ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II
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„Theater an sich hat mich schon immer fasziniert” – zu Thomas Bernhards Dramatik<br />
Bühnenspiel Die Jagdgesellschaft: Ist endlich<br />
der Leichnam völlig auseinandergenommen,<br />
ist auch mit dem Leben und der<br />
Kunst abgerechnet: Das Schlußwort hat das<br />
Kunstgeschöpf: „Erschöpfung / nichts als Erschöpfung“<br />
(121). Die vollkommene Finsternis<br />
des Schlusses, die über die drei hereinbricht<br />
wie ein Verhängnis, ist mehr als jene<br />
Finsternis, in der sich die Texte Bernhards<br />
nach seiner eigenen Selbstinterpretation abspielen,<br />
aus der sich Figuren und Sätze herauslösen,<br />
nur um wieder in ihr zu versinken.<br />
Es erinnert stärker an die geistige Verfinsterung<br />
der Protagonisten, die die Überhelle<br />
ihres Gehirns, die qualvoll gesteigerte Erkenntnis-<br />
und Leidensfähigkeit, an einem<br />
Punkt nicht mehr ertragen und „in die zweite,<br />
in die endgültige Finsternis vor einem“ 17<br />
hineingehen. Diese Finsternis, im Stück<br />
durch den stets betrunkenen Vater verkörpert,<br />
wird vom Arzt als Ziel dargestellt.<br />
Das Motiv der totalen Finsternis steht für<br />
die Ausweglosigkeit der menschlichen Existenz.<br />
Insofern kann der Skandal anläßlich der<br />
Uraufführung des Bühnenspiels – die Theaterleitung<br />
hat sich geweigert, die Notbeleuchtung<br />
im Zuschauerraum abzuschalten,<br />
das Stück wurde vom Spielplan der Salzburger<br />
Festspiele <strong>19</strong>72 abgesetzt – als<br />
exemplarisch für das weitverbreitete Unverständnis<br />
gegenüber Bernhards Texten gelten.<br />
Daß so ein Stück weniger Theater als<br />
vielmehr Philosophie und Literatur darstellt,<br />
ist offensichtlich: Dieses philosophierende<br />
Drama, das die vollkommen intellektuelle<br />
und künstlerische Existenz beschreibt, bietet<br />
aber dem Intellektuellen wenig Trost. Ignoranz<br />
ist für diesen Menschen keine Alternative,<br />
ebensowenig wie Wahnsinn. Er kann<br />
sich aber auch nicht mit einfachem Zeitvertreiben<br />
trösten, und letzten Endes versagen<br />
sogar alle geistigen Versuche. Eine solche<br />
Lebensphilosophie, oder genauer gesagt,<br />
eine solche Philosophie des Künstlertums ist<br />
düster, aber bei Thomas Bernhard nicht neu.<br />
Die Königin der Nacht personifiziert hier das<br />
Schicksal des Künstlers und die Philosophie<br />
des Arztes. Sie ist durch ihre künstlerische<br />
17 Bernhard, Drei Tage, 161.<br />
Rücksichtslosigkeit zu einer „Koloraturmaschine“<br />
geworden. Sie wird ganz von ihrer<br />
Kunst, von ihren Koloraturen beherrscht<br />
(nicht umgekehrt), und ihre Zauberflötekoloraturen<br />
gehen ihr die ganze Nacht nicht aus<br />
dem Kopf. Deswegen haßt sie ihre Kunst; sie<br />
lebt am Rande des Zusammenbruchs, und<br />
trotzdem fühlt sie sich der Gefahr ausgesetzt,<br />
daß ihre Kunst zur Gewohnheit wird und ihre<br />
Spontaneität verlieren wird, weshalb sie<br />
genötigt ist, immer größere Perfektion anzustreben.<br />
Die Existenz der Königin der Nacht<br />
ist also ein tödlicher Prozeß allmählicher<br />
Auflösung, der einer Leichensektion nicht<br />
unähnlich ist.<br />
Als eine tragische Komödie kann auch<br />
Die Macht der Gewohnheit (<strong>19</strong>73; <strong>19</strong>74 bei<br />
den Salzburger Festspielen uraufgeführt) betrachtet<br />
werden. Den szenischen Hintergrund<br />
des Stückes bilden ein kleiner Zirkus und der<br />
Wohnwagen des Direktors Caribaldi. Täglich<br />
proben der Jongleur und der Spaßmacher,<br />
die Enkelin des Direktors und sein Neffe, der<br />
Dompteur, unter Anleitung Caribaldis Franz<br />
Schubert Forellenquintett – oder besser genauer:<br />
Caribaldi versucht verzweifelt, diese<br />
Musik, die stellvertretend für große Kunst<br />
steht, mit den gelangweilten und gequälten<br />
Mitgliedern seiner Truppe zu üben, die<br />
darauf mit Gleichgültigkeit, Aggressivität,<br />
kleinen Erpressungen (Hinweise auf mögliche<br />
auswärtige Engagements) reagieren. Das<br />
Stück kann nicht gespielt werden und wird<br />
nicht gespielt werden, Caribaldi weiß das<br />
natürlich, hält aber unerschütterlich an dem<br />
Ritual der Probenvorbereitungen und Proben<br />
fest, die zunehmend grotesker, lächerlicher<br />
und tragischer werden. Weniger Caribaldi als<br />
die Macht der Gewohnheit zwingt alle wieder<br />
zusammen. Caribaldis Mitspieler kümmert<br />
freilich weder das eine noch das andere<br />
so recht – am ehesten vielleicht den Jongleur,<br />
in der ersten Szene der Gesprächspartner des<br />
Direktors. Dessen Macht ist eigentlich Macht<br />
über vier gescheiterte Existenzen, die ihm<br />
ausgeliefert sind, die er auf verschiedene Art,<br />
und am schlimmsten mit seiner Idee der<br />
großen Kunst, peinigt und die ihrerseits ihn<br />
peinigen durch ihre Gefühllosigkeit, Gleichgültigkeit<br />
und Brutalität. Die Verhältnisse<br />
von Herrn und Knecht erscheinen offenge-<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 155