a · c und (a + b) · c = a · c + b · c für alle a, b, c ∈ Q.<br />
Neu ist jetzt, dass anstelle <strong>der</strong> Zahlen und Variablen auch beliebige Teilterme stehen können.<br />
Das Einsetzen von Termen anstelle von Variablen in bekannten Formeln ist eine wesentliche<br />
Grundfertigkeit des Termrechnens an sich und sollte bereits hier — im vergleichbar elementaren<br />
Kontext — gut geübt werden.<br />
e · (f + g) = e · f + e · g<br />
b · (a + c) = ba + bc = ab + bc<br />
2a 2 x · (3ax + 5x 3 ) = 6a 3 x 2 + 10a 2 x 4<br />
Einen Son<strong>der</strong>fall nimmt die Multiplikation eines Summemterms mit −1 ein. <strong>Die</strong>s sollte extra<br />
thematisiert — und nicht als ,,klarer Spezialfall” abgehandelt — werden.<br />
Bei Multiplikation eines Summenterms mit −1 än<strong>der</strong>n sich die Vorzeichen <strong>der</strong> einzelnen<br />
Glie<strong>der</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Grundformel<br />
Frau Taube sagt zu ihrem Mann:<br />
Ich habe heute unser Blumenbeet um 3 m verlängert und 2 m verbreitert. Kannst Du<br />
mir bitte Pflanzen dafür mitbringen?<br />
Herr Taube bringt für 6 m 2 Pflanzen mit!<br />
b<br />
2 m<br />
a 3 m
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 19<br />
<strong>Die</strong> neue Fläche ergibt sich also zu:<br />
(a + 3 m) · (b + 2 m) = a · b + a · 2 m + 3 m · b + 6 m 2 .<br />
Kann man dies auch durch Ä–Umformungen nachrechnen?<br />
(a + b) · (c + d) = (a + b) · s<br />
� �� �<br />
s<br />
DG<br />
= a · s + b · s<br />
a · (c + d) + b · (c + d) DG<br />
= a · c + a · d + b · c + b · d.<br />
Merke (Grundformel): Für beliebige Zahlen aus Q gilt:<br />
(a + b) · (c + d) = a · c + a · d + b · c + b · d.<br />
Das Ausmultiplizieren — allgemein<br />
<strong>Die</strong> Grundformel kann verallgemeinert werden auf<br />
• mehrgliedrige Summentermen als Faktoren und/o<strong>der</strong><br />
• mehr als zwei Faktoren.<br />
Merke: Man multipliziert zwei Summenterme, indem man jedes Glied aus dem ersten Summenterm<br />
mit jedem Glied aus dem zweiten Summenterm (unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Vorzeichen)<br />
multipliziert und diese Produkte dann addiert.<br />
Bei mehr als zwei Faktoren werden nacheinan<strong>der</strong> immer jeweils zwei Faktoren multipliziert.<br />
<strong>Die</strong> Plus–Formel<br />
Sie heißt auch 1. binomische Formel. Der Zugang erfolgt beispielsweise über den Flächenvergleich<br />
in einem Quadrat<br />
a<br />
b<br />
a<br />
b<br />
Rechnerisch erhält man das durch Zurückführen auf die Grundformel.<br />
(a + b) 2 = (a + b) · (a + b) = a 2 + ab + ba + b 2 = a 2 + 2ab + b 2 .<br />
Es müssen also die Quadrate <strong>der</strong> Summanden und das doppelte gemischte Glied addiert werden.<br />
Anwendung:
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 20<br />
• Leichteres Quadrieren<br />
42 2 = (40 + 2) 2 = 40 2 + 2 · 40 · 2 + 2 2 = 1764.<br />
• Kopfrechentrick beim Quadrieren einer ,,Fünferzahl”:<br />
Eine zweistellige Zahl mit Endziffer 5 wird quadriert, indem man die Zehnerziffer<br />
mit <strong>der</strong> um 1 erhöhten Ziffer multipliziert, zwei Nullen anhängt und 25 addiert.<br />
(x|5) 2 = (x · 10 + 5) 2 = x 2 · 100 + 2 · x · 10 · 5 + 25 = x(x + 1) · 100 + 25.<br />
• Vereinfachtes schriftliches Quadrieren einer zweistelligen Zahl (Wegen Schreibtechnik *<br />
statt ·)<br />
47 * 47 = 76 * 76 = 31 * 31 =<br />
--------- ---------- ----------<br />
1649 4936 0901<br />
56 84 06<br />
--------- ---------- ----------<br />
2209 5776 0961<br />
• Der Unterschied zwischen zwei benachbarten Quadratzahlen n 2 und (n+1) 2 ist n+(n+1).<br />
<strong>Die</strong> Minus–Formel<br />
Sie wird auch als 2. binomische Formel bezeichnet.<br />
Zugang über den Flächenvergleich in einem Quadrat<br />
a<br />
⎧<br />
⎪⎨<br />
⎪⎩<br />
a<br />
� �� �<br />
b<br />
b<br />
Rechnerisch erhält man das durch Zurückführen auf die Grundformel.<br />
(a − b) 2 = (a − b) · (a − b) = a 2 − ab − ba + b 2 = a 2 − 2ab + b 2 .<br />
Alternative: Zurückführen auf die Plus–Formel:<br />
(a − b) 2 = (a + (−b)) 2 = a 2 + 2a(−b) + (−b) 2 = a 2 − 2ab + b 2 .<br />
Ein Problem stellt hier das Ersetzen <strong>der</strong> Variable b (in <strong>der</strong> Plusformel) durch (−b) dar.<br />
Anwendung: Leichteres Quadrieren<br />
49 2 = (50 − 1) 2 = 50 2 − 2 · 50 · 1 + 1 2 = 2401.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 21<br />
<strong>Die</strong> Plus–Minus–Formel<br />
Sie trägt auch den Namen ,,3. binomische Formel”.<br />
Zugang über die Umstellung einer Rechtecksfläche <strong>der</strong> <strong>Seiten</strong>längen a+b und a−b. Man schneidet<br />
sie entsprechend einer <strong>der</strong> beiden Skizzen durch und dreht bzw. verschiebt das ,,rechte” Teilstück,<br />
so dass eine ,,Quadratdifferenz” entsteht.<br />
b<br />
a<br />
.<br />
a<br />
b<br />
a − b<br />
b<br />
a<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
. . . . . . . . . . . .<br />
Der Flächeninhalt <strong>der</strong> linken Figur ist (a + b) · (a − b), <strong>der</strong> <strong>der</strong> rechten ist a 2 − b 2 . Da nur ein<br />
Teilstück (kongruent) umgelegt wurde, muss zwischen linker und rechter Figur Flächengleichheit<br />
bestehen:<br />
(a + b) · (a − b) = a 2 − b 2 .<br />
Alternativ kann man auch die folgende Umlegung eines Teilrechtecks vornehmen und dann<br />
genauso argumentieren:<br />
a b<br />
.<br />
a − b<br />
a<br />
. .<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
b<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
. . . . . . . . . . . .<br />
Alternativ kann man die Plus–Minus–Formel durch Zurückführen auf die Grundformel herleiten:<br />
(a + b) · (a − b) GF<br />
= a 2 − ab + ba − b 2 KG<br />
= a 2 − ab + ab − b 2 = a 2 − b 2 .<br />
Anwendung: Leichteres Kopf–Multiplizieren<br />
49 · 51 = (50 − 1) · (50 + 1) = 50 2 − 1 2 = 2499.<br />
Bei <strong>der</strong> Betragsberechnung einer komplexen Zahl (i.A. nicht schulrelevant), stellt sich heraus,<br />
dass die Plus–Minus–Formel mit dem Satz von Pythagoras verknüpft ist: Für eine komplexe<br />
Zahl z = a + ib mit Betrag |z| = c gilt:<br />
c 2 = z · z = (a + ib) · (a − ib) = a 2 − (ib) 2 = a 2 + b 2 .<br />
.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 22<br />
<strong>Die</strong> binomischen Formeln auf einen Blick<br />
Es gelten die Formeln<br />
(a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2 (Plus–Formel)<br />
(a − b) 2 = a 2 − 2ab + b 2 (Minus–Formel)<br />
(a + b) · (a − b) = a 2 − b 2 (Plus–Minus–Formel)<br />
<strong>Die</strong>se tabellarische Darstellung ist nicht unbedingt als Merkhilfe gedacht, sie betont aber nochmals<br />
die Idee, dass Summenterme multipliziert werden.<br />
Konkrete Durchführung bei umfangreicheren Termen:<br />
(25xy 2 + 4p) 2 = (25xy 2<br />
� �� �<br />
a<br />
+ 4p<br />
����<br />
b<br />
) 2 = (25xy 2<br />
� �� �<br />
a<br />
) 2 + 2 · 25xy 2<br />
· 4p<br />
� �� �<br />
a<br />
����<br />
b<br />
+( 4p ) 2<br />
Eine Hilfestellung ist dadurch gegeben, dass die Glie<strong>der</strong>, die die Rolle von a und b innerhalb <strong>der</strong><br />
Formeln spielen, durch Bleistiftunterschrift entsprechend gekennzeichnet werden.<br />
Eine Schwierigkeit tritt auf, wenn in solchen Termen selbst die Variablen a o<strong>der</strong> b auftreten:<br />
( 3a<br />
����<br />
a<br />
+ 5b<br />
����<br />
b<br />
) 2 = . . .<br />
Behebung: Umwechseln zu A, B o<strong>der</strong> α, β o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en geeigneten Variablennamen o<strong>der</strong> -<br />
symbolen. n.<br />
Früher mußten auch die binomische Formeln für höhere Potenzen (B: (a + b) 3 ) (auswendig)<br />
beherrscht werden.<br />
Heute eher: Fähigkeit, solche Terme zu multiplizieren.<br />
Hinweis (Fachmathematik) : Es gilt <strong>der</strong> binomische Lehrsatz:<br />
(a + b) n =<br />
n�<br />
k=0<br />
� �<br />
n<br />
a<br />
k<br />
k b n−k<br />
Bei mehrgliedrigen Summentermen (B: (a + b − c) 2 ) sollte man das Ausmultiplizieren direkt<br />
anwenden.<br />
����<br />
b
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 23<br />
2.6.4 Faktorisierung von Summentermen<br />
Einstieg: Betrachte den Term T (e; f) = e2−f 2<br />
e+f<br />
eingesetzt.<br />
e 5 1 3 −2 2<br />
3<br />
f 2 1 0 1 1<br />
2<br />
T (e; f) 3 0 3 −3 1<br />
6<br />
1, 2<br />
−0, 52<br />
1, 72<br />
Offenbar gilt: T (e; f) = e − f. Wie kann man das herausfinden? So:<br />
T (e; f) = e2 − f 2<br />
e + f<br />
= (e + f)(e − f)<br />
e + f<br />
= e − f.<br />
. Es werden verschiedene Zahlen für e und f<br />
Dabei wurde die binomische Formel angewandt, um den Zähler zu faktorisieren.<br />
Definition: Kann ein Summenterm durch ein Ä–Umformung in einen Produktterm überführt<br />
werden, so spricht man von einer Faktorisierung.<br />
Zur Faktorisierung werden das Distributivgesetz, die Grundformel und die binomischen Formeln<br />
,,in Rückwärtsrichtung” angewandt.<br />
Zusammenfassung <strong>der</strong> Faktorisierungsmethoden<br />
Gesetze Multiplizieren Faktorisieren<br />
Minusklammerregel<br />
−(b − a) = a − b<br />
Distributivgesetz<br />
a(b + c) = ab + ac<br />
Grundformel<br />
(a + b)(c + d) = ac + ad +<br />
bc + bd<br />
Plusformel<br />
(a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2<br />
Minusformel<br />
(a − b) 2 = a2 − 2ab + b2 Plusminusformel<br />
(a − b)(a + b) = a2 − b2 mit −1 multiplizieren<br />
,,Umkehren<br />
chen”<br />
<strong>der</strong> Vorzei-<br />
Ausmultiplizieren<br />
,,in die Klammer ziehen”<br />
durch −1 dividieren<br />
,,Umkehren<br />
chen”<br />
Ausklammern<br />
<strong>der</strong> Vorzei-<br />
,,aus <strong>der</strong> Klammer ziehen”<br />
Gliedweises Multiplizieren Wie<strong>der</strong>holtes Ausklam-<br />
Anwenden <strong>der</strong> Plusformel<br />
mern (anspruchsvoll: Satz<br />
von Vieta)<br />
Anwenden <strong>der</strong> Plusformel<br />
in umgekehrter Richtung<br />
Anwenden <strong>der</strong> Minusformel Anwenden <strong>der</strong> Minusformel<br />
Anwenden <strong>der</strong> Plusminusformel<br />
in umgekehrter Richtung<br />
Anwenden <strong>der</strong> Plusminusformel<br />
in umgekehrter<br />
Richtung<br />
Beim Faktorisieren mit Hilfe <strong>der</strong> binomischen Formeln kann es leicht zu einem Fehler kommen, <strong>der</strong> auf<br />
die Nicht–Beachtung des Faktors 2 zurückzuführen ist:<br />
9r 2 − 6rs + 4s 2 ? = (3r − 2s) 2<br />
Hilfreich für die Vermeidung dieses Fehlers ist <strong>der</strong> Faktorisierungs–Dreischritt<br />
