Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl
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stellt s<strong>in</strong>d, dass sie zurück <strong>in</strong> die Haftanstalt verlegt werden<br />
können. Vielfach f<strong>in</strong>det dann die medikamentöse Weiterbehandlung<br />
<strong>in</strong> der Haftanstalt bis zur Abschiebung statt.<br />
Für den Umgang mit e<strong>in</strong>er traumatisierten Person <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besuchten<br />
<strong>Abschiebungshaft</strong>anstalt steht das folgende Beispiel:<br />
n Aus e<strong>in</strong>em Arztbrief e<strong>in</strong>es konsultierten<br />
Facharztes für Neurologie,<br />
für Psychiatrie und Psychotherapie:<br />
„Diagnose(n): Anpassungsstörung (F43.2, G) Generalisierte<br />
Angststörung (F41.1, G)<br />
Befund: Er sei <strong>in</strong> Algerien <strong>in</strong> Haft gewesen. Ke<strong>in</strong>e sozialen<br />
B<strong>in</strong>dungen. Berichtet im Vier-Augen-Gespräch 58 über körperliche<br />
und psychische Misshandlungen nach der letzten<br />
Rückkehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Herkunftsland. Hat jetzt Angst vor<br />
e<strong>in</strong>er erneuten Abschiebung.<br />
Wach, ausreichend orientiert, <strong>in</strong>haltlich und formal geordnet<br />
ohne H<strong>in</strong>weise auf Psychose. Affektiv wenig<br />
schw<strong>in</strong>gungsfähig. Ängstliche Grundstimmung. Mnestik<br />
und Konzentration s<strong>in</strong>d erhalten. Ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf Fremdoder<br />
Eigengefährdung.<br />
Therapie: Bei dem Patienten liegt e<strong>in</strong>e Angststörung vor;<br />
die auf traumatische Erlebnisse <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Herkunftsland<br />
zurückzuführen s<strong>in</strong>d. Hier ist weitere Klärung erforderlich.<br />
Supportiv wird e<strong>in</strong>e Therapie mit Doxep<strong>in</strong> 25 – 0 –<br />
50mg/d e<strong>in</strong>geleitet. Der Befund und der Therapieerfolg<br />
sollten bei erneuten <strong>Pro</strong>blemen nachkontrolliert werden,<br />
wozu wir gerne, Ihr freundliches E<strong>in</strong>verständnis vorausgesetzt,<br />
bereit s<strong>in</strong>d.“<br />
Nach erfolgter Entlassung wurde die gleiche Person<br />
e<strong>in</strong>em Zentrum für die Behandlung von Folteropfern<br />
für e<strong>in</strong>e psychologische Stellungnahme 59 vorgestellt:<br />
Beurteilung und Diagnose<br />
ICD 10 F41.3 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)<br />
Herr T. weist alle Symptome e<strong>in</strong>er posttraumatischen<br />
Belastungsstörung auf <strong>in</strong> Form von Wiedererleben des<br />
Traumas, Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma<br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen und erhöhtem Arousal (E<strong>in</strong>- und<br />
Durchschlafschwierigkeiten, Hypervigilanz). Die Diagnose<br />
der PTBS erfordert laut <strong>in</strong>ternationalem Klassifikationssystem<br />
das vorangehende Erleben e<strong>in</strong>er „Situation außergewöhnlicher<br />
Bedrohung“, also e<strong>in</strong>es Ereignisses, das<br />
den tatsächlichen oder drohenden Tod der eigenen oder<br />
e<strong>in</strong>er anderen Person be<strong>in</strong>haltet. 60 Dies ist bei Herrn T. offensichtlich<br />
der Fall, der während der Folter und der Haft<br />
Todesängste ausgestanden hat. Wie <strong>in</strong>tensiv Herr T. die<br />
Gefühle von Hilflosigkeit, absolutem Kontrollverlust und<br />
Ausgeliefertse<strong>in</strong> erlebt hat, wird deutlich, wenn er immer<br />
