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scientia halensis 4/2002<br />

Fachbereich Biologie<br />

»DIE GOLDHAMSTER-STORY«<br />

LABORTIERE UND WILDFÄNGE IM VERGLEICH<br />

Rolf Gattermann<br />

Hamster s<strong>in</strong>d typische Rodentia (Nagetiere). Sie gehören zur Familie der Cricetidae (Wühler)<br />

und bilden die eigenständige Unterfamilie Cricet<strong>in</strong>ae (Hamster), zu der etwa 20 Arten<br />

gehören (Abb. unten). Die genaue Zahl ist strittig. Die letzte Revision der Systematik<br />

stammt aus dem Jahre 1933 und ist nicht ausgereift. In unserer Forschungsgruppe werden<br />

mit Hilfe der klassischen Morphometrie und modernen Molekulargenetik entsprechende<br />

Untersuchungen zur Systematik und Phylogeographie durchgeführt. Die Schwierigkeit besteht<br />

<strong>in</strong> der Beschaffung der Tiere, denn Hamster leben <strong>in</strong> den Steppen und Agrarflächen<br />

Zentralasiens und Europas, überwiegend <strong>in</strong> Ländern, die nicht e<strong>in</strong>fach zu bereisen s<strong>in</strong>d.<br />

Alle Hamster s<strong>in</strong>d von gedrungener Gestalt<br />

mit kurzen Gliedmaßen und sehr kurzem<br />

Schwanz. Ihre Mundhöhle wird durch<br />

Backentaschen erweitert, die bis zu den<br />

Schulterblättern reichen und durch besondere<br />

Muskeln <strong>in</strong> Position gehalten und geöffnet<br />

werden. Sie dienen zum E<strong>in</strong>tragen<br />

von Futter und Nestmaterial. Hamster leben<br />

überwiegend solitär und s<strong>in</strong>d nachtaktiv.<br />

Zu ihrem Schutz graben sie Baue, <strong>in</strong><br />

denen sie ruhen, umfangreiche Futtervorräte<br />

horten (»hamstern«) und ihre Jungen<br />

aufziehen. Mit Ausnahme der »Zwerghamster«,<br />

die ke<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>terschlaf halten,<br />

graben die anderen Hamster ihre Baue bis<br />

<strong>in</strong> den frostfreien Bodenbereich, um <strong>in</strong> den<br />

W<strong>in</strong>terschlaf zu fallen. Dabei wird die Körpertemperatur<br />

aktiv bis auf etwa +4 °C gesenkt.<br />

Dieser Zustand hält mehrere Tage<br />

an, dann wachen die Tiere auf und s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige<br />

Tage aktiv, um erneut <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>terschlaf<br />

