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Schutzlos hinter Gittern Abschiebungshaft in Deutschland - Pro Asyl

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6<br />

Familiensachen und <strong>in</strong> den Angelegenheiten der freiwilligen<br />

Gerichtsbarkeit (FamFG) 11 . Dieses Gesetz regelt das gerichtliche<br />

Verfahren <strong>in</strong> Familiensachen und verschiedener anderer<br />

Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, die mit Familiensachen<br />

nichts zu tun haben, so auch das Betreuungsverfahren,<br />

Unterbr<strong>in</strong>gungsverfahren und sonstige Freiheitsentziehungsmaßnahmen.<br />

Die materiellen Voraussetzungen,<br />

wann <strong>Abschiebungshaft</strong> angeordnet werden darf, s<strong>in</strong>d im<br />

Aufenthaltsgesetz (§§ 62 f.) geregelt. Der Vollzug der <strong>Abschiebungshaft</strong><br />

ist auf Landesebene geregelt.<br />

Voraussetzung: Vorbereitungshaft und Sicherungshaft<br />

Es gibt zwei Formen von <strong>Abschiebungshaft</strong>: Die Vorbereitungshaft<br />

und die Sicherungshaft. Die Vorbereitungshaft<br />

(§ 62 Abs. 2 AufenthG) ist zulässig, wenn e<strong>in</strong>e Ausweisung<br />

<strong>in</strong> Vorbereitung ist, über die noch nicht sofort entschieden<br />

werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme<br />

wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Die Dauer der Vorbereitungshaft<br />

soll sechs Wochen nicht überschreiten.<br />

Weitaus häufiger kommt es zur Anordnung der Sicherungshaft.<br />

Sie unterscheidet sich von der Vorbereitungshaft dadurch,<br />

dass hier die Ausreisepflicht des Ausländers schon<br />

feststehen muss. Sie verfolgt den Zweck der Sicherung der<br />

Abschiebung. Zulässig ist die Sicherungshaft nur, wenn e<strong>in</strong>er<br />

der folgenden sechs Haftgründe vorliegt: 12<br />

• Aufgrund unerlaubter E<strong>in</strong>reise vollziehbar ausreisepflichtig<br />

(Nr. 1)<br />

• Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen, die aber<br />

noch nicht vollzogen werden kann (Nr. 1a)<br />

• Unerreichbarkeit durch Wechsel des Aufenthaltsortes<br />

ohne Angabe der Anschrift gegenüber Ausländerbehörde<br />

bei Ablauf der Ausreisefrist (Nr. 2)<br />

• Vom Ausländer zu vertretendes Fernbleiben bei e<strong>in</strong>em<br />

festgesetzten Abschiebungsterm<strong>in</strong> (Nr. 3)<br />

• Entziehung der Abschiebung <strong>in</strong> sonstiger Weise (Nr. 4)<br />

• Bestehen e<strong>in</strong>es begründeten Verdachts, dass sich der<br />

Ausländer der Abschiebung entziehen will (Nr. 5).<br />

Zuständige Behörden und Beschwerdeverfahren<br />

Die <strong>Abschiebungshaft</strong> muss von der zuständigen Behörde beantragt<br />

werden. Dies s<strong>in</strong>d neben der Ausländerbehörde (§ 71<br />

Abs. 3 Nr. 1e AufenthG) auch die Polizeibehörden der Länder<br />

(§ 71 Abs. 5 AufenthG) sowie die Bundespolizei (§ 71 Abs. 3 Nr. 1e<br />

AufenthG). Der Antrag auf Freiheitsentziehung ist zu begründen.<br />

Die Begründung muss folgende Tatsachen enthalten:<br />

1. die Identität des Betroffenen, 2. den gewöhnlichen Aufenthaltsort<br />

des Betroffenen, 3. die Erforderlichkeit der Freiheitsent<br />

ziehung, 4. die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung<br />

sowie 5. <strong>in</strong> Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungsund<br />

Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen<br />

sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der<br />

Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung. 13<br />

Zuständig für die richterliche Anordnung derartiger Freiheitsentziehungen<br />

ist die ordentliche Gerichtsbarkeit – also das<br />

Amtsgericht. Seit Inkrafttreten des FamFG wurde die Rechtsmittel<strong>in</strong>stanz<br />

vor dem OLG abgeschafft und stattdessen der<br />

Rechtsweg zum BGH als abschließende Instanz vorgesehen.<br />

Der Instanzenzug verläuft wie folgt: Gegen e<strong>in</strong>e Entscheidung<br />

des Amtsgerichts kann Beschwerde vor dem Landgericht<br />

erhoben werden. Gegen die Entscheidung des Landgerichts<br />

ist dann die E<strong>in</strong>legung der Rechtsbeschwerde vor dem<br />

Bundesgerichtshof möglich. Vertreten werden können die<br />

Betroffenen im Rechtsbeschwerdeverfahren nur durch sogenannte<br />

BGH-Anwälte – also speziell vor dem BGH zugelassene<br />

Rechtsanwälte.<br />

2. Neue Tendenzen <strong>in</strong> der Rechtsprechung zur<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong><br />

