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scientia halensis 4/2002<br />

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Fachbereich Biologie<br />

................................................................................<br />

fig: <strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ger Konzentration (1–100 nM)<br />

8<br />

wird es essenziell für ca. 20 bekannte<br />

Funktionen benötigt, wirkt aber <strong>in</strong> höherer<br />

Konzentration schnell toxisch. Anaerobe<br />

Bakterien wie E. acidam<strong>in</strong>ophilum bilden<br />

m<strong>in</strong>destens acht verschiedene Selenoprote<strong>in</strong>e,<br />

wobei das Selenocyste<strong>in</strong> als 21. Am<strong>in</strong>osäure<br />

über e<strong>in</strong>en raff<strong>in</strong>ierten Mechanismus<br />

cotranslational e<strong>in</strong>gebaut wird, der<br />

1986 erstmalig für die Formiat-Dehydrogenase<br />

von E. coli von der Gruppe um<br />

Prof. Dr. Böck (München) aufgedeckt wurde.<br />

Die Selenocyste<strong>in</strong> enthaltenden Prote<strong>in</strong>e<br />

der Reduktasen für Glyc<strong>in</strong>, Sarkos<strong>in</strong>,<br />

Beta<strong>in</strong> oder Prol<strong>in</strong> bilden mit dem Substrat<br />

e<strong>in</strong>en Selenoether, der mittels e<strong>in</strong>es Cyste<strong>in</strong>restes<br />

reduktiv gespalten werden kann.<br />

E<strong>in</strong> erstmals aufgefundenes Selenoperoxiredox<strong>in</strong><br />

sorgt dafür, dass »unser« anaerobes<br />

Bakterium nicht durch Peroxide »gestresst«<br />

wird. Ähnlich funktionieren beim<br />

Menschen die Selenoprote<strong>in</strong>e Glutathion<br />

Peroxidase und Thioredox<strong>in</strong> Reduktase.<br />

Auch an der Bildung von Thyrox<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Schilddrüse ist e<strong>in</strong>e selenhaltige Deiod<strong>in</strong>ase<br />

beteiligt, die über e<strong>in</strong>en Selenocyste<strong>in</strong>rest<br />

das vierte Iod-Atom entfernt. So s<strong>in</strong>d im<br />

letzten Fall zwei, auch für den Menschen<br />

überlebenswichtige Spurenelemente, Selen<br />

und Jod, eng mite<strong>in</strong>ander verzahnt.<br />

Diox<strong>in</strong>e – e<strong>in</strong>e ungewöhnliche Kost<br />

»Diox<strong>in</strong>« ist e<strong>in</strong> Sammelbegriff für e<strong>in</strong>e<br />

Gruppe von 210 Verb<strong>in</strong>dungen vom Typ<br />

der polychlorierten Dibenzo-p-diox<strong>in</strong>e und<br />

Furane, die sich durch die Anzahl und die<br />

Position der Chlorsubstituenten unterscheiden.<br />

17 Verb<strong>in</strong>dungen, vor allem das<br />

2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-diox<strong>in</strong> (Abb.<br />

unten), s<strong>in</strong>d sehr giftig für den Menschen,<br />

u. a. aufgrund der spezifischen B<strong>in</strong>dung an<br />

den Ah-Rezeptor, e<strong>in</strong>en Transkriptionsfaktor,<br />

die e<strong>in</strong>e Kaskade zellulärer Reaktionen<br />

auslöst. Die zivilisationsbed<strong>in</strong>gte<br />

Diox<strong>in</strong>belastung der Umwelt geht auf (unbeabsichtigte)<br />

Freisetzungen bei metallurgischen<br />

Verfahren, Synthesen von chlorierten<br />

2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-diox<strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dungen und thermischen Prozessen<br />