1. Suche das erste quadratische Glied!<br />
2. Suche das zweite quadratische Glied!<br />
3. Teste das doppelte gemischte Glied!
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 24<br />
2.6.5 Typische Fehler beim Termrechnen<br />
• Verletzung <strong>der</strong> Potenzregeln.<br />
• Zusammenfassen verschiedenartiger Produktterme<br />
• Falsches Zusammenfassen gleichartiger Produktterme.<br />
• Falsche Anwendung <strong>der</strong> Klammerregeln.<br />
• Falsche Anwendung des Distributivgesetzes.<br />
• Bei Anwendung <strong>der</strong> Grund–, Plus o<strong>der</strong> Minusformel werden die ,,gemischten Glie<strong>der</strong>” nicht berücksichtigt:<br />
(b + 3) · (b − 4) = b 2 − 12 (3 + x) 2 = 9 + x 2<br />
(c − 2x) 2 = c 2 ± 4x 2
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 25<br />
3 Gleichungen und Ungleichungen<br />
3.1 Historische Episoden, Klassische und mo<strong>der</strong>ne Auffassung<br />
Gleichungen standen immer im Mittelpunkt <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong>.<br />
• Geronimo Cardano (1501 – 1576), Niccolo Tartaglia (1500 – 1557): Prioritätsstreit um Lösungen<br />
<strong>der</strong> kubischen Gleichung.<br />
• Ludovico Ferrari (1522 – 1565): AufLösung <strong>der</strong> Gleichung 4. Grades. (→ dtv–Atlas Mathematik,<br />
Band 1, S. 110).<br />
• Francois Viete (1540 – 1603, Schöpfer <strong>der</strong> ,,Buchstabenalgebra”): Zusammenhang von Lösungen<br />
und Koeffizienten in quadratischen Gleichungen.<br />
• Carl Friedrich Gauß (1777 – 1855): Fundamentalsatz <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong>.<br />
• Niels Henrik Abel (1802 – 1829): <strong>Die</strong> allgemeine Gleichung 5. Grades ist nicht durch Radikale<br />
lösbar (Radikalerweiterung eines Körpers: Grundrechenarten und Wurzelziehen ist unbeschränkt<br />
möglich).<br />
Beispiel: x 5 − 6x 3 + 3 = 0.<br />
• Pierre de Fermat (1601 – 1665): Vermutung, dass die Gleichung<br />
x n + y n = z n<br />
für n ≥ 3 keine nichttriviale ganzzahlige Lösung besitzt. (Beweis: Andrew Wiles, 1994, vgl. [?, S.<br />
101]).<br />
• Issac Newton (1642 — 1727): Iterative Verfahren zur näherungsweisen Bestimmung von Lösungen:<br />
xn+1 = f(xn)<br />
f ′ (xn) .<br />
• Mo<strong>der</strong>ne <strong>Algebra</strong>: Differenzial-, Integral-, Funktionalgleichungen: Mehr eine Theorie <strong>der</strong> geeigneten<br />
Räume (Funktionalanalysis) als eine Theorie <strong>der</strong> Darstellung von Wurzeln (<strong>Algebra</strong>).<br />
Beispiel: <strong>Die</strong> Gewöhnliche Differenzialgleichung<br />
y ′ = x 2 + y 2<br />
besitzt keine ,,elementare” Lösung.<br />
3.2 Wandel <strong>der</strong> Begriffe von Gleichung und Lösung<br />
3.2.1 Klassische Auffassungen<br />
G (Gleichung) Im Bestreben, die Theorie <strong>der</strong> Gleichungen zu systematisieren, sah man sich gewichtigen<br />
Problemen ausgesetzt. Man verzettelte sich in einem unübersichtlichen Begriffssystem (Vgl.<br />
Vollrath, S. 184).<br />
U (Ungleichungen) Gleichungen und Ungleichungen werden in unterschiedlichen Konzepten aufgearbeitet.<br />
L (Lösung) Lösungen sind Zahlen, die die Gleichung erfüllen. Vielfalt <strong>der</strong> Strukturen von Lösungsmengen:<br />
(Keine Lösung, Über- und Unterbestimmtheit, diskret viele, unendlich viele Lösungen,. . . )<br />
Tabuisierung von pathologischen Fällen<br />
x = x + 1 5x − 3 = 7 + 5x<br />
x = x 3x + 9 = 3(x + 3)<br />
0 = 0 17 + 4 = = 21
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 26<br />
Ä (Ä–Umformungen) Man versucht für die vielen Gleichungstypen entsprechende (Lösungs–<br />
)Techniken zu entwickeln.<br />
Der Syntax–Gedanke (Vorschriften, erlaubt, unerlaubt) tritt auf.<br />
Beispiel einer Merkregel über das ,,Rüberbringen”:<br />
Riwwer–ruff — niwwer–nunner.<br />
<strong>Die</strong> Techniken sind zum Teil nicht zu durchschauen: Wie kommt zum Beispiel <strong>der</strong> Übergang von<br />
<strong>der</strong> Variablen x<br />
ax 2 + bx + c = 0<br />
zu <strong>der</strong> doppel–deutigen Variablen x1,2 in <strong>der</strong> Lösungsformel<br />
x1,2 = −b ± √ b 2 − 4ac<br />
2a<br />
zustande? Was heißt ±?<br />
Z (Zahl) Was ist die Rolle des umgebenden Zahlbereichs? Beispiel:<br />
x 2 + 1 = 0<br />
P (Praxis) <strong>Algebra</strong>ische Aspekte stehen in Vor<strong>der</strong>grund.<br />
3.2.2 Reform<br />
G Mathematische Begriffsklärung im Rahmen <strong>der</strong> Logik und Mengenlehre:<br />
Eine Gleichung ist eine Aussageform, die bei Einsetzungen von Elementen <strong>der</strong> Grundmenge<br />
anstelle <strong>der</strong> Variablen in eine (wahre o<strong>der</strong> falsche) Aussage übergeht.<br />
U Ungleichungen sind einfach nur eine Spielart von Aussageformen.<br />
L <strong>Die</strong> Lösungsmenge ist die Erfüllungsmenge <strong>der</strong> Aussageform.<br />
L :=<br />
� �<br />
�<br />
x ∈ G�<br />
Gleichung in<br />
�<br />
x<br />
<strong>Die</strong> Grundmenge bildet den ,,Rahmen”.<br />
Ä Gleichungen werden dadurch umgeformt, dass auf die beiden Terme auf <strong>der</strong> linken und <strong>der</strong> rechten<br />
Seite die gleichen Abbildungen (Operationen) angewandt werden.<br />
Dabei än<strong>der</strong>t sich — bei fest gegebener Grundmenge — im allgemeinen die Lösungsmenge Lv<br />
(vorher) in eine Lösungsmenge Ln (nachher).<br />
Eine Umformung heißt nun speziell . . .<br />
– Gewinnumformung, wenn Ln ⊃ Lv.<br />
(Beispiele: Multiplizieren mit <strong>der</strong> Variablen, Multiplizieren mit Null, Quadrieren, . . . )<br />
Wird eine Gleichung mittels Gewinnumformungen gelöst, so muss man a posteriori die Elemente<br />
<strong>der</strong> Lösungsmenge daraufhin testen, ob sie die Gleichung erfüllen (Probe!).<br />
– Verlustumformung, wenn Ln ⊂ Lv. (Beispiele: Dividieren durch die Variable, Wurzelziehen,<br />
Auflösen von Beträgen, . . . )<br />
Alle Elemente <strong>der</strong> Lösungsmenge sind tatsächlich Lösungen, man kann sich aber nicht sicher<br />
sein, alle Lösungen gefunden zu haben.<br />
– Äquivalenzumformung, wenn Ln = Lv (siehe unten).<br />
Z Der Begriff ,,Zahl” tritt gegenüber dem Begriff ,,Struktur” in den Hintergrund.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 27<br />
P Aussagenlogik und Mengenlehre etablieren sich als eigenständige Inhalte.<br />
<strong>Die</strong> Syntax–Auffassung bei <strong>der</strong> Umformung von (Un–)Gleichungen tritt in den Vor<strong>der</strong>grund. Umformungsregeln<br />
werden nicht ausreichend begründet. Es werden übertrieben Symbole (Quantoren,<br />
logische Verknüpfungen ¬, ∨, ∧) benützt.<br />
<strong>Die</strong> Reformbestrebungen erscheinen im Nachhinein aber überzogen: Insgesamt wird die Abstraktionsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Schüler überstrapaziert (→ Piaget).<br />
3.3 Heute: Pragmatismus in <strong>der</strong> Schulpraxis<br />
Man versucht, die Gleichungslehre schlicht zu halten.<br />
G Gleichungen erscheinen stärker im Kontext von Termen<br />
Eine Gleichung entsteht, wenn zwei Terme gleich gesetzt werden.<br />
U Ungleichungen werden — im Sinne von Variation und Flexibilität — immer gleich miterfasst.<br />
Gründe dafür:<br />
– <strong>Die</strong> praktische Legitimation <strong>der</strong> Verwendung des Begriffs <strong>der</strong> Lösungsmenge tritt schon bei<br />
einfacheren (Un–)Gleichungen auf.<br />
– Der Ordnungsaspekt <strong>der</strong> Zahlen wird betont.<br />
– Propädeutik <strong>der</strong> Analysis.<br />
– Relativierung und Hinterfragung <strong>der</strong> ,,Hinüberbring”–Auffassung.<br />
L Aus <strong>der</strong> Aussagenlogik und <strong>der</strong> Mengenlehre werden die zweckmäßigen Begriffsbildungen und<br />
Spechweisen übernommen:<br />
1. <strong>Die</strong> Menge, <strong>der</strong>en Elemente für die Einsetzung anstelle einer Variablen einer (Un–)Gleichung<br />
vorgesehen sind, heißt Grundmenge G <strong>der</strong> (Un-)Gleichung.<br />
2. <strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> Elemente aus <strong>der</strong> Grundmenge G, die für die Variable einer (Un–)Gleichung<br />
eingesetzt werden dürfen, heißt Definitionsmenge D <strong>der</strong> (Un–)Gleichung.<br />
3. <strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> Elemente <strong>der</strong> Definitionsmenge D, für die die (Un–)Gleichung erfüllt ist, heißt<br />
Lösungsmenge L <strong>der</strong> (Un–)Gleichung.<br />
4. Eine (Un–)Gleichung, für die L = { } gilt, heißt unerfüllbar.<br />
5. Eine (Un–)Gleichung, für die L = D gilt, heißt allgemeingültig.<br />
Z Es werden Äquivalenzumformungen genau beschrieben.<br />
Beispiele sind<br />
1. Vertauschung <strong>der</strong> <strong>Seiten</strong>.<br />
2. Termumformungen auf <strong>der</strong> linken o<strong>der</strong> rechten Seite.<br />
3. Addition bzw. Subtraktion einer beliebigen Zahl.<br />
4. Addition bzw. Subtraktion eines beliebigen Terms.<br />
5. Multiplikation mit bzw. Division durch eine positive Zahl.<br />
6. Multiplikation mit bzw. Division durch eine negative Zahl unter gleichzeitiger Umkehrung<br />
des Relationszeichens (Problem: Anwendung des Waage–Modells).<br />
7. Multiplikation mit bzw. Division durch einen Term, <strong>der</strong> bei Einsetzung beliebiger Elemente<br />
<strong>der</strong> Grundmenge nur positive Werte annimmt.<br />
8. Multiplikation mit bzw. Division durch einen Term, <strong>der</strong> bei Einsetzung beliebiger Elemente<br />
<strong>der</strong> Grundmenge nur negative Werte annimmt, unter gleichzeitiger Umkehrung des Relationszeichens.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 28<br />
9. Auf beiden <strong>Seiten</strong> wird <strong>der</strong> Kehrwert gebildet. Dabei ist ebenfalls das Relationszeichen umzukehren<br />
(B: Parallelschaltung von Wi<strong>der</strong>ständen, Abbildungsgleichung).<br />
• Dazu einige Bemerkungen:<br />
– Nur die ersten sechs Typen von Äquivalenzumformungen sind schulrelevant.<br />
– Bei den Äquivalenzumformungen 3 – 9 sollte immer <strong>der</strong> Aspekt<br />
,,Auf beiden <strong>Seiten</strong> <strong>der</strong> Gleichung wird die gleiche Operation ausgeführt”<br />
gegenüber dem ,,auf die an<strong>der</strong>e Seite bringen” o<strong>der</strong> dem ,,Rüberbringen” herausgestellt werden.<br />
– Beachte, dass <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>fall (Umkehrung des Relationszeichens) nur bei <strong>der</strong> Konstellation<br />
auftritt.<br />
Punktoperation, negative Zahl, Ungleichung<br />
• Zur einführenden Veranschaulichung von Äquivalenzumformungen bei Gleichungen dient das<br />
Waagen–Modell.<br />
