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Dokument 1.pdf - OPUS - Universität Würzburg

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Blick auf die ursprüngliche<br />

Einheit des Wissens<br />

Andreas Speer, Lehrstuhl tür Philosophie 1//,<br />

Philosphische Fakultät /I/<br />

Essays<br />

aber darin ist sie nur Sachwalterin, nicht Richter der<br />

Übrigen Wissenschaften. Denn die Suche nach der<br />

Synthesis unseres Wissens ist allen Wissenschaften<br />

auf ihre je eigene Weise gemein.<br />

In diesem Sinne bedarf an der Schwelle eines neuen<br />

Jahrhunderts die an der Schwelle des Vo rgängerjahr-<br />

Die Rede von den Geisteswissenschaften - zumeist hunderts entstandene Opposition von Natur- und<br />

in Opposition zu den Naturwissenschaften - erscheint Geisteswissenschaften einer grundsätzlichen Infrage-<br />

uns so vertraut, daß leicht übersehen wird, daß der stellung. Dies gilt vor allem für die uns so vertraut<br />

Terminus Geisteswissenschaften vergleichsweise jung und - so möchte ich sagen - bequem gewordenen<br />

ist. Erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts werden Denkmuster: Sich einzurichten in der Vergangenheit<br />

unter den Geisteswissenschaften die verschiedenen, oder diese emphatisch zu ignorieren, bedeutet glei-<br />

vornehmlich historisch orientierten Disziplinen zusam- chermaßen ein Verfehlen der ursprünglichen Erkennt-<br />

mengefaßt - nicht selten unter dem Leitbild einer nisintention. Gleichwohl ist es erforderlich, die Ver- Andreas Speer<br />

als Geistesgeschichte auftretenden Kulturgeschichts­<br />

schreibung. In der Bezugnahme auf das historisch<br />

Konkrete und Individuelle, das analog zum wissen­<br />

schaftlich Allgemeinen auf seine Gesetzmäßigkeiten<br />

hin befragt werden soll, wurde und wird das Eigen ­<br />

tümliche der Geisteswissenschaften gesehen. In der<br />

Tat verweist der Begriff der Kultur auf jenen Gestal­<br />

tungsspielraum, den die Natur dem Menschen eröff­<br />

net und der durch kausale Erklärungsmuster und all­<br />

gemeine Gesetzmäßigkeiten nicht hinreichend spe­<br />

zifisch erklärt werden kann. So vermag der Hinweis<br />

auf die Bedeutung von Enzymen und Botenstoffen<br />

die Entstehung von Liebeslyrik kaum zufriedenstel­<br />

Iend zu erklären _ Aber es soll hier nicht um Polemik<br />

gehen.<br />

Die Einsicht, daß das Wissen in seiner Vielfalt eine<br />

Mehrzahl methodischer Annäherungen erfordert, die<br />

nicht aufeinander zurückgeführt werden können, ist<br />

nicht neu. Sie findet sich schon bei Aristoteles, den<br />

ich als Kronzeugen anrufen möchte, da er ohne Zweifel<br />

zu den Ahnherren unseres Wissenschaftsverständnis­<br />

ses und unserer Wissenschaftskultur zählt, die an<br />

den mittelalterlichen <strong>Universität</strong>en im Geiste des Ari­<br />

stoteles entstand und im Grunde bis heute fortbe­<br />

steht. Gleichwohl sieht Aristoteles die Notwendig­<br />

keit, nach einer alles Wissen fundierenden Grundla­<br />

ge zu fragen; denn ohne diese bliebe alles Wissen<br />

auch für sich betrachtet Stückwerk. Mir geht es also<br />

um den Blick auf die ursprüngliche Einheit des Wis­<br />

sens - ursprünglich nicht im Sinne eines verlorenen<br />

Ideals, sondern weit grundsätzlicher im Hinblick auf<br />

jene Grundlagen und Prinzipien, welche die schluß­<br />

folgernde wissenschaftliche Vernunft voraussetzt,<br />

ohne sie nach Art ihrer eigenen Methode begründen<br />

zu können . Es ist die Philosophie, die von alters her<br />

nach der ursprünglichen Einheit des Wissens fragt;<br />

schiedenartigkeit der Annäherungsweisen und der<br />

Methoden im Blick zu behalten. Hierbei bewahren<br />

die Geisteswissenschaften in der Besinnung auf den<br />

Ursprung der Wissensannahmen und Weltbildimpli­<br />

kationen, die jeder Wissenschaft zugrundeliegen, ein<br />

kritisches Potential für die Wissenschaften übe r­<br />

haupt.<br />

Wo also bleiben die Geisteswissenschaften? - so<br />

lautete die Anfrage. Sie kann sehr einfach beant­<br />

wortet werden: Die Geisteswissenschaften sind schon<br />

da, ebenso präsent in unserem konkreten Alltag,<br />

und ebenso weit von diesem entfernt wie die Natur­<br />

wissenschaften. Zum Beispiel sehen und hören wir<br />

Opern und lesen Taschenbuchausgaben, deren (No­<br />

ten-Hext mühevoll in kritischen Editionsvorhaben<br />

erstellt worden ist, ebenso wie wir unser Spiegelei<br />

in der teflonbeschichteten Pfanne braten, deren tech­<br />

nisches Knowhow bekanntlich der Weltraumfor­<br />

schung entstammt. Auch wenn dies heute so mo­<br />

dern erscheint: Die Wissenschaften vorrangig an<br />

ihrem Gebrauchswert mit immer kürzeren Halbwert­<br />

zeiten zu messen, ist ein sich selbst ad absurdum<br />

führender Irrweg - das zeigt gerade ein Blick in die<br />

Geschichte. Wissen , das sich seiner Grundlagen in<br />

immer neuer Weise kritisch versichert, macht hinge­<br />

gen resistent gegenüber tagespolitischer Blindheit.<br />

Dies gilt auch für den sonderbaren Versuch, den<br />

Wert einer Wissenschaft fiskalisch zu evaluieren, ist<br />

doch Geld niemals mehr als ein Mittel zum Zweck_<br />

Das Wissen aber hat ein Ideal: sich über allen Nut­<br />

zen zu erheben und sich allein auf die Betrachtung<br />

jener Wahrheit zu richten, die in dem Streben nach<br />

Erkenntnis und Wissen, das die Natur des Menschen<br />

bestimmt, zum Ausdruck kommt. Der Platz für die­<br />

ses Wissen ist die <strong>Universität</strong>; sie sollte diesen Frei­<br />

raum bewahren und verteidigen.<br />

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