22.11.2013 Aufrufe

Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

27<br />

stellt s<strong>in</strong>d, dass sie zurück <strong>in</strong> die Haftanstalt verlegt werden<br />

können. Vielfach f<strong>in</strong>det dann die medikamentöse Weiterbehandlung<br />

<strong>in</strong> der Haftanstalt bis zur Abschiebung statt.<br />

Für den Umgang mit e<strong>in</strong>er traumatisierten Person <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er besuchten<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong>anstalt steht das folgende Beispiel:<br />

n Aus e<strong>in</strong>em Arztbrief e<strong>in</strong>es konsultierten<br />

Facharztes für Neurologie,<br />

für Psychiatrie und Psychotherapie:<br />

„Diagnose(n): Anpassungsstörung (F43.2, G) Generalisierte<br />

Angststörung (F41.1, G)<br />

Befund: Er sei <strong>in</strong> Algerien <strong>in</strong> Haft gewesen. Ke<strong>in</strong>e sozialen<br />

B<strong>in</strong>dungen. Berichtet im Vier-Augen-Gespräch 58 über körperliche<br />

und psychische Misshandlungen nach der letzten<br />

Rückkehr <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Herkunftsland. Hat jetzt Angst vor<br />

e<strong>in</strong>er erneuten Abschiebung.<br />

Wach, ausreichend orientiert, <strong>in</strong>haltlich und formal geordnet<br />

ohne H<strong>in</strong>weise auf Psychose. Affektiv wenig<br />

schw<strong>in</strong>gungsfähig. Ängstliche Grundstimmung. Mnestik<br />

und Konzentration s<strong>in</strong>d erhalten. Ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weis auf Fremdoder<br />

Eigengefährdung.<br />

Therapie: Bei dem Patienten liegt e<strong>in</strong>e Angststörung vor;<br />

die auf traumatische Erlebnisse <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Herkunftsland<br />

zurückzuführen s<strong>in</strong>d. Hier ist weitere Klärung erforderlich.<br />

Supportiv wird e<strong>in</strong>e Therapie mit Doxep<strong>in</strong> 25 – 0 –<br />

50mg/d e<strong>in</strong>geleitet. Der Befund und der Therapieerfolg<br />

sollten bei erneuten <strong>Pro</strong>blemen nachkontrolliert werden,<br />

wozu wir gerne, Ihr freundliches E<strong>in</strong>verständnis vorausgesetzt,<br />

bereit s<strong>in</strong>d.“<br />

Nach erfolgter Entlassung wurde die gleiche Person<br />

e<strong>in</strong>em Zentrum für die Behandlung von Folteropfern<br />

für e<strong>in</strong>e psychologische Stellungnahme 59 vorgestellt:<br />

Beurteilung und Diagnose<br />

ICD 10 F41.3 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)<br />

Herr T. weist alle Symptome e<strong>in</strong>er posttraumatischen<br />

Belastungsstörung auf <strong>in</strong> Form von Wiedererleben des<br />

Traumas, Vermeidung von Reizen, die mit dem Trauma<br />

<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen und erhöhtem Arousal (E<strong>in</strong>- und<br />

Durchschlafschwierigkeiten, Hypervigilanz). Die Diagnose<br />

der PTBS erfordert laut <strong>in</strong>ternationalem Klassifikationssystem<br />

das vorangehende Erleben e<strong>in</strong>er „Situation außergewöhnlicher<br />

Bedrohung“, also e<strong>in</strong>es Ereignisses, das<br />

den tatsächlichen oder drohenden Tod der eigenen oder<br />

e<strong>in</strong>er anderen Person be<strong>in</strong>haltet. 60 Dies ist bei Herrn T. offensichtlich<br />