– Man braucht mehrere gleiche Gegenstände <strong>der</strong> Masse (Gewicht) Z, die die Zahl 1 repräsentieren.<br />
Beispiel: Doppelte Vierer–Duplo–Steine.<br />
– Man braucht mehrere gleiche Gegenstände <strong>der</strong> Masse (Gewicht) V , die die Variable x repräsentieren.<br />
Beispiel: Standard–Haushalts–Kerzen.<br />
– Es sollte V — relativ genau — ein kleines ganzzahliges Vielfaches von Z sein. Eventuell kann<br />
man das leichter erreichen, wenn man die Masse Z o<strong>der</strong> V manipulieren kann (Aufkleben von<br />
Büroklammern, Einstechen von Reißnägeln).<br />
– Gegenstände, die auf an<strong>der</strong>e Weise (Mass–)Zahlen aufweisen (Gewichtsstücke, Münzen) sind<br />
nicht so günstig, da sie von <strong>der</strong> Grundidee des Waage–Modells ablenken. Es wird dann mehr<br />
Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Frage gewidmet, welchen Wert o<strong>der</strong> welches Gewicht tatsächlich die<br />
Gegenstände haben.<br />
– Das Waagen–Modell hat Grenzen, da . . .<br />
∗ beliebige negative, rationale o<strong>der</strong> reelle Zahlen<br />
∗ Das Quadrat o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Potenzen von Variablen<br />
∗ <strong>Die</strong> Multiplikation mit bzw. Division durch negative Zahlen<br />
nicht gut repräsentiert werden können.<br />
Auch zur Veranschaulichung von Äquivalenzumformungen bei Ungleichungen kann das Waage–<br />
Modell herangezogen werden. Beachte aber:<br />
– <strong>Die</strong> Waagschale <strong>der</strong> schwereren Seite ist unten. Das kollidiert mit <strong>der</strong> Vorstellung bei vertikaler<br />
Anordnung eines Zahlenstrahls, dass größere Zahlen weiter oben stehen.<br />
– Legt man auf die schwerere Seite beispielsweise zwei Einheiten, auf die leichtere eine Einheit,<br />
so bleibt die Waagen–Situation bestehen. <strong>Die</strong>s könnte den Eindruck hervorrufen, dass eine<br />
Äquivalenzumformung repräsentiert wird.<br />
Das Waage–Modell sollte nur zur einführenden Veranschaulichung von Äquivalenzumformungen<br />
benutzt werden. Der kontinuierliche Einsatz, beispielsweise auch bei komplexeren Beispielen, führt<br />
vom Lernziel ,,Fertigkeit und flexibler Umgang mit den Techniken <strong>der</strong> Äquivalenzumformung” weg.<br />
• Gewinn- und Verlustumformungen werden nicht als Begriffe thematisiert, ihre Problematik aber<br />
angerissen durch Eingrenzung <strong>der</strong> Grundmenge auf die Definitionsmenge, Probe, Fallunterscheidungen.<br />
• Sinn <strong>der</strong> Probe allgemein:<br />
– Verlebendigung einer formalen Prozedur, Einsicht in die Schlagkraft eines Algorithmus.<br />
– Austesten von Lösungen bei Gewinnumformungen.<br />
– Fehlertest.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 29<br />
• Beachte, dass die beiden Gleichungen<br />
x 2 − 2 = 0 und x 2 − 3 = 0<br />
über Q äquivalent sind (→ Fehlauffassung).<br />
• Problem <strong>der</strong> Zielrichtung: Was heißt ,,Vereinfachung”?<br />
P Gleichungen als Hilfsmittel bei Anwendungen, d.h. Sachaufgaben.<br />
Maria ist 24 Jahre alt. Sie ist doppelt so alt, wie Anna war als Maria so alt war, wie Anna jetzt<br />
ist. Wie alt ist Anna?<br />
Unterstützung durch graphische Darstellungen: Lösung als Nullstelle.<br />
3.4 Gleichungen: Der Kurs in <strong>der</strong> Schule<br />
• Grundschule: Platzhalteraufgaben (�) o<strong>der</strong> (Klecksaufgaben) als Propädeutik des Gleichungsbegriffs:<br />
Lösung mittels konkreter Vorstellungen und Umkehroperationen. Eine Beson<strong>der</strong>heit: Aufgaben<br />
mit unbekanntem Relationszeichen<br />
• 5./6. Jahrgangsstufe: Einfache (Un-)Gleichungen als ein Mittel zur Durchdringung des jeweils aktuellen<br />
Zahlenraums. Lösungsmethoden: Probierverfahren, Vereinfachende Analogien, Umkehrtechnik.<br />
Mengenlehre tritt als günstige Sprechweise in Erscheinung.<br />
• 7./8. Jahrgangsstufe: Begriff <strong>der</strong> Äquivalenzumformung, Grund- und Definitionsmenge.<br />
• Dann zunehmend anspruchsvolle (Un-)Gleichungstypen: Bruchgleichungen, Gleichungssysteme,<br />
quadratische Gleichungen, Betragsgleichungen.<br />
• Dabei immer: Text- o<strong>der</strong> Sachaufgaben.<br />
• In <strong>der</strong> Geometrie: Gleichungen von Geraden, Ebenen, Kreisen, Ellipsen, Parabeln, Kegelschnitten.<br />
3.5 Gleichungen als Aussagen<br />
Gleichungen treten nicht nur als zu erfüllende Aussageformen (innerhalb eines Problems), son<strong>der</strong>n auch<br />
als Aussagen (bei Sätzen, Definitionen,. . . ), auf.<br />
• Formelgleichungen: Anwendungen in Physik, Wirtschaft usw.<br />
1<br />
Rges<br />
= 1<br />
+<br />
R1<br />
1<br />
R2<br />
• Rechengesetze: Für alle a, b ∈ Q gilt: (a + b) 2 = a 2 + 2ab + b 2 .<br />
• Mengenbeschreibende Gleichungen:<br />
� �<br />
�<br />
Q = n ∈ N�<br />
Es existiert ein m ∈ N, so dass m 2 �<br />
= n<br />
• Funktionsgleichungen:<br />
y = f(x) = x 2 + sin(x).
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 30<br />
3.5.1 Typische Fehler bei Äquivalenzumformungen von Gleichungen<br />
Beachte, dass im folgenden Fehler beschrieben werden. <strong>Die</strong> angegebenen Umformungen sind also keine<br />
(gültigen) Äquivalenzumformungen.<br />
• Fehler beim Rechnen mit Zahlen (aller Art)!<br />
• Fehler bei Termumformungen: Siehe dort!<br />
• <strong>Die</strong> Variable in einem Produktterm wird durch Subtraktion isoliert:<br />
�<br />
�<br />
3x + 5 = 26 � − 3 ⇐⇒ x + 5 = 23<br />
23(3x − 7) = 115<br />
6x + 3 = 12<br />
�<br />
�<br />
� − 23 ⇐⇒ 3x − 7 = 92<br />
�<br />
�<br />
� − 5 ⇐⇒ x + 3 = 7<br />
• Mangelnde Berücksichtigung des Distributivgesetzes:<br />
2x + 3 = 4<br />
�<br />
�<br />
� : 2 ⇐⇒ x + 3 = 2<br />
• Vermeintliche Berücksichtigung des Distributivgesetzes:<br />
25 · (x + 15) = 150<br />
�<br />
�<br />
� : 5 ⇐⇒ 5 · (x + 3) = 30<br />
• Zwei Schritte werden zugleich ausgeführt und dabei die Reihenfolge vertauscht:<br />
6x 2 + 4x + 14 = −8x<br />
�<br />
�<br />
� + 8x :2 ⇐⇒ 3x 2 + 10x + 7 = 0<br />
• Beim ,,Rüberbringen” treten Vorzeichenfehler auf:<br />
6x 2 + 4x + 14 = −8x<br />
�<br />
�<br />
� + 8x ⇐⇒ 6x 2 − 4x + 14 = 0<br />
(Das vorhandene Vorzeichen bei 8x wirkt zu stark.)<br />
• Fehler mit Null und Eins:<br />
25 · x = 25 ⇐⇒ x = 0<br />
(<strong>Die</strong> Operation · x auf <strong>der</strong> linken Seite ist ,,ohne Einfluss”, also muss x gleich Null sein.)<br />
3x − 2 = 0<br />
�<br />
�<br />
� + 2 ⇐⇒ 3x = 0<br />
• Fehler im Zusammenhang mit Brüchen:<br />
140 a + 70 = 35<br />
x<br />
�<br />
�<br />
� : 35 ⇐⇒ 4a + 2 = x<br />
• Mangelndes Problembewußtsein um Gewinn- und Verlustumformungen.<br />
o<strong>der</strong><br />
x 2 = 625 ⇐⇒ x = 25<br />
|x − 2| = 27 ⇐⇒ x = 25<br />
• Viele dieser Fehler treten verstärkt auf, wenn Parameter (Formvariable) anstelle von Zahlen in den<br />
Gleichungen auftreten.<br />
• Bei Ungleichungen: Falsche Berücksichtigung <strong>der</strong> Umkehr des Relationszeichens.<br />
• Mangelnde Unterscheidung von Mal–Punkten und Minuszeichen (Schrift).
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 31<br />
3.6 Quadratische Gleichungen<br />
3.6.1 Der Begriff<br />
Eine Gleichung, die sich — direkt o<strong>der</strong> nach einer Äquivalenzumformung — in <strong>der</strong> Form<br />
ax 2<br />
����<br />
+<br />
����<br />
bx +<br />
����<br />
c = 0,<br />
qu.G. l.G. k.G.<br />
mit (fest gegebenen Zahlen) a ∈ R \ {0}, b, c ∈ R schreiben lässt, heißt Quadratische Gleichung.<br />
<strong>Die</strong> Abkürzungen bedeuten quadratisches, lineares bzw. konstantes Glied.<br />
<strong>Die</strong> obige Form <strong>der</strong> Gleichung heißt Normalform o<strong>der</strong> Summenform <strong>der</strong> quadratischen Gleichung (im<br />
Gegensatz zur Scheitelform, eher geometrisch wichtig).<br />
3.6.2 Beispiele<br />
• x 2 − 4x + 3 = 0<br />
• 3x 2 + 7x − 36 = 28x − 25x 2 − 40<br />
• (x − 25) 2 = 0<br />
• x 2 = 36<br />
• x · (x + 5) = 8<br />
Ü1: Bestimme jeweils die Normalform und dann die drei Glie<strong>der</strong>!<br />
Ü2: Kannst Du Lösungen finden?<br />
<strong>Die</strong> Variable muss nicht unbedingt x sein. Auch<br />
3y 2 + 5y − 12 = 0<br />
ist eine quadratische Gleichung.<br />
3.6.3 Lösungsverfahren anhand von Beispielen<br />
• 5x − 3 = 0 (Nicht–Beispiel)<br />
<strong>Die</strong> Sofort–Präsentation <strong>der</strong> Lösungsformel ist insofern ungünstig, als die Schüler/innen den Eindruck<br />
erhalten, dass sie fertige Werkzeuge einfach nur benutzen sollen und sie ,,sowieso” keine Einsicht in ihr<br />
Zustandekommen erfahren können.<br />
Ein Vorschlag: Von einfachen zu schwierigen Beispielen. (<strong>Die</strong> Kennzeichen <strong>der</strong> einzelnen Schritte sollen<br />
in <strong>der</strong> Schulpraxis nicht angegeben, son<strong>der</strong>n jeweils bestimmt werden).<br />
Beispiel 1: b = 0, a = 1, c beliebig.<br />
• x 2 − 25 = 0 =⇒ L = {−5; +5}<br />
• x 2 − 12 = 0 =⇒ L = {− √ 12; + √ 12}<br />
• x 2 = 0 =⇒ L = {0}<br />
• x 2 + 9 = 0 =⇒ L = {}<br />
Beispiel 2: b = 0, a, c beliebig .<br />
• 9x 2 − 25 = 0 =⇒ L = {− 5<br />
; +5<br />
3 3 }
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 32<br />
• 2x 2 − 4 = 0 =⇒ L = {− √ 2; + √ 2}<br />
• 3x 2 = 0 =⇒ L = {0}<br />
• −5x 2 − 80 = 0 =⇒ L = {}<br />
Beispiel 3: b �= 0, a = 1, D := b 2 − 4ac = 0.<br />
x 2 − 10x + 25 = 0 ⇐⇒<br />
(x − 5) 2 = 0 ⇐⇒<br />
x − 5 = 0 L = {5}.<br />
Beispiel 4: b �= 0, a = 1, D := b 2 − 4ac > 0.<br />
x 2 − 10x + 16 = 0 ⇐⇒<br />
x 2 − 10x + 25 − 9 = 0 ⇐⇒<br />
(x − 5) 2 − 9 = 0 ⇐⇒<br />
(x − 5) 2 = 9 ⇐⇒<br />
x − 5 = −3 o<strong>der</strong> x − 5 = +3<br />
Beispiel 5: b �= 0, a = 1, D := b 2 − 4ac < 0.<br />
x = 2 o<strong>der</strong> x = 8 ⇐⇒ L = {2; 8}.<br />
x 2 − 10x + 74 = 0 ⇐⇒<br />
x 2 − 10x + 25 + 49 = 0 ⇐⇒<br />
(x − 5) 2 + 49 = 0 ⇐⇒<br />
(x − 5) 2 = −49 ⇐⇒ L = { }.<br />
Beispiel 6: b �= 0, a beliebig, D := b 2 − 4ac = 0.<br />
9x 2 + 12x + 4 = 0 ⇐⇒<br />
(3x + 2) 2 = 0 ⇐⇒<br />
(3x + 2) = 0 ⇐⇒ L = {− 2<br />
3 }.<br />
Beispiel 7: b �= 0, a beliebig, D := b 2 − 4ac > 0.<br />
9x 2 + 24x − 9 = 0 ⇐⇒<br />
9x 2 + 24x + 16 − 25 = 0 ⇐⇒<br />
(3x + 4) 2 − 25 = 0 ⇐⇒<br />
(3x + 4) 2 = 25 ⇐⇒<br />
3x + 4 = −5 o<strong>der</strong> 3x + 4 = +5 ⇐⇒<br />
x = −3 o<strong>der</strong> x = 1<br />
3<br />
Beispiel 8: b �= 0, a beliebig, D := b 2 − 4ac < 0.<br />
9x 2 + 24x + 20 = 0 ⇐⇒<br />
9x 2 + 24x + 16 + 4 = 0 ⇐⇒<br />
(3x + 4) 2 + 4 = 0 ⇐⇒<br />
(3x + 4) 2 = −4 ⇐⇒ L = { }.<br />
⇐⇒ L = {−3; 1<br />
3 }.<br />
• Betrachte zuerst die Beispiele 3,4,5. Verfolge zurück, woran es liegt, dass 2,1,0 Lösungen auftreten!<br />
• Betrachte die Beispiele 6,7,8.<br />
• Was ist mit dem Son<strong>der</strong>fall c = 0?
