Heft 49 - nachhaltige Schülerfirmen Endfassung.indd
Heft 49 - nachhaltige Schülerfirmen Endfassung.indd
Heft 49 - nachhaltige Schülerfirmen Endfassung.indd
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Vorbild Dänemark<br />
Die Produktionsklasse ist eine Auskoppelung<br />
aus der Idee der Produktionsschule.<br />
Diese wurde in<br />
Deutschland von den Pädagogen Paul<br />
Oestreich und Georg Kerschensteiner<br />
geprägt, die beide, wenn auch aus verschiedenen<br />
Blickwinkeln, die Absicht<br />
verfolgten, schwer erziehbaren bzw.<br />
schwer beschulbaren Jugendlichen<br />
die Chance zur einer erfolgreichen<br />
Entwicklung durch Arbeit zu bieten.<br />
Durch den nicht ganz unbegründeten<br />
Vorwurf (damals) „Menschen formen“<br />
zu wollen, geriet der Produktionsschulansatz<br />
in Deutschland lange<br />
Zeit in Vergessenheit.<br />
Als Wiege der modernen Produktionsschule<br />
gilt Dänemark, wo Anfang<br />
der 1980er Jahre die ersten Einrichtungen<br />
gegründet wurden, um die<br />
Sozialisation von Jugendlichen zu<br />
fördern, bei denen diese innerhalb der<br />
Schule nicht gelungen ist.<br />
Der Ansatz und gesellschaftliche Nutzen<br />
besteht darin, dass die Einbindung<br />
in einen realen Arbeitsprozess eine<br />
neue Kategorie von Herausforderung<br />
und Erfolgschancen bringt, und<br />
somit eine neue Perspektive in die<br />
Lernkrise, die sich bei der Zielgruppe<br />
verfestigt hat, und die aus einem<br />
Teufelskreis aus Misserfolg, Unvermögen,<br />
unkoordiniertem Handeln und<br />
daher wieder Misserfolg besteht.<br />
Um diesem Muster entgegen zu<br />
wirken, wurde an der BBS in Wörth<br />
modellhaft das BVJ Hauswirtschaft<br />
auf die Schulform Produktionsschule<br />
(bzw. -klasse) umgestellt. Nach<br />
überraschend aufwendigen Umbauarbeiten<br />
im Küchenbereich bis zum<br />
Frühjahr 2006 konnte die BVJ-Klasse<br />
2006/07 schließlich, unterstützt von<br />
einem Projektkoordinator und einer<br />
zusätzlichen Anleiterin für die Fachpraxis,<br />
von Anfang an als Produktionsklasse<br />
arbeiten.<br />
Der Wörther Modellversuch bestand<br />
darin, dass die Schulform Produktionsschule<br />
in den Schulbetrieb einer<br />
staatlichen berufsbildenden Schule<br />
(BBS) integriert wurde und somit<br />
die BBS mit einem erweiterten Lehrgangsspektrum<br />
auch als Produktionsschule<br />
fungiert. Die betriebliche<br />
Arbeit ist in den Schulunterricht<br />
integriert (dies gilt für die Fachpraxis),<br />
bzw. der Schulunterricht ist,<br />
soweit es die Themen ermöglichen,<br />
mit betrieblicher Arbeit bestückt (dies<br />
gilt für die theoretischen Fächer).<br />
Die Mitwirkung ist unmittelbar mit<br />
der Schulpflicht verbunden und<br />
kann nach Ablauf einer anfänglichen<br />
Probezeit weder durch Schüler noch<br />
durch die Schule ohne zwingenden<br />
Grund abgebrochen werden. In betrieblicher<br />
Arbeit erworbenes Wissen<br />
wird benotet, ist prüfungsrelevant und<br />
trägt entscheidend zum Erreichen des<br />
Hauptschulabschlusses bei.<br />
Durch das Engagement der unmittelbar<br />
am Projekt beteiligten Lehrer,<br />
sowie die personelle Unterstützung<br />
und eine konsequente Sozial- und<br />
Personalarbeit konnte schnell eine<br />
positive, dynamische Stimmung<br />
in der Klasse etabliert werden, die<br />
nach einigen Wochen Vorlaufzeit das<br />
BBS BISTRO eröffnete und fortan<br />
jeden Dienstag ein vollständig selbst<br />
zubereitetes, preisgünstiges Mittagsmenü<br />
öffentlich anbot. Diese Arbeit<br />
wurde montags vor- und mittwochs<br />
hauswirtschaftlich nachbereitet, und<br />
im berufsbezogenen Unterricht und<br />
Sozialkunde mit Kassenabrechnung,<br />
Bankgeschäften, Teamentwicklung<br />
und Warenkunde vervollständigt.<br />
Als pädagogisch besonders wertvoll<br />
erwies sich die zahlende Kundschaft,<br />
die dank der guten Qualität des Essens<br />
sowie der konsequenten Öffentlichkeitsarbeit<br />
durch die Projektkoordination<br />
stets in ausreichender Anzahl<br />
erschienen ist. Durch die Kundschaft<br />
empfanden die Schülerinnen die Arbeitsanforderungen,<br />
die wesentlich<br />
höher waren als sonst im BVJ, nicht<br />
(wie sonst so häufig) als „Schikane“,<br />
sondern als motivierende Herausforderung.<br />
Die beteiligten Lehrer, die allesamt<br />
auf langjährige Berufserfahrung im<br />
BVJ zurückblicken können, stellten<br />
zudem auch eine höhere Leistungsbereitschaft<br />
in den allgemeinbildenden<br />
Fächern fest.<br />
Insgesamt war das Modellprojekt<br />
ein voller Erfolg: ein gelungener<br />
Arbeitsalltag ermöglichte den Schülerinnen<br />
neue, positive Orientierung. Es<br />
entstand eine neue Handlungskompetenz<br />
mit mehr Sicherheit bezüglich eigener<br />
Stärken, und somit mehr Bereitschaft<br />
und Entschlossenheit, eigene<br />
Schwächen zu erkennen und an ihnen<br />
zu arbeiten. Es entsteht insgesamt<br />
eine höhere Leistungsbereitschaft,<br />
und das Handeln wird koordinierter<br />
und erfolgsorientierter.<br />
Aber auch vor dem direkten Erfolg<br />
fand einiges statt. Im Produktionszusammenhang<br />
treten Schüler anders<br />
auf als im Schulunterricht. Dies ist<br />
zum einen durch den Kundenkontakt<br />
begründet, zum anderen durch<br />
die Arbeitsaktivität selbst. So lehrt<br />
uns die Neuropsychologie, dass die<br />
Aktivierung von Feinmotorik und<br />
Hand-Augen-Koordination Aufmerksamkeit<br />
und Auffassungsgabe<br />
stimuliert (einer der Grundpfeiler der<br />
Erlebnispädagogik). Für die Schüler<br />
bedeutet dies, dass nicht nur neues<br />
Wissen erarbeitet, sondern allgemein<br />
eine neue Offenheit für das „Lernen<br />
an sich“ erschlossen wird. Das Arbeiten<br />
im Produktionszusammenhang<br />
42