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Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

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mit dem Trennungsgebot auf diese Weise auswirken. Familien<br />

werden durch den Vollzug der <strong>Abschiebungshaft</strong> <strong>in</strong>sbesondere<br />

<strong>in</strong> Sachsen ause<strong>in</strong>andergerissen – teilweise auch<br />

getrennt abgeschoben. M<strong>in</strong>derjährige werden noch immer<br />

nicht <strong>in</strong> allen Bundesländern von <strong>Abschiebungshaft</strong> ausgenommen.<br />

In den Jahren 2008 bis 2010 waren 470 unbegleitete<br />

M<strong>in</strong>derjährige <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong> – im Jahr 2011 noch 61.<br />

Der BGH hat mehrfach die Inhaftierung von M<strong>in</strong>derjährigen<br />

für rechtswidrig erklärt. Noch wenig reflektiert wird die Situation<br />

von Transsexuellen/Trans-Personen <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong>.<br />

Es fehlen Leitl<strong>in</strong>ien zur Gewalt- und Diskrim<strong>in</strong>ierungsprävention.<br />

<strong>Asyl</strong>suchende <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong>: Bei immer mehr Abschiebungshäftl<strong>in</strong>gen<br />

handelt es sich um <strong>Asyl</strong>suchende,<br />

da aufgrund der Dubl<strong>in</strong>-Verordnung e<strong>in</strong> anderer EU-Staat<br />

zuständig ist und sie zu diesem Zwecke <strong>in</strong>haftiert werden.<br />

Grundlage ist e<strong>in</strong> Erlass des Bundes<strong>in</strong>nenm<strong>in</strong>isteriums, der<br />

vorsieht, dass <strong>Abschiebungshaft</strong> <strong>in</strong> Dubl<strong>in</strong>-Verfahren anzustreben<br />

ist. In grenznahen <strong>Abschiebungshaft</strong>anstalten – wie<br />

z.B. Rendsburg oder Eisenhüttenstadt – s<strong>in</strong>d bis zu 90 % der<br />

Inhaftierten <strong>Asyl</strong>suchende, die von der Bundespolizei aufgegriffen<br />

wurden. Viele der betroffenen Menschen kommen<br />

aus Afghanistan, dem Irak, Iran, Somalia und Eritrea. Sie s<strong>in</strong>d<br />

durch die Erlebnisse im Herkunftsland oder aber durch e<strong>in</strong>e<br />

jahrelang anhaltende Flucht <strong>in</strong>nerhalb Europas psychisch belastet.<br />

Für sie ist Haft deswegen als besonders negativ anzusehen.<br />

Haftbed<strong>in</strong>gungen: Die Vorgaben des Europäischen Ausschusses<br />

zur Verhütung von Folter (CPT) werden <strong>in</strong> den besuchten<br />

Hafte<strong>in</strong>richtungen überwiegend nicht umgesetzt.<br />

Vorherrschend ist der Gefängnischarakter: Vollzug <strong>in</strong> Zellen,<br />

abgeschlossenen Fluren bzw. Abteilungen, überwiegend<br />

starke Reglementierung der Bewegungsfreiheit <strong>in</strong>nerhalb<br />

der E<strong>in</strong>richtung, unzureichende Betreuungs- und Beschäftigungsangebote<br />

sowie weitgehend fehlende Möglichkeiten<br />

für die Inhaftierten, ihren Tagesablauf eigenständig strukturieren<br />

zu können. Die Standards bei den sanitären E<strong>in</strong>richtungen<br />

s<strong>in</strong>d besonders <strong>in</strong> den Haftanstalten <strong>in</strong> Rendsburg<br />

und Bützow kritisch zu beurteilen, da z.B. die Toiletten <strong>in</strong> der<br />

Zelle durch das Guckloch <strong>in</strong> der Zellentüre e<strong>in</strong>gesehen werden<br />

können. Kochmöglichkeiten gibt es <strong>in</strong> den Haftanstalten<br />

<strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, Bremen, Hannover, Bützow, Chemnitz, Frankfurt,<br />

Büren, Ingelheim und Hamburg. In Eisenhüttenstadt und<br />

Rendsburg gibt es gar ke<strong>in</strong>e Küchen. Mannheim verfügt zwar<br />

über e<strong>in</strong>e eigene Küche, die aber nicht genutzt werden darf.<br />

Die <strong>in</strong>dividuelle Bewegungsfreiheit wird äußerste unterschiedlich<br />

und zum Teil unverhältnismäßig restriktiv gehandhabt.<br />

Dem zeitlich umfassenden E<strong>in</strong>schluss, wie z.B. <strong>in</strong> Mannheim<br />

oder Büren (bei Männern), steht e<strong>in</strong>e liberale Praxis <strong>in</strong><br />