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 33<br />
3.6.4 <strong>Die</strong> Lösungsformel<br />
Ziel: Wir wollen eine Formel für die Lösungsmenge einer beliebigen quadratischen Gleichung finden, die<br />
in Summenform gegeben ist,<br />
a · x 2 + b · x + c = 0 (∗).<br />
1. Der Divisionstrick: Wir dividieren die (beiden <strong>Seiten</strong> <strong>der</strong>) Gleichung durch den Formfaktor a �= 0<br />
x 2 + b c<br />
· x + = 0.<br />
a a<br />
2. Quadratische Ergänzung: Wir schieben zwei Summanden dazwischen, die sich kompensieren:<br />
x 2 + b<br />
� �2 � �2 b b<br />
· x + − +<br />
a 2a 2a<br />
� �� �<br />
=0<br />
c<br />
= 0.<br />
a<br />
3. Wir wenden die Plusformel in Rückwärtsrichtung an:<br />
�<br />
x + b<br />
�2 � �2 b<br />
− +<br />
2a 2a<br />
c<br />
= 0.<br />
a<br />
4. Wir isolieren (herausschälen) den quadratischen Term<br />
�<br />
x + b<br />
�2 � �2 b<br />
= −<br />
2a 2a<br />
c<br />
a .<br />
und formen weiter um<br />
�<br />
x + b<br />
�2 =<br />
2a<br />
1<br />
4a2 · (b2 − 4ac).<br />
� �� �<br />
=:D<br />
Der Ausdruck in <strong>der</strong> Klammer heißt Diskriminante. Wir können übersichtlicher schreiben:<br />
�<br />
x + b<br />
�2 =<br />
2a<br />
D<br />
4a2 (∗∗).<br />
Beachte, dass die Anfangsgleichung (∗) und die Endgleichung (∗∗) äquivalent sind.<br />
5. Wir unterscheiden jetzt drei Fälle:<br />
(a) <strong>Die</strong> Diskriminante ist positiv D > 0. Dann ist die Gleichung (∗∗) äquivalent zu:<br />
x + b<br />
⇐⇒<br />
√<br />
D<br />
= +<br />
2a 2a<br />
x = −<br />
√<br />
b D<br />
o<strong>der</strong> x + = −<br />
2a 2a<br />
b<br />
2a +<br />
√<br />
D<br />
2a<br />
b<br />
o<strong>der</strong> x = −<br />
2a −<br />
√<br />
D<br />
2a<br />
Wir können also die Lösungsmenge aufschreiben:<br />
L =<br />
�<br />
− b<br />
2a +<br />
√<br />
D b<br />
; −<br />
2a 2a −<br />
√<br />
D<br />
� �<br />
= −<br />
2a<br />
b<br />
2a ±<br />
√<br />
D<br />
�<br />
.<br />
2a<br />
(b) <strong>Die</strong> Diskriminante ist Null D = 0. Dann ist die Gleichung äquivalent zu <strong>der</strong> linearen Gleichung:<br />
x + b<br />
= 0,<br />
2a<br />
die wir leicht lösen können:<br />
�<br />
L = − b<br />
�<br />
.<br />
2a
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 34<br />
(c) <strong>Die</strong> Diskriminante ist negativ D < 0. Dann besitzt die Gleichung (∗∗), also auch die Gleichung<br />
(∗) keine Lösung.<br />
��<br />
L = .<br />
Wir fassen dieses Verfahren in einem Satz zusammen:<br />
Satz: Es sei ein quadratische Gleichung in Summenform vorgegeben:<br />
a · x 2 + b · x + c = 0.<br />
Es wird dann die Diskriminante als Ausdruck D := b 2 − 4ac gebildet. Ist dann<br />
• D < 0, so gibt es keine Lösung: L =<br />
��<br />
.<br />
• D = 0, so gibt es genau eine Lösung L =<br />
�<br />
− b<br />
�<br />
2a .<br />
• D > 0, so gibt es genau zwei verschiedene Lösungen<br />
L =<br />
Weiterführung:<br />
Dann<br />
�<br />
− b<br />
2a +<br />
√<br />
D b<br />
; −<br />
2a 2a −<br />
• Lerne die Lösungsformel auswendig!<br />
√<br />
D<br />
�<br />
.<br />
2a<br />
• Viele Beispiele, insbeson<strong>der</strong>e Probe machen.<br />
• Biquadratische Gleichungen sind quadratische Gleichungen in <strong>der</strong> Variablen x 2 .<br />
• Wurzelgleichungen sind quadratische Gleichungen in <strong>der</strong> Variablen √ x.<br />
• Parameter–Gleichungen: <strong>Die</strong> Zahl <strong>der</strong> Lösungen hängt von einem Parameter ab.<br />
• Sachaufgaben:<br />
– Kombinatorik: Bei einer Party schütteln sich alle gegenseitig die Hände. Wie viele Gäste sind<br />
da, wenn dies 45 mal geschieht. Hinweis:<br />
n · (n − 1)<br />
45 =<br />
2<br />
– Extremwertaufgaben: Auf einer Wiese soll ein rechteckiges Teilstück durch einen 800 m langen<br />
Zaun eingegrenzt werden. Wie lang/breit muss das Rechteck sein, damit die eingesperrten<br />
Schafe am meisten zu fressen bekommen?<br />
s · (800 − s) = F
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 35<br />
4 <strong>Die</strong> reellen Zahlen<br />
Geschichtliches: LambacherSchweizer A9 ([Sch93, S. 100]), Barth/Fe<strong>der</strong>le/Haller, <strong>Algebra</strong> 9.<br />
4.1 Unvollständigkeit <strong>der</strong> rationalen Zahlen<br />
Beobachtung:<br />
Es gibt keine rationale Zahl a = p<br />
q mit a2 = 2. Gleichbedeutend damit sind die Aussagen:<br />
• <strong>Die</strong> Gleichung x 2 = 2 hat für G = Q eine leere Lösungsmenge.<br />
• <strong>Die</strong> Funktion x 2 − 2 hat keine Nullstelle in Q.<br />
• Das quadratische Polynom x 2 − 2 hat über Q keine Linearfaktoren.<br />
Beweis 1. Möglichkeit (Schulnah formuliert: <strong>Die</strong> eigentlich schwierige Tatsache, dass es sich um einen<br />
Wi<strong>der</strong>spruchsbeweis handelt, wird durch bestimmte Formulierungen entschärft).<br />
Wir untersuchen eine beliebige rationale Zahl (Bruch) p<br />
q ∈ Q daraufhin, ob ihr Quadrat gleich 2 sein<br />
kann.<br />
Wir kürzen so weit wie möglich und erhalten<br />
p<br />
q = p n<br />
qn<br />
(n bedeutet neu),<br />
wobei pn und qn teilerfremd sind. Wenn das Quadrat von p<br />
q<br />
sein.<br />
� pn<br />
qn<br />
� 2<br />
= p2 n<br />
q 2 n<br />
= 2 (∗)<br />
gleich 2 sein soll, muss<br />
Für die Herbeiführung des Wi<strong>der</strong>spruchs gibt es die folgenden beiden (vielleicht noch an<strong>der</strong>e?) Möglichkeiten:<br />
1. Da pn und qn teilerfremd sind, sind auch p 2 n und q 2 n teilerfremd. Der Bruch in (∗) kann also nicht<br />
gekürzt werden und deshalb nicht den Wert 2 annehmen.<br />
2. • Wir stellen die Gleichung (∗) um:<br />
p 2 n = 2 · q 2 n<br />
• Wir führen für diese Gleichung einen Endziffernvergleich durch:<br />
qn 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9<br />
q 2 n 0 1 4 9 6 5 6 9 4 1<br />
p 2 n = 2q 2 n 0 2 8 8 2 0 2 8 8 2<br />
Das bedeutet, dass p 2 n = 2q 2 n als Endziffer eine 0, eine 2 o<strong>der</strong> eine 8 haben muss.<br />
• Da p 2 n eine Quadratzahl ist, kommt aber nur 0 in Frage.<br />
• <strong>Die</strong> Tabelle zeigt dann, dass q 2 n als Endziffern eine 0 o<strong>der</strong> 5 haben muss, in jedem Fall ist q 2 n<br />
durch 5 teilbar.<br />
• Dann ist aber auch p 2 n durch 5 teilbar.<br />
• Also sind sowohl pn als auch qn durch 5 teilbar.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 36<br />
• Das steht im Wi<strong>der</strong>spruch dazu, dass p n und q n teilerfremd sind.<br />
Bemerkung: Beiden Beweisen liegen etwas tiefergehende Sätze über Zahldarstellung zugrunde: <strong>Die</strong> Existenz<br />
und Eindeutigkeit <strong>der</strong> Primzahldarstellung bzw. die Existenz und Eindeutigkeit <strong>der</strong> Dezimaldarstellung<br />
von natürlichen Zahlen.<br />
Überlege: Für eine Zahl n ∈ N sind die folgenden Aussagen äquivalent:<br />
• n ist eine Quadratzahl, das heißt es gibt eine natürliche Zahl m, so dass m 2 = n.<br />
• Es gibt eine rationale Zahl p<br />
q<br />
mit ( p<br />
q )2 = n.<br />
In <strong>der</strong> Schule könnte man sich das folgende Vorgehen (innerhalb einer längeren Unterrichtssequenz o<strong>der</strong><br />
eines kleineren Projekts) vorstellen.<br />
Einstieg: Wir suchen eine rationale Zahlen p<br />
(dabei sind also p und q natürliche Zahlen), <strong>der</strong>en Quadrat<br />
q<br />
gleich zwei ist.<br />
Durch Raten:<br />
� �2 14<br />
10<br />
� �2 1387<br />
981<br />
= 142 196<br />
= = 1, 96<br />
102 100<br />
= 142 196<br />
= ≈ 1, 999<br />
102 100<br />
Wettbewerb: Wer hat die zwei Zahlen p und q ermittelt, so dass<br />
Einsatz von Taschenrechner o<strong>der</strong> Computer.<br />
� �2 p<br />
am nähesten bei <strong>der</strong> Zahl 2 liegt?<br />
q<br />
Es stellt sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit heraus, dass niemand zwei Zahlen finden kann, so dass<br />
(Wenn doch: Belohnung 1000 ∈). Hat dies einen tieferen Grund?<br />
�<br />
� �2 p<br />
= 2 ist.<br />
q<br />
Zusatzfrage: Gibt es zwei rationale Zahlen (Brüche), für die das Quadrat des Quotienten gleich 2 ist?
