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ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II

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„Theater an sich hat mich schon immer fasziniert” – zu Thomas Bernhards Dramatik<br />

zurück. Das Konversationsspiel von Frage<br />

und Antwort ist häufig nur äußerlicher Natur,<br />

denn der Fragende weiß die Antwort selber.<br />

Die gemeinsamen verbrachten Tage während<br />

der Jagden vergangener Jahre müssen sich<br />

ganz ähnlich abgespielt haben. Die Einladung<br />

des Schriftstellers und die umständlichen<br />

Vorbereitungen auf seinen Besuch<br />

sind zur Zeremonie, zum Ritual geworden.<br />

Der Dialog ergänzt die Details. Trotz der<br />

Monotonie der Szenenwiederholung ist der<br />

Ton in der ersten Szene der Jagdgesellschaft<br />

behutsam. Der Schriftsteller widersteht der<br />

Versuchung, sich durch Kartenspiel abzulenken,<br />

und die Sprache beider Figuren<br />

drückt ihre Bereitschaft aus, den Resonanzen<br />

von Worten und Erinnerungen nachzuhorchen.<br />

Die Konversation zwischen Schriftsteller<br />

und Generalin dient also weniger der<br />

Mitteilung von Neuigkeiten, als der Einstimmung<br />

aufeinander, indem man auf Bekanntes<br />

und gemeinsame Erinnerungen nur<br />

kurz verweist. In dieser Stimmung wird die<br />

Vorgeschichte des Stücks bruchstückartig<br />

wiederholt. Die Vorgeschichte umfaßt auch<br />

eine Charakterisierung des Schriftstellers<br />

sowie die Rekonstruktion der Todeskrankheit,<br />

an der der General leidet. Durch diese<br />

Form der Exposition bauen die Figuren mit<br />

Andeutungen und Hinweisen Vergangenes<br />

auf. Man verweist nur auf den symbolischen<br />

Wert von Gegenständen, ohne daß das Erinnerte<br />

selbst näherer Erläuterung bedürfte:<br />

„meine polnische Weste/Der sofortige Gedanke an<br />

Polen natürlich“ (9); „Fortwährend habe ich gedacht/ich<br />

habe ja meine polnische Weste an“ (11).<br />

Die Exposition setzt vor allem Stimmungszeichen,<br />

d.h. es geht um „musikalische“<br />

Stimmigkeit der Ausdrucksmittel. Daß<br />

es normalerweise nicht „klar“ (11) ist, wenn<br />

es „ununterbrochen schneit“ (10), spielt<br />

keine Rolle für das musikalische Zusammenwirken<br />

dieser Stimmungszeichen verwendeten<br />

Angaben zum Wetter. Wetter und Kälte<br />

sind in Bernhards Zeichensystem stereotyp<br />

assoziierte Befindlichkeiten, die keiner<br />

metereologischen Bestätigung bedürfen. 21<br />

21 Klug, 263.<br />

Tod und Verfall dominieren. Der General<br />

leidet an einer tödlichen Krankheit, einer Erkrankung<br />

der Nieren, und am Grauen Star.<br />

Die Minister betreiben den Sturz des Generals,<br />

der ein offenbar bedeutendes politisches<br />

Amt innehat. Der Wald, der in mehrfacher<br />

Hinsicht die Vergegenständlichung seiner<br />

Lebensgeschichte darstellt, ist vom Borkenkäfer<br />

befallen und muß gefällt werden. Dem<br />

körperlichen Verfall und der Bedrohung<br />

seiner gesellschaftlichen Stellung entspricht<br />

seine „Todeskrankheit“, eine Erkrankung des<br />

Geistes, des Gemüts. Seit der Schlacht bei<br />

Stalingrad, wo er seinen linken Arm verloren<br />

hat, verfolgen ihn Bilder des Todes. Die<br />

Gespräche zwischen Schriftsteller und Generalin<br />

sowie die Äußerungen des Generals<br />

über sich selbst deuten bruchstückhaft den<br />

Konflikt an, der sich in der ambivalenten<br />

Figur des Generals zuträgt: Die immer unausweichlicher<br />

ihn bedrängenden Erinnerungen<br />

und Erfahrungen des Todes bedrohen<br />

seine zwanghaft verteidigte Rollenidentität,<br />

die er weder preisgeben kann noch will . Der<br />

Schriftsteller spricht sehr oft vom Sterben.<br />

Mit seiner scharfen Intelligenz erinnert er an<br />

den Doktor in Der Ignorant und der Wahnsinnige,<br />

und er benutzt sein Wissen über den<br />

General dazu, um ihn zu vernichten. Am<br />

Ende des Stückes, während der Schriftsteller<br />

noch mit der Jagdgesellscahft (Generalin,<br />

Minister, Prinzen und Prinzessin) Konversation<br />

führt, geht der General wortlos aus<br />

dem Zimmer und erschießt sich. Draußen, im<br />

Morgengrauen, beginnen die Holzfäller ihre<br />

Arbeit. Der Schriftsteller, in der Auffassung<br />

der Generalin der „rücksichtsloseste Mensch<br />

/ den ich kenne“ (64), behält das letzte Wort,<br />

so wie er das erste Wort hatte und den größten<br />

Teil des Textes. Die Distanz, die seine<br />

Rolle und seine Intelligenz ihm ermöglichen,<br />

erlaubt ihm nicht nur die schneidende Beschreibung<br />

des hinfälligen privaten und<br />

kollektiven Zustands, der ohne jede Hoffnung<br />

auf Verbesserung ertragen werden muß,<br />

sondern verschafft ihm auch die Fähigkeit,<br />

sich das Schicksal des Generals und seines<br />

Besitztums als Komödie vorzustellen, nicht<br />

ohne Hinweis auf den Unterschied zwischen<br />

der Realität und der beschriebenen, als<br />

<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 157

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