in Scientia Halensis
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scientia halensis 4/2002<br />
Fachbereich Biologie<br />
WAFFENARSENALE IM MIKROKOSMOS<br />
BAKTERIELLE VIRULENZ UND PFLANZLICHE ABWEHR<br />
Jens Boch, Thomas Lahaye, Ralf Koebnik und Ulla Bonas<br />
Pflanzen produzieren große Mengen an Biomasse, die e<strong>in</strong> für Mikroorganismen verlockendes<br />
Nährstoffreservoir darstellt. Diese Nährstoffe gilt es jedoch raff<strong>in</strong>iert zu erschließen,<br />
denn Pflanzen geben ihren photosynthetisch hergestellten Zucker nicht ohne Gegenwehr<br />
heraus. Daher haben es nur speziell angepasste Bakteriengruppen geschafft, sich diesen<br />
Lebensraum zu erschließen. Sichtbar wird e<strong>in</strong>e solch gelungene Besiedlung – sehr zum Ärger<br />
der Landwirte – durch Krankheitssymptome der Pflanze, die Ernteerträge m<strong>in</strong>dern. In<br />
der Abteilung Pflanzengenetik des Instituts für Genetik an der Mart<strong>in</strong>-Luther-Universität<br />
wird die Interaktion von bakteriellen Schädl<strong>in</strong>gen und ihren Pflanzenwirten an Modellsystemen<br />
untersucht.<br />
Xanthomonas campestris pv. vesicatoria<br />
ist der Erreger der bakteriellen Fleckenkrankheit<br />
bei Tomate und Paprika, Pseudomonas<br />
syr<strong>in</strong>gae pv. tomato führt zur bakteriellen<br />
Fleckenkrankheit auf Tomate und<br />
befällt außerdem die <strong>in</strong> der Molekularbiologie<br />
wohlbekannte Modellpflanze Arabidopsis<br />
thaliana. Viele molekulare Arbeiten<br />
werden erst dadurch ermöglicht, dass das<br />
Erbgut von P. syr<strong>in</strong>gae pv. tomato, sowie<br />
A. thaliana vollständig und das von X.<br />
campestris pv. vesicatoria bereits <strong>in</strong> großen<br />
Teilen entschlüsselt wurde.<br />
Das essenzielle Waffenarsenal<br />
des Schädl<strong>in</strong>gs<br />
Elektronenmikroskopische Aufnahme e<strong>in</strong>er<br />
Xanthomonas campestris pv. vesicatoria-<br />
Zelle (dunkler Bereich) mit Pili, die auf dem<br />
Typ-III-Sekretionsapparat sitzen.<br />
Foto: AG Bonas<br />
ne, sogenannte »Translokatoren« beteiligt.<br />
E<strong>in</strong>en aktuellen Forschungsschwerpunkt<br />
stellt <strong>in</strong> diesem Zusammenhang das molekulare<br />
Signal dar, welches die Effektoren<br />
aus dem Bakterien<strong>in</strong>neren durch das Typ-<br />
III-System dirigiert. Vergleichende Sequenzanalysen<br />
zahlreicher Typ-III-Effektoren<br />
deuten darauf h<strong>in</strong>, dass es e<strong>in</strong>e Präferenz<br />
für spezielle Am<strong>in</strong>osäuren <strong>in</strong> Effektorprote<strong>in</strong>en<br />
gibt, die möglicherweise für<br />
die Sekretion von Bedeutung s<strong>in</strong>d.<br />
Die bakterielle Spezialausrüstung –<br />
Wirtsspezifität<br />
Welche Prote<strong>in</strong>e werden <strong>in</strong> die Pflanzenzelle<br />
<strong>in</strong>jiziert und welchen Nutzen haben<br />
diese für die Bakterien? Es wird angenommen,<br />
dass die Gesamtheit des Effektor-Arsenals<br />
die Virulenz der Bakterien ermöglicht,<br />
wobei die Beiträge der e<strong>in</strong>zelnen<br />
Effektoren weitgehend ungeklärt s<strong>in</strong>d. Studien<br />
haben gezeigt, dass die Deletion e<strong>in</strong>zelner<br />
oder mehrerer Effektorgene aus dem<br />
Genom der Bakterien ke<strong>in</strong>en oder nur e<strong>in</strong>en<br />
ger<strong>in</strong>gen negativen E<strong>in</strong>fluss auf die Fähigkeit<br />
von Xanthomonas hat, sich <strong>in</strong> der<br />
Pflanze zu vermehren. Offensichtlich besitzen<br />
Pflanzenpathogene e<strong>in</strong>e Vielzahl<br />
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Während der Infektion dr<strong>in</strong>gen pflanzenpathogene<br />
Bakterien <strong>in</strong> das pflanzliche Gewebe<br />
e<strong>in</strong> und vermehren sich im Raum<br />
zwischen den Pflanzenzellen (Interzellularraum).<br />
Bei den meisten pflanzenpathogenen<br />
Bakterien spielt dabei e<strong>in</strong> Typ-III-Sekretionssystem<br />
(Hrp) e<strong>in</strong>e Schlüsselrolle.<br />
Diese molekulare Injektionsspritze ermöglicht<br />
die Sekretion von Virulenzprote<strong>in</strong>en<br />
<strong>in</strong> den Interzellularraum und darüber h<strong>in</strong>aus<br />
e<strong>in</strong>e direkte Injektion sogenannter<br />
Effektoren <strong>in</strong> das Zytoplasma der pflanzlichen<br />
Wirtszelle. Interessanterweise f<strong>in</strong>den<br />