der Fall, der während der Folter und der Haft<br />

Todesängste ausgestanden hat. Wie <strong>in</strong>tensiv Herr T. die<br />

Gefühle von Hilflosigkeit, absolutem Kontrollverlust und<br />

Ausgeliefertse<strong>in</strong> erlebt hat, wird deutlich, wenn er immer<br />

wieder entsetzt von dem Marokkaner berichtet, der seit<br />

acht Monaten festgehalten wurde. Der Schrecken und das<br />

Leid wurden dadurch noch unberechenbarer und unbegrenzt,<br />

ja sche<strong>in</strong>bar endlos.<br />

Herr T. schildert das für das Störungsbild der PTBS typische,<br />

unkontrollierbare Wiedererleben der Ereignisse: So<br />

leidet Herr T. zum e<strong>in</strong>en an Alpträumen, <strong>in</strong> denen immer<br />

wieder die Hunde auftauchen, zum anderen durchlebt<br />

Herr T. – ausgelöst durch Triggerreize wie Schließgeräusche<br />

beim Öffnen von Türen, Tütenrascheln, Schläge an<br />

Türen … – auch im Wachzustand die Schreckensszenen<br />

erneut, <strong>in</strong>klusive der damit verbundenen <strong>in</strong>tensiven Gefühle.<br />

Derartige Intrusionen, d.h. sich aufdrängende Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an das Trauma, werden aufgrund des Gefühls,<br />

sie nicht kontrollieren zu können und ihnen hilflos ausgeliefert<br />

zu se<strong>in</strong>, als extrem belastend erlebt. Sie s<strong>in</strong>d verbunden<br />

mit starken körperlichen Symptomen wie dem<br />

von Herrn T. geschilderten Zittern und Herzrasen.<br />

Beim Erzählen gerät Herr T. mehrfach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en dissoziativen<br />

Zustand, <strong>in</strong> dem er wie abgetrennt vom Hier und<br />

Jetzt wirkt, kaum ansprechbar ist und heftige körperliche<br />

Reaktionen wie Zittern und Zucken zeigt. Dieses „Wegtreten“<br />

ist Herrn T. nicht bzw. nur begrenzt bewusst oder<br />

er<strong>in</strong>nerlich und stellt e<strong>in</strong>e Schutzreaktion der menschlichen<br />

Psyche dar. Das Er<strong>in</strong>nerte ist so grauenerregend<br />

und überwältigend, dass es abgespalten werden muss.<br />

Dissoziation tritt häufig bei schweren Traumatisierungen<br />

auf. Es ist zu vermuten, dass solche dissoziativen Zustände<br />

häufiger auftreten, da Herr T. davon spricht, manchmal<br />

losgelöst und <strong>in</strong> Gedanken woanders zu se<strong>in</strong>.“<br />

Die behandelnden Ärzte <strong>in</strong> den Haftanstalten haben natürlich<br />

das Wohlergehen ihrer Patienten im Blick und versuchen<br />

ihnen bestmöglich zu helfen. Sie haben aber auch – implizit –<br />

für jene mediz<strong>in</strong>ischen Rahmenbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong> der Haft zu<br />

sorgen, die gewährleisten, dass eben auch kranke Personen<br />

<strong>in</strong> Haft genommen werden können. Dies betrifft <strong>in</strong>sbesondere<br />

körperliche Erkrankungen, aber eben auch Traumafolgestörungen<br />

oder andere psychische Erkrankungen bis h<strong>in</strong> zu<br />

Suchterkrankungen mit entsprechender Substitution <strong>in</strong> der<br />

Haftanstalt.<br />

58. Das Gespräch dauerte nach Auskunft des Betroffenen etwa 15 M<strong>in</strong>., zudem war es ohne<br />

Dolmetscher geführt worden. Der Betroffene kann sehr schlecht Deutsch sprechen und versteht<br />

nur e<strong>in</strong>fach Zusammenhänge/Inhalte.<br />

59. Grundlage der psychologischen Stellungnahme waren Gespräche mit e<strong>in</strong>er Gesamtdauer<br />

von etwa sechs Stunden mit Hilfe e<strong>in</strong>es Dolmetschers.<br />

60. Im sogenannten A-Kriterium liegt die Schwierigkeit, dass es <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong>e direkten<br />

Beweise dafür gibt. Die berichteten Erlebnisse f<strong>in</strong>den aber ihren e<strong>in</strong>deutigen Niederschlag <strong>in</strong> der<br />

<strong>in</strong>trosiven Symptomatik der PTBS. Anm. der Verf.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!