ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II
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Grenzen und Möglichkeiten der Sprache im Werk von Helmut Heißenbüttel<br />
durch die sie zueinander in Beziehung treten,<br />
und zugleich die von diesem Roman bevorzugte<br />
Erzählweise. Es ist schließlich gleichgültig,<br />
was die Figuren überhaupt sagen, beteuern,<br />
vermuten. Die Inhalte sind austauschbar,<br />
die Sprechakte ein leeres Ritual, das<br />
Resumé kann auf Inhalte ganz verzichten.<br />
Die Namengebung "D'Alembert" und die<br />
Titelgebung "D'Alemberts Ende" wirkt auch<br />
repräsentativ. Der Spekulation des Lesers sind<br />
keine Grenzen gesetzt, und die Lektüre des<br />
Buches kann sogar provozieren, sich mit dem<br />
historischen D'Alembert (1717-1783) und<br />
Diderot (1713-1784) und der historischen<br />
Bedeutung ihres gemeinsamen Projekts, der<br />
Encyclopédie, ou dictionaire raisonné des<br />
sciences, des arts et des métiers (1751-1780)<br />
zu beschäftigen. Der Autor sagt: "Der Name<br />
klingt gut. Prägt sich leicht ein." Der Klang<br />
also, nicht die symbolische Bedeutung dieses<br />
Namens zählt. Ganz so einfach ist es nicht.<br />
Auch wenn der Autor den Namen bagatellisiert,<br />
schließt er die Spekulationen nicht aus,<br />
sondern ermuntert sie geradezu: "Man kann<br />
sich was dabei denken, wenn man weiß, aber<br />
auch, wenn man nicht viel weiß" 23 . Dem Leser<br />
steht frei, den Inhalt des Romans samt seiner<br />
Titelfigur ebenso ironisch auf den historischen<br />
D'Alembert und die Enzyklopädisten zurückbeziehen<br />
wie die Form auf die Erzählweise<br />
Goethes 24 .<br />
23 Ders., Zur Tradition der Moderne, S. 369.<br />
24 Bodo Heimann, a. a. O., S. 79.<br />
Eine satirische Spitze gegen aufklärerischen<br />
Zukunftsoptimismus enthält auch<br />
die Figur 'Der kommende Mann' am Ende des<br />
Buches; wie eben der bereits analysierte Anfang<br />
seine satirische Spitze gegen diejenigen<br />
richtet, die sich nach dem allwissenden Erzähler<br />
und dem konventionellen Erzählen zurücksehnen.<br />
Vielsagend und symbolisch deutbar ist<br />
auch das Ende D'Alemberts. Seine Todesursache<br />
ist unbekannt, man findet ihn<br />
"skalpiert wie ein von Indianern überfallenes<br />
Bleichgesicht". Dieser Tod ist rätselhaft und<br />
wenig eindeutig, aber als groteske Metapher<br />
zum Ganzen passend:<br />
"Das verklebte rothaarige Toupet liegt auf dem Teller<br />
des angestellten Plattenspielers und dreht sich gleichmäßig<br />
um sich selbst" 25 .<br />
Mit der Reduktion auf Sprache stellt sich<br />
das Problem, inwieweit aus bloß sprachimmanenten<br />
Impulsen epische Großformen<br />
wie der Roman überhaupt entstehen kann.<br />
Heißenbüttel hat im Briefwechsel mit Vormweg<br />
dieses Problem des Romans aufgeworfen,<br />
aber weder gelöst noch präzise genug gestellt.<br />
Heißenbüttel hegte die Hoffnung, daß das<br />
Experimentieren mit Sprache den Anfang zu<br />
einer neuen Literatur darstellen könnte:<br />
"Und die Grenze, die erreicht wird, ist nicht eine zum<br />
Nichts, zum Sprachlosen, zum Chaos [...], es ist die<br />
Grenze zu dem, was noch nicht sagbar ist" 26 .<br />
25 Helmut Heißenbüttel, D'Alemberts Ende, S. 373.<br />
26 Ders.,Über Literatrur, München <strong>19</strong>72, S. 211.<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (17-18) / <strong>20</strong>00 143