(Müllverbrennungen, Industrieunfälle etc.)<br />

zurück. Die extrem niedrige Wasserlöslichkeit<br />

der Verb<strong>in</strong>dungen begünstigt die Sorption<br />

an Partikel und das Absetzen <strong>in</strong> Flusssedimenten<br />

sowie die Anreicherung <strong>in</strong><br />

Nahrungsketten. Der hohe Gehalt an<br />

Chloratomen beh<strong>in</strong>dert außerdem e<strong>in</strong>en<br />

schnellen Abbau der Diox<strong>in</strong>e durch aerobe<br />

Bakterien. So sollen Diox<strong>in</strong>e Halbwertszeiten<br />

von bis zu 100 Jahren <strong>in</strong> der Umwelt<br />

besitzen.<br />

Jedoch gibt es e<strong>in</strong>en mikrobiologischen<br />

Stoffwechselprozess, für den e<strong>in</strong> hoher<br />

Chlorierungsgrad organischer Verb<strong>in</strong>dungen<br />

essenziell ist – die Dehalorespiration oder<br />

»Chloratmung«. Bestimmte strikt anaerobe<br />

Bakterien können chlorierte Verb<strong>in</strong>dungen<br />

reduzieren, <strong>in</strong>dem sie Chloratome abspalten<br />

und durch Wasserstoffatome ersetzen,<br />

wobei sie die Reaktion zur Energiekonservierung<br />

ausnutzen, vergleichbar der Atmung<br />

aerober Bakterien mit Sauerstoff. Die<br />

dechlorierten Produkte der durch e<strong>in</strong> cobalthaltiges<br />

Enzym katalysierten Reaktion<br />

s<strong>in</strong>d besser lösliche und oftmals weniger<br />

giftige Verb<strong>in</strong>dungen, die durch andere Bakterien<br />

weiter abgebaut werden können. Die<br />

Dehalorespiration ist auf bestimmte anaerobe<br />

Spezialisten (z. B. Vertreter der Gattungen<br />

Desulfitobacterium, Abb. oben, Dehalococcoides<br />

oder Dehalospirillum) beschränkt,<br />

die u. a. im Sediment von Gewässern<br />

vorkommen. Neuere Arbeiten haben<br />

nun gezeigt, dass nicht nur Chlorphenole<br />

oder Tetrachlorethen, sondern auch Diox<strong>in</strong>e<br />

zu den Substraten der Dechlorierer zählen.<br />

So wurde <strong>in</strong> Sedimentproben aus der<br />

Saale und dem Spittelwasser, letzteres e<strong>in</strong><br />

hoch mit Diox<strong>in</strong>en belastetes Flüsschen bei<br />

Identifizierung von Desulfitobacterium-Zellen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er diox<strong>in</strong>dechlorierenden<br />

Sedimentkultur<br />

durch Fluoreszens-<strong>in</strong>-situ-<br />

Hybridisierung.<br />

Maßstab: 4,5 µm<br />

Bild: Lechner, Bunge<br />

Bitterfeld, die Fähigkeit zur Dechlorierung<br />

e<strong>in</strong>iger, z. T. sehr toxischer Diox<strong>in</strong>e nachgewiesen.<br />

Die Identifizierung, vielleicht sogar<br />

Isolierung der dafür verantwortlichen, sehr<br />

sauerstoffempf<strong>in</strong>dlichen und hoch spezialisierten<br />

Bakterien ist e<strong>in</strong>e spannende wissenschaftliche<br />

Herausforderung.<br />

Die Dehalorespiration ist e<strong>in</strong>e konkurrenzfähige<br />

Lebensweise von anaeroben Bakterien,<br />

die sich vermutlich bereits vor Jahrmillionen<br />

auf der Grundlage natürlich gebildeter<br />

Chlorverb<strong>in</strong>dungen entwickelt hat. Zusammen<br />

mit konsequenten Maßnahmen<br />

zur Reduzierung von Diox<strong>in</strong>emissionen<br />

könnte sie uns helfen, Diox<strong>in</strong>belastungen<br />

bedenklicher Ausmaße so zu verr<strong>in</strong>gern,<br />

dass sie im S<strong>in</strong>ne von Paracelsius´ Wort<br />

ihre Bedrohung verlieren.<br />

Jan Remmer Andreesen, Jg. 1941, studierte<br />

1961 bis 1969 (Mikro)Biologie und Chemie<br />

<strong>in</strong> Hamburg, Tüb<strong>in</strong>gen und Gött<strong>in</strong>gen,<br />

wurde 1969 promoviert, war von 1970 bis<br />

1972 Post-Doc <strong>in</strong> der Biochemie <strong>in</strong> Athens,<br />

GA (USA), danach wiss. Ass. bzw. akad.<br />

Rat an der Universität Gött<strong>in</strong>gen, dort<br />

1978 Habilitation, 1982 Ruf auf die Lehrkanzel<br />

<strong>in</strong> Graz und 1984 C2-Prof. <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen.<br />

1993 folgte er dem Ruf an die Universität<br />

Halle (Allgeme<strong>in</strong>e Mikrobiologie),<br />

1994 bis 1998 war er Dekan des Fachbereichs<br />

Biologie.<br />

Ute Lechner, Jg. 1953, studierte <strong>in</strong> Halle<br />

Biowissenschaften und wurde 1981 promoviert,<br />

anschließend wissenschaftliche Mitarbeiter<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> der Mikrobiologie, 1991/2<br />

kommissarische Leiter<strong>in</strong> des Instituts für<br />

Mikrobiologie, Forschungsaufenthalte <strong>in</strong><br />

Hels<strong>in</strong>ki.

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