ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II
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Paradigmenwechsel in der rumäniendeutschen Erzählliteratur der Nachkriegszeit<br />
Realismus liefert schon die gattungsgeschichtliche<br />
Betrachtung der Erzählung.<br />
Wenn die These richtig ist, daß Formvorstellungen<br />
Inhalte programmieren und daß<br />
damit alte Formen die alten Inhalte nach sich<br />
ziehen, müßte die direkte Übernahme der<br />
Form der bürgerlich-individualistischen Epopöe<br />
zwecks kontrollierbarer Auffüllung mit<br />
sozialistischem Inhalt – nichts anderes war<br />
der sozialistische Realismus – ja notwendig<br />
zu einer Rückwendung auch zu den individualistischen<br />
Idealen führen. 32<br />
Der neue Diskurstyp setzt in der rumäniendeutschen<br />
Literatur mit der Verabschiedung<br />
der tradierten Erzählformen und<br />
dem Anspruch auf objektive Abbildung<br />
logisch ein, sowie mit der Aufwertung der<br />
Form als Träger von Ausdruck und Sinn.<br />
Dieser kann als Diskurs der Verunsicherung<br />
bezeichnet werden. Die Auflehnung gegen<br />
tradierte Erzähltechniken ist auf das Bewußtsein<br />
zurückzuführen, daß ein Darstellungsmodell,<br />
zum ersten Mal auf die Wirklichkeit<br />
angewendet, realistisch sein kann,<br />
beim zweiten Mal aber eine Manier ist,<br />
irreal. 33<br />
Der sogenannte Verunsicherungsdiskurs<br />
wird von Texten repräsentiert, die sozialistisch<br />
angepaßte Werke, aber auch die regionalen<br />
siebenbürgisch-sächsischen und banater-schwäbischen<br />
demontieren, so daß eine<br />
durch Zeichenveränderung verfremdete,<br />
komplexe Textstruktur entsteht, die Folie<br />
und Novum enthält 34 . Innerhalb des Verunsicherungsdiskurses<br />
können die Texte<br />
auch eine nicht-polemische Gestalt annehmen<br />
und einfach das Mißtrauen gegenüber<br />
dem Sinn des Erzählens zum Ausdruck<br />
bringen. Einen Verunsicherungsdiskurs artikuliert<br />
zum Beispiel Hans Bergel mir der<br />
Wahl des Mottos für den Roman „Wenn die<br />
Adler kommen“ 35 .<br />
Der Verunsicherungsdiskurs wird auch<br />
durch die Metaebene der Texte signalisiert,<br />
durch die Kommentare zur Produktion des<br />
Texte, wie sie sich in Schergs „Mantel des<br />
32 Ebenda, S. 22.<br />
33 Haslinger, <strong>19</strong>77, S. 64-66.<br />
34 Siehe Mario Andreotti, <strong>19</strong>83, S. 35.<br />
35 Hans Bergel zitiert Friedrich Dürrenmatt: „Steckt<br />
noch ein Körnchen Sinn, ein Gran Bedeutung in der<br />
Bagage, die ich schreibe?“<br />
Darius“ und in Schusters „Vorwort“ profilieren.<br />
Die Merkmale des Verunsicherungsdiskurses,<br />
dessen Auftritt als Zeichen eines<br />
Paradigmenwechsels betrachtet werden können,<br />
findet man in den vielfältigen<br />
Ausdrucksmöglichkeiten der siebziger und<br />
achtziger Jahre immer wieder: Zweifel am<br />
herkömmlichen Realismus 36 , der sich durch<br />
Registrierung der Wahrnehmungen mit<br />
impressionistischer Sorgfalt äußert 37 , Rücknahme<br />
der Erzählung 38 , Undurchsichtigkeit<br />
der darzustellenden Realität 39 . Man lehnt<br />
sich gegen die Darstellung der Weltganzheit<br />
auf, weil diese Ganzheit nur durch radikale<br />
erzählerische Auswahl entstehen konnte,<br />
deshalb legt die moderne Literatur ihre<br />
Techniken und Strukturen bis zum Skelett<br />
frei und entlarvt damit den Totalitätsanspruch<br />
erzählender Literatur. 40 Die erzählende<br />
Person schrumpft zu einer Erzählperspektive,<br />
sie wird damit ihrer Persönlichkeit<br />
verlustig, die einheitliche Perspektive<br />
schwindet, die Handlung wird aufgegeben,<br />
poetische Bilder und Assoziationen verselbständigen<br />
sich. Es ergibt sich der Hang zum<br />
Skizzenhaften, Ausschnitthaften, Fragmentarischen,<br />
die Akzentuierung des Primats des<br />
36 Richard Wagner: „Wohnviertel in H.“ (NL 10/<strong>19</strong>77),<br />
„Onkel Hans“ (NL 3/<strong>19</strong>80), Balthasar Waitz:<br />
„Alltagsfilm“ (NL 10/<strong>19</strong>77), „Ein Alibi für Papa<br />
Kunze“ (NL 7/<strong>19</strong>79), Rolf Bossert: „Franzdorf sowie<br />
Bilder und Nachrichten aus der Umgebung“ (NL<br />
1/<strong>19</strong>78), Franz Hodjak: „der kater. ein traumprotokoll“<br />
(NL 3/<strong>19</strong>78). Die Logik der Wirklichkeit wird<br />
durch jene der Phantasie ersetzt, die für die Reflexion<br />
innerer Befindlichkeiten und äußerer Zustände realistischer<br />
erscheint.<br />
37 Siehe Richard Wagner: „Ein zusätzlicher Tag“ (im<br />
Band „Der Anfang einer Geschichte“), „Kapitel 23“<br />
(NL 11/<strong>19</strong>74), „Die Muren von Wien“ (<strong>19</strong>90), Johann<br />
Lippet: „von haus zu haus. eine chronik“ (NL 5/<strong>19</strong>80),<br />
„Die Falten im Gesicht“ (Heidelberg <strong>19</strong>91).<br />
38 Richard Wagner: „Der Mann, der Erdrutsche<br />
sammelte“. Hier kann man Ähnlichkeiten mit Ror<br />
Wolfs Prosaband „Mehrere Männer, zweiundachtzig<br />
ziemlich kurze Geschichten, zwölf Collagen und eine<br />
längere Reise“ sehen. Wolfs Kurz- und Kürzestgeschichten<br />
setzten mit stereotypen Wendungen ein, wie<br />
„Ein Mann kam...“, „Ein Mann hatte...“.<br />
39 Joachim Wittstock: „Schlüsselpunkt“ (NL 4/<strong>19</strong>69),<br />
„Peter Gottliebs merkwürdige Reise. Eine Märchennovelle“<br />
(Spiegelsaal, <strong>19</strong>94).<br />
40 Richard Wagner: „Marlene. Anmerkungen zu einer<br />
Geschichte“ (NL 12/<strong>19</strong>80), „Lesestücke für kleine<br />
Leute“ (NL 6/<strong>19</strong>81), darin die Erzählung: „Das Mädchen<br />
ohne Eigenschaften“, Karin Gündisch: „Das<br />
unge-wöhnliche Erlebnis eines gewöhnlichen Mannes“<br />
(NL 9/<strong>19</strong>80).<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 187