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OM Deutsch 2010 Internet-Ausgabe.pdf

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Die Nationalkommunisten richteten sich auch gegen<br />

die Bildung von Großbetrieben zur Versorgung der<br />

UdSSR, die der Einfuhr von Rohstoffen und des Zustroms<br />

von Arbeitskräften bedurften. Statt dessen wollten sie<br />

die traditionellen Wirtschaftszweige wie Leicht- und<br />

Nahrungsmittelindustrie in Lettland fördern. Sie waren<br />

bestrebt, ein lettisches Umfeld zu schaffen und dem Lettischen<br />

wieder den Status einer Landessprache zu verleihen,<br />

indem sie von russischsprachigen Funktionären forderten,<br />

sich innerhalb von zwei Jahren Lettischgrundkenntnisse<br />

anzueignen. Zur Verwirklichung ihrer Ziele bemühten<br />

sich die „Berklavisten“ um eine Erhöhung des Anteils der<br />

Letten innerhalb der Kommunistischen Partei und in den<br />

führenden Ämtern.<br />

Für besonderen Widerstand gegen die Politik der<br />

Nationalkommunisten sorgten die Klagen der Führung<br />

des Baltischen Militärbezirks wegen des Erlernens<br />

der lettischen Sprache und der Einschränkung der<br />

Niederlassungsberechtigung in Riga. Moskau dagegen<br />

war unzufrieden mit der Zurückweisung der von Moskau<br />

eingesetzten und gesteuerten stellvertretenden Minister und<br />

Zweiten Sekretäre des ZK der KPL.<br />

Sowjetische Geschichtsstunde,<br />

Teil 21<br />

Streichholzschachteletiketten mit lettischsprachigen<br />

Aufschriften aus der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre.<br />

Von links: Staatliches Kunstmuseum, lettisches Ornament,<br />

Lettisches Ethnografisches Freilichtmuseum.<br />

Die Geschichte der Lettischen SSR urteilte über die Erfolge<br />

im Kulturleben bis 1961: „Im zu betrachtenden Zeitraum<br />

fand eine Umorientierung der in der alten bourgeoisen<br />

Gesellschaftsordnung herausgebildeten Ansichten der<br />

Intelligenz statt. Es wuchs eine junge, dem Sozialismus<br />

unbedingt treu ergebene, sowjetische Intelligenzschicht<br />

heran. Der Marxismus-Leninismus wurde zur maßgeblichen<br />

Ideologie in allen Bereichen des Geisteslebens. Es bildete sich<br />

eine inhaltlich sozialistische, formell aber nationale lettische<br />

Volkskultur heraus, die einen organischen Bestandteil der<br />

multinationalen Kultur des Sowjetlandes darstellte.“ (Band<br />

2, S. 309)<br />

Eduards Berklavs (1914–2004)<br />

Berklavs war eine der herausragenden Persönlichkeiten unter<br />

den Suchern und Umsetzern nationalkommunistischer Ideen.<br />

Sein Schicksal beweist die Unvereinbarkeit von kommunistischer<br />

Ideologie und humanistisch-nationaler Bestrebungen.<br />

Zur Zeit des unabhängigen Lettland war Berklavs in<br />

Hilfsorganisationen der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei<br />

Lettlands aktiv, zudem beteiligte er sich an der illegalen<br />

Komsomolarbeit. Deshalb und wegen des Druckens verbotener<br />

Schriften wurde er zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe<br />

verurteilt. Die schlechte wirtschaftliche Situation seiner Familie,<br />

die Propaganda von Radio Moskau sowie ein unzureichendes<br />

Maß an Bildung und Information waren laut eigener Angaben<br />

Berklavs’ Motive, die sowjetische Okkupation von 1940 zu<br />

unterstützen. Während des Krieges bekleidete er verschiedene<br />

Posten in der Lettischen Schützendivision; nach dem Krieg<br />

setzte er seine Arbeit in der Komsomol-Bewegung, später in der<br />

Kommunistischen Partei fort.<br />

Als stellvertretender Vorsitzender des Ministerrats der Lettischen<br />

SSR (1956–1957 und 1958–1959) und als Erster Sekretär der<br />

Parteileitung der Stadt Riga (1957–1958) sowie als Politbüromitglied<br />

der LKP wurde Berklavs zu einem der konsequentesten Vertreter<br />

nationalkommunistischer Ansichten. Nach Beschwerden, die von<br />

Seiten der Führungsspitze des Baltischen Militärbezirks während<br />

seines Rigabesuchs an Chruschtschow herangetragen wurden,<br />

setzte 1959 auf einen geheimen Beschluß des ZK der LKP hin eine<br />

„Säuberung“ der Kader ein, in deren Verlauf Berklavs und seine<br />

Gesinnungsgenossen ihrer Ämter enthoben wurden. Berklavs<br />

wurde nach Wladimir (Rußland) ins „freiwillige“ Exil geschickt,<br />

wo er achteinhalb Jahre lang ein Filmverleihbüro leitete.<br />

Das folgende Kräftemessen zwischen Berklavs und dem ZK<br />

der KPL war bemerkenswert. Die Partei versuchte, eine öffentliche<br />

Distanzierung Berklavs von seinen politischen Anschauungen und<br />

seinem früheren Vorgehen zu erreichen; da Berklavs einem großen<br />

Teil der lettischen Intelligenz bzw. den national eingestellten<br />

Kreisen bekannt war, fiel dem eine gewisse Wichtigkeit zu. Sein<br />

Name wurde auch oft im Westen im Zusammenhang mit der<br />

Russifizierungspolitik in Lettland genannt.<br />

Nach seiner Rückkehr nach Lettland wies Berklavs die<br />

erniedrigenden Vorschläge zur Kooperation zurück und büßte so<br />

zahlreiche Privilegien ein (Tätigkeit in der Parteinomenklatura,<br />

hohe Rente etc.). Er erhielt einen Posten in der Rigaer<br />

Elektromaschinenfabrik (RER).<br />

Berklavs setzte seinen Widerstand fort. Gemeinsam mit<br />

anderen noch treuen Nationalkommunisten schrieb er den „Brief<br />

der 17 Kommunisten,“ der 1972 auf illegalem Weg an die<br />

Kommunistischen Parteien in Westeuropa geschickt werden<br />

konnte und auf starke Resonanz in der Weltpresse stieß. Es gelang<br />

dem KGB zwar nicht, überzeugende Beweise dafür zu finden,<br />

daß Berklavs Verfasser dieses Briefes war, dennoch wurde er<br />

weiterhin verfolgt, indem er zu „Aussprachen“ zitiert und und<br />

seine Wohnung durchsucht wurde.<br />

Zu Beginn der Zeit der nationalen Wiedergeburt Ende der<br />

achtziger Jahre war Berklavs einer der wenigen Kommunisten,<br />

die ihre Zugehörigkeit zur Kommunistischen Partei wahrhaftig<br />

bereuten. Er wurde zu einem der führenden Mitglieder der<br />

Lettischen Nationalen Unabhängigkeitsbewegung (LNNK).<br />

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