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Analysis I - IV - Fachhochschule Nordwestschweiz

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<strong>Analysis</strong> I – <strong>IV</strong> (an)<br />

Prof. Dr. Marcel Steiner-Curtis<br />

26. November 2013


c○ Copyright 2002–2013 by Marcel Steiner-Curtis, FHNW<br />

Die Verteilung dieses Dokuments in gedruckter und elektronischer Form ist gestattet, solange<br />

sein Inhalt einschliesslich Autoren- und Copyright-Angabe unverändert bleibt und die<br />

Verteilung kostenlos erfolgt, abgesehen von einer Gebühr für den Kopiervorgang usw.<br />

Dieses Dokument wurde mit L A TEX gesetzt.<br />

Prof. Dr. Marcel Steiner-Curtis<br />

FHNW <strong>Fachhochschule</strong> <strong>Nordwestschweiz</strong><br />

Hochschule für Technik<br />

Bahnhofstrasse 6<br />

CH-5210 Windisch<br />

marcel.steiner@fhnw.ch<br />

www.fhnw.ch/personenseiten/marcel.steiner/


Liebe Studierende<br />

Sie lesen das Vorwort der zweiten Version des <strong>Analysis</strong>-Skriptums. Gratuliere – Sie sind<br />

mutiger als die meisten Ihrer Mitmenschen, die beim Anblick von Mathematik bereits das<br />

Handtuch werfen. Ich lade Sie hiermit ein, mit mir, den zum Teil beschwerlichen und arbeitsaufwändigen<br />

Weg zu gehen, Mathematik zu lernen, zu entdecken, zu spüren, um dann<br />

mit Mathematik zu spielen, und last but not least, und deshalb sind Sie ja hier, Mathematik<br />

anzuwenden. Den letzten Aspekt sollten wir nie aus den Augen verlieren – die Anwendungen<br />

der Mathematik. Holen Sie mich aus meinen Träumereien heraus, wenn ich ab und zu beginne,<br />

von hochdimensionalen Räumen, nicht-ganzzahligen Dimensionen oder Riemannschen<br />

Mannigfaltigkeiten zu schwärmen. In einem solchen Fall wäre ich dann “abgespaced”, wie<br />

es ein Student vor ein paar Jahren zu mir sagte. Bei einem Computer würde in diesem Fall<br />

von einer Endlosschlaufe gesprochen. Obwohl wir an einer <strong>Fachhochschule</strong> sind, möchte ich<br />

andererseits den ästhetischen Aspekt der Mathematik nicht ganz aus den Augen lassen.<br />

Vorher fiel das Stichwort Computer. Lassen Sie mich meine persönliche Meinung zur<br />

Lernweise in Mathematik äussern: Hier an der <strong>Fachhochschule</strong> ist Mathematik ein Grundlagenfach,<br />

das heisst, wir werden die Dinge von der Pike auf lernen 1 . Mein Ziel ist es, dass<br />

Sie die grundlegenden Sachverhalte verstehen, anwenden und interpretieren können. Es reicht<br />

nicht, wenn Sie einen Taschenrechner oder Computer besitzen, von dem Sie wissen, dass er es<br />

im Prinzip kann. Sie sind nicht in einer Klubschule, wo Sie einen Kurs in Microdoof-<strong>Analysis</strong><br />

belegen. In diesem Zusammenhang möchte ich Sie auffordern, in der Mathematik einen tieferen<br />

Sinn zu suchen, und nicht Mathematik nur als sinnloses herumschieben von Hieroglyphen<br />

zu betrachten, bei dem ab und zu ein richtiges Resultat herauskommt. Seien Sie immer kritisch<br />

und fragen Sie sich, weshalb etwas so oder so ist (vgl. Was ist falsch? in Kapitel A.1.1).<br />

Versuchen Sieauch dieZusammenhängezwischen den einzelnen Mathematikfächern <strong>Analysis</strong>,<br />

Geometrie, lineare Algebra und Stochastik herzustellen. Die Abgrenzungen zwischen diesen<br />

Fächern sind oft willkürlich und historisch bedingt.<br />

Welches sind die Grundvoraussetzungen dieses Kurses? – Die Antwort ist klar: nicht<br />

mehr – aber auch nicht weniger – als Die Mathematik der technischen Berufsmaturität wie<br />

sie durch den Rahmenlehrplan des BBT 2 vorgeschrieben ist. Wenn Sie glauben, Schwächen<br />

bezüglich der Berufsmaturamathematik zu haben, dann empfehle ich Ihnen das Buch Die<br />

Mathematik der technischen Berufsmaturität von H.R. Schärer, W. Meier und S. Niggli, [25],<br />

zur seriösen Aufarbeitung Ihrer Wissenslücken.<br />

Es ist mir zutiefst bewusst, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Wir stehen<br />

1 GrundlagenausbildunginMathematikistsehrrelativ.AberwirwerdensichernichtÜberlegungenanstellen,<br />

weshalb 1+1 = 2ist, obwohl dieseinesehrinteressante, nicht-trivialeFrage wäre. Falls Siegleichwohl ansolchen<br />

akademischen, weltbewegenden Fragen interessiert sind, verweise ich Sie auf ein Mathematikstudium an der<br />

Universität.<br />

2 Bundesamt für Berufsbildung und Technologie<br />

i


ii<br />

hier zusammen am Anfang, Sie als Studierende und ich als Dozent. Versuchen wir gemeinsam<br />

den notwendigen Weg zu gehen, um die Besten in unserem Fach zu werden. Wie? – ist aber<br />

die Frage. Ich kann Ihnen kein Allerweltsrezept geben, aber eines ist sicher: Ohne Arbeit läuft<br />

nichts. Ihre Zeit ist sehr knapp, also investieren Sie sie gezielt. Nutzen Sie die zahlreichen<br />

Übungslektionen, um möglichst konzentriert an den Aufgaben zu arbeiten. Auch hier gilt:<br />

Übung macht den Meister. Ich bin der festen Überzeugung, dass Mathematik nicht gelesen<br />

werden kann, sondern geübt werden muss. Lösen Sie die meisten der angebotenen Aufgaben<br />

undinsistieren Sie, selber eine Lösungzu finden.In der Regel ist es nicht sinnvoll, bereits nach<br />

wenigen Minuten vergeblichem Probieren, dieLösungenoderden Nachbar zu konsultieren. Sie<br />

könnten dann dem Eindruck verfallen, selber die Entdeckung gemacht und den Lösungsweg<br />

gefunden zu haben.<br />

Tipp: Seien Sie ehrlich mit sich selber und lügen Sie sich nicht an, indem Sie sich vorgaukeln,<br />

die Aufgaben vollständig verstanden zu haben, obwohl Sie einen Lösungsweg “nur”<br />

nachvollzogen haben. Sie sind aus dem Sammler- und Jäger- 3 Zeitalter heraus – heutzutage<br />

wird entdeckt und entwickelt. Als zukünftiger Ingenieur werden Sie entwickeln müssen und<br />

nicht nur nachlesen, was andere vor Ihnen bereits herausgefunden haben.<br />

Weiter möchte ich Sie auffordern, immer dann Fragen zu stellen, wenn Sie etwas nicht<br />

mehr verstehen. Sie müssen wissen, dass nur diejenigen, die auch etwas begreifen, Fragen<br />

stellen. Ich gehe davon aus, dass die Umkehrung dieser Aussage auch zutrifft.<br />

Mit den Porträts der Mathematiker und den zusätzlichen Geburts- und Todesjahren, die<br />

Sie von Zeit zu Zeit in diesem Skriptum finden werden, bezwecke ich zwei Dinge: Erstens<br />

möchte ich Ihnen die Möglichkeit geben, sich ein Bild von der historischen Abfolge mathematischer<br />

Entdeckungen machen zu können. Zweitens liegt es mir sehr am Herzen, dass Mathematik<br />

für Sie nicht eine leblose, nüchterne Promotionsfrage bleibt, sondern, dass Sie lernen,<br />

Mathematik als etwas Spannendes und vor allem Nützliches wahrzunehmen, das von begeisterten<br />

Forschern entdeckt wurde und immer noch entdeckt wird. Die Mathematikerporträts<br />

stammen von www-gap.dcs.st-and.ac.uk/~history/BiogIndex.html. Auf dieser sehr interessanten<br />

Seite finden sich auch zahlreiche biografische Angaben zu den meisten berühmten<br />

Mathematikern, denen Sie im Verlaufe Ihres Studiums begegnen werden.<br />

Das Skriptum basiert im Wesentlichen auf den vier <strong>Analysis</strong>-Skripten (vgl. [5] – [8])<br />

meines Vorgängers Peter Gschwind, der an der <strong>Fachhochschule</strong> beider Basel während mehr<br />

als dreissig Jahren als Dozent tätig war. Hiermit möchte ich Peter herzlich danken, dass er<br />

mir seine Erfahrungen in Form seiner Skripten weitergegeben hat. Wenn ich schon dabei bin,<br />

Rosen zu verteilen, bekommt sicher auch meine Frau Robyn einige, wenn nicht die Mehrheit<br />

davon. Während der Schwangerschaft unseres ersten Kindes hat sie nämlich den ersten Teil<br />

dieses Skriptums nicht nur getippt, sondern weitgehend überarbeitet.<br />

Sie sind die n plus ersten Studierenden, die mit diesem Skriptum arbeiten. Urteilen Sie<br />

nicht zu hart über den Autor (und die k-ten Studierenden, wobei k ∈ {1,...,n}), wenn Sie<br />

Fehler und Ungereimtheiten finden, sondern teilen Sie mir diese bitte mit.<br />

3 nach Lösungen<br />

26. November 2013, Marcel Steiner-Curtis


Inhaltsverzeichnis<br />

Liebe Studierende<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

i<br />

iii<br />

1 Grundbegriffe der Mengenlehre 1<br />

1.1 Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

1.2 Mengenrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

1.3 Mengenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />

1.4 Zahlenmengen und Punktmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

1.5 Ebene und räumliche Punktmengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

2 Funktionen 11<br />

2.1 Beispiele von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

2.2 Der Funktionsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

2.3 Affine Funktionen, Geradengleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

2.4 Potenzfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

2.5 Polynomfunktionen zweiten Grades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

2.6 Exponentialfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

2.7 Symmetrieeigenschaften von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24<br />

2.8 Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

2.9 Beschränkte Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

2.10 Differenzenquotient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

3 Grenzwerte 33<br />

3.1 Grenzwerte von Zahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

3.2 Grenzwertsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38<br />

3.3 Grenzwerte von Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />

3.4 Stetigkeit einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />

3.5 Singularitäten einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />

3.6 Verhalten von Funktionen im Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />

4 Differenzialrechnung 53<br />

4.1 Tangentenproblem, Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53<br />

4.2 Fakultäten, Binomialkoeffizienten, Binomischer Satz . . . . . . . . . . . . . 56<br />

4.3 Ableitung der Potenzfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />

4.4 Grundregeln der Differenzialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

4.5 Ableitung eines Produkts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />

iii


iv<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

4.6 Ableitung eines Quotienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69<br />

4.7 Ableitung der trigonometrischen Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73<br />

4.8 Logarithmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76<br />

4.9 Ableitung der Logarithmusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80<br />

4.10 Differenzial einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81<br />

4.11 Ableitung von verknüpften Funktionen – Die Kettenregel . . . . . . . . . . 83<br />

4.12 Ableitung impliziter Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89<br />

4.13 Differenzieren nach Logarithmieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92<br />

4.14 Höhere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />

4.15 Differenzierbarkeit einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />

5 Anwendungen der Differenzialrechnung 103<br />

5.1 Physik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />

5.2 Gleichungen numerisch lösen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

5.2.1 Fixpunkt-Iteration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

5.2.2 Tangentenverfahren von Newton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109<br />

5.3 Uneigentliche Grenzwerte - Regel von de l’Hospital . . . . . . . . . . . . . . 112<br />

5.4 Untersuchung von Funktionen – Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . 118<br />

5.5 Beispiele einer Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

5.6 Krümmung, Krümmungskreis, Evolute, Evolvente . . . . . . . . . . . . . . . 130<br />

6 Integralrechnung 137<br />

6.1 Das unbestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137<br />

6.2 Das bestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140<br />

6.3 Integrationsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142<br />

6.4 Spezielle bestimmte Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />

6.5 Allgemeine Flächenberechnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />

7 Das Riemannsche Integral 151<br />

7.1 Das bestimmte Integral als Grenzwert einer Summenfolge . . . . . . . . . . 151<br />

8 Umkehrfunktionen 159<br />

8.1 Definition der Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159<br />

8.2 Arkusfunktionen (Zyklometrische Funktionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 164<br />

9 Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen 173<br />

9.1 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173<br />

9.2 Areafunktionen (Flächenfunktionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180<br />

10 Volumen, Oberflächen- und Bogenlängenberechnungen 185<br />

10.1 Volumen von Rotationskörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185<br />

10.2 Bogenlänge einer Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191<br />

10.3 Mantelfläche von Rotationskörpern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192<br />

11 Integrationsmethoden 195<br />

11.1 Integration durch Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195<br />

11.2 Partielle Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209<br />

11.3 Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung . . . . . . . . . . . . 217


v<br />

12 Unendliche Reihen 231<br />

12.1 Grundbegriffe und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231<br />

12.2 Das Konvergenzverhalten der geometrischen Reihe . . . . . . . . . . . . . . 234<br />

12.3 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235<br />

12.4 Konvergenzverhalten der hyperharmonischen Reihe . . . . . . . . . . . . . . 244<br />

12.5 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247<br />

12.6 Hauptsatz über Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252<br />

12.7 Taylorreihe einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253<br />

12.8 Geometrische Bedeutung der Taylorreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255<br />

12.9 Allgemeine Form der Taylorreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256<br />

12.10 Binomische Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259<br />

12.11 Methoden zur Reihenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259<br />

12.12 Erweiterte Ansatzmethode zur Reihenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 263<br />

13 Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen 269<br />

13.1 Motivation und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269<br />

13.2 Geometrische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270<br />

13.3 Partielle Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272<br />

13.4 Der Satz von Schwarz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275<br />

13.5 Das vollständige Differenzial, Linearisieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278<br />

13.6 Erste Anwendung der Fehlerrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282<br />

13.7 Museum of Mathematical Art . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />

14 Ableitung impliziter Funktionen 287<br />

14.1 Das vollständige Differenzial einer impliziten Funktion . . . . . . . . . . . . 287<br />

15 Gradient und Tangentialebene 291<br />

15.1 Berechnung des Gradienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291<br />

15.2 Berechnung der Tangentialebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293<br />

16 Extremstellen bei mehreren unabhängigen Variablen 295<br />

16.1 Notwendige und hinreichende Bedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295<br />

16.2 Methode der kleinsten Quadrate (lineare Regression) . . . . . . . . . . . . . 298<br />

17 Approximation mit minimalem quadratischen Fehler 303<br />

17.1 Approximation einer stückweise stetigen Funktion . . . . . . . . . . . . . . . 304<br />

17.2 Approximation von diskreten Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305<br />

18 Extremwerte mit Nebenbedingungen 311<br />

18.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311<br />

18.2 Lagrangemultiplikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312<br />

19 Mehrfache Integrale 319<br />

19.1 Flächenberechnungen in kartesischen Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . 319<br />

19.2 Verallgemeinerung des Flächenintegrals – Doppelintegral . . . . . . . . . . . 321<br />

19.3 Variablensubstitution in einem Mehrfachintegral . . . . . . . . . . . . . . . 324<br />

19.4 Berechnung von Trägheitsmomenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327


vi<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

20 Arbeit und Linienintegrale 331<br />

20.1 Kurven und Vektorfelder im Raum und in der Ebene . . . . . . . . . . . . . 331<br />

20.2 Das Linienintegral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337<br />

20.3 Linienintegral im Potenzialfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342<br />

21 Differenzialgleichungen 351<br />

21.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351<br />

21.2 Die geometrische Bedeutung einer Differenzialgleichung erster Ordnung . . . 352<br />

21.3 Problemstellungen mit Differenzialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 353<br />

21.4 Nachprüfen hypothetischer Lösungen - Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . 353<br />

21.5 Differenzialgleichungen von Kurvenscharen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355<br />

21.6 Integration von Differenzialgleichungen durch Separation . . . . . . . . . . . 357<br />

21.7 Orthogonaltrajektorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363<br />

21.8 Integration von linearen Differenzialgleichungen erster Ordnung . . . . . . . 365<br />

21.9 Variation der Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366<br />

21.10 Ansatzmethode und Superpositionsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370<br />

21.11 Differenzialgleichungen zweiter Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />

21.12 Allgemeine Betrachtungen zu linearen Differenzialgleichungen . . . . . . . . 380<br />

21.13 Homogene lineare Differenzialgleichungen zweiter Ordnung . . . . . . . . . . 383<br />

21.14 Homogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung . . . . . . . . . . . . 387<br />

21.15 Inhomogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung . . . . . . . . . . . 389<br />

21.16 Zusammenstellung der Lösungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394<br />

22 Differenzialgleichungen in der Mechanik 397<br />

22.1 Freier Fall mit und ohne Luftwiderstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398<br />

22.2 Randwertprobleme, Eigenwerte und Eigenfunktionen . . . . . . . . . . . . . 401<br />

22.3 Die freie Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404<br />

22.4 Die erzwungene Schwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410<br />

23 Systeme von Differenzialgleichungen 417<br />

23.1 Systeme von linearen Differenzialgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417<br />

A Anwendungen 421<br />

A.1 Elementare Arithmetik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421<br />

A.1.1 Was ist falsch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421<br />

A.2 Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422<br />

A.2.1 Fibonaccifolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422<br />

A.2.2 Folge von Collatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422<br />

A.2.3 Summenformeln spezieller endlicher Reihen . . . . . . . . . . . . . . 424<br />

A.3 Fraktale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426<br />

A.3.1 Polygone im Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426<br />

A.3.2 Kochsche Kurve - Schneeflocke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427<br />

A.3.3 Sierpinski-Dreieck und -Teppich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429<br />

A.3.4 Mengerwürfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431<br />

A.3.5 Mandelbrot und Juliamengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431<br />

A.4 Rollkurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431<br />

A.4.1 Katakaustik - Kaffeetasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431


vii<br />

A.4.2 Epizykloide - Wankelmotor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431<br />

A.4.3 Klothoide - Idealer Strassen- und Eisenbahnbau . . . . . . . . . . . . 431<br />

A.4.4 Dendrochronologie - Jahresringe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433<br />

A.5 Bauwerke mathematisch betrachtet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433<br />

A.5.1 Kühlturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433<br />

A.5.2 Eiffelturm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433<br />

A.5.3 Sprungschanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434<br />

A.5.4 Überhängender Turmbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434<br />

A.5.5 Kettenlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435<br />

A.6 Aus der Stochastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436<br />

A.6.1 Monte-Carlo Integration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436<br />

B Tafeln 439<br />

B.1 Tafel der Grundintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439<br />

Literaturverzeichnis 441<br />

Index 443


viii<br />

Inhaltsverzeichnis


Kapitel 1<br />

Grundbegriffe der Mengenlehre<br />

1.1 Mengen<br />

Eine Menge A ist eine Zusammenfassungbestimmter, wohlunterscheidbarer Objekte unserer<br />

Anschauung oder unseres Denkens zu einem Ganzen. Diese Objekte heissen Elemente der<br />

Menge. Für ein gewisses Objekt a schreiben wir a ∈ A, falls a ein Element von A ist, und<br />

a ∉ A, falls a kein Element von A ist. Die leere Menge bezeichnen wir mit ∅.<br />

Mengen können auf zwei verschiedene Arten angegeben werden, wobei bei gewissen Mengen<br />

nicht beide Arten möglich sind.<br />

• Durch Aufzählen der Elemente. Zum Beispiel:<br />

A = {−2,4,5,6}, B = {2,10,15}.<br />

• Durch Angabe einer definierenden Eigenschaft, die genau den Elementen der Menge<br />

zukommt. Zum Beispiel:<br />

A = {x | |x| < 1, x ∈ R} oder A = {x | |x| < 1 und x ∈ R}<br />

N = {1,2,3,...} oder N = {x | x ∈ Z und x > 0}<br />

B = {x | x ∈ Z und x < 0}, Q = { p q<br />

| p ∈ Z, q ∈ Z und q ≠ 0}.<br />

Für die Zahlenbereiche sind folgende Bezeichnungen üblich 1 :<br />

N = {1,2,3,...} Menge der natürlichen Zahlen ausschliesslich Null<br />

N 0 = {0,1,2,...} Menge der natürlichen Zahlen einschliesslich Null<br />

Z = {...,−2,−1,0,1,2,...} Menge der ganzen Zahlen<br />

Q = { p q<br />

| p ∈ Z, q ∈ Z und q ≠ 0} Menge der rationalen Zahlen<br />

R<br />

C = {x+iy | x ∈ R und y ∈ R}<br />

Menge der reellen Zahlen<br />

Menge der komplexen Zahlen.<br />

1 Manche Autoren betrachten 0 als Element der natürlichen Zahlen. Es ist daher sinnvoll von positiven<br />

{1,2,3,...} und nicht-negativen {0,1,2,3,...} ganzen Zahlen zu sprechen.<br />

1


2 Kapitel 1. Grundbegriffe der Mengenlehre<br />

1.2 Mengenrelationen<br />

Zwei Mengen A und B heissen gleich, wenn beide Mengen die gleichen Elemente haben. In<br />

diesem Fall schreiben wir A = B.<br />

{ x ∈ A ⇒ x ∈ B<br />

A = B ⇐⇒<br />

x ∈ B ⇒ x ∈ A<br />

Eine Menge A heisst Teilmenge von B, als A ⊆ B bezeichnet, wenn alle Elemente von A<br />

auch Elemente von B sind.<br />

A ⊆ B ⇐⇒ x ∈ A ⇒ x ∈ B.<br />

Enthält B Elemente, die nicht in A sind, so heisst A echte Teilmenge von B. In diesem Fall<br />

schreiben wir A ⊂ B. Symbolisch wird die Situation wie in Abbildung 1.2.i dargestellt.<br />

A<br />

B<br />

Abbildung 1.2.i: A ⊂ B<br />

Beispiel 1.2.1. a. Es gilt N ⊂ N 0 ⊂ Z ⊂ Q ⊂ R ⊂ C.<br />

b. Es seien A = {x | x > 0 und x ∈ R} und B = {x | x > 3 und x ∈ R} gegeben. Dann<br />

gilt A ⊃ B.<br />

1.3 Mengenoperationen<br />

Durch Mengenoperationen werden aus gegebenen Mengen auf verschiedene Weise neue<br />

Mengen gebildet.<br />

• Die Vereinigungsmenge A ∪B ist die Menge der Elemente, die entweder in A oder<br />

in B sind (vgl. Abbildung 1.3.i).<br />

A∪B = {x | x ∈ A oder x ∈ B}.<br />

• Die Durchschnittssmenge A ∩ B ist die Menge der Elemente, die sowohl in A als<br />

auch in B sind (vgl. Abbildung 1.3.ii).<br />

A∩B = {x | x ∈ A und x ∈ B}.<br />

• Die Differenzmenge A−B ist die Menge der Elemente von A, die nicht zu B gehören<br />

(vgl. Abbildung 1.3.iii).<br />

A−B = {x | x ∈ A und x ∉ B}.<br />

• Das Komplement Ā ist die Menge aller Elemente, die nicht zu A gehören (vgl. Abbildung<br />

1.3.iv).<br />

Ā = {x | x ∉ A}.


1.4. Zahlenmengen und Punktmengen 3<br />

A<br />

B<br />

A<br />

B<br />

Abbildung 1.3.i: A∪B<br />

Abbildung 1.3.ii: A∩B<br />

A<br />

B<br />

A<br />

Abbildung 1.3.iii: A−B<br />

Abbildung 1.3.iv: Ā<br />

1.4 Zahlenmengen und Punktmengen<br />

Die MengeRder reellen Zahlenlässt sich bekanntlich geometrisch als Zahlengeradedarstellen.<br />

Indem wir den Zahlen 0 und 1 zwei verschiedene Punkte O und E einer Geraden g zuordnen,<br />

wird eine Einslänge l = OE festgelegt undder Geraden eine positive Orientierung von O nach<br />

E gegeben. Einer reellen Zahl x wird dann der Punkt P auf g zugeordnet, der von O den<br />

Abstand x·l hat. Dabei ist die Strecke OP in positiver (bzw. negativer) Richtung abzutragen,<br />

wenn x positiv (bzw. negativ) ist (vgl. Abbildungen 1.4.i und 1.4.ii). Auf diese Weise wird<br />

O E P<br />

• • •<br />

x<br />

−3 −2 −1 0 1 2 3<br />

P O E<br />

−3<br />

•<br />

x−2 −1<br />

•<br />

0<br />

•<br />

1 2 3<br />

Abbildung 1.4.i: Der Fall x = 2 1 3<br />

Abbildung 1.4.ii: Der Fall x = −2 1 3<br />

jeder reellen Zahl x eindeutig ein Punkt der Geraden g zugeordnet. Umgekehrt entspricht<br />

jedem Punkt P der Geraden g genau eine reelle Zahl 2 .<br />

Durch diese Identifikation der reellen Zahlen R mit den Punkten auf einer Geraden ist es<br />

möglich, Zahlenmengen als lineare Punktmengen darzustellen und umgekehrt. Wegen der<br />

Eineindeutigkeit der Zuordnung wird oft zwischen Zahlenmengen und Punktmengen nicht<br />

streng unterschieden.<br />

Die Orientierung der Geraden wird allgemein durch eine in die positive Richtung weisende<br />

Pfeilspitze gekennzeichnet.<br />

Beispiel 1.4.1. In Abbildung 1.4.iii wird die Zahlenmenge A = { 1 n<br />

| n ∈ N} als Punktmenge<br />

dargestellt.<br />

Beispiel 1.4.2. In Abbildung 1.4.iv wird die Zahlenmenge B = {x ∈ R | 0 ≤ x ≤ a} als<br />

Punktmenge dargestellt.<br />

Zahlenmengen wie die des Beispiels 1.4.2 heissen Intervalle. Um sie präzis darzustellen,<br />

werden spezielle Zeichen verwendet. Je nachdem, ob die Randpunkte zum Intervall gehören,<br />

werden folgende Fälle unterschieden:<br />

2 Eine solche umkehrbar eindeutige Zuordnung wird als eineindeutig oder bijektiv bezeichnet.


4 Kapitel 1. Grundbegriffe der Mengenlehre<br />

•• ••• • • • •<br />

•<br />

•<br />

• •<br />

0 1 1 1 1 1<br />

1<br />

0 a<br />

6 5 4 3 2<br />

Abbildung 1.4.iii: A = { 1 n | n ∈ N}<br />

Abbildung 1.4.iv: B = {x ∈ R | 0 ≤ x ≤ a}<br />

• I = {x ∈ R | a ≤ x ≤ b}<br />

Beide Randpunkte a und b gehören dem Intervall I an. Ein solches Intervall heisst<br />

abgeschlossen und wird durch [a,b] bezeichnet (vgl. Abbildung 1.4.v).<br />

• I = {x ∈ R | a < x < b}<br />

Keiner der beiden Randpunkte a und b gehört dem Intervall I an. Ein solches Intervall<br />

heisst offen und wird durch ]a,b[ bezeichnet 3 (vgl. Abbildung 1.4.vi).<br />

• I = {x ∈ R | a < x ≤ b} oder I = {x ∈ R | a ≤ x < b}<br />

Die Randpunkte a und b gehören nicht beide dem Intervall I an. Ein solches Intervall<br />

heisst linksoffen oder rechtsoffen und wird durch ]a,b] oder [a,b[ bezeichnet 4 (vgl.<br />

Abbildungen 1.4.vii und 1.4.viii).<br />

• •<br />

b<br />

a<br />

•<br />

a<br />

•<br />

b<br />

Abbildung 1.4.v: I = [a,b]<br />

Abbildung 1.4.vi: I =]a,b[<br />

•<br />

a<br />

•<br />

b<br />

• •<br />

b<br />

a<br />

Abbildung 1.4.vii: I =]a,b]<br />

Abbildung 1.4.viii: I = [a,b[<br />

Die obigen Intervalle sind durch die Zahlen a und b eingeschränkt und werden deshalb beschränkt<br />

genannt. Neben den beschränkten Intervallen sind auch solche zu betrachten, die<br />

rechts, links oder beidseits keiner Beschränkung unterworfen sind. Solche unbeschränkte<br />

Intervalle stellen wir unter Verwendung des Zeichens 5 ∞ dar:<br />

]a,∞[ = {x ∈ R | x > a} [a,∞[ = {x ∈ R | x ≥ a}<br />

]−∞,a[ = {x ∈ R | x < a} ]−∞,a] = {x ∈ R | x ≤ a}<br />

]−∞,∞[ = R.<br />

Im allgemeinen heisst eine Menge A beschränkt, wenn sie Teilmenge eines beschränkten<br />

Intervalls ist, das heisst, wir können zwei Zahlen a und b finden, so dass A ⊆ [a,b]. Sonst<br />

heisst sie unbeschränkt<br />

Beispiel 1.4.3. Die Menge A = { 1 n<br />

Teilmenge des Intervalls ]0,1].<br />

| n ∈ N} des Beispieles 1.4.1 ist beschränkt: Sie ist eine<br />

3 In der Literatur wird häufig die alternative Notation (a,b) für offene Intervalle gebraucht. Wir bevorzugen<br />

die Schreibweise ]a,b[, da sie nicht zu einer Verwechslung mit den Koordinaten (a,b) eines Punktes führt.<br />

4 Die entsprechenden alternativen Notationen sind (a,b] und [a,b).<br />

5 Das Zeichnen ∞ steht für (positiv) unendlich.


1.5. Ebene und räumliche Punktmengen 5<br />

Beispiel 1.4.4. Die Menge N ist unbeschränkt.<br />

Eine weitere Definition, die wir in späteren Kapiteln brauchen werden, ist die einer Umgebung.<br />

Eine Zahlenmenge U heisst eine Umgebung von einer gewissen Zahl x, wenn es ein<br />

offenes Intervall ]a,b[ gibt, so dass x ∈ ]a,b[ ⊆ U.<br />

Beispiel 1.4.5. Die in Abbildung dargestellte Menge ist eine Umgebung von x.<br />

• • • •<br />

• • •<br />

x<br />

Abbildung 1.4.ix: Eine Umgebung von x<br />

Beispiel 1.4.6. Die Intervalle ]−2,1[ und ] −10 −5 ,10 −6[ sind Umgebungen von x = 0.<br />

Beispiel 1.4.7. Das Intervall [a,b[ ist weder für a noch für b eine Umgebung, da links von a<br />

und rechts von b keine Punkte des Intervalls liegen.<br />

Wir können auch einseitige Umgebungen betrachten:<br />

• Eine Zahlenmenge U heisst eine linksseitige Umgebung von x, wenn ]a,x] ⊆ U für<br />

ein gewisses a ∈ R.<br />

• Eine Zahlenmenge U heisst eine rechtsseitige Umgebung von x, wenn [x,b[ ⊆ U für<br />

ein gewisses b ∈ R.<br />

1.5 Ebene und räumliche Punktmengen<br />

Neben Punktmengen auf einer Geraden sind auch Punktmengen in der Ebene und im Raum<br />

zu betrachten. Um solche Punktmengen mathematisch zu erfassen, verwenden wir oft das<br />

kartesische Koordinatensystem.<br />

Genau gleich wie wir jedem Punkt auf einer Geraden eineindeutig eine reelle Zahl zugeordnet<br />

haben, können wir auch jedem Punkt einer Ebene eineindeutig ein geordnetes reelles Zahlenpaar<br />

zuordnen. Dazu wählen wir in der Ebene zwei orthogonale Geraden g x und g y . Ihren<br />

Schnittpunkt heisst Ursprung und wird durch O bezeichnet. Wir wählen einen vom Ursprung<br />

verschiedenen Punkt E x auf der Geraden g x und einen vom Ursprung verschiedenen<br />

Punkt E y auf der Geraden g y . Für jeden Punkt P der Ebene gibt es jetzt zwei reelle Zahlen<br />

x und y, so dass<br />

−→<br />

OP = x·−−→ OE x +y ·−−→ OE y .<br />

Die beiden Zahlen x und y entsprechen eineindeutig dem Punkt P. Wir schreiben P(x,y)<br />

oder (x,y) für den Punkt P und nennen x und y ihre Koordinaten.<br />

Auf diese Weise erhält unsere betrachtete Ebene ein rechtwinkliges Koordinatensystem, ein<br />

sogenanntes kartesisches Koordinatensystem. Die Ebene wird durch R×R oder R 2 bezeichnet.<br />

Die Viertelebene mit positiven Koordinaten wird oft als erster Quadrant, die<br />

im gegenuhrzeigersinn folgenden Viertelebenen als zweiter, dritter und vierter Quadrant<br />

genannt.<br />

Analog dazu lässt sich auch ein kartesisches Koordinatensystem des Raumes definieren. In<br />

diesem Fall wird jeder Punkt durchdrei Koordinaten x,y undz beschrieben.Dieses Verfahren<br />

kann fortgesetzt werden um n-dimensionale Räume R n zu definieren. Später werden wir auch<br />

nichtrechtwinklige Koordinatensysteme verwenden, z.B. Polar-, Zylinder- und Kugelkoordinatensysteme.


6 Kapitel 1. Grundbegriffe der Mengenlehre<br />

g y<br />

P(x, y)<br />

•<br />

E y<br />

•<br />

•<br />

O<br />

E x<br />

•<br />

x · −−→ OE x<br />

y · −−→ OE y<br />

Abbildung 1.5.i: Das kartesische Koordinatensystem der Ebene.<br />

g x<br />

Beispiel 1.5.1. Die linke Halbebene kann als die Punktmenge<br />

dargestellt werden (vgl. Abbildung 1.5.ii).<br />

H = {(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, x ≤ 0}<br />

Beispiel 1.5.2. Die Menge G = {(x,y) | x ∈ Z, y ∈ Z} wird durch die Punkte der Ebene<br />

mit ganzzahligen Koordinaten dargestellt. Sie heisst das Gausssche Gitter (vgl. Abbildung<br />

1.5.iii).<br />

y<br />

y<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

x<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

x<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • • • •<br />

Abbildung 1.5.ii: Die linke Halbebene H<br />

Abbildung 1.5.iii: Das Gausssche Gitter G<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 1.5.1. Stellen Sie die folgenden Mengen grafisch dar. Für die Menge C sind a, b, c<br />

und d feste reelle Zahlen. Für die Mengen D,E,F und G ist r eine feste positive reelle Zahl.<br />

• A = {(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, x > 0}<br />

• B = {(x,y) | y ∈ R, x ∈ [−2,1]}<br />

• C = {(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, a ≤ x ≤ b, c ≤ y ≤ d}<br />

• D = {(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, x 2 +y 2 = r 2 }<br />

• E = {(x,y) | x ∈ Z, y ∈ Z, x 2 +y 2 < r 2 }


1.5. Ebene und räumliche Punktmengen 7<br />

• F = D ∪E<br />

• G = D ∩E<br />

• H = {(x,y) | x ∈ N, y ∈ R}<br />

• I = {(x,y) | x ∈ R, y ∈ Z}<br />

• J = H ∪I<br />

• K = H ∩I<br />

• L = {(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, |x|+|y| ≤ 1}<br />

Aufgabe 1.5.2. Beschreiben Sie die Punktmenge, die in Abbildung 1.5.iv dargestellt wird.<br />

y<br />

1<br />

1<br />

1<br />

x<br />

1<br />

Abbildung 1.5.iv: Im Ursprung zentriertes Quadrat mit Seitenlänge 2<br />

Lösungen<br />

Lösung 1.5.1. Die Lösungsmengen werden in Abbildungen 1.5.v bis 1.5.viii dargestellt.<br />

y<br />

y<br />

y<br />

d<br />

x −2 1<br />

x a b<br />

x<br />

c<br />

Abbildung 1.5.v: Die Lösungsmengen A (links), B (Mitte) und C (rechts).


8 Kapitel 1. Grundbegriffe der Mengenlehre<br />

y<br />

y<br />

y<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

• • • • • • •<br />

• • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

x<br />

r<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

x<br />

r<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

x<br />

r<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • • • •<br />

• • • • • • •<br />

• • • • • • •<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

Abbildung 1.5.vi: Die Lösungsmengen D (links), E (Mitte) und F (rechts).<br />

y<br />

y<br />

y<br />

x<br />

0<br />

x 0<br />

x<br />

Abbildung 1.5.vii: Die Lösungsmengen G (links), H (Mitte) und I (rechts).<br />

y<br />

y<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

y<br />

1<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

0<br />

x<br />

0<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

x −1<br />

1<br />

x<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

• • • • •<br />

−1<br />

Abbildung 1.5.viii: Die Lösungsmengen J (links), K (Mitte) und L (rechts).


1.5. Ebene und räumliche Punktmengen 9<br />

Lösung 1.5.2. Die ellegante Lösung lautet<br />

{(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, |x+y|+|x−y| = 2}<br />

und eine von vielen anderen Möglichkeiten ist<br />

{(x,y) |x ∈ R, y ∈ R, x ∈ {−1,1}, y ∈ [−1,1]}<br />

∪{(x,y) | x ∈ R, y ∈ R, y ∈ {−1,1}, x ∈ [−1,1]}.


10 Kapitel 1. Grundbegriffe der Mengenlehre


Kapitel 2<br />

Funktionen<br />

2.1 Beispiele von Funktionen<br />

Aufgabe 2.1.1. Zeichnen Sie die Grafen der folgenden Funktionen in einem kartesischen<br />

Koordinatensystem.<br />

a. f(x) = 2x−1, wobei x ∈ R<br />

b. f(x) = x 2 −4x+1, wobei x ∈ [−1,5]<br />

c. f(x) = 1 x<br />

, wobei x ∈ [−5,5]−{0}<br />

d. f(x) = 1 3 x3 − 1 2 x2 −2x+1, wobei x ∈ [−3,4]<br />

Lösung 2.1.1. Vgl. Abbildungen 2.1.i und 2.1.ii.<br />

y<br />

y<br />

6<br />

1<br />

−1<br />

x<br />

−1 5<br />

x<br />

Abbildung 2.1.i: Die Grafen y = 2x−1 (links) und y = x 2 −4x+1 (rechts).<br />

2.2 Der Funktionsbegriff<br />

Es seien zwei nicht leere Mengen X und Y gegeben. Unter einer Funktion f von X nach Y<br />

verstehen wir eine Vorschrift, die jedem x ∈ X genau ein y ∈ Y zuordnet. Wir bezeichnen<br />

dieses dem Element x zugeordnete Element y auch mit f(x) und nennen es den Wert der<br />

11


12 Kapitel 2. Funktionen<br />

y<br />

6 1 3<br />

y<br />

−5<br />

5<br />

x<br />

−3<br />

1<br />

4<br />

x<br />

−6 1 2<br />

Abbildung 2.1.ii: Die Grafen y = 1 x (links) und y = 1 3 x3 − 1 2 x2 −2x+1 (rechts).<br />

Funktion f an der Stelle x oder das Bild von x unter f. Das Element x wird ein Urbild von<br />

f(x) genannt. Die Menge X heisst die Definitionsmenge oder der Definitionsbereich, Y<br />

die Zielmenge von f. Wenn mehrere Funktionen vorhanden sind, schreiben wir X f und Y f<br />

statt X und Y.<br />

f<br />

•<br />

•<br />

X<br />

•<br />

•<br />

Y<br />

•<br />

•<br />

f −1<br />

Abbildung 2.2.i: Die Zuordnung f ist eine Funktion; Die Zuordnung f −1 ist dagegen keine<br />

Funktion<br />

Zurpräzisen Festlegung einer Funktion f müssen ihreDefinitionsmenge X undihreZielmenge<br />

Y ausdrücklich angegeben werden. Zu diesem Zweck wird häufig die Schreibweise f : X → Y<br />

verwendet. Das Symbol x ↦→ f(x) besagt, dass die Funktion f dem Element x das Bild f(x)<br />

zuordnet. Zur ausführlichsten und genausten Darstellung einer Funktion f dient die folgende<br />

Schreibweise.<br />

Beispiel 2.2.1. Die Funktion<br />

f : X −→ Y<br />

x ↦−→ f(x)<br />

f : [0,∞[ −→ R<br />

x ↦−→ √ x<br />

ist diejenige, die jeder nichtnegativen Zahl x ihre Quadratwurzel √ x zuordnet.<br />

Oft wird x das Argument oder die unabhängige Variable undy die abhängige Variable<br />

der Funktion f genannt.


2.2. Der Funktionsbegriff 13<br />

Eine Funktion f : X → Y ordnet nicht nur jedem Element von X ein Element von Y, sondern<br />

auch jeder Teilmenge A von X eine Teilmenge f(A) von Y und jeder Teilmenge B von Y eine<br />

Teilmenge f −1 (B) von X zu, und zwar wir folgt:<br />

f(A) = {f(x) | x ∈ A}<br />

f −1 (B) = {x ∈ X | f(x) ∈ B}.<br />

Die Menge f(A) heisst das Bild von A unddie Menge f −1 (B) das Urbild von B. Wir nennen<br />

die Menge f(X) den Wertebereich von f.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 2.2.1. Bestimmen Sie den maximal möglichen Definitionsbereich X und den Wertebereich<br />

f(X) für die vier Funktionen von Aufgabe 2.1.1.<br />

Aufgabe 2.2.2. Bestimmen Sie den maximal möglichen Definitionsbereich X und den Wertebereich<br />

f(X) für die folgenden Funktionen.<br />

a. f(x) = −x<br />

b. f(x) = 2x 3 +1<br />

c. f(x) = √ 1−x 2<br />

d. f(x) = 3√ x+2<br />

e. f(x) = 1+ √ 9+x 2<br />

f. f(x) = −2+ √ 16−x 2<br />

g. f(x) = 4− √ x+5<br />

h. f(x) = a √x , wobei a > 1<br />

Lösungen<br />

Lösung 2.2.1.<br />

a. X = R, f(X) = R<br />

b. X = [−1,5], f(X) = [−3,6]<br />

c. X = [−5,5]−{0}, f(X) = ] −∞,− 1 ] [<br />

5 ∪ 1<br />

5 ,∞[<br />

d. X = [−3,4], f(X) = [ −6 1 ]<br />

2 ,61 3<br />

Lösung 2.2.2.<br />

a. X = R, f(X) = R<br />

b. X = R, f(X) = R<br />

c. X = [−1,1], f(X) = [0,1]<br />

d. X = [−2,∞[, f(X) = [0,∞[<br />

e. X = R, f(X) = [4,∞[<br />

f. X = [−4,4], f(X) = [−2,2]<br />

g. X = [−5,∞[, f(X) = ]−∞,4]<br />

h. X = [0,∞[, f(X) = [1,∞[


14 Kapitel 2. Funktionen<br />

2.3 Affine Funktionen, Geradengleichung<br />

Besonders häufig treten in den Anwendungen Geraden auf, d.h. Grafen von affinen Funktionen<br />

1 . Es sind dies Polynomfunktionen ersten Grades<br />

f(x) = mx+b.<br />

Die grafische Darstellung y = f(x) ist bekanntlich eine Gerade mit der Steigung m und<br />

dem y-Achsenabschnitt b. Die Steigung m und der Steigungswinkel σ sind dabei über<br />

die Beziehung<br />

m = tan(σ)<br />

miteinander verknüpft. Neben der Form y = mx+b können wir die Gleichung einer Geraden<br />

mit Steigung m, die durch den Punkt P 0 (x 0 ,y 0 ) geht, auch durch<br />

y −y 0<br />

x−x 0<br />

= m<br />

beschreiben(vgl. Abbildung2.3.i).IndemwirdieseGeradengleichungnachy auflösen,erhalten<br />

wir die uns bekannte Form<br />

y = mx+y 0 −mx 0 .<br />

mit der Steigung m und dem y-Achsenabschnitt b = y 0 −mx 0 .<br />

y<br />

y<br />

Normale n<br />

y<br />

y 0<br />

P 0<br />

•<br />

P<br />

•<br />

y − y 0<br />

σ<br />

x − x 0<br />

y 0<br />

·<br />

•<br />

P0<br />

Gerade g<br />

y = mx + b<br />

σ<br />

b<br />

x 0<br />

x<br />

x<br />

x 0<br />

x<br />

Abbildung 2.3.i: Gerade durch den Punkt<br />

P 0 (x 0 ,y 0 ).<br />

Abbildung 2.3.ii: Gerade und Normale<br />

durch den Punkt P 0 (x 0 ,y 0 ).<br />

Ist eine Gerade g durch die Form y = m g x + b gegeben, so sind wir oft vor die Aufgabe<br />

gestellt, im Punkt P 0 (x 0 ,y 0 ) eine senkrechte Gerade, die Normale n, auf diese Gerade zu<br />

errichten. Diese Normale ist wiederum eine Gerade, die durch die Gleichung<br />

y −y 0<br />

x−x 0<br />

= m n<br />

mit m n ·m g = −1<br />

beschrieben wird.<br />

1 In der Literatur werden Funktionen der Form f(x) = mx+b oft fälschlicherweise lineare Funktionen<br />

genannt. In Übereinstimmung mit der Linearen Algebra bezeichnen wir nur Funktionen der Form f(x) = mx<br />

als linear. Grafen von linearen Funktionen gehen alle durch den Ursprung.


2.4. Potenzfunktionen 15<br />

2.4 Potenzfunktionen<br />

Wir beginnen mit der Potenzfunktion<br />

f(x) = ax 2 .<br />

Der Graf y = f(x) ist eine Parabel, die nach oben geöffnet ist, falls a > 0, und nach unten,<br />

falls a < 0 (vgl. Abbildung2.4.i). Die Veränderungder Konstanten a bewirkt eine Streckung<br />

y<br />

a > 0<br />

y<br />

b = 1<br />

x<br />

b = 0 x<br />

Abbildung 2.4.i: Der Graf y = ax 2 Abbildung 2.4.ii: Der Graf y = ax 2 +b<br />

a < 0<br />

b = −2<br />

oder eine Stauchung der Parabel in der y-Richtung. Jetzt betrachten wir die Funktion<br />

f(x) = ax 2 +b.<br />

Die additive Konstante b bewirkt eine Verschiebung in Richtung der y-Achse (vgl. Abbildung<br />

2.4.ii).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 2.4.1. Untersuchen Sie die Grafen der Funktion<br />

f(x) = x α ,<br />

indem Sie zuerst die Grafen für α = 1,2,3,4 zeichnen und dann auch beliebige Werte von<br />

α > 0 betrachten.<br />

Aufgabe 2.4.2. Untersuchen Sie die Grafen der folgenden Funktion<br />

a. f(x) = c x .<br />

b. f(x) = c<br />

x 2 .


16 Kapitel 2. Funktionen<br />

Aufgabe 2.4.3. GebenSiePrinzipskizzenderGrafenderfolgendenFunktionenindreiSchritten,<br />

indem Sie von den jeweiligen Grundfunktionen f(x) = x α ausgehen, den konstanten Faktor<br />

berücksichtigen undschliesslich die additive Konstante addieren. Vermeiden Sie punktweise<br />

Berechnungen! Bestimmen Sie ferner den maximal möglichen Definitionsbereich und den<br />

Wertebereich jeder Funktion.<br />

a. f(x) = − 1 2 x3 −2<br />

b. f(x) = −2x 4 +1<br />

c. f(x) = − 1 3 x3 2 −2<br />

d. f(x) = − 1 1<br />

4x 2 +1<br />

e. f(x) = 2 x 5 −2<br />

f. f(x) = − 3<br />

x 2 3<br />

+1<br />

g. f(x) = − c +b<br />

x2n h. f(x) = c +b,<br />

x2n+1 wobei c > 0, b < 0 und n ∈ N.<br />

Lösungen<br />

Lösung 2.4.1. Die Grafen der Funktion f(x) = x α werden für die Werte α = 1,2,3,4 in<br />

Abbildung 2.4.iii dargestellt. Im Allgemeinen gilt: wenn α eine ungerade ganze Zahl ist, dann<br />

α = 2<br />

α = 4 y<br />

x<br />

α = 1<br />

α = 3<br />

Abbildung 2.4.iii: Der Graf y = x α<br />

geht der Graf vom dritten Quadranten in den ersten Quadranten, und wenn α eine gerade<br />

ganze Zahl ist, dann geht der Graf vom zweiten Quadranten in den ersten Quadranten.


2.4. Potenzfunktionen 17<br />

Lösung 2.4.2. Vgl. Abbildungen 2.4.iv und 2.4.v.<br />

y<br />

c = 2.7<br />

c = −2.7<br />

y<br />

c = 0.5<br />

c = 1<br />

x<br />

c = −1<br />

c = −0.5<br />

x<br />

Abbildung 2.4.iv: Einige Grafen der Form y = c x .<br />

y<br />

y<br />

c = 0.3<br />

c = 2.7<br />

c = 1<br />

x c = −0.3<br />

x<br />

c = −1<br />

c = −2.7<br />

Abbildung 2.4.v: Einige Grafen der Form y = c<br />

x 2 .


18 Kapitel 2. Funktionen<br />

Lösung 2.4.3. Die Grafen der angegebenen Funktionen werden in Abbildungen 2.4.vi bis<br />

2.4.x dargestellt. Die entsprechenden Definitions- und Wertebereiche sind die Folgenden.<br />

a. X f = R, f(X f ) = R<br />

b. X f = R, f(X f ) = ]−∞,1]<br />

c. X f = [0,∞[, f(X f ) = ]−∞,−2]<br />

d. X f = R−{0}, f(X f ) = ]−∞,1[<br />

e. X f = R−{0}, f(X f ) = R−{−2}<br />

f. X f = ]0,∞[, f(X f ) = ]−∞,1[<br />

g. X f = R−{0}, f(X f ) = ]−∞,b[<br />

h. X f = R−{0}, f(X f ) = R−{b}<br />

y<br />

y = x 3<br />

y<br />

y = x 4<br />

1<br />

y = − 1 2 x3 − 2<br />

−2<br />

y = − 1 2 x3<br />

x<br />

y = −2x 4 + 1<br />

y = −2x 4<br />

x<br />

Abbildung 2.4.vi: Die Grafen y = − 1 2 x3 −2 (links) und y = −2x 4 +1 (rechts).<br />

y<br />

y = x 3 2<br />

y<br />

y = 1 x 2<br />

−2<br />

y = − 1 3 x 3 2<br />

x<br />

y = − 1 4 x<br />

+ 1 2<br />

y = − 1 4<br />

1<br />

1<br />

x 2<br />

x<br />

y = − 1 3 x 3 2 − 2<br />

Abbildung 2.4.vii: Die Grafen y = − 1 3 x3 2 −2 (links) und y = − 1 4<br />

+1 (rechts).<br />

x 2<br />

1


2.4. Potenzfunktionen 19<br />

y<br />

y<br />

y = 1 x 5 y = 2 x 5<br />

x<br />

y = 2 x 5 − 2<br />

y = − 3<br />

x 2 3<br />

y = 1<br />

x 2 3<br />

+1<br />

x<br />

y = − 3<br />

x 2 3<br />

Abbildung 2.4.viii: Die Grafen y = 2 x 5 −2 (links) und y = − 3<br />

x 2 3<br />

+1 (rechts).<br />

y<br />

y<br />

y = 1<br />

x 2n<br />

y = 1<br />

x 2n<br />

y = − c<br />

x 2n<br />

x<br />

y = − c<br />

x 2n + b<br />

y = − c<br />

x 2n<br />

x<br />

y = − c<br />

x 2n + b<br />

Abbildung 2.4.ix: Einige Grafen der Form y = − c<br />

x 2n +b. Links ist c = 4, b = −1.5 und n = 1,<br />

rechts ist c = 4, b = −1.5 und n = 4.<br />

y<br />

y<br />

y =<br />

y =<br />

y = 1<br />

x 2n+1<br />

c<br />

x 2n+1<br />

x<br />

c<br />

x 2n+1 + b<br />

y =<br />

y =<br />

y = 1<br />

x 2n+1<br />

c<br />

x 2n+1<br />

x<br />

c<br />

x 2n+1 + b<br />

Abbildung 2.4.x: Einige Grafen der Form y = c<br />

x 2n+1 +b. Links ist c = 4, b = −1.5 und n = 1,<br />

rechts ist c = 4, b = −1.5 und n = 4.


20 Kapitel 2. Funktionen<br />

2.5 Polynomfunktionen zweiten Grades<br />

Eine allgemeine Polynomfunktion zweiten Grades hat die Form<br />

f(x) = ax 2 +bx+c, wobei a,b,c ∈ R und a ≠ 0.<br />

Wir möchten den Graf dieser Funktion in aller Allgemeinheit diskutieren. Zuerst formen wir<br />

die Funktion mit der Methode der quadratischen Ergänzung um, damit wir sie auf einen<br />

bereits besprochenen Fall zurückführen können.<br />

f(x) = ax 2 +bx+c<br />

= a<br />

(x 2 + b )<br />

a x +c<br />

(<br />

= a x+ b ) 2<br />

+c− b2<br />

2a 4a<br />

(<br />

= a x+ b ) 2<br />

+ 4ac−b2<br />

2a 4a<br />

Die Kurve y = f(x) ist also eine Parabel, die um b<br />

4ac−b2<br />

2a<br />

nach links und um<br />

4a<br />

nach oben<br />

verschoben, und um den Faktor a gegenüber der Standardparabel f(x) = x 2 gestreckt ist.<br />

Der Scheitelpunkt der Parabel befindet sich bei<br />

Damit lässt sich der Graf sofort zeichnen.<br />

(<br />

S − b )<br />

2a , 4ac−b2 .<br />

4a<br />

Beispiel 2.5.1. Wir betrachten die Polynomfunktion f(x) = −2x 2 +3x−1.<br />

f(x) = −2x 2 +3x−1<br />

= −2<br />

(x 2 − 3 )<br />

2 x −1<br />

(<br />

= −2 x− 3 ) 2<br />

−1+ 9 4 8<br />

(<br />

= −2 x− 3 ) 2<br />

+ 1 4 8<br />

Obige quadratische Ergänzung erlaubt es uns jetzt, den Grafen der Funktion zu zeichnen (vgl.<br />

Abbildung 2.5.i).<br />

AusderquadratischenErgänzunglässtsichnundiebekannteFormel fürdiebeidenNullstellen<br />

einer Polynomfunktion zweiten Grades herleiten. Es gilt<br />

(<br />

f(x) = ax 2 +bx+c = a x+ b ) 2<br />

+ 4ac−b2<br />

2a 4a<br />

= 0


2.5. Polynomfunktionen zweiten Grades 21<br />

y<br />

S( 3 4 , 1 8 )<br />

1<br />

2<br />

•<br />

1<br />

x<br />

−1<br />

Abbildung 2.5.i: Der Graf y = −2x 2 +3x−1<br />

und damit folgt<br />

(<br />

a x+ b ) 2<br />

= − 4ac−b2<br />

2a 4a<br />

(<br />

x+ b ) 2<br />

= b2 −4ac<br />

2a 4a 2<br />

x+ b<br />

√<br />

b<br />

2a = ± 2 −4ac<br />

4a 2<br />

= b2 −4ac<br />

4a<br />

= ±√ b 2 −4ac<br />

.<br />

2a<br />

Damit erhalten wir die uns bekannte Formel zum Aufsuchen der Nullstellen einer Polynomfunktion<br />

zweiten Grades<br />

x 1 = −b+√ b 2 −4ac<br />

2a<br />

und x 2 = −b−√ b 2 −4ac<br />

. (2.5.a)<br />

2a<br />

WenndieDiskriminanteb 2 −4acgleichNullist,dannbesitztdieFunktionf(x) = ax 2 +bx+c<br />

die doppelte Nullstelle x 0 = − b<br />

2a ; wenn b2 − 4ac negativ ist, dann besitzt die Funktion<br />

f(x) = ax 2 +bx+c keine reellen Nullstellen, sondern zwei komplexe Nullstellen.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 2.5.1. Bestimmen Sie den Grafen der folgenden Funktionen. Geben Sie für jede<br />

Funktion den maximal möglichen Definitionsbereich und den Wertebereich an.<br />

a. f(x) = 3x 2 −3x− 5 4<br />

b. f(x) = −x 2 −6x−5<br />

c. f(x) = 1 3 x2 − 4 3 x+1<br />

Aufgabe 2.5.2. Bestimmen Sie den Scheitelpunkt und den Grafen der Parabel<br />

wobei c eine konstante reelle Zahl ist.<br />

f(x) = x2<br />

2 −cx+ c2 −2c<br />

,<br />

2


22 Kapitel 2. Funktionen<br />

Aufgabe 2.5.3. Bestimmen Sie die Gleichung der Kurve, auf der die Scheitelpunkte der<br />

Parabeln mit der Gleichung y = ax 2 +bx bei variablem b liegen.<br />

Aufgabe 2.5.4. Lösen Sie die folgenden Gleichungen nach x auf.<br />

a. 4x 2 −4ax = b 2 −a 2<br />

b. x 2 −2ax+a 2 = a−b<br />

c.<br />

(a−x) 2 +(x−b) 2<br />

= a2 +b 2<br />

(a−x) 2 −(x−b) 2 a 2 −b 2<br />

Aufgabe 2.5.5. Zerlegen Sie die folgenden Ausdrücke in Linearfaktoren.<br />

a. 4x 2 +8x−5 b. x 2 −ax−bx+ab<br />

Aufgabe 2.5.6. Finden Sie die quadratischen Gleichungen, welche die folgenden Lösungen<br />

besitzen.<br />

a. a und −a b. 3 und −2<br />

Aufgabe 2.5.7. Lösen Sie die folgenden Gleichungen nach z auf.<br />

a. z 4 −13z 2 +36 = 0<br />

b. z − √ −z +2 = 0<br />

c. z −a √ z = ab+b 2 , wobei a,b > 0<br />

d. z +2− √ 2z 2 −2z +12 = 0<br />

Lösungen<br />

Lösung 2.5.1. Die Grafen der angegebenen Funktionen sind in den Abbildungen 2.5.ii<br />

bis 2.5.iv dargestellt. Die entsprechenden Definitions- und Wertebereiche sind die Folgenden.<br />

a. X f = R, f(X f ) = [−2,∞[<br />

c. X f = R, f(X f ) = [ − 1 3 ,∞[<br />

b. X f = R, f(X f ) = ]−∞,4]<br />

Lösung 2.5.2. Der Scheitelpunkt befindet sich im Punkt (c,−c). Der Graf der Parabel wird<br />

für verschiedene Werte von c in Abbildung 2.5.v dargestellt.<br />

y<br />

S(−3, 4)<br />

•<br />

y<br />

− 5 4<br />

x<br />

−5<br />

−1<br />

x<br />

•<br />

S( 1 2 , −2)<br />

−5<br />

Abbildung 2.5.ii: y = 3x 2 −3x− 5 4<br />

Abbildung 2.5.iii: y = −x 2 −6x−5


2.6. Exponentialfunktionen 23<br />

y<br />

y<br />

1<br />

1 3<br />

•<br />

S(2, − 1 3 )<br />

x<br />

x<br />

Abbildung 2.5.iv: y = 1 3 x2 − 4 3 x+1<br />

Abbildung 2.5.v: y = x2<br />

2 −cx+ c2 −2c<br />

2<br />

Lösung 2.5.3. Die Parameterdarstellung der Kurve ist (x(b),y(b)) = (− b<br />

2a ,−b2 4a<br />

). Die Funktionsgleichung<br />

lautet y = −ax 2 .<br />

Lösung 2.5.4.<br />

a. x = 1 2<br />

(a±b)<br />

2ab<br />

c. x = 0 oder x =<br />

a+b<br />

⎧<br />

⎪⎨ a± √ a−b wenn a > b<br />

b. x = a wenn a = b<br />

⎪⎩<br />

a±i √ b−a wenn a < b<br />

Lösung 2.5.5.<br />

(Es bezeichne i = √ −1.)<br />

a. (2x+5)(2x−1) b. (x−a)(x−b)<br />

Lösung 2.5.6.<br />

a. x 2 −a 2 = 0 b. x 2 −x−6 = 0<br />

Lösung 2.5.7.<br />

a. z ∈ {−3,−2,2,3}<br />

b. z = −1<br />

c. z = (a+b) 2<br />

d. z ∈ {2,4}<br />

2.6 Exponentialfunktionen<br />

Die Exponentialfunktionen<br />

f(x) = a x<br />

sind von den Potenzfunktionen f(x) = ax α klar zu unterscheiden. Potenzfunktionen haben<br />

eine variable Basis und einen konstanten Exponent; Exponentialfunktionen haben eine konstante<br />

Basis und einen variablen Exponent.


24 Kapitel 2. Funktionen<br />

Aufgabe<br />

Aufgabe 2.6.1. Bestimmen Sie die Grafen der beiden Funktionen<br />

( ) 1 x<br />

f(x) = 2 x und f(x) = .<br />

2<br />

Durch Verallgemeinerung erhalten wir eine Übersicht über den Verlauf der Kurve der Funktionen<br />

f(x) = a x für die verschiedenen Werte von a > 0.<br />

Lösung<br />

Lösung 2.6.1. Vgl. Abbildungen 2.6.i und 2.6.ii.<br />

y<br />

y<br />

1<br />

1<br />

x<br />

Abbildung 2.6.i: y = 2 x<br />

Abbildung 2.6.ii: y = ( 1 2 )x<br />

x<br />

2.7 Symmetrieeigenschaften von Funktionen<br />

Die Symmetrien, die hier in Frage kommen, sind nicht Symmetrien der Kurve als solche,<br />

sondern Symmetrien bezüglich dem Koordinatensystem.<br />

Definition 2.7.1 (Symmetrie einer Funktion). a. Eine Funktion f heisst gerade, wenn<br />

f(−x) = f(x) für alle x ∈ X f , das heisst, wenn ihr Graf bezüglich der y-Achse symmetrisch<br />

ist.<br />

b. Eine Funktion f heisst ungerade, wenn f(−x) = −f(x) für alle x ∈ X f , das heisst,<br />

wenn ihr Graf im Ursprung eine Punktsymmetrie besitzt.<br />

Beispiel 2.7.1. Es seien a,c ∈ R gegeben. Die Funktion<br />

f : R −→ R<br />

x ↦−→ ax 2 +c,<br />

ist gerade. Ihr Graf wird in Abbildung 2.7.i dargestellt.<br />

Beispiel 2.7.2. Es seien a,c ∈ R gegeben. Die Funktion<br />

f : R −→ R<br />

x ↦−→ ax 3 +c<br />

ist genau dann ungerade, wenn c = 0. Ihr Graf wird in Abbildung 2.7.ii dargestellt.


2.8. Monotonie 25<br />

y<br />

y<br />

ax 3 −ax 3<br />

−x<br />

c<br />

x<br />

x<br />

−x<br />

x<br />

x<br />

Abbildung 2.7.i: y = ax 2 +c<br />

Abbildung 2.7.ii: y = ax 3<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 2.7.1. Bestimmen Sie die Symmetrieeigenschaften folgender Funktionen.<br />

a. f(x) = 3x 4 +2x 2 −1<br />

b. f(x) = 2x 3 −sin(x)<br />

c. f(u) =<br />

u<br />

u 3 −2u+5<br />

d. f(x) = cos(x)sin 2 (x)<br />

e. f(x) = x 2 −sin(2x)<br />

f. f(η) = tan(η)+cos(η)<br />

g. f(x) = |x|+2<br />

h. f(x) = 1 2 (x2 +2|x|−3)<br />

i. f(z) = |z|+z<br />

j. f(x) = sin(|x|)<br />

k. f(x) = x √ 3−x, wobei x ∈ [−3,3]<br />

l. f(x) = x 3√ |x+x 3 |<br />

Lösungen<br />

Lösung 2.7.1.<br />

a. gerade<br />

b. ungerade<br />

c. weder gerade noch ungerade<br />

d. gerade<br />

e. weder gerade noch ungerade<br />

f. weder gerade noch ungerade<br />

g. gerade<br />

h. gerade<br />

i. weder gerade noch ungerade<br />

j. gerade<br />

k. weder gerade noch ungerade<br />

l. ungerade<br />

2.8 Monotonie<br />

Definition 2.8.1 (Monotonie). Eine Funktion f heisst in einem Intervall I


26 Kapitel 2. Funktionen<br />

a. monoton wachsend, wenn für beliebige Werte x 1 und x 2 in I mit x 1 < x 2 gilt<br />

f(x 1 ) ≤ f(x 2 ).<br />

(2.8.a)<br />

b. monoton fallend, wenn für beliebige Werte x 1 und x 2 in I mit x 1 < x 2 gilt<br />

f(x 1 ) ≥ f(x 2 ).<br />

(2.8.b)<br />

Wir sprechen von einer strengen Monotonie, wenn die Bedingungen 2.8.a und 2.8.b durch<br />

die Bedingungen f(x 1 ) < f(x 2 ) und f(x 1 ) > f(x 2 ) ersetzt werden können.<br />

Beispiel 2.8.1. Die Exponentialfunktion<br />

f : R −→ R<br />

x ↦−→ 2 −x ,<br />

ist streng monoton fallend (vgl. Abbildung 2.8.i).<br />

Beispiel 2.8.2. Die Wurzelfunktion<br />

f : [0,∞] −→ R<br />

x ↦−→ √ x<br />

ist streng monoton wachsend (vgl. Abbildung 2.8.ii).<br />

y<br />

f(x 1 )<br />

f(x 2 )<br />

x 1 x 2<br />

x<br />

f(x 2 )<br />

f(x 1 )<br />

Abbildung 2.8.i: y = 2 −x x 1 x 2<br />

y<br />

Abbildung 2.8.ii: y = √ x<br />

x<br />

2.9 Beschränkte Funktionen<br />

Eine Funktion f heisst beschränkt, wenn die Beträge der Funktionswerte nicht über einen<br />

gewissen endlichen Betrag hinausgehen, das heisst, es gibt eine reelle Zahl C, so dass<br />

gilt.<br />

Beispiel 2.9.1. Die Funktion<br />

ist beschränkt (vgl. Abbildung 2.9.i).<br />

|f(x)| < C für alle x ∈ X f<br />

f : R −→ R<br />

x ↦−→ sin(x)


•<br />

•<br />

2.10. Differenzenquotient 27<br />

y<br />

1.5<br />

x<br />

−1.5<br />

Abbildung 2.9.i: y = sin(x)<br />

2.10 Differenzenquotient<br />

Bei der Untersuchung einer Funktion kommt es meistens weit weniger darauf an, ihre Werte<br />

an vorgegebenen Stellen als vielmehr die Veränderung dieser Werte bei Veränderung des<br />

Arguments zu kennen. Ein erster Schritt in dieser Richtung besteht darin, ein Mass für die<br />

Steilheit der Kurve einer Funktion zu definieren.<br />

Es seien eine Funktion f und zwei verschiedene Punkte P 1 (x 1 ,y 1 ) und P 2 (x 2 ,y 2 ) auf ihrem<br />

Grafen gegeben. Dann gelten y 1 = f(x 1 ) und y 2 = f(x 2 ). Durch die Festsetzungen ∆x =<br />

x 2 −x 1 und ∆y = y 2 −y 1 können wir die Steigung der Sekante durch P 1 und P 2 wie folgt<br />

ausdrücken<br />

tan(σ) = ∆y<br />

∆x = y 2 −y 1<br />

= f(x 2)−f(x 1 )<br />

,<br />

x 2 −x 1 x 2 −x 1<br />

wobei σ der Winkel zwischen der x-Achse und der Sekante durch P 1 und P 2 bezeichnet (vgl.<br />

Abbildung 2.10.i). Wenn wir x = x 1 setzen, erhalten wir den Ausdruck<br />

der Differenzenquotient genannt wird.<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) ,<br />

∆x<br />

y<br />

f(x 2 )<br />

f(x 1 )<br />

P 2<br />

P 1 σ<br />

∆x<br />

∆y<br />

x 1 x 2<br />

x<br />

Abbildung 2.10.i: Die Sekante durch P 1 und P 2


28 Kapitel 2. Funktionen<br />

Aufgabe<br />

Aufgabe 2.10.1. Bestimmen Sie den Differenzenquotienten der Funktion f(x) = x2<br />

10 , wobei<br />

x = 1 und ∆x = 4, 2 und 1. Machen Sie eine Zeichnung der entsprechenden Sekanten.<br />

Lösung<br />

Lösung 2.10.1. Die Differenzenquotienten sind 0.6, 0.4 und 0.3. Die Sekanten werden in<br />

Abbildung 2.10.ii dargestellt.<br />

y<br />

2.5<br />

•<br />

0.9<br />

•<br />

0.4<br />

•<br />

0.1<br />

•<br />

1<br />

2<br />

3<br />

5<br />

x<br />

Abbildung 2.10.ii: y = x2<br />

10<br />

Beispiel 2.10.1. Im Weiteren leiten wir einen allgemeinen Ausdruck für den Differenzenquotienten<br />

der Polynomfunktion zweiten Grades her. Es sei f(x) = ax 2 +bx+c, wobei a, b und<br />

c konstante reelle Zahlen sind. Dann gilt<br />

∆y = f(x+∆x)−f(x)<br />

= a(x+∆x) 2 +b(x+∆x)+c−(ax 2 +bx+c)<br />

= ax 2 +2ax∆x+a(∆x) 2 +bx+b∆x+c−ax 2 −bx−c<br />

= 2ax∆x+a(∆x) 2 +b∆x<br />

und somit<br />

∆y<br />

∆x = 2ax+a∆x+b.<br />

Damit sind wir in der Lage, irgendeine Sekantensteigung bei einer Parabel zu bestimmen.<br />

Beispiel 2.10.2. Wir betrachten die Funktion<br />

f(x) = 2x 2 +3x−1 = 2<br />

(<br />

x+ 3 4) 2<br />

− 17 8 .<br />

Laut der obigen Berechnung ist die Sekantensteigung ihres Grafen ∆y<br />

∆x<br />

x = 1 erhalten wir die folgende Tabelle:<br />

= 4x+2∆x+3. Für<br />

∆x 1 0.1 0.01<br />

∆y<br />

∆x<br />

9 7.2 7.02<br />

σ 83.66 ◦ 82.09 ◦ 81.89 ◦


2.10. Differenzenquotient 29<br />

Der Ausdruck ∆y<br />

∆y<br />

∆x<br />

= 4x+2∆x+3 bleibt sogar sinnvoll für ∆x = 0: Wir erhalten<br />

∆x = 7 und<br />

σ = 81.87 ◦ , welche die Steigung der Tangente im Punkte (1,4) darstellen. Diese Steigung<br />

ist ein Mass für die lokale Steilheit der Kurve y = f(x).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 2.10.2. Bilden Sie den Differenzenquotienten der Funktion f(t) = 2t 2 −4t+1.<br />

Aufgabe 2.10.3. Berechnen SiedenDifferenzenquotienten von f(x) = 0.2x 2 +0.8x−1 ander<br />

Stelle x = 1 für ∆x = −8, −6, −3 und −1. Zeichnen Sie den Grafen der Funktion zusammen<br />

mit den entsprechenden Sekanten.<br />

Lösungen<br />

Lösung 2.10.2. 4t+2∆t−4<br />

Lösung 2.10.3. Die Differenzquotienten sind −0.4, 0, 0.6 und 1. Die Sekanten werden in<br />

Abbildung 2.10.iii dargestellt.<br />

y<br />

•<br />

3.2<br />

−7<br />

•<br />

−5<br />

−2<br />

0<br />

•<br />

1<br />

x<br />

•<br />

−1<br />

•<br />

−1.8<br />

Abbildung 2.10.iii: y = 0.2x 2 +0.8x−1<br />

Im folgenden Beispiel sehen wir, dass die Tangentensteigung sich nicht immer so einfach<br />

bestimmen lässt.<br />

Beispiel 2.10.3. Es sei die Funktion f(x) = √ x gegeben. Der Differenzenquotient lautet<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x)<br />

√ √ x+∆x− x<br />

= .<br />

∆x ∆x<br />

Lassen wir hier ∆x gegen null gehen, so erhalten wir den unbestimmten Ausdruck 0 0 . Erst<br />

eine Umformung mit anschliessendem Kürzen durch ∆x erlaubt die Berechnung der Tangen-


30 Kapitel 2. Funktionen<br />

tensteigung.<br />

√ √<br />

∆y x+∆x− x<br />

∆x = √<br />

∆x<br />

√ √ √ x+∆x− x x+∆x+ x<br />

= · √ √<br />

∆x x+∆x+ x<br />

x+∆x−x<br />

=<br />

∆x (√ x+∆x+ √ x )<br />

=<br />

1<br />

√<br />

x+∆x+<br />

√ x<br />

Jetzt, wenn wir ∆x gegen 0 streben lassen, erhalten wir die Tangentensteigung<br />

1<br />

2 √ x .<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 2.10.4. Bestimmen Sie den Differenzenquotienten und die Tangentensteigung der<br />

Funktion f(x) = √ x an der Stelle x = 1 für ∆x = 0.1, 0.01, 0.001 und 0. Veranschaulichen<br />

Sie sich die Zusammenhänge in einem Grafen.<br />

Aufgabe 2.10.5. Bestimmen Sie den Differenzenquotienten der folgenden Funktionen an der<br />

Stelle x und formen Sie so um, dass durch ∆x gekürzt werden kann.<br />

a. f(x) = 4<br />

x 2<br />

b. f(x) = 1 √ x<br />

d. f(x) = √ 1−x 2<br />

e. f(x) = √ 1− √ x<br />

c. f(x) = 1<br />

f. f(x) = 1−√ x<br />

1+x 2 1+ √ x<br />

Lösungen<br />

Lösung 2.10.4. Die Differenzenquotienten und die Tangentensteigung werden in der folgenden<br />

Tabelle dargestellt.<br />

Lösung 2.10.5.<br />

∆x 0.1 0.01 0.001 0<br />

∆y<br />

∆x<br />

0.488 0.4987 0.49988 0.5<br />

a.<br />

−8x−4∆x<br />

x 2 (x+∆x) 2<br />

d.<br />

−2x−∆x<br />

√<br />

1−(x+∆x) 2 + √ 1−x 2<br />

b.<br />

−1<br />

x √ x+∆x+ √ x(x+∆x)<br />

e.<br />

−1<br />

(√<br />

1−<br />

√<br />

x+∆x+<br />

√<br />

1−<br />

√ x<br />

)(√ x+<br />

√<br />

x+∆x<br />

)<br />

c.<br />

−2x−∆x<br />

(1+(x+∆x) 2 )(1+x 2 )<br />

f.<br />

−2<br />

(<br />

1+<br />

√<br />

x+∆x<br />

)(<br />

1+<br />

√ x<br />

)(√ x+<br />

√<br />

x+∆x<br />

)


2.10. Differenzenquotient 31<br />

Die Aufgabe 2.10.5 zeigt beispielhaft, wie wir vorgehen müssen, um den Fall der Tangente zu<br />

behandeln. Wir können im Allgemeinen nicht einfach ∆x = 0 setzen, weil dann unbestimmte<br />

Ausdrücke entstehen können.<br />

Die Beispiele sollen eine Vorschau darstellen, wie für die Bestimmung der Tangentensteigung<br />

vorgegangen wird. Um dies ganz allgemein durchführen zu können, sind aber noch viele Vorarbeiten<br />

nötig, wie zum Beispiel die Herleitung des Grenzwertbegriffs. Wir schliessen deshalb<br />

vorderhand mit der Bestimmung der Tangentensteigung ab und wenden uns den Grenzwerten<br />

zu.


