07.10.2013 Aufrufe

ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

„Theater an sich hat mich schon immer fasziniert” – zu Thomas Bernhards Dramatik<br />

Mittelpunktsfiguren zum Monolog. Dazu<br />

kommt noch, daß Theater und Schauspielkunst<br />

selbst wichtige thematische Bildkomplexe<br />

als Modelle des Weltbezugs und der<br />

Wirklichkeitserfahrung in der Prosa wie im<br />

Drama darstellen:<br />

„Und wenn man meine Arbeiten aufmacht, ist es<br />

so: Man soll sich vorstellen, man ist im Theater, man<br />

macht mit der ersten Seite einen Vorhang auf, der<br />

Titel erscheint, totale Finsternis – langsam kommen<br />

aus dem Hintergrund, aus der Finsternis heraus,<br />

Wörter, die langsam zu Vorgängen äußerer und<br />

innerer Natur, gerade wegen ihrer Künstlichkeit besonders<br />

deutlich zu einer solchen werden.“ 8<br />

Im Zentrum von Bernhards Dramen steht<br />

nicht das Geschehen, denn in seinen<br />

dramatischen Werken gibt es meistens nur<br />

eine spärliche Folge von Ereignissen. Viel<br />

wichtiger ist die Sprache selbst, und außerhalb<br />

ihrer Sprache hat Bernhard seinen Dramengestalten<br />

wenig Eigenleben einzuflößen<br />

vermocht. Wendelin Schmidt-Dengler spricht<br />

von Bernhards „Sprache der Ausschließlichkeit“:<br />

Kaum wird etwas angedeutet, setzt<br />

schon ein Prozeß der Verabsolutisierung ein,<br />

indem das Gemeinte mit einem Ausdruck der<br />

Totalität oder Ausschließlichkeit bedacht<br />

wird. 9 So befindet sich alles in Extremzuständen,<br />

und zwar dauernd und überall. Alles<br />

menschliche Handeln unterliegt dem zum<br />

Prinzip erhobenen Paradox, das der Maler<br />

Strauch im Roman Frost für sich so zu<br />

beschreiben versucht: „Gerade das muß man<br />

tun, wovor einem immer gegraut hat, gerade<br />

das muß man sein, was einen immer abgestoßen<br />

hat.“ 10 Ob das „muß“ nun dem<br />

Schicksal entspringt oder als eine Aufforderung<br />

aufzufassen ist, bleibt gleichgültig.<br />

Entscheidend ist das Absolute, das in „muß’<br />

zum Audruck kommt.<br />

8 Thomas Bernhard, Drei Tage in Der Italiener<br />

(Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch <strong>19</strong>89),<br />

83. Weitere Hinweise auf dieses Werk werden durch<br />

die Angabe der jeweiligen Seiten angegeben.<br />

9 Wendelin Schmidt-Dengler, Der Übertreibungskünstler.<br />

Studien zu Thomas Bernhard (Wien: Sonderzahl<br />

<strong>19</strong>86), 7-8. Weitere Hinweise auf dieses<br />

Werk werden durch die Angabe der jeweiligen Seiten<br />

angegeben.<br />

10 Thomas Bernhard, Frost (Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp <strong>19</strong>63), 154. Weitere Hinweise auf dieses<br />

Werk werden durch die Angabe der jeweiligen Seiten<br />

angegeben.<br />

Genauso wie seine Prosa bauen<br />

Bernhards Dramen ein Universum der<br />

Dekonstruktion auf. Der Stoff beruht überwiegend<br />

auf Katastrophen und Katastrophenphantasien,<br />

Zerstörungsphobien und Vernichtungswünschen,<br />

wobei eine existenzbedrohte<br />

Welt vorgeführt wird. Offensichtlich<br />

bekennt sich der Autor zur Negation, die seinem<br />

Werk die eigentümliche Kombination<br />

zwischen Faszination und Provokation verleiht.<br />

Er ist ein Vetreter des „reaktionären<br />

Denkens“, wie es Emil Cioran 11 beschrieben<br />

hat, ein treuer Nachfolger von Eugen Ionesco<br />

und Samuel Beckett.<br />

Die Besessenheit vom Tode und die<br />

Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz veranlassen<br />

Thomas Bernhard dazu, keine traditionelle<br />

begriffliche Unterscheidung zwischen<br />

Komödie und Tragödie zu machen.<br />

Der Schriftsteller selbst erläutert diese theoretische<br />

Position in der kleinen Ich-Erzählung<br />

Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie?,<br />

die im Jahre <strong>19</strong>67 in dem Band Prosa<br />

erschienen ist. Hier verdeutlicht der Autor,<br />

daß die alten Kategorien „Komödie“ und<br />

„Tragödie“ nicht mehr zu den heutigen<br />

Dramen passen, eben weil sie – jede für sich<br />

– die heutige tödliche und sinnlose Wirklichkeit<br />

nicht erfassen: Diese Wirklichkeit ist<br />

tragisch und komisch zugleich und doch<br />

keines ganz. In diesem Text kommt es für<br />

den Erzähler, einen jungen Medizinstudenten,<br />

nicht mehr zu dem geplanten Theaterbesuch,<br />

weil ein älterer, das Theater liebender<br />

Mann in Frauenkleidung ihn anspricht<br />

und ihn mit einem Monolog aufhält. Es stellt<br />

sich heraus, daß dieser merkwürdige Herr<br />

vor vielen Jahren seine Frau umgebracht hat,<br />

dafür im Zuchthaus gesessen hat und daher<br />

ihre Kleidung trägt. Im Verlauf seiner Unterredung<br />

versichert der Fremde, es würde in<br />

dem Theater eine Komödie gespielt. Er<br />

schließt dies aus dem Verhalten und der<br />

Verfassung des jungen Mannes, der zwar von<br />

Haß gegen die Welt als Theater erfüllt ist, ihr<br />

aber verhaftet bleibt. Der Kontrast zwischen<br />

Theater und Wirklichkeit ist offensichtlich,<br />

aber nur scheinbar: Während der Ich-<br />

11 Emil Mircea Cioran, Über das reaktionäre Denken<br />

(Frankfurt am Main: Suhrkamp <strong>19</strong>80), 43.<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 151

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!