ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II
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„Theater an sich hat mich schon immer fasziniert” – zu Thomas Bernhards Dramatik<br />
sind das Traurigste“ (45). Die Herrschaft, die<br />
sie in der Kostümierung als Spiel ausgeübt<br />
hat, erzwingt sie in der Realität: Sie schafft<br />
sich Geschöpfe, die ihrer Macht unterworfen<br />
sein müssen, weil deren Existenz ebenso ausweglos<br />
ist wie ihre. Sie hat Boris aus dem<br />
Asyl geholt, aber die Art und Weise, wie sie<br />
davon spricht, zeigt, daß es ihr von Beginn<br />
an darum geht, einen Willenlosen an sich zu<br />
ziehen.<br />
Die Atmosphäre von Gewalt und Unterdrückung,<br />
die von Anfang um die Gute war,<br />
entlädt sich in wüsten Beschimpfungen auf<br />
das Asyl, die Ärzte, Pfleger, die Asylordnung.<br />
Natürlich handelt es sich um keine<br />
konkrete Sozialkritik. Menschliche Todesbestimmtheit,<br />
mitmenschlicher Zerstörungstrieb<br />
und monomanische Selbstvernichtungssucht<br />
dominieren die langen Monologe der<br />
Guten. „Alles ist jeden Tag tagtäglich / eine<br />
Wiederholung von Wiederholungen.“ (10).<br />
Ein despotischer Herrschaftsmechanismus<br />
charakterisiert ihre verkümmerten Beziehungen<br />
zur Mitwelt durch mißtrauische Angst<br />
und bedrohenden Haß, die sie schließlich<br />
dazu bestimmen, sogar die gesunde Johanna<br />
in einen Rollstuhl zu zwingen, weil sie sich<br />
wegen ihrer körperlichen Verkrüppelung von<br />
ihrem „Machtobjekt“ dennoch abhängig<br />
weiß. Der von der Guten gekaufte Boris<br />
dagegen dient dieser als Betätigungsobjekt<br />
für den unaufhaltsamen Verfall des Menschen.<br />
Helmut Motekat meint, daß eine solche<br />
chaotische Welt „als Modell der heutigen<br />
Menschheit, ihres Zustands und Verhaltens<br />
sowie der in ihr herrschenden Verhältnisse“<br />
aufgefaßt und als eine „absurde<br />
Existenz des unaufhaltsamen Verfalls zum<br />
Tode“ 13 bejaht werden könnte.<br />
Widerspruchvoll ist das „fürchterliche<br />
Gelächter“ (107), in das die Gute kurz nach<br />
Boris’ Tod ausbricht. Dieses Gelächter signalisiert<br />
den Versuch der Guten, ihrer plötzlichen<br />
Verzweiflung und ihrem Schrecken zu<br />
entkommen, eigentlich den Tod mit ihrem<br />
Lachen zu konfrontieren. Bernhards Verflechtung<br />
von Tod und Gelächter mag, aber<br />
13 Helmut Motekat, Sinnlosigkeit als Thema: Das<br />
zeitgenössische Drama des Absurden (Stuttgart:<br />
Metzler <strong>19</strong>77), 131-132.<br />
soll nicht überraschen, denn diese Situation –<br />
die Angst des Menschen vor dem Tode und<br />
seine lächerlichen Versuche, dieser Angst<br />
durch Tabuisierung oder Denkverweigerungen<br />
Herr zu werden – wird in seinen Werken<br />
immer wieder thematisiert. In seiner Rede<br />
zur Verleihung des Büchner-Preises im Jahre<br />
<strong>19</strong>70 betont Thomas Bernhard das schöpferische<br />
Potential dieser menschlichen Grunderfahrung:<br />
„Wir sind (und das ist Geschichte und das ist der<br />
Geisteszustand der Geschichte): die Angst, die Körper-<br />
und die Geistesangst und die Todesangst als das<br />
Schöpferische.“ 14 Er unterstreicht auch die<br />
Doppeldeutigkeit dieser Situation, die seinen Stücken<br />
zugrunde liegt: „ […] es ist ein Theater der Körper-<br />
und in zweiter Linie der Geistesangst und also der<br />
Todesangst […] wir wissen nicht, handelt es sich um<br />
die Tragödie um der Komödie, oder um die Komödie<br />
um der Tragödie willen […] aber es handelt von<br />
Fürchterlichkeit, von Erbärmlichkeit, von Unzurechnungsfähigkeit<br />
[…]." 15<br />
Es ist eine Situation, die das übliche Begriffsverständnis<br />
des Komischen und Tragischen<br />
sprengt.<br />
Die im erzählerischen Werk Thomas<br />
Bernhards immer wiederkehrende barocke<br />
Metapher von der Welt als Bühne, auf der<br />
die Menschen ihre „Todesrolle“ spielen,<br />
wird im Theaterstück Der Ignorant und der<br />
Wahnsinnige (<strong>19</strong>72 bei den Salzburger Festspielen<br />
uraufgeführt) vom Autor inhaltlich,<br />
formal und stilistisch konsequent in das<br />
Medium des Schauspiels transponiert. Auf<br />
den ersten Blick hat dieses Drama wenig<br />
gemeinsam mit Ein Fest für Boris. Nicht von<br />
einer deprimierenden Krüppelwelt ist hier<br />
die Rede, sondern von den Sphären künstlerischer<br />
Perfektion und wissenschaftlicher<br />
Errungenschaften. Die Absage an die Möglichkeit<br />
einer sinnhaften Existenz, ein zentrales<br />
Thema der Gegenwartsliteratur, entwickelt<br />
der Autor auf originelle Weise,<br />
indem er dem Individuum eine energische<br />
Manifestation seines Existenzwillens im „naturgemäß“<br />
scheiternden Versuch, eine Gegen-Welt<br />
zu schaffen, zugesteht. Die Radika-<br />
14 Thomas Bernhard, Büchnerpreisrede in: Bücher-<br />
Preis-Reden: <strong>19</strong>51-<strong>19</strong>71, Stuttgart: Metzler <strong>19</strong>72,<br />
215-216. Weitere Hinweise auf dieses Werk werden<br />
durch die Angabe der jeweiligen Seiten angegeben.<br />
15 Bernhard, Büchnerpreisrede, 215.<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 153