32 Kapitel 2. Funktionen


Kapitel 3<br />

Grenzwerte<br />

3.1 Grenzwerte von Zahlenfolgen<br />

Wir beginnen das Studium von Zahlenfolgen mit dem Beispiel 0.3, 0.33, 0,333, 0.3333,....<br />

Das erste Glied bezeichnen wir durch a 1 , das zweite durch a 2 , und so weiter. Die Zahlenfolge<br />

selber wird durch (a n ) n∈N oder einfach (a n ) bezeichnet. Das Muster der Zahlenfolge kann<br />

durch die folgende Formel ausgedrückt werden.<br />

a n = 0.33···3 } {{ } =<br />

n<br />

Jedes Glied a n der Zahlenfolge ist grösser als das vorangehende, d.h. a n < a n+1 . Die Glieder<br />

überschreiten den Wert 1 3<br />

jedoch nie:<br />

n∑<br />

k=1<br />

3<br />

10 k<br />

a n < 1 3<br />

für alle n ∈ N.<br />

Die Zahl 1 3<br />

zeichnet sich von 0.4 oder 0.334 dadurch aus, dass die Glieder der Zahlenfolge<br />

dieser Zahl beliebig nahe kommen. Anders gesagt kann die Differenz<br />

|a n − 1 3 |<br />

beliebig klein gemacht werden, wenn n nur gross genug gewählt wird. Wir nennen 1 3 den<br />

Grenzwert der Zahlenfolge. Symbolisch schreiben wir dafür<br />

a n → 1 3<br />

für n → ∞ oder lim<br />

n→∞ a n = 1 3 .<br />

Im Allgemeinen definieren wir den Grenzwert einer Zahlenfolge wie folgt.<br />

Definition 3.1.1. Die Zahlenfolge (a n ) n∈N hat den Grenzwert l, wenn die Differenz |a n −l|<br />

beliebig klein gemacht werden kann. In diesem Fall sagen wir, dass die Zahlenfolge gegen den<br />

Grenzwert l konvergiert. Sonst sagen wir, dass sie divergiert.<br />

Beispiel 3.1.1. Es sei (a n ) n∈N die Zahlenfolge 2 1 , 3 2 , 4 3<br />

, ..., das heisst<br />

a n = n+1<br />

n<br />

für alle n ∈ N.<br />

33


34 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Obwohl die Glieder der Zahlenfolge immer kleiner werden, bleiben sie grösser als 1, da der<br />

Zähler stets um 1 grösser ist als der Nenner. Mit wachsendem n wird aber die Differenz<br />

∣ an −1 ∣ ∣ =<br />

∣ ∣∣∣ n+1<br />

n −1 ∣ ∣∣∣<br />

= 1 n<br />

beliebig klein. Anders gesagt hat die Zahlenfolge den Grenzwert<br />

lim a n = 1.<br />

n→∞<br />

Beispiel 3.1.2. Die Zahlenfolge 1,−1,1,−1,1,... ist divergent. Wegen dem Vorzeichenwechsel<br />

wird eine solche Folge alternierend genannt.<br />

ist eine Nullfolge, das heisst, sie kon-<br />

Beispiel 3.1.3. Die Folge der Zahlen a n = (−1) n 1 n<br />

vergiert gegen 0.<br />

Beispiel 3.1.4. Die Zahlenfolge (a n ) n∈N , deren n-tes Glied durch die Formel<br />

a n = 2n für alle n ∈ N<br />

gegeben ist, konvergiert gegen keine Zahl, das heisst, sie ist divergent. Gleichwohl können wir<br />

eine Aussage über das Verhalten ihrer Glieder bei grossem n machen: Für jede positive Zahl<br />

C gibt es einen Index n 0 , so dass<br />

Wir schreiben<br />

a n > C für alle n > n 0 .<br />

lim a n = ∞<br />

n→∞<br />

und sagen, die Zahlenfolge habe einen uneigentlichen Grenzwert.<br />

Oft können Grenzwerte erst nach einiger Umformung bestimmt werden, wie es in den folgenden<br />

Beispielen der Fall ist.<br />

Beispiel 3.1.5. Es sei<br />

a n = n<br />

2n+1<br />

für alle n ∈ N.<br />

Dividieren wir Zähler und Nenner durch n, erhalten wir<br />

a n = 1<br />

2+ 1 n<br />

−→ 1 2<br />

für n → ∞,<br />

das heisst, die Zahlenfolge (a n ) n∈N hat den Grenzwert 1 2 .<br />

Beispiel 3.1.6. Dieses Mal werden Zähler und Nenner durch n 2 dividiert:<br />

2n 2 −n+1 2− 1 n<br />

lim<br />

n→∞ n 2 = lim<br />

+ 1 n 2<br />

+1 n→∞ 1+ 1 = 2<br />

n 2


3.1. Grenzwerte von Zahlenfolgen 35<br />

Beispiel 3.1.7 (Fibonaccifolge). Die Fibonaccizahlen sind rekursiv definiert<br />

a 1 = a 2 = 1 und a n+2 = a n+1 +a n für n ∈ N.<br />

Damit ergibt sich die Folge 1,1,2,3,5,8,13,21,34,55,89,144,.... Wir wollen hier nur eine<br />

interessante Eigenschaft der Fibonaccizahlen erwähnen. Der Grenzwert des Quotienten zweier<br />

aufeinander folgenden Fibonaccizahlen konvergiert gegen den Goldenen Schnitt<br />

a n+1<br />

lim =<br />

n→∞ a n<br />

√<br />

5−1<br />

.<br />

2<br />

Mehr interessante und höchst erstaunliche Tatsachen (z.B. Fragen zur Kaninchenvermehrung<br />

oder der Aufbau von Sonnenblumen) rund um die Fibonaccifolge sind im Kapitel A.2.1 zu<br />

finden.<br />

Abbildung 3.1.i: Leonardo Pisano Fibonacci, 1170?-1250?;80?<br />

Beispiel 3.1.8 (Folge von Collatz). Eine seit längerer Zeit unbewiesene Vermutung 1 (vgl.<br />

Vermutung A.2.1) rund um die Folge von Collatz finden Sie im Kapitel A.2.2.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 3.1.1. Bestimmen Sie folgende Grenzwerte.<br />

2<br />

a. lim<br />

n→∞ n−1<br />

10 5 n<br />

b. lim<br />

n→∞ n 2<br />

c. lim<br />

n→∞ 10−n<br />

n 2 +1<br />

d. lim<br />

n→∞ n+1<br />

2−n 3<br />

e. lim<br />

n→∞ 10n 2 +n<br />

1 Wenn Sie einen Beweis finden, sind Sie auf der Stelle im erlauchten Kreise der Mathematiker eine<br />

Berühmtheit.


36 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Aufgabe 3.1.2. Es sei das n-te Glied a n angegeben. Für welche c ∈ R ist die Folge (a n ) n∈N<br />

eine Nullfolge?<br />

a. a n = n c<br />

b. a n = c n c. a n = n√ c−1<br />

Aufgabe 3.1.3. Bestimmen Sie folgende Grenzwerte, wobei a, b, c und d konstante reelle<br />

Zahlen sind.<br />

n<br />

a. lim<br />

n→∞ n+1<br />

an<br />

b. lim<br />

n→∞ n+1<br />

Aufgabe 3.1.4. Bestimmen Sie den Grenzwert<br />

wobei c eine konstante reelle Zahl ist, und<br />

a. |c| > 1,<br />

b. c ∈ ]−1,0[∪]0,1[.<br />

lim<br />

n→∞<br />

1<br />

1+c n,<br />

an+b<br />

c. lim<br />

n→∞ cn+d<br />

(n−5) 2<br />

d. lim<br />

n→∞ n 2 +1<br />

Aufgabe 3.1.5. Es sei<br />

a n =<br />

(<br />

1+ 1 n) n<br />

für alle n ∈ N.<br />

Die Eulersche Zahl e wird als Grenzwert der Zahlenfolge (a n ) n∈N definiert:<br />

(<br />

e = lim 1+ 1 n<br />

.<br />

n→∞ n)<br />

Versuchen Sie, die Zahl e zu schätzen, in dem Sie das Glied a n für n = 1, 10, 100, 10 4 , 10 7 ,<br />

10 12 mit einem Taschenrechner berechnen.<br />

Abbildung 3.1.ii: Leonard Euler, 1707-1783


3.1. Grenzwerte von Zahlenfolgen 37<br />

Aufgabe 3.1.6. Bestimmen Sie folgende Grenzwerte.<br />

(−1) n +n<br />

a. lim<br />

n→∞ n<br />

(n+1) 2<br />

b. lim<br />

n→∞ (n−1) 2<br />

c. lim<br />

n→∞ en<br />

d. lim<br />

n→∞<br />

( π<br />

2<br />

e. lim cos<br />

n→∞ n<br />

(<br />

f. lim sin π 3n<br />

n→∞ 2n+1<br />

(<br />

g. lim tan<br />

n→∞<br />

(<br />

i. lim 1− 1 ) 2n<br />

n→∞ n<br />

j. lim<br />

(1− 1 ) n<br />

n→∞ n 2<br />

(<br />

(√ √ )<br />

k. lim 1+ 1 ) 2n−1<br />

n→∞<br />

n+1− n<br />

n<br />

)<br />

(−1) n+1 +2n 2 −n+1<br />

l. lim<br />

n→∞ 3n 2 +n+3<br />

(√ )<br />

)<br />

m. lim n 2 +n−n<br />

n→∞<br />

1+2+···+n<br />

)<br />

n. lim<br />

n→∞<br />

n<br />

n 2<br />

π<br />

(<br />

2n+1<br />

o. lim 1+ 2 ) n<br />

) n→∞<br />

n−1<br />

n<br />

( ) n+5 n<br />

(<br />

h. lim 1+ 1<br />

n→∞ n<br />

Lösungen<br />

Lösung 3.1.1.<br />

p. lim<br />

n→∞<br />

n<br />

a. 0<br />

b. 0<br />

d. ∞<br />

e. −∞<br />

c. 0<br />

Lösung 3.1.2.<br />

a. c < 0<br />

c. c > 0<br />

b. c ∈]−1,1[<br />

Lösung 3.1.3.<br />

a. 1<br />

b. a<br />

c.<br />

a<br />

c<br />

d. 1


38 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Lösung 3.1.4.<br />

a. 0<br />

b. 1<br />

Lösung 3.1.5.<br />

a n<br />

n<br />

1 2.000000000<br />

10 2.593742460<br />

100 2.704813829<br />

10 4 2.718145927<br />

10 7 2.718281692<br />

10 12 2.718281828<br />

Lösung 3.1.6.<br />

a. 1<br />

b. 1<br />

c. ∞<br />

d. 0<br />

e. 1<br />

f. −1<br />

g. ∞<br />

h. e<br />

i. e −2<br />

j. 1<br />

k. e 2<br />

l.<br />

2<br />

3<br />

m.<br />

1<br />

2<br />

n.<br />

1<br />

2<br />

o. e 2<br />

p. e 5<br />

3.2 Grenzwertsätze<br />

Als Quintessenz aus den Beispielen zur Grenzwertberechnung von Zahlenfolgen können die<br />

folgenden Grenzwertsätze gelten: Sind(a n ) n∈N und(b n ) n∈N konvergente Zahlenfolgen undgilt<br />

so folgt<br />

lim a n = a und<br />

n→∞<br />

lim b n = b,<br />

n→∞<br />

lim (a n +b n ) = a+b<br />

n→∞<br />

lim (a n −b n ) = a−b<br />

n→∞<br />

lim (a nb n ) = ab<br />

n→∞<br />

lim<br />

n→∞<br />

(3.2.a)<br />

(3.2.b)<br />

(3.2.c)<br />

( )<br />

an<br />

= a , falls b ≠ 0. (3.2.d)<br />

b n b<br />

Mit anderen Worten, wenn (a n ) n∈N und (b n ) n∈N konvergente Zahlenfolgen sind, können die<br />

rationalen Rechenoperation mit dem Grenzübergang vertauscht werden.


3.3. Grenzwerte von Funktionen 39<br />

3.3 Grenzwerte von Funktionen<br />

Als Anwendung der Grenzwertbestimmung von Zahlenfolgen betrachten wir die Grenzwertbestimmung<br />

bei Funktionen. Es sollen Methoden entwickelt werden, eine Funktion in der<br />

näheren Umgebung von gewissen Stellen zu untersuchen. Das geeignete Hilfsmittel dazu sind<br />

die Zahlenfolgen.<br />

Wir gehen von einem Beispiel aus. Zu untersuchen ist das Verhalten der Funktion<br />

f : R −→ R<br />

x ↦−→ x 2<br />

in der Umgebung des Punktes P(2,4). Dazu wählen wir eine Zahlenfolge (x n ) n∈N , die innerhalb<br />

des Definitionsbereichs X f = R verläuft und den Grenzwert 2 hat, zum Beispiel die<br />

Zahlenfolge mit n-ten Glied x n = 2+ 1 n<br />

. Für jedes n ∈ N setzen wir<br />

y n = f(x n ) =<br />

(<br />

2+ 1 n) 2<br />

.<br />

Die Punktfolge (P n (x n ,y n )) n∈N nähert sich auf der Parabel y = f(x) von rechts beliebig nahe<br />

dem Punkt P(2,4) an (vgl. Abbildung 3.3.i). Wir nennen den Wert 4 den rechtsseitigen<br />

Grenzwert der Funktion f an der Stelle 2.<br />

y<br />

P 1<br />

x 1<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

y 3<br />

4<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

P<br />

y 1<br />

P 2<br />

x 2<br />

y 2<br />

P 3<br />

x 3<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

• •<br />

2<br />

•<br />

x<br />

Abbildung 3.3.i: P n −→ P<br />

Entsprechend können wir eine Annäherungvon links erhalten, indem wir die Folge der Zahlen<br />

x n = 2− 1 n wählen. Auch dann strebt die Folge der Funktionswerte y = f(x n) gegen 4. Dieses<br />

Mal sprechen wir von einem linksseitigen Grenzwert der Funktion f.<br />

Eigentlich würdejedebeliebige Folge (x n ) n∈N , die gegen 2 strebt, denGrenzwert 4 des Funktionswertes<br />

ergeben. Lautderfolgenden Definition sagen wir,4sei derallgemeine Grenzwert<br />

der Funktion f an der Stelle 2.


40 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Definition 3.3.1. Es sei f eine Funktion, die in einer Umgebung von a, eventuell mit Ausnahme<br />

von a, definiert. Hat für jede beliebige Folge (x n ) n∈N , die innerhalb des Definitionsbereichs<br />

X f verläuft und gegen a strebt, die Folge (f(x n )) n∈N den Grenzwert l, so heisst l der<br />

allgemeine Grenzwert der Funktion f an der Stelle x = a. Wir schreiben 2<br />

lim f(x) = l.<br />

x→a<br />

Wie es im obigen Beispiel erwähnt wurde, können wir auch von rechtsseitgen und linksseitigen<br />

Grenzwerten sprechen.<br />

Definition 3.3.2. Es sei f eine Funktion, die in einer rechtsseitigen Umgebung von a, eventuell<br />

mit Ausnahme von a, definiert. Hat für jede beliebige Folge (x n ) n∈N , die innerhalb des<br />

Definitionsbereichs X f verläuft und von oben gegen a strebt, die Folge (f(x n )) n∈N den Grenzwert<br />

l, so heisst l der rechtsseitige Grenzwert der Funktion f an der Stelle x = a. Wir<br />

schreiben<br />

limf(x) = l. oder<br />

x↓a<br />

lim = l.<br />

x→a +f(x)<br />

Die analogen Definition und Schreibweisen gelten für linksseitige Grenzwerte. Der folgende<br />

Satz zeigt den Zusammenhang zwischen links- und rechtsseitigen und allgemeinen Grenzwerten.<br />

Satz 3.3.1. Ist<br />

so gilt auch<br />

lim<br />

x↓a<br />

f(x) = lim<br />

x↑a<br />

f(x) = l,<br />

lim f(x) = l.<br />

x→a<br />

Beispiel 3.3.1. Wir möchten den Grenzwert der Funktion<br />

f(x) = x2 −1<br />

x−1<br />

an der Stelle x = 1 berechnen. Laut dem Satz 3.3.1 müssen wir nicht alle gegen 1 strebende<br />

y<br />

2<br />

•<br />

1<br />

x<br />

Abbildung 3.3.ii: Der Graf y = x2 −1<br />

x−1<br />

Folgen (x n ) n∈N betrachten, sondern nur diejenigen, die entweder von oben oder von unten<br />

gegen 1 streben. Die beiden Fälle können wir sogar gleichzeitig behandeln, indem wir<br />

x n = 1±h n<br />

für alle n ∈ N<br />

2 In der Literatur findet sich auch die Notation f(x) → l für x → a.


3.3. Grenzwerte von Funktionen 41<br />

setzen, wobei (h n ) n∈N eine Zahlenfolge ist, die von oben gegen 0 strebt. Die entsprechenden<br />

Funktionswerten sind<br />

y n = f(x n ) = (1±h n) 2 −1<br />

(1±h n )−1 = 1±2h n +h 2 n −1<br />

±h n<br />

= 2±h n ,<br />

die gegen 2 streben, wenn n → ∞. Anders gesagt ist 2 der Grenzwert der Funktion f an der<br />

Stelle x = 1. Normalerweise lassen wir bei der Berechnung solcher Grenzwerten den Index n<br />

weg und schreiben<br />

x 2 −1<br />

lim<br />

x→1 x−1 = lim (1±h) 2 −1<br />

h↓0 (1±h)−1 = lim 1±2h+h 2 −1<br />

= lim2±h = 2.<br />

h↓0 ±h h↓0<br />

Wir beachten, dass der Grenzwert erst nach Kürzen mit h berechnet wurde. Das Vorgehen<br />

ist hier wie beim Berechnen der Tangentensteigung, wo wir durch ∆x kürzen mussten, bevor<br />

wir im Restfaktor ∆x = 0 setzen durften (vgl. 2.10.3).<br />

Beispiel 3.3.2. Die Funktion<br />

f(x) = x+1<br />

x<br />

ist nicht definiert an der Stelle x = 0. Um ihr Verhalten in der Nähe dieser Stelle zu beschreiben,<br />

setzen wir x = ±h, wobei h eine von oben gegen 0 strebende Zahlenfolge ist:<br />

f(x) = ±h+1<br />

±h<br />

= 1+ 1<br />

±h = ±∞.<br />

Anders gesagt ist der rechtsseitige Grenzwert von f an der Stelle x = 0 gleich ∞ und der<br />

linksseitige Grenzwert gleich −∞. Da die beiden Grenzwerten verschieden sind, existiert der<br />

allgemeine Grenzwert<br />

lim<br />

x→0 f(x)<br />

nicht.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 3.3.1. Bestimmen Sie folgende Grenzwerte durch Einsetzen einer geeigneten Folge.<br />

x 2 −9<br />

a. lim<br />

x→−3 x+3<br />

2x 2 +x−1<br />

b. lim<br />

x→ 1 4x 2 −1<br />

2<br />

c. lim<br />

x→2<br />

−x 2 −3x+10<br />

2x 2 +x−10<br />

d. lim<br />

x→0<br />

(x+2) 2 −4<br />

x<br />

x 3 +8<br />

e. lim<br />

x→−2 x+2<br />

x 4 −a 4<br />

f. lim<br />

x→a x−a<br />

Aufgabe 3.3.2. Berechnen Sie die Grenzwerte von Aufgabe 3.3.1 durch Kürzen vor dem<br />

Grenzübergang.


42 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Lösungen<br />

Lösung 3.3.1.<br />

a. −6<br />

b.<br />

3<br />

4<br />

c. − 7 9<br />

d. 4<br />

e. 12<br />

f. 4a 3<br />

Beispiel 3.3.3. Wir betrachten die Funktion<br />

2<br />

f(x) =<br />

1+2 1 x<br />

in der Umgebung der Stelle x = 0. Um den rechtsseitigen Grenzwert zu bestimmen, setzen<br />

wir x = h, wobei h eine von oben gegen 0 strebende Folge ist:<br />

2<br />

limf(x) = lim<br />

x↓0 h↓0 1+2 1 h<br />

Für den linksseitigen Grenzwert setzen wir x = −h:<br />

2<br />

limf(x) = lim<br />

x↑0 h↓0<br />

1+2 1<br />

−h<br />

= 0.<br />

= lim<br />

h↓0<br />

2<br />

1+ 1<br />

2 1 h<br />

Damit lässt sich die Kurve y = f(x) einigermassen überblicken. Sie besitzt einen Sprung der<br />

Grösse 2 im Nullpunkt (vgl. Abbildung 3.3.iii).<br />

y<br />

2<br />

= 2.<br />

1<br />

0<br />

x<br />

Abbildung 3.3.iii: Der Graf y = 2<br />

1+2 1 x<br />

Im nächsten Beispiel werden wir den Grenzwert<br />

sin(x)<br />

lim<br />

x→0 x<br />

berechnen. Dafür brauchen wir den folgenden wichtigen Satz.<br />

Satz 3.3.2 (Sandwich-Theorem). Es seien (a n ) n∈N und (b n ) n∈N zwei Folgen mit dem gleichen<br />

Grenzwert<br />

lim a n = lim b n = l<br />

n→∞ n→∞


3.3. Grenzwerte von Funktionen 43<br />

gegeben. Falls für eine dritte Folge (c n ) n∈N gilt<br />

a n ≤ c n ≤ b n für alle n ∈ N,<br />

dann folgt<br />

lim c n = l.<br />

n→∞<br />

Beispiel 3.3.4. Jetzt wenden wir den Satz 3.3.2 an, um den Grenzwert<br />

sin(x)<br />

lim<br />

x→0 x<br />

zu berechnen. Es sei x ∈ ] 0, π 2[<br />

gegeben. Auf der Abbildung 3.3.iv sehen wir, dass der<br />

y<br />

D<br />

•<br />

C<br />

•<br />

1<br />

sin(x)<br />

tan(x)<br />

x<br />

• •<br />

0 cos(x) A B<br />

x<br />

Abbildung 3.3.iv: Der Einheitskreis<br />

Flächeninhalt des Kreissegments OBD gleichzeitig grösser als der des Dreiecks OAD und<br />

kleiner als der des Dreiecks OBC ist:<br />

sin(x)cos(x)<br />

2<br />

OAD ≤ OBD ≤ OBC<br />

≤ x<br />

2π π ≤ tan(x)<br />

2<br />

cos(x) ≤ x<br />

sin(x) ≤ 1<br />

cos(x)<br />

Somit gilt für jede beliebig von oben gegen 0 strebende Folge (h n ) n∈N die Ungleichung<br />

cos(h n ) ≤ h n<br />

sin(h n ) ≤ 1<br />

cos(h n )<br />

für alle n ∈ N.<br />

1<br />

Da die beiden Zahlenfolgen (cos(h n )) n∈N und (<br />

cos(h ) n) n∈N gegen 1 streben, folgt es aus dem<br />

Satz 3.3.2, dass<br />

lim<br />

n→∞<br />

h n<br />

sin(h n ) = 1.<br />

Das entsprechende Ergebnis für den linksseitigen Grenzwert erhalten wir nun sofort:<br />

lim<br />

n→∞<br />

Damit haben wir gezeigt, dass<br />

−h n<br />

sin(−h n ) = lim<br />

n→∞<br />

−h n<br />

−sin(h n ) = lim<br />

n→∞<br />

sin(x)<br />

lim = 1.<br />

x→0 x<br />

h n<br />

sin(h n ) = 1.


44 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 3.3.3. Bestimmen Sie folgende Grenzwerte.<br />

a. lim<br />

x→1<br />

1−x<br />

1− √ x<br />

x 4 +x 2 −6<br />

b. lim<br />

x→ √ 2 x 2 −2<br />

c. lim<br />

x→0<br />

√ 1+x−1<br />

x<br />

d. lim<br />

α→0<br />

tan(α)<br />

α<br />

sin 2 (x)<br />

e. lim<br />

x→0 x<br />

f. lim<br />

u→0<br />

( 1<br />

2<br />

) u<br />

g. lim<br />

ξ→0<br />

sin(ξ)cos(ξ)<br />

ξ<br />

h. lim<br />

x→0<br />

1−cos(x)<br />

sin(x)<br />

1−sin(x)<br />

i. lim<br />

x→<br />

π<br />

cos(x)<br />

2<br />

(<br />

j. lim sin(z)− cos(z) )<br />

z↓0 z<br />

1−tan(β)<br />

k. lim<br />

β→<br />

π<br />

1−cot(β)<br />

4<br />

l. lim<br />

x→0<br />

tan(2x)<br />

tan(x)<br />

m. lim<br />

x→0<br />

√<br />

x 2 +1− √ x+1<br />

1− √ x+1<br />

n. lim<br />

u→0<br />

e 1 u −1<br />

e 1 u +1<br />

o. lim e 1<br />

1−x 3<br />

x→1<br />

p. lim 2 1<br />

x−a<br />

x→a<br />

q. lim<br />

t→0<br />

2 1 t +3<br />

3 1 t +2<br />

Um die Lesbarkeit der Exponentialfunktion mit der Basis e zu erhöhen, schreiben wir etwa<br />

auch e x = exp(x) (vgl. Aufgaben 3.3.3.n. und o.).<br />

Lösungen<br />

Lösung 3.3.3.<br />

a. 2<br />

b. 5<br />

c.<br />

1<br />

2<br />

d. 1<br />

e. 0<br />

f. 1<br />

g. 1<br />

h. 0<br />

i. 0<br />

j. −∞<br />

k. −1<br />

l. 2<br />

m. 1<br />

n. rechtsseitiger Grenzwert ist 1, linksseitiger ist −1<br />

o. rechtsseitiger Grenzwert ist 0, linksseitiger ist ∞<br />

p. rechtsseitiger Grenzwert ist ∞, linksseitiger ist 0<br />

q. rechtsseitiger Grenzwert ist 0, linksseitiger ist 3 2


3.4. Stetigkeit einer Funktion 45<br />

3.4 Stetigkeit einer Funktion<br />

Definition 3.4.1. Eine Funktion f heisst stetig in einem Punkt x = a ihres Definitionsbereichs<br />

X f , wenn<br />

a. ihr Grenzwert an der Stelle x = a existiert und<br />

b. lim<br />

x→a<br />

f(x) = f(a).<br />

Ist eine Funktion in jedem Punkt ihres Definitionsbereichs stetig, so heisst sie stetig.<br />

Beispiel 3.4.1. Die folgenden häufig vorkommenden Funktionen sind alle stetig.<br />

• Polynomfunktionen: f(x) = a n x n +···+a 1 x+a 0 , wobei a n ,...,a 1 ,a 0 ∈ R.<br />

• Exponentialfunktionen: f(x) = a x , wobei a ∈ R.<br />

• Trigonometrische Funktionen: f(x) = sin(x), f(x) = cos(x) usw.<br />

• Gebrochenrationale Funktionen: f(x) = g(x)<br />

h(x)<br />

, wobei g und h Polynomfunktionen sind.<br />

• Aus obigen Funktionen durch Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division zusammengesetzte<br />

Funktionen sind auf ihrem jeweiligen Definitionsgebiet stetig.<br />

Insbesondere sind die Funktionen<br />

und<br />

f : R−{0} −→ R−{0}<br />

x ↦−→ 1 x<br />

g : R− { π<br />

2 +nπ∣ ∣ n ∈ N<br />

}<br />

−→ R<br />

x ↦−→ tan(x)<br />

beide stetig (vgl. Abbildungen 3.4.i und 3.4.ii).<br />

y<br />

y<br />

x<br />

− 3π 2<br />

− π 2<br />

π<br />

2<br />

3π<br />

2<br />

x<br />

Abbildung 3.4.i: Der Graf y = 1 x<br />

Abbildung 3.4.ii: Der Graf y = tan(x)


46 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Beispiel 3.4.2. Die Funktion<br />

f : R−{0} −→ R<br />

{<br />

0 wenn x < 0<br />

x ↦−→<br />

1 wenn x > 0<br />

ist stetig. Im Gegensatz ist die so genannte Heavyside Funktion<br />

H : R −→ R<br />

{<br />

0 wenn x ≤ 0<br />

x ↦−→<br />

1 wenn x > 0<br />

unstetig, da ihr Grenzwert an der Stelle x = 0 nicht definiert ist (vgl. Abbildungen 3.4.iii und<br />

3.4.iv).<br />

y<br />

y<br />

1<br />

•<br />

1<br />

•<br />

0<br />

•<br />

x<br />

0<br />

•<br />

x<br />

Abbildung 3.4.iii: Der Graf y = f(x)<br />

Abbildung 3.4.iv: Der Graf y = H(x)<br />

Beispiel 3.4.3. Die Vorzeichenfunktion (Signumfunktion)<br />

sgn : R −→ R<br />

⎧<br />

⎪⎨ −1 wenn x < 0<br />

x ↦−→ 0 wenn x = 0<br />

⎪⎩<br />

1 wenn x > 0<br />

ist unstetig, da ihr Grenzwert an der Stelle x = 0 nicht definiert ist (vgl. Abbildungen 3.4.v).<br />

y<br />

1<br />

•<br />

0<br />

•<br />

x<br />

•<br />

−1<br />

Abbildung 3.4.v: Der Graf y = sgn(x)


3.5. Singularitäten einer Funktion 47<br />

Beispiel 3.4.4. Die Abrundungsfunktion 3<br />

f : R −→ Z<br />

x ↦−→ ⌊x⌋,<br />

welche in der Informatik oft floor heisst, ist unstetig: Ihr Grenzwert ist bei den ganzen<br />

Zahlen nicht definiert (vgl. Abbildung 3.4.vi).<br />

y<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

x<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Abbildung 3.4.vi: Der Graf der Abrundungsfunktion f(x) = ⌊x⌋<br />

Beispiel 3.4.5. Die Dirichletfunktion<br />

χ Q : R −→ {0,1}<br />

{<br />

1 wenn x ∈ Q<br />

x ↦−→<br />

0 wenn x ∈ R−Q.<br />

ist in keinem Punkt ihres Definitionsbereichs stetig.<br />

3.5 Singularitäten einer Funktion<br />

In den Abbildungen 3.5.i bis 3.5.iii sind die drei typischen Fälle von Singularitäten dargestellt.<br />

Wir unterscheiden hebbare und nicht-hebbare Singularitäten. Hebbar heisst eine<br />

Singularität, wenn durch geeignete Definition des Funktionswertes die Funktion in dieser Stelle<br />

stetig fortgesetzt werden kann. Wir nennen eine solche Singularität eine Lücke. Andere<br />

Arten von Singularitäten sind Sprünge und Unendlichkeitsstellen oder Pole, wie solche<br />

bei gebrochenrationalen Funktionen genannt werden.<br />

Beispiel 3.5.1. Die Funktion<br />

f(x) = x2 −4<br />

x+2<br />

3 Die entsprechende Aufrundungsfunktion f(x) = ⌈x⌉, heisst ceil oder ceiling.


48 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

y<br />

y<br />

•<br />

y<br />

•<br />

•<br />

a<br />

x<br />

a<br />

x<br />

a<br />

x<br />

Abbildung 3.5.i: Lücke<br />

(hebbar)<br />

Abbildung 3.5.ii: Sprung<br />

(nicht-hebbar)<br />

Abbildung 3.5.iii: Pol<br />

(nicht-hebbar)<br />

hat eine Singularität an der Stelle x = −2. Wir möchten untersuchen, ob diese Singularität<br />

hebbar ist, das heisst, ob die Funktion f stetig fortgesetzt werden kann. Dafür müssen wir<br />

zuerst den rechts- und linksseitigen Grenzwert an der Stelle x = −2 berechnen:<br />

x 2 −4<br />

lim<br />

x↓−2 x+2 = lim (−2+h) 2 −4<br />

h↓0 (−2+h)+2 = lim 4−4h+h 2 −4<br />

= lim(−4+h) = −4.<br />

h↓0 h h↓0<br />

Analog erhalten wir<br />

x 2 −4<br />

lim<br />

x↑−2 x+2 = −4.<br />

Anders gesagt hat die Funktion f den allgemeinen Grenzwert von −4 an der Stelle x = −2.<br />

Dies erlaubt uns, eine stetige Fortsetzung ¯f von f zu definieren:<br />

{<br />

x 2 −4<br />

¯f(x) =<br />

x+2<br />

wenn x ≠ −2<br />

−4 wenn x = −2.<br />

Somit haben wir die Singularität von f an der Stelle x = −2 gehoben (vgl. Abbildungen3.5.iv<br />

und 3.5.v).<br />

y<br />

y<br />

−2<br />

x<br />

−2<br />

x<br />

•<br />

−4<br />

−4<br />

Abbildung 3.5.iv: Der Graf y = f(x)<br />

Abbildung 3.5.v: Der Graf y = ¯f(x)<br />

Aufgrund des Beispiels 3.5.1 lässt sich die bisherige Grenzwertberechnung besser verstehen.<br />

Die Funktion<br />

f(x) = x2 −4<br />

x+2


3.5. Singularitäten einer Funktion 49<br />

besitzt an der Stelle x = −2 eine Lücke. Zerlegen wir den Zähler, erhalten wir<br />

f(x) = x2 −4<br />

x+2 = (x+2)(x−2) = x−2 für alle x ∈ X f = R−{−2}.<br />

x+2<br />

Mit anderen Worten ist die Funktion f mit der Funktion ¯f(x) = x−2 identisch, wenn wir uns<br />

auf den Definitionsbereich X f von f beschränken. Der Unterschied zwischen den Funktionen<br />

f und ¯f liegt darin, dass ¯f auch an der Stelle x = −2 definiert ist und dort stetig ist. Um<br />

den Grenzwert von f bei der Stelle x = −2 zu berechnen, hätten wir einfach zur Funktion ¯f<br />

übergehen und den Wert ¯f(−2) ausrechnen können.<br />

In dieser Art ist vorgegangen worden bei der Bestimmung der Tangentensteigung. Wir ersetzen<br />

also eine Funktion mit Lücke durch eine solche ohne Lücke, die sonst mit der ursprünglichen<br />

Funktion übereinstimmt. Diese Vorgehensweise ist sehr wichtig für die ganze<br />

Differenzialrechnung.<br />

Beispiel 3.5.2. Wir betrachten die Funktion<br />

f(x) = sin(x)<br />

|sin(x)| ,<br />

die Singularitäten an den Stellen x = nπ für alle n ∈ N besitzt. Für beliebiges n ∈ N gilt<br />

lim<br />

x↓nπ<br />

sin(x)<br />

|sin(x)| = (−1)n und lim<br />

x↑nπ<br />

sin(x)<br />

|sin(x)| = (−1)n+1 ,<br />

das heisst, f hat einen Sprung an der Stelle x = nπ (vgl. Abbildung 3.5.iv). Es ist unmöglich,<br />

dieFunktion f andiesenStellen stetig fortzusetzen. IhreSingularitäten sindalsonicht hebbar.<br />

y<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

−2π −π 0 π 2π<br />

x<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Abbildung 3.5.vi: Der Graf y = sin(x)<br />

|sin(x)|<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 3.5.1. Untersuchen Sie, ob die Singularitäten der folgenden Funktionen hebbar<br />

sind.<br />

a. f(x) = x<br />

|x|<br />

b. f(x) = sin ( 1<br />

x<br />

)<br />

c. f(x) = xsin ( 1<br />

x<br />

)<br />

d. f(u) = u u + 1<br />

u+1<br />

e. f(z) = z−4 √ z−2<br />

f. f(x) = x2<br />

|x|<br />

g. f(x) = 2 |x|<br />

x<br />

h. φ(ξ) = ξ2 |ξ|<br />

ξ<br />

i. f(u) = u−⌊u⌋<br />

j. f(x) = 2 1<br />

x−1<br />

k. f(x) = 1−x<br />

1−|x|


50 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Aufgabe 3.5.2. Welche der Funktionen von Aufgabe 3.5.1 sind unstetig?<br />

Lösungen<br />

Lösung 3.5.1.<br />

a. x = 0 nicht hebbar<br />

b. x = 0 nicht hebbar<br />

c. x = 0 hebbar<br />

d. u = 0 hebbar, u = −1 nicht hebbar<br />

e. z = 4 hebbar<br />

g. x = 0 nicht hebbar<br />

h. ξ = 0 hebbar<br />

i. u ∈ Z nicht hebbar<br />

j. x = 1 nicht hebbar<br />

k. x = 1 hebbar, x = −1 nicht hebbar<br />

f. x = 0 hebbar<br />

Lösung 3.5.2. Nur die Funktion 3.5.1.i.<br />

3.6 Verhalten von Funktionen im Unendlichen<br />

Zum Kapitel Grenzwerte fehlt jetzt nur noch das Verhalten von Funktionen für grosse Werte<br />

von |x|.<br />

Definition 3.6.1. Es sei f eine Funktion, deren Definitionsbereich X f nach rechts unbeschränkt<br />

ist. Strebt für jede Folge (x n ) n∈N aus X f mit x n → ∞ die Folge der Funktionswerte<br />

f(x n ) stets gegen den gleichen Grenzwert l, so sagen wir, l sei der Grenzwert der Funktion<br />

f im Unendlichen. Wir schreiben<br />

lim f(x) = l.<br />

x→∞<br />

Jetzt führen wir einige wichtige Beispiele von Grenzwerte im Unendlichen an. Die Beweise<br />

werden später mit der Regel von de l’Hospital (vgl. Satz 5.3.1) geführt.<br />

Beispiel 3.6.1. Es sei n eine positive gerade Zahl. Die Funktion<br />

f(x) = 1<br />

x n<br />

hat den Grenzwert 0 im positiven und auch im negativen Unendlichen:<br />

lim<br />

x→∞<br />

1<br />

x n = lim<br />

x→−∞<br />

1<br />

x n = 0.<br />

Wir sagen, die Gerade y = 0 sei eine Asymptote der Kurve y = f(x) (vgl. Abbildung 3.6.i).<br />

Beispiel 3.6.2. Es seien eine reelle Zahl a > 1 und eine gerade Zahl n ≥ 0 gegeben. Dann<br />

gilt<br />

a x<br />

lim<br />

x→∞ x n = ∞.


3.6. Verhalten von Funktionen im Unendlichen 51<br />

y<br />

y<br />

y = 1 x 2<br />

x<br />

y = 1 2<br />

x<br />

y = 1 x<br />

Abbildung3.6.i: Der Graf y = 1<br />

x n für n = 1,2<br />

Abbildung 3.6.ii: Der Graf y = x2 +5x−3<br />

2x 2 +2x−4<br />

Beispiel 3.6.3. Wir betrachten die Funktion<br />

f(x) = x2 +5x−3<br />

2x 2 +2x−4 .<br />

Um den Grenzwert am Unendlichen auszurechnen, dividieren wir Zähler und Nenner durch<br />

x 2 :<br />

x 2 +5x−3<br />

lim<br />

x→∞ 2x 2 +2x−4 = lim 1+ 5 x − 3 x 2<br />

x→∞ 2+ 2 x − 4 = 1 2 .<br />

x 2<br />

Die Gerade y = 1 2<br />

ist eine Asymptote der Kurve y = f(x) (vgl. Abbildung 3.6.ii).<br />

Das letzte Ziel dieses Kapitels ist es, das Verhalten im Unendlichen von Funktionen wie der<br />

des Beispiels 3.6.3 zu verstehen. Zuerst definieren wir die Klasse von Funktionen, die uns<br />

interessiert.<br />

Definition 3.6.2. Eine Funktion der Form<br />

f(x) = a nx n +a n−1 x n−1 +···+a 1 x+a 0<br />

b m x m +b m−1 x m−1 +···+b 1 x+b 0<br />

,<br />

wobei a n ,a n−1 ,...,a 1 ,a 0 und b m ,b m−1 ,...,b 1 ,b 0 konstante reelle Zahlen sind, heisst eine<br />

gebrochenrationale Funktion.<br />

Wir möchten den Grenzwert<br />

lim f(x)<br />

x→±∞<br />

einer solchen Funktion berechnen. Wir unterscheiden drei Fälle, je nachdem wie n und m<br />

zueinander stehen:<br />

• n < m<br />

Hier sprechen wir von einer echt gebrochenrationalen Funktion. Dividieren wir<br />

Zähler und Nenner durch x n , erhalten wir den Ausdruck<br />

a n +a n−1 x −1 +···+a 1 x 1−n +a 0 x −n<br />

lim f(x) = lim<br />

x→±∞ x→±∞ b m x m−n +b m−1 x m−n−1 +···+b 1 x 1−n +b 0 x −n.


52 Kapitel 3. Grenzwerte<br />

Im Zähler stehen ausser dem Summanden a n nur Nullfolgen. Im Nenner stehen einige<br />

Summanden mit positiven Potenzen von x, dann an einer bestimmten Stelle eine<br />

Konstante und schliesslich nur noch Nullfolgen. Somit folgt<br />

lim f(x) = 0.<br />

x→±∞<br />

• n = m<br />

Wir können in diesem Fall den Grenzwert wie folgt umschreiben:<br />

a n +a n−1 x −1 +···+a 1 x 1−n +a 0 x −n<br />

lim f(x) = lim<br />

x→±∞ x→±∞ b n +b n−1 x −1 +···+b 1 x 1−n +b 0 x −n .<br />

Hier stehen im Zähler und Nenner jeweils eine Konstante plus Nullfolgen. Wir erhalten<br />

lim f(x) = a n<br />

.<br />

x→±∞ b n<br />

• n > m<br />

Hier sprechen wir von einer unecht gebrochenrationalen Funktion. In diesem Fall<br />

haben wir eine reziproke Anordnung zum Fall n < m:<br />

a n x n−m +a n−1 x n−m−1 +···+a 1 x 1−m +a 0 x −m<br />

lim f(x) = lim<br />

x→±∞ x→±∞ b m +b m−1 x −1 +···+b 1 x 1−m +b 0 x −m .<br />

Dieser Grenzwert ist entweder ∞ oder −∞, je nach Vorzeichen des Quotienten an<br />

b m<br />

.<br />

Damit haben wir die wichtigsten Werkzeuge, um nun die Differenzialrechnung zu entwickeln.


Kapitel 4<br />

Differenzialrechnung<br />

4.1 Tangentenproblem, Ableitung<br />

Wir betrachten im Folgenden nur Funktionen, die in den verwendeten Intervallen stetig sind.<br />

Es seien also eine stetige Funktion f und zwei verschiedene Punkte P(x,y) und P 0 (x 0 ,y 0 )<br />

auf ihrem Grafen gegeben, das heisst, y = f(x) und y 0 = f(x 0 ). Nach den Überlegungen<br />

des Kapitels 2.10 wissen wir, dass sich die Steigung der Sekante durch P und P 0 wie folgt<br />

ausdrucken lässt<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) ,<br />

∆x<br />

wobei ∆x = x 0 − x und ∆y = y 0 − y (vgl. Abbildung 4.1.i). Lassen wir P 0 auf der Kurve<br />

y<br />

f(x 0 )<br />

P 0<br />

•<br />

f(x)<br />

P<br />

•<br />

∆x<br />

∆y<br />

x x 0<br />

x<br />

Abbildung 4.1.i: Die Sekantensteigung ∆y<br />

∆x<br />

gegen P streben, das heisst ∆x → 0, so erhalten wir als Grenzfall die Steigung der Tangente<br />

im Punkt P.<br />

Definition 4.1.1. Die Ableitung der Funktion f an der Stelle x, geschrieben f ′ (x), ist der<br />

Grenzwert<br />

f ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim f(x+∆x)−f(x)<br />

,<br />

∆x→0 ∆x<br />

der die Steigung der Tangente zur Kurve y = f(x) im Punkt P(x,f(x)) ergibt 1 . Die Funktion<br />

1 Die Ableitung wird in der Literatur häufig auch mit y ′ bezeichnet.<br />

53


54 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

f heisst differenzierbar an der Stelle x, wenn dieser Grenzwert existiert. Das Bilden der<br />

Ableitung wird Differenzieren genannt.<br />

Im Allgemeinen können wir nicht einfach ∆x = 0 in die Formel der Sekantensteigung einsetzen,<br />

da der unbestimmte Ausdruck 0 0<br />

entstehen würde. Es spielen hier die Überlegungen,<br />

die wir im Kapitel 3.5 bezüglich Singularitäten von Funktionen gemacht haben, eine entscheidende<br />

Rolle. Betrachten wir nämlich den Differenzenquotienten ∆y<br />

∆x<br />

für festes x, so kann er<br />

als Funktion von ∆x aufgefasst werden. Er besitzt dann immer an der Stelle ∆x = 0 eine<br />

Lücke, was sich im Auftreten des unbestimmten Ausdrucks 0 0<br />

zeigt. Die Grenzwertberechnung<br />

geschieht dann allgemein so, dass wir durch Umformen und Kürzen mit ∆x zu einer Funktion<br />

von ∆x übergehen, die an der Stelle ∆x = 0 keine Lücke besitzt und dort sogar stetig<br />

ist, und deren Funktionswert deshalb mit dem allgemeinen Grenzwert übereinstimmt. Da die<br />

entstehende Funktion sonst mit dem ursprünglichen Differenzenquotienten identisch ist, ist<br />

der gesuchte Grenzwert gleich diesem Funktionswert.<br />

Beispiel 4.1.1. Wir möchten die Ableitung der Funktion f(x) = x 2 bilden. Der Differenzenquotient<br />

lautet<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) = (x+∆x)2 −x 2<br />

∆x ∆x<br />

= 2x∆x+(∆x)2<br />

∆x<br />

Gehen wir zum Grenzwert über, so erhalten wir die Ableitung<br />

= 2x+∆x.<br />

f ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim 2x+∆x = 2x.<br />

∆x→0<br />

Mit diesem Ausdruck lässt sich nun die Tangentensteigung für jeden Punkt der Kurve y =<br />

f(x) ermitteln. Zum Beispiel ist sie im Punkt P(1,1) gleich 2, im Punkt P(2,4) gleich 4,<br />

im Punkt P(3,9) gleich 6 usw. (vgl. Abbildung 4.1.ii). Somit können wir für jedes x die<br />

y<br />

•(3,9)<br />

(2,4)<br />

•<br />

(1,1)<br />

•<br />

x<br />

Abbildung 4.1.ii: Einige Tangenten an die Kurve y = x 2<br />

Tangentensteigung angeben. Anders gesagt ist f ′ eine Funktion von x. Wir nennen diese<br />

Funktion die erste Ableitung der Funktion f.<br />

Wir bleiben noch eine Weile bei der Funktion f(x) = x 2 , um die Tangenten an ihre Kurve<br />

genauer zu betrachten. Insbesondere möchten wir herausfinden, wo die Tangente im Punkt


4.1. Tangentenproblem, Ableitung 55<br />

P(x 0 ,y 0 ) die y-Achse schneidet. Aus Kapitel 2.3 wissen wir, dass die Gleichung der Tangente<br />

y = f(x 0 )+m(x−x 0 ) lautet, wobei m die Tangentensteigung ist. Nach derobigen Berechnung<br />

ist m nichts anders als die Ableitung f ′ (x 0 ) = 2x 0 . Somit lässt sich die Tangentengleichung<br />

wie folgt schreiben:<br />

y = x 2 0 +2x 0 (x−x 0 ) = 2x 0 x−x 2 0.<br />

Der y-Achsenabschnitt finden wir jetzt, indem wir x = 0 in diese Gleichung setzen. Wir<br />

erhalten die Antwort y = −x 2 0 .<br />

Auch im allgemeinen Fall einer an der Stelle x = x 0 differenzierbaren Funktion f können wir<br />

die Tangentengleichung festlegen: Die Tangente an die Kurve y = f(x) in Punkt P(x 0 ,f(x 0 ))<br />

ist die Gerade, die durch die Gleichung<br />

beschrieben wird.<br />

y = f(x 0 )+f ′ (x 0 )(x−x 0 )<br />

Beispiel 4.1.2. Die Funktion f(x) = x 2 des Beispieles 4.1.1 ist an jedem Punkt ihres Definitionsbereiches<br />

differenzierbar, da für jedes x ∈ R der Grenzwert<br />

f(x+∆x)−f(x)<br />

lim = 2x<br />

∆x→0 ∆x<br />

existiert.<br />

Jetzt untersuchen wir eine Funktion, die an einem gewissen Punkt ihres Definitionsbereiches<br />

nicht differenzierbar ist. Es handelt sich um die Betragsfunktion<br />

Der Differenzenquotient lautet<br />

⎧<br />

⎪⎨ x wenn x > 0<br />

g(x) = |x| = 0 wenn x = 0<br />

⎪⎩<br />

−x wenn x < 0.<br />

∆y<br />

∆x = g(x+∆x)−g(x)<br />

∆x<br />

= |x+∆x|−|x| .<br />

∆x<br />

Um den Grenzübergang ∆x → 0 zu behandeln, müssen wir drei Fälle unterscheiden.<br />

• Wir beginnen mit dem Fall x > 0. Lassen wir ∆x gegen 0 streben, strebt x+∆x gegen<br />

x. Insbesondere ist für sehr kleine Werte von ∆x die Zahl x + ∆x positiv und somit<br />

|x+∆x| = x+∆x. Daraus folgt<br />

g ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim |x+∆x|−|x| (x+∆x)−x<br />

= lim = lim<br />

∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x<br />

1 = 1.<br />

∆x→0<br />

• Wenn x < 0 läuft die Berechnung des Grenzwertes ähnlich: Für sehr kleine Werte von<br />

∆x ist die Zahl x+∆x negativ und somit |x+∆x| = −(x+∆x). Wir erhalten<br />

g ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim |x+∆x|−|x| −(x+∆x)−(−x)<br />

= lim = lim −1 = −1.<br />

∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x ∆x→0


56 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

• Für den Fall x = 0 müssten wir den Grenzwert<br />

g ′ |∆x|<br />

(0) = lim<br />

(4.1.a)<br />

∆x→0 ∆x<br />

berechnen, aber dies ergibt ein Problem: Der rechtsseitige Grenzwert stimmt nicht mit<br />

dem linksseitigen überein:<br />

|∆x|<br />

lim<br />

∆x↓0 ∆x = 1 und<br />

Anders gesagt existiert der Grenzwert (4.1.a) nicht.<br />

Wir haben herausgefunden, dass<br />

g ′ (x) =<br />

{<br />

1 wenn x > 0<br />

−1 wenn x < 0,<br />

lim |∆x|<br />

∆x↑0 ∆x = −1.<br />

aber an der Stelle x = 0 ist die Funktion g nicht differenzierbar.<br />

Die Funktion des obigen Beispieles ist an der Stelle x = 0 stetig, jedoch dort nicht differenzierbar.<br />

Auf der anderen Seite können wir beweisen, dass eine Funktion, die an einer gewissen<br />

Stelle differenzierbar ist, dort auch stetig sein muss.<br />

Satz 4.1.1. Es sei f eine Funktion, die an der Stelle x = a ihres Definitionsbereiches differenzierbar<br />

ist. Dann ist f an der Stelle x = a auch stetig.<br />

Beweis. Wir müssen zeigen, dass der Grenzwert<br />

lim f(x)<br />

x→a<br />

existiert undgleich f(a) ist (vgl. Definition 3.4.1). Wir setzen x = a+h, wobei h eine beliebige<br />

gegen null strebende Folge ist. Dann gilt<br />

f(a+h)−f(a)<br />

lim f(x) = lim f(a+h) = lim ·h+f(a)<br />

x→a h→0 h→0 h<br />

f(a+h)−f(a)<br />

= lim · lim h+ lim f(a) = f ′ (a)·0+f(a) = f(a).<br />

h→0 h h→0 h→0<br />

Als nächstes möchten wir die erste Ableitung der allgemeinen Potenzfunktion ermitteln. Dazu<br />

brauchen wir einige Hilfsmittel aus der Algebra.<br />

4.2 Fakultäten, Binomialkoeffizienten, Binomischer Satz<br />

Beim Ausmultiplizieren von Binomen treten Summanden mit bestimmten Exponenten und<br />

Faktoren auf. Die Faktoren heissen Binomialkoeffizienten und können bekanntlich im Pascalschen<br />

Dreieck dargestellt werden.<br />

(a+b) 0 = 1 1<br />

(a+b) 1 = a+b 1 1<br />

(a+b) 2 = a 2 +2ab+b 2 1 2 1<br />

(a+b) 3 = a 3 +3a 2 b+3ab 2 +b 3 1 3 3 1<br />

(a+b) 4 = a 4 +4a 3 b+6a 2 b 2 +4ab 3 +b 4 1 4 6 4 1<br />

.<br />

.<br />

.


4.2. Fakultäten, Binomialkoeffizienten, Binomischer Satz 57<br />

Das Ziel dieses Kapitels ist es, eine allgemeine Formel für die Binomialkoeffizienten zu entwickeln:<br />

Für jedes n ∈ N 0 möchten wir wissen, welche Faktoren beim Ausmultiplizieren des<br />

Ausdrucks (a+b) n auftreten, ohne die Multiplikation jedes Mal durchführen zu müssen. Das<br />

Abbildung 4.2.i: Blaise Pascal, 1623-1662<br />

Ergebnis wird im Satz 4.2.1 dargestellt. Zuerst müssen wir zwei wichtige Symbole einführen.<br />

Definition 4.2.1. Für jedes n ∈ N ist n!, gelesen ”<br />

n Fakultät“, das Produkt der ersten n<br />

natürlichen Zahlen:<br />

Ergänzend setzen wir 0! = 1.<br />

n! = 1·2·3···n.<br />

Beispiel 4.2.1. Wir berechnen einige Fakultäten:<br />

3! = 1·2·3 = 6<br />

6! = 1·2·3·4·5·6 = 720<br />

Definition 4.2.2. Für alle nicht-negativen ganzen Zahlen n und k mit n ≥ k sei<br />

( n<br />

=<br />

k)<br />

n!<br />

k!(n−k)!<br />

n(n−1)···(n−k +1)<br />

= .<br />

k!<br />

Für den so genannten Binomialkoeffizienten oder auch das so genannte Eulersymbol ( n)<br />

k<br />

sagen wir n tief k“. Dieses werden wir vermehrt in der Stochastik antreffen. Die Zahl ( )<br />

n<br />

” k<br />

stellt nämlich die Anzahl Möglichkeiten dar aus einer Gruppe mit n Personen, Gruppen mit<br />

k Personen zu bilden.<br />

Beispiel 4.2.2. Wir berechnen einige Eulersymbole:<br />

( 5<br />

2)<br />

( 6<br />

4)<br />

= 5!<br />

2!3! = 1·2·3·4·5<br />

1·2·1·2·3 = 20 2 = 10<br />

= 6!<br />

4!2! = 1·2·3·4·5·6<br />

1·2·3·4·1·2 = 30 2 = 15


58 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.2.1. Beweisen Sie, dass für alle n ∈ N 0 und k ∈ N 0 mit n ≥ k die folgende<br />

Aussage gilt:<br />

( ) ( n n<br />

=<br />

n−k k)<br />

Aufgabe 4.2.2. Beweisen Sie, dass für alle n ∈ N 0 und k ∈ N 0 mit n ≥ k +1 die folgende<br />

Aussage gilt:<br />

( ( ) ( )<br />

n n n+1<br />

+ =<br />

k)<br />

k+1 k+1<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.2.1. Folgt sofort aus Definition 4.2.2.<br />

Lösung 4.2.2.<br />

( ( ) n n<br />

+ =<br />

k)<br />

k+1<br />

=<br />

n!<br />

k!(n−k)! + n!<br />

(k +1)!(n−k−1)!<br />

n!<br />

k!(n−k)(n−k−1)! + n!<br />

(k +1)k!(n−k −1)!<br />

(k +1)n!<br />

=<br />

(k+1)k!(n−k)(n−k −1)! + (n−k)n!<br />

(k+1)k!(n−k)(n−k −1)!<br />

(k+1)n!+(n−k)n!<br />

=<br />

(k+1)k!(n−k)(n−k −1)!<br />

= (k+1+n−k)n!<br />

(k +1)!(n−k)!<br />

(n+1)!<br />

=<br />

(k+1)!((n+1)−(k +1))!<br />

( ) n+1<br />

=<br />

k+1<br />

Jetzt sind wir in der Lage, das zentrale Ergebnis dieses Kapitels zu beweisen.<br />

Satz 4.2.1 (Binomischer Satz). Für alle a ∈ R, b ∈ R und n ∈ N 0 gilt die Formel<br />

(a+b) n =<br />

( ( ( ) ( n n n n<br />

a<br />

0)<br />

n + a<br />

1)<br />

n−1 b+···+ ab n−1 + b<br />

n−1 n)<br />

n .<br />

Beweis. Der Beweis erfolgt durch vollständige Induktion.<br />

• Verankerung. Wenn n = 0, lautet die zu beweisende Aussage (a + b) 0 = ( 0<br />

0)<br />

, was<br />

offensichtlich der Fall ist. Der Satz ist also für n = 0 gültig.<br />

• Induktionshypothese. Wir nehmen an, der Satz sei für ein gewisses n ∈ N 0 gültig.


4.2. Fakultäten, Binomialkoeffizienten, Binomischer Satz 59<br />

• Vererbung. Jetzt ist zu zeigen, dass der Satz auch für n+1 gültig ist. Anders gesagt<br />

müssen wir die folgende Aussage beweisen:<br />

( ) ( ) ( ) ( )<br />

n+1 n+1 n+1 n+1<br />

(a+b) n+1 = a n+1 + a n b+···+ ab n + b n+1 .<br />

0 1 n n+1<br />

Wir formen die linke Seite dieser Aussage so um, dass wir schlussendlich die rechte Seite<br />

erhalten:<br />

(a+b) n+1<br />

=(a+b)(a+b) n<br />

[( ( ( ) ( ]<br />

∗ n n n n<br />

=(a+b) a<br />

0)<br />

n + a<br />

1)<br />

n−1 b+···+ ab n−1 +<br />

n−1 n)b n<br />

[( ( ( ) ( ]<br />

n n n n<br />

= a<br />

0)<br />

n+1 + a<br />

1)<br />

n b+···+ a 2 b n−1 +<br />

n−1 n)ab n +<br />

[( ( ( ) ( ]<br />

n n n n<br />

a<br />

0)<br />

n b+ a<br />

1)<br />

n−1 b 2 +···+ ab n +<br />

n−1 n)b n+1<br />

( ) [( ( [( ( )] ( )<br />

n+1 n n n n n+1<br />

= a n+1 + + a<br />

0 1)<br />

0)]<br />

n b+···+ + ab<br />

n)<br />

n + b n+1<br />

n−1 n+1<br />

( ) ( ) ( ) ( )<br />

n+1 n+1 n+1 n+1<br />

= a n+1 + a n b+···+ ab n + b n+1 ,<br />

0 1 n n+1<br />

wobei die Gleichheit ∗ = aus der Induktionshypothese folgt.<br />

Der binomische Satz erlaubt uns, beliebige Terme des Pascalschen Dreiecks zu bestimmen:<br />

Die Zahl in der n-ten Zeile und der k-ten schrägen Reihe von links unten nach rechts oben,<br />

wobei wir die Nummerierung von Zeilen und Reihen jeweils mit 0 beginnen, ist nichts anders<br />

als ( n<br />

k)<br />

. In anderen Worten lässt sich das Pascalsche Dreieck wie folgt darstellen:<br />

( 0<br />

( 0)<br />

1<br />

) ( 1<br />

( 0 1)<br />

2<br />

) ( 2<br />

) ( 2<br />

( 0 1 2)<br />

3<br />

) ( 3<br />

) ( 3<br />

) ( 3<br />

( 0 1 2 3)<br />

4<br />

) ( 4<br />

) ( 4<br />

) ( 4<br />

) ( 4<br />

0 1 2 3 4)<br />

Beispiel 4.2.3. Wir möchten den Koeffizienten des Terms x 5 in der Entwicklung von<br />

.<br />

( x<br />

8 +2 ) 20<br />

bestimmen. Laut dem binomischen Satz bekommen wir nach dem Ausmultiplizieren der 20<br />

Faktoren dieses Ausdrucks Summanden der Form<br />

( ) 20 (x ) 20−k2 k ,<br />

k 8


60 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

wobei k ∈ {0,1,...,20}. Der Summand, der uns interessiert, ist derjenige, in dem x mit der<br />

Potenz 5 auftritt. Es muss also 20−k = 5 gelten, das heisst, k = 15. Setzen wir in der obigen<br />

Formel k = 15 ein, erhalten wir<br />

( 20 (x ) 20−152<br />

15) 15 = 20! x 5<br />

8 15!5! 8 5 215 = 16·17·18·19·20<br />

1·2·3·4·5<br />

Der gewünschte Koeffizient ist also 15504.<br />

x 5<br />

2 15 215 = 15504x 5 .<br />

Beispiel 4.2.4. Mit Hilfe des binomischen Satzes können wir den Ausdruck (x−1) 7 wie folgt<br />

entwickeln:<br />

( ( ( ( 7 7 7 7<br />

(x−1) 7 = x<br />

0)<br />

7 + x<br />

1)<br />

6 (−1)+···+ x(−1)<br />

6)<br />

6 + (−1)<br />

7)<br />

7<br />

Aufgaben<br />

= x 7 −7x 6 +21x 5 −35x 4 +35x 3 −21x 2 +7x−1.<br />

Aufgabe 4.2.3. Geben Sie eine Deutung der Aufgabe 4.2.1 im Pascalschen Dreieck.<br />

Aufgabe 4.2.4. Geben Sie eine Deutung der Aufgabe 4.2.2 im Pascalschen Dreieck.<br />

Aufgabe 4.2.5. Entwickeln Sie mit Hilfe des Pascalschen Dreiecks die folgende Ausdrücke.<br />

( u<br />

a.<br />

2 + v 4<br />

b. (2a−3b)<br />

3) 5<br />

Aufgabe 4.2.6. Wandeln Sie folgende Summen in Potenzen um.<br />

a. x 6 +3x 4 +3x 2 +1<br />

c. u 3 −6u 2 v +12uv 2 −8v 3<br />

b. a 4 +8a 3 +24a 2 +32a+16<br />

d. b 9 +9b 6 +27b 3 +27<br />

Aufgabe 4.2.7. Berechnen Sie (a+1) 6 +(a−1) 6 .<br />

Aufgabe 4.2.8. Berechnen Sie durch mehrmalige Anwendung des binomischen Satzes die<br />

Potenz (a+b+c) 3 .<br />

Aufgabe 4.2.9. Berechnen Sie die Binomialkoeffizienten ( 15) (<br />

3 , 14<br />

) (<br />

9 und 19<br />

17)<br />

.<br />

Aufgabe 4.2.10. Berechnen Sie folgende Binomialkoeffizienten, wobei m, n und k beliebige<br />

natürliche Zahlen sind.<br />

( )<br />

( )<br />

n+2<br />

n+k<br />

a.<br />

c.<br />

2<br />

k+1<br />

( )<br />

( )<br />

n+k<br />

m+7<br />

b.<br />

d.<br />

k<br />

m+7<br />

Aufgabe 4.2.11. Berechnen Sie den Binomialkoeffizient, der im Pascalschen Dreieck<br />

a. rechts neben ( n<br />

k)<br />

steht.<br />

c. schräg links unter ( n<br />

k)<br />

steht.<br />

b. schräg links über ( n) k steht.