sich homologe Systeme bei e<strong>in</strong>er Vielzahl<br />
von tier- und humanpathogenen Bakterien,<br />
so dass man davon ausgehen kann, dass<br />
dieser »Injektionsmechanismus« e<strong>in</strong>en<br />
Meilenste<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Evolution pathogener<br />
Bakterien darstellt. Pflanzenpathogene haben<br />
jedoch e<strong>in</strong>e zusätzliche Hürde zu überw<strong>in</strong>den,<br />
um <strong>in</strong> Kontakt mit der Wirtszelle<br />
zu treten, nämlich die pflanzliche Zellwand.<br />
Diese wird vermutlich durch die<br />
Ausbildung extrazellulärer fädiger Strukturen<br />
am Typ-III-Sekretionsapparat überbrückt,<br />
die den Sekretionsapparat wie die<br />
Kanüle e<strong>in</strong>er Spritze verlängern. Nach der<br />
Passage durch diese Pili gelangen die Effektorprote<strong>in</strong>e<br />
<strong>in</strong> bisher ungeklärter Weise<br />
über die Plasmamembran <strong>in</strong>s Zytoplasma<br />
der Wirtszelle. An diesem Vorgang s<strong>in</strong>d<br />
wahrsche<strong>in</strong>lich spezielle bakterielle Proteizum<br />
Teil funktionell redundanter Effektoren<br />
(ca. 36 <strong>in</strong> P. syr<strong>in</strong>gae pv. tomato), so<br />
dass der Verlust E<strong>in</strong>zelner nicht zum völligen<br />
Verlust der Virulenz führt. Für das<br />
AvrBs3-Prote<strong>in</strong>, den Prototyp e<strong>in</strong>er Familie<br />
von Effektoren, die bisher nur <strong>in</strong> Xanthomonas<br />
und dem nahen verwandten<br />
Ralstonia gefunden wurden, konnte gezeigt<br />
werden, dass es e<strong>in</strong>en pflanzeneigenen<br />
Transportmechanismus nutzt, um nach Injektion<br />
<strong>in</strong>s pflanzliche Zytoplasma <strong>in</strong> den<br />
Zellkern zu gelangen. In AvrBs3 bef<strong>in</strong>den<br />
sich neben den hierfür nötigen Kernlokalisierungssequenzen<br />
weitere funktionell<br />
wichtige Bereiche. Der mittlere Bereich ist<br />
durch e<strong>in</strong>e 17-fache fast identische Wiederholung<br />
e<strong>in</strong>es Motives aus je 34 Am<strong>in</strong>osäuren<br />
gekennzeichnet, für die angenommen<br />
wird, dass sie <strong>in</strong> der Interaktion mit Wirtsprote<strong>in</strong>en,<br />
oder der direkten B<strong>in</strong>dung an<br />
DNA e<strong>in</strong>e Rolle spielt. Außerdem f<strong>in</strong>det<br />
sich e<strong>in</strong>e Domäne, die die Expression von<br />
eukaryontischen Genen regulieren könnte.<br />
In e<strong>in</strong>em experimentellen Ansatz konnten<br />
vor kurzem Paprikagene identifiziert werden,<br />
die durch AvrBs3 reguliert werden.<br />
Dieses deutet darauf h<strong>in</strong>, dass pflanzenpathogene<br />
Bakterien über Typ-III-Effektoren<br />
die Expression von Wirtsgenen zu ihrem<br />
Nutzen modulieren.<br />
Neben der Genexpression s<strong>in</strong>d auch andere<br />
pflanzliche Funktionen Ziele für den Angriff<br />
durch Effektoren. AvrPtoB, e<strong>in</strong> Effektor<br />
aus P. syr<strong>in</strong>gae pv. tomato, attackiert<br />
vermutlich die Abwehrmechanismen der<br />
Pflanze. Untersuchungen homologer Faktoren<br />
<strong>in</strong> dem Bohnenpathogen P. syr<strong>in</strong>gae pv.<br />
phaseolicola konnten zeigen, dass dieser<br />
Effektor unter bestimmten Bed<strong>in</strong>gungen die<br />
Abwehr der Pflanze unterdrückt. E<strong>in</strong>e molekulare<br />
Erklärung für diesen Effekt könnte<br />
dar<strong>in</strong> liegen, dass AvrPtoB <strong>in</strong> Tomate mit<br />
Prote<strong>in</strong>k<strong>in</strong>asen <strong>in</strong> Wechselwirkung tritt, die<br />
<strong>in</strong> der Signaltransduktion von Eukaryonten<br />
e<strong>in</strong>e essenzielle Rolle spielen. Die Homologie<br />
weiterer Effektoren aus P. syr<strong>in</strong>gae pv.<br />
tomato mit Tyros<strong>in</strong>-Phosphatasen und<br />
ADP-Ribosyltransferasen deutet darauf<br />
h<strong>in</strong>, dass Signalwege <strong>in</strong>nerhalb pflanzlicher<br />
Zellen e<strong>in</strong> bedeutendes Ziel für Effektorprote<strong>in</strong>e<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Überwachungssysteme und<br />
Abwehrwaffen e<strong>in</strong>er Pflanze<br />
Im Normalfall ist e<strong>in</strong>e Pflanze durch e<strong>in</strong><br />
umfangreiches Arsenal von Verteidigungssystemen<br />
gegen parasitierende Bakterien<br />
gefeit. Die Bildung reaktiver Sauerstoff-<br />
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