ZGR Nr. 19-20/2001 - Partea II
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Paradigmenwechsel in der rumäniendeutschen Erzählliteratur der Nachkriegszeit<br />
tiert die dargestellte Wirklichkeit, indem er<br />
das auktoriale Erzählen durch dreifache<br />
Perspektivierung variiert, auch wenn ihm<br />
dies wenig gelingt 16 und er den sonst für die<br />
Zeit und die Umstände scharfen Konflikt<br />
wesentlich entschärft 17 . Dies wird zum Teil<br />
durch das Paradoxon, oder gar das Oxymoron<br />
aus dem Titel „fragwürdiger Bericht“<br />
wiedergutgemacht 18 .<br />
Die einzelnen Charakteristika des traditionellen<br />
Erzählens: Fabel, Handlung, Personen<br />
und Erzähler werden in Schergs „Der<br />
Mantel des Darius“ und in Paul Schusters<br />
„Vorwort“ ansatzweise abgebaut. Scherg<br />
wechselt mitten im Roman mehrmals die<br />
Erzählinstanz, läßt die Gattungsunterschiede<br />
durch das Bild der Windungen im Inneren der<br />
Muschel, der Treppenwindungen in der großen<br />
Moschee in Constanta dargestellt. Die sterile Welt der<br />
routinierten, abgestumpften Ehe suggeriert die Betontreppe<br />
im Wohnhaus bei der Rückkehr der Ich-Erzählerin<br />
aus dem Urlaub. Der Geliebte Wulf erscheint ihr<br />
in Anlehnung an den griechischen Meeresgott Triton<br />
schön und unheimlich zugleich, sie glaubt ihn auch in<br />
den antiken Skulpturen der ehemaligen griechischen<br />
Handelsstadt Tomis zu erkennen.<br />
16 Der geradlinige Stoff wird etwas gekünstelt in den<br />
drei Perspektiven gebrochen, so daß das Zusammenspiel<br />
zwischen den drei Erzählerstimmen oft inszeniert<br />
erscheint und der Eindruck der erzählerischen Polyphonie<br />
nicht vermittelt wird, sondern eher der<br />
Eindruck, daß das Erzählte von einer einzigen Erzählinstanz<br />
stammt. Ähnliche Einwände erhebt auch<br />
Gerhardt Csejka in: „Vor allem ein nützliches Buch“,<br />
Neue Literatur 4/<strong>19</strong>69.<br />
17 Der Konflikt wird allerdings durch die Distanz<br />
zwischen erzählter und Erzählzeit wesentlich<br />
entschärft, so daß offiziell zugelassene Interpretationen<br />
geradezu gefördert werden. So Valentin Lupescu,<br />
der die zeitliche Distanz zwischen der erzählten<br />
und der Erzählzeit in der Nachbemerkung der Berliner<br />
Ausgabe von <strong>19</strong>74 (Volk und Welt, DDR) beschwichtigend<br />
deutet: „Denn im Jahre <strong>19</strong>67, als die<br />
Romanhandlung endet, stehen die Probleme eines<br />
Adolf Sommer nicht mehr zur Debatte“. (<strong>19</strong>6) An<br />
solchen Interpretationsmöglichkeiten schließt auch<br />
teilweise berechtigt die scharfe Kritik der Erzählung<br />
in den Südostdeutschen Vierteljahresblättern (Lutz<br />
Tilleweid, <strong>19</strong>72, S. 289).<br />
18 Gerhardt Csejka („Vor allem ein nützliches Buch“)<br />
unterstreicht das Anliegen der Autoreninstanz,<br />
Sachliches zur Sprache zu bringen, deshalb auch die<br />
Wahl des „Berichts“ als Gattung. Doch es ist ein<br />
„fragwürdiger Bericht“, und so werden auf einem<br />
Schlag die möglichen Interpretationen, daß die Fehler<br />
der Vergangenheit in der Erzählgegenwart nicht<br />
wiederholt werden können, ins Ungewisse katapultiert.<br />
ineinanderfließen <strong>19</strong> , zerstört die Handlung <strong>20</strong> ,<br />
kreiert Ambivalenzen und wertet, wie auch<br />
Paul Schuster, den Kommentar der Erzählinstanz<br />