4.2. Fakultäten, Binomialkoeffizienten, Binomischer Satz 61<br />

Aufgabe 4.2.12. Berechnen Sie ( n<br />

k+1)<br />

−<br />

( n<br />

k)<br />

.<br />

Aufgabe 4.2.13. Berechnen Sie den Koeffizienten des Terms a 6 in der Entwicklung der<br />

folgenden Ausdrücke.<br />

a. (1+a) 15 b.<br />

) 20 (1− a2<br />

3<br />

Aufgabe 4.2.14. Setzen Sie a = b = 1 in den Formeln für (a+b) n und (a−b) n ein. Welche<br />

Beziehungen ergeben sich daraus für die Binomialkoeffizienten der n-ten Zeile des Pascalschen<br />

Dreiecks?<br />

Aufgabe 4.2.15. Beweisen Sie durch vollständige Induktion, dass<br />

1+2+3+···+n = n(n+1)<br />

2<br />

für alle n ∈ N.<br />

Aufgabe 4.2.16. Beweisen Sie durch vollständige Induktion, dass<br />

( ( ( ( ( )<br />

2 3 4 n n+1<br />

+ + +···+ = für alle n ∈ {2,3,...}.<br />

2)<br />

2)<br />

2)<br />

2)<br />

3<br />

Aufgabe 4.2.17. Beweisen Sie durch vollständige Induktion, dass<br />

( ( ) ( ) ( ( )<br />

p p+1 p+2 n n+1<br />

+ + +···+ = für alle n ∈ N und p ∈ N mit p ≤ n.<br />

p)<br />

p p p)<br />

p+1<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.2.3. Das Pascalsche Dreieck ist symmetrisch bezüglich der vertikalen Achse.<br />

Lösung 4.2.4. Die Summe zwei nebeneinander stehender Terme des Pascalschen Dreiecks<br />

ist der Term, der in der Mitte unter ihnen steht.<br />

Lösung 4.2.5. a.<br />

u 4<br />

16 + u3 v<br />

6 + u2 v 2<br />

+ 2uv3<br />

6 27 + v4<br />

81<br />

b. 32a 5 −240a 4 b+720a 3 b 2 −1080a 2 b 3 +810ab 4 −243b 5<br />

Lösung 4.2.6.<br />

a. (x 2 +1) 3<br />

c. (u−2v) 3<br />

b. (a+2) 4 d. (b 3 +3) 3<br />

Lösung 4.2.7. 2a 6 +30a 4 +30a 2 +2<br />

Lösung 4.2.8. a 3 +b 3 +c 3 +3a 2 b+3ab 2 +3a 2 c+3ac 2 +3b 2 c+3bc 2 +6abc<br />

Lösung 4.2.9. 455, 2002 und 171.


62 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Lösung 4.2.10.<br />

a.<br />

b.<br />

(n+2)(n+1)<br />

2<br />

(n+k)(n+k−1)···(n+1)<br />

k!<br />

c.<br />

d. 1<br />

(n+k)(n+k−1)···(n+1)n<br />

(k +1)!<br />

Lösung 4.2.11.<br />

a. ( n<br />

)<br />

k+1<br />

b. ( n−1)<br />

k−1<br />

Lösung 4.2.12. n−2k−1<br />

k+1<br />

( n<br />

k)<br />

c. ( )<br />

n+1<br />

k<br />

Lösung 4.2.13.<br />

a. 5005 b. −42 2 9<br />

Lösung 4.2.14. Die Summe der Terme in der n-ten Zeile des Pascalschen Dreiecks ist 2 n .<br />

Die alternierende Summe der Terme in der n-ten Zeile des Pascalschen Dreiecks ist 0.<br />

Lösung 4.2.15. • Verankerung. Wenn n = 1, lautet die zu beweisende Aussage 1 =<br />

1(1+1)<br />

2<br />

, was offensichtlich der Fall ist.<br />

• Induktionshypothese. Wir nehmen an, die Aussage sei für ein gewisses n ∈ N gültig.<br />

• Vererbung. Wir müssen zeigen, dass die Aussage auch für n+1 gilt, d.h.<br />

1+2+3+···+n+(n+1) = (n+1)(n+2) .<br />

2<br />

Nach der Induktionshypothese ist die linke Seite<br />

n(n+1)<br />

2<br />

+(n+1) = n(n+1)+2(n+1)<br />

2<br />

Damit ist der Beweis für n+1 abgeschlossen.<br />

= (n+1)(n+2) .<br />

2<br />

Lösung 4.2.16. • Verankerung. Wenn n = 2, lautet die zu beweisende Aussage ( 2<br />

2)<br />

=<br />

)<br />

. Da beide Seiten gleich 1 sind, gilt die Aussage für n = 2.<br />

( 3<br />

3<br />

• Induktionshypothese. Wir nehmen an, die Aussage sei für ein gewisses n ∈ {2,3,...}<br />

gültig.<br />

• Vererbung. Um zu zeigen, dass die Aussage auch für n+1 gültig ist, wenden wir die<br />

Induktionshypothese an:<br />

( ( ( ( ( ) ( ) ( ) ( )<br />

2 3 4 n n+1 n+1 n+1 n+2<br />

+ + +···+ + = + = .<br />

2)<br />

2)<br />

2)<br />

2)<br />

2 3 2 3<br />

Lösung 4.2.17. Es sei p ∈ N gegeben.


4.3. Ableitung der Potenzfunktion 63<br />

• Verankerung. Wenn n = p lautet die zu beweisende Aussage ( ) (<br />

n<br />

n = n+1)<br />

. Da beide<br />

Seiten gleich 1 sind, gilt die Aussage für n = p.<br />

• Induktionshypothese. Wir nehmen an, die Aussage sei für ein gewisses n ∈ N mit<br />

n ≥ p gültig.<br />

• Vererbung. Um zu zeigen, dass die Aussage auch für n+1 gültig ist, wenden wir die<br />

Induktionshypothese an:<br />

( ( ) ( ) ( ( ) ( ) ( ) ( )<br />

p p+1 p+2 n n+1 n+1 n+1 n+2<br />

+ + +···+ + = + = .<br />

p)<br />

p p p)<br />

p p+1 p p+1<br />

4.3 Ableitung der Potenzfunktion<br />

Jetzt sehen wir, wie sich mit Hilfe des binomischen Satzes die Ableitung der allgemeinen<br />

Potenzfunktion bestimmen lässt.<br />

Es sei die Funktion f(x) = x n gegeben, wobei n ∈ N. Der entsprechende Differenzenquotient<br />

lautet<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) = (x+∆x)n −x n<br />

.<br />

∆x ∆x<br />

Nach dem binomischen Satzes gilt<br />

( n<br />

(x+∆x) n = x<br />

0)<br />

n +<br />

( n<br />

1)<br />

x n−1 (∆x)+<br />

( ( n n<br />

x<br />

2)<br />

n−2 (∆x) 2 +···+ (∆x)<br />

n)<br />

n<br />

und somit erhalten wir<br />

∆y<br />

∆x = 1 (( ) ( ( )<br />

n n n<br />

x n−1 (∆x)+ x<br />

∆x 1 2)<br />

n−2 (∆x) 2 +···+<br />

n)(∆x) n<br />

( ( ( n n n<br />

= x<br />

1)<br />

n−1 + x<br />

2)<br />

n−2 (∆x)+···+ (∆x)<br />

n)<br />

n−1 .<br />

Demzufolge ist die gewünschte Ableitung<br />

)<br />

x n−1 +<br />

f ′ ∆y n<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x ∆x→0( = lim 1<br />

Diese Formel verdient es, gerahmt zu werden:<br />

( ( n n<br />

x<br />

2)<br />

n−2 (∆x)+···+ (∆x)<br />

n)<br />

n−1 = nx n−1 .<br />

(x n ) ′ = nx n−1 (4.3.a)<br />

Beispiel 4.3.1. Die Steigung der Tangente an die Kurve y = f(x) = x 3 im Punkte P(x,x 3 )<br />

ist f ′ (x) = 3x 2 . Insbesondere ist sie im Punkte P(−1,−1) gleich f ′ (−1) = 3(−1) 2 = 3.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.3.1. Was ist die Ableitung der Funktion f(x) = x?<br />

Aufgabe 4.3.2. In welchen Punkten hat die Kurve y = x 3 die Steigung 1?<br />

Aufgabe 4.3.3. Bestimmen Sie die Gleichung der Tangente an die Kurve y = x n im Punkt<br />

P(x 0 ,x n 0 ), wobei n eine natürliche Zahl ist. Wo schneidet die Tangente die y-Achse? (vgl.<br />

Beispiel 4.1.1).


64 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.3.1. f ′ (x) = 1<br />

Lösung 4.3.2. Die Punkte mit x = 1 √<br />

3<br />

und x = − 1 √<br />

3<br />

Lösung 4.3.3. Die Tangentengleichung ist y = x n 0 +nxn−1 0 (x−x 0 ). Der y-Achsenabschnitt<br />

ist bei y = −(n−1)x n 0 .<br />

4.4 Grundregeln der Differenzialrechnung<br />

Ableitung einer konstanten Funktion<br />

Wir betrachten die Funktion f(x) = c, wobei c eine beliebige konstante reelle Zahl ist. Es gilt<br />

und somit erhalten wir die Ableitung<br />

das heisst:<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) = c−c<br />

∆x ∆x = 0<br />

f ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim 0 = 0,<br />

∆x→0<br />

(c) ′ = 0<br />

(4.4.a)<br />

Ableitung einer Funktion mit konstantem Faktor<br />

Wir betrachten die Funktion g(x) = af(x), wobei a eine konstante reelle Zahl und f eine<br />

differenzierbare Funktion ist. Es gilt<br />

∆y<br />

∆x = g(x+∆x)−g(x) = af(x+∆x)−af(x) = a· f(x+∆x)−f(x)<br />

∆x ∆x ∆x<br />

und somit erhalten wir die Ableitung<br />

das heisst:<br />

g ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim f(x+∆x)−f(x)<br />

a· = af ′ (x),<br />

∆x→0 ∆x<br />

(af(x)) ′ = af ′ (x)<br />

(4.4.b)<br />

Beispiel 4.4.1. Die Ableitung der Funktion f(x) = 4x 3 ist f ′ (x) = 4·3x 2 = 12x 2 .<br />

Ableitung der Summe mehrerer Funktionen<br />

Wir betrachten die Funktion f(x) = u(x)+v(x), wobei u und v differenzierbare Funktionen<br />

sind. Es gilt<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) = u(x+∆x)+v(x+∆x)−u(x)−v(x)<br />

∆x<br />

∆x<br />

= u(x+∆x)−u(x)<br />

∆x<br />

+ v(x+∆x)−v(x)<br />

∆x


4.4. Grundregeln der Differenzialrechnung 65<br />

und somit erhalten wir die Ableitung<br />

(<br />

f ′ ∆y u(x+∆x)−u(x)<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim + v(x+∆x)−v(x) )<br />

∆x→0 ∆x ∆x<br />

u(x+∆x)−u(x) v(x+∆x)−v(x)<br />

= lim + lim = u ′ (x)+v ′ (x),<br />

∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x<br />

das heisst:<br />

(u(x)+v(x)) ′ = u ′ (x)+v ′ (x)<br />

(4.4.c)<br />

Beispiel 4.4.2. Die Ableitung der Funktion f(x) = 2x 2 +4x ist f ′ (x) = 4x+4.<br />

Die Formel (4.4.c) lässt sich sofort auf mehr als zwei Summanden verallgemeinern.<br />

Beispiel 4.4.3. Es sei die Funktion f(x) = a n x n +a n−1 x n−1 +···+a 1 x+a 0 gegeben, wobei<br />

a n ,a n−1 ,...,a 1 ,a 0 konstante reelle Zahlen sind. Dann gilt<br />

f ′ (x) = a n nx n−1 +a n−1 (n−1)x n−2 +···+a 1 .<br />

Die Ableitung einer Polynomfunktion vom n-ten Grad ist also eine Polynomfunktion vom<br />

(n−1)-ten Grad.<br />

Beispiel 4.4.4. Wir möchten herausfinden, an welchen Stellen die Kurve<br />

y = f(x) = 0.2x 3 −0.3x 2 −3.6x+1<br />

einehorizontale Tangentebesitzt.DieAbleitungderFunktionlautetf ′ (x) = 0.6x 2 −0.6x−3.6.<br />

Die gesuchte Stellen sindalso diejenige Werte von x, die dieGleichung 0 = 0.6x 2 −0.6x−3.6 =<br />

0.6(x 2 −x−6) = 0.6(x+2)(x−3) erfüllen, das heisst, x = −2 und x = 3.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.4.1. Leiten Sie folgende Funktionen ab, wobei a, b, c und d reelle Konstanten<br />

sind.<br />

a. f(x) = 2x 4 −3x 2 −5x+6<br />

b. f(x) = −ax 4 +3bx 2 +c 2 x+d<br />

c. f(t) = (4t−1) 2<br />

d. f(x) = (x−a) 2 (x+a)<br />

Aufgabe 4.4.2. Welchen Wert hat die Ableitung der Funktion f(x) = − 2 3 x5 +2x 3 −x 2 +2<br />

an der Stelle x = −2, und welchen Winkel bildet dort die Kurventangente mit der x-Achse?<br />

Aufgabe 4.4.3. Wo und unter welchen Winkeln schneiden sich die Kurven y = f(x) und<br />

y = g(x)?<br />

a. f(x) = x 2 und g(x) = x 3<br />

b. f(x) = x 3 −2x 2 +2x+2 und g(x) = 2x−1<br />

Aufgabe 4.4.4. Wo hat die Kurve y = f(x) waagrechte Tangenten?<br />

a. f(x) = 2x 3 −4x 2 +2x−5 b. f(x) = x 5 −x 3 + 1 4 x−3


66 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Aufgabe 4.4.5. Bestimmen Sie die Gleichung der Tangente an die Kurve y = f(x) bei<br />

x = x 0 .<br />

a. f(x) = x 3 −2x 2 +5, x 0 = 1 b. f(x) = 1−3x 2 , x 0 = −2<br />

Aufgabe 4.4.6. Bestimmen Sie die Polynomfunktion dritten Grades f, welche die folgenden<br />

Bedingungen erfüllt.<br />

a. f(0) = −2, f(2) = 2, f ′ (−1) = −16 und f ′ (0) = 0<br />

b. f(−2) = 1, f(1) = −5, f ′ (0) = −8 und f ′ (3) = 46<br />

Aufgabe 4.4.7. Die Kurve einer Polynomfunktion dritten Grades geht durch die Punkte<br />

P(−1,0), Q(0,2) und R(1,0) und schneidet die x-Achse in Punkt P unter einem Winkel von<br />

45 ◦ . Bestimmen Sie die Funktionsgleichung und die dritte Nullstelle.<br />

Aufgabe 4.4.8. Bestimmen Sie die Polynomfunktion dritten Grades, deren Kurve<br />

a. im Punkte P(2,−4) den Anstieg −3 hat und die Koordinatenachsen bei x = 4 und<br />

y = 4 schneidet.<br />

b. die x-Achse bei x = −2 unter dem Winkel von 45 ◦ und die y-Achse in der Stelle y = 2<br />

waagrecht schneidet.<br />

Aufgabe 4.4.9. Die Kurve welcher Polynomfunktion zweiten Grades geht durch die Punkte<br />

P(−2,0) und Q(3,−5) und besitzt im Punkt P den Anstieg −4?<br />

Aufgabe 4.4.10. Welcher Bedingung müssen die reelle Zahlen a, b und c genügen, damit die<br />

Kurve y = x 3 +ax 2 +bx+c nirgends eine waagrechte Tangente hat?<br />

Aufgabe 4.4.11. Wie gross muss die reelle Zahl b gewählt werden, damit sich die Kurven<br />

y = x 2 −b und y = −x 2 +b unter einem rechten Winkel schneiden?<br />

Aufgabe 4.4.12. Welche Bedingung müssen die reelle Zahlen a und b erfüllen, damit sich<br />

die Kurven y = x 2 +2ax−b und y = −x 2 −2ax+b unter einem rechten Winkel schneiden?<br />

Aufgabe 4.4.13. Wie lautet die Polynomfunktion dritten Grades, deren Kurve bei x = 1<br />

und x = −1 die Gerade y = − 1 2 x + 5 2<br />

unter einem rechten Winkel schneidet? Wo liegt der<br />

dritte Schnittpunkt?<br />

Aufgabe 4.4.14. Es sei die Funktion f(x) = ax 2 +bx+c gegeben, wobei a, b und c konstante<br />

reelle Zahlen sind und a ≠ 0. Beweisen Sie, dass sich die Tangenten an die Kurve y = f(x)<br />

an den Stellen x = 1 und x = −1 auf der y-Achse schneiden.<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.4.1.<br />

a. f ′ (x) = 8x 3 −6x−5<br />

b. f ′ (x) = −4ax 3 +6bx+c 2 c. f ′ (t) = 32t−8<br />

d. f ′ (x) = 3x 2 −2ax−a 2


4.5. Ableitung eines Produkts 67<br />

Lösung 4.4.2. − 76<br />

3<br />

Lösung 4.4.3.<br />

und 92.26◦<br />

a. im Punkt P(0,0) unter 0 ◦ und im Punkt P(1,1) unter 8.13 ◦<br />

b. im Punkt P(−1,−3) unter 20.22 ◦<br />

Lösung 4.4.4.<br />

a. x = 1 und x = 1 3<br />

b. x ∈ {± √ 0.5,± √ 0.1}<br />

Lösung 4.4.5.<br />

a. y = −x+5 b. y = 12x+13<br />

Lösung 4.4.6.<br />

a. −2x 3 +5x 2 −2 b. 2x 3 −8x+1<br />

Lösung 4.4.7. f(x) = − 3 2 x3 −2x 2 + 3 2 x+2 und x = −4 3<br />

Lösung 4.4.8.<br />

a.<br />

1<br />

2 x3 − 3 2 x2 −3x+4 b. − 1 4 x3 −x 2 +2<br />

Lösung 4.4.9. f(x) = 1 5 (3x2 −8x−28)<br />

Lösung 4.4.10. a 2 < 3b<br />

Lösung 4.4.11. 1 4<br />

Lösung 4.4.12. a 2 +b = 1 4<br />

Lösung 4.4.13. f(x) = 5 4 x3 − 7 4 x+ 10 4 und P(0, 5 2 )<br />

Lösung 4.4.14. Gleichung derTangente an derStelle x = 1isty−(a+b+c) = (2a+b)(x−1);<br />

Gleichung der Tangente an derStelle x = −1ist y−(a−b+c) = (−2a+b)(x+1). Schnittpunkt<br />

der beiden Tangente ist P(0,c−a).<br />

4.5 Ableitung eines Produkts<br />

Mit den bisher hergeleiteten Regeln sind wir nur in der Lage, diejenigen Funktionen zu differenzieren,<br />

die als Summe von Potenzfunktionen mit beliebigen Faktoren dargestellt werden<br />

können. In diesem Kapitel erweitern wir unser Repertoire, indem wir dazu die Ableitung eines<br />

Produkts zweier Funktionen hinzufügen.<br />

Es sei also f(x) = u(x)v(x), wobei u und v differenzierbare Funktionen sind. Der entsprechende<br />

Differenzenquotient lautet<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) = u(x+∆x)v(x+∆x)−u(x)v(x)<br />

∆x<br />

∆x<br />

= u(x+∆x)v(x+∆x)−u(x)v(x+∆x)+u(x)v(x+∆x)−u(x)v(x)<br />

∆x<br />

= u(x+∆x)−u(x)<br />

∆x<br />

v(x+∆x)+u(x) v(x+∆x)−v(x)<br />

∆x


68 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

und somit erhalten wir die Ableitung<br />

( u(x+∆x)−u(x)<br />

f ′ (x) = lim<br />

∆x→0 ∆x<br />

= u ′ (x)v(x)+u(x)v ′ (x).<br />

Diese Formel heisst die Produktregel:<br />

v(x+∆x)+u(x) v(x+∆x)−v(x) )<br />

∆x<br />

(u(x)v(x)) ′ = u ′ (x)v(x)+u(x)v ′ (x)<br />

Beispiel 4.5.1. Um die Ableitung von f(x) = (x−1)(2−x 2 ) zu bestimmen, stehen uns zwei<br />

Möglichkeiten zur Verfügung. Entweder schreiben wir die Funktion als f(x) = 2x−x 3 −2+x 2<br />

um und differenzieren dann jeden Summand einzeln, was zum Ergebnis f ′ (x) = 2−3x 2 +2x<br />

führt,oderwirwendendieProduktregelwiefolgtan:Wirsetzenu(x) = x−1undv(x) = 2−x 2<br />

und berechnen deren Ableitungen u ′ (x) = 1 und v ′ (x) = −2x. Dann erhalten wir<br />

f ′ (x) = u ′ (x)v(x)+u(x)v ′ (x) = 1(2−x 2 )+(x−1)(−2x)<br />

= 2−x 2 −2x 2 +2x = 2−3x 2 +2x,<br />

was (zum Glück) mit unserer ersten Antwort übereinstimmt 2 .<br />

Die Produktregel lässt sich wie folgt auf drei und mehr Funktionen verallgemeinern: Es sei<br />

f(x) = u(x)v(x)w(x) gegeben, wobei u, v und w differenzierbare Funktionen sind. Dann folgt<br />

nach der Produktregel<br />

Aufgaben<br />

f ′ (x) = (u(x)v(x)) ′ w(x)+(u(x)v(x))w ′ (x)<br />

= u ′ (x)v(x)w(x) +u(x)v ′ (x)w(x)+u(x)v(x)w ′ (x).<br />

Aufgabe 4.5.1. Leiten Sie folgende Funktionen ab 3 , wobei a, b, c und d beliebige reelle<br />

Zahlen sind, n ∈ N und n > 2.<br />

a. f(x) = (1−x−x 2 )(x 3 +2x)<br />

b. g(u) = (u 3 −2)(u 2 −2u+1)<br />

c. f(x) = (4x 2 −3x)(2−x 3 )x 3<br />

d. f(x) = (a−x)(b−x 2 )<br />

e. f(u) = (u n −u n−2 +1) 2<br />

g. f(x) = (x 2 −ax+b 2 )(x 2 +ax−b 2 )<br />

h. f(z) = (a+bz)(c−dz)−(a−bz)(c+dz)<br />

i. f(t) = (t−1) 4<br />

j. f(x) = (ax+b) 2 (b−ax) 2<br />

k. f(x) = (ax+b) n<br />

f. f(x) = (a+x)(x 2 +b)(x 3 +c)<br />

Aufgabe 4.5.2. Leiten Sie folgende Funktionen ab, wobei n eine beliebige natürliche Zahl<br />

und f eine differenzierbare Funktion ist.<br />

a. g(x) = x n f(x) b. h(x) = (f(x)) 3<br />

2 Ein Ableitungsexperte, der etwas auf sich hält, wählt immer den zweiten Lösungsweg.<br />

3 Dabei sollten Sie den Titel “Ableitungsexperte” anstreben (vgl. Beispiel 4.5.1).


4.6. Ableitung eines Quotienten 69<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.5.1. a. f ′ (x) = (−1−2x)(x 3 +2x)+(1−x−x 2 )(3x 2 +2)<br />

b. g ′ (u) = 3u 2 (u 2 −2u+1)+(u 3 −2)(2u−2)<br />

c. f ′ (x) = (8x−3)(2−x 3 )x 3 −3x 5 (4x 2 −3x)+3x 2 (4x 2 −3x)(2−x 3 )<br />

d. f ′ (x) = −(b−x 2 )−2x(a−x)<br />

e. f ′ (u) = 2(nu n−1 −(n−2)u n−3 )(u n −u n−2 +1)<br />

f. f ′ (x) = (x 2 +b)(x 3 +c)+2x(a+x)(x 3 +c)+3x 2 (a+x)(x 2 +b)<br />

g. f ′ (x) = (2x−a)(x 2 +ax−b 2 )+(x 2 −ax+b 2 )(2x+a)<br />

h. f ′ (z) = 2(bc−ad)<br />

i. f ′ (t) = 4(t−1) 3<br />

j. f ′ (x) = 4a 2 x(a 2 x 2 −b 2 )<br />

k. f ′ (x) = an(ax+b) n−1<br />

Lösung 4.5.2.<br />

a. g ′ (x) = nx n−1 f(x)+x n f ′ (x) b. h ′ (x) = 3(f(x)) 2 f ′ (x)<br />

4.6 Ableitung eines Quotienten<br />

In ähnlicher Weise wie ein Produkt lässt sich ein Quotient differenzieren. Wir setzen<br />

f(x) = u(x)<br />

v(x)<br />

für alle x mit v(x) ≠ 0,<br />

wobei u und v differenzierbare Funktionen sind. Wie üblich berechnen wir zuerst den Differenzenquotienten<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) = 1 ( u(x+∆x)<br />

∆x ∆x v(x+∆x) − u(x) )<br />

v(x)<br />

= 1 ( )<br />

u(x+∆x)v(x)−u(x)v(x+∆x)<br />

∆x v(x+∆x)v(x)<br />

( )<br />

1 u(x+∆x)v(x)−u(x)v(x)+u(x)v(x)−u(x)v(x+∆x)<br />

=<br />

v(x+∆x)v(x)<br />

∆x<br />

(<br />

1 u(x+∆x)−u(x)<br />

=<br />

v(x)−u(x) v(x+∆x)−v(x) )<br />

v(x+∆x)v(x) ∆x<br />

∆x<br />

und dann den Grenzübergang<br />

(<br />

f ′ (x) = lim<br />

∆x→0<br />

1<br />

v(x+∆x)v(x)<br />

= u′ (x)v(x)−u(x)v ′ (x)<br />

(v(x)) 2 .<br />

( u(x+∆x)−u(x)<br />

∆x<br />

v(x)−u(x) v(x+∆x)−v(x) ))<br />

∆x


70 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Die erhaltene Formel heisst die Quotientenregel:<br />

( ) u(x) ′<br />

= v(x)u′ (x)−u(x)v ′ (x)<br />

v(x) (v(x)) 2<br />

(4.6.a)<br />

Beispiel 4.6.1. Gemäss Kapitel 4.3 wissen wir, dass sich die Ableitung der Potenzfunktion<br />

f(x) = x n für alle n ∈ N als<br />

f ′ (x) = nx n−1<br />

(4.6.b)<br />

schreiben lässt. Für n = 0 ist Formel (4.6.b) auch erfüllt. In diesem Beispiel betrachten wir<br />

den Fall, wobei n eine negative ganze Zahl ist. Um uns das Leben zu vereinfachen, schreiben<br />

wir n = −m, wobei m ∈ N. Dann gilt<br />

f(x) = x −m = 1<br />

x m.<br />

Jetzt kommt dieQuotientenregel ins Spiel: Wir setzen u(x) = 1 undv(x) = x m undberechnen<br />

deren Ableitungen u ′ (x) = 0 und v ′ (x) = mx m−1 . Daraus folgt<br />

f ′ (x) = v(x)u′ (x)−u(x)v ′ (x)<br />

(v(x)) 2 = (xm )0−1(mx m−1 )<br />

(x m ) 2 = −mxm−1<br />

x 2m = −mx −m−1 = nx n−1 .<br />

Anders gesagt ist das Ergebnis (4.6.b) nicht nur für alle n ∈ N, sondern auch für alle n ∈ Z<br />

gültig.<br />

Beispiel 4.6.2. Um die Funktion<br />

f(x) = 2x<br />

x−1<br />

zu differenzieren, setzen wir u(x) = 2x und v(x) = x −1 und berechnen deren Ableitungen<br />

u ′ (x) = 2 und v ′ (x) = 1. Nach der Quotientenregel gilt<br />

f ′ (x) = v(x)u′ (x)−u(x)v ′ (x)<br />

(v(x)) 2<br />

= (x−1)2−(2x)1<br />

(x−1) 2<br />

= −2<br />

(x−1) 2.


4.6. Ableitung eines Quotienten 71<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.6.1. Leiten Sie folgende Funktionen ab, wobei a ∈ R, b ∈ R und n ∈ Z.<br />

a. f(x) = (1−x −4 )(2x 2 +x −1 )<br />

b. f(x) = 2x3 −3<br />

x 2<br />

c. f(s) = as− bs+c<br />

s 3<br />

d. f(t) = t−2 +t −3<br />

1+t<br />

e. f(t) = t+1<br />

t−1<br />

f. f(x) = ax+b<br />

ax−b<br />

g. f(x) = x2 −x+1<br />

x 2 +x−1<br />

h. f(x) =<br />

i. f(h) = 1<br />

h+2<br />

4−x<br />

(3−2x)(x 2 +1)<br />

Aufgabe 4.6.2. Warum haben die Funktionen<br />

j. f(x) =<br />

k. f(x) = 2x−x3<br />

2+x 3<br />

l. f(t) = 3<br />

t 2 +2<br />

m. f(α) = aα<br />

α 2 −a<br />

n. f(x) = ax2<br />

x 2 −a<br />

o. f(z) =<br />

p. f(x) =<br />

1<br />

(x 2 −2)(3x−4)<br />

az −a2<br />

z 2 −a 2<br />

ax<br />

(x+b) 2<br />

q. f(x) = ax2 +b<br />

x 2 −c<br />

r. f(ξ) = ξn<br />

ξ n −c<br />

die gleiche Ableitung?<br />

f(t) = 2t<br />

t−1<br />

und g(t) = t+1<br />

t−1<br />

Aufgabe 4.6.3. Es sei die Funktion<br />

gegeben. Für welche Werte von x<br />

f(x) = x<br />

1+x 2<br />

a. ist die Kurve y = f(x) steigend?<br />

b. ist die Kurve y = f(x) fallend?<br />

c. hat die Kurve y = f(x) waagrechte Tangenten?<br />

Aufgabe 4.6.4. Untersuchen Sie die folgende Funktionen auf Differenzierbarkeit. Sind sie<br />

an einer Stelle nicht differenzierbar, so bestimmen Sie die links- und rechtsseitige Ableitung<br />

an dieser Stelle, falls sie existiert.<br />

a. f(x) = |x 2 −4|<br />

c. f(x) = (x−2)|x+3|<br />

b. f(x) = |x 2 −2x−3|


72 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.6.1.<br />

a. f ′ (x) = 4x−x −2 +4x −3 +5x −6<br />

b. f ′ (x) = 2+ 6 x 3<br />

c. f ′ (s) = a+ 2b<br />

s 3 + 3c<br />

s 4<br />

d. f ′ (t) = − 3 t 4<br />

e. f ′ (t) = −2<br />

(t−1) 2<br />

f. f ′ (x) = −2ab<br />

(ax−b) 2<br />

g. f ′ (x) = 2x2 −4x<br />

(x 2 +x−1) 2<br />

h. f ′ (x) = −4x3 +27x 2 −24x+5<br />

(3−2x) 2 (x 2 +1) 2<br />

i. f ′ (h) = −1<br />

(h+2) 2<br />

j. f ′ (x) = −9x2 +8x+6<br />

(x 2 −2) 2 (3x−4) 2<br />

k. f ′ (x) = 4−6x2 −4x 3<br />

(2+x 3 ) 2<br />

l. f ′ (t) = −6t<br />

(t 2 +2) 2<br />

m. f ′ (α) = −α2 a−a 2<br />

(α 2 −a) 2<br />

n. f ′ (x) = −2a2 x<br />

(x 2 −a) 2<br />

o. f ′ (z) = −a<br />

(z +a) 2<br />

p. f ′ (x) = −ax+ab<br />

(x+b) 3<br />

q. f ′ (x) = −2(ac+b)x<br />

(x 2 −c) 2<br />

r. f ′ (ξ) = −cnξn−1<br />

(ξ n −c) 2<br />

Lösung 4.6.2. Da die Kurve y = g(t) eine vertikale Verschiebung der Kurve y = f(t) ist.<br />

Lösung 4.6.3.<br />

a. x ∈ ]−1,1[<br />

c. x ∈ {−1,1}<br />

b. x ∈ ]−∞,−1[ ∪ ]1,∞[<br />

Lösung 4.6.4. a. Nicht differenzierbar bei x = 2 und x = −2:<br />

limf ′ (x) = −4<br />

x↑2<br />

limf ′ (x) = 4<br />

x↓2<br />

lim f ′ (x) = −4<br />

x↑−2<br />

lim f ′ (x) = 4<br />

x↓−2<br />

b. Nicht differenzierbar bei x = 3 und x = −1:<br />

lim<br />

x↑3<br />

f ′ (x) = −4<br />

limf ′ (x) = 4<br />

x↓3<br />

lim f ′ (x) = −4<br />

x↑−1<br />

lim f ′ (x) = 4<br />

x↓−1<br />

c. Nicht differenzierbar bei x = −3:<br />

lim<br />

x↑−3 f′ (x) = 5<br />

lim f ′ (x) = −5<br />

x↓−3


4.7. Ableitung der trigonometrischen Funktionen 73<br />

4.7 Ableitung der trigonometrischen Funktionen<br />

Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Ableitungen der trigonometrischen Funktionen Sinus, Kosinus,<br />

Tangens und Kotangens zu bilden.<br />

• Wir beginnen mit der Funktion f(x) = sin(x). Im Differenzenquotienten<br />

∆y<br />

∆x = sin(x+∆x)−sin(x)<br />

∆x<br />

können wir nicht einfach ∆x = 0 einsetzen, da wir sonst den unbestimmten Ausdruck<br />

0<br />

0<br />

erhalten würden. Stattdessen schreiben wir den Zähler mit Hilfe des Additionstheoremes<br />

4 für den Sinus wie folgt um:<br />

Somit gilt<br />

∆y<br />

∆x = sin(x)cos(∆x)+cos(x)sin(∆x)−sin(x) .<br />

∆x<br />

f ′ sin(x)cos(∆x)+cos(x)sin(∆x)−sin(x)<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x<br />

cos(∆x)−1<br />

= sin(x) lim<br />

∆x→0<br />

= sin(x) lim<br />

∆x→0<br />

∆x<br />

cos(∆x)−1<br />

∆x<br />

+cos(x) lim<br />

∆x→0<br />

+cos(x)·1,<br />

sin(∆x)<br />

∆x<br />

wobei die letzte Gleichheit aus dem Ergebnis des Beispieles 3.3.4 folgt. Der verbleibende<br />

Grenzwert berechnen wir jetzt allein:<br />

cos(∆x)−1 cos(∆x)−1<br />

lim = lim · cos(∆x)+1<br />

∆x→0 ∆x ∆x→0 ∆x cos(∆x)+1 = lim<br />

sin(∆x)<br />

= lim lim<br />

∆x→0 ∆x ∆x→0<br />

Damit haben wir bewiesen, dass f ′ (x) = cos(x).<br />

∆x→0<br />

−sin(∆x) (−0)<br />

= 1· = 0.<br />

cos(∆x)+1 2<br />

−sin 2 (∆x)<br />

(∆x)(cos(∆x)+1)<br />

• Ähnlich lässt sich die Ableitung von g(x) = cos(x) mit Hilfe des Additionstheoremes 5<br />

für den Kosinus herleiten:<br />

g ′ cos(x)cos(∆x)−sin(x)sin(∆x)−cos(x)<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x<br />

cos(∆x)−1<br />

= cos(x) lim<br />

∆x→0 ∆x<br />

= cos(x)·0−sin(x)·1 = −sin(x).<br />

−sin(x) lim<br />

∆x→0<br />

sin(∆x)<br />

∆x<br />

• Für die Ableitung von Tangens und Kotangens können wir jetzt die Quotientenregel<br />

anwenden:<br />

( ) sin(x) ′<br />

(tan(x)) ′ = = cos2 (x)+sin 2 (x) 1<br />

cos(x) cos 2 =<br />

(x) cos 2 (x) = 1+tan2 (x)<br />

4 sin(α±β) = sin(α)cos(β)±cos(α)sin(β)<br />

5 cos(α±β) = cos(α)cos(β)∓sin(α)sin(β)


74 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

und<br />

(cot(x)) ′ =<br />

( ) cos(x) ′<br />

= −sin2 (x)−cos 2 (x)<br />

sin(x) sin 2 = −1<br />

(x) sin 2 (x) = −(1+cot2 (x)).<br />

Die obige Ergebnisse fassen wir in folgender Tabelle zusammen.<br />

(sin(x)) ′ = cos(x)<br />

(cos(x)) ′ = −sin(x)<br />

(tan(x)) ′ =<br />

1<br />

cos 2 (x) = 1+tan2 (x)<br />

(cot(x)) ′ = − 1<br />

sin 2 (x) = −(1+cot2 (x))<br />

Beispiel 4.7.1. Um die Funktion f(x) = 2x 4 cos(x) zu differenzieren, wenden wir die Produktregel<br />

an: Wir setzen u(x) = 2x 4 und v(x) = cos(x) und berechnen deren Ableitungen<br />

u ′ (x) = 8x 3 und v ′ (x) = −sin(x). Somit gilt<br />

f ′ (x) = u ′ (x)v(x)+u(x)v ′ (x) = 8x 3 cos(x)−2x 4 sin(x).<br />

Beispiel 4.7.2. Wir möchten die Funktion f(x) = sin(2x) ableiten. Mit dem Additionstheorem<br />

für den Sinus können wir sie als f(x) = 2sin(x)cos(x) umschreiben, was uns erlaubt die<br />

Produktregel wie folgt anzuwenden:<br />

f ′ (x) = 2 ( (sin(x)) ′ cos(x)+sin(x)(cos(x)) ′) = 2(cos 2 (x)−sin 2 (x)) = 2cos(2x).<br />

Die letzte Gleichheit folgt aus dem Additionstheorem für den Kosinus.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.7.1. Leiten Sie folgende Funktionen ab.<br />

a. f(x) = sin 2 (x)<br />

b. f(t) = 3sin(t)+tcos(t)<br />

c. f(α) = 2sin(α)(α−cot(α))<br />

d. f(x) = (x−tan(x))sin(x)cos(x)<br />

e. f(x) = 1−cos(x)<br />

1+sin(x)<br />

f. f(t) = sin(t)<br />

t<br />

g. f(x) = −cos(x)<br />

2xtan(x)<br />

h. f(x) = 2x 3 tan(x)<br />

i. f(t) = t(sin(t)−cos(t))<br />

j. f(α) = sin(α)−αcos(α)<br />

Aufgabe 4.7.2. Leiten Sie folgende Funktionen ab und vereinfachen Sie das Ergebnis so weit<br />

wie möglich.<br />

a. f(x) = cos(2x)+sin 2 (x)<br />

b. f(x) = x−sin(x)cos(x)<br />

c. f(x) = 1<br />

cos(x) +tan(x)


4.7. Ableitung der trigonometrischen Funktionen 75<br />

Aufgabe 4.7.3. Unter welchen Winkeln schneiden die folgenden Kurven die x-Achse?<br />

a. y = sin(x) b. y = tan(x)<br />

Aufgabe 4.7.4. Unter welchem Winkel schneiden sich die folgenden Kurven?<br />

a. y = sin(x) und y = cos(x) b. y = tan(x) und y = cot(x)<br />

Aufgabe 4.7.5. Es sei t die Tangente an die Kosinuskurve im Punkt P(x 0 ,y 0 ). Bestimmen<br />

Sie den Flächeninhalt des rechtwinkligen Dreiecks, das durch t und die Tangenten bei x = π 2<br />

und x = − π 2 gebildet wird. Überprüfen Sie Ihr Ergebnis für die Werte x 0 = 0 und x 0 = π.<br />

Aufgabe 4.7.6. Es seien t 1 und t 2 die Tangenten an die Tangens- und Kotangenskurve im<br />

Punkte mit der Abszisse x 0 . Was ist die Abszisse ihres Schnittpunktes?<br />

Aufgabe 4.7.7. Bestimmen Sie die Tangentengleichung an die Kurve y = sin(x) bei x = x 0 .<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.7.1.<br />

a. f ′ (x) = sin(2x)<br />

b. f ′ (t) = 4cos(t)−tsin(t)<br />

c. f ′ (α) = 2cos(α)(α−cot(α))+2sin(α)(1+sin −2 (α))<br />

d. f ′ (x) = xcos(2x)− 1 2 sin(2x)<br />

e. f ′ (x) = 1+sin(x)−cos(x)<br />

(1+sin(x)) 2<br />

f. f ′ (t) = tcos(t)−sin(t)<br />

t 2<br />

g. f ′ (x) = xsin(x)tan(x)+sin(x)+xcos−1 (x)<br />

2x 2 tan 2 (x)<br />

h. f ′ (x) = 6x 2 tan(x)+2x 3 cos −2 (x)<br />

i. f ′ (t) = sin(t)−cos(t)+t(cos(t)+sin(t))<br />

j. f ′ (α) = αsin(α)<br />

Lösung 4.7.2.<br />

a. f ′ (x) = −sin(2x)<br />

b. f ′ (x) = 2sin 2 (x)<br />

c. f ′ (x) =<br />

1<br />

1−sin(x)<br />

Lösung 4.7.3.<br />

a. 45 ◦ und −45 ◦ b. 45 ◦


76 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Lösung 4.7.4.<br />

a. 70.53 ◦ b. 53.13 ◦<br />

Lösung 4.7.5.<br />

( π<br />

2 −cos(x 0)−x 0 sin(x 0 )<br />

cos(x 0 )<br />

) 2<br />

Lösung 4.7.6. Die Abszisse des Schnittpunktes ist x 0 + 1 4 sin(4x 0). Zur Kontrolle könnten<br />

Sie zum Beispiel x 0 = π 4<br />

einsetzen. Wieso?<br />

Lösung 4.7.7. y = sin(x 0 )+cos(x 0 )(x−x 0 )<br />

4.8 Logarithmen<br />

Es sei a eine positive reelle Zahl mit a ≠ 1. Der Graf der Exponentialfunktion f(x) = a x<br />

kennen wir aus dem Kapitel 2.6: Wenn a > 1, ist er monoton steigend; wenn a ∈]0,1[, ist<br />

er monoton fallend (vgl. Abbildungen 4.8.i und 4.8.ii). In beiden Fällen ist der Wertebereich<br />

y<br />

y<br />

1<br />

1<br />

x<br />

x<br />

Abbildung 4.8.i: y = a x , wobei a > 1<br />

Abbildung 4.8.ii: y = a x , wobei a < 1<br />

]0,∞[. Daraus folgt, dass für jede positive reelle Zahl y die Gleichung y = a x genau eine<br />

Lösung besitzt. Diese Lösung wird durch log a (y) bezeichnet und den Logarithmus von y<br />

zur Basis a genannt. Anders gesagt gilt für jedes y ∈ ]0,∞[<br />

x = log a (y) ⇔ y = a x .<br />

Logarithmen können zu jeder beliebigen Basis a ∈ ]0,∞[ − {1} berechnet werden, jedoch<br />

werden die Basen a = 10 und a = e am häufigsten verwendet. Logarithmen zur Basis 10<br />

werden oft mit lg statt log 10 bezeichnet und sind nützlich für numerische Berechnungen. Die<br />

Basis e ist dagegen für theoretische Anwendungen besonders geeignet. Logarithmen zur Basis<br />

e werden mit ln bezeichnet und natürliche Logarithmen genannt.<br />

Das folgende Ergebnis zeigt, dass sich die Funktionen f(x) = a x und g(x) = log a (x) gegenseitig<br />

“aufheben” 6 .<br />

Lemma 4.8.1. Für alle u ∈ ]0,∞[ gelten<br />

a log a (u) = u und log a (a u ) = u.<br />

Beweis. Folgt sofort aus der Definition des Logarithmus.<br />

6 Präziser formuliert bedeutet dies, dass f(g(x)) = 1 für alle x ∈ X g und g(f(x)) = 1 für alle x ∈ X f . Wir<br />

sagen, f und g seien Umkehrfunktionen zueinander. Dieser Begriff wird im Kapitel 8 weiter erläutert.


4.8. Logarithmen 77<br />

DiefolgendensogenanntenLogarithmengesetzesindvongrosserBedeutungfürnumerische<br />

sowie theoretische Berechnungen.<br />

Satz 4.8.1. Für alle u ∈ ]0,∞[ und v ∈ ]0,∞[ gelten<br />

log a (u)+log a (v) = log a (uv)<br />

( u<br />

)<br />

log a (u)−log a (v) = log a .<br />

v<br />

Beweis. Wir setzen x = log a (u) und z = log a (v). Dann gelten laut der Definition des Logarithmus<br />

u = a x und v = a z , woraus folgt<br />

log a (uv) = log a (a x a z ) = log a (a x+z ) = x+z = log a (u)+log a (v)<br />

und<br />

log a<br />

( u<br />

v<br />

)<br />

= log a<br />

( a<br />

x<br />

a z )<br />

= log a (a x−z ) = x−z = log a (u)−log a (v).<br />

Satz 4.8.2. Für alle u ∈ ]0,∞[ und s ∈ R gilt<br />

log a (u s ) = slog a (u).<br />

Beweis. Wir setzen x = log a (u). Dann gilt laut der Definition des Logarithmus a x = u,<br />

woraus folgt<br />

log a (u s ) = log a ((a x ) s ) = log a (a xs ) = xs = slog a (u).<br />

Beispiel 4.8.1. InderZeit vor denmodernenTaschenrechner waren Logarithmen ein wesentlicher<br />

Bestandteil im Alltag eines Ingenieurs.Umzwei grosseZahlenzusammenzumultiplizieren,<br />

zum Beispiel 403 und 89, wurde mit Hilfe von Logarithmentafeln wie folgt vorgegangen:<br />

403×89 = ???<br />

lg(403×89) = lg(403) +lg(89) ≈ 2.60531 +1.94939 = 4.55470 ≈ lg(35865)<br />

403×89 ≈ 35865.<br />

Eine aufwändige Multiplikation wurde so durch eine viel einfachere Addition ersetzt. Auf<br />

ähnliche Weise konnten Potenzrechnungen, wie zum Beispiel 391 7 , durch Logarithmieren auf<br />

Multiplikationen zurückgeführt werden:<br />

391 7 = ???<br />

lg(391 7 ) = 7lg(391) ≈ 7×2.59218 = 18.14526 ≈ lg(1.397·10 18 )<br />

391 7 ≈ 1.397·10 18 .<br />

Ebenso wurde die Berechnung einer schwierigen Wurzel auf eine einfache Division zurückgeführt:<br />

lg( 5√ 651) = 1 5<br />

5√<br />

651 = ???<br />

lg(651) ≈ 2.81358 ÷5 = 0.562716 ≈ lg(3.654)<br />

5√<br />

651 ≈ 3.654.


78 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

ImAllgemeinenwerdenLogarithmeninTabellennurzurBasis10undaufdemTaschenrechner<br />

nurzudenBasen10undezurVerfügunggestellt. DasfolgendeErgebnisistfürdieBerechnung<br />

von Logarithmen zu einer beliebigen Basis nützlich.<br />

Satz 4.8.3 (Basiswechsel). Es seien a und b zwei positive reelle Zahlen mit a ≠ 1 und b ≠ 1.<br />

Dann gilt für jedes y ∈ ]0,∞[<br />

log a (y) = log b(y)<br />

log b (a) .<br />

Beweis. Wir setzen x = log a (y). Danngilt lautderDefinition desLogarithmus y = a x ,woraus<br />

folgt<br />

log b (y) = log b (a x ) = xlog b (a) = log a (y)log b (a).<br />

Beispiel 4.8.2. Hier berechnen wir einige Logarithmen zu weniger gewöhnlichen Basen:<br />

Aufgaben<br />

log 2 (10) = log 10(10)<br />

log 10 (2) ≈ 1<br />

0.30103 ≈ 3.32<br />

log 7 (5) = log 10(5)<br />

log 10 (7) ≈ 0.69897<br />

0.84510 ≈ 0.83.<br />

Aufgabe 4.8.1. Warum muss 1 als Logarithmenbasis ausgeschlossen werden?<br />

Aufgabe 4.8.2. Berechnen Sie ohne Hilfe eines Taschenrechner die folgenden Logarithmen.<br />

a. log 2 ( 1 8 )<br />

b. log 8 (4)<br />

c. log √ 2 (1 2 )<br />

d. log 81 ( 1<br />

27 )<br />

Aufgabe 4.8.3. Berechnen Sie mit Hilfe eines Taschenrechner folgende Logarithmen.<br />

a. log 2 (74)<br />

b. log 2 (65)<br />

c. log 0.5 (13.72)<br />

Aufgabe 4.8.4. Formen Sie nach den Logartihmengesetzen die folgenden Ausdrücke um,<br />

wobei a ∈ ]0,∞[−{1}, b ∈ ]0,∞[−{1} und n ∈ N.<br />

( u<br />

3 √ )<br />

√ )<br />

u+v<br />

a. log a<br />

f. lg<br />

(a n a n√ a<br />

a<br />

( a 7 −a 4 )<br />

g. log<br />

b. log a (u 2 )−log a (v v )+log b ( √ u)<br />

a<br />

b<br />

h. log 1(e ( √ )<br />

2 )<br />

e<br />

64u v<br />

c. log 2<br />

w<br />

i. log a (x)−log b (x a )+log 2 (x b )<br />

( √ )<br />

3<br />

d. lg 2u 2 v 5<br />

(√<br />

e. lg a √ )<br />

b


4.8. Logarithmen 79<br />

Aufgabe 4.8.5. Lösen Sie die folgenden Gleichungen nach x auf, wobei a, b und c positive<br />

reelle Zahlen sind und n ∈ N.<br />

a. lg(x) = 2 3 lg(a)+ 3 4 lg(b)− 4 5 lg(c)<br />

b. lg(x) = − 2 3 lg(a)<br />

c. lg(x) = − 1 2 lg(a+b)<br />

d. lg(x) = 1 n lg(√ 1+a)<br />

e. lg(x) = 1 2 lg(a+b)− 1 2 lg(b+c)− 1 2 lg(c+a)<br />

f. lg(x) = lg(a)+ 1 (<br />

a lg(a)+<br />

1<br />

a lg(a))<br />

Aufgabe 4.8.6. Zeichnen Sie den Graf der Logarithmusfunktion f(x) = log a (x) für die<br />

Basen a = 1 2<br />

, 2, e und 10.<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.8.2.<br />

a. −3<br />

b.<br />

2<br />

3<br />

Lösung 4.8.3.<br />

a. 6.21<br />

c. −2<br />

d. − 3 4<br />

c. −3.78<br />

b. 6.02<br />

Lösung 4.8.4.<br />

a. 3log a (u)+ 1 2 log a(u+v)−1 f. lg(a)+ 1 n lg(a)+ 1 lg(a)<br />

n 2<br />

b. 4+log a (a 3 (<br />

−1)−log a (b)<br />

u<br />

2<br />

)<br />

√ 1<br />

g. log a u<br />

c. 6+log 2 (u)+ 1 2 log v<br />

2(v)−log 2 (w)<br />

v log a (b)<br />

1<br />

d.<br />

3 lg(2)+ 2 3 lg(u)+ 5 3 lg(v)<br />

h. −2<br />

( )<br />

1<br />

e.<br />

2 lg(a)+ 1 4 lg(b) i. log a x 1+ b<br />

log a (2) − a<br />

log a (b)<br />

Lösung 4.8.5.<br />

3√<br />

a 2 4√ b<br />

a. x = 5√ 3<br />

d. x = 2n√ 1+a<br />

c<br />

4<br />

√<br />

a+b<br />

b. x = 3√ 1<br />

e. x = √ √ b+c c+a<br />

a 2<br />

f. x = a 1+1 a + 1<br />

a 2<br />

1<br />

c. x = √<br />

a+b


80 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Lösung 4.8.6. Vgl. Abbildung 4.8.iii.<br />

y<br />

a = 2<br />

a = e<br />

1<br />

a = 10<br />

x<br />

a = 1 2<br />

Abbildung 4.8.iii: Der Graf y = log a (x)<br />

4.9 Ableitung der Logarithmusfunktionen<br />

Es sei a eine positive reelle Zahl mit a ≠ 1. Das Ziel dieses Kapitels ist es, die Ableitung der<br />

Logarithmusfunktionf(x) = log a (x)zuberechnen.WirbeginnenmitdemFall dernatürlichen<br />

Logarithmusfunktiong(x) = ln(x).DerentsprechenderDifferenzenquotient lässtsichmitHilfe<br />

der Logarithmengesetze wie folgt ausdrücken:<br />

∆y<br />

∆x = ln(x+∆x)−ln(x) = 1 ( x+∆x<br />

∆x ∆x ln x<br />

lim<br />

n→∞<br />

)<br />

= 1 x<br />

Laut der Definition der Zahl e (vgl. Aufgabe 3.1.5) gilt<br />

(<br />

1+<br />

n) 1 n<br />

= e,<br />

woraus folgt<br />

g ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim 1<br />

∆x→0<br />

= 1 (<br />

x ln lim<br />

Damit erhalten wir die folgende Formel:<br />

( (<br />

x ln 1+ 1 x<br />

∆x<br />

(<br />

1+ 1 ) n )<br />

= 1<br />

n→∞ n x ln(e) = 1 x .<br />

(<br />

x<br />

∆x ln 1+ ∆x )<br />

= 1 (<br />

x x ln 1+ 1 ) x<br />

∆x<br />

x .<br />

∆x<br />

) x<br />

) (<br />

∆x<br />

= 1 x ln<br />

lim<br />

∆x→0<br />

(<br />

1+ 1 ) x<br />

)<br />

∆x<br />

x<br />

∆x<br />

(ln(x)) ′ = 1 x


4.10. Differenzial einer Funktion 81<br />

Daraus können wir mit Hilfe von Satz 4.8.3 die Ableitung der allgemeinen Logarithmusfunktion<br />

f(x) = log a (x) wie folgt herleiten:<br />

Aufgaben<br />

f ′ (x) =<br />

( ) ln(x) ′<br />

= (ln(x))′<br />

ln(a) ln(a)<br />

Aufgabe 4.9.1. Leiten Sie folgende Funktionen ab.<br />

a. f(x) = xln(x)<br />

b. g(x) = ln(x)<br />

x<br />

=<br />

1<br />

xln(a) .<br />

Aufgabe 4.9.2. Es sei a eine positive reelle Zahl mit a ≠ 1. Bestimmen Sie den Winkel<br />

zwischen den Tangenten der Kurve y = log a (x) und y = log 1(x) an der Stelle x = 1.<br />

a<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.9.1.<br />

a. f ′ (x) = ln(x)+1<br />

b. g ′ (x) = 1 x 2 − ln(x)<br />

x 2<br />

Lösung 4.9.2. arctan<br />

( ) 2ln(a)<br />

1−ln 2 (a)<br />

4.10 Differenzial einer Funktion<br />

Wir betrachten auf dem Graf einer differenzierbaren Funktion f einen beliebigen Punkt<br />

P(x,y). Eine Änderung des Abszissenwertes um ∆x zieht eine Änderung des Funktionswertes<br />

um ∆y nach sich und wir gelangen zum Punkt Q(x+∆x,y +∆y). Da beide Punkte P und<br />

Q auf der Kurve der Funktion liegen, gilt y = f(x) und y +∆y = f(x+∆x). Somit gilt<br />

∆y = f(x+∆x)−f(x).<br />

Die entsprechenden Koordinatenänderungen auf der in P errichteten Kurventangente werden<br />

statt ∆x und ∆y durch dx und dy bezeichnet. Anders gesagt ist dy die Änderung des Ordinatenwertes,<br />

wenn wir von P aus längs der dortigen Tangente um eine gewisse Distanz dx<br />

fortschreiten. Dabei wird der Punkt Q ′ (x+dx,y +dy) erreicht, der zwar auf der Tangente,<br />

jedoch nicht (unbedingt) auf der Kurve liegt. Da die Tangentensteigung f ′ (x) ist, gilt<br />

dy = f ′ (x)dx.<br />

(4.10.a)<br />

Wir nennen dx das unabhängige Differenzial und dy das abhängige Differenzial der<br />

Funktion f.<br />

Beispiel 4.10.1.<br />

• Für f(x) = x 2 gilt dy = 2xdx.


82 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

y<br />

y<br />

y + dy<br />

Q ′<br />

•<br />

y + ∆y<br />

y<br />

P<br />

•<br />

∆x<br />

Q<br />

•<br />

∆y<br />

y<br />

P<br />

•<br />

dx<br />

dy<br />

x<br />

x + ∆x<br />

x x x + dx<br />

x<br />

Abbildung 4.10.i: Zum Begriff des Differenzials einer Funktion<br />

• Für f(x) = sin(x) gilt dy = cos(x)dx.<br />

• Für f(x) = x gilt dy = 1·dx = dx.<br />

• Für f(x) = c, wobei c eine konstante reelle Zahl ist, gilt dy = 0·dx = 0.<br />

Aus der Bezeichnung (4.10.a) ziehen wir den Schluss, dass die Ableitung einer Funktion als<br />

Quotient zweier Differenziale aufgefasst werden darf:<br />

f ′ (x) = dy<br />

dx = lim ∆y<br />

∆x→0 ∆x .<br />

In diesem Skriptum verwenden wir meistens die alternative Notation df<br />

dx<br />

. Um klar zu machen,<br />

dass die Ableitung an der Stelle x gemeint ist, schreiben wir 7 df<br />

dx (x).<br />

Aus der differenziellen Schreibweise für die Ableitung geht klar hervor, nach welcher Variable<br />

differenziert werden soll. Zum Beispiel, gilt für die Funktion s(t) = g 2 t2 +v 0 t+s 0<br />

ds<br />

dt (t) = gt+v 0.<br />

Dieser Funktion werden wir noch einmal im Kapitel 5.1 begegnen.<br />

Beispiel 4.10.2. Der Pizzaiolo einer Pizzeria hat beschlossen seine Pizzas vom Radius<br />

r = 10cm um 1cm zu vergrössern. Dazu will er eine kleine Überschlagsrechnung machen,<br />

um herauszufinden um wie viel die Fläche zunimmt. Der Flächeninhalt in Abhängigkeit des<br />

Radius wird durch die Funktion A(r) = πr 2 beschrieben. Dementsprechen vergrössert sich<br />

der Flächeninhalt um<br />

∆A = π(r +∆r) 2 −πr 2 = π(2r∆r+(∆r) 2 ) = π(2·10cm·1cm+(1cm) 2 ) = 21πcm 2 .<br />

Anstelle dieser relativ aufwändigen Rechnung verwendet der clevere Pizzaiolo das Differenzial<br />

von A. Er erhält eine approximative Vergrösserung des Flächeninhalts von<br />

dA = 2πrdr = 2π ·10cm·1cm = 20πcm 2 .<br />

Der Fehler ∆A−dA = πcm 2 , der dadurch entstand, heisst Linearisierungsfehler, weil die<br />

Funktion A an der Stelle r = 10cm mit der Tangente approximiert wurde. Wir werden in der<br />

Datenanalyse diesen Sachverhalt bei der Fehlerrechnung genauer untersuchen.<br />

7 In der Literatur finden sich auch die Schreibweisen df(x)<br />

dx<br />

und d<br />

dx f(x).


4.11. Ableitung von verknüpften Funktionen – Die Kettenregel 83<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.10.1. Berechnen Sie das Differenzial dy der folgenden Funktionen.<br />

a. f(x) = 4x 3 −2x 2 +1<br />

b. f(x) = tan(x)<br />

c. f(x) = x −2<br />

d. f(x) = x−5<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.10.1.<br />

a. dy = (12x 2 −4x)dx<br />

b. dy = (1+tan 2 (x))dx<br />

c. dy = −2x −3 dx<br />

d. dy = dx<br />

4.11 Ableitungvon verknüpften Funktionen–Die Kettenregel<br />

DieFunktionf(x) = sin(2x) desBeispieles 4.7.2 konntenwirnurableiten, indemwirsiezuerst<br />

mit Hilfe des Additionstheorems für Sinus umschrieben. Diese Strategie war durchaus erfolgreich<br />

aber gleichwohl relativ aufwändig. In diesem Kapitel führen wir eine Methode ein, die<br />

uns erlaubt, solche zusammengesetzte Funktionen direkt abzuleiten. Als Beispiel betrachten<br />

wir die Funktion<br />

f(x) = cos(2x−1),<br />

die wir zwar mit den bisherigen Regeln ableiten könnten, aber nur mit grosser Geduld 8 .<br />

Um den Funktionswert y = f(x) an einer gewissen Stelle x auszurechnen, müssen wir zuerst<br />

den Wert u = 2x−1 ermitteln und danach den Wert y = cos(u). Setzen wir h(x) = 2x −1<br />

und g(u) = cos(u), so können wir die Funktion f wie folgt neu schreiben 9 :<br />

f(x) = g(h(x)) = (g ◦h)(x).<br />

An diesem Punkt gehen wir zum allgemeinen Fall über, das heisst, wir betrachten gleichzeitig<br />

alle Funktionen der Form f(x) = (g ◦h)(x), wobei g und h differenzierbare Funktionen sind.<br />

Für jeden Punkt x des Definitionsbereiches X f schreiben wir u = h(x) und y = g(u) =<br />

g(h(x)) = f(x). Die Situation wird in Abbildung 4.11.i dargestellt.<br />

Es gibt jetzt drei Variablen im Spiel: x, u und y. Dementsprechend können wir drei verschiedene<br />

Differenzenquotienten bilden:<br />

∆y<br />

∆u = g(u+∆u)−g(u) ,<br />

∆u<br />

∆u<br />

∆x = h(x+∆x)−h(x)<br />

∆x<br />

und<br />

∆y<br />

∆x = f(x+∆x)−f(x) .<br />

∆x<br />

Esistderletzte, derunsfürdieAbleitungvonf interessiert. UmseinenGrenzwertfür∆x → 0<br />

zu berechnen, schreiben wir ihn als Produkt der zwei ersten Differenzenquotienten:<br />

f ′ ∆y<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = lim ∆y<br />

∆x→0 ∆u · ∆u<br />

∆x = lim g(u+∆u)−g(u)<br />

· h(x+∆x)−h(x)<br />

∆x→0 ∆u ∆x<br />

8 Versuchen Sie es doch!<br />

9 Dabei bedeutet das Symbol g ◦h die Verknüpfung der Funktion h mit g (zuerst h dann g).


84 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

h<br />

g<br />

•<br />

x<br />

•<br />

u = h(x)<br />

•<br />

y = g(u)<br />

f<br />

Abbildung 4.11.i: Die zusammengeschachtelte Funktion f = g ◦h<br />

Bevor wir weiter fahren können, brauchen wir die folgende Bemerkung: Da h eine differenzierbare<br />

Funktion ist, ist sie auch stetig (vgl. Satz 4.1.1), und somit gilt<br />

lim ∆u = lim h(x+∆x)−h(x) = h(x)−h(x) = 0.<br />

∆x→0 ∆x→0<br />

Anders gesagt, wenn wir ∆x gegen 0 streben lassen, strebt auch ∆u gegen 0. Jetzt sind wir<br />

in der Lage, die Berechnung von f ′ (x) zu vervollständigen:<br />

f ′ g(u+∆u)−g(u)<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆u<br />

= lim<br />

∆u→0<br />

g(u+∆u)−g(u)<br />

∆u<br />

· h(x+∆x)−h(x)<br />

∆x<br />

· lim<br />

∆x→0<br />

Damit erhalten wir die so genannte Kettenregel:<br />

h(x+∆x)−h(x)<br />

∆x<br />

= g ′ (u)h ′ (x) = g ′ (h(x))h ′ (x).<br />

(g ◦h) ′ (x) = (g(h(x))) ′ = g ′ (h(x))h ′ (x)<br />

Beispiel 4.11.1. Jetzt können wir zu unserem ursprünglichen Beispiel zurück kehren: Es sei<br />

f(x) = cos(2x−1) = (g◦h)(x), wobei h(x) = 2x−1 und g(u) = cos(u). Die Ableitungen der<br />

Hilfsfunktionen h und g sind h ′ (x) = 2 und g ′ (u) = −sin(u). Somit gilt laut Kettenregel<br />

f ′ (x) = g ′ (h(x))h ′ (x) = −sin(2x−1)·2 = −2sin(2x−1).<br />

Die Kettenregel wird oft mit der differenziellen Schreibweise dargestellt. Durch das Setzen<br />

der Variablen u = h(x) und y = f(x) = g(u) und können wir die Ableitungen von f, g und<br />

h wie folgt schreiben:<br />

f ′ (x) = dy<br />

dx (x),<br />

Somit lautet die Kettenregel<br />

oder, kürzer ausgedrückt:<br />

g′ (u) = dy<br />

du (u) und h′ (x) = du<br />

dx (x)<br />

dy dy<br />

(x) =<br />

dx du (u)du dx (x),<br />

dy<br />

dx = dy<br />

du · du<br />

dx<br />

(4.11.a)


4.11. Ableitung von verknüpften Funktionen – Die Kettenregel 85<br />

Beispiel 4.11.2. Hier probieren wir die neue Form der Kettenregel auf die Funktion f(x) =<br />

cos(2x−1) des Beispieles 4.11.1 aus. Wie vorher setzen wir u = 2x−1 und y = f(x) = cos(u).<br />

Dann gilt<br />

f ′ (x) = dy<br />

dx = dy<br />

du · du = −sin(u)·2 = −2sin(2x−1).<br />

dx<br />

Beispiel 4.11.3. Es sei die Funktion f(x) = (3x+1) 8 gegeben. Hier könnten wir zwar mit<br />

Hilfe des binomischen Satzes die Klammer zuerst ausmultiplizieren, und dann jeden Summanden<br />

einzeln ableiten, oder stattdessen die Produktregel mehrmals anwenden, aber beide<br />

Strategien sind sehr aufwändig. Die Kettenregel bietet uns einen wesentlich schnelleren Weg<br />

an. Wir setzen u = 3x+1 und y = f(x) = u 8 . Laut der Formel (4.11.a) ist dann<br />

f ′ (x) = dy<br />

dx = dy<br />

du · du<br />

dx = 8u7 ·3 = 24(3x+1) 7 .<br />

Beispiel 4.11.4. Die Kettenregel können wir auch für die Ableitung von Funktionen anwenden,<br />

die aus mehreren zusammengesetzten Funktionen bestehen. Zum Beispiel betrachten<br />

wir die Funktion f(x) = ln(tan( x 2 )). In einem ersten Schritt setzen wir u = x 2 und<br />

y = f(x) = ln(tan(u)). Um die Kettenregel (4.11.a) zu verwenden, müssen wir die Ableitung<br />

dy<br />

du<br />

kennen, was eine weitere Substitution verlangt. Wir setzen also v = tan(u), woraus<br />

y = ln(v) folgt, und erhalten<br />

Somit gilt<br />

dy<br />

du = dy<br />

dv · dv<br />

du = 1 v ·<br />

1<br />

cos 2 (u) = 1<br />

tan(u) ·<br />

1<br />

cos 2 (u) = 1<br />

sin(u)cos(u) .<br />

f ′ (x) = dy<br />

dx = dy<br />

du · du<br />

dx = 1<br />

sin(u)cos(u) · 1<br />

2 = 1<br />

sin(2u) = 1<br />

sin(x) .<br />

Beispiel 4.11.5. Mit der Ergänzung der Kettenregel zu unserem Ableitungsrepetoire sind<br />

wir endlich in der Lage, Potenzfunktionen der Form f(x) = x α abzuleiten, wobei α eine<br />

rationale Zahl ist. Wir setzen y = f(x) und schreiben α = m n<br />

, wobei m und n ganze Zahlen<br />

sind mit n > 0. Dann gilt<br />

y n = (x m n) n = x m .<br />

(4.11.b)<br />

Wir möchten die linke und rechte Seite dieser Formel nach x ableiten. Für den Term y n<br />

nehmen wir die Kettenregel zur Hilfe: Wir setzen u = y n , und erhalten<br />

du<br />

dx = du<br />

dy · dy<br />

dx = nyn−1 · dy<br />

dx .<br />

Somit lautet die Ableitung der Gleichung (4.11.b)<br />

das heisst<br />

dy<br />

dx = mxm−1<br />

ny<br />

ny n−1 · dy<br />

dx = mxm−1 ,<br />

n(x m n) = mxm−1−m+ 1 n<br />

n−1 n<br />

n−1<br />

=<br />

mxm−1<br />

Diese Formel verdient auch einen Rahmen:<br />

= αx α−1 .<br />

(x α ) ′ = αx α−1 für alle α ∈ Q (4.11.c)


86 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.11.1. Wenden Sie die Kettenregel an, um die folgenden Funktionen abzuleiten.<br />

a. f(x) = (2x 2 −1) 10<br />

c. f(t) = sin(2t)<br />

b. f(x) = (x 3 −2x)(1−x 3 ) 5<br />

d. f(α) = cot(1−2α)<br />

Aufgabe 4.11.2. Leiten Siemit Hilfe der Formel (4.11.c) diefolgenden Funktionen ab, wobei<br />

a und b konstante reelle Zahlen sind.<br />

a. f(x) = 3√ x 2<br />

b. f(u) = 6u 4 3 −2u −1 3 −10u 2 5<br />

c. f(t) = t √ t<br />

d. f(x) = x 2 4√ x 3<br />

e. f(x) = a−x √<br />

bx<br />

f. f(u) = 1−u<br />

u+ √ u<br />

g. f(x) = ( √ x−x)(1+ √ x)<br />

h. f(t) = (t−1) √ t<br />

i. f(ξ) = 3ξ2 −a<br />

√ ξ<br />

j. f(x) = 4x−1<br />

3√ x<br />

(3x 2 −1)<br />

k. f(x) = 1<br />

3√ x<br />

(1+ 4√ x)<br />

l. f(x) =<br />

m. f(x) = a−√ x<br />

a+ √ x<br />

n. f(z) = 2a<br />

a+ √ z<br />

√ x−1<br />

2x 2 (1+ √ x) 2<br />

Aufgabe 4.11.3. Leiten Sie folgende Funktionen ab.<br />

a. f(x) = √ 1−x<br />

2x<br />

b. f(x) = (1− √ g. f(x) =<br />

1+x 2 ) 6<br />

1− √ x 2 −1<br />

c. f(z) = √ 1+ √ h. f(s) = sin( √ 1−2s)<br />

z<br />

( ) 1<br />

i. f(x) = 1+√ 1+x<br />

d. f(x) = cos<br />

1−x<br />

1−x<br />

e. f(t) = √ x 2 −1<br />

j. f(x) =<br />

tan(t)<br />

x+ √ x 2 −1<br />

√ √ 1−x<br />

2x<br />

f. f(x) = √ k. f(x) = 3<br />

1+x x−1


4.11. Ableitung von verknüpften Funktionen – Die Kettenregel 87<br />

Aufgabe 4.11.4. Leiten Sie folgende Funktionen ab, wobei a und b positive reelle Zahlen<br />

sind mit a ≠ 1 und b ≠ 1.<br />

a. f(T) = √ −ln(sin(T))<br />

b. f(u) = lg(u n )<br />

(√ ) 1+t<br />

c. f(t) = ln √ 1−t<br />

d. f(x) = log a (x 3 )log b ( 1 x )<br />

e. f(x) = ln(x+ √ 1+x 2 )<br />

g. f(x) = ln(ln(x))<br />

h. f(x) = ln(ln(tan(2x)))<br />

i. f(u) = (ln(u)) 4<br />

j. f(x) = ln<br />

( ( x<br />

tan<br />

2 + π 4))<br />

k. f(x) = ln(sin(x))+ 1 2 cot2 (x)<br />

f. f(τ) = ln(τ cos(τ))<br />

Aufgabe 4.11.5. Leiten Sie folgende Funktionen ab, wobei a ∈ R, b ∈ R und k ∈ Z.<br />

( )<br />

( )<br />

t+a<br />

1−cos(kx)<br />

a. f(t) = ln<br />

d. f(x) = ln<br />

t+b<br />

1+cos(kx)<br />

( )<br />

( )<br />

a+x<br />

1+sin(γ)<br />

b. f(x) = ln<br />

e. g(γ) = ln<br />

a−x<br />

1−sin(γ)<br />

(√ )<br />

x 2 +1−1<br />

c. f(x) = ln<br />

√<br />

x 2 +1+1<br />

Aufgabe 4.11.6. Welchen Wert hat die Ableitung der Funktion f an der Stelle x 0 , und<br />

welchen Winkel bildet dort die Kurventangente mit der x-Achse?<br />

a. f(x) = 1−√ x<br />

, x 0 = 4 b. f(x) = √ x+ √ 1 , x 0 = 0.25<br />

x<br />

x<br />

Aufgabe 4.11.7. Wo und unter welchen Winkeln schneiden sich die Kurven y = x 3 und<br />

y = √ x?<br />

Aufgabe 4.11.8. Untersuchen Sie die Funktion f(u) = |u| √ |u| auf Differenzierbarkeit.<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.11.1.<br />

a. f ′ (x) = 40x(2x 2 −1) 9<br />

b. f ′ (x) = (3x 2 −2)(1−x 3 ) 5 −15x 2 (x 3 −2x)(1−x 3 ) 4<br />

c. f ′ (t) = 2cos(2t)<br />

d. f ′ (α) =<br />

2<br />

sin 2 (1−2α)


88 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Lösung 4.11.2.<br />

a. f ′ (x) = 2<br />

3 3√ x<br />

b. f ′ (u) = 8u 1 3 + 2 3 u−4 3 −4u −3 5<br />

c. f ′ (t) = 3 2√<br />

t<br />

d. f ′ (x) = 11<br />

4<br />

4√<br />

x<br />

7<br />

e. f ′ (x) = − a<br />

2 √ bx 3 − 1<br />

2 √ bx<br />

f. f ′ (u) = − 1<br />

2 √ u 3<br />

g. f ′ (x) = 1<br />

2 √ x − 3√ x<br />

2<br />

h. f ′ (t) = √ t+ t−1<br />

2 √ t<br />

i. f ′ (ξ) = 6 √ ξ − 3ξ2 −a<br />

2 √ ξ 3<br />

j. f ′ (x) = 8x+1<br />

3 3√ x 4 (3x2 −1)+6 3√ x 2 (4x−1)<br />

k. f ′ (x) = − 4+ 4√ x<br />

12 3√ x 4<br />

l. f ′ (x) = −3√ x+4<br />

4x 3<br />

m. f ′ (x) =<br />

n. f ′ (z) =<br />

−a<br />

√ x(a+<br />

√ x) 2<br />

−a<br />

√ z(a+<br />

√ z) 2<br />

(1+ √ x) 2 + x−1<br />

2 √ x 5<br />

Lösung 4.11.3.<br />

a. f ′ −1<br />

(x) =<br />

2 √ 1−x<br />

g. f ′ 2 √ x<br />

(x) =<br />

2 −1+2<br />

√<br />

x 2 −1(1− √ x 2 −1) 2<br />

b. f ′ (x) = −6x(1−√ 1+x 2 ) 5<br />

√<br />

1+x 2 h. f ′ (s) = −cos(√ 1−2s)<br />

√ 1−2s<br />

c. f ′ 1<br />

(z) = √<br />

4 z + √ z 3 i. f ′ (x) = 3+x+2√ 1+x<br />

2(1−x) 2√ 1+x<br />

)<br />

−sin(<br />

1<br />

d. f ′ 1−x<br />

j. f ′ (x) = 3x 2 −3x √ x 2 −1−1<br />

(x) =<br />

(1−x) 2<br />

k. f ′ −2<br />

(x) =<br />

e. f ′ 1<br />

(t) =<br />

2cos 2 (t) √ 3(x−1) 3√ 4x 2 (x−1)<br />

tan(t)<br />

f. f ′ −1<br />

(x) =<br />

(1+x) √ 1−x 2


4.12. Ableitung impliziter Funktionen 89<br />

Lösung 4.11.4.<br />

a. f ′ −cot(T)<br />

(T) =<br />

2 √ g. f ′ 1<br />

(x) =<br />

−ln(sin(T))<br />

xln(x)<br />

b. f ′ n<br />

(u) =<br />

h. f ′ 4<br />

(x) =<br />

uln(10)<br />

sin(4x)ln(tan(2x))<br />

c. f ′ (t) = 1<br />

1−t 2<br />

i. f ′ (u) = 4(ln(u))3<br />

u<br />

d. f ′ −6<br />

(x) =<br />

ln(a)ln(b) · ln(x) j. f ′ (x) = 1<br />

x<br />

cos(x)<br />

e. f ′ 1<br />

k. f<br />

(x) = √ ′ (x) = −cot 3 (x)<br />

1+x 2<br />

f. f ′ (τ) = 1 τ −tan(τ)<br />

Lösung 4.11.5.<br />

a. f ′ (t) =<br />

b−a<br />

(t+a)(t+b)<br />

b. f ′ (x) = 2a<br />

a 2 −x 2<br />

c. f ′ 2<br />

(x) =<br />

x √ x 2 +1<br />

d. f ′ (x) = 2k<br />

sin(kx)<br />

e. g ′ (γ) = 2<br />

cos(γ)<br />

Lösung 4.11.6.<br />

a. 0 und 0 ◦ b. −3 und 108.43 ◦<br />

Lösung 4.11.7. Im Punkt P(0,0) unter 90 ◦ und im Punkt P(1,1) unter 45 ◦ .<br />

Lösung 4.11.8. Überall differenzierbar.<br />

4.12 Ableitung impliziter Funktionen<br />

Bis jetzt haben wir uns immer mit Kurven beschäftigt, die in der Form y = f(x) gegeben<br />

wurden. In diesem Kapitel wenden wir uns an Kurven von so genannten impliziten Funktionen,<br />

die durch eine Gleichung in zwei Variablen dargestellt werden. Ein nahe liegendes<br />

Beispiel ist der Einheitskreis, der durch die Gleichung x 2 +y 2 = 1 beschrieben wird. In diesem<br />

Fall können wir die Gleichung nach y auflösen, aber für andere implizite Funktionen ist dies<br />

nicht möglich, wie zum Beispiel für die Kurve, die durch die Gleichung yx+cos(x +y) = 0<br />

dargestellt wird. Stehen wir vor dem Problem, die Ableitung y ′ zu bilden, so müssen wir<br />

eine neue Strategie entwickeln. Die Antwort besteht darin, die implizite Funktionsgleichung<br />

gliedweise nach x zu differenzieren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Variable y<br />

eine von x abhängige Grösse darstellt.