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 37<br />
4.2 Intervallschachtelungen<br />
4.2.1 Mathematische Grundlegung<br />
Definitionen:<br />
1. Eine Folge (In)n∈N von Intervallen In = [an, bn] ⊆ Q, n ∈ N, heißt Intervallschachtelung (auf Q),<br />
wenn<br />
• In+1 ⊆ In für alle n ∈ N.<br />
• limn→∞ In = limn→∞(bn − an) = 0.<br />
2. Eine Intervallschachtelung (In)n∈N heißt feiner als eine an<strong>der</strong>e Intervallschachtelung (Jn)n∈N, wenn<br />
zu jedem n ∈ N ein m ∈ N existiert, so dass<br />
In ⊆ Jm.<br />
3. Auf <strong>der</strong> Menge I(Q) <strong>der</strong> Intervallschachtelungen von Q definieren wir eine Relation (In)n∈N ∼<br />
(Jn)n∈N durch die folgende Eigenschaft:<br />
(In)n∈N ist feiner als (Jn)n∈N und (Jn)n∈N ist feiner als (In)n∈N.<br />
4. <strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> Äquivalenzklassen bezüglich dieser Äquivalenzrelation heißt die Menge <strong>der</strong> reellen<br />
Zahlen R.<br />
Bemerkungen<br />
• <strong>Die</strong> Relation ,,feiner” ist reflexiv und transitiv und damit eine Quasiordnung. Sie ist nicht antisymmetrisch.<br />
Ganz allgemein kann man einer Quasiordnung � durch die obige Symmetrisierung eine<br />
Äquivalenzrelation zuordnen.<br />
• An<strong>der</strong>e Verfahren zur Vervollständigungs–Konstruktion <strong>der</strong> reellen Zahlen beruhen auf den Begriffen<br />
<strong>der</strong> . . .<br />
– Cauchy–Folgen: Vervollständigung beliebiger metrischer Räume o<strong>der</strong><br />
– Dedekind’schen Schnitte: Vervollständigung beliebiger geordneter Mengen,<br />
– q–adische Entwicklungen: Nicht–periodische Entwicklungen stehen für reelle Zahlen (Oft in<br />
<strong>der</strong> Schulpraxis).<br />
4.2.2 Schulische Umsetzung<br />
Natürlich sind die obigen Formulierungen zu abstrakt–formal gehalten, als dass sie in <strong>der</strong> Schule präsentiert<br />
werden könnten. Eine Abschwächung (,,Elementarisierung”) könnte wie folgt geschehen:<br />
1. Es seien Intervalle<br />
I1 = [a1, b1], I2 = [a2, b2], I3 = [a3, b3], . . .<br />
mit a1, b1, a2, b2, a3, b3, . . . ∈ Q vorgegeben. Man spricht von einer Intervallschachtelung, wenn<br />
• jedes dieser Intervalle in dem Vorgängerintervall enthalten ist, d.h.<br />
an ≤ an+1 ≤ bn+1 ≤ bn<br />
und<br />
• die Längen <strong>der</strong> Intervalle immer kleiner werden und sich dabei immer mehr dem Wert Null<br />
annähern.<br />
2. Jede Intervallschachtelung legt eindeutig eine Zahl fest.<br />
3. <strong>Die</strong> Menge <strong>der</strong> so festgelegten Zahlen heißt die Menge <strong>der</strong> reellen Zahlen.<br />
Grundsatzproblem in <strong>der</strong> Schule: Intervallschachtelungen werden als Näherungsverfahren, nicht als Konstruktionsverfahren<br />
verstanden. <strong>Die</strong>ser Eindruck wird noch verstärkt dadurch, dass bei <strong>der</strong> Umsetzung<br />
in Beispielen meist dezimale (taschenrechnergestützte) Intervallschachtelungen vorgenommen werden.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 38<br />
4.3 Das Heron–Verfahren<br />
Geometrische Idee: Quadratur des Rechtecks.<br />
Beim Heronverfahren werden iterativ Intervalle [xn; yn] bestimmt, die eine Intervallschachtelung darstellen,<br />
so dass die zu lokalisierende Quadratwurzel in jedem Intervall enthalten ist.<br />
Mathematische Grundlegung: Es sei a > 0 eine fest gegebene Zahl. Zur Vereinfachung <strong>der</strong> Schreibweisen<br />
führen wir für beliebige x ∈ R + das Symbol<br />
Ix := � min{x, a a<br />
}, max{x,<br />
x x }�<br />
für das durch x und a<br />
x<br />
Lemma:<br />
begrenzte Intervall ein.<br />
(i) Für jede beliebige Zahl x ≥ 0 gilt √ a ∈ Ix.<br />
(ii) Es gilt die Implikation<br />
y ∈ Ix =⇒ Iy ⊆ Ix.<br />
Beweis (i) Durch Multiplikation mit √ a<br />
x<br />
x ≤ √ a =⇒ √ a ≤ a<br />
x .<br />
Dabei kann ≤ durch ≥ ersetzt werden.<br />
(ii) <strong>Die</strong> erste Aussage ist gleichbedeutend mit:<br />
x ≤ y ≤ a<br />
x<br />
o<strong>der</strong><br />
a<br />
≤ y ≤ x.<br />
x<br />
entsteht die Implikation<br />
Wir wenden die Operation a : auf diese Ungleichungen an und erhalten<br />
a a<br />
a a<br />
≥ ≥ x o<strong>der</strong> x ≥ ≥<br />
x y y x .<br />
Also sind beide Grenzen des neuen Intervalls Iy im alten Intervall Ix enthalten. �<br />
Auf dieser Beobachtung beruht das Heronverfahren zur Bestimmung von √ a. Dabei werden Intervalle<br />
<strong>der</strong> obigen Form immer weiter verkleinert.<br />
1. Eine Grenze x1 für das Anfangsintervall I1 = I(x1) wird frei gewählt.<br />
2. Das jeweils folgende Intervall In+1 erhält man dadurch, dass man als eine neue Intervallgrenze den<br />
Mittelwert <strong>der</strong> beiden alten wählt: In+1 := I(<br />
a xn+ xn<br />
2 ).<br />
Aus den obigen Überlegungen folgt, dass die so definierte Folge eine Intervallschachtelung bildet:<br />
• Es gilt: In+1 ⊆ In. (vgl. oben (ii)).<br />
• Für die Intervalllängen gilt:<br />
|In+1| < 1<br />
· |In|.<br />
2<br />
<strong>Die</strong>s liegt daran, dass <strong>der</strong> Mittelwert <strong>der</strong> alten Intervallgrenzen eine neue Intervallgrenze bildet.<br />
<strong>Die</strong> an<strong>der</strong>e Intervallgrenze liegt ebenfalls innerhalb des alten Intervalls.<br />
• <strong>Die</strong> Intervalllängen bilden also eine Nullfolge.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 39<br />
5 Potenzen<br />
5.1 Von 2 3 bis π √ 3+2i : Erweiterungen <strong>der</strong> Definitionsmenge<br />
N × N <strong>Die</strong> Potenz ist zunächst definiert als eine Funktion<br />
⎧<br />
⎨ N × N → N<br />
↑<br />
⎩<br />
(a, s) ↦→ as :=<br />
�<br />
a · .<br />
��<br />
. . · a<br />
�<br />
s–mal<br />
die eine ,,abkürzende Schreibweise” für die wie<strong>der</strong>holte Multiplikation von Zahlen beinhaltet. Mathematisch<br />
befriedigen<strong>der</strong> ist die rekursive Definition:<br />
a 1 = a, a s+1 = a · a s , s ∈ N.<br />
<strong>Die</strong> Zahl a heißt in diesem Zusammenhang Grundzahl o<strong>der</strong> Basis, die Zahl n Hochzahl o<strong>der</strong> Exponent.<br />
Aus <strong>der</strong> Definition direkt ableitbar sind die drei Funktionalgleichungen (a, r, s ∈ N)<br />
(F G I) (a · b) s = (a · b) . . . · (a · b)<br />
� �� �<br />
s–mal<br />
(F G II) a r+s = a · . . . · a<br />
� �� �<br />
(r + s)–mal<br />
(F G III) a r·s = a · . . . · a<br />
� �� �<br />
(r · s)–mal<br />
= a · . . . · a<br />
� �� �<br />
r–mal<br />
= a · . . . · a<br />
� �� �<br />
s–mal<br />
= a r · . . . · a r<br />
� �� �<br />
= (a<br />
s–mal<br />
r ) s<br />
· b<br />
�<br />
· .<br />
��<br />
. . ·<br />
�<br />
b = a<br />
s–mal<br />
s · b s<br />
· a<br />
�<br />
· .<br />
��<br />
. . · a<br />
�<br />
= a<br />
s–mal<br />
r · a s<br />
Im schulischen Kontext wird man hier normalerweise den Buchstaben n für den Exponenten verwenden,<br />
um zu betonen, dass es sich um natürliche Zahlen handelt.<br />
Das dem Hankel’schen Permanenzprinzip folgende Programm beinhaltet nun, die ,,Definitionsmenge”<br />
N × N auf größere Teilmengen von R × R (o<strong>der</strong> sogar C × C und noch weiter) zu<br />
1. erweitern, so dass<br />
2. die obigen Funktionalgleichungen gültig bleiben (bleiben = permanere)<br />
3. und die Funktion stetig ist.<br />
Dabei kann auch die Wertemenge geeignet vergrößert werden.<br />
Wir führen im folgenden dieses Programm durch. <strong>Die</strong> erweiterten Definitionsmengen sind jeweils<br />
in Rahmen gesetzt.<br />
Q ∗ × N (Zur Erinnerung: Q ∗ = Q \ {0}) Ganz zwanglos kann die Idee <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holten Definition auf<br />
rationale Zahlen ungleich Null als Basis erweitert werden, die rationale Zahlen sind:<br />
a s := a<br />
�<br />
· .<br />
��<br />
. . · a<br />
�<br />
,<br />
s–mal<br />
(a, s) ∈ Q ∗ × N.<br />
Dabei bleiben die drei Funktionalgleichungen gültig.<br />
<strong>Die</strong> Zahl 0 als Basis wollen wir von vornherein ausschließen, da sie sich innerhalb des folgenden<br />
Programms ständig als Son<strong>der</strong>fall erweist. Der Aufwand für eine ständige Berücksichtigung dieses<br />
Son<strong>der</strong>falls lohnt sich nicht. Wir werden diesen Sachverhalt am Schluss noch einmal diskutieren.<br />
Q ∗ × N0 <strong>Die</strong> Funktionalgleichung (FG II) soll weiter gelten, wenn die Null als Exponent auftritt. Das bedeutet<br />
a s · a 0 = a s+0 = a s .
