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ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

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Paradigmenwechsel in der rumäniendeutschen Erzählliteratur der Nachkriegszeit<br />

die sich neuer literarischer Gestaltunsmodalitäten<br />

bedienen, setzt sich in unterschiedlichster<br />

Qualität fort und bricht nicht mehr<br />

ab. Dies wird auch aus den Aufsätzen von<br />

Peter Motzan 49 und von Georg Aescht 50 für<br />

die sechziger und den Anfang der siebziger<br />

Jahre deutlich. Hans Liebhardt vertritt das<br />

Ausmaß der Erneuerung in seiner Anthologie<br />

„Worte und Wege“ (<strong>19</strong>70) nicht ganz<br />

repräsentativ, deshalb vermißt Peter Motzan<br />

zurecht die Erzählung Joachim Wittstocks,<br />

„Schlüsselpunkt“ (NL 4/<strong>19</strong>69) in der Prosaanthologie.<br />

Abschließend möchte ich hinterfragen,<br />

inwieweit sich diese drei hier erläuterten<br />

Diskurse für die Erfassung der Ausdrucksvielfalt<br />

rumäniendeutscher Erzähler als sinnkonstituierend<br />

erweisen. Meines Erachtens<br />

haben sie eine ordnende, systematisierende<br />

Funktion, ihre Rolle besteht darin, thematische<br />

Schwerpunkte in größeren Zusammenhängen<br />

einzubetten. Im Unterschied zu<br />

Benennungen wie „Regionalismus“ oder<br />

„Moderne“ sind sie für die spezifische Landschaft<br />

der rumäniendeutschen Nachkriegsliteratur<br />

maßgeschneidert. Darüber hinaus<br />

schließen sich in ihrer Begrifflichkeit historische,<br />

sozialpsychologische, gesellschaftliche<br />

Zusammenhänge, die hinter Autor und<br />

Werk stehen und sind daher als Kapitel<br />

denkgeschichtlicher Konzeptionen aufzufassen.<br />

Die Erläuterung der Zusammenhänge,<br />

welche Entstehung und Entwicklung des<br />

Verunsicherungsdiskurses bestimmt haben,<br />

führt zur Antwort auf die Frage nach den<br />

Ursachen des Paradigmenwechsels in den<br />

sechziger Jahren.<br />

Der Wandel in der Entscheidung für neue<br />

inhaltliche und formale Gestaltungsmöglichkeiten<br />

ist auf die Rezeption europäischer<br />

literarischer Entwicklungen zurückzuführen,<br />

aber auch auf die Herausbildung von Modeerscheinungen<br />

innerhalb des rumäniendeutschen<br />

Literaturbetriebs. 51<br />

wollen Sie? Er sieht: sie bewegt sich nicht. Er geht auf<br />

eine andere Person zu, während die dazu notwendigen<br />

Bewegungen automatisch verlaufen...“ Der Text setzt<br />

sich eine Weile in dieser Manier fort. (aus Jakob<br />

Mihailescu: „Stillstand“, NL 6/<strong>19</strong>84).<br />

49<br />

Peter Motzan, <strong>19</strong>70.<br />

50<br />

Georg Aescht, <strong>19</strong>89.<br />

51<br />

Wie zum Beispiel im Falle Ludwig Schwarz‘, der<br />

konsequent an der traditionellen Schreibweise festge-<br />

Grundlegend für die Emanzipation der<br />

rumäniendeutschen Literatur (auch der<br />

DDR-Literatur) sind die Forderungen nach<br />

der Ausweitung des Realismus-Begriffs, der<br />

in der Form eines unreflektierten bürgerlichen<br />

Realismus eben diesen Begriff aushöhlte<br />

und diskreditierte. Der Einbruch des<br />

Irrealen und Phantastischen wird als weitaus<br />

realistischer empfunden, besonders unter den<br />

Umständen der achtziger Jahre, als die<br />

rumänische Wirklichkeit in ihren surrealen<br />

Zügen mit den modernsten Schreibtechniken<br />

wetteiferte. In einem Prosastück von Willhelm<br />

Koch, „Das Recht auf Realität“,<br />

besteht der Erzähler nicht auf Entwicklung<br />

neuer künstlerischer Mittel, welche im Bezug<br />

zu einer grotesken Realität mithalten<br />

können, sondern auf eine „normale“ Wirklichkeit:<br />

zwei Bier, ein gutes Fernsehprogramm<br />

und eine Liebesbeziehung 52 .<br />

Die rumäniendeutschen Autoren halten<br />

auch weiter am Experiment fest und an der<br />

Form der kürzeren Prosa, (im Unterschied<br />

zur DDR, wo das Romaneschreiben auch<br />

sehr gut honoriert wird), selbst dann, wenn<br />

in der westlichen Literatur der siebziger<br />

Jahre das Erzählen wiederkehrt. 53 Diese Abweichung<br />

weist darauf hin, daß sich die<br />

Kunst als Kunst des Weglassens, der Andeutung,<br />

des Undurchsichtig-Machens durch<br />

Montage, Collage, Vermischung der Gattungen,<br />

für das Einschleusen unerwünschter<br />

Botschaften besonders bewährt hat.<br />

Eine andere Erklärung für die Ausdauer<br />

experimenteller Formen wäre das Fehlen<br />

eines freien Büchermarktes, der inhaltliche<br />

und formale Anliegen des Schriftstellers auf<br />

ihre Übereinstimmung hin mit dem Geschmack<br />

des Lesers geprüft hätte.<br />

Die intensive Rezeption moderner Mittel,<br />

die sich für den Verunsicherungsdiskurs als<br />

konstitutiv erwiesen hat, ist letztendlich auch<br />

Ausdruck einer Kriseerscheinung, die in den<br />

siebziger Jahren in der literarischen Region<br />

halten hat, und sich dann plötzlich für modernistisches<br />

Instrumentarium entscheidet, in: „Verdammt! Eine<br />

Bestandsaufnahme im Hause Peter Holz oder ein<br />

Drehbuch“. In: NL <strong>19</strong>73, H. 3, S. 3-<strong>20</strong>.<br />

52 Wolfgang Koch: „Das Recht auf Realität“, NL<br />

9/<strong>19</strong>89, S. 28.<br />

53 Siehe Volker Hage: Die Wiederkehr des Erzählers.<br />

Neue deutsche Literatur der siebziger Jahre. Frankfurt/Main,<br />

Berlin, Wien: Ullstein <strong>19</strong>82.<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 189

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