90 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Beispiel 4.12.1. Wir beginnen mit der Gleichung des Kreises x 2 +y 2 = 1. Laut den obigen<br />

Instruktionen müssen wir jeden Term der Funktionsgleichung einzeln nach x differenzieren.<br />

Die Terme x 2 und 1 sind einfach abzuleiten, dagegen verlangt der Term y 2 einen grösseren<br />

Aufwand. Wir setzen u = y 2 und leiten mit Hilfe der Kettenregel nach x ab:<br />

du<br />

dx = du<br />

dy · dy<br />

dx = 2y ·y′ .<br />

Die abgeleitete Funktionsgleichung lautet dann 2x+2yy ′ = 0, das heisst<br />

y ′ = − x y .<br />

DieSteigungderTangenteandenKreisimPunktP(x, √ 1−x 2 ),bzw.imPunktP(x,− √ 1−x 2 ),<br />

−x<br />

lässt sich somit als √ , bzw. √ x<br />

, bestimmen.<br />

1−x 2 1−x 2<br />

Beispiel 4.12.2. Gegeben sei die Funktionsgleichung cos(x) + sin(y) = 0. Wir setzen u =<br />

sin(y) und leiten nach x ab:<br />

du<br />

dx = du<br />

dy · dy<br />

dx = cos(y)·y′ .<br />

Damit erhalten wir die abgeleitete Gleichung −sin(x)+cos(y)y ′ = 0, woraus folgt<br />

Aufgaben<br />

y ′ = sin(x)<br />

cos(y) .<br />

Aufgabe 4.12.1. Bilden Sie die Ableitung y ′ der folgenden impliziten Funktionen, wobei<br />

a ∈ R und n ∈ N.<br />

a. x 3 +xy 2 −y = 0<br />

e. (x 2 +y 2 ) 2 −2ax(x 2 +y 2 ) = a 2 y 2<br />

b. y −xsin(y) = 0<br />

c. y 2 = x 2 a+x<br />

a−x<br />

d. x 3 +y 3 = 3axy<br />

f.<br />

3√<br />

x 2 + 3√ y 2 = 3√ a 2<br />

g. y 4 =<br />

( ) x+1 3<br />

x−1<br />

h. x n +y n = 1<br />

Aufgabe 4.12.2. Ermitteln Sie den Anstieg der Kurve mit den folgenden Gleichungen im<br />

Punkte P 0 (x 0 ,y 0 ), wobei p, a und b konstante reelle Zahlen sind, und stellen Sie die Gleichung<br />

der Tangente auf, die die Kurve in P 0 berührt.<br />

a. y 2 = 2px<br />

b.<br />

x 2<br />

a 2 − y2<br />

b 2 = 1<br />

Aufgabe 4.12.3. Leiten Sie die Quotientenregel her, indem Sie die Funktionsgleichung<br />

in der Form f(x)v(x) = u(x) differenzieren.<br />

f(x) = u(x)<br />

v(x)<br />

Aufgabe 4.12.4. Ermitteln Sie für die Kurve mit der Gleichung (x−6) 2 +(y−8) 2 −100 = 0<br />

den Anstieg der Tangente an der Stelle x = −2.


4.12. Ableitung impliziter Funktionen 91<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.12.1.<br />

a. y ′ = 3x2 +y 2<br />

e. y ′ = (x2 +y 2 )(2x−a)−2ax 2<br />

1−2xy<br />

y(a 2 +2ax)−2y(x 2 +y 2 )<br />

√<br />

b. y ′ sin(y)<br />

y<br />

=<br />

f. y<br />

1−xcos(y)<br />

′ = − 3 x<br />

c. y ′ = x(a2 −x 2 )+ax 2<br />

y(a−x) 2<br />

g. y ′ = −3(x+1)2<br />

2y 3 (x−1) 4<br />

d. y ′ = x2 −ay<br />

ax−y 2 h. y ′ = − xn−1<br />

y n−1<br />

Die Kurven, die durch die in Aufgabe 4.12.1 gegebenen Gleichungen beschrieben sind, werden<br />

in Abbildungen 4.12.i bis 4.12.iv dargestellt.<br />

Abbildung 4.12.i: Die Kurven x 3 +xy 2 −y = 0 (links) und y −xsin(y) = 0 (rechts)<br />

Abbildung4.12.ii: Die Strophoide y 2 = x 2a+x<br />

a−x (links) und das Kartesische Blatt x3 +y 3 =<br />

3axy (rechts)<br />

Lösung 4.12.2.<br />

a.<br />

p<br />

y 0<br />

und yy 0 = p(x+x 0 ) b.<br />

b 2 x 0<br />

a 2 y 0<br />

und xx 0<br />

a 2 − yy 0<br />

b 2 = 1


92 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Abbildung 4.12.iii: Die Kardioide oder die Herzkurve (x 2 + y 2 ) 2 − 2ax(x 2 + y 2 ) = a 2 y 2<br />

(links) und die Asteroide oder die Sternkurve 3√ x 2 + 3√ y 2 = 3√ a 2 (rechts)<br />

Abbildung 4.12.iv: Die Kurven y 4 =<br />

(<br />

x+1<br />

x−1) 3<br />

(links) und x n +y n = 1, wobei n = 2, 4 und 40<br />

(rechts).<br />

Lösung 4.12.3. DieAbleitungderlinkenSeitef(x)v(x)istnachderProduktregelf ′ (x)v(x)+<br />

f(x)v ′ (x). Die Ableitung der rechten Seite ist u ′ (x). Somit gilt<br />

das heisst,<br />

f ′ (x)v(x)+f(x)v ′ (x) = u ′ (x),<br />

f ′ (x) = u′ (x)−f(x)v ′ (x)<br />

v(x)<br />

= u′ (x)− u(x)<br />

v(x) v′ (x)<br />

= u′ (x)v(x)−u(x)v ′ (x)<br />

v(x) (v(x)) 2 .<br />

Lösung 4.12.4. 53.13 ◦<br />

4.13 Differenzieren nach Logarithmieren<br />

Die letzte Ableitungsregel erlaubt das Differenzieren von Exponentialfunktionen aller Art. Sie<br />

besteht aus zwei Schritten: Zuerst Logarithmieren, dann Differenzieren.<br />

Beispiel 4.13.1. Um die Funktion f(x) = a x abzuleiten, setzen wir y = f(x) und logarithmieren<br />

beide Seiten wie folgt:<br />

ln(y) = xln(a).


4.13. Differenzieren nach Logarithmieren 93<br />

Diese Gleichung können wir implizit ableiten. Wir erhalten<br />

1<br />

y y′ = ln(a),<br />

das heisst, y ′ = yln(a) = a x ln(a). Anders gesagt:<br />

Insbesondere, wenn a = e, ist<br />

(a x ) ′ = a x ln(a)<br />

(e x ) ′ = e x<br />

Die Exponentialfunktion mit der Basis e ist also gleich ihrer Ableitung. Abgesehen von einem<br />

konstanten Faktor ist sie, wie wir später zeigen werden, die einzige Funktion mit dieser<br />

Eigenschaft.<br />

Beispiel 4.13.2. Um die Funktion f(x) = x x abzuleiten, setzen wir y = f(x) und logarithmieren<br />

beide Seiten wie folgt:<br />

ln(y) = xln(x).<br />

Jetzt leiten wir implizit ab und erhalten<br />

1<br />

y y′ = 1·ln(x)+x 1 x = ln(x)+1,<br />

woraus folgt, dass y ′ = y(ln(x)+1) = x x (ln(x)+1).<br />

Beispiel 4.13.3. Wir betrachten die Funktion f(x) = x ln(sin(x)) . Wie vorher, setzen wir<br />

y = f(x) und logarithmieren beide Seiten der Funktionsgleichung. Somit erhalten wir<br />

ln(y) = ln(sin(x))ln(x).<br />

Wir leiten mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel ab:<br />

( )<br />

1 1<br />

y y′ =<br />

sin(x) ·cos(x) ln(x)+ln(sin(x)) 1 x<br />

Somit gilt<br />

(<br />

y ′ = x ln(sin(x)) cot(x)ln(x)+ ln(sin(x)) )<br />

.<br />

x<br />

ln(sin(x))<br />

= cot(x)ln(x)+ .<br />

x<br />

Beispiel 4.13.4. Bevor wir zu den Übungen übergehen, führenwir ein letztes Beispiel durch.<br />

Es handelt sich um die Potenzfunktion f(x) = x α , wobei α eine beliebige reelle Zahl ist. (Vgl.<br />

Beispiel 4.6.1, wobei α ∈ Z, und Beispiel 4.11.5, wobei α ∈ Q.) Wir setzen y = f(x) und<br />

logarithmieren beide Seiten der daraus entstehenden Gleichung wie folgt:<br />

ln(y) = αln(x).<br />

Wie Sie es schon längstens wissen, kommt jetzt eine implizite Ableitung. Wir erhalten<br />

1<br />

y y′ = α 1 x ,<br />

das heisst,<br />

y ′ = αy<br />

x = αxα−1 .<br />

Somit haben wir bewiesen, dass die Potenzfunktion für beliebige reelle Exponenten immer<br />

nach der gleichen Regel differenziert wird:<br />

(x α ) ′ = αx α−1 für alle α ∈ R


94 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.13.1. Leiten Sie folgende Funktionen ab, ohne zuerst zu logarithmieren. Dabei<br />

sind a ∈ R und ω ∈ R mit a > 0.<br />

a. f(x) = 2 x<br />

b. f(x) = x 2 e x<br />

c. f(t) = sin(t)<br />

e t<br />

d. f(x) = a x x a<br />

e. f(t) = e √ t<br />

f. f(x) = e cos(x)<br />

g. f(x) = e ln(x)<br />

h. f(u) = e u cos(u)<br />

i. f(t) = et −e −t<br />

2<br />

j. f(t) = et −e −t<br />

e t +e −t<br />

k. f(x) = √ 1−e 2x<br />

l. f(t) = e sin(ωt)<br />

m. f(z) = √ 1+a z<br />

n. f(x) = 2 x e x<br />

o. f(u) = ln(e 2u−1 )<br />

p. f(x) = 2ex<br />

e x +e −x<br />

q. f(x) = e − 1<br />

x 2<br />

r. f(x) =<br />

1<br />

2−e 1<br />

1−x<br />

Aufgabe 4.13.2. Leiten Sie die folgende Funktionen ab, in dem Sie die Funktionsgleichung<br />

zuerst logarithmieren.<br />

(<br />

c. f(x) = 1+ 1 ) x<br />

x<br />

f. f(x) = x xcos(x)<br />

a. f(x) = x sin(x)<br />

d. f(x) = x√ x<br />

b. f(x) = sin(x)x cos(x)<br />

e. f(x) = x 1−cos(x)<br />

Aufgabe 4.13.3. Bilden Sie die Ableitung y ′ , in dem Sie die implizit dargestellte Funktionsgleichung<br />

zuerst logarithmieren.<br />

a. y x = 2e x b. y x = x y<br />

Aufgabe 4.13.4. Leiten Sie die Quotientenregel her, in dem Sie die Gleichung<br />

f(x) = u(x)<br />

v(x)<br />

zuerst logarithmieren und danach differenzieren.<br />

Aufgabe 4.13.5. Bilden Sie die Ableitungen der folgenden Funktionen, wobei α, a und b<br />

beliebige reelle Zahlen sind.<br />

a. f(x) = ln(e x +e −x −2) b. f(x) = e αx (asin(bx)−bcos(bx))


4.13. Differenzieren nach Logarithmieren 95<br />

Aufgabe 4.13.6. Es seien P 1 (x 1 ,y 1 ) und P 2 (x 2 ,y 2 ) zwei verschiedene Punkte der Kurve<br />

y = e x . Berechnen Sie die Koordinaten des Kurvenpunktes, dessen Tangente parallel zur<br />

Sehne von P 1 bis P 2 ist.<br />

Aufgabe 4.13.7. Bestimmen Sie die Gleichung der durch den Ursprung gehenden Tangente<br />

an die Kurve y = ae cx , wobei a und c beliebige reelle Zahlen sind.<br />

Aufgabe 4.13.8. Es sei P(x 0 ,y 0 ) ein beliebiger Punkt der Kurve y = 1−e −cx , der nicht im<br />

Ursprung O liegt. In welchem Punkte der Kurve ist die Tangente parallel zur Sehne vom O<br />

bis P?<br />

Aufgabe 4.13.9. Es seien P(x 0 ,y 0 ) ein Punkt der Kurve y = 1−e −cx und t die Tangente<br />

an die Kurve im P. Der y-Achsenabschnitt von t wird durch U und der Schnittpunkt von t<br />

mit der Geraden y = 1 wird durch V bezeichnet. Berechnen Sie das Teilverhältnis UP : VP.<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.13.1.<br />

a. f ′ (x) = 2 x ln(2)<br />

k. f ′ (x) = √ −e2x<br />

b. f ′ (x) = e x (2x+x 2 1−e 2x<br />

)<br />

c. f ′ (t) = cos(t)−sin(t)<br />

l. f ′ (t) = ωcos(ωt)e sin(ωt)<br />

e t<br />

m. f ′ (z) = az ln(a)<br />

d. f ′ (x) = a x x a−1 (xln(a)+a)<br />

2 √ 1+a z<br />

e. f ′ (t) = e√ t<br />

n. f ′ (x) = 2 x e x (1+ln(2))<br />

2 √ t<br />

o. f ′ (u) = 2<br />

f. f ′ (x) = −sin(x)e cos(x)<br />

p. f ′ 4<br />

(x) =<br />

(e x +e −x ) 2<br />

g. f ′ (x) = 1<br />

h. f ′ (u) = e u (cos(u)−sin(u))<br />

q. f ′ (x) = 2 1<br />

x 3 e− x 2<br />

i. f ′ (t) = et +e −t<br />

2<br />

r. f ′ e 1<br />

1−x<br />

(x) = ( )<br />

(1−x)<br />

j. f ′ 4<br />

2 2−e 1 2<br />

1−x<br />

(t) =<br />

(e t +e −t ) 2<br />

Lösung 4.13.2.<br />

(<br />

a. f ′ (x) = x sin(x) cos(x)ln(x)+ sin(x) )<br />

x<br />

(<br />

b. f ′ (x) = sin(x)x cos(x) cot(x)−sin(x)ln(x)+ cos(x) )<br />

x<br />

(<br />

c. f ′ (x) = 1+ 1 ) x ( (<br />

ln 1+ 1 )<br />

− 1 )<br />

x x 1+x


96 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

d. f ′ (x) = x√ x 1−ln(x)<br />

x 2<br />

(<br />

e. f ′ (x) = x 1−cos(x) sin(x)ln(x)+ 1−cos(x) )<br />

x<br />

f. f ′ (x) = x xcos(x) (cos(x)ln(x)−xsin(x)ln(x)+cos(x))<br />

Lösung 4.13.3.<br />

a. y ′ = − x√ 2 eln(2)<br />

x 2<br />

b. y ′ = y2 −xyln(y)<br />

x 2 −xyln(x)<br />

Lösung 4.13.4. Durch Logarithmieren erhalten wir ln(f(x)) = ln(u(x)) − ln(v(x)), durch<br />

Differenzieren<br />

1<br />

f(x) f′ (x) = 1<br />

u(x) u′ (x)− 1<br />

v(x) v′ (x).<br />

Somit gilt<br />

Lösung 4.13.5.<br />

f ′ (x) = u(x)<br />

v(x)<br />

a. f ′ (x) = 1+e−x<br />

1−e −x<br />

( 1<br />

u(x) u′ (x)− 1 )<br />

v(x) v′ (x) = u′ (x)v(x)−u(x)v ′ (x)<br />

(v(x)) 2 .<br />

b. f ′ (x) = e αx( (αa+b 2 )sin(bx)+(ab−αb)cos(bx) )<br />

Lösung 4.13.6. P<br />

( (∣ ∣)<br />

∣∣∣ y 2 −y 1∣∣∣<br />

ln , y )<br />

2 −y 1<br />

x 2 −x 1 x 2 −x 1<br />

Lösung 4.13.7. y = acex<br />

( ( ) 1<br />

Lösung 4.13.8. P<br />

c ln cx0<br />

, 1− y )<br />

0<br />

y 0 cx 0<br />

Lösung 4.13.9. UP<br />

VP = cx 0<br />

4.14 Höhere Ableitungen<br />

Ist die erste Ableitung f ′ einer Funktion f differenzierbar, so können wir sie wiederum differenzieren.<br />

Die dadurch erhaltene Funktion wird die zweite Ableitung genannt und mit f ′′<br />

bezeichnet. Solange das Kriterium der Differenzierbarkeit immer noch erfüllt wird, können<br />

wir das Verfahren weiter führen. Die dritte Ableitung wird mit f ′′′ bezeichnet. Von der vierten<br />

Ableitung an schreiben wir f (4) , f (5) , f (6) und so weiter. Unter Ableitung schlechthin verstehen<br />

wir stets die erste Ableitung einer Funktion. Die zweite und alle weiteren Ableitungen<br />

werden höhere Ableitungen genannt.


4.14. Höhere Ableitungen 97<br />

In differenzieller Schreibweise werden die höheren Ableitungen einer Funktion f wie folgt<br />

dargestellt:<br />

f ′′ = df′<br />

dx = d2 f<br />

dx 2<br />

f ′′′ = df′′<br />

dx = d3 f<br />

dx 3<br />

Im Allgemeinen lautet die n-te Ableitung von f<br />

f (n) = df(n−1)<br />

dx<br />

.<br />

= dn f<br />

dx n für alle n ∈ N.<br />

Beispiel 4.14.1. Wir betrachten die Potenzfunktion f(x) = x n , wobei n eine natürliche Zahl<br />

ist. Laut der Formel (4.3.a) ist f ′ (x) = nx n−1 . Wenn n−1 immer noch eine natürliche Zahl<br />

ist, das heisst, wenn n ≥ 2, können wir das obige Ergebnis auf die erste Ableitung wieder<br />

anwenden:<br />

f ′′ (x) = (f ′ (x)) ′ = (nx n−1 ) ′ = n(n−1)x n−2 .<br />

Falls n = 1, ist f ′ (x) = 1 und damit f ′′ (x) = 0. Das allgemeine Muster lässt sich schnell<br />

festlegen. Wenn n ≥ k für ein gewisses k ∈ N, lautet die k-te Ableitung wie folgt:<br />

f (k) (x) = n(n−1)(n−2)···(n−k +1)x n−k .<br />

Insbesondere ist die n-te Ableitung die konstante Funktion f (n) (x) = n!. Die (n + 1)-te<br />

Ableitung, sowie alle weiteren Ableitungen, sind überall gleich 0.<br />

Beispiel 4.14.2. Wir möchten alle höheren Ableitungen der Funktion f(x) = e ax berechnen,<br />

wobei a eine beliebige reelle Zahl ist. Mit Hilfe der Kettenregel erhalten wir<br />

f ′ (x) = ae ax<br />

f ′′ (x) = a 2 e ax<br />

f ′′′ (x) = a 3 e ax<br />

Im Allgemeinen gilt f (n) (x) = a n e ax für alle n ∈ N.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 4.14.1. Bestimmen Sie die zweite Ableitungen der folgenden Funktionen, wobei<br />

a ∈ R.<br />

a. f(x) = sin(x)cos(x)<br />

.<br />

e. f(x) = a 2x<br />

b. f(u) = cos 2 (u)<br />

c. f(x) = x<br />

1−x<br />

d. f(x) = x 4 ln(x)<br />

f. f(x) = e x sin(x)<br />

g. f(t) = √ 1−t 2


98 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Aufgabe 4.14.2. Bilden Sie die vierte Ableitung der folgenden Funktionen, wobei die Funktionen<br />

u und v 4-mal differenzierbar sind.<br />

a. f(x) = sin(x)<br />

c. f(x) = ln(x)<br />

b. f(x) = cos(x)<br />

d. f(x) = u(x)v(x)<br />

Aufgabe 4.14.3. Bestimmen Sie die n-te Ableitung der folgenden Funktionen.<br />

a. f(x) = ln(x)<br />

c. f(x) = x<br />

b. f(w) = 1+w<br />

1−x<br />

1−w<br />

d. f(x) = 2 x<br />

Aufgabe 4.14.4. Es seien a eine positive reelle Zahl und t die Tangente an die Kurve 10<br />

x 3 −ay 2 = 0 im Punkt P 0 (x 0 ,y 0 ). Bestimmen Sie den Schnittpunkt von t mit der Kurve.<br />

Aufgabe 4.14.5. Welche Polynomfunktion 3-ten Grades f erfüllt die folgenden Bedingungen?<br />

a. f(−1) = 0, f ′ (1) = 7, f ′ (2) = 34 und f ′′ (−1) = −18<br />

b. f(1) = −4, f ′ (−1) = 10, f ′′ (1) = 8 und f ′′ (−1) = −16<br />

Lösungen<br />

Lösung 4.14.1.<br />

a. f ′′ (x) = −2sin(2x)<br />

b. f ′′ (u) = −2cos(2u)<br />

c. f ′′ (x) =<br />

2<br />

(1−x) 3<br />

d. f ′′ (x) = x 2 (7+12ln(x))<br />

Lösung 4.14.2.<br />

a. f (4) (x) = sin(x)<br />

b. f (4) (x) = cos(x)<br />

e. f ′′ (x) = 4a 2x (ln 2 (a))<br />

f. f ′′ (x) = 2e x cos(x)<br />

g. f ′′ −1<br />

(t) =<br />

( √ 1−t 2 ) 3<br />

c. f (4) (x) = − 6 x 4<br />

d. f (4) (x) = u (4) (x)v(x)+4u (3) (x)v ′ (x)+6u ′′ (x)v ′′ (x)+4u ′ (x)v (3) (x)+u(x)v (4) (x)<br />

Lösung 4.14.3.<br />

a. f (n) (x) = (−1)n−1 (n−1)!<br />

n!<br />

c. f(x) =<br />

x n<br />

(1−x) n+1<br />

b. f (n) 2n!<br />

d. f(x) = 2<br />

(w) =<br />

x ln n (2)<br />

(1−w) n+1<br />

Lösung 4.14.4. P ( x 0<br />

4<br />

,− y 0<br />

8<br />

)<br />

. Die Nielsche Parabel wird in Abbildung 4.14.i dargestellt.<br />

10 Diese Kurve heisst die Nielsche Parabel.


4.15. Differenzierbarkeit einer Funktion 99<br />

Abbildung 4.14.i: Die Nielsche Parabel x 3 = ay 2 mit a > 0 eine reelle Zahl.<br />

Lösung 4.14.5.<br />

a. f(x) = 3x 3 −2x+1 b. f(x) = 2x 3 −2x 2 −4<br />

4.15 Differenzierbarkeit einer Funktion<br />

Die Steigung der Tangente ist nicht bei jeder Funktion in jedem Punkt definiert.<br />

Definition 4.15.1. Eine Funktion f : X → Y heisst an der Stelle x ihres Definitionsbereichs<br />

X differenzierbar, wenn der Grenzwert des Differenzenquotienten<br />

∆y<br />

lim<br />

∆x→0 ∆x = lim f(x+∆x)−f(x)<br />

∆x→0 ∆x<br />

existiert und gleich einer endlichen Zahl ist. Die Funktion f : X → Y heisst im Intervall<br />

]a,b[ ⊂ X differenzierbar, wenn sie in jedem Punkt des Intervalls differenzierbar ist.<br />

Fast alle Funktionen, denen wir in den Anwendungen der Technik begegnen, sind stückweise<br />

unendlich oft differenzierbar.<br />

• Polynomfunktionen sind auf ganz R unendlich oft differenzierbar.<br />

• Rationale Funktionen sind auf ihrem jeweiligen Definitionsgebiet unendlich oft differenzierbar.<br />

Zum Beispiel ist f(x) = 1 x<br />

auf X = R−{0} stetig und unendlich oft differenzierbar.<br />

• Exponential-, Logarithmus-, Trigonometrische-, Hyperbel-, Arkus- und Areafunktionen<br />

sind auf ihren jeweiligen Definitionsgebieten unendlich oft differenzierbar.<br />

• Aus obigen Funktionen durch Addition, Subtraktion, Multiplikation oder Division zusammengesetzte<br />

Funktionen sind auf ihrem jeweiligen Definitionsgebiet unendlich oft<br />

differenzierbar.<br />

Satz 4.15.1. Ist eine Funktion an einer Stelle ihres Definitionsgebiets unstetig, so ist sie dort<br />

nicht differenzierbar. Sie besitzt dann keine Tangente in diesem Punkt.<br />

Die Umkehrung ist nicht richtig. Wenn eine Funktion stetig ist, braucht sie nicht differenzierbar<br />

zu sein. Wie zum Beispiel bei einem Knick. Hier müssen wir rechtsseitige und linksseitige


100 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

y<br />

y = f(x)<br />

•<br />

•<br />

x 0<br />

x<br />

Abbildung 4.15.i: Graf einer Funktion f mit einer Unstetigkeitsstelle bei x = x 0 . In diesem<br />

Punkt ist f nicht differenzierbar, und der Graf besitzt dort keine Tangente.<br />

Steigung unterscheiden:<br />

Linksseitige Steigung<br />

f(x)−f(x−∆x)<br />

lim<br />

∆x↓0 ∆x<br />

Rechtsseitige Steigung<br />

f(x+∆x)−f(x)<br />

lim<br />

∆x↓0 ∆x<br />

Hingegen istjededifferenzierbareFunktionauchstetig. IntuitivhatderGrafeinerdifferenzierbaren<br />

Funktion auf den Zusammenhangskomponenten ihres Definitionsbereichs keine Knicke<br />

und keine senkrechten Tangenten.<br />

y<br />

y = f(x)<br />

x 0<br />

x<br />

Abbildung 4.15.ii: Graf einer Funktion f mit einem Knick bei x = x 0 . In diesem Punkt<br />

ist f nicht differenzierbar. Die linksseitige Tangente hat nicht die gleiche Steigung wie die<br />

rechtsseitige.<br />

Beispiel 4.15.1. Die Wurzelfunktion f(x) = √ x ist für alle x ∈ ]0,∞[ ⊂ [0,∞[ = X<br />

differenzierbar. Aber bei x = 0 ∈ X ist<br />

√ √<br />

f(x+∆x)−f(x) 0+∆x− 0<br />

lim = lim = +∞.<br />

∆x↓0 ∆x ∆x↓0 ∆x<br />

Die Steigung der Tangente bei x = 0 wäre unendlich, also ist f(x) = √ x bei x = 0 nicht<br />

differenzierbar.<br />

Beispiel 4.15.2. Die Betragsfunktion<br />

f(x) = |x| =<br />

{ −x wenn x < 0<br />

x wenn x ≥ 0


4.15. Differenzierbarkeit einer Funktion 101<br />

ist bei x = 0 nicht differenzierbar. Die linksseitige Steigung bei x = 0 beträgt<br />

und die rechtsseitige<br />

f(x)−f(x−∆x) |0|−|0−∆x| −∆x<br />

lim = lim = lim<br />

∆x↓0 ∆x ∆x↓0 ∆x ∆x↓0 ∆x = −1<br />

f(x+∆x)−f(x) |0+∆x|−|0| ∆x<br />

lim = lim = lim<br />

∆x↓0 ∆x ∆x↓0 ∆x ∆x↓0 ∆x = 1.<br />

Demzufolge existiert der Grenzwert des Differenzenquotienten bei x = 0 nicht. Also hat die<br />

Betragsfunktion dort einen Knick und ist somit dort nicht differenzierbar.<br />

Beispiel 4.15.3. Die nachfolgende Funktion f(x) = x 2 − |x − 1| − 2 ist stetig, aber nicht<br />

differenzierbar. Diese Funktion besteht aus den beiden folgenden Teilen.<br />

{ x<br />

f(x) =<br />

2 {<br />

+x−3 wenn x−1 < 0 (x+<br />

1<br />

x 2 −x−1 wenn x−1 ≥ 0 = 2 )2 − 13 4<br />

wenn x < 1<br />

(x− 1 2 )2 − 5 4<br />

wenn x ≥ 1<br />

y = (x + 1 2 )2 − 13 4<br />

y<br />

y = (x − 1 2 )2 − 5 4<br />

1<br />

x<br />

Abbildung 4.15.iii: Die Funktion f(x) = x 2 − |x − 1| − 2 ist bei x = 1 stetig, aber nicht<br />

differenzierbar.<br />

Beispiel 4.15.4 (Weierstrass, 1872). Die obigen Beispiele könnten zur falschen Annahme<br />

verleiten, dass Stellen, an denen eine Funktion nicht differenzierbar ist, immer isoliert auftreten.<br />

Dies ist nicht der Fall. Es gibt stetige Funktionen, die nirgends differenzierbar sind. Die<br />

folgende Funktion wurde von K. T. Weierstrass 1872 gefunden (vgl. [12]).<br />

f(x) =<br />

∞∑<br />

b n cos(a n x)<br />

n=1<br />

Die Funktion f konvergiert wenn b < 1 und ist nirgends differenzierbar wenn ab > 1+ 3π 2 .


102 Kapitel 4. Differenzialrechnung<br />

Abbildung 4.15.iv: Karl Theodor Wilhelm Weierstrass, 1815-1897<br />

Abbildung 4.15.v: Nirgends differenzierbare Funktion


Kapitel 5<br />

Anwendungen der<br />

Differenzialrechnung<br />

5.1 Physik<br />

Die Funktion s = s(t) beschreibe den Weg eines Gegenstandes in Funktion der Zeit. Zur Zeit t<br />

befinde er sich am Ort s(t), im darauf folgenden Zeitintervall ∆t lege er den Weg ∆s zurück.<br />

•<br />

•<br />

0 s(t) s(t + ∆t)<br />

Abbildung 5.1.i: Zum Begriff der Momentangeschwindigkeit<br />

Somit erreicht er zur Zeit t + ∆t den Ort s(t + ∆t) = s(t) + ∆s. Seine durchschnittliche<br />

Geschwindigkeit ¯v in diesem Zeitraum beträgt dann definitionsgemäss<br />

¯v = ∆s<br />

∆t = s(t+∆t)−s(t) .<br />

∆t<br />

DiezurZeitterreichteMomentangeschwindigkeit,diedurchv(t)bezeichnetwird,erhalten<br />

wir beim Grenzübergang ∆t → 0:<br />

∆s<br />

v(t) = lim<br />

∆t→0 ∆t = lim s(t+∆t)−s(t)<br />

= s ′ (t)<br />

∆t→0 ∆t<br />

Ähnlich lässt sich die Momentanbeschleunigung a(t) als die Ableitung der Funktion v =<br />

v(t) ausdrücken:<br />

∆v<br />

a(t) = lim<br />

∆t→0 ∆t = lim v(t+∆t)−v(t)<br />

= v ′ (t) = s ′′ (t).<br />

∆t→0 ∆t<br />

In der Physik wird oft ein Punkt anstatt ein Strich verwendet, um anzudeuten, dass nach<br />

der Zeit t differenziert wird. Die obigen Ergebnisse können damit wie folgt zusammengefasst<br />

werden:<br />

Weg s(t)<br />

Geschwindigkeit v(t) = ṡ(t)<br />

Beschleunigung a(t) = ˙v(t) = ¨s(t)<br />

103


104 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Beispiel 5.1.1 (Der freie Fall). Das Weg-Zeit-Gesetz für einen Gegenstand im freien Fall<br />

(ohne Berücksichtigung des Luftwiderstandes) lautet<br />

s(t) = h 0 −v 0 t− g 2 t2 ,<br />

wobei h 0 die Anfangshöhe, v 0 die Anfangsgeschwindigkeit, g die Erdbeschleunigung und s(t)<br />

die Höhe über dem Boden zur Zeit t bezeichnen. Wir möchten herausfinden, mit welcher<br />

Geschwindigkeit der Gegenstand auf dem Boden auftrifft, wenn er von der Höhe h 0 aus der<br />

Ruhelage, d.h. v 0 = 0, losgelassen wird.<br />

Die Flugzeit t Ende des Gegenstandes berechnen wir, in dem wir die Gleichung s(t) = 0 nach<br />

t auflösen. Wir erhalten<br />

√<br />

2h 0<br />

t Ende =<br />

g .<br />

Jetzt setzen wir t = t Ende in die Geschwindigkeitsfunktion v(t) = ṡ(t) = −gt ein. Somit ist<br />

die Endgeschwindigkeit<br />

Aufgaben<br />

v(t Ende ) = −gt Ende = −g<br />

√<br />

2h 0<br />

g = −√ 2gh 0 .<br />

Aufgabe 5.1.1. Ein Körper bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von v 0 = 14ms −1 . Er<br />

wird gebremst und bewegt sich nach dem Weg-Zeit-Gesetzes<br />

s(t) = 14ms −1 t−2.25ms −2 t 2 +0.03ms −3 t 3<br />

bis er zum Stehen kommt. Wie lang ist der Bremsweg?<br />

Aufgabe 5.1.2. Ein Körper wird aus der Höhe h = 0 mit der Anfangsgeschwindigkeit v 0<br />

unter dem Winkel α gegen die Horizontale Ebene geworfen. Seine Bewegungskomponenten in<br />

horizontaler und vertikaler Richtung (ohne Berücksichtigung des Luftwiderstandes) sind dann<br />

x(t) = v 0 tcos(α) und y(t) = v 0 tsin(α)− g 2 t2 .<br />

a. Wie gross sind die Komponenten v x und v y seiner Geschwindigkeit zur Zeit t?<br />

b. Wie gross ist seine Bahngeschwindigkeit v zur Zeit t?<br />

c. Wie gross ist seine Aufschlaggeschwindigkeit v Ende an der Stelle x Ende ?<br />

Aufgabe 5.1.3. Ein Körper wird unter den in Aufgabe 5.1.2 genannten Bedingungen geworfen<br />

und trifft auf eine Ebene auf, die, von der Abwurfstelle ausgehend, gegen die Horizontalebene<br />

unter dem Winkel β geneigt ist. Wie gross ist seine Aufschlaggeschwindigkeit<br />

v β ?<br />

Aufgabe 5.1.4. Ein Körper wird aus der Höhe h unter den Bedingungen der Aufgabe 5.1.2<br />

geworfen. Wie gross ist seine Aufschlaggeschwindigkeit v Ende ?


5.1. Physik 105<br />

Aufgabe 5.1.5. Ein Punkt P bewegt sich mit konstanter Winkelgeschwindigkeit ω auf einer<br />

Kreisbahn mit Radius r. Der Ort seiner Projektion auf der x-Achse, bzw. der y-Achse, ist<br />

durch die Gleichung x(t) = rcos(ωt), bzw. y(t) = rsin(ωt), gegeben.<br />

a. Berechnen Sie die Geschwindigkeiten und Beschleunigungen für die Projektion des<br />

Punktes auf die Achsen.<br />

b. Zu welchen Zeiten sind Geschwindigkeit, bzw. Beschleunigung, der Projektion gleich 0?<br />

c. Zeigen Sie, dass die Kreisbahngeschwindigkeit v = ωr auch aus den Komponenten v x<br />

und v y folgt.<br />

d. Wie gross ist die Bahnbeschleunigung und welche Richtung hat sie?<br />

Aufgabe 5.1.6. Ein Punkt P bewegt sich auf einer Ellipse mit der grossen Halbachse A und<br />

der kleinen Halbachse B. Seine Bewegungskomponenten sind durch<br />

gegeben.<br />

x(t) = Acos(φt) und y(t) = Bsin(φt)<br />

a. Wie gross sind die Geschwindigkeitskomponenten v x und v y des Ellipsenpunktes P?<br />

b. Wie gross ist die Bahngeschwindigkeit v in Funktion der Zeit t?<br />

c. Ersetzen Sie in die Formel für die Bahngeschwindigkeit v in Funktion der Zeit t den<br />

Term<br />

r(t) = √ (x(t)) 2 +(y(t)) 2 .<br />

Ermitteln Sie daraus Ort und Grösse von Maximum und Minimum der Bahngeschwindigkeit.<br />

d. Wie gross sind die Beschleunigungskomponenten a x und a y ?<br />

e. Wie gross ist die Bahnbeschleunigung a in Funktion der Zeit t? Führen Sie den Mittelpunktsabstand<br />

r ein.<br />

f. Deuten Sie das Ergebnis vom Teil d.<br />

g. Wo wird das Maximum der Bahnbeschleunigung erreicht? Wie gross ist es?<br />

Lösungen<br />

Lösung 5.1.1. 22.8m<br />

Lösung 5.1.2.<br />

a. v x = v 0 cos(α), v y = v 0 sin(α)−gt<br />

b. √ v 2 0 −2v 0gtsin(α)+g 2 t 2 c. v 0<br />

Lösung 5.1.3. v 0<br />

√<br />

1−4cos(α)tan(β)sin(α−β)cos −1 (β)


106 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Lösung 5.1.4. √ v 2 0 +2gh<br />

Lösung 5.1.5.<br />

a. Geschwindigkeiten: v x (t) = −ωrsin(ωt) und v y (t) = ωrcos(ωt).<br />

Beschleunigungen: a x (t) = −ω 2 rcos(ωt) und a y (t) = −ω 2 rsin(ωt).<br />

b. v x (t) = 0 genau dann, wenn t ∈ { nπ<br />

ω | n ∈ Z}.<br />

v y (t) = 0 genau dann, wenn t ∈ { (2n+1)π<br />

2ω<br />

| n ∈ Z}.<br />

a x (t) = 0 genau dann, wenn t ∈ { (2n+1)π<br />

2ω<br />

| n ∈ Z}.<br />

a y (t) = 0 genau dann, wenn t ∈ { nπ<br />

ω | n ∈ Z}.<br />

c. v(t) =<br />

√<br />

v 2 x (t)+v2 y (t) = ωr√ sin 2 (ωt)+cos 2 (ωt) = ωr<br />

d. Die Bahnbeschleunigung ist gleich ω 2 r und steht radial gegen das Zentrum.<br />

Lösung 5.1.6.<br />

a. v x (t) = −Aφsin(φt), v y (t) = Bφcos(φt)<br />

b. v(t) = φ √ A 2 sin 2 (φt)+B 2 cos 2 (φt)<br />

c. Die Geschwindigkeit v(t) = φ √ A 2 +B 2 −(r(t)) 2 erreicht ihr Maximum von φA in den<br />

Punkten P(0,±B) und ihr Minimum von φB in den Punkten P(±A,0).<br />

d. a x (t) = −Aφ 2 cos(φt), a y (t) = −Bφ 2 sin(φt)<br />

e. a(t) = φ 2 r(t)<br />

f. Die Beschleunigung ist parallel zum Ortsvektor.<br />

g. Die Beschleunigung erreicht ihr Maximum von φ 2 A an den Zeitpunkten t = πn<br />

2φ , wobei<br />

n ∈ Z.<br />

5.2 Gleichungen numerisch lösen<br />

5.2.1 Fixpunkt-Iteration<br />

Falls wir vor der Aufgabe stehen, Lösungen der Gleichung cos(x) = x 2 − 1 2<br />

zu finden, dann<br />

versagen alle unsere herkömmlichen Methoden. In diesem Abschnitt besprechen wir eine elementare<br />

Methode, Gleichungen aufzulösen, die sehr allgemein verwendbar ist. Dazu wird<br />

allerdings ein Taschenrechner oder Computer benötigt. Zu lösen sei die Gleichung<br />

x = f(x),<br />

wo f eine differenzierbare Funktion sei. Jede Gleichung kann durch auflösen nach einem bestimmten<br />

x in diese Form gebracht werden. Wir betrachten nun die Funktion f. Die Schnittpunkte<br />

ihres Graphen mit der Geraden x = y stellen die Lösungen der Gleichung x = f(x)<br />

dar. Das Problem der Lösung der Gleichung besteht im Bestimmen eines Schnittpunktes der<br />

Kurve y = f(x) mit der Geraden y = x. Dabei gehen wir so vor, dass wir einen Anfangswert


5.2. Gleichungen numerisch lösen 107<br />

y<br />

y = x<br />

y = 2e −x<br />

x ∞<br />

x<br />

Abbildung 5.2.i: Schnittpunkt der Geraden y = x mit der Kurve y = 2e −x ist die Lösung der<br />

Gleichung x−2e −x = 0.<br />

x 0 schätzen und mit diesem ein x 1 = f(x 0 ) bestimmen. Aus diesem wird x 2 = f(x 1 ) ermittelt,<br />

und so fort<br />

x n+1 = f(x n ) wobei n ∈ N 0 .<br />

Dieses Vorgehen stellt eine sogenannte Fixpunkt-Iteration dar. Wir führen den Prozess immer<br />

wieder durch, wobei wir als Eingabewert den Resultatwert der vorangehenden Rechnung<br />

verwenden. Die Iteration wird dann abgebrochen, wenn sich x n+1 und x n um höchstens den<br />

zulässigen Fehler unterscheiden<br />

|x n+1 −x n | < ε,<br />

wenn ε die erwünschte Rechengenauigkeit ist. Verfolgen wir, was geometrisch geschieht bei<br />

dieser Iteration, so ergibt sich folgendes. Der Wert f(x 0 ) wird als neuer x-Wert x 1 verwendet,<br />

das heisst, wir schlagen einen Kreisbogen um den Nullpunkt und erhalten x 1 , usw. Dies<br />

kann durch das Zeichnen der entsprechenden Treppenkurve vereinfacht werden, vergleiche<br />

folgende Abbildung. Wir erhalten so einen gerichteten Streckenzug, der gegen den Schnittpunkt<br />

der Kurve y = f(x) mit der Geraden y = x strebt. Die weiteren Diagramme zeigen die<br />

Streckenzüge für die vier verschiedenen typischen Fälle. Aus diesen vier Diagrammen können<br />

wir sofort das Konvergenzkriterium ablesen. Die Iteration konvergiert gegen die Lösung der<br />

Gleichung x = f(x) genau dann, wenn die Ungleichung<br />

|f ′ (x)| ≤ q < 1 für eine positive Konstante q < 1<br />

für alle Werte x im Intervall gilt, in dem die Iteration durchgeführt wird. Obige Ungleichung<br />

muss also unter anderem auch für alle iterierten Werte x n gelten. Die Konvergenz dieses<br />

Iterationsverfahrens ist umsobesser,jekleiner dieZahlq ist. Ist dieseBedingungnicht erfüllt,<br />

so kann die entsprechende Lösung nicht ermittelt werden. Wie wir sofort sehen, spielt es unter<br />

Umständen eine entscheidende Rolle, ob der Anfangswert x 0 in einem solchen Bereich, dem<br />

sogenannten Attraktionsbereich einer Lösung liegt oder nicht. Attraktionsbereiche können<br />

auch sehr klein sein, d.h., die Anfangsschätzung muss schon ziemlich genau sein. Gelingt es<br />

nicht, eine Lösung zu finden, weil keine Konvergenz vorherscht, dann muss die Gleichung<br />

x = f(x) nach einem anderen Exemplar x aufgelöst werden und dasselbe Iterationsverfahren<br />

von neuem gestartet werden.<br />

Beispiel 5.2.1. Gesucht ist die Lösung der Gleichung x − 2e −x = 0, die auf mindestens<br />

7 Nachkommastellen genau ist, d.h. ε = 10 −7 . Zunächst lösen wir nach einem x auf, zum


108 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

y<br />

y = x<br />

y<br />

y = f(x)<br />

f(x 1 )<br />

f(x 0 )<br />

y = f(x)<br />

f(x 0 )<br />

f(x 1 )<br />

f(x 2 )<br />

y = x<br />

f(x 3 )<br />

x 0 x 1 x 2<br />

x<br />

x 4<br />

x 2 x 0<br />

x<br />

0 < f ′ (x) < 1<br />

1 < f ′ (x)<br />

y<br />

y = f(x)<br />

y = x<br />

y<br />

f(x 2 )<br />

y = f(x)<br />

y = x<br />

f(x 2 )<br />

f(x 0 )<br />

f(x 3 )<br />

f(x 1 )<br />

f(x 1 )<br />

x 0 x 2 x 4 x 3 x 1<br />

−1 < f ′ (x) < 0<br />

x<br />

x 2 x 0 x 1 x 3<br />

f ′ (x) < −1<br />

x<br />

Abbildung5.2.ii: Streckenzüge derviertypischenFällebeideriterativen LösungderGleichung<br />

x = f(x).<br />

Beispiel x = f(x) = 2e −x . Nun betrachten wir die notwendige Konvergenzbedingung<br />

|f ′ (x)| = |−2e −x | < 1.<br />

Diese ist sicher erfüllt für x > ln(2) ≈ 0.6931. Also wählen wir einen Startwert x 0 = 1.000<br />

und beginnen die Iteration und erhalten die folgenden Werte. In der zweiten Zeile berechnen<br />

wir jeweils das Konvergenzkriterium.<br />

n 0 1 2 3 10 50 100<br />

x n 1.000 0.736 0.9582 0.7671 0.8814 0.85265 0.852605519<br />

|f(x n )| < 1 0.736 0.958 0.767 0.929 0.828 0.853 0.853<br />

|x n −x n−1 | − 0.264 0.2225 0.1912 0.0621 0.00011 0.000000036<br />

Damit haben wir eine Lösung 0.8526055 der Gleichung x − 2e −x = 0 gefunden, die auf 7<br />

Nachkommastellen genau ist.<br />

Beispiel 5.2.2. Wir betrachten noch einmal das Problem, eine Lösung der Gleichung<br />

cos(x) = x 2 −0.5<br />

zu finden. Aus Symmetriegründen vermuten wir Lösungen bei x ≈ ±1. Zuerst lösen wir die


5.2. Gleichungen numerisch lösen 109<br />

y<br />

y = x 2 − 0.5<br />

y = cos(x)<br />

x − x +<br />

x<br />

Abbildung 5.2.iii: Die Schnittpunkte der Kurven y = x 2 −0.5 und y = cos(x)<br />

Gleichung nach x = f(x) = arccos(x 2 −0.5) auf und testen die Konvergenzbedingung in einer<br />

Umgebung der beiden Startwerte,<br />

f ′ 2x<br />

(x) = −√ also folgt |f ′ (±1)| = 2.309 ≥ 1.<br />

1−(x 2 −0.5) 2<br />

Damit haben wir keine Konvergenz und müssen nach einem anderen x auflösen<br />

x = f(x) = ± √ 0.5+cos(x).<br />

Wir entscheiden uns vorerst für das positive Vorzeichen. In diesem Fall folgt<br />

f ′ (x) =<br />

−sin(x)<br />

2 √ 0.5+cos(x)<br />

also |f ′ (±1.0)| = 0.413 < 0.<br />

Somit ist die Startbedingung für eine konvergente Iteration gegeben. Wir erhalten die Werte.<br />

In der zweiten Zeile berechnen wir jeweils das Konvergenzkriterium.<br />

n 0 1 2 3 5 10 20<br />

x n 1.000 1.020 1.0116 1.0151 1.01427 1.0140926 1.01409494<br />

|f(x n )| < 1 0.413 0.421 0.418 0.419 0.4.19 0.419 0.419<br />

|x n −x n−1 | − 0.020 0.0083 0.0035 0.00061 0.0000078 0.00000001<br />

Damit haben wir nach 20 Iterationen die Lösung 1.01409439 der Gleichung cos(x) = x 2 −<br />

0.5 gefunden, die auf 8 Nachkommastellen genau ist. Aus Symmetriegründen ergibt sich die<br />

zweite Lösung sofort als −1.01409439, oder wir führen erneut eine Iteration mit der zweiten<br />

Möglichkeit f(x) = − √ 0.5+cos(x) durch.<br />

5.2.2 Tangentenverfahren von Newton<br />

Ein weiteres Verfahren zur Auffindungvon Lösungen der Gleichung g(x) = 0 geht auf Newton<br />

zurück, das sogenannte Tangentenverfahren von Newton zur Auffindung von Nullstellen.<br />

Die Gleichung g(x) = 0 aufzulösen, heisst nichts anderes als den Schnittpunkt der Kurve<br />

y = g(x) mit derx-Achse zufinden.Wiederum schätzen wireineNäherungslösung(Startwert)<br />

x 0 in der Nähe einer wirklichen Lösung von g(x) = 0. Dann ersetzen wir die Funktion g durch<br />

die Tangente im Punkt P(x 0 ,g(x 0 )) und bringen diese mit der x-Achse zum Schnitt. Die<br />

Gleichung der Tangente im Punkt P(x 0 ,g(x 0 )) ist<br />

y = g(x 0 )+g ′ (x 0 )(x−x 0 ).


110 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

y<br />

P(x 0 ,g(x 0 ))<br />

•<br />

y = g(x)<br />

P(x 1 ,g(x 1 ))<br />

•<br />

P(x 2 ,g(x 2 ))<br />

•<br />

•<br />

x 4<br />

x 3<br />

x 2<br />

x 1<br />

x 0<br />

x<br />

Abbildung 5.2.iv: Funktionsweise des Tangentenverfahren von Newton<br />

Nun schneiden wir diese Tangente mit der x-Achse und erhalten<br />

x 1 = x 0 − g(x 0)<br />

g ′ (x 0 ) .<br />

Das so erhaltene neue x 1 ist oft bereits eine bessere Näherungslösung für die gesuchte Nullstelle.<br />

Nun iterieren wir dieses Verfahren und berechnen iterativ<br />

x n+1 = x n − g(x n)<br />

g ′ (x n )<br />

wobei n ∈ N 0 .<br />

Beispiel 5.2.3. Die Iteration konvergiert nicht immer. Wir betrachten die ungerade Polynomfunktion<br />

g(x) = x 3 −5x<br />

und wollen mit dem Tangentenverfahren von Newton die Nullstellen finden. Wählen wir den<br />

Startwertx 0 = 1,dannfolgtx 2n = 1undx 2n+1 = −1fürallen ∈ N 0 .DieIteration konvergiert<br />

nicht, obwohl f die Nullstellen 0 und ± √ 5 hat. Hätten wir anstelle den Startwert x 0 =<br />

gewählt, so wäre auch diese Iteration zum Scheitern verurteilt, da die Tangente im Startpunkt<br />

horizontal ist und demzufolge keinen Schnittpunkt mit der x-Achse besitzt. Abhilfe schafft<br />

meistens die Wahl eines neuen Startwertes.<br />

Wir benötigen also ein Konvergenzkriterium. Das Tangentenverfahren von Newton konvergiert<br />

genau dann gegen die Lösung der Gleichung g(x) = 0, wenn die folgenden Konvergenzbedingungen<br />

g ′ (x) ≠ 0 und<br />

∣<br />

g(x)·g ′′ (x)<br />

(g ′ (x)) 2 ∣ ∣∣∣<br />

≤ q < 1 für eine positive Konstante q < 1<br />

für alle Werte x im Intervall gelten, in dem die Iteration durchgeführt wird. Obige Ungleichung<br />

muss also unter anderem auch für alle iterierten Werte x n gelten. Falls das Iterationsverfahren<br />

konvergiert, dann konvergiert es so gut, dass bei jedem Iterationsschritt die Anzahl<br />

√<br />

5<br />

3


5.2. Gleichungen numerisch lösen 111<br />

der genauen Stellen ungefähr verdoppelt wird. Dieses Iterationsverfahren konvergiert wesentlich<br />

schneller als das Fixpunkt-Iterationsverfahren, dass wir zuerst diskutiert haben. Deshalb<br />

untersuchen wir noch einmal Beispiel 5.2.1.<br />

Beispiel 5.2.4. Gesucht ist die Lösung der Gleichung g(x) = x − 2e −x = 0. Wir schätzen<br />

einen Startwert x 0 = 1.00 und beginnen die Iteration und erhalten die folgenden Werte. In<br />

der zweiten Zeile berechnen wir jeweils das Konvergenzkriterium.<br />

n 0 1 2 3 4<br />

x n ∣<br />

1.00 0.848 0.8526 0.8526055 0.852605502014<br />

∣ g(xn)·g′′ (x n) ∣∣<br />

(g ′ (x n)) < 1 0.07 0.002 0.0002 0.0000003 0.000000000004<br />

2<br />

|x n −x n−1 | − 0.152 0.0048 0.0000054 0.000000000007<br />

Damit haben wir nach nur vier Iterationensschritten eine überaus genügende Genauigkeit der<br />

gesuchten Lösung 0.852605502014 erreicht.<br />

Aufgaben<br />

Implementieren Sie das Tangentenverfahren von Newton in einem Programm in Matlab,<br />

Mathcad oder einer anderen Software. Benutzen Sie zur Kontrolle Ihres Programmes das<br />

Beispiel 5.2.4 und bestimmen Sie dann die Lösungen der folgenden Gleichungen.<br />

Aufgabe 5.2.1. xln(x) = 1<br />

Aufgabe 5.2.2. x 3 +7x−9 = 0<br />

Aufgabe 5.2.3. 4cos(x) = 3x<br />

Aufgabe 5.2.4. tan(x)+sin(x) = 2x<br />

Aufgabe 5.2.5. x x = 10 7.2<br />

Aufgabe 5.2.6. e x −5x+1.633 = 0<br />

Aufgabe 5.2.7. x 4 +3x 2 −2x−12 = 0<br />

Aufgabe 5.2.8. x 4 −12x 3 +45x 2 −54x+18 = 0<br />

Aufgabe 5.2.9. 2x+sin(x) = 2<br />

Aufgabe 5.2.10. x 3 4 +5x 1 4 = 9<br />

Aufgabe 5.2.11. 4x 4 +3x 3 −12x 2 −23 = 0<br />

Aufgabe 5.2.12. √ x−4.5+ 3√ x+2.35 = 3.9292<br />

Aufgabe 5.2.13. x 4 −9x 3 +24.25x 2 −25.5x+9 = 0<br />

Aufgabe 5.2.14. 3x+2e 2x = 18<br />

Aufgabe 5.2.15. x+lg(x 2 ) = 22.7429<br />

Aufgabe 5.2.16. Berechnen Sie mit dem Tangentenverfahren von Newton √ 3, indem Sie<br />

die Lösung der Gleichung x 2 −3 = 0 suchen.<br />

Aufgabe 5.2.17. Entwickeln Sie eine Iterationsvorschrift um die k-te Wurzel aus der positiven<br />

Zahl a iterativ zu berechnen.


112 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Lösungen<br />

Lösung 5.2.1. x = 1.7632<br />

Lösung 5.2.2. x = 1.097081083<br />

Lösung 5.2.3. x = 0.8649<br />

Lösung 5.2.4. x = 0 und x = 4.615<br />

Lösung 5.2.5. x = 7.981509294<br />

Lösung 5.2.6. x = 0.75 und x = 2.277969184<br />

Lösung 5.2.7. x = 1.639106748 und x = −1.375177334<br />

Lösung 5.2.8. x = 4.732 und x = 1.2679 und x = 5.4495 und x = 0.5505<br />

Lösung 5.2.9. x = 0.68404<br />

Lösung 5.2.10. x = 3.126599950<br />

Lösung 5.2.11. x = 1.829297216 und x = −2.407831870<br />

Lösung 5.2.12. x = 7.649834176<br />

Lösung 5.2.13. Doppelte Nullstelle bei x = 1.5 und x = 5.23606 und x = 0.76393<br />

Lösung 5.2.14. x = 1.0068<br />

Lösung 5.2.15. x = 20.135<br />

Lösung 5.2.16. Beginnen Sie zum Beispiel mit x 0 = 2, dann folgt x 1 = 7 4 und x 2 = 97<br />

56 . Also<br />

haben wir nach nur zwei Iterationen √ 3 auf drei Stellen genau berechnet.<br />

Lösung 5.2.17. Die Iterationsvorschrift zur Lösung der Gleichung x k −a = 0 lautet<br />

x n+1 = x n − xk n −a<br />

kx k−1 n<br />

wobei n ∈ N 0 .<br />

Der Startwert x 0 ist geschickt zu wählen.<br />

5.3 Uneigentliche Grenzwerte - Regel von de l’Hospital<br />

Nach Kapitel 3.2 können Grenzwerte von Funktionen mit Summenregel, Differenzregel, Produktregel<br />

und Quotientenregel berechnet werden.<br />

Summen- und Differenzregel: Der Grenzwert einer Summe oder Differenz endlich vieler<br />

Funktionen ist gleich der Summe bzw. Differenz der entsprechenden Grenzwerte dieser<br />

Funktionen, falls die Einzelgrenzwerte existieren<br />

lim(f(x)±g(x)) = lim f(x)± lim g(x).<br />

x→a x→a x→a


5.3. Uneigentliche Grenzwerte - Regel von de l’Hospital 113<br />

Produktregel: Der Grenzwert eines Produktes aus endlich vielen Funktionen ist gleich dem<br />

Produkt der Grenzwerte dieser Funktionen, falls die Einzelgrenzwerte existieren<br />

( )<br />

lim (f(x)·g(x)) = lim f(x)<br />

x→a x→a<br />

( )<br />

· lim g(x) .<br />

x→a<br />

Quotientenregel: Der Grenzwert des Quotienten zweier Funktionen ist gleich dem Quotienten<br />

der Grenzwerte dieser Funktionen, falls die Einzelgrenzwerte existieren<br />

f(x)<br />

lim f(x)<br />

lim<br />

x→a g(x) = x→a<br />

lim g(x)<br />

x→a<br />

und lim x→a g(x) ≠ 0.<br />

Bei der Grenzwertberechnung können aber auch Schwierigkeiten auftreten.<br />

Beispiel 5.3.1. Probleme bei der Berechnung von uneigentlichen Grenzwerten.<br />

a. Der Ausdruck lim x→∞ (x 4 − x 3 ) = ∞ − ∞ macht so keinen Sinn, dieser muss zuerst<br />

geeignet umgeformt werden<br />

lim<br />

x→∞ (x4 −x 3 ) = lim<br />

(1− 1 )<br />

x→∞ x4 = +∞.<br />

x<br />

Wir beobachten, dass ∞−∞ wieder ∞ sein kann.<br />

b. Der Ausdruck lim x→∞ ( √ x+1− √ x) = ∞−∞ macht so keinen Sinn, dieser muss zuerst<br />

geeignet umgeformt werden<br />

lim<br />

x→∞ (√ x+1− √ x) = lim<br />

(√ x+1− √ √ √ x+1+ x<br />

x)<br />

x→∞<br />

√ x+1+<br />

√ x<br />

= lim<br />

x→∞<br />

1<br />

√ x+1+<br />

√ x<br />

= 0.<br />

Jetzt beobachten wir, dass ∞−∞ auch 0 sein kann.<br />

WirgebenhiereineZusammenstellungderbestimmtenundunbestimmtenRechenoperationen<br />

mit dem Zeichen ∞.


114 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Operation a ∈ R bestimmte Operationen unbestimmte Operationen<br />

Summen beliebig a±∞ = ±∞<br />

∞+∞ = ∞<br />

Differenzen −∞−∞ = −∞ ∞−∞<br />

Produkte (±∞)·(±∞) = ∞<br />

∞·(−∞) = −∞<br />

a ≠ 0 a·(±∞) = ±∞·sgn(a) 0·(±∞)<br />

Quotienten a ≠ 0 a<br />

±∞ = 0 0<br />

∣ 0<br />

∣ a ∣ = ∞<br />

0<br />

∣ ±∞ 0<br />

∣ = ∞<br />

±∞<br />

±∞<br />

Potenzen a > 1 a ∞ = ∞<br />

a > 1 a −∞ = 0 1 ∞<br />

0 < a < 1 a ∞ = 0<br />

0 < a < 1 a −∞ = ∞<br />

0 < a ∞ a = ∞<br />

a < 0 ∞ a = 0<br />

0 ∞ = 0 0 0<br />

∞ ∞ = ∞ ∞ 0<br />

∞ −∞ = 0<br />

Bei ±∞ 0<br />

und a 0<br />

ist keine eindeutige Aussage möglich, da rechtsseitiger und linksseitiger Grenzwert<br />

nicht übereinstimmen müssen. Im Folgenden sollen nun die Regeln zur Berechnung von<br />

uneigentlichen Grenzwerten der Form<br />

aufgestellt werden.<br />

∞−∞,<br />

0·(±∞),<br />

0<br />

0 , ±∞<br />

±∞ , 1∞ , 0 0 und ∞ 0<br />

Satz 5.3.1 (Regel von de l’Hospital). Es sei a ∈ R oder a = ±∞. Die Funktionen f und g<br />

seien in einer Umgebung von x = a differenzierbar, und es gelte entweder<br />

∣ ∣∣lim<br />

∣<br />

lim f(x) = lim g(x) = 0 oder f(x) ∣ = ∣lim g(x) ∣ = ∞.<br />

x→a x→a x→a x→a<br />

Dann ist<br />

f(x)<br />

lim<br />

x→a g(x) = lim f ′ (x)<br />

x→a g ′ (x) .<br />

Der Beweis der Regel von de l’Hospital erfolgt mit Hilfe von Reihenentwicklungen der beiden<br />

Funktionen f und g mit Entwicklungspunkt x = a, anschliessendem Kürzen und Grenzübergang<br />

(vgl. Kapitel 12.5). Die Regel von de l’Hospital ist klar von der Quotientenregel der<br />

Differenziation zu unterscheiden. Falls sich wieder eine unbestimmte Form ergibt, so ist die<br />

Regel erneut anzuwenden.<br />

Beispiel 5.3.2. Bevor wir die Regel von de l’Hospital anwenden, ist es eminent wichtig, dass<br />

wir die Voraussetzungen der Regel testen. Im Normalfall bietet die Differenzierbarkeit keine<br />

Probleme.