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 40<br />
<strong>Die</strong> Multiplikation mit a 0 verän<strong>der</strong>t die Zahl a s �= 0 nicht. Es muss also<br />
sein.<br />
a 0 = 1<br />
Es stellt sich heraus, dass die drei Funktionalgleichungen bei dieser Erweiterung <strong>der</strong> Definitionsmenge<br />
erfüllt bleiben.<br />
Q ∗ × Z Zur Aufrechterhaltung <strong>der</strong> zweiten Funktionalgleichung muss beim Auftreten von negativen Exponenten<br />
gelten<br />
a s · a −s = a s+(−s) = a 0 = 1, (a, s) ∈ Q ∗ × N.<br />
Man kann daher sinnvoll definieren<br />
a −s := 1<br />
=<br />
as 1<br />
.<br />
a<br />
�<br />
· .<br />
��<br />
. . · a<br />
�<br />
s–mal<br />
Es stellt sich heraus (Beweis), dass die drei Funktionalgleichungen erfüllt bleiben.<br />
Q + × Q Es sei s = 1<br />
n ∈ Q <strong>der</strong> Kehrwert einer natürlichen Zahl. Es muss aufgrund <strong>der</strong> FG III dann gelten:<br />
(a 1<br />
n ) n = a 1<br />
n ·n = a 1 = a.<br />
Nachdem also die n–te Potenz von a 1<br />
n gleich a ist, ist es sinnvoll zu definieren:<br />
a 1<br />
n = n√ a.<br />
Für gerades n könnte man hier auch a 1<br />
n = − n√ a setzen, diese Vorgehensweise führt<br />
jedoch wegen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Funktionalgleichungen in Schwierigkeiten, beispielsweise so:<br />
Ist jetzt s = p<br />
q<br />
a 1<br />
2 = a 1<br />
4 · a 1<br />
4 = (− 4√ a) · (− 4√ a) = 4√ a · 4√ a = 2√ a = −a 1<br />
2 .<br />
eine beliebige rationale Zahl, so definiert man:<br />
a s 1 p·<br />
= a q = (a 1<br />
q ) p = � q √ a �p = (a p ) 1<br />
q = q√ a p<br />
Beachte, dass wegen des Auftretens von Wurzeln ab hier die Menge R <strong>der</strong> reellen Zahlen als<br />
Wertemenge <strong>der</strong> Potenz gesetzt werden muss.<br />
Es stellt sich einmal mehr heraus, dass die drei Funktionalgleichungen erfüllt bleiben.<br />
R + × R Wir stellen zwei Fakten zusammen:<br />
– <strong>Die</strong> Menge Q + × Q liegt dicht in R + × R, das heißt zu jedem (a, s) ∈ R + × R existiert eine<br />
Folge (an, sn) ⊆ Q + × Q, so dass<br />
lim<br />
n→∞ (an, sn) = (a, s).<br />
– <strong>Die</strong> Abbildung<br />
↑<br />
ist stetig.<br />
� Q + × Q → R<br />
(a, s) ↦→ a s
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 41<br />
Sie ermöglichen es, die Potenz auf R + × R in eindeutiger Weise fortzusetzen:<br />
Für (a, s) ∈ R + × R setzen wir<br />
a s := lim<br />
n→∞ asn<br />
n , wobei (an, sn) ⊆ Q + × Q mit lim<br />
n→∞ (an, sn) = (a, s).<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Stetigkeit ist diese Definition unabhängig von <strong>der</strong> ausgewählten Folge.<br />
Man kann leicht zeigen, dass die Funktionalgleichungen weiter richtig bleiben.<br />
Steht die Exponentialfunktion<br />
⎧<br />
⎪⎨ R → R<br />
exp<br />
⎪⎩<br />
+<br />
x ↦→ exp(x) :=<br />
∞�<br />
k=0<br />
x k<br />
k!<br />
und <strong>der</strong> natürliche Logarithmus ln : R + → R als ihre Umkehrfunktion zur Verfügung, so kann man<br />
die Potenz auch definieren als<br />
�<br />
+ R × R → R<br />
↑<br />
.<br />
(a, s) ↦→ exp(s · ln a)<br />
Es lässt sich leicht zeigen, dass diese Definition mit <strong>der</strong> bisherigen übereinstimmt.<br />
C ⊸ × C <strong>Die</strong> Definition über die Exponentialfunktion bietet den Zugang für eine weitere Erweiterung des<br />
Definitionsmenge.<br />
In <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> komplexen Zahlen kann man aufzeigen, dass die Exponentialfunktion auch als<br />
Funktion von komplexen Zahlen definiert werden kann:<br />
⎧<br />
⎪⎨ C → C<br />
exp<br />
⎪⎩<br />
∗<br />
∞� z<br />
z ↦→ exp(z) :=<br />
k<br />
k!<br />
k=0<br />
Schränkt man dabei die Wertemenge C ∗ auf die längs <strong>der</strong> negativen Realteilachse aufgeschnittene<br />
komplexe Ebene<br />
C ⊸ := C \ R − 0<br />
ein, so wird die Exponentialfunktion bijektiv. <strong>Die</strong> Umkehrfunktion<br />
�<br />
⊸ C<br />
log<br />
z<br />
→<br />
↦→<br />
C<br />
log(z)<br />
heißt Hauptzweig des komplexen Logarithmus.<br />
Man kann dann die Potenz für komplexe Zahlen definieren als<br />
a s = exp(s log a), (a, s) ∈ C ⊸ × C<br />
Damit ist beispielsweise auch <strong>der</strong> Ausdruck i i definiert. Es stellt sich heraus, dass dies eine reelle<br />
positive Zahl ist:<br />
i i = exp(i · log i) = exp(i · i π<br />
2<br />
π<br />
) = exp(−π ) = e− 2 ≈ 0, 207 879 576.<br />
2<br />
<strong>Die</strong> Funktionalgleichungen sind in diesem Zusammenhang nur noch eingeschränkt gültig, bemüht<br />
man die Theorie <strong>der</strong> ,,Überlagerungen <strong>der</strong> komplexen Ebene”, so kann man diese Einschränkung<br />
wie<strong>der</strong> beseitigen.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 42<br />
Beim Versuch, auch die Potenz 0 0 sinnvoll zu definieren, stößt man auf die folgenden Ideen:<br />
– Zunächst ist<br />
0 s = 0<br />
für alle s ∈ N, dann s = p<br />
q ∈ Q+ , dann s ∈ R + . Aus Stetigkeitsgründen sollte also gelten:<br />
0 0 = lim<br />
s↘0 0 s = lim<br />
s↘0 0 = 0.<br />
– An<strong>der</strong>erseits ist aber<br />
a 0 = 1 für a �= 0<br />
woraus man folgern kann:<br />
0 0 = lim a<br />
•<br />
a→0 0 = lim 1 = 1.<br />
•<br />
a→0 Es tritt also eine Mehrdeutigkeit auf: <strong>Die</strong> Potenz kann nicht stetig in den Punkt (0, 0) fortgesetzt<br />
werden.<br />
Übung: Berechnen Sie lim<br />
x↘0 x x .<br />
5.2 Kontextfel<strong>der</strong><br />
<strong>Algebra</strong>:<br />
• Einfache Zahlpotenzen (insbeson<strong>der</strong>e Zweier–Potenzen),<br />
• b–adische Zahlsysteme,<br />
• Potenzrechnen innerhalb des Termrechnens,<br />
• Potenzrechnen innerhalb <strong>der</strong> Gleichungslehre.<br />
Analysis:<br />
• Potenzfunktion,<br />
• Exponentialfunktion,<br />
• Diskussion <strong>der</strong> Funktionsgraphen, (,,Kurven”).<br />
Sachkontexte:<br />
• Geometrische Summe: ,,Reiskörner auf dem Schachbrett”<br />
• Zinseszins,<br />
• Kombinatorik: Ziehen mit Zurücklegen unter Beachtung <strong>der</strong> Reihenfolge.<br />
• Exponentielles Wachstum.<br />
Geometrische Kontexte:<br />
• Quadrate: Flächen von Quadraten, Kreisflächen,<br />
• Kuben: Volumina von Würfeln, Kugeln.<br />
•<br />
Sonstiges:<br />
• Wissenschaftliche Zahldarstellung: Astronomische Zahlen.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 43<br />
5.3 Schulpraktische Aspekte<br />
Während die erste grundlegende Definition (auf N × N) noch relativ konkret–anschaulich ist, beruhen die<br />
Erweiterungen auf innermathematischen algebraischen Überlegungen.<br />
Da dann in diesem erweiterten Zusammenhang die Regeln des Potenzrechnens (die drei Funktionalgleichungen)<br />
nur formal–verordnet empfunden werden, ergeben sich Lernschwierigkeiten und typische<br />
Fehlermuster.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 44<br />
6 Funktionen<br />
Eine Funktion einer verän<strong>der</strong>lichen Größe ist ein Ausdruck, <strong>der</strong> auf irgendeine Weise aus <strong>der</strong><br />
verän<strong>der</strong>lichen Größe und Konstanten zusammengesetzt ist.<br />
Johann Bernoulli, (ch, 1667 – 1748, 1718).<br />
Steht eine Variable y so in Beziehung zu einer Variablen x, dass zu jedem numerischen Wert<br />
von x gemäß einer Vorschrift ein eindeutiger Wert von y gehört, so heißt y eine Funktion <strong>der</strong><br />
unabhängigen Variablen x.<br />
P.G. Lejeune Dirichlet (dt, 1805 – 1859, 1837).<br />
<strong>Die</strong>se beiden Definitionen von Funktionen sind geprägt von dem syntaktischen bzw. semantischen Aspekt.<br />
<strong>Die</strong> zweite Definition ermöglicht einen viel größeren Spielraum bei <strong>der</strong> Definition von Funktionen, so ist<br />
beispielsweise die nirgends–stetige Dirichlet–Funktion f : R → R erst so ,,definierbar”.<br />
f(x) :=<br />
� 1, falls x ∈ Q,<br />
0, falls x ∈ R \ Q.<br />
6.1 Mathematische Fundierung<br />
Es seien A und B zwei Mengen.<br />
1. Für a ∈ A und b ∈ B definiert man das geordnete Paar als die Menge<br />
� �<br />
(a, b) := {a, b}, a .<br />
Das wesentliche an dieser Definition ist, dass die so gebildete Menge den folgenden unscheinbaren,<br />
aber bedeutungsvollen Satz erfüllt:<br />
Es gilt (a, b) = (c, d) ⇐⇒ a = c und b = d.<br />
Ist <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> obigen ,,umständlichen” Definition basierende Satz akzeptiert, so kann diese wie<strong>der</strong><br />
in den Hintergrund treten.<br />
2. Das Kartesische Produkt (René Descartes, fr, 1596 – 1650) <strong>der</strong> Mengen A und B ist die Menge <strong>der</strong><br />
geordneten Paare:<br />
� �<br />
�<br />
�<br />
A × B := (a, b) � a ∈ A, b ∈ B .<br />
3. Eine Relation R zwischen A und B ist eine beliebige Teilmenge von A × B.<br />
Gut kann man das mit Hilfe eines Liniendiagramms (Venn–Diagramms) veranschaulichen:<br />
A<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
.<br />
.<br />
✉<br />
✉<br />
.<br />
✉<br />
Zwischen einem Element a ∈ A und einem Element b ∈ B wird genau dann eine Linie gezogen,<br />
wenn (a, b) ∈ R.<br />
B<br />
.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 45<br />
4. Eine Relation zwischen A und B heißt<br />
(♣) links–total,<br />
(♠) rechts–eindeutig,<br />
(♥) rechts–total,<br />
(♦) links–eindeutig,<br />
wenn für jedes<br />
Im Diagramm veranschaulicht heißt dies: In<br />
✉ . .<br />
✉ .<br />
. ✉<br />
A B<br />
(♣) ist verletzt<br />
✉ . .<br />
✉ .<br />
. ✉ .. .<br />
A B<br />
(♥) ist verletzt<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
a ∈ A mindestens ein b ∈ B<br />
a ∈ A höchstens ein b ∈ B<br />
b ∈ B mindestens ein a ∈ A<br />
b ∈ B höchstens ein a ∈ A<br />
.<br />
.<br />
a ∈ A startet mindestens<br />
a ∈ A startet höchstens<br />
b ∈ B endet mindestens<br />
b ∈ B endet höchstens<br />
.<br />
existiert, so dass (a, b) ∈ R.<br />
eine Linie.<br />
✉ . .<br />
✉ .<br />
. ✉ . .<br />
A B<br />
(♠) ist verletzt<br />
✉<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
✉ .<br />
✉ . .<br />
A B<br />
(♦) ist verletzt<br />
5. Eine Relation zwischen A und B heißt Funktion, wenn sie links–total und rechts–eindeutig ist: Zu<br />
jedem a ∈ A existiert genau ein b ∈ B, so dass (a, b) ∈ R.<br />
In diesem Zusammenhang heißt A Definitionsmenge und B Wertemenge <strong>der</strong> Funktion. <strong>Die</strong> Menge<br />
� �<br />
�<br />
b ∈ B�<br />
Es ex. a ∈ A, so dass<br />
�<br />
(a, b) ∈ R<br />
heißt Bild(–menge) <strong>der</strong> Funktion.<br />
Eine Funktion wird nicht mehr — wie bei <strong>der</strong> Definition als Relation mit speziellen Eigenschaften<br />
naheliegend — als ein statisches Objekt aufgefasst, son<strong>der</strong>n eher dynamisch: Es geschieht eine<br />
Zuordnung von Punkten b ∈ B zu Punkten a ∈ A. <strong>Die</strong>s wird auch in einer gänzlich verän<strong>der</strong>ten<br />
Notation deutlich:<br />
�<br />
A → B<br />
f :<br />
a ↦→ f(a)<br />
f(a) ist dabei ein irgendwie gearteter mathematisch sinnvoller Ausdruck (Term, Textdefinition,<br />
auch per Fallunterscheidung,. . . ).<br />
6. Eine Funktion heißt<br />
injektiv,<br />
surjektiv,<br />
bijektiv,<br />
wenn sie zusätzlich<br />
links-eindeutig<br />
rechts-total<br />
links-eindeutig und rechts-total<br />
✉<br />
✉<br />
. .<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