Zwei Faktoren haben <strong>in</strong> jüngster Zeit die Rechtsprechung zur<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong> dynamisiert: E<strong>in</strong>erseits der Wechsel im Instanzenzug,<br />

wodurch der BGH zur zentralen Rechtsüberprüfungs<strong>in</strong>stanz<br />

geworden ist – andererseits die Vorgaben des<br />

EU-Rechts, wie das Trennungsgebot. Das sog. Trennungsgebot<br />

schreibt vor, dass <strong>Abschiebungshaft</strong> nicht zusammen mit<br />

Untersuchungs- oder Strafhaft vollzogen werden darf.<br />

Seit Inkrafttreten des FamFG 2009 s<strong>in</strong>d zahlreiche Entscheidungen<br />

durch den BGH ergangen. E<strong>in</strong>e Großzahl der Entscheidungen<br />

g<strong>in</strong>g zugunsten der Inhaftierten aus, was zeigt,<br />

dass <strong>in</strong> der Praxis vielfach die gesetzlichen Vorgaben nicht<br />

beachtet werden. Laut Datenbank des Bundesgerichtshofes<br />

(BGH) erg<strong>in</strong>gen zwischen 2000 und 2006 sechs Beschlüsse<br />

zur <strong>Abschiebungshaft</strong>. Zwischen 2007 und 2009 s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>erlei<br />

Beschlüsse veröffentlicht. Nachdem 2009 das FamFG <strong>in</strong><br />

Kraft gesetzt war, gab es 2010 immerh<strong>in</strong> 42 Beschlüsse zur<br />

<strong>Abschiebungshaft</strong>. 2011 folgten 101 BGH Beschlüsse und<br />

2012 waren es noch 71 Beschlüsse. Mit se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>sgesamt 224<br />

Beschlüssen zum Vollzug der <strong>Abschiebungshaft</strong> <strong>in</strong> drei Jahren<br />

hat der BGH Grundsätze und Verfahrensvorgaben <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Rechtsgebiet implementiert, dass sich offensichtlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

katastrophalen Zustand befunden hatte.<br />

Immer wieder stellte der BGH die Verletzung von rechtsstaatlichen<br />

Garantien fest – wie das Recht auf rechtliches Gehör<br />

(Art. 103 Abs. 1 GG). E<strong>in</strong>e ganze Reihe von Entscheidungen<br />

erg<strong>in</strong>g zu den formalen Anforderungen an e<strong>in</strong>en Haftantrag.<br />

So kann e<strong>in</strong>e fehlende Unterschrift unter e<strong>in</strong>em Haftantrag<br />

z.B. nicht ohne Weiteres nachgeholt werden. Vielmehr muss<br />

der Behördenvertreter <strong>in</strong> der Anhörung vor dem Amtsgericht<br />

vertreten se<strong>in</strong>. 14 Haftanträge enthielten teilweise nicht die<br />

erforderlichen Angaben (§ 417 FamFG) 15 . Damit e<strong>in</strong>e richterliche<br />

Überprüfung standf<strong>in</strong>den könnte, müssten aber zum<strong>in</strong>dest<br />

<strong>in</strong> knapper Form die wesentlichen Punkte dargelegt<br />

werden. Teilweise war nicht e<strong>in</strong>mal der Zielstaat, <strong>in</strong> den ab-<br />

11. BGBl Teil I Nr. 61, S. 2586 ff. Es trat am 1.9.2009 <strong>in</strong> Kraft.<br />

12. siehe He<strong>in</strong>hold, <strong>Abschiebungshaft</strong> <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>, S. 290.<br />

13. Siehe hierzu: W<strong>in</strong>kelmann, Arbeitsmaterialien, Das Gesetz über das Verfahren <strong>in</strong> Familiensachen<br />

und <strong>in</strong> den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) und se<strong>in</strong>e verfahrensrechtlichen<br />

Auswirkungen. Stand 20.2.2012.; www.migrationsrecht.net.<br />

14. BGH, Beschluss v. 9.2.2012 – V ZB 305/10.<br />

15. BGH, Beschluss v. 15.9.2011 – V ZB 123/11.

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