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ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

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„Theater an sich hat mich schon immer fasziniert” – zu Thomas Bernhards Dramatik<br />

Innenseite seines Gehirns / die er selber schon nicht<br />

mehr lesen kann.“ ( 97)<br />

Dem General erscheint der Schriftsteller<br />

als ein freier Mensch, was dieser mit lautem<br />

Lachen quittiert (77). Sie begegnen einander<br />

nur notgedrungen. Die Generalin, die gleichermaßen<br />

Ekel und Angst vor ihrem Mann<br />

empfindet, lädt sich den Schriftsteller ein,<br />

um während der von ihr verabscheuten Jagd<br />

(80) nicht allein im Jagdhaus bleiben zu<br />

müssen (62). Auch in Die Jagdgesellschaft<br />

ist eine „Dreiecksgeschichte“ Grundmodell<br />

der Interaktion. Wie beispielsweise der Doktor<br />

in Der Ignorant und der Wahnsinnige so<br />

ist auch hier der philosophierende Typus, der<br />

eine bestehende Beziehung zweier Personen<br />

bedroht:<br />

„Mein lieber Schriftsteller / Sie betreiben eine verabscheuungswürdige<br />

Kunst / meine Frau bewundert<br />

Sie“ (94-95).<br />

Es sind immer wieder die gleichen drei<br />

Typen von Figuren, die in Thomas Bernhards<br />

Dreiecksgeschichten die Hautprollen<br />

spielen: der erfolgreiche Zwangsneurotiker;<br />

die in Ansätzen reflektierende, aber entschlußunfähige<br />

Mittlerfigur; und der intellektuelle<br />

Freigeist. Der Logik dieser Dreiecksgeschichten,<br />

mit denen Bernhard identitäts-<br />

und subjektphilosophische Probleme<br />

poetisiert, zufolge ist das Leben ein Nullsummenspiel,<br />

in welchem für alle Anpassungsleistungen<br />

und Erfolge mit Neurosen<br />

und Ängsten bezahlt werden muß. Die Mächtigen<br />

haben unter anderem damit zu zahlen,<br />

daß konspirative Schriftstellerfiguren in ihre<br />

Ehen eindringen, die naturgemäß hausgemachte<br />

Privathöllen sind.<br />

Im Stück kommt es zu keiner direkten<br />

Kommunikation zwischen Schriftsteller und<br />

General. Beide reden nur über einander und<br />

erläutern den Umstehenden den Charakter<br />

des jeweils anderen, und zwar auch während<br />

dessen Anwesenheit. Der Schriftsteller tut<br />

dies auf eine zunächst indirekte Weise. Sein<br />

Vortrag über Todeskrankheit und prinzipielle<br />

Andersheit ist offenkundig, aber unausdrücklich<br />

auf diesen augerichtet. Beide Männer<br />

verachten die vom anderen jeweils<br />

bevorzugte Form der Ablenkung. Der General<br />

haßt das Kartenspiel (62) und überhaupt<br />

alle Einflüsse des Schriftstellers auf seine<br />

Frau (80). Kartenspiel, Nichtstun und<br />

Schreiben sind ihm gleichermaßen widerlich<br />

(96). Umgekehrt fühlt sich der Schriftsteller<br />

von der Jagd abgestoßen. Doch während der<br />

General die Anwesenheit und den Zeitvertreib<br />

des anderen als eine Bedrohung empfindet,<br />

deren Abschaffung er fordert, liefert<br />

sich der Schriftsteller dem Abstoßenden<br />

gleichsam zu Studienzwecken aus. Auch die<br />

Generalin ist sich einer ähnlich gespaltenen<br />

Affektstruktur bewußt, denn sie schätzt<br />

gerade dessen Entsetzlichekeit und Rücksichtslosigkeit.<br />

In der Beurteilung des<br />

Schriftstellers unterscheidet sich die Generalin<br />

also gar nicht so sehr von ihrem Mann.<br />

Die Differenz liegt im Verhalten zu des<br />

Schriftstellers Bedrohlichkeit. Doch während<br />

der General den Kontakt mit dem Schriftsteller<br />

am liebsten vermeiden würde, ist die<br />

paradoxe Einstellung seiner Frau am treffendsten<br />

mit dem Terminus „Angstlust“ zu<br />

bezeichnen – eine Einstellung, welche die<br />

Beziehung aller Bernhardschen Frauenfiguren<br />

zu ihren geistlichen oder philosophierenden<br />

Hausfreunden charakterisiert. Der<br />

symmetrische Widerspruch zeigt sich noch in<br />

einer weiteren Hinsicht: Der General interpretiert<br />

die Kunst des Schriftstellers existentiell,<br />

während der Schriftsteller die Stalingrad-Erfahrung<br />

des Generals ästhetisch aufnimmt,<br />

als „[s]eine beste Geschichte“ (57).<br />

Das komplementäre Verhalten der Figuren<br />

veranschaulicht ein anderes wesentliches<br />

Prinzip von Bernhards dramatischen Texten,<br />

die Aufhebung der Gegensätze. Dieses Verfahren<br />

fördert die Unsicherheit des Zuschauers:<br />

In jedem Satz wird der vorangehende<br />

aufgehoben, um wiederum im nächsten<br />

seinen Widerruf zu erfahren.<br />

Am Ende des Bühnenspiels erfahren wir<br />

nicht die „wirklichen“ Ursachen der Todeskrankheit<br />

des Generals. Thomas Bernhard<br />

präsentiert die allegorischen Zusammenhänge<br />

nicht als Wirklichkeit, sondern als Möglichkeit<br />

für den Rezipienten. Am Schluß ist<br />

der Schuß unsicher. Mit dem Abholzen des<br />

Waldes wird der Schauplatz der Existenzkomödie<br />

gleichsam abgebaut wie Kulissen eines<br />

Theaterstücks. Der theatralische Aspekt,<br />

den alle Mittel und die Existenz selbst annehmen,<br />

dominiert das Drama: Umwelt wird<br />

zur Kulisse und Welt zum Theater. Die Figuren<br />

werden zu Kunstfiguren, deren Künstlichkeit<br />

es einem verbietet, sie mit kritischem<br />

Maß an der Realität unmittelbar zu messen.<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 161

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