✉<br />
ist.<br />
.<br />
.<br />
.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 46<br />
7. Im letzten Fall ist die Spiegelrelation<br />
R −1 :=<br />
� � �<br />
�<br />
(b, a) �(a, b) ∈ R ⊆ B × A<br />
ebenfalls eine Funktion. Sie heißt Umkehrfunktion zu R.<br />
Beispiele: Quadratfunktion, Wurzelfunktion.<br />
6.2 Schulische Praxis<br />
<strong>Die</strong> Definition erfolgt heute nicht mehr über den viel zu abstrakten Relationsbegriff, son<strong>der</strong>n anschaulich:<br />
Es seien D und W zwei Mengen. Eine Vorschrift, die<br />
• jedem Element aus D<br />
• genau ein Element aus W<br />
zuordnet, heißt Funktion von D nach W.<br />
Es handelt sich also letztlich um einen Ettikettenschwindel: Der Ausdruck ,,Vorschrift” ist ja genauso<br />
wenig definiert wie <strong>der</strong> Begriff ,,Funktion”.<br />
Einige Kommentare:<br />
• <strong>Die</strong> Mengen sind Teilmengen (meist: Intervalle) des aktuellen Zahlbereichs (Q, R o<strong>der</strong> C). (In <strong>der</strong><br />
Geometrie tritt ebenfalls <strong>der</strong> Funktionsbegriff (als Abbildungsbegriff auf, hier sind die zugrundeliegenden<br />
Mengen Teilmengen <strong>der</strong> ,,Zeichenebene”). <strong>Die</strong> Elemente <strong>der</strong> Definitionsmenge werden<br />
praktisch immer mit dem Buchstaben x und die <strong>der</strong> Wertemenge mit y bezeichnet. (Vor- und<br />
Nachteile)<br />
• In <strong>der</strong> Notation wird die Mengenebene unterdrückt. Man schreibt also nur<br />
f : x ↦→ f(x)<br />
• Einige beson<strong>der</strong>e Bezeichnungen seien anhand des Beispiels f(x) = 2x 2 − 5 erklärt:<br />
• Funktionsvorschrift: x ↦→ 2x 2 − 5.<br />
• Funktionsterm: 2x 2 − 5.<br />
• Funktionsgleichung: y = 2x 2 − 5.<br />
• Hinsichtlich des Begriffs <strong>der</strong> Definitionsmenge treten Inkonsistenzen auf. In <strong>der</strong> allgemeinen Einführung<br />
des Funktionsbegriffs tritt die Definitionsmenge — korrekt — als vorgegebenes Objekt auf.<br />
In <strong>der</strong> Praxis muss dann immer die (maximale) Definitionsmenge aus dem Funktionsterm f(x) als<br />
Teilmenge einer Grundmenge (R) bestimmt werden (Nenner dürfen nicht Null, Radikanden nicht<br />
negativ sein, Logarithmusargumente müssen positiv sein,. . . ).<br />
• In <strong>der</strong> Schulpraxis tritt nur <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Wertemenge, nicht <strong>der</strong> <strong>der</strong> Bildmenge in Erscheinung.<br />
In <strong>der</strong> Analysis <strong>der</strong> Oberstufe wird die Wertemenge immer auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Definitionsmenge<br />
und des Funktionsterms als Teilmenge von R bestimmt. Das Problem <strong>der</strong> Surjektivität bleibt<br />
ausgeklammert. <strong>Die</strong> Frage <strong>der</strong> Umkehrbarkeit einer Funktion ist auf das Problem <strong>der</strong> Injektivität<br />
reduziert.<br />
Insgesamt tritt hier ein in <strong>der</strong> Schulmathematik häufiger zu beobachtendes Phänomen auf:<br />
Es werden Begriffe vermeintlich exakt eingeführt. Beim langfristigen Umgang mit ihnen werden sie aber<br />
— aufgrund Zweckmäßigkeit, Unwissenheit, Schülerüberfor<strong>der</strong>ung, Vermeidung von Penibilität o<strong>der</strong> Pathologien<br />
— in abgewandelter o<strong>der</strong> verschleierter Bedeutung benutzt.<br />
Beispiele: Begriff <strong>der</strong> Definitionsmenge, Wertemenge, Äquivalenz von Termen. <strong>Die</strong>ses Dilemma tritt auch<br />
in <strong>der</strong> Analysis <strong>der</strong> Oberstufe (Kurvendiskussion) auf.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 47<br />
6.2.1 Der Funktionenfundus <strong>der</strong> Gymnasialmathematik<br />
Folgende Funktionen werden — gemäß Lehrplan — in den angegebenen Jahrgangsstufen eingeführt. Der<br />
Begriff Funktion tritt erst in 8/9 in Erscheinung.<br />
FUNKTIONEN IN DER ALGEBRA:<br />
6 Direkte und indirekte Proportionalität.<br />
8 Lineare und abschnittsweise lineare Funktionen.<br />
9 Quadratische und Wurzelfunktionen, Betragsfunktion.<br />
10 Potenz, Exponential- und Logarithmusfunktionen, trigonometrische Funktionen.<br />
11 Polynomfunktionen, Abschnittsweise definierte Funktionen, Zusammengesetzte Funktionen.<br />
11, Additum Gauß–Klammer (größter Ganzzahlanteil), Signumfunktion, Funktionen aus <strong>der</strong> Informatik (Portofunktion).<br />
12 Natürliche Exponential- und Logarithmusfunktion.<br />
13 Rationale Funktionen.<br />
LK Umkehrfunktionen <strong>der</strong> trigonometrischen Funktionen.<br />
ABBILDUNGEN IN DER GEOMETRIE:<br />
7 Punkt- und Achsenspiegelungen, Verschiebungen, Drehungen, allg. Kongruenzabbildungen.<br />
9 Zentrische Streckung, Raumgeometrische Abbildungen.<br />
13 Affine und lineare Abbildungen.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 48<br />
6.2.2 Darstellung von Funktionen als Graphen<br />
Wert<br />
y<br />
1<br />
Wertemenge<br />
. .<br />
.<br />
.<br />
.<br />
.<br />
...............<br />
1<br />
.<br />
x<br />
Stelle<br />
Definitionsmenge<br />
.<br />
• <strong>Die</strong> Definitionsmenge wird als (Teilmenge <strong>der</strong>) Rechtswertachse (horizontale Achse, x–Achse) aufgefasst.<br />
• <strong>Die</strong> Wertemenge wird als (Teilmenge <strong>der</strong>) Hochwertachse (vertikale Achse, y–Achse) aufgefasst.<br />
• <strong>Die</strong> graphische Darstellung <strong>der</strong> Funktion geschieht dadurch, dass je<strong>der</strong> Punkt (x, y) <strong>der</strong> Relation<br />
im Koordinatensystem markiert wird. Damit ist<br />
�<br />
Gf = P (x, y) ∈ E � �<br />
� x ∈ D ∧ y = f(x) ⊆ D × W.<br />
Damit ist <strong>der</strong> Graph einer Funktion f im streng mengentheoretischen Sinn gleich dieser Funktion.<br />
• Der � Graph hat mit je<strong>der</strong> vertikalen Gerade durch eine Stelle <strong>der</strong> Definitionsmenge<br />
mindestens (↔ linkstotal)<br />
einen, d.h. genau einen, Punkt gemeinsam.<br />
höchstens (↔ rechtseindeutig)<br />
Bei <strong>der</strong> graphischen Darstellung tritt <strong>der</strong> ,,dynamische” Charakter <strong>der</strong> Funktion (Zuordnung) in den<br />
Hintergrund, <strong>der</strong> Graph ist eher ein ,,statisches” Objekt.<br />
Unterscheide die Begriffe<br />
Symbol Begriff Element <strong>der</strong> . . . graphisch . . .<br />
x Stelle Definitionsmenge Rechtswertachse<br />
(x-Achse)<br />
y Wert Wertemenge Hochwertachse<br />
(y-Achse)<br />
(x, y) Punkt Kart. Produkt Zeichenebene<br />
(x, y)–Koordinatensystem<br />
.<br />
.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 49<br />
6.3 Kontextfel<strong>der</strong> zur Exponentialfunktion<br />
• Wachstum von Populationen:<br />
– Bakterien, Pilzkulturen, Ameisen, Fischen, Weltbevölkerung.<br />
– Ausbreitung von Krankheiten<br />
– Weltbevölkerung,<br />
• Preissteigerungen: Lohnerhöhung, Mieterhöhung,<br />
• Physik:<br />
– Barometrische Höhenformel,<br />
– Radioaktiver Zerfall<br />
– Modellversuch: Bierschaum–Zerfall<br />
– Kondensator–Auf- o<strong>der</strong> Entladung.<br />
– Größe <strong>der</strong> Kohlendioxidbläschen im Sektglas.<br />
• Wirtschaft, Geld:<br />
– Zinseszins<br />
– Dynamisches Sparen, Lebensversicherung<br />
– Legende von den Reiskörnern auf dem Schachbrett<br />
• Kettenbrief–Aktionen.<br />
• Experiment: Stochastische Münzen–Vermehrung (Vgl. XQuadrat 10).
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 50<br />
7 Sachrechnen<br />
Sachrechnen . . .<br />
• ist im allgemeinen sehr unbeliebt. Schüler reagieren auf die Ankündigung von Sachrechnen mit<br />
Mißmut.<br />
• offenbart gerade die ,,anwendungsorientierte” Seite von Mathematik.<br />
• gibt eigentlich am ehesten eine Antwort auf die von Schülern geäußerte Frage ,,Wozu brauchen wir<br />
das alles?” versucht.<br />
• lässt sich nur schwer algorithmisieren. Das stellt sich für eher schwache Schüler als problematisch<br />
dar. Typischerweise lässt sich <strong>der</strong> Taschenrechner nicht einsetzen.<br />
• erfor<strong>der</strong>t flexible o<strong>der</strong> ungewöhnliche Strategien bis hin zur Anwendung von Tricks und Kniffs.<br />
• durchzieht alle Schularten, Jahrgangsstufen und mathematischen Teilgebiete.<br />
• transportiert unterschwellig Einstellungen und Informationen (Geschlechter- o<strong>der</strong> Schichtenproblematik,<br />
Lebensgewohnheiten (drei Flaschen Bier,. . . ))<br />
• wird in <strong>der</strong> öffentlichen Diskussion (Bsp. TIMSS, PISA) um den Mathematikunterricht im Sinne<br />
von Prinzipien wie Lebensnähe, Problemorientierung verstärkt angemahnt.<br />
7.1 Mathematische Modellbildung<br />
Das Grundprinzip <strong>der</strong> Wechselwirkung zwischen Wirklichkeit und Mathematik lässt sich anhand des<br />
folgenden Diagramms erfassen:<br />
.<br />
Offenes Sachproblem Offenes Mathematisches Problem<br />
Klärung<br />
.<br />
.<br />
Mathematisierung<br />
.<br />
Geklärtes Sachproblem Gelöstes Mathematisches Problem<br />
.<br />
Interpretation<br />
.<br />
.<br />
.<br />
Lösung<br />
<strong>Die</strong> Lösung eines Problems <strong>der</strong> Wirklichkeit (linker Down–Pfeil) wird gemäß diesem Diagramm<br />
ersetzt durch drei Schritte<br />
1 Mathematisierung<br />
2 Mathematisches Operieren<br />
3 Interpretation (Aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Mathematik: Anwendung)
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 51<br />
angegangen.<br />
<strong>Die</strong> Mathematisierung wird, je nach Situation, durch verschiedene spezielle Prozesse, realisiert:<br />
Wirklichkeit . Mathematisierung Mathematik<br />
Sachzusammenhang . Modellbildung Mathematisches Modell<br />
Anzahl (Kardinalität) . Abzählen Natürliche Zahl<br />
Größe . Messen Maßzahl (B, Q, Z, R, C, H)<br />
Wettbewerbssituation . ,,Ranking” Lineare Ordnung<br />
Hierarchien . . Halbordnung<br />
Kategorien . .<br />
Äquivalenzrelation<br />
Punkte <strong>der</strong> Zeichenebene . Koordinatensystem Zahlenpaare<br />
Daten . . Zufallsvariable auf W–Raum<br />
<strong>Die</strong> Mathematisierung ist selbst nicht Gegenstand <strong>der</strong> Mathematik mit<br />
ihren<br />
Einige Zitate<br />
• mathematischen Inhalten (Analysis, <strong>Algebra</strong>, Geometrie, Zahlentheorie, Stochastik,<br />
. . . ) und<br />
• spezifischen Arbeitsweisen (Fassung objektiver Begriffe, streng–logisches Schließen,<br />
rigoroses Beweisen, exaktes Rechnen, . . . )<br />
• ,,Is’ doch logisch!”<br />
• ,,Zahlen lügen nicht.”<br />
• ,,Ich glaube nur an die Statistik, die ich selbst gefälscht habe.”<br />
• ,,Es ist mathematisch erwiesen, dass Deutschland bei PISA 2003/Mathematik den 16.<br />
Platz belegt.”<br />
Für eine gute Mathematisierung sind eine geeignete Erfassung <strong>der</strong> Wirklichkeit, eine Kenntnis<br />
<strong>der</strong> mathematischen Modell–Palette, nicht zuletzt Übung und Erfahrung für das Zusammenspiel<br />
notwendig.<br />
Für den gleichen Sachverhalt <strong>der</strong> Wirklichkeit kann es viele verschiedene mathematische Modelle<br />
geben. <strong>Die</strong>s geschieht z.B. aufgrund . . .<br />
• unterschiedlicher Intentionen hinsichtlich Genauigkeit,<br />
• unterschiedlicher Intentionen hinsichtlich Auswirkungen, (B: Personalwahlrecht, Verhältniswahlrecht)