wieder entsetzt von dem Marokkaner berichtet, der seit<br />
acht Monaten festgehalten wurde. Der Schrecken und das<br />
Leid wurden dadurch noch unberechenbarer und unbegrenzt,<br />
ja sche<strong>in</strong>bar endlos.<br />
Herr T. schildert das für das Störungsbild der PTBS typische,<br />
unkontrollierbare Wiedererleben der Ereignisse: So<br />
leidet Herr T. zum e<strong>in</strong>en an Alpträumen, <strong>in</strong> denen immer<br />
wieder die Hunde auftauchen, zum anderen durchlebt<br />
Herr T. – ausgelöst durch Triggerreize wie Schließgeräusche<br />
beim Öffnen von Türen, Tütenrascheln, Schläge an<br />
Türen … – auch im Wachzustand die Schreckensszenen<br />
erneut, <strong>in</strong>klusive der damit verbundenen <strong>in</strong>tensiven Gefühle.<br />
Derartige Intrusionen, d.h. sich aufdrängende Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an das Trauma, werden aufgrund des Gefühls,<br />
sie nicht kontrollieren zu können und ihnen hilflos ausgeliefert<br />
zu se<strong>in</strong>, als extrem belastend erlebt. Sie s<strong>in</strong>d verbunden<br />
mit starken körperlichen Symptomen wie dem<br />
von Herrn T. geschilderten Zittern und Herzrasen.<br />
Beim Erzählen gerät Herr T. mehrfach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en dissoziativen<br />
Zustand, <strong>in</strong> dem er wie abgetrennt vom Hier und<br />
Jetzt wirkt, kaum ansprechbar ist und heftige körperliche<br />
Reaktionen wie Zittern und Zucken zeigt. Dieses „Wegtreten“<br />
ist Herrn T. nicht bzw. nur begrenzt bewusst oder<br />
er<strong>in</strong>nerlich und stellt e<strong>in</strong>e Schutzreaktion der menschlichen<br />
Psyche dar. Das Er<strong>in</strong>nerte ist so grauenerregend<br />
und überwältigend, dass es abgespalten werden muss.<br />
Dissoziation tritt häufig bei schweren Traumatisierungen<br />
auf. Es ist zu vermuten, dass solche dissoziativen Zustände<br />
häufiger auftreten, da Herr T. davon spricht, manchmal<br />
losgelöst und <strong>in</strong> Gedanken woanders zu se<strong>in</strong>.“<br />
Die behandelnden Ärzte <strong>in</strong> den Haftanstalten haben natürlich<br />
das Wohlergehen ihrer Patienten im Blick und versuchen<br />
ihnen bestmöglich zu helfen. Sie haben aber auch – implizit –<br />
für jene mediz<strong>in</strong>ischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Haft zu<br />
sorgen, die gewährleisten, dass eben auch kranke Personen<br />
<strong>in</strong> Haft genommen werden können. Dies betrifft <strong>in</strong>sbesondere<br />
körperliche Erkrankungen, aber eben auch Traumafolgestörungen<br />
oder andere psychische Erkrankungen bis h<strong>in</strong> zu<br />
Suchterkrankungen mit entsprechender Substitution <strong>in</strong> der<br />
Haftanstalt.<br />
58. Das Gespräch dauerte nach Auskunft des Betroffenen etwa 15 M<strong>in</strong>., zudem war es ohne<br />
Dolmetscher geführt worden. Der Betroffene kann sehr schlecht Deutsch sprechen und versteht<br />
nur e<strong>in</strong>fach Zusammenhänge/Inhalte.<br />
59. Grundlage der psychologischen Stellungnahme waren Gespräche mit e<strong>in</strong>er Gesamtdauer<br />
von etwa sechs Stunden mit Hilfe e<strong>in</strong>es Dolmetschers.<br />
60. Im sogenannten A-Kriterium liegt die Schwierigkeit, dass es <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e direkten<br />
Beweise dafür gibt. Die berichteten Erlebnisse f<strong>in</strong>den aber ihren e<strong>in</strong>deutigen Niederschlag <strong>in</strong> der<br />
<strong>in</strong>trosiven Symptomatik der PTBS. Anm. der Verf.