zu fallen.<br />

Goldhamster <strong>in</strong> Menschenhand<br />

Von allen Hamstern hat es vor allem der<br />

Goldhamster geschafft, e<strong>in</strong>e feste Position<br />

als Heim- und Versuchstier zu erobern. Se<strong>in</strong>e<br />

Heimat ist die fruchtbare, landwirtschaftlich<br />

genutzte und heute dicht besiedelten<br />

Hochebene von Aleppo <strong>in</strong> Syrien.<br />

Se<strong>in</strong> Verbreitungsgebiet ist mit 10 000–<br />

15 000 km 2 kle<strong>in</strong>er als Sachsen-Anhalt<br />

(20 000 km 2 ). Es erstreckt sich nördlich<br />

Goldhamster im Institut für Zoologie<br />

Foto: Archiv Zoologie<br />

und südwestlich der Zweie<strong>in</strong>halb-Millionen-Metropole<br />

Aleppo (Halab). Die Grenzen<br />

werden im Westen vom Nordsyrischen<br />

Kalkste<strong>in</strong>massiv, im Norden durch die<br />

Ausläufer des türkischen Taurus-Gebirges,<br />

im Osten vom Euphrat und im Südosten<br />

durch die Ste<strong>in</strong>steppen gebildet.<br />

Die Domestikationsgeschichte des Goldhamsters<br />

ist erst 72 Jahre alt und e<strong>in</strong>zigartig.<br />

Sie begann am 12.April 1930, als der<br />

Zoologe Israel Aharoni von der Universität<br />

Jerusalem <strong>in</strong> der Nähe von Aleppo e<strong>in</strong>en<br />

Goldhamsterbau ausgraben ließ. Dar<strong>in</strong> befanden<br />

sich e<strong>in</strong> Weibchen und elf Jungtiere.<br />

Die Rückreise nach Jerusalem überlebten<br />

nur vier Jungtiere, drei Männchen und e<strong>in</strong><br />

Weibchen, die mite<strong>in</strong>ander verpaart wurden.<br />

Aufregend ist, dass alle <strong>in</strong> menschlicher<br />

Obhut lebenden Goldhamster von dieser<br />

Bruder-Schwester-Paarung abstammen.<br />

Dieser Umstand und die weltweite Verbreitung<br />

des Goldhamsters als Heim- und Versuchstier<br />

lassen sich lückenlos belegen.<br />

Nachkommen des Jerusalemer Zuchtstammes<br />

gelangten schon 1931 nach Frankreich<br />

und England und 1938 <strong>in</strong> die USA. Hier erfolgte<br />

die Kommerzialisierung der Goldhamsterzucht<br />

und damit begann die weltweite<br />

Verbreitung dieses Tieres. In<br />

Deutschland trafen die ersten Goldhamster<br />

relativ spät e<strong>in</strong>. Erst im Juni 1948 importierte<br />

e<strong>in</strong> Münchner Pelztierfarmer fünf<br />

Tiere aus den USA, deren Nachkommen<br />

deutschlandweit verkauft wurden, so auch<br />

1950 an e<strong>in</strong>en Züchter <strong>in</strong> Halle.<br />

Nach 1930 wurden vere<strong>in</strong>zelt wildlebende<br />

Goldhamster gefangen, aber nicht lebend<br />

außer Landes gebracht. Erst der Amerikaner<br />

M. R. Murphy ließ 1971 <strong>in</strong> der Umgebung<br />

von Aleppo 13 Goldhamster fangen<br />

und brachte 4 Männchen und 8 Weibchen<br />

<strong>in</strong> die USA. Die mit diesen Tieren aufgebauten<br />

Zuchten s<strong>in</strong>d Ende der 90er Jahre<br />

erloschen.<br />

Wildgoldhamster <strong>in</strong> Halle<br />

E<strong>in</strong>e Zeitlang galten wildlebende Goldhamster<br />

als verschollen oder ausgestorben.<br />

Wir haben dennoch 1997 und 1999 geme<strong>in</strong>-<br />

...............................................................................<br />

sam mit Studierenden <strong>in</strong> der Hochebene<br />

9<br />

von Aleppo nach Goldhamstern gesucht<br />

und konnten ihre Existenz bestätigen. Im<br />

Ergebnis der Expeditionen wurden 19<br />

Wildfänge mit nach Halle gebracht, e<strong>in</strong>e<br />

Verbreitungskarte erstellt und erste Daten<br />

über Vorkommen und natürliche Lebensweise<br />

publiziert. Die wilden Goldhamster<br />

vermehrten sich ohne Schwierigkeiten, so<br />

dass e<strong>in</strong> neuer Wildstamm aufgebaut werden<br />

konnte. Nachkommen dieses Stammes<br />

(»Wildhamster«) und des seit 1976 bestehenden<br />

<strong>in</strong>stitutseigenen Goldhamsterstammes<br />

(»Laborhamster«) wurden für verschiedene<br />

vergleichende Untersuchungen<br />

herangezogen, um eventuelle Inzuchtdepressionen<br />

und domestikationsbed<strong>in</strong>gte Ersche<strong>in</strong>ungen<br />

zu erfassen.<br />

Zuerst sollten genetische Unterschiede<br />

quantitativ bestimmt werden. Dazu wurden<br />

spezifische Mikrosatelliten entwickelt<br />

und der Polymorphiegrad von Wild- und<br />

Laborhamstern bestimmt. Alle Loci bestä-<br />

Cricetus – Großhamster<br />

Cricetus cricetus – Feldhamster<br />

Mesocricetus – Mittelhamster<br />

Mesocricetus auratus – Goldhamster<br />

Mesocricetus brandti – Türkischer Hamster<br />

Mesocricetus newtoni – Rumänischer Hamster<br />

Mesocricetus raddei – Schwarzbrusthamster<br />

Mesocricetus nigriculus*<br />

Cricetulus – Zwerghamster<br />

Cricetulus migratorius – Grauer Zwerghamster<br />

Cricetulus griseus – Ch<strong>in</strong>esischer Zwerghamster<br />

Cricetulus barabensis – Daurischer Zwerghamster<br />

Cricetulus longicaudatus – Langschwanz Hamster<br />

Cricetulus pseudogriseus*, Cricetulus sokolovi*<br />

Cricetulus kamensis*, Cricetulus alticola*<br />

Tscherskia<br />

Tscherskia triton – Rattenartiger Zwerghamster<br />

Tscherskia canus*<br />

Allocricetulus<br />

Allocricetulus eversmanni – Eversmann Zwerghamster<br />

Allocricetulus curtatus – Mongolischer Zwerghamster<br />

Phodopus – Kurzschwanz-Zwerghamster<br />

Phodopus sungorus – Dsungarischer Hamster<br />

Phodopus campbelli – Campbell Hamster<br />

Phodopus roborovskii – Roborowski Hamster<br />

Calomyscus – Maushamster<br />

Calomyscus bailwardi – Maushamster<br />

Calomyscus hotsoni*, C. mystax*, C. tsolovi*, C.<br />

urartensis*<br />

Zusammenstellung der rezenten Hamsterarten (unterstrichen<br />

= im Institut für Zoologie gehaltene Hamster,<br />

* = Artstatus strittig)

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