5.3. Uneigentliche Grenzwerte - Regel von de l’Hospital 115<br />

Abbildung 5.3.i: Guillaume François Antoine Marquis de l’Hospital, 1661-1704<br />

a. Wir wollen den Grenzwert lim x→0<br />

sin(x)<br />

x<br />

berechnen. Da lim x→0 sin(x) = lim x→0 x = 0,<br />

sind die Voraussetzungen zur Anwendung der Regel von de l’Hospital erfüllt. Also folgt<br />

b. Der Grenzwert lim x→0<br />

x 2 −2+2cos(x)<br />

x 4<br />

sin(x) cos(x)<br />

lim = lim = 1.<br />

x→0 x x→0 1<br />

sei zu berechnen. Da<br />

lim<br />

x→0 (x2 −2+2cos(x)) = lim x 4 = 0,<br />

x→0<br />

können wir die Regel von de l’Hospital einmal anwenden.<br />

x 2 −2+2cos(x) 2x−2sin(x)<br />

lim<br />

x→0 x 4 = lim<br />

x→0 4x 3<br />

Nun stellen wir aber fest, dass lim x→0 (2x − 2sin(x)) = lim x→0 4x 3 = 0. Also wenden<br />

wir die Regel eine weiteres Mal an. So fahren wir fort, bis zum ersten Mal eine nicht<br />

unbestimmte Rechenoperation auftaucht. Dann bilden wir den Grenzübergang<br />

x 2 −2+2cos(x) 2x−2sin(x)<br />

lim<br />

x→0 x 4 = lim<br />

x→0 4x 3 Regel anwenden da 0 0<br />

= lim<br />

x→0<br />

2−2cos(x)<br />

12x 2 Regel anwenden da 0 0<br />

= lim<br />

x→0<br />

2sin(x)<br />

24x<br />

= lim<br />

x→0<br />

2cos(x)<br />

24<br />

= 1<br />

12 .<br />

Regel anwenden da 0 0<br />

2<br />

Grenzübergang da<br />

24<br />

c. Es sei n ∈ N 0 . Nun wenden wir die Regel von de l’Hospital n-mal an, um den Grenzwert<br />

x n<br />

lim<br />

x→∞ e x = lim nx n−1<br />

x→∞ e x<br />

n!<br />

= ··· = lim<br />

x→∞ e x = 0<br />

zu berechnen. Wir müssen aufpassen, dass wir jedes Mal die Voraussetzungen testen<br />

und nicht zu oft differenzieren.


116 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

d. Es sei n ∈ N. Dann ist<br />

ln(x)<br />

lim<br />

x→∞ x n = lim<br />

x→∞<br />

1<br />

x<br />

= lim<br />

nxn−1 x→∞<br />

1<br />

nx n = 0.<br />

Alle anderen unbestimmten Rechenoperationen sind dann auf die Formen 0 0 oder ∞ ∞ zurückzuführen,<br />

wie die folgende Zusammenstellung zeigt.<br />

Beispiel 5.3.3.<br />

Operation lim x→a f(x) lim x→a g(x) Umformung neue Operation<br />

f ·g = f 0<br />

1 0<br />

g<br />

0·∞ 0 ∞<br />

f ·g = g 1<br />

f<br />

∞−∞ 0 0<br />

1<br />

f − 1 g = g−f<br />

f·g<br />

1 ∞ ,0 0 ,∞ 0 1, 0, ∞ ∞, 0, 0 f g = e g·ln(f) e 0·∞<br />

a. Unser Ziel ist es, den Grenzwert<br />

( 1<br />

lim<br />

x→0 x − 1 )<br />

sin(x)<br />

zu berechnen. Hier haben wir die unbestimmte Operation ∞−∞. Also formen wir um<br />

und erhalten nun die unbestimmte Operation 0 0<br />

. Somit wenden wir die Regel von de<br />

l’Hospital an und erhalten<br />

( 1<br />

lim<br />

x→0 x − 1 )<br />

sin(x)−x<br />

= lim Regel anwenden da 0 sin(x) x→0 xsin(x)<br />

0<br />

cos(x)−1<br />

= lim Regel anwenden da 0<br />

x→0 sin(x)+xcos(x)<br />

0<br />

−sin(x)<br />

= lim Grenzübergang da 0<br />

x→0 2cos(x)−xsin(x)<br />

2<br />

= 0 2 = 0.<br />

∞<br />

∞<br />

0<br />

0<br />

b. Uns interessiert der folgende Grenzwert mit der unbestimmte Operation 0 0 . Wir haben<br />

bereits etwas umgeformt und erhielten<br />

lim<br />

x→0 xx = lim e x ln(x) .<br />

x→0<br />

Nun stehen wir vor dem Problem, den Grenzwert lim x→0 (x ln(x)) zu berechnen. Wir<br />

formen erneut um und wenden die Regel von de l’Hospital an:<br />

ln(x)<br />

lim(x ln(x)) = lim<br />

x→0 x→0 1<br />

x<br />

1<br />

x<br />

x→0 − 1 x 2<br />

= lim<br />

= lim<br />

x→0<br />

(−x) = 0<br />

Regel anwenden da −∞ ∞<br />

Umformen, dann Grenzübergang<br />

Nun können wir folgern, dass lim x→0 x x = e lim x→0(x ln(x)) = e 0 = 1.


5.3. Uneigentliche Grenzwerte - Regel von de l’Hospital 117<br />

Beispiel 5.3.4. Die Regel von de l’Hospital funktioniert nicht immer.<br />

√<br />

x<br />

x<br />

lim √<br />

x→∞ x 2 +1 = lim = lim<br />

2 √ x<br />

+1<br />

= lim x 2 +1<br />

x→∞ x→∞ x x→∞ 1<br />

1<br />

x √<br />

x 2 +1<br />

In diesem Fall kürzen wir besser mit x und erhalten direkt<br />

x<br />

lim √<br />

x→∞ x 2 +1 = lim 1<br />

= 1.<br />

x→∞<br />

√1+ 1 x 2<br />

= lim<br />

x→∞<br />

x<br />

√<br />

x 2 +1<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 5.3.1. Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte.<br />

10x 12 −11x 11 +x<br />

sin(α)−α<br />

a. lim<br />

c. lim<br />

x→1 (1−x) 2<br />

α→0 e sin(α) −e α<br />

b. lim<br />

x→8<br />

3− √ x+1<br />

x 2 −64<br />

d. lim<br />

x↓1<br />

ln(x)<br />

√<br />

x 2 −1<br />

Aufgabe 5.3.2. Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte. Es seien a,b ∈ R Parameter.<br />

ln(y)<br />

a. lim √<br />

y→∞ y 2 −1<br />

b. lim<br />

x→0<br />

x−sin(x)<br />

xcos(x)<br />

bu+a<br />

c. lim<br />

u→∞ ln(1+e u )<br />

d. lim<br />

α→0<br />

cot(3α)<br />

cot(α)<br />

Aufgabe 5.3.3. Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte.<br />

ln(x)<br />

c. lim(1−cos(x))cot(x)<br />

a. lim<br />

x→0<br />

x→0 cot(x)<br />

(<br />

b. lim(e x π<br />

−1)ln(3x)<br />

d. lim<br />

x↓0 β→<br />

π<br />

2cos(β) − β )<br />

cot(β)<br />

2<br />

Aufgabe 5.3.4. Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte.<br />

a. lim<br />

z→∞ z 1 z<br />

b. lim<br />

x→0<br />

sin x (x)<br />

(<br />

c. lim 1+ 1 ) x<br />

x→∞ x<br />

d. lim<br />

x↓3<br />

arcsin(3−x)<br />

√<br />

x 2 −4x+3<br />

Aufgabe 5.3.5. Bestimmen Sie die folgenden Grenzwerte. Es sei a ∈ R−{0}.<br />

a. lim ϕarccot(ϕ)<br />

cosh(x)−1<br />

ϕ→∞ c. lim<br />

( x→0 x 2<br />

ξ −a<br />

b. lim<br />

ξ→a<br />

arcsin<br />

a<br />

)<br />

cot(ξ −a)<br />

d. lim<br />

x→0<br />

sin(x)−arsinh(x)<br />

x 5<br />

Aufgabe 5.3.6. Beim freien Fall mit Luftwiderstand gilt für den zurückgelegten Weg<br />

s(t) = a2 ( ( g<br />

)) √ mg<br />

g ln cosh<br />

a t wobei a =<br />

c .<br />

Dabei wird angenommen, dass der Luftwiderstand F L proportional dem Quadrat der Fallgeschwindigkeit<br />

v ist, c ist der Proportionalitätsfaktor, d.h. F L = cv 2 . Aus beiden Formeln sind<br />

s und v für den freien Fall im luftleeren Raum zu berechnen.


118 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Lösungen<br />

Lösung 5.3.1.<br />

a. 55<br />

b. − 1<br />

96<br />

c. 1<br />

d. 0<br />

Lösung 5.3.2.<br />

a. 0<br />

b. 0<br />

Lösung 5.3.3.<br />

a. 0<br />

b. 0<br />

Lösung 5.3.4.<br />

a. 1<br />

b. 1<br />

Lösung 5.3.5.<br />

c. b<br />

d.<br />

1<br />

3<br />

c. 0<br />

d. 1<br />

c. e<br />

d. 0<br />

a. 1<br />

b.<br />

1<br />

a<br />

c.<br />

1<br />

2<br />

d. − 1 15<br />

Lösung 5.3.6. Im luftleeren Raum herrscht kein Luftwiderstand, das heisst c = 0. Berechnen<br />

Sie demzufolge den Grenzübergänge lim c→0 s(t). Dann erhalten Sie den zurückgelegten Weg<br />

im luftleeren Raum.<br />

5.4 Untersuchung von Funktionen – Kurvendiskussion<br />

OftsindFunktioneninihrenexplizitenDarstellungengegeben,undwirmöchtendasVerhalten<br />

der Funktion möglichst genau verstehen und untersuchen. Das Ziel einer Kurvendiskussion<br />

besteht darin, ein möglichst vollständiges Bild der zu untersuchenden Funktion zu erhalten,<br />

damit wir zum Beispiel ihren Grafen mit allen Eigenschaften richtig zeichnen können. In<br />

diesem Zusammenhang haben wir bereits die folgenden Punkte behandelt:<br />

1. Definitionsbereich<br />

2. Symmetrien<br />

3. Verhalten im Unendlichen<br />

4. Unstetigkeitsstellen und Singularitäten<br />

5. Achsenabschnitte<br />

Nun sollen noch zwei weitere Gebiete diskutiert werden.


5.4. Untersuchung von Funktionen – Kurvendiskussion 119<br />

6. Monotonieverhalten und Extrempunkte<br />

Wir beginnen mit einer kurzen Rekapitulation der Definition der Monotonie.<br />

Definition 5.4.1. Eine Funktion f heisst im Intervall I monoton wachsend 1 (in Zeichen<br />

↑), wenn für irgend zwei Werte x 1 und x 2 im Intervall I mit x 1 < x 2 stets f(x 1 ) ≤ f(x 2 ) gilt.<br />

Sie heisst monoton fallend (in Zeichen ↓), wenn mit x 1 < x 2 stets f(x 1 ) ≥ f(x 2 ) gilt.<br />

Es ist zu beachten, dass das Gleichheitszeichen zugelassen ist. Gilt im ganzen Intervall eine<br />

strenge Ungleichung f(x 1 ) < f(x 2 ) bzw. f(x 1 ) > f(x 2 ), so sprechen wir von strenger<br />

Monotonie (in Zeichen ⇑ bzw. ⇓).<br />

Ein Bogen mit dem gleichen Monotonieverhalten nennen wir einen Monotoniebogen.<br />

y<br />

y<br />

f ′ (x) > 0 • f ′ (x) < 0<br />

⇓<br />

f ′ (x) = 0<br />

⇑<br />

⇑<br />

f ′ (x) = 0<br />

⇓<br />

•<br />

f ′ (x) < 0 f ′ (x) > 0<br />

x<br />

x<br />

Abbildung 5.4.i: Extrempunkte<br />

Satz 5.4.1 (Monotonieverhalten). Die Funktion f sei im Intervall I differenzierbar.<br />

a. Die Funktion f ist streng monoton wachsend im Intervall I ⇐= f ′ (x) > 0 für alle x ∈ I.<br />

b. Die Funktion f ist streng monoton fallend im Intervall I ⇐= f ′ (x) < 0 für alle x ∈ I.<br />

Definition 5.4.2. Extrempunkte sind Punkte der Kurve, die zwei verschiedene Monotonieverhalten<br />

(Monotoniebögen) trennen. Übergang von streng monoton wachsend zu streng<br />

monoton fallend bzw. umgekehrt.<br />

Satz 5.4.2 (Notwendige Bedingung für eine Extremstelle). Die Funktion f sei an der Stelle<br />

x e ∈ X f differenzierbar. Die Stelle x e ist eine Extremstelle =⇒ f ′ (x e ) = 0.<br />

DieUmkehrungvonSatz5.4.2istimAllgemeinenfalsch,wiedasfolgendeBeispieleindrücklich<br />

zeigt.<br />

Beispiel 5.4.1. Wir betrachten die Funktion f(x) = x 3 und stellen fest, dass f ′ (0) = 0.<br />

Aber bei x = 0 hat die Funktion f keine Extremstelle, da das Monotonieverhalten dort nicht<br />

ändert. Die Funktion f ist auf ganz R monoton wachsend. Später werden wir sehen, dass f<br />

im Punkt P(0,0) einen Sattelpunkt hat.<br />

Definition 5.4.3 (Lokales 2 Minimum und lokales Maximum). a. Die Funktion f hat an<br />

der Stelle x min ∈ X f eine (lokale) Minimumstelle, wenn es eine Umgebung V von<br />

x min gibt, in der für alle x ∈ V gilt f(x) ≥ f(x min ). Der Punkt P(x min ,f(x min )) heisst<br />

lokales Minimum der Funktion f.<br />

1 Es wird etwa auch monoton steigend gesagt.


120 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

b. Die Funktion f hat an der Stelle x max ∈ X f eine (lokale) Maximumstelle, wenn es<br />

eine Umgebung U von x max gibt, in der für alle x ∈ U gilt f(x) ≤ f(x max ). Der Punkt<br />

P(x max ,f(x max )) heisst lokales Maximum der Funktion f.<br />

y<br />

f(x max )<br />

•<br />

y = f(x)<br />

f(x min )<br />

•<br />

U<br />

] [<br />

x max<br />

V<br />

] [<br />

x min<br />

x<br />

Abbildung 5.4.ii: Minimum und Maximum einer Funktion.<br />

Satz 5.4.3 (Hinreichende Bedingung für eine Extremstelle). Die Funktion f sei in einer<br />

Umgebung der Stelle x e ∈ X f differenzierbar, und es gelte f ′ (x e ) = 0.<br />

a. Die Funktion f hat eine lokale Minimumstelle bei x e , wenn es eine Umgebung V von<br />

x e gibt, so dass<br />

f ′ (x) < 0 für alle x ∈ V mit x < x e<br />

und f ′ (x) > 0 für alle x ∈ V mit x > x e .<br />

b. Die Funktion f hat eine lokale Maximumstelle bei x e , wenn es eine Umgebung U von<br />

x e gibt, so dass<br />

f ′ (x) > 0 für alle x ∈ U mit x < x e<br />

und f ′ (x) < 0 für alle x ∈ U mit x > x e .<br />

Ändert sich das Monotonieverhalten der Funktion f an der Stelle x e ∈ X f bei monoton<br />

wachsendem x, so handelt es sich es sich beim Übergang von fallend in wachsend um ein<br />

lokales Minimum und beim Übergang von wachsend in fallend um ein lokales Maximum.<br />

Dieser Sachverhalt lässt sich nun leicht mit Hilfe der zweiten Ableitung ausdrücken. Dazu<br />

müssen wir aber die zweimalige Differenzierbarkeit der betrachteten Funktion fordern.<br />

7. Krümmungsverhalten, Wendepunkte und Sattelpunkte<br />

Die KenntnisderMonotonie reicht oft nicht aus, umdieKurveexakt zuverstehen. Zusätzliche<br />

Information kann vom Krümmungsverhalten erhalten werden. Im Folgenden setzen wirimmer<br />

voraus, dass die Funktion f auf dem Intervall I mindestens einmal differenzierbar ist.<br />

Definition 5.4.4. Die Funktion f heisst im Intervall I konvex bzw. konkav, wenn die<br />

Tangente in jedem Punkt x 0 ∈ I unterhalb bzw. oberhalb von jedem Kurvenpunkt in I liegt.


5.4. Untersuchung von Funktionen – Kurvendiskussion 121<br />

y<br />

y<br />

•<br />

•<br />

x 0<br />

x<br />

x 0<br />

x<br />

Abbildung 5.4.iii: Konvexe (links) und konkave (rechts) Kurve. Im Wort konkav steckt das<br />

Wort cave = Keller, also können wir uns als Eselsbrücke merken, dass konkave Kurvenstücke<br />

wie Kellergewölbe gekrümmt sind.<br />

Satz 5.4.4 (Krümmungsverhalten). Die Funktion f sei im Intervall I zweimal differenzierbar.<br />

a. Die Funktion f ist konvex im Intervall I ⇐⇒ f ′′ (x) > 0 für alle x ∈ I.<br />

b. Die Funktion f ist konkav im Intervall I ⇐⇒ f ′′ (x) < 0 für alle x ∈ I.<br />

Bei einem konvexen Kurvenstück sprechen wir auch von einer Linkskrümmung und bei<br />

einem konkaven Kurvenstück von einer Rechtskrümmung. Nunfolgt der zentrale, wichtige<br />

Satz überExtrempunktein diesem Kapitel. Dieser Satz ist im Wesentlichen eine Kombination<br />

der Sätze 5.4.3 und 5.4.4.<br />

Satz 5.4.5 (Extrempunkte). Die Funktion f sei an der Stelle x e ∈ X f zweimal differenzierbar<br />

und es gelte f ′ (x e ) = 0.<br />

a. Bei x e hat die Funktion f eine lokale Minimumstelle I ⇐= f ′′ (x e ) > 0.<br />

b. Bei x e hat die Funktion f eine lokale Maximumstelle I ⇐= f ′′ (x e ) < 0.<br />

Die Voraussetzung der Differenzierbarkeit der Funktion f an der Stelle x e ist entscheidend,<br />

wie das Beispiel 5.4.2 zeigt. In einer Spitze hat die Funktion zwar ein Maximum, aber dieser<br />

Punkt hat keine horizontale Tangente.<br />

Wieder anders verhält es sich am Rand des Definitionsbereichs der Funktion f : [a,b] → R. Es<br />

kann vorkommen, dass ein Randpunkt x ∈ {a,b} des Intervalls [a,b] ein (lokales) Minimum<br />

oder Maximum darstellt, obwohl dort auch keine horizontale Tangente besteht. Wir müssen<br />

also die Randpunkte jeweils speziell untersuchen.<br />

Beispiel 5.4.2. Wir betrachten die nicht überall differenzierbare Funktion f : [a,b] → R<br />

(vgl. Abbildung 5.4.iv). Die Funktion f hat ein Maximum an der Stelle x = x Spitze , obwohl<br />

sie dort nicht differenzierbar ist. Einen solchen Knick bezeichnen wir als eine Spitze. Sie hat<br />

ein Minimum an der Stelle x = x e , wo sie auch eine horizontale Tangente besitzt. Weiter hat<br />

die Funktion f ein lokales Maximum am linken Rand des Intervalls [a,b] bei x = a und ein<br />

lokales Minimum am rechten Rand bei x = b. Hätten wir die Funktion f nur auf horizontale<br />

Tangenten getestet, sprich Nullstellen von f ′ (x) = 0 gesucht, so wären uns viele interessante<br />

Aspekte der Funktion f verborgen geblieben.


122 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

y<br />

•<br />

y = f(x)<br />

•<br />

•<br />

•<br />

a<br />

x e<br />

x Spitze<br />

Abbildung 5.4.iv: Eine Kurve mit einem lokalen Maximum (resp. lokalen Minimum) am linken<br />

(resp. rechten) Randpunkt des Definitionsintervalls, einem globalen Minimum und einer<br />

Spitze.<br />

b<br />

x<br />

Definition 5.4.5. Wendepunkte sind Punkte der Kurve, die zwei verschiedene Krümmungsverhalten<br />

trennen. Übergang von konvex zu konkav bzw. umgekehrt. Sattelpunkte 3<br />

sind Wendepunkte der Kurve mit einer horizontalen Tangente.<br />

y<br />

y = f(x)<br />

konkav<br />

f ′′ (x) < 0<br />

f ′′ (x) = 0<br />

•<br />

konvex<br />

f ′′ (x) > 0<br />

x w<br />

x<br />

Abbildung 5.4.v: Ein Wendepunkt trennt verschiedene Krümmungsverhalten.<br />

Satz 5.4.6 (Hinreichende Bedingung für einen Wendepunkt bzw. Sattelpunkt). Die Funktion<br />

f sei an den Stellen x w ,x s ∈ X f dreimal differenzierbar.<br />

a. Bei x w hat die Funktion f einen Wendepunkt ⇐= f ′′ (x w ) = 0 und f ′′′ (x w ) ≠ 0.<br />

b. Bei x s hat die Funktion f einen Sattelpunkt ⇐= f ′ (x s ) = f ′′ (x s ) = 0 und f ′′′ (x s ) ≠ 0.<br />

Bei einem Wendepunkt x w hat also f ′′ einen Vorzeichenwechsel, das heisst der Drehsinn der<br />

Tangente ändert in diesem Kurvenpunkt. Ein Sattelpunkt x s ist ein spezieller Wendepunkt.<br />

3 Es wird auch der Begriff Terassenpunkt verwendet.


5.5. Beispiele einer Kurvendiskussion 123<br />

y<br />

y = f(x)<br />

•<br />

•<br />

•<br />

x w1<br />

x s<br />

x w2<br />

x<br />

Abbildung 5.4.vi: Wendepunkte bei x w1 , x w2 und Sattelpunkt bei x s<br />

Wenn wir eine Kurvendiskussion durchführen,können wir versuchen, die Grafen der Funktion<br />

f, sowie die ersten drei Ableitungen f ′ , f ′′ und f ′′′ in einem gemeinsamen Koordinatensystem<br />

darzustellen. Dies ist eine Art Quintessenz der ganzen Kurvendiskussion. Häufig verwenden<br />

wir ein Computeralgebrasystem um die Verläufe dieser Grafen zu visualisieren.<br />

5.5 Beispiele einer Kurvendiskussion<br />

Beispiel 5.5.1. Es sei die folgende Funktion gegeben<br />

f(x) = x 4 −8x 2 −9.<br />

Nun führen wir eine vollständige Kurvendiskussion durch, um den Grafen y = f(x) realitätstreu<br />

darstellen zu können. Indiesem Zusammenhangdiskutieren wirdie folgenden Punkte:<br />

y = f(x) = x 4 − 8x 2 − 9<br />

y = f ′ (x) = 4x 3 − 16x<br />

y = f ′′ (x) = 12x 2 − 16<br />

y = f ′′′ (x) = 24x<br />

y<br />

25<br />

| | |<br />

−3 −2 −1<br />

−9<br />

| | |<br />

1 2 3<br />

x<br />

−25<br />

Abbildung 5.5.i: Kurvendiskussion der Funktion f(x) = x 4 −8x 2 −9<br />

1. Definitionsbereich: Die Funktion f ist eine Polynomfunktion, also gilt X f = R.


124 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

2. Symmetrien: Es gilt<br />

f(−x) = (−x) 4 −8(−x) 2 −9 = x 4 −8x 2 −9 = f(x) für alle x ∈ X f = R.<br />

Also handelt es sich um eine gerade Funktion.<br />

3. Verhalten im Unendlichen: Wir betrachten die beiden Grenzwerte<br />

(<br />

lim<br />

x→−∞ (x4 −8x 2 −9) = lim<br />

x→−∞ x4 1− 8 x 2 − 9 )<br />

x 4 = +∞,<br />

(<br />

lim<br />

x→∞ (x4 −8x 2 −9) = lim<br />

x→∞ x4 1− 8 x 2 − 9 )<br />

x 4 = +∞.<br />

4. Unstetigkeitsstellen und Singularitäten:Polynomfunktionensindstetigundhaben<br />

keine Singularitäten.<br />

5. Achsenabschnitte:<br />

Schnittpunkte mit der x-Achse: Wir setzen y = 0 und erhalten die doppelquadratische<br />

Gleichung f(x) = x 4 −8x 2 −9 = 0. Die Lösungen finden wir durch<br />

x 2 1,2 = 8±√ 64+4·9<br />

2<br />

=<br />

{ 9<br />

−1.<br />

Also ergeben sich die beiden einzigen reellen Nullstellen x 1 = −3 und x 2 = 3.<br />

Schnittpunkt mit der y-Achse: Wir setzen x = 0 und erhalten f(0) = −9. Der<br />

Punkt P(0,−9) ist der Schnittpunkt der Kurve mit der y-Achse.<br />

6. Monotonieverhalten und Extrempunkte: Wir berechnen die erste Ableitung der<br />

Funktion f und erhalten<br />

f ′ (x) = 4x 3 −16x = x(4x 2 −16).<br />

Die Nullstellen von f ′ (x) = 0 sind Kandidaten für Extremstellen. Wir finden x 3 = 0<br />

und x 4 = −2, x 5 = 2. Um zu entscheiden, um was für Extremwerte es sich handelt,<br />

berechnen wir die zweite Ableitung von f, also<br />

f ′′ (x) = 12x 2 −16.<br />

Nun können die Kandidaten für Extremstellen getestet werden:<br />

• Es ist f ′′ (x 3 ) = f ′′ (0) = −16 < 0, also handelt es sich bei P(0,−9) um ein lokales<br />

Maximum.<br />

• Es ist f ′′ (x 4 ) = f ′′ (−2) = 32 > 0, also handelt es sich bei P(−2,−25) um ein<br />

lokales Minimum.<br />

• Es ist f ′′ (x 5 ) = f ′′ (2) = 32 > 0, also handelt es sich bei P(2,−25) um ein lokales<br />

Minimum.


5.5. Beispiele einer Kurvendiskussion 125<br />

7. Krümmungsverhalten, Wende- und Sattelpunkte: Wir berechnen die Nullstellen<br />

der zweiten Ableitung f ′′ (x) = 12x 2 − 16 = 0, um Kandidaten für Wendepunkte und<br />

Sattelpunkte zu erhalten. Wir finden x 6 = − 2 √<br />

3<br />

und x 7 = 2 √<br />

3<br />

. Da x 6 und x 7 nicht Nullstellen<br />

von f ′ sind, können sich an den Stellen x 6 und x 7 keine horizontalen Tangenten<br />

befinden, also auch keine Sattelpunkte. Um zu entscheiden, ob es sich um Wendepunkte<br />

handelt, berechnen wir die dritte Ableitung von f, also<br />

f ′′′ (x) = 24x.<br />

Nun können die Kandidaten für Wendepunkte getestet werden:<br />

( ) ( )<br />

• Esistf ′′′ (x 6 ) = f ′′′ −√ 2 3<br />

= −√ 48<br />

3 ≠ 0,alsohandeltessichbeiP −√ 2 3<br />

,−17.9...<br />

um einen Wendepunkt.<br />

( )<br />

• Es ist f ′′′ (x 7 ) = f ′′′ 2√3<br />

= √ 48<br />

3 ≠ 0, also handelt es sich bei P<br />

einen Wendepunkt.<br />

(<br />

2√3<br />

,−17.9...)<br />

um<br />

Nun sind wir in der Lage, ein genaues Bild der Situation zu machen und können die Abbildung<br />

5.5.i erstellen. Wir kennen jetzt alle charakteristischen Merkmale der Kurve y = f(x).<br />

Beispiel 5.5.2 (Extremwertrechnung). Gegeben sei ein Stück Blech mit der Länge a und<br />

der Breite b, wobei b ≤ a angenommen wird. Wie weit müssen wir den Einschnitt x führen,<br />

damit ein offener Behälter mit maximalem Volumen entsteht (vgl. Abbildung 5.5.ii)? Wie<br />

gross ist dieses maximale Volumen? Unter der Voraussetzung b ≤ a können wir die Länge des<br />

x<br />

x<br />

x<br />

x<br />

b<br />

a<br />

Abbildung 5.5.ii: Ein Stück Blech wird zu einem offenen Behälter mit maximalem Volumen<br />

geformt.<br />

Einschnittes x ∈ [ 0, b 2]<br />

variieren. Das Volumen des Behälters berechnet sich gemäss<br />

V(x) = (a−2x)(b−2x)x = abx−2x 2 (a+b)+4x 3 für alle x ∈ [ 0, b 2]<br />

.<br />

Wir sehen hier, dass die zu diskutierende Volumenfunktion nur auf dem Intervall [0, b 2 ] einen<br />

Sinn macht, deshalb müssen wir auch die Randwerte diskutieren. Aus geometrischen Überlegungen<br />

sehen wir, dass bei x 1 = 0 und x 2 = b 2<br />

das Volumen verschwindet. Jetzt interessieren<br />

wirunsfürdasMaximum. WirberechnendieersteAbleitungderVolumenfunktionundsetzen<br />

sie gleich null<br />

V ′ (x) = ab−4x(a+b)+12x 2 = 0.<br />

Wir erhalten die Lösungen<br />

x 3,4 = 4(a+b)±√ 16(a+b) 2 −4·12ab<br />

24<br />

= (a+b)±√ (a+b) 2 −3ab<br />

6


126 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Die Nullstelle x 3 = (a+b)+√ (a+b) 2 −3ab<br />

6<br />

≥ b 2 ist nicht im Intervall [ 0, b 2]<br />

, deshalb kann sie aus<br />

konstruktiven Gründen weggelassen werden. Nun leiten wir ein zweites Mal ab, um zu testen,<br />

ob bei x 4 das maximale Volumen entsteht<br />

V ′′ (x) = −4(a+b)+24x.<br />

Es ist V ′′ (x 4 ) = −4 √ (a+b) 2 −3ab < 0. Also handelt es sich bei x 4 = (a+b)−√ (a+b) 2 −3ab<br />

6<br />

um<br />

die gesuchte Maximumstelle. Das maximale Volumen beträgt demzufolge V(x 4 ).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 5.5.1. Führen Sie eine vollständige Kurvendiskussion der folgenden Funktionen<br />

durch.<br />

a. f(x) = x 3 −6x 2 +9x−4<br />

b. f(u) = u 4 −16u 2<br />

c. f(x) = x 2 +2|x+2|+4<br />

d. f(t) = −2t<br />

(t−1) 2<br />

e. f(x) = (x−2)2<br />

(x+2) 2<br />

f. f(x) =<br />

1<br />

√<br />

4−x 2<br />

Aufgabe 5.5.2. Führen Sie eine vollständige Kurvendiskussion der folgenden Funktionen<br />

durch.<br />

a. f(t) = ln(t)<br />

t<br />

b. f(x) = x 2 ln(x)<br />

c. f(ϕ) = ln(ϕ)<br />

ϕ 2<br />

d. f(x) = ex<br />

x 2<br />

e. f(x) = e −x2<br />

Aufgabe 5.5.3. BestimmenSiedieExtremstellen,ExtremwerteunddieArtderExtremwerte<br />

der folgenden Funktionen.<br />

a. f(x) = √ 1+x+ √ 1−x<br />

b. f(x) =<br />

x<br />

(x−a)(x−b)<br />

wobei ab > 1<br />

Aufgabe 5.5.4. Eine Schwingungist gegeben durch s(t) = e sin(ωt) −1. Es sind die Zeitpunkte<br />

mit extremaler Geschwindigkeit zu bestimmen.<br />

Aufgabe 5.5.5. Bestimmen Sie die Polynomfunktion dritten Grades<br />

mit einem Sattelpunkt bei P(2,2).<br />

f(x) = x 3 +ax 2 +bx+c


5.5. Beispiele einer Kurvendiskussion 127<br />

Aufgabe 5.5.6. Bestimmen Sie die Polynomfunktion fünften Grades<br />

f(x) = x 5 +ax 4 +bx 3 +cx 2 +dx+e<br />

die mit der x-Achse einen Berührungspunkt mit Abszisse 0, einen Extrempunkt bei P(2,−2)<br />

und einem Wendepunkt mit der Abszisse 1 hat?<br />

Aufgabe 5.5.7. ZerlegenSieeineZahlz inzwei Summanden,sodassderenProduktmaximal<br />

wird.<br />

Aufgabe 5.5.8. Zur Bestimmung eines Wertes liegen n verschiedene Messwerte x 1 ,x 2 ,...,<br />

x n vor, deren absolute Fehler |x−x 1 |,|x−x 2 |,...,|x−x n | sind. Für welche Werte x wird die<br />

Summe der Quadrate dieser Fehler, also<br />

ein Minimum?<br />

S(x) = (x−x 1 ) 2 +(x−x 2 ) 2 +···+(x−x n ) 2<br />

Aufgabe 5.5.9. In einer Kugel mit Radius R ist<br />

a. der Kreiszylinder mit dem grössten Volumen V,<br />

b. der Kreiszylinder mit der grössten Mantelfläche M,<br />

c. der Kreiszylinder mit der grössten Oberfläche O und<br />

d. der Kegel mit grösstem Volumen V<br />

einzubeschreiben. Wie gross sind jeweils der Radius und die Höhe?<br />

Aufgabe 5.5.10. Zwei Punkte P 1 und P 2 bewegen sich auf den beiden Koordinatenachsen<br />

gleichförmig mit v 1 = 0.3ms −1 und v 2 = 0.4ms −1 in Richtung Ursprung. Am Anfang der<br />

Bewegung sind sie vom Ursprung 12m und 9m entfernt. Nach wie vielen Sekunden ist ihre<br />

Entfernung minimal?<br />

Aufgabe 5.5.11. Zwei Punkte A und B haben von einer Geraden g die Abstände a und b.<br />

Die Fusspunkte ihrer Lote auf g haben den Abstand c. Für welchen Punkt P auf der Geraden<br />

g wird die Zeit zum Durchlaufen der geraden Wegstücke von A nach P und anschliessend von<br />

P nach B am kleinsten, wenn<br />

a. die Punkte A und B auf derselben Seite von g liegen und der Weg mit konstanter<br />

Geschwindigkeit v durchlaufen wird (Reflektionsgesetz)?<br />

b. die Punkte A und B auf verschiedenen Seiten von g liegen und der Weg von A nach<br />

P mit konstanter Geschwindigkeit v A und der Weg von P nach B mit konstanter Geschwindigkeit<br />

v B durchlaufen werden (Brechungsgesetz)?<br />

Aufgabe 5.5.12. Für eine symmetrische Linse mit konstanter Brennweite f ist mit Hilfe der<br />

Abbildungsgleichung<br />

1<br />

f = 1 g + 1 b ,<br />

wobei g die Gegenstandsweite und b die Bildweite ist, die kürzeste Entfernung von Bild und<br />

Gegenstand zu bestimmen.


128 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Aufgabe 5.5.13. Ein Balken auf zwei Stützen mit der Stützweite l hat die folgenden Belastungen<br />

im Abstand x vom linken Aufleger als Biegemoment<br />

a. M x = qx(l−x)<br />

2<br />

, wobei x ∈ [0,l] bei gleichmässig verteilter Last q;<br />

b. M x = qxl<br />

6 − q 6l x3 , wobei x ∈ [0,l] bei einseitiger Dreieckslast, die von 0 bis zum Werte q<br />

linear ansteigt;<br />

c. M x = 2F l<br />

x(l −x− a 2<br />

), wobei x ∈ [0,l − a] bei zwei gleich grossen wandernden Lasten<br />

F mit konstantem Abstand a < l 2<br />

, wobei x der Abstand der linken Last vom linken<br />

Aufleger ist.<br />

Bestimmen Sie das grösste Biegemoment sowie die Stelle, an der es auftritt, der so genannte<br />

gefährdete Querschnitt.<br />

Aufgabe 5.5.14. Die Kurve der Funktion<br />

f(x) = e −ax sinh(bx) wobei a > b > 0,<br />

für alle x ∈ [0,∞[<br />

sei zu diskutieren. Bestimmen Sie<br />

a. die Nullstellen,<br />

b. die Abszisse x e und die Art des Extrempunkts,<br />

c. die Abszisse x w des Wendepunkts,<br />

d. die Steigung bei x = 0 und<br />

e. das Verhalten für x → ∞.<br />

f. Welche einfache Beziehung besteht zwischen x e und x w ?<br />

Lösungen<br />

Lösung 5.5.1. keine Hilfe<br />

Lösung 5.5.2. keine Hilfe<br />

Lösung 5.5.3.<br />

a. Maximum bei P(0,2)<br />

b. Maximum bei P<br />

(<br />

− √ ab,−<br />

1<br />

( √ a+ √ b) 2 )<br />

und Minimum bei P<br />

( √ab,−<br />

1<br />

( √ a− √ b) 2 )<br />

Lösung 5.5.4. Extremale Geschwindigkeit wenn ωt 1 = 0.66623+2πn oder ωt 2 = 2.47535+<br />

2πn wobei n ∈ Z. Die Zahlen x 1 ≈ 0.66623 und x 2 ≈ 2.47535 sind numerisch berechnete<br />

Lösungen der Gleichung cos(x) = tan(x).<br />

Lösung 5.5.5. f(x) = x 3 −6x 2 +12x−6<br />

Lösung 5.5.6. f(x) = x 5 −5x 4 + 17 2 x3 − 11 2 x2


5.5. Beispiele einer Kurvendiskussion 129<br />

Lösung 5.5.7. Die Zerlegung ist z = z 2 + z 2 .<br />

Lösung 5.5.8. Für den Mittelwert ¯x = 1 n (x 1 +x 2 +···+x n ).<br />

Lösung 5.5.9.<br />

a. r =<br />

b. r =<br />

√<br />

6<br />

3 R und h = 2 3√<br />

3R<br />

√<br />

2<br />

2 R und h = √ 2R<br />

c. r = 0.851R und h = 1.05R<br />

d. r = 2√ 2<br />

3 R und h = 4 3 R<br />

Lösung 5.5.10. t min = 28.8s<br />

Lösung 5.5.11. Es seien α der Einfallswinkel und β der Ausfallswinkel gemessen zur Normalen<br />

der Geraden g im Punkt P.<br />

a. Das Reflektionsgesetz besagt, dass α = β (Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel).<br />

b. Das Brechungsgesetz besagt, dass<br />

sin(α)<br />

sin(β) = v B<br />

v A<br />

.<br />

Lösung 5.5.12. Minimale Distanz ist 4f.<br />

Lösung 5.5.13.<br />

a. M max = ql2<br />

8 bei x = l 2<br />

b. M max = ql2√ 3<br />

27<br />

bei x = l √<br />

3<br />

c. M max = F 2l (l − a 2 )2 bei x = 2l−a<br />

4<br />

Lösung 5.5.14.<br />

a. Nullstelle bei x 0 = 0<br />

b. Maximum bei x e = b −1 artanh<br />

( b<br />

a)<br />

,<br />

( ) 2ab<br />

c. Wendepunkt bei x w = b −1 artanh<br />

a 2 +b 2 ,<br />

d. Steigung f ′ (0) = b,<br />

e. lim x→∞ f(x) = 0.<br />

f. Es gilt 2x e = x w .


130 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

5.6 Krümmung, Krümmungskreis, Evolute, Evolvente<br />

Intuitiv können wir die Krümmung einer Kurve erfahren. Wir fahren mit dem Auto oder<br />

dem Velo mit konstanter Geschwindigkeit über eine kurvenreiche Strasse. Die Krümmung der<br />

Strasse entspricht nun gerade der Radialbeschleunigung, die beim Befahren der Kurve auf<br />

uns wirkt. Je enger der Kurvenradius desto mehr Beschleunigung spüren wir. Vergleichen<br />

Sie auch Kapitel A.4.3 über den idealen Strassen- und Eisenbahnbau. Nun wollen wir diesen<br />

Sachverhalt mathematisch untersuchen.<br />

Gegeben sei die zweimal differenzierbare Funktion f. Diese definiert uns die Kurve mit der<br />

Gleichung y = f(x). Verschieben wir einen Punkt P auf der Kurve im Sinne wachsender x-<br />

Werte um eine beliebige Bogenlänge ∆s in den Punkt P 1 , so ändert sich der Richtungswinkel<br />

der Tangente um ∆α. Der Differenzenquotient ∆α<br />

∆s<br />

ist ein Mass für die mittlere Krümmung<br />

zwischen den Punkten P und P 1 . Bilden wir nun den Grenzübergang ∆s → 0, so erhalten<br />

wir per Definition die Krümmung k der Kurve im Punkt P.<br />

y<br />

P 1<br />

•<br />

∆s<br />

y = f(x)<br />

α<br />

P<br />

•<br />

α + ∆α<br />

x<br />

Abbildung 5.6.i: Definition der Krümmung der Kurve y = f(x) im Punkt P<br />

∆α<br />

k = lim<br />

∆s→0 ∆s = dα<br />

ds .<br />

Die Krümmung ist die Änderung des Tangentenwinkels α bezogen auf die Änderung der<br />

Bogenlänge s. Nun können wir eine Beziehung zwischen der Krümmung k und der Funktion<br />

f herleiten. Dazu benutzen wir die Kettenregel und erhalten<br />

k = dα dα<br />

ds = dx<br />

.<br />

ds<br />

Nun betrachten wir Zähler und Nenner von k individuell.<br />

Zähler: Die Steigung der Tangente im Punkt P an die Kurve y = f(x) beträgt tan(α) = y ′ ,<br />

also folgt unmittelbar α = arctan(y ′ ). Nun bilden wir mit der Kettenregel<br />

dx<br />

dα<br />

dx = y ′′<br />

1+(y ′ ) 2.<br />

Nenner: Die Bogenlänge einer Kurve y = f(x) haben wir bereits in Kapitel 10.2 hergeleitet.<br />

Wir schlagen dort nach und finden<br />

ds<br />

dx = √ 1+(y ′ ) 2 .


5.6. Krümmung, Krümmungskreis, Evolute, Evolvente 131<br />

Daraus folgt nun die gesuchte Beziehung für die Krümmung einer Kurve y = f(x)<br />

k = dα dα<br />

ds = dx<br />

ds<br />

dx<br />

=<br />

y ′′<br />

1+(y ′ ) 2<br />

√<br />

1+(y ′ ) 2 = y ′′<br />

√<br />

1+(y ′ ) 2 3.<br />

(5.6.a)<br />

Wir stellen fest, dass die so definierte Krümmung ein Vorzeichen hat.<br />

• Linkskrümmung (konvex) wenn k > 0<br />

• Rechtskrümmung (konkav) wenn k < 0<br />

Da bei der Krümmung k der Nenner immer positiv ist, folgt, dass die Krümmung genau dann<br />

verschwindet wenny ′′ = 0. Daraus folgt, dassin einem Wendepunkt dieKrümmungderKurve<br />

immer gleich null ist.<br />

Beispiel 5.6.1. Wir betrachten die Sinuskurve y = sin(x) und berechnen deren Krümmung<br />

in Funktion der Abszisse x<br />

−sin(x)<br />

k(x) = √<br />

1+cos 2 (x) 3.<br />

Wir beobachten:<br />

y<br />

y = sin(x)<br />

•<br />

y = k(x)<br />

•<br />

k < 0<br />

π<br />

•<br />

k > 0<br />

2π<br />

•<br />

x<br />

•<br />

Abbildung 5.6.ii: Krümmung k der Sinuskurve<br />

• Für alle x ∈ ]2nπ,(2n+1)π[ mit n ∈ Z ist k(x) < 0. Die Sinuskurve ist dort rechtsgekrümmt<br />

(konkav).<br />

Für alle x ∈ ](2n+1)π,(2n+2)π[ mit n ∈ Z ist k(x) > 0. Die Sinuskurve ist dort<br />

linksgekrümmt (konvex).<br />

• Bei x = nπ wobei n ∈ Z ist k(x) = 0. Die Sinuskurve hat dort Wendepunkte.<br />

• Bei x = π 2<br />

+ 2nπ, wobei n ∈ Z, ist k(x) = −1. Die Sinuskurve hat dort minimale<br />

Krümmung.<br />

Bei x = 3π 2<br />

+ 2nπ, wobei n ∈ Z, ist k(x) = 1. Die Sinuskurve hat dort maximale<br />

Krümmung.<br />

Definition 5.6.1. Punkte mit extremaler Krümmung heissen Scheitelpunkte.


132 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Beispiel 5.6.2. Wo liegt der Scheitelpunkt der Parabel y = x2<br />

2<br />

? Wir berechnen die Krümmung<br />

der Parabel in Funktion der Abszisse<br />

k(x) =<br />

1<br />

√<br />

1+x 2 3.<br />

Nun suchen wir Extremstellen der Krümmung, das heisst, wir suchen Nullstellen der ersten<br />

Ableitung<br />

k ′ 3x<br />

(x) = −√ 1+x 2 5 = 0.<br />

Der Scheitelpunkt liegt also bei P(0,0).<br />

Ist die Kurve in Parameterdarstellung gegeben x = x(t) und y = y(t), so lässt sich die<br />

Krümmung in Parameterdarstellungangeben.ImFolgenden bezeichnenwirAbleitungen<br />

nachdemParametertmiteinemPunktundAbleitungennachderVariablexmiteinemStrich.<br />

Wir berechnen mit der Kettenregel<br />

y ′ = dy dy<br />

dx = dt<br />

dx<br />

dt<br />

= ẏ<br />

ẋ<br />

und<br />

y ′′ = dy′<br />

dx = dy′<br />

dt · dt<br />

dx = d dt<br />

(ẏ )<br />

ẋ<br />

· dt (ÿ<br />

dx = ẋ − ẏẍ )<br />

ẋ 2 ·<br />

In der bekannten Formel für die Krümmung (5.6.a) eingesetzt, erhalten wir<br />

1<br />

dx<br />

dt<br />

=<br />

ẋÿ −ẍẏ<br />

ẋ 2 1<br />

ẋ .<br />

k =<br />

y ′′<br />

√<br />

1+(y ′ ) 2 3 =<br />

die Krümmung in Parameterdarstellung.<br />

√<br />

ẋÿ −ẍẏ<br />

1+<br />

ẋ 3<br />

(ẏ ) 3 2<br />

ẋ<br />

= ẋÿ −ẍẏ<br />

√ẋ2<br />

+ẏ 2 3,<br />

(5.6.b)<br />

Beispiel 5.6.3. Wie gross ist die Krümmung eines Kreises mit Radius r? Dazu parametrisieren<br />

wir den Kreis mit Radius r und Zentrum im Ursprung<br />

x(t) = rcos(t), ẋ(t) = −rsin(t), ẍ(t) = −rcos(t),<br />

y(t) = rsin(t), ẏ(t) = rcos(t), ÿ(t) = −rsin(t),<br />

und berechnen die Krümmung<br />

k = r2 sin 2 (t)+r 2 cos 2 (t)<br />

√<br />

r 2 sin 2 (t)+r 2 cos 2 (t) 3 = r2<br />

√<br />

r<br />

2 3 = 1 r > 0.<br />

Je grösser der Radius des Kreises desto kleiner ist die Krümmung. Da der Kreis im positiven<br />

Sinnparametrisiert ist,giltk = 1 r > 0,alsohabenwireineLinkskrümmung.DasselbeResultat<br />

hätten wir auch mit der Halbkreiskurve y = √ r 2 −x 2 erhalten (vgl. Aufgabe 5.6.1).


5.6. Krümmung, Krümmungskreis, Evolute, Evolvente 133<br />

Krümmungskreis, Evolute und Evolvente<br />

Wir können die Krümmungseigenschaft eines Kreises benutzen, um an eine Kurve in einem<br />

Punkt P einen Krümmungskreis zu legen, der folgende Bedingungen erfüllt:<br />

1. Die Kurve und der Kreis berühren sich im Punkt P mit gemeinsamer Tangente, d.h.<br />

y ′ Kreis = y′ Kurve .<br />

2. Die Kurve und der Kreis haben im Punkt P die gleiche Krümmung, d.h.<br />

y ′′ Kreis = y ′′ Kurve mit k Kreis = k Kurve .<br />

Wir sagen, der Kreis berühre die Kurve in zweiter Ordnung. Der Kreismittelpunkt M heisst<br />

Krümmungsmittelpunkt, und der Radius<br />

r = 1<br />

|k|<br />

des Kreises heisst Krümmungsradius 4 . Da zu jedem Punkt P einer Kurve ein KrümmungsmittelpunktM<br />

gehört, ergebenalle KrümmungsmittelpunktezusammeneineKurve,dieEvolute.<br />

Die Ausgangskurve heisst Evolvente.<br />

y<br />

M<br />

•<br />

P<br />

•<br />

r<br />

Abbildung 5.6.iii: Krümmungskreis im Punkt P<br />

x<br />

Wir können die Koordinaten des Krümmungsmittelpunktes bestimmen. Die Kurve sei in<br />

Parameterdarstellung x = x(t) und y = y(t) gegeben. Der Krümmungsmittelpunkt M zum<br />

Punkt P liegt auf der Normalen an die Kurve im Punkt P im Abstand PM = 1 k<br />

= r. Der<br />

normalisierte Normalenvektor ⃗n = ( n x<br />

)<br />

n y im Punkt P(x,y) hat die Koordinaten<br />

n x =<br />

−ẏ<br />

√ẋ2 +ẏ 2 und n y =<br />

ẋ<br />

√ẋ2 +ẏ 2.<br />

4 Radien sind immer positive Zahlen, also muss der Absolutbetrag der Krümmung genommen werden.


134 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Demzufolge wird der Krümmungsmittelpunkt zu<br />

M(ξ,η) =<br />

( x<br />

y)<br />

+r⃗n =<br />

( x<br />

y)<br />

+ 1 k ⃗n.<br />

Also erhalten wir die Parameterdarstellung der Evolute<br />

ẋ 2 (t)+ẏ 2 (t)<br />

ξ(t) = x(t)−ẏ(t)<br />

ẋ(t)ÿ(t)−ẍ(t)ẏ(t)<br />

ẋ 2 (t)+ẏ 2 (t)<br />

und η(t) = y(t)+ẋ(t)<br />

ẋ(t)ÿ(t)−ẍ(t)ẏ(t) .<br />

Falls dieKurveinderDarstellung y = f(x)gegeben ist, solautet dieParameterdarstellung<br />

der Evolute<br />

ξ(x) = x−f ′ (x) 1+(f′ (x)) 2<br />

f ′′ (x)<br />

und η(x) = f(x)+ 1+(f′ (x)) 2<br />

f ′′ .<br />

(x)<br />

Beispiel 5.6.4. Wir berechnen die Evolute der Parabel y = x 2 . Dazu bilden wir die Ableitungen<br />

y ′ = 2x und y ′′ = 2. Nun parametrisieren wir die Evolute<br />

ξ(x) = x−2x 1+4x2<br />

2<br />

= −4x 3 und η(x) = x 2 + 1+4x2<br />

2<br />

= 1 2 +3x2 .<br />

Wir können die Evolute der Parabel auch als Funktion schreiben, wenn wir ξ = −4x 3 nach<br />

η<br />

Evolvente<br />

Evolute<br />

Abbildung 5.6.iv: Evolute der Parabel (Evolvente)<br />

x auflösen und in η(x) = 1 2 +3x2 einsetzen. Dann erhalten wir<br />

Aufgaben<br />

η(ξ) = 1 2 +3 3 √<br />

ξ<br />

2<br />

16 .<br />

Aufgabe 5.6.1. Berechnen Sie die Krümmung des Halbkreises y = √ r 2 −x 2 . Wieso ist die<br />

Krümmung negativ?<br />

Aufgabe 5.6.2. Wie gross ist der Krümmungsradius der Parabel mit der Gleichung<br />

y 2 = 2px<br />

im Scheitelpunkt, wenn der Parameter p ∈ R fest gewählt wurde?<br />

ξ


5.6. Krümmung, Krümmungskreis, Evolute, Evolvente 135<br />

Aufgabe 5.6.3. Wo besitzt die Kurve des natürlichen Logarithmus ihren Scheitelpunkt? Wie<br />

gross ist dort der Krümmungsradius?<br />

Aufgabe 5.6.4. Beweisen Sie, dass die Kurve mit der Parametrisierung<br />

x(t) = cos(t)+tsin(t) und y(t) = sin(t)−tcos(t)<br />

keinen Scheitelpunkt besitzt und ihre Evolute ein Kreis ist.<br />

Aufgabe 5.6.5. Wie gross ist der Krümmungsradius der Hyperbel mit der Gleichung<br />

in den Scheitelpunkten?<br />

x 2<br />

a 2 − y2<br />

b 2 = 1<br />

Aufgabe 5.6.6. Bestimmen Sie rechnerisch und zeichnerisch die Evolute der Ellipse<br />

x 2<br />

a 2 + y2<br />

b 2 = 1.<br />

Wie gross sind die Krümmungsradien in den Scheitelpunkten?<br />

Aufgabe 5.6.7. Bestimmen Sie die Evolute der in Polarkoordinaten gegebenen Kurve<br />

r(ϕ) = 8cos(ϕ)−4sin(ϕ).<br />

Aufgabe 5.6.8. Gegeben sei die Kurve xy = c 2 mit c ∈ R beliebig. Wir betrachten die<br />

Normale an die Kurve im Punkt P, diese schneidet die Kurve ein zweites Mal in P ′ .<br />

Beweisen Sie: Der Krümmungsradius der Kurve ist in jedem Punkt P halb so lang wie die<br />

Sehne zwischen P und P ′ .<br />

Lösungen<br />

Lösung 5.6.1. Die Krümmung beträgt k = − 1 r<br />

< 0. Für den parametrisierten Kreis mit<br />

Radius r haben wir in Bsp. 5.6.3 die Krümmung k = 1 r<br />

> 0 erhalten. Der Umlaufsinn der<br />

parametrisierten Kurve (Linksskrümmung) und von y = √ r 2 −x 2 (Rechtskrümmung) sind<br />

entgegengesetzt. Damit ändert sich das Vorzeichen der Krümmung.<br />

Lösung 5.6.2. r(0) = p<br />

Lösung 5.6.3. Scheitelpunkt bei P<br />

(<br />

1√2<br />

,−ln( √ ( )<br />

2))<br />

, Krümmungsradius r 1√2<br />

= 3√ 3<br />

2 .<br />

Lösung 5.6.4. Die Krümmung k(t) = 1 t<br />

besitzt keine Extremstellen. Demzufolge hat die<br />

Kurve (Evolvente) keine Scheitelpunkte. Es handelt sich um eine spiralförmige Kurve. Die<br />

Evolute ist ein Kreis mit Radius 1 und Mittelpunkt im Ursprung .<br />

Lösung 5.6.5. r = b2 a<br />

Lösung 5.6.6. Parametrisierung der Evolute<br />

ξ(t) = a2 −b 2<br />

a<br />

cos 3 (t) und η(t) = b2 −a 2<br />

sin 3 (t).<br />

b<br />

Krümmungsradien in den Scheitelpunkten r a = b2 a und r b = a2<br />

b .


136 Kapitel 5. Anwendungen der Differenzialrechnung<br />

Lösung 5.6.7. DieFormelfürdieKrümmungeinerKurver = r(ϕ),dieinPolarkoordinaten<br />

gegeben ist, lautet<br />

k = r2 −ṙ¨r +2ṙ 2<br />

√<br />

r 2 +ṙ 2 3 .<br />

Bei der Kurve r(ϕ) = 8cos(ϕ)−4sin(ϕ) handelt es sich um einen Kreis mit Radius r = 10 √<br />

5<br />

und Zentrum bei P(4,−2). Demzufolge reduziert sich die Evolute auf das Zentrum.<br />

Lösung 5.6.8. Eine der schwierigsten Aufgaben im ganzen <strong>Analysis</strong> Kurs. Viel Glück.


Kapitel 6<br />

Integralrechnung<br />

6.1 Das unbestimmte Integral<br />

Es sei f eine Funktion, die im Intervall [a,b] stetig ist. Wir interessieren uns für die folgende<br />

Frage: Wie gross ist der Flächeninhalt der Fläche unter der Kurve y = f(x) zwischen a und<br />

b? Wie wir es jetzt zeigen werden, hängt diese Frage eng mit dem Konzept der Ableitung<br />

zusammen.<br />

M<br />

y<br />

y = f(x)<br />

m<br />

F(x)<br />

a<br />

x<br />

x + ∆x<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 6.1.i: Zum Begriff des unbestimmten Integrals<br />

Auf dem Intervall [a,b] definieren wir die Flächenfunktion F wie folgt: Für jedes x ∈<br />

[a,b] wird der Flächeninhalt unter der Kurve y = f(x) und der x-Achse im Intervall [a,x]<br />

durch F(x) bezeichnet. Dabei betrachten wir Flächeninhalten, die sich oberhalb der x-Achse<br />

befinden, als positiv, und diejenigen, die sich unterhalb der x-Achse befinden, als negativ.<br />

Wir möchten die Ableitung F ′ der Flächenfunktion berechnen. Dazu betrachten wir zuerst<br />

den Differenzenquotient ∆F<br />

∆x .<br />

Wird bei einer gewissen Stelle x ∈ ]a,b[ der Abszissenwert um ∆x vergrössert, so wächst die<br />

Funktion der Flächeninhalt um ∆F = F(x+∆x)−F(x). Diesen Flächenzuwachs können wir<br />

durch die folgende Ungleichung grob schätzen<br />

m∆x ≤ ∆F ≤ M∆x,<br />

wobei m den minimalen und M den maximalen Funktionswert von F im Intervall [x,x+∆x]<br />

137


138 Kapitel 6. Integralrechnung<br />

bezeichnen. Nach Division durch ∆x wird daraus<br />

m ≤ ∆F<br />

∆x ≤ M.<br />

Lassen wir ∆x gegen 0 streben, dann streben m und M beide gegen den Funktionswert f(x).<br />

Somit gilt laut dem Sandwich-Theorem (vgl. Satz 3.3.2)<br />

F ′ ∆F<br />

(x) = lim<br />

∆x→0 ∆x = f(x).<br />

Wir haben gezeigt, dass im Intervall ]a,b[ die Ableitung der Flächenfunktion F nicht anders<br />

als die ursprüngliche Funktion f ist.<br />

Funktionen wie F, die die Eigenschaft F ′ = f besitzen, werden Stammfunktionen von f<br />

genannt. Kennen wir eine Stammfunktion F von f, dann kennen wir alle Stammfunkionen<br />

von f: Die anderen unterscheiden sich von F nur durch einen konstanten additiven Faktor.<br />

Die allgemeine Form einer Stammfunktion von f wird unbestimmtes Integral genannt und<br />

durch das Symbol<br />

∫<br />

f(x)dx<br />

bezeichnet. Es gilt<br />

(∫<br />

f(x)dx) ′<br />

= (F(x)+C) ′ = f(x),<br />

d.h., eine Ableitung hebt eine Integration auf 1 .<br />

Beispiel 6.1.1. Eine Stammfunktion von f(x) = x ist die Funktion F(x) = x2<br />

2<br />

. Damit gilt<br />

∫<br />

xdx = x2<br />

2 +C,<br />

wobei C eine beliebige reelle Zahl ist 2 (vgl. Abbildung 6.1.ii).<br />

Im Beispiel 6.1.1 konnten wir aus unserer Erfahrung mit Ableitung eine Stammfunktion von<br />

f einfach erraten. Andere Integrale, die sofort aus den Ableitungsregeln folgen, werden in der<br />

folgenden Liste aufgeführt. Sie heissen Grundintegrale (vgl. auch die Tafel B.1)<br />

∫<br />

∫<br />

0dx = C<br />

e x dx = e x +C<br />

∫<br />

∫<br />

1dx = x+C<br />

cos(x)dx = sin(x)+C<br />

∫<br />

∫<br />

x n dx = xn+1<br />

n+1 +C für alle n ∈ Z, n ≠ −1 sin(x)dx = −cos(x)+C<br />

∫ ∫<br />

1 1<br />

dx = ln|x|+C<br />

x cos 2 dx = tan(x)+C<br />

(x)<br />

∫<br />

∫<br />

a x dx = ax<br />

+C für alle a ∈ ]0,∞[, a ≠ 1<br />

ln(a)<br />

1<br />

sin 2 dx = −cot(x)+C<br />

(x)<br />

Später werden wir Methoden lernen, die es erlauben, gewisse Integrale auf den Grundintegrale<br />

zurückzuführen. Dies ist aber nicht immer möglich: Es gibt Funktionen, wie zum Beispiel<br />

f(x) = e −x2 und f(x) = sin(x 2 ), die keine elementare Stammfunktionen besitzen.<br />

1 Im deutschen Sprachraum heisst Integrieren oft auch “Aufleiten”.<br />

2 Mit der Zeit wird es langwierig, den Satz wobei C eine beliebige reelle Zahl ist“ immer wiederholen zu<br />

”<br />

müssen. Stattdessen schreiben wir einfach ∫ xdx = x2 + C und betrachten die Bedeutung der so genannten<br />

2<br />

Integrationskonstante C als selbstverständlich.


6.1. Das unbestimmte Integral 139<br />

y<br />

x<br />

Aufgaben<br />

Abbildung 6.1.ii: Einige Stammfunktionen von f(x) = x<br />

Aufgabe 6.1.1. Berechnen Sie folgende Integrale.<br />

∫<br />

a. (x 5 −3x 2 +7)dx<br />

b.<br />

c.<br />

d.<br />

e.<br />

f.<br />

g.<br />

∫ 1<br />

x 3 dx<br />

∫ x 4 −5x 3 +2x<br />

dx<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

3√ xdx<br />

x 3<br />

7 √ x 4 dx<br />

1<br />

5√<br />

x 2 dx<br />

∫ t 2 −4 3√ t+8t −2<br />

2 √ dt<br />

t<br />

h.<br />

i.<br />

j.<br />

k.<br />

l.<br />

m.<br />

n.<br />

∫<br />

(s+2 √ s) 3 ds<br />

∫ √<br />

u 3√ u 2 du<br />

∫ √<br />

v 3√ u 2 du<br />

∫<br />

∫<br />

(r 2 +2 r )dr<br />

(sin(x)+e −x +2e x −1)dx<br />

∫ (<br />

m− 1 )<br />

dm<br />

m<br />

∫<br />

acos 2 (x)du


140 Kapitel 6. Integralrechnung<br />

Lösungen<br />

Lösung 6.1.1.<br />

a.<br />

x 6<br />

6 −x3 +7x+C<br />

b. − 1<br />

2x 2 +C<br />

c.<br />

x 2<br />

2 −5x− 2 x +C<br />

3 3√<br />

d.<br />

4 x 4 +C<br />

e.<br />

7<br />

3 x3 +C<br />

5 5√<br />

f.<br />

3 x 3 +C<br />

g.<br />

1<br />

5<br />

√<br />

t 5 − 12<br />

5<br />

6√<br />

t 5 − 8 3 t−3 2 +C<br />

√ √<br />

1<br />

h.<br />

4 s4 + 12 7 s 7 +4s 3 + 16<br />

5 s 5 +C<br />

6 6√<br />

i.<br />

11 u 11 +C<br />

j.<br />

3<br />

4√ v<br />

3 √ u 4 +C<br />

k.<br />

m.<br />

r 3<br />

3 + 2r<br />

ln(2) +C<br />

l. −cos(x)−e −x +2e x −x+C<br />

m 2<br />

2 −ln(|m|)+C<br />

n. aucos 2 (x)+C<br />

6.2 Das bestimmte Integral<br />

Jetzt kommen wir zur ursprünglichen Frage des letzten Kapitels zurück: Wie gross ist der<br />

Flächeninhalt unter einer gewissen Kurve y = f(x) zwischen den Grenzen a und b? Finden<br />

wir eine Stammfunktion F von f, können wir diese Frage beantworten. Wir wissen, dass<br />

F(x) = F 0 (x)+C, wobei F 0 die Flächenfunktion<br />

F 0 (x) = Flächeninhalt unter y = f(x) zwischen a und x, für alle x ∈ [a,b]<br />

und C eine konstante reelle Zahl ist. Setzen wir x = a in diese Beziehung ein, erhalten wir<br />

C = F(a). Der gesuchte Flächeninhalt ist damit F 0 (b) = F(b) −C = F(b) −F(a). Er wird<br />

durch<br />

∫ b<br />

b<br />

f(x)dx oder F(x)<br />

∣<br />

a<br />

bezeichnet und bestimmtes Integral genannt. Anders ausgedrückt gilt<br />

∫ b<br />

a<br />

b<br />

f(x)dx = F(x)<br />

∣ = F(b)−F(a).<br />

Beispiel 6.2.1. Gesucht wird der Flächeninhalt unter der Kurve der Funktion f(x) = x<br />

zwischen den Grenzen 0 und 2. In diesem Fall brauchen wir die oben entwickelte Theorie<br />

eigentlich nicht, denn die Fläche ist ein einfaches Dreieck mit Flächeninhalt 1 2 · 2 · 2 = 2<br />

(vgl. Abblidung 6.2.i). Wenden wir die Theorie an dieses Beispiel gleichwohl an, erhalten wir<br />

selbstverständlich die gleiche Antwort: Wir wählen eine Stammfunktion F von f aus, zum<br />

Beispiel F(x) = x2<br />

2<br />

. Dann ist der gesuchte Flächeninhalt<br />

∫ 2<br />

0<br />

xdx = x2<br />

2<br />

∣<br />

2<br />

0<br />

a<br />

a<br />

= 22<br />

2 − 02<br />

2 = 2.


6.2. Das bestimmte Integral 141<br />

Wenn wir eine andere Stammfunktion von f gewählt hätten, zum Beispiel F(x) = x2<br />

2 + 3,<br />

hätten wir nochmals die gleiche Antwort gefunden:<br />

∫ 2<br />

0<br />

( )∣ x<br />

2 ∣∣∣<br />

2<br />

xdx =<br />

2 +3 =<br />

0<br />

( 2<br />

2<br />

2 +3 )<br />

−<br />

( 0<br />

2<br />

2 +3 )<br />

= 2.<br />

y<br />

2<br />

y = x<br />

y<br />

y = sin(x)<br />

π<br />

x<br />

2<br />

x<br />

Abbildung 6.2.i: Zwei Flächeninhalte der Grösse 2<br />

Beispiel 6.2.2. Dieses Mal suchen wir den Flächeninhalt unter der Kurve der Sinusfunktion<br />

f(x) = sin(x) zwischen0undπ (vgl. Abblidung6.2.i). Wir wählendieStammfunktionF(x) =<br />

−cos(x) und erhalten somit<br />

∫ π<br />

π<br />

sin(x)dx = −cos(x)<br />

∣ = (−cos(π))−(−cos(0)) = 1−(−1) = 2.<br />

Aufgaben<br />

0<br />

Aufgabe 6.2.1. Berechnen Sie folgende bestimmte Integrale.<br />

a.<br />

b.<br />

c.<br />

∫ 3<br />

0<br />

∫ 2π<br />

π<br />

∫ 2π<br />

0<br />

x 2 dx<br />

sin(x)dx<br />

sin(x)dx<br />

0<br />

d.<br />

e.<br />

f.<br />

∫ t<br />

π<br />

4<br />

∫ x<br />

1<br />

∫ s<br />

2<br />

1<br />

cos 2 (x) dx<br />

(q 3 +6q 2 −2q +7)dq<br />

1<br />

s ds<br />

Aufgabe 6.2.2. Bestimmen Sie die Stammfunktion von f(x) = x 3 + 5x − 4, deren Kurve<br />

durch den Punkt P(2,8) geht.<br />

Aufgabe 6.2.3. Berechnen Sie folgende bestimmte Integrale.<br />

a.<br />

b.<br />

c.<br />

d.<br />

∫ 1<br />

−2<br />

∫ π<br />

0<br />

∫ 2<br />

1<br />

∫ x2<br />

(2−4x)dx<br />

(sin(x)−5)dx<br />

tcos(ϕ)dt<br />

x 1<br />

abπdt<br />

e.<br />

f.<br />

g.<br />

∫ π<br />

2<br />

π<br />

4<br />

∫ a<br />

0<br />

∫ 0.1<br />

1<br />

1+sin 2 (x)<br />

sin 2 (x)<br />

3e x dx<br />

1<br />

v dv<br />

dx


142 Kapitel 6. Integralrechnung<br />

Lösungen<br />

Lösung 6.2.1.<br />

a. 9<br />

b. −2<br />

c. 0<br />

d. tan(t)−1<br />

1<br />

e.<br />

4 x4 +2x 3 −x 2 +7x− 33<br />

4<br />

f. ln(|s|)−ln(2)<br />

Lösung 6.2.2. F(x) = 1 4 x4 + 5 2 x2 −4x+2<br />

Lösung 6.2.3.<br />

a. 12<br />

b. 2−5π<br />

c.<br />

3<br />

2 cos(ϕ)<br />

d. abπ(x 2 −x 1 )<br />

e.<br />

π<br />

4 +1<br />

f. 3e a −3<br />

g. ln(0.1)<br />

6.3 Integrationsregeln<br />

Im Folgenden führen wir die wichtigsten Integrationsregeln auf.<br />

Satz 6.3.1 (Integration einer Summe). Es seien f und g stetige Funktionen. Dann gilt<br />

∫ ∫ ∫<br />

(f(x)+g(x)) dx = f(x)dx+ g(x)dx.<br />

Beweis. Wir wählen eine Stammfunktion F von f und eine Stammfunktion G von g. Anders<br />

gesagt sind F und G Funktionen, die die Bedingungen F ′ = f und G ′ = g erfüllen, und somit<br />

gelten ∫<br />

∫<br />

f(x)dx = F(x)+C 1 und g(x)dx = F(x)+C 2 ,<br />

wobei C 1 und C 2 beliebige reelle Zahlen sind. Die Summe dieser beiden Funktionen ist<br />

∫ ∫<br />

f(x)dx+ g(x)dx = F(x)+G(x)+C 3 ,<br />

wobei C 3 eine beliebige reelle Zahl ist. Auf der anderen Seite gilt für jede Stammfunktion H<br />

von f +g die Beziehung H ′ = f +g = F ′ +G ′ = (F +G) ′ , das heisst, H = F +G+C 4 für<br />

ein gewisses C 4 ∈ R. Damit erhalten wir<br />

∫<br />

∫<br />

(f(x)+g(x)) dx = F(x)+G(x)+C 4 =<br />

∫<br />

f(x)dx+<br />

g(x)dx.<br />

Satz 6.3.2 (Integration mit konstantem Faktor). Es seien f eine stetige Funktion und a eine<br />

reelle Zahl. Dann gilt ∫ ∫<br />

af(x)dx = a f(x)dx.


