OM Deutsch 2010 Internet-Ausgabe.pdf
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Verstreut auf die weite Welt:<br />
Gesellschaftliches und<br />
kulturelles Leben der Letten im<br />
Exil<br />
Nach der „Zerstreuung in alle Winde“ um das Jahr<br />
1950 ließen sich auf allen fünf Kontinenten lettische<br />
Flüchtlinge nieder, die meisten von ihnen in Kanada,<br />
Australien, England, Schweden, <strong>Deutsch</strong>land und den<br />
USA. Die umfassenden gesellschaftlichen, kulturellen<br />
und politischen Aktivitäten sowie Bildungsmaßnahmen,<br />
die sich in den Flüchtlingslagern in <strong>Deutsch</strong>land<br />
entwickelt hatten, wurden nach Möglichkeit auch in den<br />
Gastländern fortgesetzt. Das aktive gesellschaftliche und<br />
kulturelle Leben im Exil sorgte dafür, daß trotz großer<br />
räumlicher Entfernungen und Assimilationstendenzen<br />
bis Ende des Jahrhunderts ein lebendiger Kern der<br />
lettischen Gesellschaft außerhalb Lettlands existierte.<br />
In den Gastländern mußten die Flüchtlinge ein ganz<br />
neues Leben beginnen. Nahezu alle Letten, unabhängig<br />
vom Bildungsstand und ihrer früheren beruflichen<br />
Stellung, waren zunächst gezwungen, körperlich zu<br />
arbeiten. Die ältere Generation, die die Sprache des<br />
jeweiligen Gastlandes nicht ausreichend beherrschte, lebte<br />
sich nur schwer ein. Nicht zuletzt auch aus diesem Grund<br />
bildeten sie die wichtigste Stütze der Exilorganisationen.<br />
Der jüngeren Generation der Einwanderer fiel es leichter,<br />
die neue Sprache zu erlernen – so eröffneten sich gute<br />
Möglichkeiten für Studium, Berufsausbildung und eine<br />
einträgliche Arbeit.<br />
Fast überall, wo sich Letten niederließen, wurden alsbald<br />
Organisationen ins Leben gerufen, die das kulturelle und<br />
gesellschaftliche Leben erfüllten: Kirchengemeinden,<br />
Vereine, Chöre und Theatergruppen. In regelmäßigen<br />
Abständen fanden Veranstaltungen statt. Nachdem mit der<br />
Zeit eine stabile materielle Basis vorhanden war, wurden<br />
Grundstücke bzw. Häuser für Kirchen und Vereinsräume<br />
und andere gemeinschaftliche Zwecke wie für Sommerlager<br />
auf dem Lande erworben.<br />
Zentralorganisationen entstanden als Dachverbände, die<br />
die in einem bestimmten Staat lebenden Letten vertrat.<br />
Daneben bestanden auch Organisationen auf internationaler<br />
Ebene, so Pasaules Brīvo Latviešu Apvienība (PBLA,<br />
Weltbund freier Letten) und Daugavas Vanagi (Düna-<br />
Falken). Letztere Organisation war eine von lettischen<br />
Legionären in einem Kriegsgefangenenlager in Belgien<br />
gegründete Gemeinschaft, die sich durch ihre Hilfsaktionen<br />
sowie die vielfältigen kulturellen und politischen<br />
Aktivitäten ihrer weltweiten Abteilungen und Verbände zu<br />
einer der einflußreichsten Exilorganisationen entwickelte.<br />
Das kulturelle und gesellschaftliche Leben wurde auch<br />
durch Großveranstaltungen wie Sängerfeste, Kulturtage,<br />
Jugendfeste und Kongresse belebt. Zur Unterstützung und<br />
Förderung von Kultur- und Bildungsprojekten wurden<br />
Stiftungen ins Leben gerufen.<br />
Besonderes Augenmerk richtete die Exilgesellschaft auf<br />
die Erziehung der Jugend. Vielerorts gab es Samstagsund<br />
Sonntagsschulen, in denen die lettische Sprache und<br />
Literatur, Folklore sowie die Geographie und Geschichte<br />
Lettlands gelehrt wurde. Zur weiterführenden Ausbildung<br />
wurden Sommergymnasien und -kurse organisiert. In<br />
Münster gab es ein lettisches Gymnasium, das von jungen<br />
Letten aus aller Welt besucht wurde. An der Western<br />
Michigan Universität in Kalamazoo existierte viele Jahre<br />
lang ein lettisches Studienprogramm. Aktiv waren auch<br />
die Jugendorganisationen, angefangen bei den Pfadfindern,<br />
Jugendarbeitsgemeinschaften, Volkstanzgruppen bis hin zu<br />
Eine von Professor Edgars Dunsdorfs erstellte Karte, die die Verteilung der Letten in der Welt zeigt (Stand: 1968). Nach den<br />
Erhebungen der Volkszählung von 1959 lebten in Lettland selbst weniger als 1,3 Mio. Letten.<br />
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