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 52<br />
• isomorpher (gleich–strukturierte) mathematischer Theorien<br />
• verschiedene Einheiten,<br />
• verschiedene Koordinatensysteme,<br />
• Zuordnung zu Variablen (B: x als die Zahl <strong>der</strong> Hasen o<strong>der</strong> die Zahl <strong>der</strong> Fasane.<br />
• unterschiedlicher Konventionen:<br />
Umgekehrt kann das gleiche mathematische Modell verschiedenste Sachzusammenhänge modellieren:<br />
• Beim Zählen von Äpfeln o<strong>der</strong> Zählen von Birnen wird das gleiche mathematische Modell<br />
benutzt, die natürlichen Zahlen.<br />
• Schwingungen einer Schraubenfe<strong>der</strong>, eines Fadenpendels, <strong>der</strong> Kondensatorladung in einem<br />
elektrischen Schwingkreis, . . . werden alle durch die gleiche Differentialgleichung modelliert.<br />
• Der Begriff des Grenzwerts liegt unzähligen verschiedenen Sachverhalten aus <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
zugrunde.<br />
Es gehört mit zum Wesen <strong>der</strong> Mathematik, Analogien und Diskrepanzen in solchen Modellen<br />
aufzuspüren.<br />
Manchmal spielt bei <strong>der</strong> Modellbildung die mathematische Zweckmäßigkeit eine Rolle:<br />
• Populationen (z.B. von Ameisen) werden durch reelle Zahlen beschrieben.<br />
• Kontinuierliche Größen (Zeit) werden durch diskrete Größen (Folge von Zeitpunkten) beschrieben,<br />
weil man dann Rechner einsetzen kann.<br />
• Idealisierung (Physik): Vernachlässigung von Reibung, Ausdehnung eines Körpers, Eigengewicht<br />
u.ä.<br />
7.2 Sachrechnen<br />
Das Sachrechnen lässt sich als schulisches Abbild des oben beschriebenen Problemlöseprozesses<br />
auffassen. Es dient dem Erlernen dieses Prozesses.<br />
Auf <strong>der</strong> Grundlage des obigen Diagramms lassen sich auch die Lernziele bzgl. des Sachrechnens<br />
geordnet darstellen:<br />
• <strong>Die</strong> Schüler/innen sollen fähig sein, die uns umgebende ,,Sachwelt” mit Hilfe<br />
mathematisch–strukturieren Denkens zu verstehen und sie mit Hilfe mathematischer Modelle<br />
beschreiben.<br />
• <strong>Die</strong> Schüler sollen einen Einblick gewinnen, wie Mathematik zur Lösung von Fragestellungen<br />
aus <strong>der</strong> Sachwelt angewandt werden kann.<br />
• <strong>Die</strong> Schüler/innen sollen einsehen, dass zahlreiche mathematische Theorien Modelle für<br />
Sachsituationen darstellen.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 53<br />
7.3 Typen von Sachaufgaben<br />
• Eingekleidete Mathematikaufgabe: Karlas Vater ist doppelt so alt wie ihr Bru<strong>der</strong>,. . . . . . .<br />
Wie alt ist Karla?<br />
• Rätselaufgabe, Denksportaufgabe, Scherzaufgabe: Welche Farbe hatte <strong>der</strong> Bär?<br />
• Echte Sachaufgabe, Stark simplifizierte Sachverhalte, Grad <strong>der</strong> Komplexität.<br />
• Direkte o<strong>der</strong> offene Fragestellung.<br />
• Spezielle Namen: Mischungsaufgaben, Röhrenaufgaben, Geschwindigkeitsaufgaben, Pfahlaufgaben,<br />
Bewegungsaufgaben (vgl. DidKoll 2001).<br />
• Eine Textaufgabe ist allgemeiner eine als Text gestellte Mathematikaufgabe. <strong>Die</strong>se muss<br />
nicht notwendig einen Sachbezug enthalten. Beispiel: Welche Zahl muss von 27 541 subtrahieren,<br />
um 9 616 als Ergebnis zu erhalten?<br />
• Tabellenkalkulation.<br />
<strong>Die</strong> den Sachaufgaben zugrundeliegenden Probleme sollten . . .<br />
• Situationen aus <strong>der</strong> (weiteren) Schülerwelt entstammen,<br />
• phantasievoll, abwechslungsreich, assoziationsreich sein,<br />
• klar formuliert werden,<br />
• die Notwendigkeit einer Mathematisierung unmittelbar einsichtig machen.<br />
7.4 Simplexe und Komplexe<br />
Simplexe sind Sachverhalte, in denen drei Größen additiv o<strong>der</strong> multiplikativ verknüpft sind.<br />
Beispiele:<br />
• Länge — Breite — Fläche(ninhalt).<br />
• Einkaufspreis — Gewinn — Verkaufspreis.<br />
• Stückzahl — Stückpreis — Gesamtpreis.<br />
• Wegstrecke — Zeitspanne — Geschwindigkeit.<br />
• El. Stromstärke — Spannung — El. Wi<strong>der</strong>stand.<br />
Komplexe sind Sachverhalte, in denen zwei o<strong>der</strong> mehrere Simplexe über ihre Komponenten<br />
verknüpft sind.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 54<br />
7.5 <strong>Die</strong> Problemlösung im einzelnen<br />
7.5.1 <strong>Die</strong> Mathematisierung des Problems<br />
Verstehen des Sinngehalts des Problems im Überblick:<br />
• Sprachliche Beson<strong>der</strong>heiten:<br />
– höchstens, maximal, mindestens, wenigstens, minimal.<br />
– Steigerung auf o<strong>der</strong> um das Dreifache.<br />
– Dutzend, durchschnittlich.<br />
– Mathematisch: Quersumme.<br />
– Geschäftsleben: Netto, Brutto, Tara, Ratenzahlung, Anzahlung, Geschäftskosten,<br />
Umsatz, Gewinn, Rabatt, Skonto, Porto.<br />
– Geographie, Orientierung im Raum: Luftlinie, Maßstab, horizontal, vertikal, Norden,<br />
Südwesten, Höhe über NN, Uhrzeigersinn.<br />
– Geschichte: Das 19. Jahrhun<strong>der</strong>t.<br />
– Biologie, Chemie: Tülle, Pipette.<br />
– Freizeit<br />
∗ In einer Fußballliga finden 240 Spiele statt. Wie viele Mannschaften gehören zur<br />
Liga?<br />
∗ Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, beim Schafkopf einen ,,Sie” zu erhalten?<br />
• Konventionen: Das Bankjahr hat 360 Tage, <strong>der</strong> Bankmonat hat 30 Tage. Der aktuelle<br />
MWSt.-Satz.<br />
• Kontexte: Bei einem elektrischen Anschluss wird auch eine Rückleitung benötigt.<br />
Beim Weißeln eines Zimmers muss auch die Decke mitberechnet werden.<br />
• Verstehen von Skalen, Diagrammen, Grafiken, Tabellen, Übersichten.<br />
• Verschleierte Informationen: Zahlen sind im Text o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Grafik versteckt: ,,halb so<br />
viel”, die abgebildete Eintrittskarte kann sechsmal entwertet werden.<br />
• Informationen aus an<strong>der</strong>en Quellen: Lehrer, eigene Messung (Gewicht einer Münze), DB-<br />
Fahrplan, Katalogen.<br />
• Überflüssige, redundante o<strong>der</strong> irreführende Informationen: Wie alt ist <strong>der</strong> Kapitän?<br />
Schulpraktisch – konkret:<br />
• Lies den Text genau durch! Nacherzähle (Nachspiele, Nachstelle.. . . ) den Sachverhalt! Extrahiere<br />
die wichtigen Daten und ordne sie!<br />
• Gegeben (Wir wissen)<br />
Eventuell können Größenwerte gleich in geeignete Einheiten umgewandelt werden.<br />
Vielleicht ist es sinnvoll, unmittelbar verknüpfte Größen (Radius – Durchmesser, Bruchteil<br />
– Prozentsatz) gleich umzurechnen.<br />
Unter Umständen ist es sinnvoll, die gegebenen Größen in einer Tabelle anzuordnen.<br />
• Gesucht (Wir suchen) Bei Vorliegen einer Tabelle (s.o.) wird die gesuchte Größe in einem<br />
freien Feld mit einem Fragezeichen gekennzeichnet.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 55<br />
7.5.2 Das mathematische Operieren<br />
Es muss <strong>der</strong> richtige Pfad innerhalb des Komplexes — von Simplex zu Simplex — gefunden<br />
werden (Bild des Dschungels).<br />
Strategien:<br />
1. Tastend, Suchend: Ausgehend vom Standort werden zunehmend immer neue und weitere<br />
Pfade erschlossen, bis das Ziel — mehr o<strong>der</strong> weniger zufällig — gefunden ist.<br />
2. Zielgerichtet: Der Pfad ist im wesentlichen — von ähnlichen Touren, aufgrund von Karten,.<br />
. . — bekannt und kann so gezielt beschritten werden.<br />
3. Mischstrategien: Ein Teil <strong>der</strong> Pfade (in <strong>der</strong> Umgebung des Standorts o<strong>der</strong> des Ziels) ist<br />
bekannt, die fehlenden Zwischenpfade werden durch Suchen erschlossen.<br />
4. Mosaiktechnik.<br />
5. Brückentechnik (vgl. MathSemBer 47/2, S. 198).<br />
<strong>Die</strong> Rolle des Lehrers beim Auffinden solcher Pfade: Begleitend — stimulierend — darbietend<br />
— informierend.<br />
Zentral wichtig ist das ständige Vorhalten <strong>der</strong> Wechselbeziehung von<br />
Wirklichkeit und Mathematik entlang des Lösungspfades.<br />
Konkret geschieht dies beispielsweise durch Zwischenantwortsätze (evtl. in Stichworten).<br />
Präsenthalten <strong>der</strong> Einheiten<br />
• Wo sie nur Schreibballast sind, können sie weggelassen werden.<br />
• Wenn Umwandlungen von Größenwerten (bzgl. <strong>der</strong> Einheiten) auftreten, ist die Angabe<br />
von Einheiten unverzichtbar.<br />
• In (Zwischen-)Antwortsätzen müssen Einheiten angegeben werden.<br />
• <strong>Die</strong> Durchdringung des Einheitenrechnens ist eventuell noch nicht möglich. Beispiel:<br />
Ein Liter Benzin (Bleifrei Super) kostet 1, 26 ∈. Wieviel muss Mercedes Benz für<br />
43 ℓ bezahlen? (Jgst. 5)<br />
Falsch: 43 ℓ · 1, 26 ∈ = 54, 18 ∈<br />
Richtig: 43 ℓ · 1, 26 ∈<br />
ℓ<br />
= 54, 18 ∈<br />
Ähnlich bei Geschwindigkeitsaufgaben: Falsch:<br />
15 km<br />
5<br />
15 km<br />
= 3 h. Richtig:<br />
5 km = 3 h.<br />
h<br />
Problem: Das Kürzen ist Inhalt des Bruchrechnens. Insgesamt ist das Kürzen von Einheiten<br />
ein abstrakter Vorgang (In etwa ab 8. Jgst.)<br />
Lösung: Weglassen <strong>der</strong> Einheiten in <strong>der</strong> Berechnung. Angabe <strong>der</strong> Einheiten im Antwortsatz.
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 56<br />
7.5.3 Interpretation<br />
• Sinnvoller Zahlbereich: Negatives Lebensalter, Bruchzahl als Anzahl, Zehntelpfennig (beim<br />
Tanken, Zinsberechnung).<br />
• Das Problem des Rundens.<br />
• Sinnvolle Größenordnung (Astronomische Kosten beim Einkauf,. . . ), (Auch begleitendes<br />
Überschlagsrechnen).<br />
• Aussortieren von Lösungen: Beispielsweise bei quadratischen Gleichungen.<br />
• Antwortsatz: Achte auf die genaue Fragestellung!
S. Hilger, <strong>Didaktik</strong> <strong>der</strong> <strong>Algebra</strong> 57<br />
7.5.4 Mathematisierung von Sachsituatioen durch Gleichungen<br />
Mögliche Schrittfolge:<br />
V (Variable). Welches ist die genaue Bedeutung <strong>der</strong> (unbekannten) Variablen?<br />
T (Terme) Mit Hilfe <strong>der</strong> Variable und <strong>der</strong> Daten <strong>der</strong> Aufgabe werden Terme gebildet (vielleicht<br />
in einer Tabelle).<br />
G (Gleichung) <strong>Die</strong> Aufgabe beinhaltet eine Information über Gleichheit (o<strong>der</strong> Vielfachheit)<br />
von Termen. <strong>Die</strong>s wird in Form einer Gleichung zwischen diesen Termen mathematisiert.<br />
L (Lösung) <strong>Die</strong>s ist ein innermathematisches Problem.<br />
A (Antwort) Vergleiche unten: Interpretation.<br />
P (Probe) Eventuell empfiehlt sich eine Probe innerhalb des Kontexts <strong>der</strong> Sachaufgabe.<br />
Beispiel 1 Maria ist 24 Jahre alt. Sie ist doppelt so alt, wie Anne war, als Maria so alt war,<br />
wie Anne jetzt ist. Wie alt ist Anne? (Gesellschaftliches Ereignis, New York, 20er Jahre).<br />
V x ist das jetzige Alter von Anne in Jahren.<br />
T Maria Anne<br />
jetzt 24 x<br />
früher x x − (24 − x)<br />
<strong>Die</strong> bei ,,Anne früher” abzuziehende Zeitspanne 24 − x ergibt sich aus den beiden Termen<br />
bei Maria.<br />
�<br />
�<br />
G 24 = 2 · x − (24 − x)<br />
L<br />
�<br />
�<br />
24 = 2 · x − (24 − x)<br />
� �<br />
24 = 2 · 2x − 24<br />
24 = 4x − 48<br />
72 = 4x<br />
x = 18<br />
A Anna ist jetzt 18 Jahre alt.<br />
P Maria Anne<br />
jetzt 24 18<br />
früher 18 12