6.3. Integrationsregeln 143<br />

Beweis. Wir wählen eine Stammfunktion F von f, das heisst, F ′ = f und<br />

∫<br />

f(x)dx = F(x)+C 1 ,<br />

wobei C 1 eine beliebige reelle Zahl ist. Auf der anderen Seite gilt für jede Stammfunktion<br />

G von af die Beziehung G ′ = af = aF ′ = (aF) ′ , das heisst, G = aF +C 2 für ein gewisses<br />

C 2 ∈ R. Damit erhalten wir<br />

∫<br />

∫<br />

af(x)dx = aF(x)+C 2 = a(F(x)+C 1 ) = a f(x)dx.<br />

Satz 6.3.3 (Vertauschen der Integrationsgrenzen). Es sei f eine stetige Funktion. Dann gilt<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx = −<br />

Beweis. Für jede Stammfunktion F von f ist<br />

∫ b<br />

a<br />

∫ a<br />

b<br />

f(x)dx.<br />

f(x)dx = F(b)−F(a) = −(F(a)−F(b)) = −<br />

∫ a<br />

b<br />

f(x)dx.<br />

Satz 6.3.4 (Zerlegung des Integrationsintervalles zwei Teile). Es sei f eine stetige Funktion.<br />

Dann gilt<br />

(vgl. Abbildung 6.3.i).<br />

∫ c<br />

a<br />

f(x)dx+<br />

∫ b<br />

c<br />

f(x)dx =<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx<br />

y<br />

y = f(x)<br />

a<br />

c<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 6.3.i: Zerlegung des Intervalles [a,b]<br />

Beweis. Für jede Stammfunktion F von f ist<br />

∫ c<br />

a<br />

f(x)dx+<br />

∫ b<br />

c<br />

f(x)dx = (F(c)−F(a))+(F(b)−F(c)) = F(b)−F(a) =<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx.


144 Kapitel 6. Integralrechnung<br />

6.4 Spezielle bestimmte Integrale<br />

In Kapitel 2.7 führten wir das Konzept gerader und ungerader Funktionen ein (vgl. Definition<br />

2.7.1). Für solche Funktionen kann ein Integral über ein bezüglich des Ursprungs<br />

symmetrische Intervall vereinfacht werden.<br />

y<br />

y = f(x)<br />

y<br />

y = f(x)<br />

−a<br />

a<br />

x<br />

−a<br />

a<br />

x<br />

Abbildung 6.4.i: Eine gerade Funktion<br />

Abbildung 6.4.ii: Eine ungerade Funktion<br />

• Gerade Funktionen: Es sei f eine Funktion, die im Intervall [−a,a] gerade ist, das<br />

heisst, f(−x) = f(x) für alle −a ≤ x ≤ a. Dann gleicht der Flächeninhalten unter der<br />

Kurve y = f(x) zwischen −a und 0 dem zwischen 0 und a (vgl. Abbildung6.4.i), woraus<br />

folgt<br />

∫ a<br />

−a<br />

f(x)dx =<br />

∫ 0<br />

−a<br />

f(x)dx+<br />

∫ a<br />

0<br />

f(x)dx = 2<br />

∫ a<br />

0<br />

f(x)dx.<br />

• Ungerade Funktionen: Es sei f eine Funktion, die im Intervall [−a,a] ungerade ist,<br />

das heisst, f(−x) = −f(x) für alle −a ≤ x ≤ a. Dann ist der Flächeninhalt unter der<br />

Kurve y = f(x) zwischen −a und 0 gleich dem zwischen 0 und a, jedoch mit dem Unterschied,<br />

dass er sich auf der anderen Seite der x-Achse befindet (vgl. Abbildung 6.4.ii).<br />

Damit hat der erste Flächeninhalt den negativen Wert des zweiten, woraus folgt<br />

∫ a<br />

−a<br />

f(x)dx =<br />

∫ 0<br />

−a<br />

f(x)dx+<br />

∫ a<br />

0<br />

f(x)dx = −<br />

6.5 Allgemeine Flächenberechnungen<br />

∫ a<br />

0<br />

f(x)dx+<br />

∫ a<br />

0<br />

f(x)dx = 0.<br />

Im Allgemeinen muss bei Fragen der Flächenberechnung berücksichtigt werden, dass ein<br />

Flächeninhalt als entweder positiv oder negativ gilt, je nachdem, ob sich die Fläche oberhalb<br />

oder unterhalb der x-Achse befindet. Das folgende Beispiel zeigt, wie wir vorgehen müssen,<br />

falls wirden absoluten Flächeninhalt zwischen einer Kurveundderx-Achse berechnen wollen.<br />

Beispiel 6.5.1. Wir möchten den Flächeninhalt bestimmen, der zwischen der Kurve y =<br />

f(x) = x 2 +x−6 und der x-Achse im Intervall [−4,3] eingeschlossen wird. Die Funktion f<br />

hat Nullstellen bei x = −3 und x = 2. Links der Stelle x = −3 ist sie positiv, zwischen −3


6.5. Allgemeine Flächenberechnungen 145<br />

y<br />

y = f(x)<br />

−4−3 2 3<br />

x<br />

Abbildung 6.5.i: Die Kurve y = x 2 +x−6<br />

und 2 ist sie negativ, und rechts der Stelle x = 2 ist sie wieder positiv (vgl. Abbildung 6.5.i).<br />

Dementsprechend teilen wir die Flächenberechnung wie folgt auf:<br />

∫ −3<br />

−4<br />

∫ 2<br />

−3<br />

∫ 3<br />

2<br />

( )∣ x<br />

(x 2 3<br />

+x−6)dx =<br />

3 + x2 ∣∣∣<br />

−3 ( 27<br />

2 −6x =<br />

−4<br />

2 − 32 )<br />

= 17 3 6<br />

( )∣ x<br />

(x 2 3<br />

+x−6)dx =<br />

3 + x2 ∣∣∣<br />

2 (<br />

2 −6x = − 22<br />

−3<br />

3 − 27 )<br />

= − 125<br />

2 6<br />

( )∣ x<br />

(x 2 3<br />

+x−6)dx =<br />

3 + x2 ∣∣∣<br />

3 (<br />

2 −6x = − 9 2 − −22 )<br />

= 17 3 6 .<br />

2<br />

Der gesuchte Gesamtflächeninhalt ist somit<br />

∣ 17<br />

∣∣∣ ∣ 6 ∣ + − 125<br />

∣ ∣∣∣ 6 ∣ + 17<br />

6 ∣ = 17+125+17<br />

6<br />

= 159<br />

6 = 26.5.<br />

DasnächsteBeispielzeigt, wiewiraufeinerähnlichenWeisedenInhaltvonFlächen berechnen<br />

können, die zwischen zwei Kurven eingeschlossen sind.<br />

Beispiel 6.5.2. Es seien die Funktionen f(x) = x2<br />

2<br />

− 6 und g(x) = x − 2 gegeben. Gesucht<br />

wird der Flächeninhalt, der von den Kurve y = f(x) und y = g(x) eingeschlossen<br />

wird. Die Schnittpunkte der beiden Kurven sind bei den Stellen x = −2 und x = 4 (vgl.<br />

Abbildung 6.5.ii).<br />

Um die Berechnung verständlicher zu machen, verschieben wir beide Kurven um zum Beispiel<br />

7 Einheiten in die vertikale Richtung, damit sich die Fläche ganz oberhalb der x-Achse befinden<br />

(vgl. Abbildung 6.5.iii). Den zu berechnenden Flächeninhalt, der bei dieser Verschiebung


146 Kapitel 6. Integralrechnung<br />

y<br />

y<br />

y = f(x)<br />

y = f(x) + 7<br />

−2<br />

4<br />

x<br />

y = g(x)<br />

y = g(x) + 7<br />

−2 4<br />

x<br />

Abbildung 6.5.ii: Vor der Verschiebung<br />

Abbildung 6.5.iii: Nach der Verschiebung<br />

unverändert bleibt, können wir jetzt als die folgende Differenz ausdrücken:<br />

∫ 4<br />

−2<br />

(g(x)+7)dx−<br />

∫ 4<br />

−2<br />

(∫ 4<br />

= g(x)dx+<br />

−2<br />

=<br />

=<br />

∫ 4<br />

−2<br />

∫ 4<br />

−2<br />

g(x)dx−<br />

(f(x)+7)dx<br />

∫ 4<br />

−2<br />

∫ 4<br />

−2<br />

(g(x)−f(x))dx.<br />

) (∫ 4 ∫ 4<br />

)<br />

7dx − f(x)dx+ 7dx<br />

−2 −2<br />

f(x)dx<br />

Setzen wir g(x)−f(x) = − x2<br />

2<br />

∫ 4<br />

−2<br />

(− x2<br />

2 +x+4 )<br />

dx =<br />

+x+4 ein, erhalten wir<br />

(− x3<br />

6 + x2<br />

2 +4x )∣ ∣∣∣<br />

4<br />

−2<br />

= 40 3 − −14<br />

3<br />

= 18.<br />

Wir sehen, dass sich die Verschiebungskonstante von +7 bei der Berechnung der Flächendifferenz<br />

auflöst. Der Flächeninhalt, der uns interessiert, lässt sich somit durch das Integral<br />

∫ 4<br />

−2<br />

(g(x)−f(x))dx<br />

ausdrücken. Dies Ergebnis ist auch im Allgemeinen gültig: Der Flächeninhalt, der von den<br />

Kurven y = f(x) und y = g(x) zwischen den Schnittstellen x = a und x = b eingeschlossenen<br />

wird, ist<br />

∫ b<br />

a<br />

(g(x)−f(x))dx,<br />

wobei g die grössere Funktion im Intervall ]a,b[ bezeichnet.<br />

(6.5.a)<br />

Beispiel 6.5.3. Gesucht wird der Flächeninhalt zwischen der Kurve y = x 2 und der y-Achse<br />

zwischen den Stellen y = 0 und y = 4 (vgl. Abbildung 6.5.iv). Wir führen zwei verschiedene<br />

Lösungsmethoden vor.


6.5. Allgemeine Flächenberechnungen 147<br />

y<br />

4<br />

y = x 2<br />

2<br />

x<br />

Abbildung 6.5.iv: Die Kurve y = x 2<br />

• In der ersten Methode wenden wir die Formel (6.5.a) an die Funktionen f(x) = x 2<br />

und g(x) = 4 an. Die Schnittstellen sind a = 0 und b = 2, woraus der zu berechnende<br />

Flächeninhalt folgt:<br />

∫ b<br />

a<br />

(g(x)−f(x))dx =<br />

∫ 2<br />

0<br />

(4−x 2 )dx =<br />

)∣ (4x− x3 ∣∣∣<br />

2<br />

= 16 3<br />

0<br />

3 .<br />

• Die zweite Möglichkeit besteht darin, nach y statt nach x zu integrieren. Wir betrachten<br />

die Funktion h(y) = √ y = y 1 2 zwischen den Stellen y = 0 und y = 4 und fahren wie<br />

üblich fort:<br />

Aufgaben<br />

∫ 4<br />

0<br />

h(y)dy =<br />

∫ 4<br />

0<br />

y 1 2 dy =<br />

2y 3 2<br />

3<br />

4<br />

∣ = 16 3 .<br />

Aufgabe 6.5.1. Berechnen Sie den Flächeninhalt zwischen der Kurve y = f(x) und der<br />

x-Achse von x = a bis x = b.<br />

a. f(x) = x2 +3<br />

2x , a = 1 und b = 4<br />

0<br />

b. f(x) = x 5<br />

+2, a = 1 und b = 5<br />

c. f(x) = 2x<br />

, a = 0 und b = 10<br />

10<br />

d. f(x) = x+sin(x), a = 0 und b = 2π<br />

e. f(x) = x 2 −5x+4, a = 0 und b = 6<br />

f. f(x) = cos(x)−sin(x), a = 0 und b = 2π


148 Kapitel 6. Integralrechnung<br />

Aufgabe 6.5.2. Berechnen Sie den Flächeninhalt der von den folgenden Kurven eingeschlossenen<br />

Flächen.<br />

a. y = 1 2 x2 −x− 3 2 und y = 0<br />

b. y = −x 2 +4x+2 und y = 2x−1<br />

c. y = x−2, y = 0, y = 2 und x = 0<br />

d. y = x −2 , y = 1, y = 9 und x = 0<br />

e. y = 2− 1 4 x2 , y = 1 4 x2 −2, x = −2 und x = 2<br />

f. y = 2x 3 und y = 3x 2 −1<br />

g. y 2 = x und x 2 = √ 8y<br />

h. y = x 3 −4x 2 +x−6, y = 0, x = −2 und x = 4<br />

i. y = cos(x) und y = x 2 − 1 2<br />

Aufgabe 6.5.3. Berechnen Sie den Flächeninhalt der von den Kurven y = f(x) und y = g(x)<br />

eingeschlossenen Fläche zwischen zwei benachbarten Schnittpunkten.<br />

a. f(x) = x und g(x) = x+cos(x) b. f(x) = sin(x) und g(x) = cos(x)<br />

Aufgabe 6.5.4. Gegeben sei die Fläche, die von den Kurven y = x 2 und y = b eingeschlossen<br />

wird, wobei b eine positive reelle Zahl ist. Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden, die<br />

parallel zur x-Achse verläuft und die beschriebene Fläche halbiert.<br />

Aufgabe 6.5.5. Die Fläche, die von den Kurven x = 0, x = π 2<br />

, y = 0 und y = cos(x)<br />

begrenzt wird, soll durch eine Parallele zur y-Achse halbiert werden. In welchem Abstand von<br />

der y-Achse ist die Parallele zu ziehen?<br />

Lösungen<br />

Lösung 6.5.1.<br />

a.<br />

15<br />

4 +ln(8)<br />

b. 10.4<br />

c. 147.59<br />

Lösung 6.5.2.<br />

a.<br />

16<br />

3<br />

b.<br />

32<br />

3<br />

c. 6<br />

d. 4<br />

e.<br />

40<br />

3<br />

d. 2π 2<br />

e. 15<br />

f. 4 √ 2<br />

27<br />

f.<br />

32<br />

√<br />

8<br />

3<br />

g.<br />

h. 66<br />

i. 2.017


6.5. Allgemeine Flächenberechnungen 149<br />

Lösung 6.5.3.<br />

a. 2 b. √ 8<br />

Lösung 6.5.4. y = b 3√<br />

4<br />

Lösung 6.5.5. π 6


150 Kapitel 6. Integralrechnung


Kapitel 7<br />

Das Riemannsche Integral<br />

Wie zu einer gegebenen Funktion eine Stammfunktion zu bestimmen ist, können wir rein<br />

technisch beantworten, indem wir uns damit begnügt haben, die Regeln und Formeln der Differenzialrechnung<br />

einfach umzukehren. Dem eigentlichen Problem sind wir dabei aber ausgewichen,nämlichderFrage<br />

wieeineFunktionF allgemein ausihrerals bekanntangenommenen<br />

Änderungsrate F ′ zu rekonstruieren sei, und wie einer vorgegebenen Funktion f angesehen<br />

werden kann, ob sie überhaupt eine Stammfunktion besitze. Diese Fragen werden wir in diesem<br />

Kapitel beantworten. Die folgenden Ideen gehen auf P. Fermat und B. Riemann zurück.<br />

P. Fermat hat als erster die Fläche unter der Kurve y = x β für beliebiges β berechnet, und<br />

B. Riemann hat in seiner Habilitationsschrift (1854) das Integral für allgemeinere Funktionen<br />

weiterentwickelt.<br />

Abbildung 7.0.v: Pierre Fermat, 1601-<br />

1665<br />

Abbildung 7.0.vi: Bernhard Riemann,<br />

1826-1866<br />

7.1 Das bestimmte Integral als Grenzwert einer Summenfolge<br />

Es ist die Funktion f : [a,b] → [0,∞[ gegeben. Wir wollen das bestimmte Integral<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx<br />

als Grenzwert einer Summenfolge kennen lernen. Wir zerlegen das Intervall [a,b] in n Teilin-<br />

151


152 Kapitel 7. Das Riemannsche Integral<br />

y<br />

y<br />

M i<br />

∆x i<br />

mi<br />

∆x i<br />

y = f(x)<br />

y = f(x)<br />

a=x 0<br />

x 1<br />

· · ·<br />

x i−1 x i · · ·<br />

b=x n<br />

x<br />

a=x 0<br />

x 1<br />

· · ·<br />

x i−1 x i · · ·<br />

b=x n<br />

x<br />

Abbildung 7.1.i: Das bestimmte Integral als<br />

Grenzwert einer Riemannschen Untersumme<br />

U n = ∑ n<br />

i=1 ∆x im i .<br />

Abbildung 7.1.ii: Das bestimmte Integral als<br />

Grenzwert einer Riemannschen Obersumme<br />

O n = ∑ n<br />

i=1 ∆x iM i .<br />

tervalle mit den Intervallgrenzen<br />

a = x 0 < x 1 < x 2 < x 3 < ··· < x i−1 < x i < ··· < x n = b.<br />

Dabei setzen wir ∆x i = x i − x i−1 . Die Masszahl der Fläche ∆F i unter der Kurve zwischen<br />

x i−1 und x i und der x-Achse erfüllt die Ungleichung<br />

wobei<br />

∆x i m i ≤ ∆F i ≤ ∆x i M i ,<br />

m i = min<br />

x∈[x i−1 ,x i ] f(x) und M i = max<br />

x∈[x i−1 ,x i ] f(x)<br />

Summieren wir nun über alle Intervalle, so erhalten wir die Ungleichung<br />

U n =<br />

n∑<br />

∆x i m i ≤<br />

i=1<br />

n∑<br />

∆x i M i = O n .<br />

i=1<br />

Wir nennen U n die Riemannsche Untersumme und O n die Riemannsche Obersumme.<br />

Wird die Zerlegung verfeinert, indem die Anzahl n der Teilintervalle erhöht wird, so kann<br />

die Untersumme höchstens grösser und die Obersumme höchstens kleiner werden, da die<br />

zusätzlich auftretenden m i nur grösser werden können, oder allenfalls gleich bleiben. Für<br />

die M i gilt Entsprechendes. Voraussetzung dazu ist eine gewisse Regularität der Funktion.<br />

Machen wir die Zerlegung immer feiner, indem wir die Anzahl n der Teilintervalle unbegrenzt<br />

wachsenlassenunddamitalle ∆x i gegen nullstrebenlassen, sobildetdieUntersummeU n eine<br />

monoton wachsende beschränkte Zahlenfolge und die Obersumme O n eine monoton fallende<br />

beschränkte Zahlenfolge. Die Folgen U n und O n besitzen deshalb je einen Grenzwert<br />

U = lim<br />

n→∞ U n<br />

und O = lim<br />

n→∞ O n.


7.1. Das bestimmte Integral als Grenzwert einer Summenfolge 153<br />

Sind beide Grenzwerte gleich U = O, so nennen wir ihren gemeinsamen Wert I bestimmtes<br />

Integral.<br />

n∑ n∑<br />

∫ b<br />

I = lim ∆x i m i = lim ∆x i M i = f(x)dx.<br />

n→∞ n→∞<br />

i=1<br />

Die Masszahl des Flächeninhalts einer Fläche ist somit dann und nur dann ein sinnvoller<br />

Begriff, wenn<br />

lim<br />

n→∞ (O n −U n ) = 0.<br />

Indem wir unterscheiden, ob die Kurve unterhalb oder oberhalb der x-Achse verläuft, können<br />

wir obiges Verfahren auf beliebige reellwertige Funktionen f : [a,b] → R ausweiten.<br />

Zueinemanalogen Resultat gelangen wir,wennwirnicht diekleinstebzw.grössteOrdinatejedesTeilintervalls<br />

verwenden,sondernausjedemTeilintervall einebeliebigeStelleξ i ∈ [x i−1 ,x i ]<br />

auswählen und die zugehörige Ordinate f(ξ i ) zur Höhe des i-ten Rechtecks machen. Dann<br />

y<br />

i=1<br />

a<br />

f(ξ i )<br />

∆x i<br />

y = f(x)<br />

a=x 0<br />

x 1<br />

· · · x i−1 ξ i<br />

x i · · ·<br />

b=x n<br />

x<br />

Abbildung 7.1.iii: Es sei ξ i jeweils der Mittelpunkt des i-ten Teilintervalls [x i−1 ,x i ]. Dann ist<br />

das bestimmte Integral der Grenzwert der Summenfolge σ n = ∑ n<br />

i=1 ∆x if(ξ i ).<br />

folgt<br />

und<br />

oder<br />

Ist wiederum<br />

so gilt auch<br />

∆x i m i ≤ ∆x i f(ξ i ) ≤ ∆x i M i ,<br />

n∑<br />

∆x i m i ≤<br />

i=1<br />

n∑<br />

∆x i f(ξ i ) ≤<br />

i=1<br />

U n ≤ σ n ≤ O n .<br />

lim U n = lim O n,<br />

n→∞ n→∞<br />

n∑<br />

∆x i M i<br />

i=1<br />

lim U n = lim σ n = lim O n<br />

n→∞ n→∞ n→∞<br />

nach dem Sandwich-Theorem (vgl. Satz 3.3.2). Somit folgt<br />

I = lim<br />

n→∞ σ n = lim<br />

n→∞<br />

n∑<br />

∆x i f(ξ i ) =<br />

i=1<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx.


154 Kapitel 7. Das Riemannsche Integral<br />

Dies ist die so genannte Riemannsche Definition des Integrals.<br />

Definition 7.1.1. Eine Funktion f : [a,b] → R heisst Riemann integrierbar im Intervall<br />

[a,b], wenn bei jeder Folge beliebig fein werdender Zerlegungen des Intervalls [a,b] jede Folge<br />

σ n den gleichen endlichen Grenzwert hat.<br />

Als Resultat haben wir, dass das bestimmte Integral als Grenzwert einer Folge von Summe<br />

aufgefasst werden kann. Dabei geht die Zahl der Summanden gegen unendlich, aber der Wert<br />

jedes einzelnen Summanden gegen null. Diese Auffassung des Integrals ist nicht an die Berechnung<br />

des Flächeninhalts gebunden. Sie ist für jede Folge von Summanden anwendbar,<br />

etwa zur Volumen-, Oberflächen- und Bogenlängenberechnung.<br />

Das Symbol ∫ bezeichnt den Grenzwert von Summenfolgen lim ∑ . Damit verstehen wir nun<br />

auch, warum der Flächeninhalt einer Fläche zwischen x-Achse und Kurve negativ wird, wenn<br />

die Kurve unterhalb der x-Achse verläuft. Die Ordinatenwerte f(ξ i ), die in der Summe auftreten,<br />

sind negativ. Das Differenzial dF = f(x)dx heisst Flächenelement oder etwa auch<br />

Flächendifferenzial.<br />

Beispiel 7.1.1. Wir berechnen das Integral ∫ a<br />

0 x2 dx nach dem Riemannschen Verfahren.<br />

Setze ∆x i = x i −x i−1 = h und a = nh, es seien also die Intervalle alle gleich breit. Berechnen<br />

y<br />

y = x 2<br />

x 2 i<br />

h<br />

x 2 i−1<br />

x 2 2<br />

x 1 x 2 · · · x i−1 x i · · · a<br />

x<br />

wir zuerst die Untersumme<br />

Abbildung 7.1.iv: Unter- und Obersumme bei ∫ a<br />

0 x2 dx<br />

U n = 0+x 2 1h+x 2 2h+···+x 2 n−1h = 0+h 2 h+(2h) 2 h+···+(n−1) 2 h 2 h<br />

= h 3( 1+2 2 +3 2 +···+(n−1) 2) = a3<br />

n 3 (<br />

1+2 2 +3 2 +···+(n−1) 2)<br />

und analog dazu die Obersumme<br />

O n = x 2 1 h+x2 2 h+···+x2 n h = h2 h+(2h) 2 h+···+n 2 h 2 h<br />

= h 3( 1+2 2 +3 2 +···+n 2) = a3<br />

n 3 (<br />

1+2 2 +3 2 +···+n 2) .


7.1. Das bestimmte Integral als Grenzwert einer Summenfolge 155<br />

Es gelten die Formeln<br />

n∑<br />

k=1<br />

k 2 = n(n+1)(2n+1)<br />

6<br />

und<br />

n−1<br />

∑<br />

k 2 = (n−1)n(2n−1)<br />

6<br />

k=1<br />

(vgl. A.2.3 Formel (A.2.b)). Damit erhalten wir<br />

U n = a3 (n−1)n(2n−1)<br />

n 3 = a3 (n−1)(2n−1)<br />

6 6n 2 ,<br />

O n = a3 n(n+1)(2n+1)<br />

n 3 = a3 (n+1)(2n+1)<br />

6 6n 2 .<br />

Betrachten wir nun die Grenzwerte, so ergibt sich<br />

U = lim U n = a 3 (n−1)(2n−1)<br />

lim<br />

n→∞ n→∞ 6n 2 = a 3 lim<br />

n→∞<br />

O = lim O n = a 3 (n+1)(2n+1)<br />

lim<br />

n→∞ n→∞ 6n 2 = a 3 lim<br />

n→∞<br />

( 1<br />

3 − 1<br />

2n + 1 )<br />

6n 2 = a3<br />

3 ,<br />

( 1<br />

3 + 1<br />

2n + 1 )<br />

6n 2 = a3<br />

3 .<br />

Also folgt lim n→∞ U n = lim n→∞ O n = a3<br />

3<br />

. Das Riemannsche Integral existiert und hat somit<br />

den Wert<br />

∫ a<br />

x 2 dx = a3<br />

3 .<br />

Es gibt aber auch nicht Riemann integrierbare Funktionen.<br />

Beispiel 7.1.2 (Dirichletfunktion). Die Funktion<br />

χ Q (x) =<br />

0<br />

{ 1 wenn x ∈ Q<br />

0 wenn x ∈ R−Q<br />

ist nicht Riemann integrierbar auf dem Intervall [0,1]. Wähle eine Unterteilung des Intervalls<br />

[0,1] in n gleich grosse Teilintervalle der Länge ∆x i = 1 n<br />

, dann gilt<br />

m i = min<br />

x∈[ i−1<br />

n , n] f(x) = 0 und M i = max f(x) = 1,<br />

i x∈[ i−1<br />

n , n] i<br />

wobei i ∈ {1,...,n}. Demzufolge sind<br />

U = lim<br />

n→∞<br />

O = lim<br />

n→∞<br />

n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

∆x i m i = lim<br />

n→∞<br />

∆x i M i = lim<br />

n→∞<br />

n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

1<br />

n 0 = 0<br />

1<br />

n 1 = 1.<br />

Nach Definition 7.1.1 ist χ Q nicht Riemann integrierbar, da U ≠ O. Dies ist einer der Ausgangspunkte<br />

der Theorie des Lebesgue Integrals.


156 Kapitel 7. Das Riemannsche Integral<br />

Abbildung 7.1.v: Lejeune Dirichlet, 1805-<br />

1859<br />

Abbildung 7.1.vi: Henri Lebesgue, 1875-<br />

1941<br />

Numerische Integration<br />

Das Approximationsverfahren mit Hilfe der Riemannschen Unter- und Obersumme kann zur<br />

numerischen Berechnung von bestimmten Integralen verwendet werden. Das Integrationsintervall<br />

[a,b] wird in n gleich grosse Teilintervalle unterteilt. Wir können entweder den Funktionswert<br />

am linken Teilintervallende nehmen, dann gilt<br />

∫ b n∑<br />

(<br />

b−a<br />

f(x)dx ≈<br />

n ·f (b−a) k −1 )<br />

n +a<br />

oder am rechten Ende, dann gilt<br />

a<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx ≈<br />

k=1<br />

n∑<br />

k=1<br />

b−a<br />

n ·f (<br />

(b−a) k n +a )<br />

.<br />

Bei einfachen Funktionen reichen oft schon wenige Teilintervalle. Um eine bessere Konvergenz<br />

zu erhalten, können wir auch die Fläche unter dem Grafen der Funktion durch Trapeze<br />

approximieren. Dann erhalten wir<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx ≈<br />

n∑ b−a<br />

n · f( (b−a) k−1<br />

n +a) +f ( (b−a) k n +a) .<br />

2<br />

k=1<br />

Beispiel 7.1.3. Wir wollen das bestimmte Integral<br />

∫ 1<br />

0<br />

x 2 dx = 1 3<br />

als endliche Riemannsumme berechnen. Es sei n die Anzahl der Teilintervalle.<br />

n 1 5 10 50 100<br />

Rechteckapproximation (links) 0 0.24 0.285 0.3234 0.32835<br />

Trapezapproximation 0.5 0.34 0.335 0.3334 0.33335<br />

Rechteckapproximation (rechts) 1 0.44 0.385 0.3434 0.33835<br />

Für n → ∞ konvergiert die Approximation natürlich gegen den exakten Wert 1 3 .


7.1. Das bestimmte Integral als Grenzwert einer Summenfolge 157<br />

Aufgabe<br />

Aufgabe 7.1.1. Berechnen Sie mit Hilfe der Untersumme und Obersumme das Integral<br />

Lösung<br />

Lösung 7.1.1. Benutzen Sie die Formel<br />

n∑<br />

k=1<br />

(vgl. Appendix A.2.3 Formel (A.2.c)).<br />

∫ a<br />

0<br />

x 3 dx.<br />

k 3 = n2 (n+1) 2<br />

4


158 Kapitel 7. Das Riemannsche Integral


Kapitel 8<br />

Umkehrfunktionen<br />

8.1 Definition der Umkehrfunktion<br />

Die Funktion f : X f → Y f ordnet jedem x ∈ X f genau ein y ∈ Y f zu. Die folgende Fragestel-<br />

f<br />

• y 1<br />

x 1<br />

•<br />

x 2<br />

x 3<br />

X f<br />

•<br />

•<br />

y 2<br />

Y f<br />

•<br />

f −1<br />

Abbildung 8.1.i: Funktion f und Umkehrfunktion f −1<br />

lung führt zum Begriff der Umkehrfunktion oder etwa auch inverse Funktion genannt.<br />

Gegeben sei y ∈ Y f , welches x ∈ X f gehört dazu? Die Frage ist nur beantwortbar, wenn jedem<br />

y ∈ Y f nur genau ein x ∈ X f entspricht. Solche Funktionen werden bijektiv oder eineindeutig<br />

genannt. Bezeichnung der Umkehrfunktion ist f −1 . Die Umkehrfunktion f −1 : Y f → X f<br />

ordnet jedem y ∈ Y f genau ein x ∈ X f zu. Da Definitionsbereiche mit X und Wertebereiche<br />

mit Y bezeichnet werden, setzen wir<br />

X f −1 = Y f und Y f −1 = X f .<br />

Konkret bedeuten diese Bezeichnungen, dass x und y vertauscht werden. Die Umkehrfunktion<br />

wird somit in zwei Schritten bestimmt:<br />

1. Die Gleichung y = f(x) wenn möglich nach x = f −1 (y) auflösen.<br />

2. Die unabhängige Variable x und die abhängige Variable y vertauschen, d.h. y = f −1 (x).<br />

Geometrisch entspricht dies der Spiegelung des Grafen y = f(x) an der Geraden y = x. Wir<br />

sehen sofort, dass die Umkehrfunktion der Umkehrfunktion die ursprüngliche Funktion ist,<br />

d.h.,<br />

(<br />

f<br />

−1 ) −1<br />

= f<br />

159


160 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

y<br />

y = x<br />

f −1 (f(x 0 ))<br />

f(x 0 )<br />

y = f −1 (x)<br />

f(x 0 )<br />

x 0<br />

x<br />

y = f(x)<br />

Abbildung 8.1.ii: Funktion f und Umkehrfunktion f −1 , Spiegelung des Grafen y = f(x) an<br />

der Geraden y = x. Wir sehen, dass f −1 (f(x 0 )) = x 0 gilt.<br />

und die Verküpfung der Funktion mit der Umkehrfunktion (respektive, der Umkehrfunktion<br />

mit der Funktion) die Identität ist<br />

f(f −1 (x)) = f −1 (f(x)) = x.<br />

Für diesen Sachverhalt schreiben wir etwa auch f ◦f −1 = f −1 ◦f = id. 1<br />

Beispiel 8.1.1. Wir betrachten die affine Funktion<br />

f(x) = 3x−4<br />

und bestimmen dessen Umkehrfunktion. Zuerst lösen wir die Gleichung y = 3x − 4 nach<br />

x = 1 3<br />

(y +4) auf. Dann vertauschen wir die beiden Variablen, um<br />

f −1 (x) = 1 3 (x+4)<br />

zu erhalten. Die Umkehrfunktion einer affinen Funktion ist wiederum affin. Dies sehen wir<br />

auch an der Tatsache, dass die Spiegelung einer Geraden an einer Geraden wiederum eine<br />

Gerade ist.<br />

Der folgende Satz gibt erschöpfende Auskunft über die Möglichkeit, einer Umkehrfunktion zu<br />

einer gegebenen Funktion zu bestimmen.<br />

Satz 8.1.1. Zu jeder streng monoton wachsenden (fallenden) stetigen Funktion existiert die<br />

Umkehrfunktion.<br />

Zum Beweis dieses Satzes ist nur anzumerken, dass aus der strengen Monotonie die Eindeutigkeit<br />

(Bijektivität) folgt.<br />

Beispiel 8.1.2. Wir betrachten nun einige weitere Beispiele.<br />

1 Dabei bedeutet das Symbol f ◦g die Verknüpfung der Funktion g mit f (zuerst g dann f) und id die<br />

Identitätsabbildung.


8.1. Definition der Umkehrfunktion 161<br />

y<br />

y = 3x − 4<br />

y = 1 3<br />

(x + 4)<br />

x<br />

Abbildung 8.1.iii: Die Umkehrfunktion einer affinen Funktion ist wiederum affin.<br />

a. Die quadratische Funktion<br />

f(x) = x 2<br />

sei gegeben. Hier müssen wir wegen der geforderten Eindeutigkeit den Definitionsbereich<br />

auf X f = [0,∞[ beschränken. Dann folgt aus y = x 2 sofort √ y = x, also die<br />

Umkehrfunktion<br />

f −1 (x) = √ x.<br />

Falls wir uns auf den anderen Monotoniebereich beschränken, indem wir X f =]−∞,0]<br />

y<br />

y = f(x)<br />

y = x<br />

y = f −1 (x)<br />

x<br />

setzen, so folgt<br />

f −1 (x) = − √ x<br />

IndieserSituation, woderDefinitionsbereichnicht von Anfangklardefiniertist, ergeben<br />

sich somit zwei Möglichkeiten einer Umkehrfunktion.<br />

b. Potenzfunktion mit geradem Exponeneten<br />

f(x) = x 2n<br />

wobei n ∈ N. Dieses Beispiel ist völlig analog zum Beispiel 8.1.2, d.h., es gilt<br />

f −1 (x) = 2n√ x wenn X f = [0,∞[


162 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

oder<br />

f −1 (x) = − 2n√ x wenn X f =]−∞,0].<br />

c. Potenzfunktion mit ungeradem Exponeneten<br />

f(x) = x 2n−1<br />

wobei n ∈ N und X f = Y f = R. In diesem Fall ergibt sich<br />

f −1 (x) =<br />

{ −<br />

2n−1 √ −x wenn x < 0<br />

2n−1 √ x wenn x ≥ 0<br />

mit<br />

X f = Y f −1 = R und Y f = X f −1 = R.<br />

Wegen der Wurzel ist der Bereich der negativen x separat zu betrachten<br />

d. Hyperbelfunktion<br />

f(x) = 1 x<br />

mit x ∈ X f = R−{0}.<br />

Dann folgt Y f = R−{0} und<br />

f −1 (x) = 1 x<br />

mit X f −1 = Y f −1 = R−{0}. Wir stellen fest, dass f = f −1 .<br />

y<br />

y = f(x)<br />

y = x<br />

y = f −1 (x)<br />

x<br />

e. Logarithmusfunktion<br />

f(x) = log a (x) wobei x ∈ X f =]0,∞[.<br />

Aus der Definition der Logarithmusfunktion folgt die Gleichung x = a log a (x) = a y mit<br />

Y f = R, also ergibt sich<br />

f −1 (x) = a x mit x ∈ X f −1 = R.<br />

Die Logarithmusfunktion ist die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion und umgekehrt.


8.1. Definition der Umkehrfunktion 163<br />

y = ( 1<br />

2<br />

y<br />

) x y = x<br />

y = 2 x y = log 1<br />

y = log 2 (x)<br />

x<br />

2 (x)<br />

Aufgaben<br />

Bestimmen Sie die Umkehrfunktion und geben Sie jeweils den maximalen Definitionsbereich<br />

undWertebereich derfolgenden Funktionenan. Veranschaulichen Siesich jeweils dieSituation<br />

an einer Skizze.<br />

Aufgabe 8.1.1. f(x) = 3x−2<br />

Aufgabe 8.1.2. f(x) = − 1 2 x+5<br />

Aufgabe 8.1.3. f(u) = 2u−3<br />

2<br />

Aufgabe 8.1.4. f(x) = − 3√ 2x<br />

Aufgabe 8.1.5. f(u) = 4− √ u<br />

Aufgabe 8.1.6. f(x) = x+1<br />

x−1<br />

Aufgabe 8.1.7. f(t) = 4t 2 +2 mit t ∈ [0,∞[<br />

Aufgabe 8.1.8. f(x) = 2 x +1<br />

Aufgabe 8.1.9. f(x) = 1+ln(x)<br />

Aufgabe 8.1.10. f(ϕ) = √ r 2 −ϕ 2 wobei r ein fester reeller Parameter ist.<br />

Aufgabe 8.1.11. f(x) = b−ax<br />

a+x<br />

wobei a und b feste reelle Parameter sind.<br />

Aufgabe 8.1.12. f(x) = 1 2 (x+√ 4−3x 2 )<br />

Aufgabe 8.1.13. f(α) = √ 1− √ α+ √ 1+ √ α<br />

Aufgabe 8.1.14. f(u) = √ 1−u 2 − √ 1+u 2<br />

Aufgabe 8.1.15. f(x) = 1 2<br />

(<br />

3√ x+<br />

1<br />

3√ x<br />

)


164 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

Lösungen<br />

Lösung 8.1.1. f −1 (x) = x+2<br />

3<br />

Lösung 8.1.2. f −1 (x) = −2x+10<br />

Lösung 8.1.3. f −1 (u) = u+ 3 2<br />

Lösung 8.1.4. f −1 (x) = − x3<br />

2<br />

Lösung 8.1.5. f −1 (u) = (4−u) 2<br />

Lösung 8.1.6. f −1 (x) = f(x)<br />

Lösung 8.1.7. f −1 (t) = 1 2√ t−2<br />

Lösung 8.1.8. f −1 (x) = log 2 (x−1)<br />

Lösung 8.1.9. f −1 (x) = e x−1<br />

Lösung 8.1.10. Die Funktion f : [−r,0] → [0,r] ist streng monoton wachsend, also ergibt<br />

sich auf dem Intervall [−r,0] die Umkehrfunktion f −1 (ϕ) = −f(ϕ).<br />

Die Funktion f : [0,r] → [0,r] ist streng monoton fallend, also ergibt sich auf dem Intervall<br />

[0,r] die Umkehrfunktion f −1 (ϕ) = f(ϕ).<br />

Lösung 8.1.11. f −1 (x) = f(x)<br />

[ ] [ ]<br />

Lösung 8.1.12. Die Funktion f : −√ 2 1<br />

3<br />

, √3 → −√ 1 2<br />

3<br />

, √3 ist streng monoton wachsend,<br />

[ ]<br />

also ergibt sich auf dem Intervall −√ 2 1<br />

3<br />

, √3 die Umkehrfunktion f −1 (x) = 1 2 (x−√ 4−3x 2 ).<br />

[ ]<br />

Die Funktion f : 1√3 2<br />

, √3<br />

Intervall<br />

→ [ 2 √<br />

3<br />

,<br />

1 √3 ] ist streng monoton fallend, also ergibt sich auf dem<br />

[ ]<br />

√3 1 2<br />

, √3 die Umkehrfunktion f −1 (x) = f(x) = 1 2 (x+√ 4−3x 2 ).<br />

Lösung 8.1.13. f −1 (α) = α 2 − α4<br />

4<br />

Lösung 8.1.14. f −1 (u) = 4 √<br />

1− (2−u2 ) 2<br />

4<br />

Lösung 8.1.15. f −1 (x) = (x+ √ x 2 −1) 3<br />

8.2 Arkusfunktionen (Zyklometrische Funktionen)<br />

Das elementare Problem, das zu Grunde liegt, ist folgendes. Zu einem bestimmten Wert<br />

einer trigonometrischen Funktion (Kreisfunktion) ist der zugehörige Winkel im Bogenmass<br />

zu bestimmen. Das führt auf das Problem der Umkehrfunktion zu einer trigonometrischen<br />

Funktion. Wie bei den Beispielen im letzten Abschnitt müssen wir uns auf Monotoniebereiche<br />

begrenzen. Wir nehmen solche, die möglichst um den Ursprung herum liegen. Die Umkehrfunktionen<br />

der trigonometrischen Funktionen heissen Arkusfunktionen (arcus lat. Bogen),<br />

da die Funktionswerte sich geometrisch als Masszahlen der Bogenlänge eines Einheitskreises<br />

deuten lassen (vgl. Abbildung 9.1.vi).<br />

1. Umkehrfunktion der Sinusfunktion: DieFunktionf(x) = sin(x) iststrengmonoton<br />

im Intervall [− π 2 , π 2<br />

]. Wir bezeichnen die Umkehrfunktion mit<br />

f −1 (x) = arcsin(x),


8.2. Arkusfunktionen (Zyklometrische Funktionen) 165<br />

sprich Arkussinusfunktion. 2 Es gilt X arcsin = [−1,1] und Y arcsin = [− π 2 , π 2<br />

]. Der Wert<br />

arcsin(x) istdasBogenmass desWinkels, dessenSinusxist.Weitere Wertevonarcsin(x)<br />

unterscheiden sich um 2πn, wobei n ∈ Z, vom so genannten Hauptwert 3 . Ferner ist<br />

es auch möglich π −arcsin als Umkehrfunktion für sin zu nehmen.<br />

y<br />

π<br />

2<br />

y = x<br />

− π 2<br />

y = sin(x)<br />

π<br />

2<br />

x<br />

y = arcsin(x)<br />

− π 2<br />

2. Umkehrfunktion der Kosinusfunktion: Die Funktion f(x) = cos(x) ist streng monoton<br />

im Intervall [0,π]. Wir bezeichnen die Umkehrfunktion mit<br />

f −1 (x) = arccos(x),<br />

sprich Arkuscosinusfunktion. 4 Es gilt X arccos = [−1,1] und Y arccos = [0,π]. Der Wert<br />

arccos(x) ist das Bogenmass des Winkels, dessen Kosinus x ist. Weitere Werte von<br />

arccos(x) unterscheiden sich um 2πn, wobei n ∈ Z, vom Hauptwert. Ferner ist es auch<br />

möglich −arccos als Umkehrfunktion für cos zu nehmen.<br />

y = arccos(x)<br />

y<br />

π<br />

y = x<br />

1<br />

1<br />

π<br />

x<br />

y = cos(x)<br />

3. Umkehrfunktion der Tangensfunktion: Die Funktion f(x) = tan(x) ist streng<br />

monoton im Intervall ]− π 2 , π 2<br />

[. Wir bezeichnen die Umkehrfunktion mit<br />

f −1 (x) = arctan(x),<br />

2 Manchmal wird auch die Bezeichnung sin −1 gebraucht, so etwa auf den TI-Taschenrechner. Dieser Konvention<br />

folgen wir nicht, da diese Bezeichnung gerne mit der Funktion 1 verwechselt wird. Auch asin wird<br />

sin<br />

verwendet, so etwa in Mathcad oder auf den HP-Rechner.<br />

3 Taschenrechner geben die Hauptwerte an.<br />

4 Die Bezeichnung cos −1 wird auch gebraucht. Verwechslungsgefahr mit der Funktion 1 . Auch acos wird<br />

cos<br />

verwendet.


166 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

sprich Arkustangensfunktion. 5 Es gilt X arctan = R und Y arctan =]− π 2 , π 2<br />

[. Der Wert<br />

arctan(x) ist das Bogenmass des Winkels, dessen Tangens x ist. Weitere Werte von<br />

arctan(x) unterscheiden sich um πn, wobei n ∈ Z, vom Hauptwert<br />

y<br />

y = tan(x)<br />

y = x<br />

π<br />

2<br />

y = arctan(x)<br />

− π 2<br />

π<br />

2<br />

x<br />

− π 2<br />

4. Umkehrfunktion der Kotangensfunktion: Die Funktion f(x) = cot(x) ist streng<br />

monoton im Intervall ]0,π[. Wir bezeichnen die Umkehrfunktion mit<br />

f −1 (x) = arccot(x),<br />

sprich Arkuskotangensfunktion. 6 Es gilt X arccot = R und Y arccot =]0,π[. Der Wert<br />

arccot(x) ist das Bogenmass des Winkels, dessen Kotangens x ist. Weitere Werte von<br />

arccot(x) unterscheiden sich um πn, wobei n ∈ Z, vom Hauptwert<br />

y<br />

y = arccot(x)<br />

π<br />

π<br />

2<br />

π<br />

2<br />

π<br />

x<br />

y = x<br />

y = cot(x)<br />

Beziehungen zwischen Arkusfunktionen und trigonometrischen Funktionen:<br />

Die Beziehungen ergeben sich aus der Definition der Umkehrfunktion, d.h. aus f(f −1 (x)) = x<br />

folgt<br />

sin(arcsin(x)) = x, cos(arccos(x)) = x,<br />

tan(arctan(x)) = x, cot(arccot(x)) = x,<br />

5 Die Bezeichnung tan −1 wird auch gebraucht, grosse Verwechslungsgefahr mit der Funktion cot. Auch atan<br />

oder arctg wird verwendet.<br />

6 Die Bezeichnung cot −1 wird auch gebraucht, grosse Verwechslungsgefahr mit der Funktion tan.


8.2. Arkusfunktionen (Zyklometrische Funktionen) 167<br />

und aus f −1 (f(x)) = x folgt<br />

arcsin(sin(x)) = x, arccos(cos(x)) = x,<br />

arctan(tan(x)) = x, arccot(cot(x)) = x.<br />

Die folgenden Beziehungen folgen aus den Grafen der Arkusfunktionen<br />

arcsin(−x) = −arcsin(x),<br />

arctan(−x) = −arctan(x),<br />

arccos(−x) = π −arccos(x),<br />

arccot(−x) = π −arccot(x).<br />

Wir finden auch Beziehungen zwischen arcsin und arccos, respektive arctan und arccot.<br />

Satz 8.2.1. Die nachfolgenden Beziehungen gelten jeweils für die angegebenen Intervalle.<br />

1. arcsin(x)+arccos(x) = π 2<br />

2. arctan(x)+arccot(x) = π 2<br />

für alle x ∈ [−1,1]<br />

für alle x ∈ R<br />

Beweis. 1. Es sei arcsin(x) = y, dann folgt x = sin(y) = cos( π 2<br />

die gesuchte Beziehung arccos(x) = π 2 −y = π 2 −arcsin(x).<br />

−y), und somit haben wir<br />

2. Es sei arctan(x) = y, dann folgt x = tan(y) = cot( π 2<br />

− y), und somit haben wir die<br />

gesuchte Beziehung arccot(x) = π 2 −y = π 2 −arctan(x).<br />

Ableitungen der Arkusfunktionen:<br />

Im Folgenden leiten wir die Ableitungen der Arkusfunktionen her.<br />

1. Es sei<br />

f(x) = arcsin(x) mit X f = [−1,1] und Y f = [− π 2 , π 2 ].<br />

Die Gleichung x = sin(y) implizit nach x differenziert ergibt cos(y)y ′ = 1. Nun lösen<br />

wir nach<br />

y ′ = 1<br />

cos(y) = 1<br />

√<br />

1−sin 2 (y)<br />

auf. Damit erhalten wir die Ableitung<br />

d<br />

dx arcsin(x) = 1<br />

√ .<br />

1−x 2<br />

2. Es sei<br />

f(x) = arccos(x) mit X f = [−1,1] und Y f = [0,π].<br />

Dann folgt analog wie beim Sinus die Ableitung<br />

d<br />

dx arccos(x) = − 1<br />

√<br />

1−x 2 .


168 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

3. Es sei<br />

f(x) = arctan(x) mit X f = R und Y f =]− π 2 , π 2 [.<br />

Die Gleichung x = tan(y) implizit nach x differenziert ergibt (1+tan 2 (y))y ′ = 1. Nun<br />

lösen wir nach<br />

y ′ 1<br />

=<br />

1+tan 2 (y)<br />

auf. Damit erhalten wir die Ableitung<br />

4. Es sei<br />

d<br />

dx arctan(x) = 1<br />

1+x 2.<br />

f(x) = arccot(x) mit X f = R und Y f =]0,π[.<br />

Dann folgt analog wie beim Tangens die Ableitung<br />

d<br />

dx arccot(x) = − 1<br />

1+x 2.<br />

Mit den Ableitungen der Arkusfunktionenhabenwir zwei wichtige zusätzliche Grundintegrale<br />

erhalten.<br />

1. ∫<br />

dx<br />

√<br />

1−x 2 = arcsin(x)+C<br />

2. ∫<br />

Dabei ist C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

dx<br />

1+x 2 = arctan(x)+C<br />

Beispiel 8.2.1. Gesucht ist die Masszahl der Fläche zwischen 0 und 1 unter der Kurve<br />

y = 1<br />

1+x 2 . Wir berechnen das bestimmte Integral<br />

∫ 1<br />

0<br />

∣<br />

dx ∣∣∣<br />

1<br />

1+x 2 = arctan(x)<br />

Beispiel 8.2.2. Wir berechnen das bestimmte Integral<br />

Aufgaben<br />

∫ 3<br />

4<br />

1<br />

2<br />

∣3<br />

dx ∣∣∣∣ 4<br />

√ = arcsin(x) 1−x 2<br />

0<br />

1<br />

2<br />

= arctan(1)−arctan(0) = π 4 .<br />

= arcsin( 3 4 )−arcsin(1 2 ) ≈ 0.324.<br />

Aufgabe 8.2.1. Bestimmen Sie die folgenden Funktionswerte<br />

a. arcsin( √ 1<br />

2<br />

)<br />

d. arccot(1)<br />

b. arccos(0.6)<br />

c. arctan( √ 3)<br />

e. arccos(−0.5)<br />

f. tan(arccot(2))


8.2. Arkusfunktionen (Zyklometrische Funktionen) 169<br />

Aufgabe 8.2.2. Beweisen Sie die folgenden Beziehungen.<br />

a. arccos(x) = arcsin( √ 1−x 2 )<br />

b. arcsin(x) = arccos( √ 1−x 2 )<br />

c. arctan(x) = arccot( 1 x )<br />

d. arccot(x) = arctan( 1 x )<br />

Aufgabe 8.2.3. Bestimmen Siedurchimplizites Differenzieren dieAbleitungenderfolgenden<br />

Funktionen.<br />

a. f(x) = arccos(x) b. f(x) = arccot(x)<br />

Aufgabe 8.2.4. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

f(ξ) = (1+ξ 2 )arctan(ξ).<br />

Aufgabe 8.2.5. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

f(x) = x arcsin(4x).<br />

Aufgabe 8.2.6. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

( x<br />

f(x) = xarccot .<br />

4)<br />

Aufgabe 8.2.7. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

Interpretieren Sie das Resultat.<br />

f(u) = arcsin(u)+arccos(u).<br />

Aufgabe 8.2.8. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

)<br />

f(z) = arcsin(√<br />

1−z 2 .<br />

Aufgabe 8.2.9. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

( )<br />

x<br />

f(x) = arcsin √ .<br />

1+x 2<br />

Aufgabe 8.2.10. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

( )<br />

ω<br />

f(ω) = arccot √ .<br />

1−ω<br />

2<br />

Aufgabe 8.2.11. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

)<br />

f(x) = xarctan(x)−ln(√<br />

1+x 2 .<br />

Aufgabe 8.2.12. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

(√ )<br />

6x−x<br />

2<br />

f(x) = 3arcsin − √ 6x−x<br />

3<br />

2 .


170 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

Aufgabe 8.2.13. Bestimmen Sie die erste Ableitung von<br />

( x<br />

f(x) = xarcsin +<br />

a) √ a 2 −x 2<br />

wobei a ∈ R−{0}.<br />

Aufgabe 8.2.14. Beweisen Sie, dass sich die Werte der Funktion<br />

( ) x+a<br />

f(x) = arctan(x) und g(x) = arctan<br />

1−ax<br />

wobei a ∈ R und x ∈ R−{ 1 a<br />

}, um eine additive Konstante unterscheiden. Bestimmen Sie die<br />

Konstante.<br />

Aufgabe 8.2.15. Beweisen Sie, dass sich die Werte der Funktion<br />

f(x) = arcsin<br />

(2x √ )<br />

1−x 2 und g(x) = 2arcsin(x)<br />

] √ √ [<br />

− 2<br />

2 , 2<br />

2<br />

, um eine additive Konstante unterscheiden. Bestimmen Sie die Kon-<br />

wobei x ∈<br />

stante.<br />

Aufgabe 8.2.16. Berechnen Sie<br />

f(y) =<br />

∫ y<br />

1<br />

2<br />

( ) π<br />

2 + 1<br />

√ dα.<br />

1−α 2<br />

Aufgabe 8.2.17. Berechnen Sie die Masszahl des Flächeninhalts der Fläche zwischen der<br />

x-Achse und der Kurve mit der Gleichung<br />

f(x) = 1<br />

1+x 2.<br />

Aufgabe 8.2.18. Legen Sie an der Stelle x 1 die Tangente an den Hauptzweig der Bildkurve<br />

von f(x) = arctan(x) und g(x) = arccot(x). Welche x-Koordinaten hat der Schnittpunkt der<br />

beiden Tangenten.<br />

Aufgabe 8.2.19. Drücken Sie die folgenden Funktionen ohne trigonometrische und ohne<br />

Arkusfunktionen aus.<br />

a. f(x) = arccos(sin(x)) b. f(x) = sin ( arccos ( ))<br />

1<br />

x<br />

Aufgabe 8.2.20. Beweisen Sie mit Hilfe der Ableitung, dass<br />

( ) 2u<br />

2arctan(u) = arcsin<br />

1+u 2<br />

für alle u ∈ ]−1,1[.<br />

Aufgabe 8.2.21. Beweisen Sie mit Hilfe der Ableitung, dass<br />

(√ ) 1−x<br />

arctan √ + 1 1+x 2 arcsin(x) = π 4<br />

für alle x ∈ ]−1,1[.


8.2. Arkusfunktionen (Zyklometrische Funktionen) 171<br />

Lösungen<br />

Lösung 8.2.1.<br />

a.<br />

π<br />

4<br />

b. 0.927 (mit Taschenrechner)<br />

c.<br />

π<br />

3<br />

d.<br />

π<br />

4<br />

e.<br />

2<br />

3 π<br />

f.<br />

1<br />

2<br />

Lösung 8.2.2. a. Benutzen Sie die Identität cos 2 (y)+sin 2 (y) = 1.<br />

b. Benutzen Sie die Identität cos 2 (y)+sin 2 (y) = 1.<br />

c. Benutzen Sie die Identität tan(y) = 1<br />

cot(y) .<br />

d. Benutzen Sie die Identität tan(y) = 1<br />

cot(y) .<br />

Lösung 8.2.3.<br />

a. f ′ (x) = − 1 √<br />

1−x 2<br />

b. f ′ (x) = − 1<br />

1+x 2<br />

Lösung 8.2.4. f ′ (ξ) = 2ξarctan(ξ)+1<br />

Lösung 8.2.5. f ′ (x) = arcsin(4x)+<br />

4x √<br />

1−16x 2<br />

Lösung 8.2.6. f ′ (x) = arccot( x 4x<br />

4<br />

)−<br />

16+x 2<br />

Lösung 8.2.7. f ′ (u) = 0<br />

Lösung 8.2.8. f ′ (z) = −√ 1<br />

1−z<br />

sgn(z) (Studieren Sie den Grafen y = f(z).) Es ist sgn die<br />

2<br />

Vorzeichenfunktion, vgl. Beispiel 3.4.3.)<br />

Lösung 8.2.9. f ′ (x) = 1<br />

1+x 2<br />

Lösung 8.2.10. f ′ (ω) = − 1 √<br />

1−ω 2<br />

Lösung 8.2.11. f ′ (x) = arctan(x) (als Integral merken)<br />

Lösung 8.2.12. Wir müssen zwei Fälle unterscheiden<br />

⎧<br />

⎪⎨<br />

f ′ (x) =<br />

⎪⎩<br />

Lösung 8.2.13. f ′ (x) = arcsin( x a )<br />

Lösung 8.2.14. Die Konstante beträgt arctan(a).<br />

x √<br />

6x−x 2<br />

wenn x < 3<br />

−6+x √<br />

6x−x 2<br />

wenn x > 3<br />

Lösung 8.2.15. Die beiden Funktionen sind gleich.<br />

Lösung 8.2.16. Das Integral ist f(y) = π 5π<br />

2y +arcsin(y)−<br />

12 .


172 Kapitel 8. Umkehrfunktionen<br />

Lösung 8.2.17. Es muss das uneigentliche Integral<br />

berechnet werden.<br />

∫ ∞<br />

−∞<br />

dx<br />

1+x 2 = π<br />

Lösung 8.2.18. Die x-Koordinate des Schnittpunktes ist x 1 +(1+x 2 1 )(π 4 −arctan(x 1)).<br />

Lösung 8.2.19.<br />

a. f(x) = π 2 −x b. f(x) =<br />

√<br />

x 2 −1<br />

x<br />

Lösung 8.2.20. keine Hilfe<br />

Lösung 8.2.21. keine Hilfe


Kapitel 9<br />

Hyperbelfunktionen und ihre<br />

Umkehrfunktionen<br />

9.1 Hyperbelfunktionen<br />

Die Hyperbelfunktionen bilden eine Gruppe von vier Funktionen, wie die trigonometrischen<br />

Funktionen. Sie sind mit diesen eng verwandt, d.h., sie hängen mit den trigonometrischen<br />

Funktionen direkt zusammen, wenn die komplexen Zahlen zugrunde gelegt werden.<br />

Üblicherweise werden sie als Linearkombinationen von Exponentialfunktionen eingeführt. Sie<br />

besitzen Additionstheoreme wie dietrigonometrischen Funktionen. Siespielen in derhyperbolischen<br />

Geometrie die gleiche Rolle wie die trigonometrischen Funktionen in der sphärischen<br />

(elliptischen) und Euklidschen Geometrie.<br />

1. Sinus hyperbolikus: Der Sinus hyperbolikus, auch Hyperbelsinus genannt, ist durch<br />

f(x) = sinh(x) = ex −e −x<br />

,<br />

2<br />

definiert 1 . Es gilt X sinh = R und Y sinh = R. Der Sinus hyperbolikus ist eine ungerade<br />

Funktion, da für alle x ∈ R<br />

gilt.<br />

sinh(−x) = e−x −e x<br />

2<br />

= −sinh(x)<br />

2. Kosinus hyperbolikus: Der Kosinus hyperbolikus, auch Hyperbelcosinus genannt, ist<br />

durch<br />

f(x) = cosh(x) = ex +e −x<br />

,<br />

2<br />

definiert 2 . Es gilt X cosh = R und Y cosh = [1,∞[. Der Kosinus hyperbolikus ist eine<br />

gerade Funktion, da für alle x ∈ R<br />

cosh(−x) = e−x +e x<br />

= cosh(x)<br />

2<br />

gilt. Der Kosinus hyperbolikus heisst auch Kettenlinienfunktion, da sein Graf die<br />

Form einer durchhängenden Kette hat.<br />

1 Es wird auch die Akürzung sh verwendet.<br />

2 Es wird auch die Akürzung ch verwendet.<br />

173


174 Kapitel 9. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen<br />

y<br />

y = sinh(x)<br />

y = 1 2 ex<br />

y = 1 2 e−x<br />

x<br />

Abbildung 9.1.i: Der Sinus hyperbolikus ist eine Linearkombinationen zweier Exponentialfunktionen.<br />

y<br />

y = cosh(x)<br />

y = 1 2 ex<br />

y = 1 2 e−x<br />

x<br />

Abbildung 9.1.ii: Der Kosinus hyperbolikus ist eine Linearkombinationen zweier Exponentialfunktionen.<br />

3. Tangens hyperbolikus: Der Tangens hyperbolikus, auch Hyperbeltangens genannt,<br />

ist durch<br />

f(x) = tanh(x) = sinh(x)<br />

cosh(x) = ex −e −x<br />

e x +e −x,<br />

definiert 3 . Es gilt X tanh = R und Y tanh =] − 1,1[. Der Tangens hyperbolikus ist eine<br />

ungerade Funktion, da für alle x ∈ R<br />

tanh(−x) = e−x −e x<br />

e −x +e x = −tanh(x)<br />

gilt. Weiter ergibt sich das Verhalten im Unendlichen<br />

e x −e −x<br />

lim tanh(x) = lim<br />

x→∞ x→∞ e x +e −x = lim<br />

x→∞<br />

lim tanh(x) = lim<br />

x→−∞ x→−∞<br />

e x −e −x<br />

e x = lim<br />

+e−x x→−∞<br />

1−e −2x<br />

= 1,<br />

1+e−2x e 2x −1<br />

e 2x +1 = −1.<br />

4. Kotangens hyperbolikus: Der Kotangens hyperbolikus, auch Hyperbelkotangens genannt,<br />

ist durch<br />

f(x) = coth(x) = cosh(x)<br />

sinh(x) = ex +e −x<br />

e x −e −x,<br />

3 Es wird auch die Akürzung th verwendet.


9.1. Hyperbelfunktionen 175<br />

y<br />

1<br />

y = tanh(x)<br />

x<br />

−1<br />

Abbildung 9.1.iii: Der Tangens hyperbolikus<br />

definiert 4 . Es gilt X coth = R−{0} und Y coth =] − ∞,−1[∩]1,∞[. Der Kotangens hyperbolikus<br />

ist eine ungerade Funktion, da für alle x ∈ R−{0}<br />

coth(−x) = e−x +e x<br />

e −x −e x = −coth(x)<br />

gilt. Weiter ergibt sich das Verhalten im Unendlichen<br />

lim coth(x) = 1 und lim<br />

x→∞<br />

coth(x) = −1.<br />

x→−∞<br />

y<br />

1<br />

y = coth(x)<br />

x<br />

−1<br />

Abbildung 9.1.iv: Der Kotangens hyperbolikus<br />

Von diesen vier Funktionen sind vor allem der sinh und der cosh wichtige Funktionen. Die<br />

folgenden Beziehungen könne alle nach dem gleichen Prinzip bewiesen werden. Es wird jeweils<br />

die Definition der Hyperbelfunktion genommen und die eine Seite in die andere umgeformt.<br />

Satz 9.1.1.<br />

1. Formel von Euler für Hyperbelfunktionen<br />

cosh(x)+sinh(x) = e x<br />

2. Hyperbelfunktionen der Summe und der Differenz zweier Argumente (Additionstheoreme)<br />

sinh(x±y) = sinh(x)cosh(y)±cosh(x)sinh(y)<br />

cosh(x±y) = cosh(x)cosh(y)±sinh(x)sinh(y)<br />

4 Es wird selten auch die Akürzung cth verwendet, dies kann aber zu Verwechslungen mit cot führen.


176 Kapitel 9. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen<br />

3. Hyperbelfunktionen des doppelten Arguments<br />

sinh(2x) = 2sinh(x)cosh(x)<br />

cosh(2x) = cosh 2 (x)+sinh 2 (x)<br />

4. Hperbolischer Pythagoras<br />

cosh 2 (x)−sinh 2 (x) = 1<br />

Beweis. Die Beweise erfolgen jeweils durch Einsetzen der Definitionen der Hyperbelfunktionen.<br />

1. cosh(x)+sinh(x) = ex −e −x<br />

2<br />

+ ex +e −x<br />

2<br />

= e x<br />

2. Vergleiche Aufgabe 9.1.3.<br />

3. Vergleiche Aufgabe 9.1.4.<br />

4. cosh 2 (x)−sinh 2 (x) =<br />

(<br />

e x +e −x<br />

2<br />

) 2<br />

−<br />

(<br />

e x −e −x<br />

2<br />

) 2<br />

=<br />

e 2x +2+e −2x −e 2x +2−e −2x<br />

4<br />

= 1<br />

Ableitungen der Hyperbelfunktionen:<br />

Sämtliche Ableitungen der Hyperbelfunktionen erhalten wir aus deren Definitionen.<br />

1.<br />

2.<br />

3.<br />

4.<br />

d<br />

dx tanh(x) = d<br />

dx<br />

d<br />

dx sinh(x) = d e x −e −x<br />

dx 2<br />

d<br />

dx cosh(x) = d e x +e −x<br />

dx 2<br />

= ex +e −x<br />

2<br />

= ex −e −x<br />

2<br />

sinh(x)<br />

cosh(x) = cosh2 (x)−sinh 2 (x)<br />

cosh 2 =<br />

(x)<br />

d<br />

dx coth(x) = d cosh(x)<br />

dx sinh(x) = sinh2 (x)−cosh 2 (x)<br />

sinh 2 (x)<br />

= cosh(x)<br />

= sinh(x)<br />

1<br />

cosh 2 (x) = 1−tanh2 (x)<br />

1<br />

= −<br />

sinh 2 (x) = 1−coth2 (x)<br />

Grundintegrale mit Hyperbelfunktionen:<br />

1. ∫<br />

2. ∫<br />

sinh(x)dx = cosh(x)+C<br />

cosh(x)dx = sinh(x)+C<br />

3. ∫<br />

∫<br />

dx<br />

cosh 2 (x) = tanh(x)+C und<br />

tanh 2 (x)dx = x−tanh(x)+C


9.1. Hyperbelfunktionen 177<br />

4. ∫<br />

∫<br />

dx<br />

sinh 2 (x) = −coth(x)+C und<br />

coth 2 (x)dx = x−coth(x)+C<br />

Dabei ist C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

Geometrische Eigenschaften der Hyperbelfunktionen:<br />

Die folgende geometrische Eigenschaft von sinh und cosh kann als Begründung für die Namen<br />

Hyperbelfunktionen angesehen werden. Die Gleichung der Einheitshyperbel sei<br />

x 2 −y 2 = 1.<br />

Die Koordinaten des Punktes P des rechten Astes der Einheitshyperbel lassen sich mit Hilfe<br />

des Hyperbelsinus und Hyperbelcosinus als Funktionswerte eines Parameters t darstellen. Der<br />

halbe Parameter t 2<br />

lässt sich deuten als Masszahl des Inhalts der Sektorfläche, die von der<br />

x-Achse, der Einheitshyperbel und dem Fahrstrahl OP begrenzt wird (vgl. Aufgabe 9.1.10).<br />

Für Punkte auf dem im vierten Quadranten liegenden Teil des Astes ist t < 0 zu wählen. Die<br />

y<br />

y<br />

1<br />

y R<br />

S<br />

R<br />

1<br />

x S<br />

x<br />

P<br />

x<br />

Abbildung 9.1.v: Geometrische Eigenschaft von sinh und cosh. Es gilt x(t) = cosh(t) und<br />

y(t) = sinh(t) und die Koordinaten von R und S sind R(1,tanh(t)) und S(coth(t),1). Der<br />

(graue) Flächeninhalt beträgt A = t 2<br />

(vgl. Aufgabe 9.1.10).<br />

Koordinaten von P sind<br />

x(t) = cosh(t) und y(t) = sinh(t).<br />

Durch quadrieren und subtrahieren der beiden Gleichungen folgt die Gleichung der Einheitshyperbel<br />

x(t) 2 −y(t) 2 = cosh 2 (t)−sinh 2 (t) = 1.<br />

Die Koordinaten der Punkte R und S auf OP bzw. der rückwärtigen Verlängerung von<br />

OP sind R(1,tanh(t)) und S(coth(t),1). Diese Darstellung ist analog der Darstellung der


178 Kapitel 9. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen<br />

trigonometrischen Funktionen am Einheitskreis mit der Gleichung<br />

x 2 +y 2 = 1.<br />

Für den Inhalt des Kreissektors gilt allgemein A = 1 2br, wobei r der Radius des Kreise und<br />

b die Länge des Bogens ist. Dann folgt aus b = rt und r = 1, dass A = t 2<br />

. Die Koordinaten<br />

von P sind x(t) = cos(t) und y(t) = sin(t). Durch quadrieren und Addieren folgt daraus die<br />

Gleichung des Einheitskreises<br />

x(t) 2 +y(t) 2 = cos 2 (t)+sin 2 (t) = 1.<br />

Die Koordinaten der Punkte R und S auf OP bzw. der (rückwärtigen) Verlängerung sind<br />

R(1,tan(t)) und S(cot(t),1).<br />

y<br />

1<br />

y R<br />

y<br />

P<br />

R<br />

S<br />

t<br />

A<br />

x 1<br />

x S<br />

x<br />

Abbildung 9.1.vi: Geometrische Eigenschaft von sin und cos. Es gilt x(t) = cos(t) und y(t) =<br />

sin(t), und die Koordinaten von R und S sind R(1,tan(t)) und S(cot(t),1). Der (graue)<br />

Flächeninhalt des Kreissektors beträgt A = t 2 .<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 9.1.1. Bestimmen Sie die ersten Ableitungen der folgenden Funktionen.<br />

a. f(x) = tanh ( )<br />

√<br />

x<br />

2<br />

d. f(x) = √ cosh(2x)−1<br />

cosh(2x)+1<br />

b. f(t) = cosh 2 (t)+sinh 2 (t)<br />

e. ϕ(u) = arcsin(tanh(u))<br />

c. ψ(α) = ln(cosh(2α))<br />

f. f(x) = e sinh(x)<br />

Aufgabe 9.1.2. Beim freien Fall mit Luftwiderstand gilt für den zurückgelegten Weg<br />

s(t) = a2 ( ( g<br />

)) √ mg<br />

g ln cosh<br />

a t wobei a =<br />

c .


