07.10.2013 Aufrufe

ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ich, Körper, Hirn, Tier, Tod, Stadt, Masse, Wende, Zeit - Zur Lyrik Durs Grünbeins<br />

Nicht nur seine Heimatstadt Dresden,<br />

sondern auch seine Wahlheimatstadt Berlin,<br />

in die er <strong>19</strong>85 übergesiedelt war, nimmt eine<br />

markante Position in Grünbeins gesamtem<br />

poetischen Werk ein. In allen seinen bisher<br />

erschienenen Lyrikbänden finden sich Gedichte<br />

auf und über Berlin. Besonders ausgeprägt<br />

ist diese Fokussierung auf Berlin in<br />

Nach den Satiren, sowohl im Satiren-Zyklus<br />

als auch in einem eigenen Berlin-Zyklus. In<br />

der dritten Satire beispielsweise werden nicht<br />

nur einzelne Berliner Örtlichkeiten wie der<br />

Wannsee, Unter den Linden oder die Karl-<br />

Marx-Allee 36 erwähnt, sondern Berlin als<br />

ganzes wird thematisiert, das Berlin des<br />

Dritten Reichs („Mit Schaum / Vorm Mund<br />

war hier ein Gnom die Attraktion gewesen. /<br />

Und seine Nummer war der Haßtanz zwischen<br />

Eintopf-Tellern. / Vom Bierzelt führte<br />

ihn sein Weg in Sportpalast und Oper, / Bevor<br />

sein Publikum verstummte in Ruinenkellern“,<br />

NdS 106) wie auch das Berlin der<br />

Gegenwart (ebd.):<br />

Und man sah Mauern wachsen, untertunnelt,<br />

/Mauern fallen,<br />

Die Stadt, den Riesenspielplatz, unter den<br />

/Vier Mächten<br />

Zerstückelt und auf hellem Sand verhärten<br />

Zu transsibirischem Beton.<br />

Berlin, das letzte,<br />

Sah man verschwinden, wiederkehren und<br />

/erneut verschwinden<br />

Mit jeder Sprengung, wenn vorm Grau die<br />

/Staubwand fiel.<br />

Wenn unter halben Himmeln, auf den<br />

/Kellern, nie geräumt,<br />

Die neuen Häuser ihre Reihen schlossen, die<br />

/zerfetzten<br />

Platanen wieder Blätter trieben und die<br />

/Busse unter Linden<br />

Für Sozialismus warben und Persil.<br />

Die vierte Satire erwähnt neben dem Berliner<br />

Bahnhof Zoo auch den Zoo 37 selbst,<br />

einen wichtigen Gegenstandsbereich der<br />

36 „Eine kahlgeschlagene Allee / Heißt nach dem<br />

bärtigen Propheten“ (NdS 104).<br />

37 Vgl. auch Durs Grünbeins Essay ‘Bevor der<br />

Mensch mit sich allein ist. 150 Jahre Zoologischer Garten<br />

Berlin’ in: Anm. 2, S. 229-236.<br />

Grünbeinschen Großstadtlyrik. 38 Die enorme<br />

Bautätigkeit im Berlin der Nachwendezeit<br />

(„Baugruben sind hier Sammelplätze für Gespenster,<br />

/ Die aus dem Sickerwasser trinken“,<br />

NdS 110) kommt ebenso zur Sprache<br />

wie die Glitzerwelt der Einkaufspassagen,<br />

die vor allem im Berliner Osten in den neunziger<br />

Jahren neu entstanden (NdS, 113):<br />

In den Passagen machte, unter S-Bahn-<br />

/Bögen, unser Schritt<br />

Im Nachhall ein Geräusch, das uns vergessen<br />

/ließ,<br />

Daß wir die letzten auf den Beinen waren<br />

/weit und breit.<br />

So gingen wir vorbei an Grill,<br />

/Bestattungsfirma, Reisecenter,<br />

Und an Vitrinen, wo zu Stapeln aufgebahrt,<br />

/in bunter Eintracht<br />

Die Prosa der Saison auf Kundschaft wartete.<br />

/„So viele Bücher,<br />

Die keinen brauchen, der sie liest, weil sie an<br />

/nichts erinnern.<br />

So viele Seiten ohne Eigenschaften...“, raunte<br />

/er<br />

Mir hinterm Rücken mit der Stimme, die wie<br />

/meine klang.<br />

Der Zyklus Berliner Runde mit seinen<br />

fünf Einzelgedichten I / Tauentzienstraße), <strong>II</strong><br />

/ Anhalter Bahnhof), <strong>II</strong>I / Am Friedrichshain),<br />

IV / Potsdamer Platz) und V / Epilog<br />

hebt nun explizit markante und geschichtsträchtige<br />

Berliner Orte in die einzelnen Titelüberschriften<br />

und ins Zentrum des jeweiligen<br />

Gedichts. In I wird der urbane Mittelpunkt<br />

des Westberliner Lebens, Kurfürstendamm<br />

und Tauentzienstraße und dazwischen am<br />

Breitscheidplatz die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche,<br />

lyrisch inszeniert: „Eine Kirche<br />

steht hier, die erinnert streng an Bunker,<br />

/ Seit ihr Turm, ein abgebrochner Flaschenhals,<br />

plombiert ist / Mit demselben Baustoff<br />

der im Parkhaus höllisch von Motoren<br />

dröhnt“ (NdS 159); „Stecken Zähne im<br />

Asphalt, sind sie von Fahrradboten, / Die<br />

beim Slalom stürzten oder Fensterputzern,<br />

vom Gerüst gefallen. / Grün der Mittelstrei-<br />

38 Es sei nur an das bereits erwähnte Gedicht Einer<br />

Gepardin im Moskauer Zoo (NdS 55) erinnert!<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 177

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!