OM Deutsch 2010 Internet-Ausgabe.pdf
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Grabesfrieden:<br />
Ende des Zweiten Weltkrieges in<br />
Lettland<br />
Das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945<br />
brachte Europa Frieden. In Lettland endete damit<br />
zwar das Kriegsleid, aber für den überwiegenden Teil<br />
der Bevölkerung bedeutete es eine Fortsetzung der<br />
sowjetischen Okkupation und des kommunistischen<br />
Terrors. Menschen wurden für eine direkte oder indirekte<br />
Zusammenarbeit mit den nationalsozialistischen<br />
Besatzern, ja schon für ihre bloße Anwesenheit im<br />
deutsch besetzten Lettland, verhaftet, angeklagt oder als<br />
„Faschisten“ und „Heimatverräter“ beschimpft.<br />
Der Krieg endete mit der bedingungslosen Kapitulation<br />
des nationalsozialistischen <strong>Deutsch</strong>land und dem Sieg der<br />
Alliierten. In der Sowjetunion fanden die Siegesfeiern am<br />
9. Mai statt. Doch der lettische Staat und seine Bevölkerung<br />
hatte nichts zu feiern – bedeutete doch das Kriegsende nicht<br />
die Wiederherstellung der Unabhängigkeit, sondern bereits<br />
den zweiten Wechsel der Besatzungsmacht.<br />
Abgesehen vom deutsch besetzten Teil Kurlands hatte die<br />
Sowjetisierung und die Repressionspolitik der Sowjetmacht<br />
auf lettischem Territorium unverzüglich nach dem Eintreffen<br />
der Roten Armee Mitte 1944 eingesetzt. Den Fronttruppen<br />
folgten Einheiten des NKGB – ab 1946 MGB (Ministerium für<br />
Staatssicherheit) – sowie des Armeespionageabwehrdienstes<br />
Smersch (russ. „Tod den Spionen“), die im Laufe von knapp<br />
sechs Monaten 23.300 Zivilisten verhafteten; viele von<br />
ihnen verschwanden spurlos.<br />
Die meisten wurden nach Paragraph 58 des<br />
Strafgesetzbuches der Russischen Föderation als „Lakaien,<br />
Handlanger, Polizisten, Spione bzw. Spionageabwehragenten<br />
der <strong>Deutsch</strong>en“ oder als „Heimatverräter“ bestraft.<br />
Bei der Entlassung aus dem Filtrationslager: „Du hast den<br />
Löffel vergessen ...“, Zeichnung aus dem Tagebuch des<br />
ehemaligen Legionärs Juris Barkāns (1924–1975).<br />
Insgesamt etwa 90.000 Kriegsgefangene und viele<br />
Zivilisten, darunter vor allem männliche Personen über<br />
16 Jahren, wurden zur Überprüfung in sogenannten<br />
Filtrationslagern in Lettland und in der Sowjetunion<br />
interniert. Bei seiner Entlassung aus einem solchen Lager<br />
mußte jeder Häftling durch Unterschrift bestätigen, daß<br />
er „keine Ansprüche gegenüber der Lagerverwaltung<br />
geltend macht“ und über das im Lager Gesehene und<br />
Erlebte Stillschweigen bewahren wird. Um einen Ausweis<br />
oder andere Personaldokumente zu erhalten, mußten die<br />
Entlassenen bei der NKGB- bzw. MGB-Abteilung ihres<br />
Wohnortes vorsprechen und sich in einer Kartei registrieren<br />
lassen, wobei sie nochmals verhört, oftmals erpreßt und<br />
als Informanten geworben wurden. 1947 befanden sich<br />
28.813 Einwohner Lettlands, über deren Schicksal noch<br />
nicht entschieden war, in sowjetischen Filtrationslagern.<br />
Mit Waffengewalt:<br />
Die militärische Besetzung<br />
Lettlands durch die Sowjetunion<br />
Die gesamte sowjetische Besatzungszeit hindurch waren<br />
in Lettland große sowjetische Truppenkontingente<br />
mit zahlreichen Militärbehörden und -stützpunkten<br />
stationiert, die die zivile Okkupation absicherten<br />
und damit der kommunistischen Regierung und<br />
ihren Unterstützern ermöglichten, Terror und andere<br />
Unterdrückungsmethoden gegen die Mehrheit der<br />
Bevölkerung einzusetzen. Viele Repressionsmaßnahmen<br />
wie die Massendeportationen fanden unter direkter<br />
Beteiligung der Streitkräfte statt.<br />
Bereits 1940 hatten die sowjetischen Streitkräfte Lettland<br />
zu ihrem Hauptstützpunkt im Baltikum erwählt. Im Juni<br />
1945 wurde Riga erneut Sitz des Stabs des Baltischen<br />
Militärbezirks sowie der sowjetischen „Baltischen<br />
Flotte,“ der militärischen Spionageabwehr und anderer<br />
Kommandostäbe.<br />
Die Bedürfnisse der Bevölkerung hatten während der<br />
Okkupation hinter denen der Roten Armee zurückzustehen.<br />
Große Land- und Wohnflächen gerieten in den Besitz der<br />
Armee. Bis 1953 übernahm die Rote Armee annähernd<br />
2.000 km 2 Grund und Boden (über 3% der Landfläche<br />
Lettlands), auf denen nach der Umsiedlung der Bewohner<br />
Flugplätze, Manövergelände und Munitionslager<br />
eingerichtet wurden. Bereits 1945 wurden in Lettland<br />
21 Militärflugplätze angelegt. Mehrere militärische<br />
Hochschulen und Bildungseinrichtungen wurden in<br />
Riga eröffnet. Im Herbst 1945 nahmen militärische<br />
Einrichtungen 27% der gesamten Wohnfläche der Stadt ein<br />
(9.779 Wohnungen in 495 Gebäuden). 10% der Wohnflächen<br />
von Neubauten waren der Roten Armee vorbehalten. Später<br />
wurden an verschiedenen Orten Raketenstützpunkte und in<br />
Skrunda eine Radaranlage für strategische Raketen errichtet.<br />
Viele sowjetische Offiziere aus anderen Teilen der UdSSR<br />
nutzten die Gelegenheit, sich nach ihrer Pensionierung<br />
in Lettland niederzulassen. Nach der Wiederherstellung<br />
der Unabhängigkeit 1991 lebten etwa 22.000 sowjetische<br />
Militärpensionäre mit ihren Familienangehörigen in<br />
Lettland.<br />
Als 1994 schließlich die nun bereits russische Armee<br />
Lettland verließ, waren viele verlassene Militärgelände<br />
schwer verseucht und wegen zurückgebliebener Munition<br />
hochgefährlich.<br />
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