9.1. Hyperbelfunktionen 179<br />

Dabei wird angenommen, dass der Luftwiderstand F L proportional dem Quadrat der Fallgeschwindigkeit<br />

v ist, c ist der Proportionalitätsfaktor, d.h. F L = cv 2 . Berechnen Sie die<br />

Geschwindigkeit v in Funktion der Zeit t.<br />

Aufgabe 9.1.3. Beweisen Sie Satz 9.1.1.2.<br />

Aufgabe 9.1.4. Beweisen Sie Satz 9.1.1.3.<br />

Aufgabe 9.1.5. Beweisen Sie die folgenden Beziehungen zwischen den Summen und Differenzen<br />

von Hyperbelfunktionen.<br />

a. cosh(u)+cosh(v) = 2cosh ( u+v<br />

2<br />

b. sinh(u)+sinh(v) = 2sinh ( u+v<br />

2<br />

c. cosh(u)−cosh(v) = 2sinh ( u+v<br />

2<br />

d. sinh(u)−sinh(v) = 2cosh ( u+v<br />

2<br />

) (<br />

cosh<br />

u−v<br />

)<br />

2<br />

) (<br />

cosh<br />

u−v<br />

)<br />

2<br />

) (<br />

sinh<br />

u−v<br />

)<br />

2<br />

) (<br />

sinh<br />

u−v<br />

)<br />

2<br />

Aufgabe 9.1.6. Beweisen Sie die Formel von Moivre für Hyperbelfunktionen<br />

(cosh(u)±sinh(u)) n = cosh(nu)±sinh(nu),<br />

wobei n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 9.1.7. Wo schneiden Tangente und Normale an der Stelle x 1 ∈ R der Bildkurve<br />

von<br />

die x-Achse? Fertigen Sie eine Zeichnung an.<br />

f(x) = sinh(x) bzw. g(x) = cosh(x)<br />

Aufgabe 9.1.8. An der Stelle x 1 ∈ R werden Tangenten und Normalen an die Bildkurven<br />

von<br />

f(x) = sinh(x) bzw. g(x) = cosh(x)<br />

gezogen. Bestimmen Sie die Abszisse des Schnittpunktes der Tangenten bzw. Normalen. Fertigen<br />

Sie eine Zeichnung an.<br />

Aufgabe 9.1.9. An der Stelle x 1 ∈ R werden Tangenten und Normalen an die Bildkurven<br />

von<br />

f(x) = tanh(x) bzw. g(x) = coth(x)<br />

gezogen. Bestimmen Sie die Abszisse des Schnittpunktes der Tangenten bzw. Normalen. Fertigen<br />

Sie eine Zeichnung an.<br />

Aufgabe 9.1.10 (Fakultativ). Berechnen Sie die graue Fläche in Abbildung 9.1.v.


180 Kapitel 9. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen<br />

Lösungen<br />

Lösung 9.1.1.<br />

a. f ′ (x) =<br />

1<br />

2cosh 2 ( x 2)<br />

b. f ′ (t) = 2sinh(2t)<br />

c. ψ ′ (α) = 2tanh(2α)<br />

d. f ′ (x) =<br />

1<br />

cosh 2 (x)<br />

e. ϕ ′ (u) = 1<br />

cosh(u)<br />

f. f ′ (x) = e sinh(x) cosh(x)<br />

Lösung 9.1.2. v(t) = atanh ( g<br />

a t)<br />

Lösung 9.1.3. Der Beweis folgt den Ideen der Beweise von Satz 9.1.1a und d.<br />

Lösung 9.1.4. Der Beweis folgt den Ideen der Beweise von Satz 9.1.1a und d.<br />

Lösung 9.1.5. Die Beweise folgen den Ideen der Beweise von Satz 9.1.1a bis d.<br />

Lösung 9.1.6. Der Beweis folgt den Ideen der Beweise von Satz 9.1.1a bis d.<br />

Lösung 9.1.7. Die Tangenten schneiden die x-Achse bei x 1 −tanh(x 1 ) und x 1 −coth(x 1 ).<br />

Die Normalen schneiden die x-Achse bei x 1 + 1 2 sinh(2x 1) und x 1 + 1 2 sinh(2x 1).<br />

Lösung 9.1.8. Die Abszisse des Schnittpunktes der Tangenten beträgt x 1 +1. Die Abszisse<br />

des Schnittpunktes der Normalen beträgt x 1 + 1 2 sinh(2x 1).<br />

Lösung 9.1.9. Die Abszisse des Schnittpunktes der Tangenten beträgt x 1 + 1 2 tanh(2x 1). Die<br />

Abszisse des Schnittpunktes der Normalen beträgt x 1 −<br />

4<br />

sinh(4x 1 ) .<br />

Lösung 9.1.10. Es ist<br />

A = 1 ∫ cosh(t)<br />

2 sinh(t)cosh(t)− √<br />

x 2 −1dx = t 2<br />

unter Ausnutzung des Integrals<br />

∫ √x 2 −1dx = x√ x 2 −1<br />

− 1 (x+<br />

2 2 ln √ )<br />

x 2 −1 +C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

9.2 Areafunktionen (Flächenfunktionen)<br />

Mit Ausnahme von cosh sind alle Hyperbelfunktionen streng monoton über dem ganzen Definitionsbereich<br />

R. Die Umkehrfunktionen können deshalb ohne weiteres gebildet werden.<br />

Beim cosh müssen wir uns auf das Intervall [0,∞[ oder ]−∞,0] einschränken. Entsprechend<br />

erhalten wir zwei Varianten. Die Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen heissen Areafunktionen<br />

(area lat. Fläche), da die Funktionswerte sich geometrisch als Masszahlen des<br />

Sektorinhalts einer Einheitshyperbel deuten lassen (vgl. Abbildung 9.1.v). Wir benutzen die<br />

folgenden Bezeichnungen. 5<br />

1<br />

5 Die funktion arsinh wird als Areasinushyperbolikus ausgesprochen. Oft wird arcosh (Areacosinushyperbolikus)<br />

mit arccos (Arkuscosinus) verwechselt.


9.2. Areafunktionen (Flächenfunktionen) 181<br />

1. f(x) = arsinh(x) mit X arsinh = R und Y arsinh = R<br />

2. f(x) = arcosh(x) mit X arcosh = [1,∞[ und Y arcosh = [0,∞[ oder Y arcosh =]−∞,0]<br />

3. f(x) = artanh(x) mit X artanh =]−1,1[ und Y artanh = R<br />

4. f(x) = arcoth(x) mit X arcoth =]−∞,−1[∪]1,∞[ und Y arcoth = R−{0}<br />

y<br />

y<br />

y = arsinh(x)<br />

y = arcosh(x)<br />

x<br />

1<br />

x<br />

y = −arcosh(x)<br />

Abbildung 9.2.i: Areasinushyperbolikus<br />

Abbildung 9.2.ii: Areacosinushyperbolikus<br />

y<br />

y<br />

−1<br />

y = artanh(x)<br />

1<br />

x<br />

y = arcoth(x)<br />

−1<br />

1<br />

y = arcoth(x)<br />

x<br />

Abbildung 9.2.iii: Areatangenshyperbolikus<br />

Areakotangenshyper-<br />

Abbildung 9.2.iv:<br />

bolikus<br />

Eigenschaften und Beziehungen:<br />

Die Beziehungen ergeben sich aus der Definition der Umkehrfunktion, d.h. aus f(f −1 (x)) = x<br />

folgt<br />

und aus f −1 (f(x)) = x folgt<br />

sinh(arsinh(x)) = x, cosh(arcosh(x)) = x,<br />

tanh(artanh(x)) = x, coth(arcoth(x)) = x,<br />

arsinh(sinh(x)) = x, arcosh(cosh(x)) = x,<br />

artanh(tanh(x)) = x, arcoth(coth(x)) = x.


182 Kapitel 9. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen<br />

Die folgenden Beziehungen folgen aus den Grafen der Areafunktionen<br />

arsinh(−x) = −arsinh(x),<br />

artanh(−x) = −artanh(x),<br />

arcoth(−x) = −arcoth(x).<br />

Die Areafunktionen lassen sich als Logarithmen schreiben<br />

Satz 9.2.1 (Darstellung der Areafunktionen durch Logarithmusfunktionen).<br />

(<br />

arsinh(x) = ln x+ √ )<br />

x 2 +1 wobei x ∈ R<br />

( √ )<br />

arcosh(x) = ln x+ x 2 −1 wobei x ≥ 1<br />

artanh(x) = 1 ( ) 1+x<br />

2 ln wobei |x| < 1<br />

1−x<br />

arcoth(x) = 1 ( ) x+1<br />

2 ln wobei |x| > 1<br />

x−1<br />

Beweis. Wir führen den Beweis für f(x) = arcosh(x). Setze y = arcosh(x), dann folgt<br />

x = cosh(y) = ey +e −y<br />

.<br />

2<br />

Nun lösen wir diese Gleichung nach y auf und erhalten 2x = e y +e −y und damit die quadratische<br />

Gleichung in e y e 2y −2xe y +1 = 0<br />

mit den Lösungen e y = x± √ x 2 −1. Nun müssen wir die beiden Vorzeichen diskutieren.<br />

• Die Lösung e y = x+ √ x 2 −1 ergibt die eine Möglichkeit einer Umkehrfunktion vermöge<br />

(<br />

arcosh(x) = ln x+<br />

√ )<br />

x 2 −1 .<br />

• Die Lösung e y = x− √ x 2 −1 ergibt<br />

(<br />

ln x− √ ) ( x 2<br />

x 2 −(x 2 )<br />

−1)<br />

−1 = ln<br />

x+ √ x 2 −1<br />

(<br />

= −ln x+ √ )<br />

x 2 −1 = −arcosh(x)<br />

und damit die andere Möglichkeit einer Umkehrfunktion (vgl. Abbildung 9.2.ii).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 9.2.1. Ermitteln Sie die folgenden Funktionswerte.<br />

a. arsinh(1)<br />

c. artanh(−0.5)<br />

b. arcosh(2.6)<br />

d. arcoth(12)


9.2. Areafunktionen (Flächenfunktionen) 183<br />

Aufgabe 9.2.2. Bestimmen Sie die Logarithmusbeziehungen für<br />

a. f(x) = arsinh(x)<br />

b. f(x) = artanh(x)<br />

c. f(x) = arcoth(x)<br />

Aufgabe 9.2.3. Bestimmen Sie durch implizites Differenzieren die folgenden Ableitungen.<br />

a.<br />

d<br />

dx arsinh(x)<br />

b.<br />

d<br />

dx arcosh(x)<br />

c.<br />

d<br />

dx artanh(x)<br />

d.<br />

d<br />

dx arcoth(x)<br />

Aufgabe 9.2.4. Bestimmen Sie die erste Ableitung von f(x) = arsinh(5x).<br />

Aufgabe 9.2.5. Bestimmen Sie die erste Ableitung von f(x) = arsinh( √ x 2 −1).<br />

Aufgabe 9.2.6. Bestimmen Sie die erste Ableitung von f(x) = artanh(<br />

2x<br />

1+x 2 ).<br />

)<br />

Aufgabe 9.2.7. Es sei f(z) = arcosh(<br />

1<br />

cos(z)<br />

mit z ∈ ] − π 2 , π 2[<br />

gegeben. Bestimmen Sie die<br />

erste Ableitung von f. Machen Sie eine Skizze.<br />

Aufgabe 9.2.8. Bestimmen Sie die erste Ableitung von f(x) = xartanh(x)+ 1 2 ln(1−x2 ).<br />

Aufgabe 9.2.9. Bestimmen Sie die erste Ableitung von ψ(α) = αarsinh(α)− √ α 2 +1.<br />

Aufgabe 9.2.10. Beweisen Sie, dass sich die Werte der Funktionen f und g um eine additive<br />

Konstante unterscheiden. Bestimmen Sie die Konstante.<br />

( x 2 )<br />

(<br />

−1<br />

x 2 )<br />

−1<br />

f(x) = arsinh und g(x) = artanh<br />

2x<br />

x 2 wobei x > 0.<br />

+1<br />

Aufgabe 9.2.11. Berechnen Sie die bestimmten Integrale.<br />

a.<br />

b.<br />

∫ 0.5<br />

0<br />

∫ 4<br />

2<br />

dγ<br />

1−γ 2<br />

c.<br />

dω<br />

1−ω 2<br />

∫ 2<br />

0.5<br />

∫ 0<br />

d. −<br />

5<br />

dx<br />

1−x 2<br />

dv<br />

√<br />

v 2 +1<br />

Aufgabe 9.2.12. Bestimmen Sie die Masszahl des Flächeninhalts der Fläche, deren Begrenzungskurven<br />

durch die folgenden Gleichungen gegeben ist.<br />

y =<br />

Machen Sie eine Skizze.<br />

1<br />

√ , y = 0, x = −a und x = a.<br />

x 2 +1<br />

Aufgabe 9.2.13. Bestimmen Sie die Masszahl des Flächeninhalts der Fläche, die von den<br />

beiden Koordinatenachsen und der Kurve mit der folgenden Gleichung begrenzt wird.<br />

⎧<br />

1<br />

⎪⎨<br />

1−x<br />

y =<br />

2 wenn x ∈ [0,0.5]<br />

⎪⎩<br />

2x−x 2 wenn x ∈ [0.5,2]<br />

Machen Sie eine Skizze.


184 Kapitel 9. Hyperbelfunktionen und ihre Umkehrfunktionen<br />

Lösungen<br />

Lösung 9.2.1.<br />

a. 0.881<br />

c. −0.549<br />

b. 1.609<br />

d. 0.084<br />

Lösung 9.2.2. Vergleichen Sie mit einer Formelsammlung.<br />

Lösung 9.2.3. Merken Sie sich die folgenden Grundintegrale.<br />

a.<br />

d<br />

dx arsinh(x) = 1 √<br />

x 2 +1<br />

b.<br />

d<br />

dx arcosh(x) = 1 √<br />

x 2 −1<br />

Lösung 9.2.4. f ′ (x) =<br />

5 √<br />

25x 2 +1<br />

Lösung 9.2.5. f ′ (x) =<br />

x<br />

|x| √ x 2 −1<br />

Lösung 9.2.6. f ′ (x) = 2<br />

1−x 2<br />

Lösung 9.2.7. f ′ (z) = tan(z)<br />

1<br />

|tan(z)| cos(z)<br />

Lösung 9.2.8. f ′ (x) = artanh(x) (als Integral merken)<br />

Lösung 9.2.9. ψ ′ (α) = arsinh(α) (als Integral merken)<br />

Lösung 9.2.10. Es gilt f = g.<br />

Lösung 9.2.11. Aufpassen mit den Intervallen.<br />

a. 0.549<br />

b. −0.294<br />

c.<br />

d<br />

dx artanh(x) = 1<br />

1−x 2 wenn |x| < 1<br />

d.<br />

d<br />

dx arcoth(x) = 1<br />

1−x 2 wenn |x| > 1<br />

c. Dieses Integral ist nicht definiert, da f im Integrationsintervall [0.5,2] bei x = 1 eine<br />

Polstelle hat. Wir können nur den so genannten Cauchy-Hauptwert CH ∫ bestimmen<br />

d. 2.312<br />

∫ 2<br />

CH<br />

0.5<br />

(∫<br />

dx 1−ε<br />

:= lim<br />

1−x2 ε→0 0.5<br />

Lösung 9.2.12. Der Flächeninhalt beträgt 2arsinh(a).<br />

Lösung 9.2.13. Der Flächeninhalt beträgt 1.674.<br />

∫<br />

dx 2<br />

1−x 2 +<br />

1+ε<br />

)<br />

dx<br />

1−x 2 = 0.<br />

Wir sind nun in der Lage die vollständige Tafel der Grundintegrale anzugeben (vgl. Kapitel<br />

B.1). Sie bilden die Grundlage für sämtliche Integrationsverfahren, die im Weiteren<br />

besprochen werden.


Kapitel 10<br />

Volumen, Oberflächen- und<br />

Bogenlängenberechnungen<br />

10.1 Volumen von Rotationskörpern<br />

Wir berechnen das Volumen eines Rotationskörpern bei Rotation einer Kurve y = f(x) mit<br />

x ∈ [a,b], umdiex-Achse (resp.y-Achse). Die Volumenberechnungwirdähnlich durchgeführt,<br />

d<br />

y<br />

y = f(x)<br />

f(ξ i )<br />

∆x i<br />

c<br />

a<br />

x i−1ξ i x i<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 10.1.i: Volumeninhalt eines Körpers, der um die x-Achse rotiert wird.<br />

wie die Flächenberchnung mit dem Riemannschen Integral. Wiederum zerlegen wir das Intervall<br />

[a,b] in n Teilintervalle mit den Intervallgrenzen<br />

a = x 0 < x 1 < x 2 < x 3 < ··· < x i−1 < x i < ··· < x n = b.<br />

Wir berechnen das Volumen eines Zylinders der Höhe ∆x i = x i −x i−1 mit dem Radius f(ξ i ),<br />

wenn ξ i ∈ [x i−1 ,x i ] ein beliebiger Wert ist. Wir erhalten<br />

Dann bilden wir die Summe<br />

∆V i = π(f(ξ i )) 2 ∆x i .<br />

n∑<br />

∆V i = π<br />

i=1<br />

n∑<br />

(f(ξ i )) 2 ∆x i .<br />

i=1<br />

185


186 Kapitel 10. Volumen, Oberflächen- und Bogenlängenberechnungen<br />

Mit Hilfe einer beliebigen Verfeinerung der Einteilung des Intervalls [a,b] bestimmen wir den<br />

Grenzwert der Summe n → ∞. d.h., wir integrieren<br />

V x =<br />

∫ b<br />

a<br />

dV = π<br />

∫ b<br />

a<br />

(f(x)) 2 dx.<br />

Das Differenzial dV = π(f(x)) 2 dx wird Volumenelement bei Rotation der Kurve um die<br />

x-Achse genannt.<br />

Völlig analog gehen wir vor bei der Rotation um die y-Achse.<br />

V y =<br />

∫ d<br />

c<br />

dV y = π<br />

∫ d<br />

wobei ϕ(y) = f −1 (y) = x und c = f(a) und d = f(b).<br />

c<br />

(ϕ(y)) 2 dy,<br />

Beispiel 10.1.1. Wir berechnen das Volumen des Rotationskörpers, der durch die Kurve<br />

y = 1 x<br />

bei Rotation um die x-Achse über dem Intervall [1,4] erzeugt wird.<br />

V x =<br />

∫ 4<br />

1<br />

∫ 4<br />

dV x = π<br />

1<br />

1<br />

x 2dx = −π1 x∣<br />

4<br />

1<br />

= π(− 1 4 +1) = 3 4 π.<br />

Nachfolgend sehen wir zwei Beispiele, die Sie zum Nachdenken anregen sollten. Wieso?<br />

Beispiel 10.1.2. Betrachten wir noch einmal Beispiel 10.1.1, jetzt mit der oberen Integrationsgrenze<br />

bei +∞. Dann sehen wir, dass<br />

V x = lim<br />

b→∞<br />

∫ b<br />

1<br />

∫ b<br />

1 1<br />

dV x = lim π<br />

b→∞ 1 x2dx = −π lim<br />

b→∞ x∣<br />

b<br />

1<br />

( ) 1<br />

= −π lim<br />

b→∞ b −1 = π.<br />

Obwohl der Rotationskörper nicht beschränkt ist, hat er ein endliches Volumen.<br />

Beispiel 10.1.3. Wir berechnen das Volumen des Rotationskörpers, der durch die Kurve<br />

y = √ 1<br />

x<br />

bei Rotation um die x-Achse über dem Intervall [1,+∞[ erzeugt wird. Dann sehen<br />

wir, dass<br />

V x = lim<br />

b→∞<br />

∫ b<br />

1<br />

∫ b<br />

∣<br />

1 ∣∣∣<br />

b<br />

dV x = lim π dx = π lim<br />

b→∞ 1 x ln(x) = π lim (ln(b)−ln(1)) = +∞.<br />

b→∞<br />

1 b→∞<br />

Wiederum ist der Rotationskörper nicht beschränkt und hat nun ein unendliches Volumen.<br />

Wir stellen also fest, dass ein unendlich langes Gefäss einmal ein endliches und das andere<br />

Mal ein unendliches Volumen haben kann.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 10.1.1. Bestimmen Sie das Volumen des Rotationskörpers der Funktion<br />

a. bei einer Rotation um die x-Achse und<br />

f(x) = √ x mit x ∈ [0,3]


10.1. Volumen von Rotationskörpern 187<br />

b. bei einer Rotation um die y-Achse.<br />

Aufgabe 10.1.2. Bestimmen Sie das Volumen des Rotationskörpers der Funktion<br />

um die x-Achse.<br />

f(x) = x(2−x) mit x ∈ [0,2]<br />

Aufgabe 10.1.3. Bestimmen Sie das Volumen des Rotationskörpers der Funktion<br />

um die x-Achse.<br />

f(x) = r x mit x ∈ [0,h]<br />

h<br />

Aufgabe 10.1.4. Bestimmen Sie das Volumen des Rotationskörpers der Funktion<br />

um die x-Achse.<br />

f(x) = 1<br />

cos(x)<br />

mit x ∈ [ 0, π 4<br />

Aufgabe 10.1.5. Bestimmen Sie das Volumen des Rotationskörpers der Funktion<br />

]<br />

f(x) =<br />

1<br />

cosh(x)<br />

mit x ∈ [−2,2]<br />

um die x-Achse.<br />

Aufgabe 10.1.6. Bestimmen Sie das Volumen des Rotationskörpers der Funktion<br />

um die y-Achse.<br />

f(x) = 1 x 2 mit y ∈ [1,9]<br />

Aufgabe 10.1.7. Berechnen Sie das Volumen des Körpers, der durch Rotation der Fläche<br />

zwischen den Kurven mit den Gleichungen<br />

y = √ 8x, (x−5) 2 +y 2 = 9, y = 0 und x = 5<br />

um die x-Achse entsteht. Fertigen Sie eine Zeichnung an.<br />

Aufgabe 10.1.8. Berechnen Sie das Volumen des Körpers, der durch Rotation der Fläche<br />

zwischen den Kurven mit den Gleichungen<br />

y = √ 2(x+5) und x 2 +y 2 = 25<br />

um die x-Achse entsteht. Fertigen Sie eine Zeichnung an.<br />

Aufgabe 10.1.9. Die von der Kurve mit der Gleichung y = 2− x2<br />

2<br />

Fläche rotiere<br />

undder x-Achse begrenzte<br />

a. um die x-Achse. Berechnen Sie V x .<br />

b. um die y-Achse. Berechnen Sie V y .


188 Kapitel 10. Volumen, Oberflächen- und Bogenlängenberechnungen<br />

Aufgabe 10.1.10. Die Ellipse mit der Gleichung x2<br />

a 2 + y2<br />

b 2 = 1 rotiere<br />

a. um die x-Achse. Berechnen Sie V x .<br />

b. um die y-Achse. Berechnen Sie V y .<br />

Aufgabe 10.1.11. Wie gross sind die Volumina der Rotationshyperboloide, die durch Rotation<br />

der Fläche unter der Hyperbel mit der Gleichung x2<br />

a<br />

− y2<br />

2 b<br />

= 1 um deren Hauptachsen<br />

2<br />

zwischen x 1 und x 2 respektive y 1 und y 2 entstehen?<br />

Aufgabe 10.1.12. Durch das Integral<br />

V x = π<br />

∫ b<br />

wird das Volumen eines Rotationskörpers bestimmt. Wie heisst die Gleichung der Kurve,<br />

die die erzeugende Fläche von oben begrenzt? Welche Gestalt hat der entstehende Rotationskörper.<br />

Aufgabe 10.1.13. Durch das Integral<br />

V y =<br />

∫ b<br />

a<br />

a<br />

xdx<br />

cos 2 (2y −1)dy<br />

wird das Volumen eines Rotationskörpers bestimmt. Wie heisst die Gleichung der Kurve, die<br />

die erzeugende Fläche von oben begrenzt?<br />

Aufgabe 10.1.14. Durch das Integral<br />

V x =<br />

∫ b<br />

a<br />

√ xdx<br />

wird das Volumen eines Rotationskörpers bestimmt. Wie heisst die Gleichung der Kurve, die<br />

die erzeugende Fläche von oben begrenzt?<br />

Lösungen<br />

Lösung 10.1.1.<br />

a. V x = 9 2 π b. V y =<br />

√<br />

3<br />

5<br />

5 π<br />

Lösung 10.1.2. V x = 16<br />

15 π ≈ 3.351<br />

Lösung 10.1.3. V x = 1 3 πr2 h (Volumen eines geraden Kegels mit Radius r und Höhe h.)<br />

Lösung 10.1.4. V x = π<br />

Lösung 10.1.5. V x = 6.057<br />

Lösung 10.1.6. V y = 6.903<br />

Lösung 10.1.7. V x = 82π ≈ 257.611


10.1. Volumen von Rotationskörpern 189<br />

Lösung 10.1.8. V x = 256<br />

3 π ≈ 268.083. Falls Sie das Resultat V x = 244<br />

3<br />

π erhalten haben,<br />

dann haben Sie die Aufgabe etwas anders interpretiert. Ist auch richtig.<br />

Lösung 10.1.9.<br />

a. V x = 128<br />

15 π ≈ 26.808 b. V y = 4π<br />

Lösung 10.1.10.<br />

a. V x = 4 3 πab2 . b. V y = 4 3 πa2 b.<br />

Lösung 10.1.11.<br />

( )∣<br />

a. V x = π b2 x 3 ∣∣<br />

x 2<br />

a 2 3 −a2 x<br />

x 1<br />

( )∣<br />

b. V y = π a2 y 3 ∣∣<br />

y 2<br />

b 2 3 +b2 y<br />

y 1<br />

Lösung 10.1.12. keine Hilfe<br />

Lösung 10.1.13. y = 1 2 (1+arccos(x√ π))<br />

Lösung 10.1.14. y = 4√ x<br />

√ π<br />

Verallgemeinerung<br />

Ist der Flächeinhalt des Querschnitts q(x) eines Körpes als Funktion der Abszisse x bekannt,<br />

so lässt sich nach der obigen Methode das Volumen des Körpers berechnen, auch wenn dieser<br />

kein Rotationskörper ist. Durch entsprechende Überlegungen erhalten wir<br />

y<br />

∆V ≈ q(x)∆x<br />

q(x)<br />

a<br />

∆x<br />

x<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 10.1.ii: Approximativer Volumeninhalt ∆V ≈ q(x)∆x einer Scheibe der Höhe ∆x<br />

und mit der Querschnittsfläche q(x) als Funktion der Abszisse x.<br />

V =<br />

∫ b<br />

a<br />

dV =<br />

∫ b<br />

a<br />

q(x)dx.<br />

Das Differenzial dV = q(x)dx wird Volumenelement genannt.


190 Kapitel 10. Volumen, Oberflächen- und Bogenlängenberechnungen<br />

y<br />

R<br />

•<br />

h<br />

q(x)<br />

•<br />

Q<br />

0<br />

x P<br />

•<br />

r<br />

α<br />

r<br />

2r<br />

x<br />

Abbildung 10.1.iii: Volumeninhalt eines Zylinderabschnitts bei gegebenem Radius r und Neigungswinkel<br />

α.<br />

Beispiel 10.1.4. Wir berechnen das Volumen eines Zylinderabschnitts. Dabei seien der Radius<br />

r und der Neigungswinkel α gegeben (vgl. Abbildung 10.1.iii).<br />

Wir bestimmen die Querschnittsflächenfunktion q in Abhängigkeit der Abszisse x. Es ist<br />

q(x) = 1 2 PQQR<br />

mit PQ = √ r 2 −(r −x) 2 = √ 2rx−x 2 und QR = PQtan(α). Damit ergibt sich<br />

q(x) = 1 2√<br />

2rx−x<br />

2 √ 2rx−x 2 tan(α) = 1 2 (2rx−x2 )tan(α)<br />

für die Querschnittsflächenfunktion, und für das Volumen haben wir<br />

V Zylinderabschnitt = 1 ∫ 2r<br />

2 tan(α) (2rx−x 2 )dx = 1 ( )∣<br />

0 2 tan(α) rx 2 − x3 ∣∣∣<br />

2r<br />

3<br />

0<br />

= 1 (<br />

2 tan(α) 4r 3 − 8 )<br />

3 r3 = 2 3 r3 tan(α) = 2 3 r2 h,<br />

wobei wir h = rtan(α) benutzt haben.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 10.1.15. Berechnen Sie das Volumen einer Pyramide der Höhe h, deren Grundfläche<br />

ein regelmässiges Sechseck mit der Seitenlänge s ist.<br />

Aufgabe 10.1.16. Bestimmen Sie das Volumen eines Ellipsoids, dessen Hauptachsen in x-,<br />

y- und z- Richtung die Längen a, b und c haben. Berechnen Sie dann den Spezialfall r = a =<br />

b = c.


10.2. Bogenlänge einer Kurve 191<br />

Lösungen<br />

Lösung 10.1.15. V Sechseckpyramide =<br />

√<br />

3<br />

2 s2 h<br />

Lösung 10.1.16. Die Formel für den Flächeninhalt der Ellipse mit den Halbachsen A und<br />

B ist q Ellipse = πAB und somit wird das Volumen eines Ellipsoids V Ellipsoid = 4 3πabc. Zur<br />

Kontrolle setzen wir r = a = b = c und erhalten V Kugel = 4 3 πr3 .<br />

10.2 Bogenlänge einer Kurve<br />

Wir berechnen die Länge der Kurve y = f(x) über dem Intervall [a,b]. Wie bei der Flächenberechnung<br />

unterteilen wir das Intervall [a,b] in Teilintervalle und approximieren die Kurve<br />

durchGeradenstücke. Fürdas Geradenstück von P(x,f(x)) nach P 1 (x+∆x,f(x+∆x)) erhal-<br />

y<br />

P b<br />

y = f(x)<br />

P 1<br />

•<br />

P a<br />

P<br />

•<br />

∆s<br />

∆x<br />

∆y<br />

a<br />

x<br />

x + ∆x<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 10.2.i: Bogenlänge einer Kurve<br />

ten wir mit dem Satz von Pythagoras die Länge ∆s = √ ∆x 2 +∆y 2 . Beliebige Verfeinerung<br />

der Unterteilung ergibt eine beliebig steigende Anzahl von Teilintervallen, bei denen das Geradenstück<br />

PP 1 immer weniger von der Kurve abweicht. Wir bilden nun den Grenzübergang<br />

∆x → 0 und erhalten<br />

ds<br />

dx = lim<br />

∆x→0<br />

= lim<br />

∆x→0<br />

√<br />

∆s ∆x<br />

∆x = lim<br />

2 +∆y 2<br />

∆x→0 ∆x<br />

√<br />

( )<br />

√<br />

∆y<br />

2<br />

1+ = 1+<br />

∆x<br />

( ) dy 2 √<br />

= 1+(y<br />

dx<br />

′ ) 2 .<br />

Das Differenzial<br />

ds =<br />

√<br />

1+(y ′ ) 2 dx<br />

wird Linienelement genannt. Integration über das Intervall [a,b] führt zur Bogenlänge der<br />

Kurve y = f(x) zwischen den Punkten P a (a,f(a)) und P b (b,f(b))<br />

arclength =<br />

∫ b<br />

a<br />

ds =<br />

∫ b<br />

a<br />

√<br />

1+(y ′ ) 2 dx =<br />

∫ b<br />

a<br />

√<br />

1+(f ′ (x)) 2 dx.


192 Kapitel 10. Volumen, Oberflächen- und Bogenlängenberechnungen<br />

Bemerkung 10.2.1. Es sei y = f(x) eine Kurve, die die Punkte P 1 (a,y 0 ) und P 2 (b,y 0 )<br />

verbinde. Dann gilt die folgende Ungleichung<br />

arclength =<br />

∫ b<br />

a<br />

√<br />

1+(f ′ (x)) 2 dx ≥<br />

∫ b<br />

a<br />

1dx = b−a.<br />

DieGleichheit wirdfürf ′ (x) = 0angenommen.Diestrittgenaudannein,wennf(x) = y 0 .Mit<br />

anderen Worten haben wir bewiesen, dass die kürzeste (einmal differenzierbare) Verbindung<br />

zwischen zwei Punkten eine Gerade sein muss.<br />

Ist die Kurve in Parameterdarstellung x = x(t) und y = y(t) gegeben, so lautet die Formel<br />

für die Bogenlänge der Kurve zwischen den Punkten P 1 (x(t 1 ),y(t 1 )) und P 2 (x(t 2 ),y(t 2 ))<br />

wobei ẋ = dx<br />

dt<br />

arclength =<br />

und ẏ =<br />

dy<br />

dt bedeuten.<br />

∫ t2<br />

t 1 √ẋ2 (t)+ẏ 2 (t)dt,<br />

Beispiel 10.2.1. Wir berechnen die Bogenlänge der Kettenlinie y = cosh(x) im Intervall von<br />

−a bis a. Es ist y ′ = sinh(x) und damit folgt<br />

∫ a ∫ a √<br />

∫ a<br />

a<br />

len = ds = 1+sinh(x) 2 dx = cosh(x)dx = sinh(x)<br />

∣ = 2sinh(a).<br />

Aufgabe<br />

−a<br />

−a<br />

Aufgabe 10.2.1. Bestimmen Sie die Bogenlänge eines Halbkreises mit Radius r = 1.<br />

−a<br />

−a<br />

Lösung<br />

Lösung 10.2.1. Die Länge des Halbkreises mit Radius r = 1 ist π.<br />

10.3 Mantelfläche von Rotationskörpern<br />

Wir wollen die Mantelfläche des Rotationskörper berechnen, der durch die Kurve y = f(x)<br />

im Intervall [a,b] definiert wird. Es sei ∆M die Mantelfläche des Rotationskörpers zwischen<br />

x und x+∆x und ∆s die Länge der Kurve y = f(x) zwischen x und x+∆x. Weiter setzen<br />

wir<br />

k = min f(ξ) und K = max f(ξ)<br />

ξ∈[x,x+∆x] ξ∈[x,x+∆x]<br />

Damit haben wir folgende Abschätzung der Mantelfläche<br />

2πk∆s ≤ ∆M ≤ 2πK∆s.<br />

Nun dividieren wir die Ungleichung durch ∆x und betrachten den Grenzübergang ∆x → 0<br />

lim 2πk∆s<br />

∆x→0 ∆x ≤ lim ∆M<br />

∆x→0 ∆x ≤ lim 2πK∆s<br />

∆x→0 ∆x .


10.3. Mantelfläche von Rotationskörpern 193<br />

d<br />

y<br />

y = f(x)<br />

f(x)<br />

c<br />

∆s<br />

∆M<br />

a<br />

x<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 10.3.i: Mantelfläche einer Rotationsfläche der Kurve y = f(x) im Intervall [a,b].<br />

Es gilt<br />

lim k = lim<br />

∆x→0 ∆x→0<br />

lim K = lim<br />

∆x→0 ∆x→0<br />

Damit haben wir die Ungleichung<br />

min f(ξ) = min f(ξ) = f(x)<br />

ξ∈[x,x+∆x] ξ∈[x,x]<br />

max f(ξ) = max f(ξ) = f(x).<br />

ξ∈[x,x+∆x] ξ∈[x,x]<br />

2πf(x) ds<br />

dx ≤ dM<br />

dx ≤ 2πf(x)ds dx ,<br />

womit für das Mantelflächenelement 1 bei Rotation der Kurve um die x-Achse folgt<br />

Also haben wir<br />

dM = 2πf(x)ds = 2πf(x) √ 1+(f ′ (x)) 2 dx.<br />

M x = 2π<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x) √ 1+(f ′ (x)) 2 dx<br />

und entsprechendes gilt bei einer Rotation um die y-Achse<br />

M y = 2π<br />

∫ d<br />

c<br />

ϕ(y) √ 1+(ϕ ′ (y)) 2 dy<br />

wobei ϕ(y) = f −1 (y) = x und c = f(a) und d = f(b).<br />

Beispiel 10.3.1. Wir berechnen den Flächeninhalt einer Kugelzone der Höhe h, die bei der<br />

Rotation der Kurve mit der Gleichung y = √ r 2 −x 2 um die x-Achse im Intervall [x 0 ,x 0 +h]<br />

1 Dieses Resultat hätten wir auch aus der Formel für die Mantelfläche M = πs(R+r) eines Kegelstumpfes<br />

mit den Radien R und r und der Länge s des erzeugenden Segments herleiten können.


194 Kapitel 10. Volumen, Oberflächen- und Bogenlängenberechnungen<br />

entsteht. Es gilt<br />

M x = 2π<br />

= 2π<br />

= 2π<br />

∫ x0 +h<br />

x 0<br />

∫ x0 +h<br />

x 0<br />

∫ x0 +h<br />

Wenn wir h = 2r setzen, dann ergibt sich<br />

x 0<br />

f(x) √ 1+(f ′ (x)) 2 dx<br />

√<br />

r 2 −x 2 √<br />

rdx = 2πrh.<br />

d.h. die Oberfläche einer Kugel mit Radius r.<br />

Aufgabe<br />

1+<br />

M x = 4πr 2 ,<br />

( −2x<br />

2 √ r 2 −x 2 ) 2<br />

dx<br />

Aufgabe 10.3.1. Bestimmen Sie die Oberfläche des durch die Kurve<br />

f(x) = 1 3√ x(3−x)<br />

im Intervall [0,3] durch Rotation um die x-Achse erzeugten Körpers.<br />

Lösung<br />

Lösung 10.3.1. M x = 3π<br />

Weitere Beispiele und Übungen folgen nach Behandlung der Integrationsmethoden, da die<br />

entstehenden Integrale oft keine Grundintegrale sind.<br />

Zusammenstellung der zu integrierenden Differenziale:<br />

Es sei die Kurve y = f(x) über dem Intervall [a,b] gegeben.<br />

• Flächenelement für den Flächeninhalt unter der Kurve<br />

dF = f(x)dx.<br />

• Volumenelement für das eingeschlossene Volumen bei Rotation der Kurve um die<br />

x-Achse<br />

dV = π(f(x)) 2 dx<br />

und bei bekanntem Flächeninhalt q(x) des Querschnitts<br />

dV = q(x)dx.<br />

• Mantelflächenelement für die Mantelfläche bei Rotation der Kurve um die x-Achse<br />

dM = 2πf(x) √ 1+(f ′ (x)) 2 dx.<br />

• Linienelement für die Bogenlänge der Kurve<br />

ds = √ 1+(f ′ (x)) 2 dx.


Kapitel 11<br />

Integrationsmethoden<br />

Die Formeln für Volumen, Oberflächen, Mantelflächen usw. bringenim Allgemeinen Integrale,<br />

die keine Grundintegrale sind. Dasselbe gilt für Probleme der Physik und anderer Gebiete.<br />

Es müssen daher Methoden hergeleitet werden, die es erlauben, solche Integrale zu lösen. Das<br />

allgemeine Prinzip ist dabei immer dasselbe.<br />

Gegebene Integrale sind durch Umformung auf Grundintegrale zurückzuführen.<br />

Es werdenim Folgenden drei exakte Methoden besprochen,diedaszurückführengegebener<br />

Integrale auf Grundintegrale erlauben.<br />

1. Integration durch Substitution<br />

2. Partielle Integration<br />

3. Integration durch Partialbruchzerlegung<br />

Es gibt aberbeliebig viele Integrale, dienicht mit diesen drei Methoden gelöst werdenkönnen.<br />

Beispiel 11.0.2. Für die folgenden Integrale gibt es keine elementaren Stammfunktionen.<br />

∫ ∫ ∫<br />

sin(x)<br />

dx, sin(x 2 )dx, e −x2 dx usw.<br />

x<br />

Solche Integrale werden mit approximativen Methoden (Näherungsverfahren) berechnet:<br />

1. Reihenentwicklung (vgl. Kapitel 12.6)<br />

2. Numerische Integration (vgl. Kapitel 7)<br />

3. Monte-Carlo-Methoden (vgl. Kapitel A.6.1)<br />

11.1 Integration durch Substitution<br />

Dieses Verfahren basiert auf einer Umkehrung der Kettenregel.<br />

Beispiel 11.1.1. Wir betrachten zuerst das Integral<br />

∫<br />

dx<br />

√ , 3x−2<br />

195


196 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

welches kein Grundintegral ist. Der Integrand f(x) = 1 √ 3x−2<br />

setzt sich aus den Funktionen<br />

f(z) = 1 √ z<br />

und z(x) = 3x − 2 zusammen. Die Funktion f(z) = 1 √ z<br />

lässt sich aber leicht<br />

integrieren<br />

∫ dz<br />

√ z<br />

= 2 √ z +C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist. Also machen wir beim gegebenen Integral eine<br />

Variablensubstitution indem wir z(x) = 3x−2 setzen und<br />

∫ ∫<br />

dx dx<br />

√ = √ 3x−2 z<br />

erhalten. Jetzt muss noch dx ersetzt werden. Aus z = 3x−2 folgt das Differenzial<br />

dz = 3dx also sofort dx = 1 3 dz.<br />

Demnach folgt<br />

∫<br />

dx<br />

√ = 1 ∫ dz<br />

√ = 1 3x−2 3 z 3 2√ z +C = 2 3x−2+C,<br />

3√<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Beispiel 11.1.2. Analog verfahren wir mit dem Integral<br />

∫<br />

(4x+2) 5 dx,<br />

welches auch kein Grundintegral ist. Wir setzen z(x) = 4x+2, also dz = 4dx, dann folgt<br />

∫<br />

(4x+2) 5 dx = 1 ∫<br />

z 5 dz = 1 z 6<br />

4 4 6 +C = 1<br />

24 (4x+2)6 +C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Aufgaben<br />

Berechnen Sie die folgenden Integrale.<br />

∫ √5x+3dx<br />

Aufgabe 11.1.1.<br />

Aufgabe 11.1.2.<br />

Aufgabe 11.1.3.<br />

∫<br />

∫<br />

dt<br />

2t+3<br />

3 2−z dz<br />

Aufgabe 11.1.6.<br />

Aufgabe 11.1.7.<br />

Aufgabe 11.1.8.<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

5du<br />

6√ 2u−7<br />

3<br />

cos 2 (4α−2) dα<br />

cosh 2 (u)du<br />

Aufgabe 11.1.4.<br />

∫<br />

cos(2ϕ+0.5)dϕ<br />

Aufgabe 11.1.9.<br />

∫<br />

sinh 2 (x)dx<br />

Aufgabe 11.1.5.<br />

∫<br />

dx<br />

√<br />

9x 2 −1


11.1. Integration durch Substitution 197<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

Lösung 11.1.1.<br />

2<br />

15 (5x+3)√ 5x+3+C<br />

Lösung 11.1.2. 1 2 ln(|2t+3|)+C<br />

Lösung 11.1.3. − 32−z<br />

ln(3) +C<br />

Lösung 11.1.5. 1 3 arcosh(3x)+C<br />

Lösung 11.1.6. 3 6√ (2u−7) 5 +C<br />

Lösung 11.1.7. 3 4 tan(4α−2)+C<br />

Lösung 11.1.4. 1 2 sin(2ϕ+0.5)+C<br />

Lösung 11.1.8. 1 2 (u+sinh(u)cosh(u))+C<br />

Lösung 11.1.9. − 1 2 (x−sinh(x)cosh(x))+C<br />

Theorie zur Substitutionsmethode<br />

Es sei F : [a,b] → R eine differenzierbare Funktion und F ′ (z) = f(z). Für z ∈ [a,b] gelte<br />

somit<br />

∫<br />

F(z)+C = f(z)dz.<br />

Ferner sei z = ϕ(x) Funktionswert einer differenzierbaren Funktion ϕ : [α,β] → R. Dann<br />

ergibt die Kettenregel<br />

d<br />

dx F(ϕ(x)) = F′ (ϕ(x))·ϕ ′ (x).<br />

Durch Integration erhalten wir daraus<br />

∫<br />

∫<br />

f(z)dz = F(ϕ(x))+C =<br />

∫<br />

F ′ (ϕ(x))·ϕ ′ (x)dx =<br />

f(ϕ(x))·ϕ ′ (x)dx,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante bezeichnet. Als bestimmtes Integral geschrieben,<br />

ergibt sich<br />

∫ b<br />

a<br />

f(z)dz =<br />

∫ β<br />

α<br />

f(ϕ(x))·ϕ ′ (x)dx<br />

mit ϕ(α) = a und ϕ(β) = b. Um eine Substitution durchführen zu können, müssen folgende<br />

Bedingungen erfüllt sein:<br />

1. f : [a,b] → R stetig<br />

2. ϕ : [α,β] → R differenzierbar<br />

3. ϕ ′ : [α,β] → R stetig<br />

4. ϕ ′ (x) ≠ 0 für alle x ∈ [α,β]<br />

Damit dasIntegral ∫ f(z)dz existiert, muss(1.) gelten. Damit dasIntegral ∫ f(ϕ(x))·ϕ ′ (x)dx<br />

existiert, müssen (2.) und (3.) gelten. Der Punkt (4.) bedeutet, dass ϕ auf [α,β] streng monoton<br />

ist, d.h., dass von z = ϕ(x) tatsächlich alle Werte zwischen ϕ(α) = a und ϕ(β) = b


198 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

angenommen werden. Damit ist ϕ auch eindeutig umkehrbar, und die Grenzen α und β<br />

können unmittelbar durch<br />

ϕ −1 (a) = α und ϕ −1 (b) = β<br />

ausgedrückt werden.<br />

Die obige Beziehung zwischen den Integralen wird auf zwei Arten verwendet.<br />

Von links nach rechts: Ein beliebiges Integral<br />

∫<br />

f(z)dz<br />

kann durch die Substitution z = ϕ(x) in ein Integral<br />

∫<br />

f(ϕ(x))·ϕ ′ (x)dx<br />

umgewandelt werden. Ist dies ein Grundintegral, so ist die Aufgabe gelöst.<br />

Von rechts nach links: Das Integral eines Produktslässt sichimmerdannberechnen,wenn<br />

der eine Faktor eine mittelbare Funktion f(ϕ(x)) und der andere Faktor die innere<br />

Ableitung ϕ ′ (x) des inneren Terms ist, sofern für die Funktion f unter Beachtung der<br />

Substitution z = ϕ(x) ein Integral<br />

∫<br />

f(z)dz<br />

angegeben werden kann.<br />

Wichtige Sonderfälle von Integralen der Form<br />

∫<br />

f(ϕ(x))·ϕ ′ (x)dx<br />

1. Es ist ϕ(x) = ax + b eine affine Funktion mit a und b ∈ R. Hier machen wir die<br />

Substitution z = ax+b, also dz = adx. Damit folgt<br />

∫<br />

f(ax+b)dx = 1 ∫<br />

f(z)dz<br />

a<br />

Nach diesem Prinzip sind die Beispiele 11.1.1 und 11.1.2 und die Aufgaben 11.1.1-9<br />

gelöst worden.<br />

2. Es ist f(z) = z n eine Potenzfunktion mit dem Exponenten n ∈ Z−{−1}. Der Integrand<br />

hat die Form (ϕ(x)) n · ϕ ′ (x), für negative n muss ϕ(x) ≠ 0 sein. Wir substituieren<br />

z = ϕ(x) und erhalten dz = ϕ ′ (x)dx, demzufolge folgt<br />

∫<br />

∫<br />

(ϕ(x)) n ·ϕ ′ (x)dx =<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

z n dz = zn+1 (ϕ(x))n+1<br />

+C = +C,<br />

n+1 n+1


11.1. Integration durch Substitution 199<br />

Beispiel 11.1.3. Betrachte das Integral ∫ sin 2 (x)cos(x)dx. Substituiere z = sin(x),<br />

also dz = cos(x)dx. Hiermit folgt<br />

∫ ∫<br />

sin 2 (x)cos(x)dx = z 2 dz = z3<br />

3 +C = sin3 (x)<br />

+C,<br />

3<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

3. Es ist f(z) = 1 z<br />

ϕ ′ (x)<br />

(Potenzfunktion mit Exponent n = −1). Der Integrand hat die Form<br />

ϕ(x) mit ϕ(x) ≠ 0. Wir substituieren z = ϕ(x) und erhalten dz = ϕ′ (x)dx, demzufolge<br />

folgt ∫ ϕ ′ ∫<br />

(x) dz<br />

ϕ(x) dx = = ln(|z|)+C = ln(|ϕ(x)|)+C,<br />

z<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Beispiel 11.1.4. Betrachte das Integral ∫ dx<br />

dx<br />

xln(x)<br />

. Substituiere z = ln(x), also dz =<br />

x .<br />

Hiermit folgt ∫ ∫<br />

dx dz<br />

xln(x) = = ln(|z|)+C = ln(|ln(x)|)+C,<br />

z<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Bestimmte Integrale<br />

Da die Grenzen eines bestimmten Integrals sich nur auf die Integrationsvariable beziehen,<br />

können wir bei der Substitution drei Möglichkeiten unterscheiden, wie wir ein bestimmtes<br />

Integral behandeln.<br />

Beispiel 11.1.5. ImFolgenden betrachten wirdiedreiMöglichkeiten anhanddesbestimmten<br />

Integrals<br />

∫ π<br />

2 cos(α)<br />

1+sin 2 (α) dα.<br />

Wir substituieren jeweils z = sin(α) also dz = cos(α)dα.<br />

1. Grenzen einklammern:<br />

∫ π<br />

2<br />

0<br />

∫<br />

cos(α) (<br />

π<br />

1+sin 2 (α) dα = 2 )<br />

0<br />

(0)<br />

∣<br />

dz ∣∣∣∣<br />

( π 2 )<br />

1+z 2 = arctan(z)<br />

= arctan(1)−arctan(0) = π 4<br />

(0)<br />

= arctan(sin(α))<br />

∣<br />

2. Zuerst Stammfunktion bestimmen, dann Grenzen verwenden:<br />

∫ ∫<br />

cos(α)<br />

1+sin 2 (α) dα = dz<br />

+C = arctan(sin(α))+C,<br />

1+z2 wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist. Dann folgt<br />

∫ π<br />

2<br />

0<br />

∣π<br />

cos(α)<br />

∣∣∣∣ 2<br />

1+sin 2 (α) dα = arctan(sin(α))<br />

0<br />

= arctan(1)−arctan(0) = π 4 .<br />

π<br />

2<br />

0


200 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

3. Grenzen mitsubstituieren:<br />

∫ π<br />

2<br />

0<br />

∫<br />

cos(α) 1<br />

1+sin 2 (α) dα =<br />

0<br />

∣<br />

dz ∣∣∣∣<br />

1<br />

1+z 2 = arctan(z)<br />

0<br />

= arctan(1)−arctan(0) = π 4 .<br />

Die Grenzen bezüglich z ergeben sich aus der Substitutionsbeziehung z = sin(x) indem<br />

wir für α die entsprechenden Grenzen einsetzen z 1 = 0 = sin(0) und z 2 = 1 = sin( π 2 ).<br />

Diese Variante wird am meisten verwendet, da die zum Teil mühsame Rücksubstitution<br />

entfällt.<br />

Aufgaben<br />

Berechnen Sie die folgenden Integrale.<br />

Aufgabe 11.1.10.<br />

∫ 4<br />

2<br />

2e 3y−6 dy<br />

Aufgabe 11.1.11.<br />

∫ 1<br />

0<br />

( x<br />

2 + 3 2<br />

) 2<br />

dx<br />

Aufgabe 11.1.12.<br />

∫ −<br />

π<br />

2<br />

−π<br />

cos 2( ω<br />

2 − π )<br />

dω<br />

4<br />

Aufgabe 11.1.14.<br />

∫ 2<br />

∫<br />

Aufgabe 11.1.15. F(ϕ) =<br />

0<br />

( ( u<br />

))<br />

−sin<br />

5 +1 du<br />

cos 3 (ϕ)sin(ϕ)dϕ<br />

Aufgabe 11.1.13.<br />

∫ 5<br />

4<br />

dv<br />

(v −3) 2<br />

∫ (5sin<br />

Aufgabe 11.1.16. G(x) =<br />

4 (x)−3sin 2 (x)+2sin(x)+4 ) cos(x)dx<br />

Lösungen<br />

Lösung 11.1.10. 268.286<br />

Lösung 11.1.12. 0.285<br />

Lösung 11.1.11. 37<br />

12 ≈ 3.08333 Lösung 11.1.13. 1 2<br />

Lösung 11.1.14. −1.8517<br />

Lösung 11.1.15. F(ϕ) = − 1 4 cos4 (ϕ)+C, wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Lösung 11.1.16. G(x) = sin 5 (x) − sin 3 (x) + sin 2 (x) + 4sin(x) + C, wobei C ∈ R eine<br />

Integrationskonstante ist.<br />

Die folgenden Beispiele zeigen das Vorgehen für typische Fälle.<br />

Beispiel 11.1.6. Wir betrachten das bestimmteIntegral ∫ e<br />

1<br />

also dz = dx x und z 1 = 0 und z 2 = 1. Dann folgt<br />

∫ e<br />

1<br />

√<br />

ln(x)<br />

dx =<br />

x<br />

∫ 1<br />

0<br />

√<br />

ln(x)<br />

1<br />

√ 2 zdz =<br />

3 z 3<br />

2<br />

∣ = 2<br />

0<br />

3<br />

x<br />

dx. Substituierez = ln(x),


11.1. Integration durch Substitution 201<br />

oder<br />

∫ e<br />

1<br />

√<br />

ln(x)<br />

dx =<br />

x<br />

∫ (e)<br />

(1)<br />

√ 2<br />

zdz =<br />

3 z 3 2<br />

∣<br />

(e)<br />

(1)<br />

= 2 3 (ln(x))3 2<br />

∣<br />

e<br />

1<br />

= 2 3 .<br />

Beispiel 11.1.7. Wir berechnen das unbestimmte Integral ∫ cos 3 (x)dx. Dieses wird solange<br />

umgeformt, bis die Ableitung als Faktor auftritt.<br />

∫ ∫ ∫ (1−sin<br />

cos 3 (x)dx = cos 2 (x)cos(x)dx =<br />

2 (x) ) cos(x)dx<br />

∫ ∫<br />

∫<br />

= cos(x)dx− sin 2 (x)cos(x)dx = sin(x)− z 2 dz<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

= sin(x)− z3<br />

3 +C = sin(x)− sin3 (x)<br />

+C,<br />

3<br />

Beispiel 11.1.8. Wir betrachten dasunbestimmteIntegral ∫ x √ 3x+1dx.Dannsubstituiere<br />

z = 3x+1, also folgt und x = z−1<br />

3<br />

und dx = 1 3 dz<br />

∫<br />

x √ ∫ z −1 √ dz<br />

3x+1dx = z<br />

3 3 = 1 ∫ (<br />

z 3 2 − √ z)<br />

dz<br />

9<br />

= 1 2<br />

9<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

2<br />

5 z 5 2 − 1 9 3 z 3 2 +C = 2 45 (3x+1)5 2 − 2 27 (3x+1)3 2 +C,<br />

Beispiel 11.1.9. Wir betrachten das unbestimmte Integral ∫ √ dx<br />

a 2 −x2. Dann klammere a ∈ R<br />

aus und substituiere z = x a<br />

, also dx = adz. Nun ergibt sich<br />

∫<br />

∫<br />

dx 1<br />

√<br />

a 2 −x = 2 a<br />

dx<br />

√ =<br />

1− x2<br />

a 2<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

∫ a dz<br />

( x<br />

√<br />

a<br />

= arcsin(z)+C = arcsin 1−z 2 a<br />

)<br />

+C,<br />

Beispiel 11.1.10. Es seien a,b,c ∈ R feste Grössen, die nicht alle gleichzeitig null sind. Wir<br />

bereiten dasfolgende Integral durchquadratischeErgänzungzur anschliessenden Substitution<br />

vor<br />

∫<br />

dx<br />

ax 2 +bx+c = 1 ∫<br />

a<br />

(<br />

x+<br />

b<br />

2a<br />

dx<br />

) 2 (<br />

−<br />

b<br />

2a<br />

Bei der Substitution unterscheiden wir drei Fälle:<br />

) 2<br />

= 1<br />

+<br />

c a<br />

a<br />

∫<br />

dx<br />

( )<br />

x+<br />

b 2<br />

.<br />

2a −<br />

b 2 −4ac<br />

4a 2<br />

• Ist b 2 − 4ac > 0, dann kommt die Substitution z = √ 2ax+b<br />

√ , also dx = b 2 −4ac<br />

b 2 −4ac 2a<br />

dz zur<br />

Anwendung<br />

∫<br />

∫<br />

dx<br />

ax 2 +bx+c = 4a dx<br />

b 2 (<br />

−4ac 2<br />

√ 2ax+b<br />

b −4ac)<br />

−1<br />

2<br />

√<br />

4a b<br />

=<br />

2 ∫<br />

−4ac dz<br />

b 2 −4ac 2a z 2 −1<br />

(<br />

2 2ax+b<br />

= −√ b 2 −4ac artanh √<br />

b 2 −4ac<br />

)<br />

+C


202 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

• Ist b 2 − 4ac < 0, dann kommt die Substitution z = √ 2ax+b<br />

√ , also dx = 4ac−b 2<br />

4ac−b 2 2a<br />

dz zur<br />

Anwendung<br />

∫<br />

∫<br />

dx<br />

ax 2 +bx+c = 4a dx<br />

4ac−b 2 ( 2<br />

√ 2ax+b<br />

4ac−b 2)<br />

+1<br />

√ ∫<br />

4a 4ac−b 2 dz<br />

=<br />

4ac−b 2 2a z 2 +1<br />

( )<br />

2 2ax+b<br />

= √ arctan √ +C<br />

4ac−b 2 4ac−b 2<br />

• Ist b 2 −4ac = 0, dann kommt die Substitution z = x+ b<br />

2a<br />

, also dx = dz zur Anwendung<br />

∫<br />

dx<br />

ax 2 +bx+c = 1 ∫<br />

dx<br />

( )<br />

a x+<br />

b 2<br />

= 1 ∫ dz<br />

a z 2 = − 2<br />

2ax+b +C<br />

2a<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist. Diese Integrale spielen eine wichtige Rolle bei der<br />

Integration von Partialbrüchen dritter Art (vgl. Kapitel 11.3).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 11.1.17. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale.<br />

∫<br />

a. x 2√ ∫ arsinh(4x)<br />

6x 3 −5dx<br />

d. √<br />

16x 2 +1 dx<br />

b.<br />

c.<br />

∫ 1<br />

e x<br />

x 2 dx<br />

∫<br />

e sin(z) cos(z)dz<br />

e.<br />

f.<br />

∫<br />

∫<br />

3r 2<br />

√<br />

2−r 3 dr<br />

αcos(α 2 )dα<br />

Aufgabe 11.1.18. Berechnen Sie die folgenden bestimmten Integrale.<br />

a.<br />

b.<br />

c.<br />

∫ √ 2<br />

0<br />

∫ 2<br />

1<br />

∫ 4<br />

2<br />

x<br />

√<br />

2+x<br />

2 dx<br />

x−1<br />

√<br />

x 2 −1 dx f.<br />

d.<br />

coth 2 (ϕ)<br />

cosh(ϕ) dϕ<br />

e.<br />

∫ 2<br />

0<br />

∫ −1<br />

0<br />

∫ π 2<br />

9<br />

0<br />

cosh 2 (u)sinh(u)du<br />

u 2<br />

2−3u 3 du<br />

sin( √ x)<br />

√ x<br />

dx<br />

Aufgabe 11.1.19. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale, a ∈ R fest.<br />

∫<br />

∫<br />

a. cot(ω)dω<br />

d. coth(1−4x)dx<br />

∫<br />

e x<br />

∫<br />

b.<br />

e x +a dx<br />

x<br />

e.<br />

a 2 +x 2 dx<br />

∫ sin 5 (t)<br />

c.<br />

cos 7 (t) dt


11.1. Integration durch Substitution 203<br />

Aufgabe 11.1.20. Es seien a und b ∈ R fest, nicht beide gleich null. Berechnen Sie das<br />

Integral<br />

∫ π<br />

2 cos(α)<br />

a+bsin(α) dα.<br />

Aufgabe 11.1.21. Berechnen Sie<br />

0<br />

∫ 6<br />

2<br />

dw<br />

wlog 10 (w) .<br />

Aufgabe 11.1.22. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale, a,b ∈ R fest.<br />

a.<br />

b.<br />

c.<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

dx<br />

x 2√ 4−x 2<br />

dη<br />

√<br />

4η 2 −8η<br />

dx<br />

cos(x)<br />

d.<br />

e.<br />

f.<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

du<br />

√<br />

5−u 2<br />

dξ<br />

1+cos(ξ)<br />

x n−1<br />

a+bx n dx<br />

Aufgabe 11.1.23. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale.<br />

∫<br />

dt<br />

a.<br />

e t +e −t<br />

∫<br />

s 2<br />

b.<br />

(4+7s 3 ) 3ds<br />

∫ ( 1 1<br />

c.<br />

x x)<br />

2 tan dx<br />

Aufgabe 11.1.24. Berechnen Sie das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

dx<br />

a 2 sin 2 (x)+b 2 cos 2 (x) ,<br />

wobei a,b ∈ R−{0} feste Parameter sind.<br />

Aufgabe 11.1.25. Berechnen Sie das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

dt<br />

√ √ t(1+<br />

3<br />

t) .<br />

Aufgabe 11.1.26. Berechnen Sie das unbestimmte Integral<br />

∫ √ 1+α<br />

√ 1−α<br />

dα.<br />

d.<br />

e.<br />

∫<br />

∫<br />

dy<br />

yln 2 (y)<br />

δ 2<br />

cos 2 (δ 3 ) dδ<br />

Aufgabe 11.1.27. In welchem Abstand von der y-Achse ist die Parallele zu ziehen, die mit<br />

der positiven x-Achse und der Kurve der Funktion f(x) = tan(x) die Fläche begrenzt, die<br />

den Inhalt 1 hat?


204 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Aufgabe 11.1.28. Von den Kurven mit den Gleichungen<br />

y = e x 4 , y = −<br />

1<br />

8x+1 und x = 4<br />

wird eine Fläche eingeschlossen. Berechnen Sie<br />

a. die Masszahl des Flächeninhalts und<br />

b. das Volumen des Körpers, der bei Rotation dieser Fläche um die x-Achse entsteht.<br />

Aufgabe 11.1.29. Durch Rotation der Fläche unter der Kurve mit der Gleichung<br />

y = 2cos(1−2x)<br />

um die x-Achse entsteht ein Körper, dessen Volumen in den Grenzen von x 1 = 0 bis x 2 = 1<br />

bestimmt werden soll.<br />

Aufgabe 11.1.30. Die Sinuskurve rotiere im Intervall [0,π] um die x-Achse. Berechnen Sie<br />

das Volumen des entstehenden Rotationskörpers.<br />

Aufgabe 11.1.31. Die Fläche zwischen der Kurvemit der Gleichung y = x 3 und der x-Achse<br />

rotiere im Intervall [0, 2 3<br />

] um die x-Achse. Berechnen Sie die Mantelfläche des entstehenden<br />

Rotationskörpers.<br />

Aufgabe 11.1.32. Berechnen Sie die Bogenlänge eines Teils der Neilschen Parabel mit der<br />

Gleichung<br />

wobei x ∈ [0,3].<br />

y = 2 3√<br />

x 3 ,<br />

Aufgabe 11.1.33. Berechnen Sie die Bogenlänge eines Viertelkreises mit dem Radius r.<br />

Aufgabe 11.1.34. Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve mit der Gleichung<br />

wobei x ∈ [ √ 3,2 √ 2].<br />

y = ln(x)<br />

Aufgabe 11.1.35. Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve mit der Gleichung<br />

wobei x ∈ [ π 4 , π 2 ].<br />

y = 2<br />

sin(x)<br />

Aufgabe 11.1.36. Der Kreis x 2 + (y − a) 2 = r 2 mit r < a wird um die x-Achse rotiert.<br />

Bestimmen Sie die Mantelfläche des entstehenden Rotationskörpers. Um was für ein geometrisches<br />

Objekt handelt es sich?


11.1. Integration durch Substitution 205<br />

Lösungen<br />

Lösung 11.1.17. Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

a.<br />

1<br />

27 (6x3 −5) √ 6x 3 −5+C<br />

b. −e 1 x +C<br />

c. e sin(z) +C<br />

d.<br />

1<br />

8 arsinh2 (4x)+C<br />

e. −2 √ 2−r 3 +C<br />

f.<br />

1<br />

2 sin(α2 )+C<br />

Lösung 11.1.18.<br />

a. 0.586<br />

b. 0.575<br />

d. 17.42<br />

e. −0.1018<br />

c. 1.394<br />

Lösung 11.1.19. Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

f. 1<br />

a. ln(|sin(ω)|)+C<br />

b. ln(|e x +a|)+C<br />

c.<br />

1<br />

6 tan6 (t)+C<br />

Lösung 11.1.20. 1 b ln(∣ ∣a+b<br />

a<br />

Lösung 11.1.21. 2.187<br />

∣ )<br />

d. − 1 4 ln(|sinh(1−4x)|)+C<br />

e.<br />

1<br />

2 ln(a2 +x 2 )+C<br />

Lösung 11.1.22. Im Folgenden bezeichnen C und D ∈ R Integrationskonstanten.<br />

√<br />

a. − 4−x 2<br />

4x<br />

+C<br />

d. arcsin( √ u 5<br />

)+C<br />

1<br />

b.<br />

2arcosh(η −1)+C<br />

e. tan( ξ 2 )+C<br />

c. 2artanh(tan( x 2 ))+C=artanh(sin(x))+D 1<br />

f.<br />

nb ln(|a+bxn |)+C<br />

Lösung 11.1.23. Im Folgenden bezeichnen C und D ∈ R Integrationskonstanten.<br />

a. arctan(e t )+C = 1 2 arctan(sinh(t))+D d. − 1<br />

ln(y) +C<br />

c. ln(|cos( 1 x )|)+C<br />

1<br />

b. − +C<br />

42(4+7s 3 ) 2 1<br />

e.<br />

3 tan(δ3 )+C<br />

Lösung 11.1.24. Wir substituieren z = tan(x), dann erhalten wir 1 ab arctan(a b tan(x))+C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Lösung 11.1.25. Wir substituieren t = z 6 , dann erhalten wir 6( 6√ t−arctan( 6√ t))+C, wobei<br />

C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Lösung 11.1.26. Wir machen den Zählerwurzelfrei, dannerhalten wirarcsin(α)− √ 1−α 2 +<br />

C, wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.


206 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Lösung 11.1.27. 1.1941<br />

Lösung 11.1.28.<br />

a. 3.873 b. 32.813<br />

Lösung 11.1.29. 9.1398<br />

Lösung 11.1.30. 4.935<br />

Lösung 11.1.31. 0.422<br />

Lösung 11.1.32. 14 3<br />

Lösung 11.1.33. π 2 r<br />

Lösung 11.1.34. 1−arcoth(3)+arcoth(2) ≈ 1.2027<br />

Lösung 11.1.35. 2− π 4<br />

Lösung 11.1.36. area(Torus) = 4π 2 ar<br />

Substitution mit trigonometrischen und hyperbolischen Funktionen<br />

Integrale der Form<br />

∫<br />

f<br />

∫<br />

∫<br />

( )<br />

x,<br />

√a 2 −x 2 dx<br />

f<br />

(x, √ )<br />

a 2 +x 2 dx<br />

f<br />

(x, √ )<br />

x 2 −a 2 dx<br />

Beispiel:<br />

Beispiel:<br />

Beispiel:<br />

∫<br />

x 2√ 1−x 2 dx<br />

∫ √<br />

4+x 2<br />

dx<br />

x<br />

∫ √<br />

x 2 −a 2<br />

dx<br />

werden mit Hilfe trigonometrischer, resp. hyperbolischer Funktionen substituiert (vgl. Aufgabe<br />

11.1.22.a). Zusätzlich alle die Fälle, die unter einer Quadratwurzel einen quadratischen<br />

Ausdruck ax 2 +bx+c haben.<br />

∫<br />

f<br />

(<br />

x, √ ax 2 +bx+c<br />

)<br />

dx<br />

Beispiel:<br />

∫<br />

x 2<br />

dx<br />

√<br />

9x 2 −6x−3<br />

Mit Hilfe einer quadratischen Ergänzung werden diese Ausdrücke auf die rein quadratischen<br />

Fälle zurückgeführt (vgl. Beispiel 11.1.12).<br />

Zur Substitution benutzen wir die Beziehungen<br />

cos 2 (z)+sin 2 (z) = 1 und cosh 2 (z)−sinh 2 (z) = 1,<br />

um Summen und Differenzen unter der Quadratwurzel wegzubringen. In der folgenden Übersicht<br />

sind die bei den verschiedenen Integranden anzuwendenden Substitutionen und die zugehörigen<br />

Umrechnungsformeln zusammengestellt.<br />

√ √ √<br />

a 2 −x 2 = a 2 −a 2 sin 2 (z) = a 1−sin 2 (z) = acos(z) wenn x = asin(z)<br />

√ √ √<br />

a 2 +x 2 =<br />

a 2 +a 2 sinh 2 (z) = a 1+sinh 2 (z) = acosh(z) wenn x = asinh(z)<br />

√<br />

cosh 2 (z)−1 = asinh(z) wenn x = acosh(z)<br />

√<br />

x 2 −a 2 =<br />

√<br />

a 2 cosh 2 (z)−a 2 = a<br />

Bei bestimmten Integralen achten wir darauf, dass die Grenzen im Definitionsbereich der<br />

verwendeten Funktionen liegen.


