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ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

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Grenzen und Möglichkeiten der Sprache im Werk von Helmut Heißenbüttel<br />

Material kreieren lassen, ist, jedenfalls für dieses Exempel,<br />

negativ beantwortet" 8 .<br />

Die Großform geht hier nicht aus dem Experimentieren<br />

mit Sprache hervor, wie das<br />

Heißenbüttel in seinen literaturtheoretischen<br />

Arbeiten forderte. Auch wenn hier mit Zitaten,<br />

Montage, Redensarten und literarischen Versatzstücken<br />

gearbeitet wird, bleibt Heißenbüttel<br />

nicht dabei stehen, sondern versucht, die<br />

Welt seiner Zitate und Anspielungen in einen<br />

größeren fiktiven Zusammenhang zu integrieren<br />

9 .<br />

Betrachtet man die Erzählstruktur dieses<br />

Romans genauer, so stellt man fest, daß Heißenbüttel<br />

sich doch noch an seine Theorie hält.<br />

Das betrifft vor allem die Erzählweise: Da wir<br />

es überall in diesem Buch, offen oder versteckt,<br />

mit Zitaten zu tun haben - Goethe, E. T.<br />

A. Hoffmann, Heine, Joyce, Böll, Marx,<br />

Freud, Marcuse, Adorno u.a. -, wird nirgends<br />

erzählt, sondern Erzählung zitiert. Das gilt<br />

auch für den Erzähler, den es eigentlich nicht<br />

mehr gibt, und für die Personen, denn auch sie<br />

haben Zitatcharakter 10 . Ihre fiktionale Glaubwürdigkeit<br />

und ihr Personencharakter wird<br />

dadurch aufgehoben.<br />

Schon der Anfang des Buches weist darauf<br />

hin. Nur scheinbar beginnt ein auktorialer<br />

Erzähler eine Geschichte, die Goethes Wahlverwandtschaften<br />

in die Gegenwart verlegt:<br />

"Eduard - so nennen wir einen Rundfunkredakteur<br />

im besten Mannesalter - Eduard<br />

hatte im D-Zug München - Hamburg (Ankunft<br />

Hauptbahnhof 21. <strong>19</strong>) die schönsten Stunden<br />

eines Julinachmittags (25.7.<strong>19</strong>68) zugebracht<br />

und betrachtete mit Vergnügen die Gegend<br />

zwischen Lüneberg und Hamburg" 11 .<br />

Der scheinbar auktoriale Erzähler - wir - ist<br />

Bestandteil eines Zitats und nicht der Erzähler<br />

dieser Geschichte. Die erste Aussage des Buches<br />

erweist sich damit schon als uneigentlich.<br />

Die zweite Person wird auch auf eine bezeichnende<br />

Art und Weise eingeführt:<br />

"In Hannover zugestiegen, von Kassel kommend, wo<br />

sie die internationale Kunstaustellung der 4. Documenta<br />

besucht hatte, war eine Kollegin vom Hamburger Fern-<br />

8<br />

Harald Hartung, Experimentelle Literatur und konkrete<br />

Poesie, Göttingen <strong>19</strong>75, S. 87 f.<br />

9<br />

Bodo Heimann, a. a. O., S. 65.<br />

10<br />

Ebd. 67.<br />

11<br />

Helmut Heißenbüttel, Projekt <strong>Nr</strong>. 1 D'Alemberts<br />

Ende, Neuwied, Berlin <strong>19</strong>70, S. 11.<br />

sehen, die dort Filme über Themen der bildenden Kunst<br />

produzierte und die auch für das Ressort, das Eduard<br />

verwaltete (Kulturpolitik im Bayrischen Rundfunk),<br />

eben etwas über die Documenta schreiben wollte. Ihr<br />

Name war Ottilie Wildermuth" 12 .<br />

Die Angaben "Hannover", "Kassel", das<br />

"Hamburger Fernsehen", der "Bayrische Rundfunk"<br />

erstellen zunächst eine Wirklichkeit, die<br />

nicht nur im fiktionalen, sondern auch im außerfiktionalen<br />

Zusammenhang zu stimmen<br />

scheint. Durch den Namen der Person wird<br />

diese Wirklichkeit dann insofern gestört, als<br />

Ottilie allein zu Eduard und Goethe, nicht aber<br />

in die hier beschriebene Landschaft zu passen<br />

scheint 13 . Die nichtfiktiven Ortsnamen kontrastieren<br />

nicht nur die fiktive Person - das wäre<br />

auch im konventionellen Roman nichts besonderes<br />

-, sondern der Personenname hat vor<br />

allem Signalwirkung, insofern er an den obengenannten<br />

Eduard erinnert und die erstellte<br />

Wirklichkeit wieder auf die Ebene des ironischen<br />

Spiels mit dem Zitat zurückführt.<br />

Es sind aber nicht nur die Namen der Personen,<br />

was diese Figuren in Gegensatz zu ihrer<br />

Umwelt bringt, sondern vor allem auch das,<br />

was sie sagen. Mehr noch als der zitierte Erzähler<br />

durch seinen Stil in Widerspruch zu Zeit<br />

und Raum des Romans gerät, zerstören die<br />

Figuren durch den historischen Stil ihrer zitierten<br />

Rede den Eindruck ihrer Authentizität:<br />

"Da wir denn ungestört hier allein sind, sagt eben<br />

Eduard: und ganz ruhigen, heiteren Sinnes, so muß ich<br />

Ihnen gestehen, daß ich schon einige Zeit etwas auf<br />

dem Herzen habe, was ich Ihnen vertrauen muß und<br />

möchte, und nicht dazu kommen kann" 14 .<br />

Auch Plenzdorf übernimmt seine Figurenkonstellation<br />

aus einem Roman Goethes, aber<br />

er versetzt sie nicht nur in eine moderne Umwelt,<br />

sondern läßt sie auch die moderne Sprache<br />

reden. Nicht zuletzt durch diese linguistische<br />

Authentizität und die pointiert ausgespielte<br />

Distanz zu Goethes Werther gewinnen<br />

Die neuen Leiden des jungen W. ihre<br />

Glaubwürdigkeit und ihr eigenes Leben 15 . In<br />

D'Alemberts Ende wird die Glaubwürdigkeit<br />

der Figuren gerade durch die Beibehaltung der<br />

Goetheschen Sprache verhindert. Eduard und<br />

Ottilie können gar nicht im D-Zug von Kassel<br />

nach Hamburg fahren, weil sie gar nicht leben,<br />

12 Ebd.<br />

13 Bodo Heiman, a. a. O., S. 68.<br />

14 Helmut Heißenbüttel, D'Alemberts Ende, S. 68.<br />

15 Ebd.<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (17-18) / <strong>20</strong>00 141

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