Berl<strong>in</strong> (24 Stunden offene Türen) gegenüber. Auch der „Hofgang“<br />

ist extrem unterschiedlich geregelt. Oftmals wird der<br />

Aufenthalt im Freien entsprechend dem Strafvollzug umgesetzt,<br />

d.h. e<strong>in</strong> bis maximal zwei Stunden „Hofgang“, während<br />

z.B. <strong>in</strong> Ingelheim oder Bremen der Zugang <strong>in</strong>s Freie eigenständig<br />

und zeitlich umfassend möglich ist. Insbesondere <strong>in</strong> Justizvollzugsanstalten<br />

s<strong>in</strong>d die Besuchszeiten sehr strikt reglementiert.<br />

Telefonapparate stehen <strong>in</strong> allen Haftanstalten <strong>in</strong><br />

mehr oder weniger ausreichendem Maße zur Verfügung<br />

– sie s<strong>in</strong>d jedoch vielfach nicht anzurufen. In Eisenhüttenstadt,<br />

Berl<strong>in</strong>, Bremen, Ingelheim und Rendsburg s<strong>in</strong>d Handys<br />

erlaubt, während diese <strong>in</strong> Justizvollzugsanstalten strikt verboten<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Soziale Betreuung, Beratung und Rechtsberatung: Die<br />

soziale Betreuung der Inhaftierten wird, vielfach „nebenbei“<br />

gemacht und hängt oft vom persönlichen Engagement<br />

der e<strong>in</strong>gesetzten Bediensteten ab. <strong>Pro</strong>blematisch ist, dass<br />

nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr ger<strong>in</strong>gen Ausmaß professionelle Dolmetscher<br />

e<strong>in</strong>gesetzt werden. In neun der befragten Haftanstalten<br />

gibt es e<strong>in</strong>en Sozialdienst. In Rendsburg und Hannover<br />

wird dieser Bereich von Mitarbeitenden aus der Verwaltung<br />

mit abgedeckt, <strong>in</strong> Bützow und Eisenhüttenstadt gibt es ke<strong>in</strong>e<br />

soziale Betreuung der Inhaftierten. Nur <strong>in</strong> Rendsburg, Büren<br />

(nur für Frauen) und Ingelheim f<strong>in</strong>den regelmäßig unabhängige<br />

und ergebnisoffene Beratungen durch hauptamtliche<br />

Mitarbeiter externer Organisationen statt. In neun Haftanstalten<br />

werden Beratungsangebote von ehrenamtlichen<br />

Berater<strong>in</strong>nen und Beratern bzw. Seelsorgern angeboten. In<br />

Frankfurt, Hannover (außer Rückkehrberatung) und Bützow<br />

gibt es überhaupt ke<strong>in</strong>e Beratungsangebote dieser Art. Nur<br />

<strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen und Brandenburg gibt es e<strong>in</strong>e vom<br />

Land f<strong>in</strong>anzierte Rechtsberatung. In Rhe<strong>in</strong>land-Pfalz wird sie<br />

durch Wohlfahrtsverbände f<strong>in</strong>anziert – das Land bezuschusst<br />

E<strong>in</strong>zelfälle. In Berl<strong>in</strong> führt der Republikanische Anwaltsvere<strong>in</strong><br />

die Rechtsberatung (ehrenamtlich) durch. In allen anderen<br />

Haftanstalten s<strong>in</strong>d die Betroffenen auf sich oder das Engagement<br />

der sonstigen, nichtjuristischen Beratungsstrukturen<br />

angewiesen.<br />

Gesundheitsversorgung <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong>: E<strong>in</strong> großes<br />

<strong>Pro</strong>blem bei der Gesundheitsversorgung <strong>in</strong> <strong>Abschiebungshaft</strong><br />

stellen die Sprachbarrieren dar. Arztkonsultationen f<strong>in</strong>den<br />

zumeist ohne Dolmetscher statt, wodurch e<strong>in</strong>e Diagnose<br />

erschwert ist. Dies gilt umso mehr für psychische Erkrankungen/Traumatisierungen.<br />

Schätzungsweise 50–80 % der<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d traumatisiert. In <strong>Abschiebungshaft</strong> werden<br />

solche Erkrankungen jedoch so gut wie nie diagnostiziert.<br />

Dies liegt daran, dass es e<strong>in</strong> zu ger<strong>in</strong>ges <strong>Pro</strong>blembewusstse<strong>in</strong><br />

sowie <strong>in</strong> der Regel ke<strong>in</strong> Screen<strong>in</strong>g gibt. Folge von nicht diagnostizierten<br />

und unbehandelten psychischen Erkrankungen<br />

können im schlimmsten Fall Selbstverletzungen und Suizide<br />

se<strong>in</strong>. In den Jahren 1993 bis 2010 wurden 62 Suizide <strong>in</strong> deutscher<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong> dokumentiert.

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