ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II
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„Theater an sich hat mich schon immer fasziniert” – zu Thomas Bernhards Dramatik<br />
Mittelpunktsfiguren zum Monolog. Dazu<br />
kommt noch, daß Theater und Schauspielkunst<br />
selbst wichtige thematische Bildkomplexe<br />
als Modelle des Weltbezugs und der<br />
Wirklichkeitserfahrung in der Prosa wie im<br />
Drama darstellen:<br />
„Und wenn man meine Arbeiten aufmacht, ist es<br />
so: Man soll sich vorstellen, man ist im Theater, man<br />
macht mit der ersten Seite einen Vorhang auf, der<br />
Titel erscheint, totale Finsternis – langsam kommen<br />
aus dem Hintergrund, aus der Finsternis heraus,<br />
Wörter, die langsam zu Vorgängen äußerer und<br />
innerer Natur, gerade wegen ihrer Künstlichkeit besonders<br />
deutlich zu einer solchen werden.“ 8<br />
Im Zentrum von Bernhards Dramen steht<br />
nicht das Geschehen, denn in seinen<br />
dramatischen Werken gibt es meistens nur<br />
eine spärliche Folge von Ereignissen. Viel<br />
wichtiger ist die Sprache selbst, und außerhalb<br />
ihrer Sprache hat Bernhard seinen Dramengestalten<br />
wenig Eigenleben einzuflößen<br />
vermocht. Wendelin Schmidt-Dengler spricht<br />
von Bernhards „Sprache der Ausschließlichkeit“:<br />
Kaum wird etwas angedeutet, setzt<br />
schon ein Prozeß der Verabsolutisierung ein,<br />
indem das Gemeinte mit einem Ausdruck der<br />
Totalität oder Ausschließlichkeit bedacht<br />
wird. 9 So befindet sich alles in Extremzuständen,<br />
und zwar dauernd und überall. Alles<br />
menschliche Handeln unterliegt dem zum<br />
Prinzip erhobenen Paradox, das der Maler<br />
Strauch im Roman Frost für sich so zu<br />
beschreiben versucht: „Gerade das muß man<br />
tun, wovor einem immer gegraut hat, gerade<br />
das muß man sein, was einen immer abgestoßen<br />
hat.“ 10 Ob das „muß“ nun dem<br />
Schicksal entspringt oder als eine Aufforderung<br />
aufzufassen ist, bleibt gleichgültig.<br />
Entscheidend ist das Absolute, das in „muß’<br />
zum Audruck kommt.<br />
8 Thomas Bernhard, Drei Tage in Der Italiener<br />
(Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch <strong>19</strong>89),<br />
83. Weitere Hinweise auf dieses Werk werden durch<br />
die Angabe der jeweiligen Seiten angegeben.<br />
9 Wendelin Schmidt-Dengler, Der Übertreibungskünstler.<br />
Studien zu Thomas Bernhard (Wien: Sonderzahl<br />
<strong>19</strong>86), 7-8. Weitere Hinweise auf dieses<br />
Werk werden durch die Angabe der jeweiligen Seiten<br />
angegeben.<br />
10 Thomas Bernhard, Frost (Frankfurt am Main:<br />
Suhrkamp <strong>19</strong>63), 154. Weitere Hinweise auf dieses<br />
Werk werden durch die Angabe der jeweiligen Seiten<br />
angegeben.<br />
Genauso wie seine Prosa bauen<br />
Bernhards Dramen ein Universum der<br />
Dekonstruktion auf. Der Stoff beruht überwiegend<br />
auf Katastrophen und Katastrophenphantasien,<br />
Zerstörungsphobien und Vernichtungswünschen,<br />
wobei eine existenzbedrohte<br />
Welt vorgeführt wird. Offensichtlich<br />
bekennt sich der Autor zur Negation, die seinem<br />
Werk die eigentümliche Kombination<br />
zwischen Faszination und Provokation verleiht.<br />
Er ist ein Vetreter des „reaktionären<br />
Denkens“, wie es Emil Cioran 11 beschrieben<br />
hat, ein treuer Nachfolger von Eugen Ionesco<br />
und Samuel Beckett.<br />
Die Besessenheit vom Tode und die<br />
Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz veranlassen<br />
Thomas Bernhard dazu, keine traditionelle<br />
begriffliche Unterscheidung zwischen<br />
Komödie und Tragödie zu machen.<br />
Der Schriftsteller selbst erläutert diese theoretische<br />
Position in der kleinen Ich-Erzählung<br />
Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie?,<br />
die im Jahre <strong>19</strong>67 in dem Band Prosa<br />
erschienen ist. Hier verdeutlicht der Autor,<br />
daß die alten Kategorien „Komödie“ und<br />
„Tragödie“ nicht mehr zu den heutigen<br />
Dramen passen, eben weil sie – jede für sich<br />
– die heutige tödliche und sinnlose Wirklichkeit<br />
nicht erfassen: Diese Wirklichkeit ist<br />
tragisch und komisch zugleich und doch<br />
keines ganz. In diesem Text kommt es für<br />
den Erzähler, einen jungen Medizinstudenten,<br />
nicht mehr zu dem geplanten Theaterbesuch,<br />
weil ein älterer, das Theater liebender<br />
Mann in Frauenkleidung ihn anspricht<br />
und ihn mit einem Monolog aufhält. Es stellt<br />
sich heraus, daß dieser merkwürdige Herr<br />
vor vielen Jahren seine Frau umgebracht hat,<br />
dafür im Zuchthaus gesessen hat und daher<br />
ihre Kleidung trägt. Im Verlauf seiner Unterredung<br />
versichert der Fremde, es würde in<br />
dem Theater eine Komödie gespielt. Er<br />
schließt dies aus dem Verhalten und der<br />
Verfassung des jungen Mannes, der zwar von<br />
Haß gegen die Welt als Theater erfüllt ist, ihr<br />
aber verhaftet bleibt. Der Kontrast zwischen<br />
Theater und Wirklichkeit ist offensichtlich,<br />
aber nur scheinbar: Während der Ich-<br />
11 Emil Mircea Cioran, Über das reaktionäre Denken<br />
(Frankfurt am Main: Suhrkamp <strong>19</strong>80), 43.<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 151