auf 21 . Der Erzählerkommentar verselbständigt<br />
sich gegen die wirklichkeitsabbildende<br />
Sinnstiftung und verunsichert den<br />
Leser über die Glaubwürdigkeit des Erzählten.<br />
22 Die Entwicklung in Richtung Reha-<br />
<strong>19</strong> Das Kapitel 47 von Schergs „Der Mantel des Darius“<br />
ist als ein Drama gestaltet, mit dem Titel „Die gläserne<br />
Maske“. Inhaltlich wird an der vagen Romanhandlung<br />
angeknüpft: Der Tod Theodoras wird hier in<br />
„trochäischen Versen“ dargestellt.<br />
<strong>20</strong> Bei Scherg registriert man den Rückgang der<br />
Erzählung, die Fabel wird zu einem zerredeten Irrweg.<br />
Im Roman werden Fragen nach Freiheit, Wahrheit<br />
aufgeworfen und gleichzeitig auf der Ebene der Stils<br />
die Ursachen für das Unbehagen des Individuums in<br />
der Gesellschaft verbildlicht. Der fehlende Zusammenhang<br />
der Handlung, die barocken Sprachwucherungen<br />
verweisen auf die Unmöglichkeit der Identifikation<br />
mit der institutionalisierten Wahrheit, so daß<br />
ein Verunsicherungsdiskurs gegenüber dem herrschenden<br />
Machtdiskurs geführt wird.<br />
21 Bei Paul Schuster fasziniert die Reflexion literarischer<br />
Gattungen: in manchen Passagen spielt er mit<br />
den spezifischen Wahrnehmungsmögichkeiten der<br />
Kurzgeschichte, die keine Charakterbildung und<br />
psychologische Introspektion mehr zuläßt, spricht sich<br />
über die Krise des Romans aus, der das Erzählen<br />
ablehnt. Schusters Gestaltung ist dialogisch, äußerst<br />
undogmatisch. Er läßt sich auf Gesprächen mit dem<br />
Leser ein, den er gelegentlich wegen seiner Unbildung<br />
auch beleidigt.<br />
22 Beispiele am Text: Scherg: „Ich will kurz sein und<br />
das Thema nicht von allen Seiten beleuchten,<br />
geschweige denn durchleuchten, weder in seiner<br />
monistischen noch dualistischen, existenzialistischen<br />
oder nihilistischen Problematik, um etwa die<br />
Dimensionen schlechthin abzustecken, wozu das Licht<br />
meiner Laterne keineswegs ausreichen würde, sondern<br />
nur die rein empirische Folgerung festhalten, von der<br />
alle übrigen Problemstellungen ausgehen, um letztlich<br />
im gewaltigen Kuppelbau einer mir – ich gestehe es<br />
neidlos - völlig unzulänglichen und daher unfaßlichen<br />
Hieroglyphe zu gipfeln (...) In Klammer: Hergott, was<br />
für ein Satz. Ich bin ordentlich stolz drauf. Ich hätte<br />
mir das gar nicht zugetraut. Besonders gefällt mir der<br />
gewaltige Kuppelbau der Hieroglyphe. Klammer zu.“<br />
(„Der Mantel des Darius“, 238). Wie auch im Falle<br />
Schergs, kann man bei Paul Schuster zahlreiche<br />
Beispiele finden. Im „Vorwort“ gibt es neben der an<br />
den Sohn gerichteten Erziehungsrede, Kommentare<br />
des Vaters und zahlreicher Freunde, welche die Rolle<br />
haben, die Glaubwürdigkeit des Erzählten ins<br />
Schwanken zu bringen: „(Nein, nein, Paul, das geht<br />
nicht, das glaubt dir niemand, sagt kopfschüttelnd<br />
mein Vater, also Dein Großvater, Sohn...)“(18) oder<br />
„(nein, Paul, das ist aber doch zu stark aufgeschnitten,<br />
sagt mein Vater)“ (22). Die Kommentare der Freunde<br />
über einen möglichen Schuß der Geschichte Lutz‘<br />
Schusters artet in einem Streit zwischen dem<br />
innerfiktionalen Erzähler und seinen Freunden über<br />
<strong>ZGR</strong> 1-2 (<strong>19</strong>-<strong>20</strong>) / <strong>20</strong>01 185