11.1. Integration durch Substitution 207<br />

Beispiel 11.1.11. Wir betrachten das Integral<br />

∫ √<br />

5+x 2 dx.<br />

Nun substituieren wir x = √ 5sinh(z), also dx = √ 5cosh(z)dz, dann erhalten wir<br />

∫ √5+x 2 dx = √ √<br />

∫<br />

5∫<br />

5+5sinh 2 (z)cosh(z)dz = 5 cosh 2 (z)dz.<br />

Wir benutzen das Additionstheorem 2cosh 2 (z) = 1+cosh(2z) (vgl. Satz 9.1.1.3-4), dann folgt<br />

∫<br />

5 cosh 2 (z)dz = 5 ∫<br />

(1+cosh(2z))dz = 5 (z + 1 )<br />

2<br />

2 2 sinh(2z) +C<br />

= 5 (z + 1 )<br />

2 2 2sinh(z)cosh(z) +C = 5 (z +sinh(z)cosh(z))+C,<br />

2<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ( ) ist. Nun vollziehen wir die Rücksubstitution mit<br />

sinh(z) = √ x 5<br />

und z = arsinh x√5<br />

und<br />

cosh(z) =<br />

√ √<br />

1+sinh 2 (z) = 1+ x2<br />

5 = √ 1 √5+x 2 . 5<br />

Damit erhalten wir<br />

∫ √<br />

5+x 2 dx = 5 ( ( ) x√5<br />

arsinh + x 1 √<br />

√ √5 5+x<br />

)+C<br />

2 2 5<br />

= 5 ( ) x√5<br />

2 arsinh + x 5+x<br />

2√ 2 +C.<br />

Beispiel 11.1.12. Wir betrachten das Integral<br />

∫<br />

dx<br />

√<br />

9x 2 −6x−3 .<br />

In diesem Fall ergänzen wir den Radikand quadratisch und erhalten<br />

9x 2 −6x−3 = 9 ( x 2 − 6 9 x) −3 = 9 ( x− 1 3) 2 −4 = (3x−1) 2 −4.<br />

Nun substituieren wir ein erstes Mal 3x−1 = w, also 3dx = dw, damit ergibt sich<br />

∫<br />

dx<br />

√<br />

9x 2 −6x−3 = 1 ∫<br />

dw<br />

√<br />

3 w 2 −4 .<br />

Jetzt erfolgt die zweite Substitution w = 2cosh(z), also dw = 2sinh(z)dz. Dann folgt<br />

∫<br />

1 dw<br />

√<br />

3 w 2 −4 = 1 ∫<br />

2sinh(z)<br />

√ dz = 1 ∫ 2sinh(z)<br />

3<br />

4cosh 2 3 2sinh(z) dz = 1 ∫<br />

dz<br />

3<br />

(z)−4<br />

= 1 3 z +C = 1 ( w<br />

)<br />

3 arcosh +C = 1 ( ) 3x−1<br />

2 3 arcosh +C,<br />

2<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.


208 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 11.1.37. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale, a,b ∈ R fest.<br />

a.<br />

∫ √<br />

a 2 −x 2<br />

dx<br />

x 2<br />

c.<br />

∫ a 2 −2ϕ 2<br />

√<br />

a 2 −ϕ 2 dϕ<br />

b.<br />

∫ √3−(4+y) 2 dy<br />

d.<br />

∫ √<br />

a 2 −b 2 x 2 dx<br />

Aufgabe 11.1.38. Berechnen Sie das bestimmte Integral<br />

∫ 0.5<br />

1.5<br />

dα<br />

√<br />

3+4α−4α 2<br />

Aufgabe 11.1.39. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale, a,b ∈ R fest.<br />

a.<br />

∫ √<br />

4+z 2 dz<br />

e.<br />

∫ √<br />

u 2 −1du<br />

b.<br />

c.<br />

∫<br />

∫<br />

ϕ 3<br />

√<br />

1+ϕ 2 dϕ<br />

√<br />

x x 2 +4x+29dx<br />

f.<br />

g.<br />

∫<br />

∫<br />

dy<br />

y 4√ y 2 −1<br />

dα<br />

√<br />

α 2 −4 3<br />

d.<br />

∫<br />

dx<br />

√<br />

9x 2 +6x+5<br />

Aufgabe 11.1.40. Berechnen Sie die Masszahl des Flächeninhalts der Ellipse mit der Gleichung<br />

x 2<br />

16 + y2<br />

9 = 1.<br />

Aufgabe 11.1.41. Berechnen Sie die Bogenlänge der Parabel mit der Gleichung<br />

zwischen den beiden Nullstellen.<br />

y = x 2 −2x−15<br />

Aufgabe 11.1.42. Berechnen Sie die Oberfläche des Rotationsellipsoides mit den Achsen 2a<br />

und 2b bei Rotation um die x-Achse.<br />

Aufgabe 11.1.43. Berechnen Sie die Bogenlänge der Parabel mit der Gleichung y 2 = ax in<br />

den Grenzen x 1 = 0 und x 2 = c, wobei a > 0 und c > 0.<br />

Lösungen<br />

Lösung 11.1.37. Im Folgenden bezeichnen C,C 1 ,C 2 ∈ R Integrationskonstanten.<br />

√<br />

a. − a 2 −x 2<br />

x<br />

−arcsin( x a )+C


11.2. Partielle Integration 209<br />

b.<br />

3<br />

2 arcsin(4+y<br />

√<br />

3<br />

)+ 4+y<br />

2<br />

c. ϕ √ a 2 −ϕ 2 +C<br />

d.<br />

x<br />

2<br />

√<br />

3−(4+y) 2 +C<br />

√<br />

a 2 −b 2 x 2 − a2<br />

2b arccos(bx a )+C 1 = x 2<br />

Lösung 11.1.38. − π 4<br />

√<br />

a 2 −b 2 x 2 + a2<br />

2b arcsin(bx a )+C 2<br />

Lösung 11.1.39. Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

a.<br />

z<br />

2√<br />

4+z 2 +2arsinh( z 2 )+C<br />

b.<br />

1<br />

3 (ϕ2 −2) √ 1+ϕ 2 +C<br />

c.<br />

1<br />

3 (x2 +x+23) √ x 2 +4x+29−25arsinh( x+2<br />

5 )+C<br />

d.<br />

1<br />

3 ln(|3x+1+√ 9x 2 +6x+5|)+C<br />

u<br />

e. 2√<br />

u 2 −1− 1 2 arcosh(u)+C<br />

f.<br />

√<br />

y 2 −1<br />

3y 3<br />

(2y 2 +1)+C<br />

g. − α<br />

4 √ α 2 −4 +C<br />

Lösung 11.1.40. 37.70<br />

Lösung 11.1.41. 33.64<br />

Lösung 11.1.42. area = 2πa2 b<br />

e<br />

arcsin( e a )+2πb2 wobei e 2 = a 2 −b 2 .<br />

Lösung 11.1.43. √ c √ a+4c+ a 2 arsinh(2√ ac<br />

a )<br />

11.2 Partielle Integration<br />

Viele Integraltypen können mit der Substitutionsmethode berechnet werden. Ein Integral wie<br />

das Folgende aber nicht. ∫<br />

xe x dx<br />

Für solche Integrale bietet sich die partielle Integration an. Die partielle Integration hängt<br />

eng mit der Produktregel der Differenzialrechnung zusammen. Es seien u und v stetig differenzierbare<br />

Funktionen. Nach der Produktregel der Differenzialrechnung gilt<br />

(uv) ′ = u ′ v +uv ′ .<br />

Diese Gleichung ist nun beidseitig zu integrieren<br />

∫ ∫ ∫<br />

(uv) ′ dx = u ′ vdx+<br />

uv ′ dx.<br />

Wir erhalten somit mit C ∈ R einer Integrationskonstanten<br />

∫ ∫<br />

uv +C = u ′ vdx+ uv ′ dx.


210 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

oder<br />

∫<br />

∫<br />

uv ′ dx = uv −<br />

u ′ vdx+C.<br />

Da auf der rechten Seite noch ein Integral steht, kann die Integrationskonstante weggelassen<br />

werden<br />

∫ ∫<br />

uv ′ dx = uv − u ′ vdx.<br />

Dies ist dieFormel fürdiepartielleIntegration. Mit ihrkönnenFunktionen desTypsx n sin(x),<br />

x n e x , x n ln(x) oder e x sin(x),...,arcsin(x),...,sin n (x),... integriert werden.<br />

Beispiel 11.2.1. Wir betrachten das Integral<br />

∫<br />

xe x dx.<br />

Nun setzen wir:<br />

Dann ergibt sich<br />

∫<br />

∫<br />

xe x dx = x(e x +C 1 )−<br />

u = x und v ′ = e x<br />

u ′ = 1 und v = e x +C 1<br />

(e x +C 1 )dx = xe x +C 1 x−e x −C 1 x+C = xe x −e x +C,<br />

wobei C 1 ,C ∈ R Integrationskonstanten sind. Wir sehen, dass sich die Konstante C 1 weghebt.<br />

Das gilt für sämtliche partiellen Integrationen. Die Konstante C 1 kann deshalb immer<br />

weggelassen werden. Der Ansatz u = e x und v ′ = x bringt keine Vereinfachung, im Gegenteil,<br />

das enstehende Integral ∫ x 2 e x dx wird komplizierter.<br />

Beispiel 11.2.2. Wir betrachten das Integral<br />

∫<br />

ln(x)dx.<br />

Nun setzen wir:<br />

u = ln(x) und v ′ = 1<br />

u ′ = 1 x<br />

und<br />

v = x<br />

Dann ergibt sich<br />

∫<br />

∫<br />

ln(x)dx = xln(x)−<br />

dx = xln(x)−x+C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstanten ist.<br />

Beispiel 11.2.3. Wir betrachten das Integral<br />

∫<br />

e x cos(x)dx.


11.2. Partielle Integration 211<br />

Nun setzen wir:<br />

u = e x und v ′ = cos(x)<br />

u ′ = e x und v = sin(x)<br />

Dann ergibt sich<br />

∫<br />

∫<br />

e x cos(x)dx = e x sin(x)−<br />

e x sin(x)dx.<br />

Nun setzen wir erneut:<br />

u = e x und v ′ = sin(x)<br />

u ′ = e x und v = −cos(x)<br />

Dann ergibt sich<br />

∫<br />

∫<br />

e x cos(x)dx = e x sin(x)+e x cos(x)−<br />

e x cos(x)dx.<br />

Wir erhalten auf der rechten Seite wieder das Ausgangsintegral. Lösen wir nun die Beziehung<br />

wie eine Gleichung nach dem unbekannten Integral auf, so erhalten wir eine Stammfunktion<br />

∫<br />

e x cos(x)dx = ex 2 (sin(x)+cos(x))+C.<br />

Bei einem solchen Integral müssen wir immer dafür sorgen, dass wir zweimal nach dem selben<br />

Prinzip vorgehen, sonst erhalten wir eine triviale Identität.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 11.2.1. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale.<br />

∫<br />

∫<br />

a. x 2 sin(x)dx<br />

c. βsin(β)dβ<br />

b.<br />

∫<br />

xsin 2 (x)dx<br />

d.<br />

∫<br />

vsin(3−v)dv<br />

Aufgabe 11.2.2. Berechnen Sie die folgenden bestimmten Integrale.<br />

a.<br />

b.<br />

∫ π<br />

2<br />

0<br />

∫ π<br />

4<br />

0<br />

x(cos(x)+1)dx<br />

4tcos(2t)dt<br />

c.<br />

d.<br />

∫ 3<br />

1<br />

∫ 2<br />

1<br />

ue u−3 du<br />

ln(ω)<br />

ω 2 dω<br />

Aufgabe 11.2.3. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale, a ∈ R−{0} fest.<br />

∫ ∫<br />

sin(x)<br />

( x<br />

a. dx<br />

c. x 2 cosh dx<br />

a)<br />

b.<br />

∫<br />

e x<br />

u 3 e −4u du<br />

d.<br />

∫<br />

arctan(v)dv


212 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Aufgabe 11.2.4. Berechnen Sie das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

xarctan(x)dx.<br />

Aufgabe 11.2.5. Berechnen Sie die folgenden unbestimmten Integrale.<br />

∫<br />

∫ ln(γ)<br />

a. arsinh(w)dw<br />

c.<br />

3√ dγ γ<br />

∫<br />

∫<br />

b. x(ln(x)+1)dx<br />

ln(ln(x))<br />

d. dx<br />

x<br />

Aufgabe 11.2.6. Bewegt sich ein Körper auf einer Kurve, dann heisst das Segment vom<br />

Ursprung zum Körper der Fahrstrahl.<br />

a. Ein Planet bewegt sich auf einer elliptischen Bahn mit der Parametrisierung x(t) =<br />

acos(t) und y(t) = bsin(t). Berechnen Sie den Flächeninhalt der während der Zeit τ<br />

vom Fahrstrahl überstrichenen Fläche.<br />

b. Ein Weltraumsonde bewegt sich auf einer Hyperbel mit der Parametrisierung x(t) =<br />

acosh(t) und y(t) = bsinh(t). Berechnen Sie den Flächeninhalt der während der Zeit τ<br />

vom Fahrstrahl überstrichenen Fläche.<br />

Lösungen<br />

Lösung 11.2.1. Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

a. −x 2 cos(x)+2(xsin(x)+cos(x))+C<br />

b.<br />

x 2<br />

4 − x 2 sin(x)cos(x)+ sin2 (x)<br />

4<br />

+C<br />

c. sin(β)−βcos(β)+C<br />

d. sin(3−v)+vcos(3−v)+C<br />

Lösung 11.2.2.<br />

a. 1.8045<br />

c. 2<br />

b. 0.571<br />

d. 0.1534<br />

Lösung 11.2.3. Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

a. − cos(x)+sin(x)<br />

2e x +C<br />

b. − 1 4 e−4u (u 3 + 3 4 u2 + 3 8 u+ 3 32 )+C<br />

c. a(x 2 +2a 2 )sinh( x a )−2a2 xcosh( x a )+C<br />

d. varctan(v)− 1 2 ln(1+v2 )+C<br />

Lösung 11.2.4. Verwenden Sie die Identität<br />

x 2<br />

1+x 2 = 1− 1<br />

1+x 2 , dann ist<br />

1<br />

2 (x2 +1)arctan(x)− x 2 +C<br />

eine Stammfunktion, wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.


11.2. Partielle Integration 213<br />

Lösung 11.2.5. Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

a. warsinh(w)− √ √<br />

1+w 2 +C<br />

3 3<br />

c.<br />

2 γ 2 (ln(γ)− 3 2 )+C<br />

x<br />

b. 2<br />

4 (2ln(x)+1)+C d. ln(x)(ln(ln(x))−1)+C<br />

Lösung 11.2.6. In beiden Fällen beträgt der Flächeninhalt der überstrichene Fläche ab<br />

2<br />

τ. Er<br />

ist unabhängig vom Start- und Endpunkt des Körpers auf der Bahn.<br />

Rekursionsformeln zur Integration<br />

Mehrmalige partielle Integration lässt sich durch Aufstellen einer Rekursionsformel vereinfachen.<br />

Beispiel 11.2.4. Wir betrachten das Integral<br />

∫<br />

I n (x) =<br />

wobei n ∈ N. Nun setzen wir:<br />

x n e x dx,<br />

Dann ergibt sich<br />

∫<br />

u = x n und v ′ = e x<br />

u ′ = nx n−1 und v = e x<br />

∫<br />

x n e x dx = x n e x −n<br />

x n−1 e x dx.<br />

Mit dieser Formel wird das Integral I n auf das Integral I n−1 (x) = ∫ x n−1 e x dx zurückgeführt.<br />

Wir erhalten die Rekursionsformel<br />

∫<br />

I n (x) = x n e x −nI n−1 (x) wobei n ≥ 1 und I 0 (x) = e x dx = e x +C,<br />

und C ∈ R ist eine Integrationskonstante.<br />

Anwendung der Rekursionsformel: Wir berechnen<br />

∫<br />

I 3 (x) = x 3 e x dx<br />

(∫ )<br />

= x 3 e x −3 x 2 e x dx<br />

( ∫ )<br />

= x 3 e x −3 x 2 e x −2 xe x dx<br />

( ( ∫ ))<br />

= x 3 e x −3 x 2 e x −2 xe x − e x dx<br />

= x 3 e x −3 ( x 2 e x −2(xe x −e x +C 1 ) )<br />

= x 3 e x −3x 2 e x +6xe x −6e x +C,<br />

wobei C = 6C 1 mit C ∈ R eine neue Integrationskonstanten ist. Beim Anwenden der Rekursionsformel<br />

ist es wichtig, dass wir genau überblicken, wann wir mit der Rekursionsformel<br />

aufhören müssen und wie das letzte Integral aussieht. Dieses lässt sich oft nicht in der gleichen<br />

Art auflösen wie die vorhergehenden Integrale. Oft ist es ein Grundintegral (vgl. Tafel B.1 im<br />

Anhang).


214 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Beispiel 11.2.5. Wir betrachten das Integral<br />

∫<br />

I n (x) = sin n (x)dx,<br />

wobei n ∈ N. Nun versuchen wir die Aufstellung:<br />

u = sin(x) und v ′ = sin n−1 (x)<br />

∫<br />

u ′ = cos(x) und v = sin n−1 (x)dx<br />

Diese Aufstellung bringt das zu lösende Problem schon bei der ersten partiellen Integration.<br />

Also sind wir gezwungen eine andere Aufstellung zu versuchen:<br />

u = sin n−1 (x) und v ′ = sin(x)<br />

u ′ = (n−1)sin n−2 (x)cos(x) und v = −cos(x)<br />

Dann ergibt sich<br />

∫<br />

I n (x) = sin n (x)dx<br />

∫<br />

= −cos(x)sin n−1 (x)+(n−1)<br />

∫<br />

= −cos(x)sin n−1 (x)+(n−1)<br />

∫<br />

= −cos(x)sin n−1 (x)+(n−1)<br />

sin n−2 (x)cos 2 (x)dx<br />

sin n−2 (x)(1−sin 2 (x))dx<br />

∫<br />

sin n−2 (x)dx−(n−1) sin n (x)dx<br />

= −cos(x)sin n−1 (x)+(n−1)I n−2 (x)−(n−1)I n (x)<br />

Nunlösen wirdieerhaltene Gleichung nach I n auf. Damit wirddas Integral I n auf das Integral<br />

I n−2 (x) = ∫ sin n−2 (x)dx zurückgeführt. Wir erhalten die Rekursionsformel<br />

und<br />

∫<br />

I 0 (x) =<br />

I n (x) = − 1 n cos(x)sinn−1 (x)+ n−1<br />

n I n−2(x) wobei n ≥ 2<br />

∫<br />

dx = x+C 0 und I 1 (x) =<br />

sin(x)dx = −cos(x)+C 1 .<br />

Dabei bezeichnen C 0 ,C 1 ∈ R Integrationskonstanten.<br />

Anwendung der Rekursionsformel: Wir berechnen<br />

∫<br />

I 4 (x) = sin 4 (x)dx<br />

= − 1 4 cos(x)sin3 (x)+ 3 ∫<br />

sin 2 (x)dx<br />

4<br />

= − 1 4 cos(x)sin3 (x)+ 3 4<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstanten ist.<br />

(<br />

− 1 2 cos(x)sin(x)+ x 2<br />

= − 1 4 cos(x)sin3 (x)− 3 8 cos(x)sin(x)+ 3 8 x+C<br />

)<br />

+C


11.2. Partielle Integration 215<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 11.2.7. Berechnen Sie mit einer Rekursionsformel das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

I 8 (x) = cos 8 (x)dx.<br />

Aufgabe 11.2.8. Berechnen Sie die Rekursionsformel für das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

dϕ<br />

I n (ϕ) =<br />

cos n (ϕ)<br />

mit n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 11.2.9. Berechnen Sie die Rekursionsformel für das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

I n (x) = sinh n (x)dx<br />

mit n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 11.2.10. Berechnen Sie die Rekursionsformel für das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

I n (x) = ln n (x)dx<br />

mit n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 11.2.11. Berechnen Sie das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

F(q) = q n ln(q)dq<br />

mit n ∈ N 0 .<br />

Aufgabe 11.2.12. Berechnen Sie die Rekursionsformel für das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

I m,n (x) = x m ln n (x)dx.<br />

Berechnen Sie nun I 3,2 .<br />

Aufgabe 11.2.13. Berechnen Sie das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

F(x) = (x 2 +x)ln(|x+1|)dx.<br />

Aufgabe 11.2.14. Es sei das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

I p,q (x) = x p (1+x) q dx<br />

mit p,q ∈ Q gegeben. Beweisen Sie die Rekursionsformel<br />

(p+1)I p,q (x)+qI p+1,q−1 (x) = x p+1 (1+x) q .<br />

Aufgabe 11.2.15. Es sei das unbestimmte Integral<br />

∫<br />

x m<br />

I m,n (x) =<br />

(1+x 2 ) n dx<br />

mit m,n ∈ Q und n ≠ 1 gegeben. Bestimmen Sie eine Rekursionsformel für I m,n und berechnen<br />

Sie damit I 1,3 und I 3,4 .


216 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Lösungen<br />

Lösung 11.2.7. Die allgemeine Rekursionsformel lautet<br />

und<br />

I n (x) = 1 n sin(x)cosn−1 (x)+ n−1<br />

n I n−2(x) wobei n ≥ 2<br />

∫<br />

I 0 (x) =<br />

∫<br />

dx und I 1 (x) =<br />

cos(x)dx.<br />

Angewandt auf n = 8 ergibt sich<br />

( 1<br />

I 8 (x) = sin(x)<br />

8 cos7 (x)+ 7<br />

48 cos5 (x)+ 35<br />

192 cos3 (x)+ 35 )<br />

128 cos(x) + 35<br />

128 x+C.<br />

Lösung 11.2.8. Die Zerlegung<br />

1<br />

cos n (ϕ) = cos(ϕ)<br />

cos n+1 (ϕ)<br />

hilft weiter. Die allgemeine Rekursionsformel lautet dann<br />

und<br />

I n (ϕ) = 1 sin(ϕ)<br />

n−1cos n−1 (ϕ) + n−2<br />

n−1 I n−2(ϕ) wobei n ≥ 2<br />

∫<br />

I 0 (ϕ) =<br />

∫<br />

dϕ und I 1 (ϕ) =<br />

Lösung 11.2.9. Die allgemeine Rekursionsformel lautet<br />

und<br />

dϕ<br />

cos(ϕ) .<br />

I n (x) = 1 n cosh(x)sinhn−1 (x)− n−1<br />

n I n−2(x) wobei n ≥ 2<br />

∫<br />

I 0 (x) =<br />

∫<br />

dx und I 1 (x) =<br />

sinh(x)dx.<br />

Lösung 11.2.10. Die allgemeine Rekursionsformel lautet<br />

∫<br />

I n (x) = xln n (x)−nI n−1 (x) wobei n ≥ 1 und I 0 (x) =<br />

dx.<br />

Lösung 11.2.11. F(q) = qn+1 qn+1<br />

n+1<br />

ln(q)− +C, wobei C ∈ R beliebig.<br />

(n+1) 2<br />

Lösung 11.2.12. Die allgemeine Rekursionsformel lautet<br />

Angewandt auf m = 3 und n = 2 ergibt sich<br />

I m,n (x) = xm+1<br />

m+1 lnn (x)− n<br />

m+1 I m,n−1(x)<br />

I 3,2 (x) = x4<br />

4<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstanten ist.<br />

(<br />

ln 2 (x)− 1 2 ln(x)+ 1 )<br />

+C,<br />

8


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 217<br />

Lösung 11.2.13. F(x) = ( x3<br />

C ∈ R beliebig.<br />

3 + x2<br />

Lösung 11.2.14. keine Hilfe<br />

Lösung 11.2.15. Die allgemeine Rekursionsformel lautet<br />

2 )ln(|x+1|)− 1 9 x3 − 1<br />

12 x2 + 1 6 x− 1 6<br />

ln(|x+1|)+C, wobei<br />

x m+1<br />

m−1<br />

I m,n (x) = −<br />

2(n−1)(1+x 2 +<br />

)<br />

n−1<br />

2(n−1) I m−2,n−1(x)<br />

Angewandt auf m = 1 und n = 3 ergibt sich<br />

I 1,3 (x) = − 1 1<br />

4(1+x 2 ) 2 +C 1<br />

und auf m = 3 und n = 4 ergibt sich<br />

I 3,4 (x) = − 1 6(1+x 2 ) 3 − 1 1<br />

12(1+x 2 ) 2 +C 2,<br />

wobei C 1 ,C 2 ∈ R Integrationskonstanten sind.<br />

x 2<br />

Zusammenfassung<br />

1. Einfache oder mehrfache partielle Integration, bis ein einfaches, allenfalls durch Substitution<br />

lösbares Integral entsteht.<br />

2. Einfache oder mehrfache partielle Integration verbunden mit algebraischer Umformung<br />

des Integranden, bis auf der rechten Seite entweder ein lösbares Integral oder das Ausgangsintegral<br />

auftritt, ohne dass sich die restlichen Ausdrücke wegheben. Ausklammern<br />

des Ausgangsintegrals auf der linken Seite.<br />

3. Rekursionsformel bestimmen. Die mehrfache Anwendung der Rekursionsformel ergibt<br />

direkt die Lösung.<br />

11.3 Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung<br />

Der Fundamentalsatz der Algebra<br />

Polynomiale Funktionen können mit den soweit besprochenen Methoden integriert werden.<br />

Im Folgenden werden nur noch rationale Funktionen betrachtet. Es sei<br />

r(x) = P n(x)<br />

Q m (x) = a nx n +a n−1 x n−1 +···+a 1 x+a 0<br />

b m x m +b m−1 x m−1 +···+b 1 x+b 0<br />

,<br />

wobei alle a 1 ,...,a n ,b 1 ,...,b m ∈ R und a n ≠ 0, b m ≠ 0 und m,n ∈ N 0 . Ist n ≥ m,<br />

so sprechen wir von einer unecht gebrochenrationalen Funktion, ist n ≤ m von einer<br />

echt gebrochenrationalen Funktion. Die unecht gebrochenen Funktionen werden durch<br />

Polynomdivision (Ausdividieren) auf echt gebrochene zurückgeführt.


218 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Beispiel 11.3.1. Wir betrachten die gebrochenrationale Funktion<br />

r(x) = x4 +2x−1<br />

x 2 .<br />

+3<br />

Dabei stellen wir fest, dass n = 4 und m = 2, also ist n > m und demzufolge handelt es sich<br />

um eine unecht gebrochenrationale Funktion. Durch eine Polynomdivision führen wir r auf<br />

eine echt gebrochenrationale Funktion mit teilerfremdem Zähler- undNennerpolynom zurück.<br />

(x 4 + 0x 3 + 0x 2 + 2x − 1) : (x 2 + 3) = x 2 −3+ 2x+8<br />

x 2 +3<br />

− x 4 + 0x 3 − 3x 2<br />

− 3x 2 + 2x − 1<br />

+ 3x 2 + 0x + 9<br />

2x + 8<br />

Wenn Grad(P) = n und Grad(Q) = m mit n ≥ m ist, dann können wir durch Zerlegen und<br />

Ausdividieren eine echt gebrochenrationale Funktion mit teilerfremdem Zähler- und Nennerpolynom<br />

erhalten<br />

r(x) = P n(x) ˜P(x)<br />

= f(x)+<br />

Q m (x) Q m (x) ,<br />

mit Grad(˜P) < Grad(Q m ). Wir können uns somit auf echt gebrochene Funktionen mit teilerfremdem<br />

Zähler- und Nennerpolynom beschränken, da wir die Polynomfunktion f ohne<br />

weiteres integrieren können. Die Grundlage für das Weitere bildet der folgende Fundamentalsatz<br />

der Algebra, der auf C. F. Gauss zurückgeht.<br />

Satz 11.3.1 (Fundamentalsatz der Algebra, C. F. Gauss). Jede Polynomfunktion f ist in ein<br />

Produkt von (komplexen) Linearfaktoren zerlegbar<br />

Rest<br />

f(x) = a n x n +a n−1 x n−1 +···+a 1 x+a 0 = a n (x−x 1 )(x−x 2 )···(x−x n ),<br />

dabei sind x 1 ,...,x n alle (komplexen) Nullstellen (Wurzeln) der Gleichung f(x) = 0.<br />

Falls alle Koeffizienten a 1 ,...,a n der Polynomfunktion reell sind, dann sind die auftretenden<br />

komplexen Nullstellen stets paarweise konjugiert 1 .<br />

Der Fundamentalsatz derAlgebraliefert unsnurdieExistenzvon genau n = Grad(f) komplexen<br />

Nullstellen einer gegebenen Polynomfunktion f. Das Auffinden dieser Nullstellen bereitet<br />

uns in der Praxis oft enorme Probleme. Dazu verwenden wir häufig numerische Verfahren,<br />

zum Beispiel das Tangentenverfahren von Newton (vgl. Kapitel 5.2.1). Bei ganz wenigen ausgesuchten<br />

Beispielen können wir durch Ausprobieren einige Nullstellen erraten. Falls wir bei<br />

einer Polynomfunktion mit a n = 1 und mit ganzzahligen Koeffizienten wissen, dass auch die<br />

Nullstellen ganzzahlig sind, dann bieten sich alle positiven und negativen Teiler des Koeffizienten<br />

a 0 als mögliche Kandidaten für Nullstellen an.<br />

Beispiel 11.3.2. Wir betrachten die Polynomfunktionen<br />

f(x) = x 2 −2x−3 = (x+1)(x−3)<br />

g(x) = 2x 3 +2x 2 −20x+16 = 2(x 3 +x 2 −10x+8) = 2(x+4)(x−2)(x−1)<br />

1 Mit x i ∈ C ist automatisch auch ¯x i ∈ C eine Nullstelle der reellen Polynomfunktion f.


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 219<br />

Im Falle von f sind {±1,±3} und im Falle von g sind {±1,±2,±4,±8} mögliche Nullstellen.<br />

Diese müssen einzeln ausprobiert werden um die Zerlegung in Linearfaktoren zu erhalten. Es<br />

sei ausdrücklich betont, dass dies nur Nullstellenkandidaten sind.<br />

Diese Zerlegung in Linearfaktoren wird zur Integration der rationalen Funktion r benützt.<br />

Durch Division von Zähler und Nenner mit b m ≠ 0 kann r auf die Form<br />

r(x) = a nx n +a n−1 x n−1 +···+a 1 x+a 0<br />

x m +b m−1 x m−1 +···+b 1 x+b 0<br />

= Z(x)<br />

N(x) ,<br />

mit n < m<br />

gebracht werden.Jenach NennerpolynomN(x)sindvierverschieden Varianten fürdieweitere<br />

Zerlegung zu unterscheiden.<br />

1. Nennerpolynom N(x) hat nur reelle einfache Nullstellen.<br />

2. Nennerpolynom N(x) hat mehrfache reelle Nullstellen.<br />

3. Nennerpolynom N(x) hat auch paarweise konjugiert komplexe, aber einfache Nullstellen.<br />

4. Nennerpolynom N(x) hat mehrfache konjugiert komplexe Nullstellen.<br />

Die vierte Variante werden wir nicht besprechen (vgl. Zusammenfassung am Ende des Kapitels).<br />

1. Nennerpolynome mit reellen einfachen Nullstellen<br />

Die Idee für das weitere Vorgehen soll anhand eines Beispiels verdeutlicht werden.<br />

Beispiel 11.3.3. Durch gleichnamig machen erhalten wir die folgende Identität.<br />

2<br />

x−1 + 3<br />

x+3 = 2(x+3)+3(x−1) = 5x+3<br />

(x−1)(x+3) x 2 +2x−3<br />

Die so genannte Partialbruchzerlegung ist nun genau der umgekehrte Vorgang zu diesem<br />

Gleichnamigmachen. Gegeben ist die Funktion rechts, gesucht die Darstellung links, die ohne<br />

weiteres integrierbar ist.<br />

Beispiel 11.3.4. Im Folgenden betrachten wir zwei Beispiele von solchen Partialbruchzerlegungen<br />

und der nachfolgenden Integration der zerlegten rationalen Funktion.<br />

a. Gegeben sei die rationale Funktion<br />

r(x) = 3x+2<br />

x 2 +x−2 = 3x+2<br />

(x−1)(x+2) = A<br />

x−1 + B<br />

x+2 ,<br />

gesucht seien die reellen Koeffizienten A und B. Durch Ausmultiplizieren erhalten wir<br />

die Gleichung<br />

3x+2 = A(x+2)+B(x−1).<br />

Der erste und zweite Summand stellen nun Partialbrüche erster Art dar. Diese<br />

Gleichungmussfürallex-Wertegelten,alsoinsbesonderefürdieNullstellendesNenners.<br />

1. Nennernullstelle x 1 = 1 ergibt 5 = 3A also A = 5 3<br />

2. Nennernullstelle x 2 = −2 ergibt −4 = −3B also B = 4 3


220 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Somit kann zu folgendem Integral eine Stammfunktion gefunden werden<br />

∫<br />

3x+2<br />

x 2 +x−2 dx = 5 ∫<br />

dx<br />

3 x−1 + 4 ∫<br />

dx<br />

3 x+2 = 5 3 ln(|x−1|)+ 4 3 ln(|x+2|)+C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

b. Gegeben sei die rationale Funktion<br />

r(x) = 2x2 +1<br />

x 2 +2x−8<br />

welche durch eine Polynomdivision auf die Form<br />

r(x) = 2x2 +1 −4x+17<br />

x 2 = 2+<br />

+2x−8 x 2 +2x−8<br />

gebracht wurde. Gesucht seien die reellen Koeffizienten A und B, so dass die Gleichung<br />

−4x 2 +17<br />

x 2 +2x−8 = A<br />

x+4 + B<br />

x−2<br />

gilt. Durch Ausmultiplizieren erhalten wir die Gleichung<br />

−4x+17 = A(x−2)+B(x+4).<br />

Diese Gleichung muss für alle x-Werte gelten, also insbesondere für die Nullstellen des<br />

Nenners.<br />

1. Nennernullstelle x 1 = 2 ergibt 9 = 6B also B = 3 2<br />

2. Nennernullstelle x 2 = −4 ergibt 33 = −6A also A = − 11 2<br />

Somit kann zu folgendem Integral eine Stammfunktion gefunden werden<br />

∫<br />

2x 2 ∫<br />

+1<br />

x 2 +2x−8 dx = 2dx− 11 ∫<br />

dx<br />

2 x+4 + 3 ∫<br />

dx<br />

2 x−2<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Aufgaben<br />

= 2x− 11 2 ln(|x+4|)+ 3 2 ln(|x−2|)+C,<br />

Aufgabe 11.3.1. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

−x+4<br />

F(x) =<br />

x 2 −x−2 dx.<br />

Aufgabe 11.3.2. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

2w 2 −w +2<br />

F(w) =<br />

w 3 +2w 2 −5w −6 dw.<br />

Aufgabe 11.3.3. Berechnen Sie das bestimmte Integral<br />

I =<br />

∫ 0<br />

−1<br />

5s 3 −2s 2 +s−1<br />

s 2 +s−2<br />

Aufgabe 11.3.4. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫ 2x 4 +4x 3 −2x 2 −x+6<br />

F(x) =<br />

x 4 +x 3 −7x 2 −x+6 dx.<br />

ds.


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 221<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

Lösung 11.3.1. F(x) = 2 3 ln(|x−2|)− 5 3 ln(|x+1|)+C<br />

Lösung 11.3.2. F(w) = 8 23<br />

15<br />

ln(|w −2|)+<br />

10 ln(|w +3|)− 5 6<br />

ln(|w +1|)+C<br />

Lösung 11.3.3. I = 1.59035<br />

Lösung 11.3.4. F(x) = 2x− 9 8 ln(|x−1|)+ 1 4 ln(|x+1|)+4ln(|x−2|)− 9 8 ln(|x+3|)+C<br />

2. Nennerpolynome mit mehrfachen reellen Nullstellen<br />

Der Unterschied gegenüber der ersten Variante soll an einem Beispiel gezeigt werden.<br />

Beispiel 11.3.5. Gegeben sei die rationale Funktion r(x) = x+2<br />

(x−1) 2 . Dann versuchen wir eine<br />

Zerlegung mit dem Ansatz<br />

r(x) = x+2<br />

(x−1) 2 = A<br />

x−1 + B<br />

x−1 = A+B<br />

x−1 = C<br />

x−1 .<br />

Dieser Ansatz geht offenbar nicht. Also machen wir einen neuen Ansatz, so dass der Nenner<br />

quadratisch bleibt<br />

r(x) = x+2<br />

(x−1) 2 =<br />

A<br />

(x−1) 2 + B<br />

x−1 = A+B(x−1)<br />

(x−1) 2 ,<br />

wobei die reellen Koeffizienten A und B gesucht sind. Der erste Summand stellt nun einen<br />

Partialbruch zweiter Art dar. Durch Ausmultiplizieren erhalten wir die Gleichung<br />

x+2 = A+B(x−1).<br />

Diese Gleichung muss für alle x-Werte gelten, also insbesondere für die Nullstelle des Nenners<br />

und für x 2 = 0.<br />

1. Nennernullstelle x 1 = 1 ergibt 3 = A also A = 3<br />

2. x 2 = 0 ergibt 2 = A−B also B = 1<br />

Somit lautet die Partialbruchzerlegung<br />

r(x) = x+2<br />

(x−1) 2 = 3<br />

(x−1) 2 + 1<br />

x−1 .<br />

Beispiel 11.3.6. Wir versuchen den folgenden Ansatz für eine Partialbruchzerlegung für die<br />

folgende rationale Funktion<br />

r(x) = x2 +2x−1<br />

(x+1) 2 (x+2) 2 =<br />

A<br />

(x+1) 2 + B<br />

x+1 + C<br />

(x+2) 2 + D<br />

x+2 ,<br />

wobei die reellen Koeffizienten A,B,C und D gesucht sind. Durch Ausmultiplizieren erhalten<br />

wir die Gleichung<br />

x 2 +2x−1 = A(x+2) 2 +B(x+1)(x+2) 2 +C(x+1) 2 +D(x+1) 2 (x+2).


222 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Diese Gleichung muss für alle x-Werte gelten, also insbesondere für die Nullstellen des Nenners.<br />

1. Nennernullstelle x 1 = −1 ergibt 1−2−1 = A also A = −2<br />

2. Nennernullstelle x 2 = −2 ergibt 4−4−1 = C also C = −1<br />

Da die Nullstellen doppelt sind, müssen wir auch andere Werte für x einsetzen.<br />

3. Wert x 3 = 0 ergibt −1 = −8+4B −1+2D also 4 = 2B +D<br />

4. Wert x 4 = 1 ergibt 1+2−1 = −18+18B −4+12D also 4 = 3B +2D<br />

Für das resultierende lineare Gleichungssystem erhalten wir die Lösung B = 4 und D = −4.<br />

Somit lautet die Partialbruchzerlegung<br />

r(x) = x2 +2x−1<br />

(x+1) 2 (x+2) 2 = − 2<br />

(x+1) 2 + 4<br />

x+1 − 1<br />

(x+2) 2 − 4<br />

x+2 .<br />

Allgemein lautet der Ansatz bei mehrfachen Nullstellen x 1 ,...,x s des Nennerpolynoms mit<br />

den Vielfachheiten k 1 ,...,k s wie folgt.<br />

Z(x)<br />

N(x) = A 11 A 12<br />

+<br />

x−x 1 (x−x 1 ) 2 + A 13<br />

(x−x 1 ) 3 +···+ A 1k 1<br />

(x−x 1 ) k +<br />

1<br />

+ A 21 A 22<br />

+<br />

x−x 2 (x−x 2 ) 2 + A 23<br />

(x−x 2 ) 3 +···+ A 2k 2<br />

(x−x 2 ) k +···<br />

2<br />

+ A s1<br />

x−x s<br />

+<br />

A s2<br />

(x−x s ) 2 +<br />

A s3<br />

(x−x s ) 3 +···+<br />

A sk s<br />

(x−x s ) ks.<br />

Nun bleibt uns nur noch die Integration eines solchen Partialbruchs zweiter Art. Wir integrieren<br />

jeden Summand einzeln. Es sei i ∈ {1,...,s}, dann folgt<br />

∫<br />

dx<br />

x−x i<br />

= ln(|x−x i |)+C,<br />

und für k ∈ {2,...,k i } müssen wir x−x i = u substituieren, also dx = du. Demzufolge ist<br />

∫ ∫<br />

dx du<br />

(x−x i ) k = u k = 1 1 1 1<br />

+C = +C,<br />

1−k uk−1 1−k (x−x i ) k−1<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 11.3.5. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

2x+1<br />

F(x) =<br />

x 2 −10x+25 dx.<br />

Aufgabe 11.3.6. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

s+2<br />

F(s) =<br />

(s−1)(1−s) ds.


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 223<br />

Aufgabe 11.3.7. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

dw<br />

F(w) =<br />

(w −1)(w +2) 2.<br />

Aufgabe 11.3.8. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

F(x) =<br />

5x 2 −24x+21<br />

x 3 −7x 2 +8x+16 dx.<br />

Aufgabe 11.3.9. Es sei a ∈ R beliebig. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

dα<br />

F(α) =<br />

α 3 −a 2 α .<br />

Aufgabe 11.3.10. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

F(x) =<br />

∫ 4x 3 +9x 2 +4x+1<br />

x 4 +3x 3 +3x 2 +x dx.<br />

Aufgabe 11.3.11. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

dp<br />

F(p) =<br />

p 3 (p−1)(p+1) .<br />

Aufgabe 11.3.12. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

Lösungen<br />

∫ 9t 4 −3t 3 −23t 2 +30t−1<br />

F(t) =<br />

(t−1) 4 dt.<br />

(t+3)<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

Lösung 11.3.5. F(x) = 11<br />

5−x +2ln(|x−5|)+C<br />

Lösung 11.3.6. F(s) = 3<br />

s−1 −ln(|s−1|)+C<br />

Lösung 11.3.7. F(w) = 1<br />

3(w+2) + 1 9 ln(|w −1|)− 1 9<br />

ln(|w +2|)+C<br />

Lösung 11.3.8. F(x) = 2ln(|x+1|)+3ln(|x−4|)− 1<br />

x−4 +C<br />

Lösung 11.3.9. F(α) = 1<br />

2a 2 ln(|α 2 −a 2 |)− 1<br />

a 2 ln(|α|)+C<br />

Lösung 11.3.10. F(x) = 1<br />

(x+1) 2 +ln(|x|)+3ln(|x+1|)+C<br />

Lösung 11.3.11. F(p) = − 1<br />

2p 2 − 1 p +2ln(|p|)− 1 4 ln(|p+1|)− 7 4 ln(|p−1|)− 1<br />

2(p−1) +C<br />

Lösung 11.3.12. F(t) = − 1<br />

(t−1) 3 − 1<br />

(t−1) 2 − 5<br />

t−1 +7ln(|t−1|)+2ln(|t+3|)+C


224 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

3. Nennerpolynome mit einfachen konjugiert komplexen Nullstellen<br />

Wir betrachten ein Beispiel.<br />

Beispiel 11.3.7. Gegeben sei die rationale Funktion r(x) =<br />

eine Zerlegung mit dem Ansatz<br />

r(x) =<br />

2x−1<br />

(x−1)(x 2 +x+1) = A<br />

x−1 + B<br />

x 2 +x+1 .<br />

2x−1<br />

. Wir versuchen<br />

(x−1)(x 2 +x+1)<br />

Dieser Ansatz geht nicht, da der Koeffizientenvergleich A = 0 liefert, was zu einem Widerspruch<br />

führt. Da x 2 +x+1 = 0 keine reelle Lösung besitzt, machen wir einen anderen Ansatz<br />

der Form<br />

2x−1<br />

r(x) =<br />

(x−1)(x 2 +x+1) = A<br />

x−1 + Bx+C<br />

x 2 +x+1 .<br />

wobei die reellen Koeffizienten A,B undC gesucht sind. Der zweite Summandstellt nun einen<br />

Partialbruch dritter Art dar. Durch Ausmultiplizieren erhalten wir die Gleichung<br />

2x−1 = A(x 2 +x+1)+(Bx+C)(x−1)<br />

0x 2 +2x 1 +(−1)x 0 = (A+B)x 2 +(A−B +C)x 1 +(A−C)x 0 .<br />

Im Gegensatz zu den Beispielen 11.3.4, 11.3.5 und 11.3.6 benutzen wir hier eine etwas andere<br />

Art zur Auffindung der Koeffizienten. Den so genannten Koeffizientenvergleich: Zwei Polynome<br />

sind genau dann gleich, wenn die Koeffizienten der beiden Polynome übereinstimmen.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 2 ergibt<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 1 ergibt<br />

0 = A+B.<br />

2 = A−B +C.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 0 ergibt −1 = A −C.<br />

Dies ergibt ein lineares Gleichungssystem in den unbekannten A,B und C mit der Lösung<br />

A = 1 3 ,B = −1 3 und C = 4 3<br />

. Somit lautet die Partialbruchzerlegung<br />

r(x) =<br />

1<br />

2x−1<br />

(x−1)(x 2 +x+1) = 3<br />

x−1 + −1 3 x+ 4 3<br />

x 2 +x+1 .<br />

Es bleibt jetzt noch die Aufgabe, den Partialbruch dritter Art<br />

Bx+C<br />

x 2 +px+q<br />

mit p 2 −4q < 0 zu integrieren. Da es sich hierbei nicht um ein Grundintegral handelt, zerlegen<br />

wir ihn in zwei Summanden<br />

λ f′ (x)<br />

f(x) +µ 1<br />

f(x) ,<br />

welche einzeln mit unseren Methoden integrierbar sind. Die Funktion f(x) = x 2 +px+q stellt<br />

die quadratische Nennerpolynomfunktion dar, und die Faktoren λ,µ ∈ R müssen geeignet<br />

bestimmt werden. Der erste Summand hat die Stammfunktion<br />

∫ f ′ (x)<br />

dx = ln(|f(x)|)+C<br />

f(x)


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 225<br />

und der zweite muss mit einer quadratischen Ergänzung der Nennerpolynomfunktion und<br />

anschliessender Substitution integriert werden. Wir erhalten die Summenzerlegung<br />

Bx+C<br />

x 2 +px+q = λ 2x+p<br />

x 2 +px+q +µ 1<br />

= B 2<br />

x 2 +px+q<br />

(<br />

2x+p<br />

x 2 +px+q + C − Bp )<br />

2<br />

1<br />

x 2 +px+q ,<br />

also ergibt sich mit Hilfe von Beispiel 11.1.10 die Stammfunktion<br />

∫<br />

Bx+C<br />

x 2 +px+q dx = B ∫ (<br />

2x+p<br />

2 x 2 +px+q dx+ C − Bp )∫<br />

dx<br />

2 x 2 +px+q<br />

( )<br />

= B 2C −pB<br />

2 ln(x2 +px+q)+ √ arctan 2x+p<br />

√ + ˜C<br />

4q −p 2 4q −p 2<br />

wobei ˜C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Beispiel 11.3.8. Wir integrieren den Partialbruch dritter Art<br />

−x+4<br />

x 2 +x+1 = λ 2x+1<br />

x 2 +x+1 +µ 1<br />

x 2 +x+1 .<br />

Indem wir ausmultiplizieren erhalten wir die Gleichung<br />

−x+4 = λ(2x+1)+µ.<br />

Durch einen Koeffizientenvergleich folgt λ = − 1 2 und µ = 9 2<br />

. Es ergibt sich<br />

∫<br />

∫<br />

−x+4<br />

x 2 +x+1 dx = −1 2<br />

2x+1<br />

x 2 +x+1 dx+ 9 ∫<br />

2<br />

dx<br />

x 2 +x+1 .<br />

Im ersten Integral substituieren wir z = x 2 +x+1 und im zweiten ergänzen wir quadratisch<br />

und erhalten<br />

∫<br />

−x+4<br />

x 2 +x+1 dx = −1 2 ln(|x2 +x+1|)+ 9 ∫<br />

dx<br />

2 (x+ 1 2 )2 + 3 4<br />

= − 1 2 ln(|x2 +x+1|)+ 9 ∫<br />

4 dx<br />

( )<br />

23<br />

2<br />

+1.<br />

Die Betragszeichen in der Logarithmusfunktion entfallen, da x 2 + x+1 > 0 für alle x ∈ R.<br />

Nun substituiren wir u = 2x+1 √<br />

3<br />

, also du = √ 2 3<br />

dx. Demzufolge erhalten wir<br />

x+ 1 2 √<br />

3<br />

2<br />

∫<br />

√ ∫<br />

−x+4<br />

3<br />

x 2 +x+1 dx = −1 du<br />

2 ln(x2 +x+1)+6<br />

2 u 2 +1<br />

= − 1 2 ln(x2 +x+1)+3 √ ( 2x+1<br />

3arctan √<br />

)+C<br />

3<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.


226 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

4. Nennerpolynome mit mehrfachen konjugiert komplexen Nullstellen<br />

Ein Partialbruch vierter Art hat die folgende Gestalt<br />

Bx+C<br />

(x 2 +px+q) l<br />

mit l ≥ 2 und p 2 −4q < 0. Wie bereits erwähnt, behandeln wir die vierte Variante nicht, wir<br />

verweisen auf die Literatur, oder die Zusammenfassung am Ende des Kapitels.<br />

Nachfolgend geben wir ein Beispiel, das die ersten drei Varianten kombiniert.<br />

Beispiel 11.3.9. Unser Ziel ist, das folgende Integral zu bestimmen<br />

∫<br />

−2x 3 +5x 2 −4x+3<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 dx.<br />

Zuerst zerlegen wir den Nenner in Linearfaktoren, d.h., wir suchen alle komplexen Nullstellen<br />

der Gleichung<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 = 0.<br />

Wie schon erwähnt kann dies zu enormen Schwierigkeiten führen, die eventuell nur numerisch<br />

behoben werden können. In unserem Fall ist die Situation aber anders, wir sehen sofort, dass<br />

x 1 = 1 eine Nullstelle 2 sein muss. Mittels Polynomdivision können wir nun diese erratene<br />

Nullstelle abspalten und erhalten<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 = (x−1)(x 3 −x 2 +x−1) = 0.<br />

Nun betrachten wir die Gleichung x 3 −x 2 +x−1 = 0 und sehen, dass x 2 = 1 noch einmal<br />

eine Nullstelle ist, diese wird wieder abgespalten<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 = (x−1)(x 3 −x 2 +x−1) = (x−1) 2 (x 2 +1) = 0.<br />

Die übrig bleibende Gleichung x 2 + 1 = 0 hat die konjugiert komplexen Nullstellen x 3 = i<br />

und x 4 = ¯x 3 = −i. Nun können wir den Partialbruchansatz machen<br />

−2x 3 +5x 2 −4x+3<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 = Ax+B<br />

x 2 +1 + C<br />

(x−1) 2 + D<br />

x−1 ,<br />

wobei die reellen Koeffizienten A,B,C und D gesucht sind. Durch Ausmultiplizieren folgt die<br />

Gleichung<br />

−2x 3 +5x 2 −4x+3<br />

= (Ax+B)(x−1) 2 +C(x 2 +1)+D(x−1)(x 2 +1)<br />

= (A+D)x 3 +(−2A+B +C −D)x 2 +(A−2B +D)x+(B +C −D)<br />

2 Die Methode, Nullstellen zu erraten, funktioniert nurbei wenigen ausgesuchten Beispielen. Würden wir nur<br />

einen der Koeffizienten des Polynoms x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1ein wenig verändern, z.B. x 4 −2.01x 3 +2x 2 −2x+1,<br />

so hätte unsere Strategie zur Auffindung der Nullstellen keine Chance auf Erfolg. In einem solchen Fall bliebe<br />

uns nur der numerische Weg.


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 227<br />

Durch einen Koeffizientenvergleich erhalten wir das folgende lineare Gleichungssystem.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 3 ergibt −2 = A +D.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 2 ergibt<br />

5 = −2A +B +C −D.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 1 ergibt −4 = A−2B +D.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 0 ergibt 3 = B +C −D.<br />

Die Lösungen sind A = −1,B = 1, C = 1 und D = −1. Somit folgt<br />

∫<br />

−2x 3 +5x 2 ∫ ∫ ∫<br />

−4x+3 −x+1<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 dx = x 2 +1 dx+ dx<br />

(x−1) 2 −<br />

dx<br />

x−1 .<br />

Zerlegung des ersten Integrals ergibt die Gleichung −x+1 = λ2x+µ mit der Lösung λ = − 1 2<br />

und µ = 1. Demzufolge ist<br />

∫<br />

−2x 3 +5x 2 ∫<br />

−4x+3<br />

x 4 −2x 3 +2x 2 −2x+1 dx = −1 2<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

Aufgaben<br />

∫<br />

2x<br />

x 2 +1 dx+<br />

∫<br />

dx<br />

x 2 +1 +<br />

∫<br />

dx<br />

(x−1) 2 −<br />

dx<br />

x−1<br />

= − 1 2 ln(x2 +1)+arctan(x)− 1<br />

x−1 −ln(|x−1|)+C<br />

( √ )<br />

= −ln |x−1| x 2 +1 +arctan(x)− 1<br />

x−1 +C,<br />

Aufgabe 11.3.13. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫ −3x 4 −5x 3 −9x 2 −6<br />

F(x) =<br />

x 2 dx.<br />

+2x+3<br />

Aufgabe 11.3.14. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫ 4s 3 −2s 2 +6s−13<br />

F(s) =<br />

s 4 +3s 2 ds.<br />

−4<br />

Aufgabe 11.3.15. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

dt<br />

F(t) =<br />

t 4 +t 2 +1 .<br />

Aufgabe 11.3.16. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

3x 2 +x−2<br />

F(x) =<br />

(x−1) 3 (x 2 +1) dx.<br />

Aufgabe 11.3.17. Berechnen Sie das bestimmte Integral<br />

I =<br />

∫ 1<br />

0<br />

dϕ<br />

ϕ 3 +1 .


228 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

Aufgabe 11.3.18. Berechnen Sie das bestimmte Integral<br />

I =<br />

∫ 9<br />

3<br />

4<br />

γ 3 +γ dγ.<br />

Aufgabe 11.3.19. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

F(ξ) =<br />

ξ 2<br />

ξ 4 −1 dξ.<br />

Aufgabe 11.3.20. Berechnen Sie die Stammfunktion<br />

∫<br />

F(x) =<br />

dx<br />

x 4 +1 .<br />

Aufgabe 11.3.21. Berechnen Sie die Stammfunktion des Partialbruchs vierter Art<br />

Lösungen<br />

∫<br />

F(x) =<br />

3x−4<br />

(x 2 +x+1) 3dx.<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

(<br />

Lösung 11.3.13. F(x) = −x 3 + x2<br />

2 −2x+ 1 2 ln(x2 +2x+3)− √ 1 2<br />

arctan x+1 √<br />

2<br />

)+C<br />

Lösung 11.3.14. F(s) = ln(s 2 +4)+ 5 2 ln(|s+1|)− 1 2 ln(|s−1|)+ 1 2 arctan(s 2 )+C<br />

( ) ( (<br />

Lösung 11.3.15. F(w) = 1 4 ln t 2 +t+1<br />

+ 1<br />

t 2 −t+1 2 √ arctan 2t−1 √<br />

3 3<br />

)+ 1<br />

2 √ arctan 2t+1 √<br />

3 3<br />

)+C<br />

Lösung 11.3.16. F(x) = − 1<br />

2(x−1) 2 − 5<br />

2(x−1) − 3 2 ln(|x−1|)+ 3 4 ln(x2 +1)−arctan(x)+C<br />

Lösung 11.3.17. I = 0.8356<br />

Lösung 11.3.18. I = 0.1862<br />

(∣ )<br />

Lösung 11.3.19. F(ξ) = 1 2 arctan(ξ)+ 1 ∣∣<br />

4 ln ξ−1<br />

∣ +C<br />

Lösung 11.3.20. Das Nennerpolynom lässt sich in zwei reelle Polynome zweiten Grades<br />

faktorisieren x 4 +1 = (x 2 + √ 2x+1)(x 2 − √ 2x+1), also folgt<br />

(<br />

F(x) = 1<br />

4 √ 2 ln x 2 + √ 2x+1<br />

x 2 − √ 2x+1<br />

)<br />

ξ+1<br />

+ 1<br />

2 √ 2 arctan(√ 2x+1)+ 1<br />

2 √ 2 arctan(√ 2x−1)+C.<br />

Lösung 11.3.21. F(x) = − 1 6<br />

11x+10<br />

(x 2 +x+1)<br />

− 11 2x+1<br />

2 6 x 2 +x+1 − 22 9<br />

√<br />

3arctan<br />

(<br />

2x+1 √<br />

3<br />

)+C


11.3. Integration rationaler Funktion - Partialbruchzerlegung 229<br />

Zusammenfassung: Integration durch Partialbruchzerlegung<br />

Jede gebrochenrationale Funktion<br />

r(x) = P n(x)<br />

Q m (x) = a nx n +a n−1 x n−1 +···+a 1 x+a 0<br />

b m x m +b m−1 x m−1 +···+b 1 x+b 0<br />

,<br />

wobei alle a 1 ,...,a n ,b 1 ,...,b m ∈ R und a n ≠ 0, b m ≠ 0 und m,n ∈ N 0 ist eindeutig in eine<br />

Summe einer Polynomfunktion und Partialbrüchen der Form<br />

A<br />

(x−x 0 ) k<br />

und<br />

Bx+C<br />

(x 2 +px+q) l<br />

mit reellen Zahlen x 0 ,p,q und A,B,C zerlegbar. Dazu gehen wir wie folgt vor.<br />

1. Zurückführen einer gebrochenrationalen Funktion auf eine Polynomfunktion plus eine<br />

echt gebrochen rationale Funktion mit teilerfremdem Zähler- undNennerpolynomdurch<br />

Polynomdivision<br />

r(x) = P(x) ˜P(x)<br />

= f(x)+<br />

Q(x) Q(x) ,<br />

mit Grad(˜P) < Grad(Q).<br />

2. Der Koeffizient b m des Nennerpolynoms wird auf den Wert 1 gebracht, indem Nenner<br />

und Zähler von ˜P<br />

Q durch den ursprünglichen Wert von b m dividiert werden.<br />

3. Das Nennerpolynom wird mit linearen- und quadratischen reellen Faktoren<br />

Q(x) = (x−x 1 ) k1 ···(x−x s ) ks (x 2 +p 1 x+q 1 ) l1 ···(x 2 +p r x+q r ) lr<br />

dargestellt. Dabei sind x 1 ,...,x s die s reellen Nullstellen von Q(x) = 0. Ausserdem<br />

hat das Nennerpolynom genau r Paare konjugiert komplexer Nullstellen, die wir als<br />

Nullstellen der quadratischen Faktoren x 2 +p j x+q j erhalten. Die Zahlen p j und q j sind<br />

reell, und es gilt p 2 j −4q j < 0 für alle j ∈ {1,...,r}.<br />

4. Der allgemeine 3 Ansatz für die Partialbruchzerlegung lautet:<br />

˜P(x)<br />

Q(x) = A 11 A 12<br />

+<br />

x−x 1 (x−x 1 ) 2 + A 13<br />

+ A s1<br />

x−x s<br />

+<br />

A s2<br />

(x−x s ) 2 +<br />

(x−x 1 ) 3 +···+<br />

A s3<br />

(x−x s ) 3 +···+<br />

A 1k1<br />

(x−x 1 ) k 1 +···<br />

A sks<br />

(x−x s ) ks +<br />

+ B 11x+C 11<br />

x 2 +p 1 x+q 1<br />

+ B 12x+C 12<br />

(x 2 +p 1 x+q 1 ) 2 +···+ B 1l 1<br />

x+C 1l1<br />

(x 2 +p 1 x+q 1 ) l 1 +···<br />

+ B r1x+C r1<br />

x 2 +p r x+q r<br />

+ B r2x+C r2<br />

(x 2 +p r x+q r ) 2 +···+ B rl r<br />

x+C rlr<br />

(x 2 +p r x+q r ) lr.<br />

5. Zur Bestimmung der Konstanten A 11 ,··· ,A sks , B 11 ,··· ,B rlr und C 11 ,··· ,C rlr multiplizieren<br />

wir den Ansatz mit Q(x) und machen einen Koeffizientenvergleich.<br />

3 In den Varianten 1 bis 3 haben wir nur den Ansatz mit l 1 = ··· = l r = 1 betrachtet.


230 Kapitel 11. Integrationsmethoden<br />

6. Die Integration erfolgt Summand pro Summand.<br />

∫ P(x)<br />

Q(x) dx = ∫<br />

∫<br />

=<br />

∫ ˜P(x)<br />

f(x)dx+<br />

Q(x) dx<br />

∫ ∫<br />

A 11<br />

f(x)dx+ dx+···+<br />

x−x 1<br />

B rlr x+C rlr<br />

(x 2 dx.<br />

lr<br />

+p r x+q r )<br />

• Integrale der Partialbrüche erster Art<br />

∫<br />

dx<br />

x−x 0<br />

= ln(|x−x 0 |)+C<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist.<br />

• Integrale der Partialbrüche zweiter Art<br />

∫<br />

dx<br />

(x−x 0 ) k = 1<br />

1−k<br />

1<br />

+C<br />

(x−x 0 )<br />

k−1<br />

mit k ≥ 2, und C ∈ R ist eine Integrationskonstante.<br />

• Integrale der Partialbrüche dritter Art<br />

∫<br />

Bx+C<br />

x 2 +px+q dx = λ ∫ f ′ (x)<br />

f(x) dx+µ ∫<br />

1<br />

f(x) dx<br />

mit p 2 − 4q < 0. Das erste Integral führt auf einen ln und das zweite auf einen<br />

arctan nach quadratischer Ergänzung, Ausklammern und Substitution.<br />

• Integrale der Partialbrüche vierter Art<br />

∫<br />

Bx+C<br />

(x 2 +px+q) l dx<br />

mit l ≥ 2 und p 2 − 4q < 0 werden hier nicht weiter diskutiert. Diese können<br />

entweder in [3] nachgeschlagen oder mit einem Computeralgebrasystem integriert<br />

werden (vgl. Aufgabe 11.3.21).


Kapitel 12<br />

Unendliche Reihen<br />

Unendliche Reihen und speziell Potenzreihen erweisen sich in der angewandten Mathematik<br />

als unentbehrliches Hilfsmittel zur expliziten Berechnung von Funktionswerten, zur IntegrationvonFunktionenoderzurHerleitungvonNäherungsformeln.OderhabenSiesichauchschon<br />

gefragt, wie die Zahl π = 3.1415926535897932384626433832795... auf Millionen von Stellen<br />

berechnet werden kann? Oder, was passiert im Taschenrechner, wenn Sie den Sinus von 22 ◦<br />

berechnen? Weiter werden wir sehen, wieso es für kleine Winkel α erlaubt ist, sin(α) ≈ α− α3<br />

6<br />

zu verwenden. Aber zuvor benötigen wir einige grundlegende Definitionen.<br />

12.1 Grundbegriffe und Definitionen<br />

Definition 12.1.1. Eine Zahlenfolge ist eine geordnete Menge von Zahlen. Die symbolische<br />

Schreibweise lautet<br />

(u n ) n∈N<br />

= u 1 ,u 2 ,...,u n ,...<br />

Die Zahlen u 1 ,u 2 ,...,u n ,... heissen Glieder der Folge, u n ist das n-te Glied u n der Folge.<br />

Beispiel 12.1.1. Wir kennen schon einige solcher Zahlenfolgen.<br />

a.<br />

b.<br />

1, 1 2 , 1 3 , 1 4 ,... Bildungsgesetz: u n = 1 n<br />

1, 1 2 , 1 4 , 1 8 ,... Bildungsgesetz: u n = 1<br />

2 n<br />

Die Berechnung eines allfälligen Grenzwertes geschieht mit den bekannten Methoden.<br />

Definition 12.1.2. Eine Reihe ergibt sich aus einer Zahlenfolge, wenn die Glieder der Zahlenfolge<br />

mit + oder − verbunden werden. Liegen unbeschränkt viele Zahlen vor, so heisst die<br />

Reihe unendlich.<br />

∞∑<br />

u n = u 1 +u 2 +···+u n +··· .<br />

n=1<br />

Beispiel 12.1.2 (Harmonische Reihe). Die Reihe<br />

H =<br />

∞∑<br />

n=1<br />

1<br />

n = 1+ 1 2 + 1 3 + 1 4 +···+ 1 n +···<br />

231


232 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

heisstharmonische Reihe. Diese Reiheheisst so, weil das n-teGlied das harmonischeMittel<br />

zwischen den benachbarten Gliedern ist. Das harmonische Mittel 1 zweier positiven reellen<br />

Zahlen a und b ist durch<br />

H 2 = 2<br />

1<br />

a + 1 = 2ab<br />

a+b<br />

b<br />

definiert. Betrachten wir nun das harmonische Mittel der Reihenglieder a = u n−1 = 1<br />

n−1 und<br />

b = u n+1 = 1<br />

n+1 , dann ist H 2 =<br />

1<br />

1<br />

n−1<br />

2<br />

+ 1 1<br />

n+1<br />

=<br />

2<br />

(n−1)+(n+1) = 1 n .<br />

Der n-te Summand ist somit das harmonische Mittel der beiden Nachbarsummanden.<br />

Beispiel 12.1.3 (Geometrische Reihe). Es sei x ∈ R. Die Reihe<br />

G(x) =<br />

∞∑<br />

x n = 1+x+x 2 +···+x n +···<br />

n=0<br />

heisst geometrische Reihe. Spezialfälle, wenn x konkret gewählt ist, sind unter vielen anderen<br />

x = 1 2<br />

G ( ) ∑<br />

∞ 1<br />

2 =<br />

1<br />

2<br />

= 1+ 1 n 2 + 1 4 +···+ 1<br />

2<br />

+··· n<br />

x = 1 G(1) =<br />

x = − 1 3<br />

G ( − 1 3<br />

n=0<br />

∞∑<br />

1 n = 1+1+1+···+1+···<br />

n=0<br />

)<br />

= ∞ ∑<br />

n=0<br />

( )<br />

−<br />

1 n<br />

3 = 1−<br />

1<br />

3 + 1 9 −+···+( − 1 n<br />

3)<br />

+···<br />

Es stellt sich bei allen unendlichen Reihen die Frage, ob die unendliche Summe ∑ ∞<br />

n=0 u n<br />

eine endliche Summe darstellt oder nicht. Um diese Frage zu beantworten, betrachten wir<br />

1 Es gibt mehrere verschiedene Möglichkeiten so genannte Mittelwerte zu bilden. Es seien a 1,...,a n positive<br />

reelle Zahlen.<br />

• Das arithmetische Mittel<br />

• Das geometrische Mittel<br />

• Das harmonische Mittel<br />

• Das quadratische Mittel<br />

A n =<br />

a1 +···+an<br />

.<br />

n<br />

G n = n√ a 1···a n.<br />

n<br />

H n =<br />

1<br />

a 1<br />

+···+ 1 .<br />

a n<br />

√<br />

a<br />

2<br />

Q n = 1 +···+a 2 n<br />

.<br />

n<br />

Die verschiedenen Mittel können durch die nützliche Ungleichung<br />

miteinander verglichen werden.<br />

H n ≤ G n ≤ A n ≤ Q n


12.1. Grundbegriffe und Definitionen 233<br />

folgenden Zusammenhang mit den Zahlenfolgen: Unter der Teilsummenfolge oder auch<br />

Partialsummenfolge einer unendlichen Reihe verstehen wir die folgende aus der Reihe<br />

∞∑<br />

s = u n = u 1 +u 2 +···+u n +··· .<br />

konstruierte Zahlenfolge<br />

n=1<br />

s 1 = u 1<br />

s 2 = u 1 +u 2<br />

s 3 = u 1 +u 2 +u 3<br />

.<br />

s n = u 1 +u 2 +u 3 +···+u n<br />

Dabeinennenwirs n fürallen ∈ Ndien-teTeilsumme.UnterderTeilsummenfolgeverstehen<br />

wir dann die Zahlenfolge<br />

(s n ) n∈N<br />

= s 1 ,s 2 ,s 3 ,...,s n ,....<br />

Offensichtlich gilt<br />

s = lim<br />

n→∞ s n =<br />

∞∑<br />

u n .<br />

Wir können also die Frage der unendlichen Summe auf die der Konvergenz einer Zahlenfolge,<br />

der Teilsummenfolge, zurückführen.<br />

Beispiel 12.1.4 (Harmonische Reihe). Betrachten wir wieder die Reihe<br />

∞∑ 1<br />

H =<br />

n = 1+ 1 2 + 1 3 + 1 4 +···+ 1 n +··· .<br />

Die Teilsummenfolge ist<br />

n=1<br />

s 1 = 1<br />

s 2 = 1+ 1 2 = 3 2<br />

n=1<br />

s 3 = 1+ 1 2 + 1 3 = 11 6<br />

s 4 = 1+ 1 2 + 1 3 + 1 4 = 25<br />

12<br />

.<br />

Definition 12.1.3. Eine unendliche Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n heisst konvergent, genau dann, wenn<br />

mit wachsendem n die Teilsummenfolge s n = u 1 + u 2 + u 3 + ··· + u n einem bestimmten<br />

endlichen Grenzwert s zustrebt.<br />

s = lim<br />

n→∞ s n =<br />

Der endlichen Grenzwert s heisst Summenwert der unendlichen Reihe.<br />

Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so nennen wir die Reihe divergent. Falls s plus oder minus<br />

unendlich ist, dann heisst die Reihe bestimmt divergent sonst unbestimmt divergent<br />

oder oszillierend.<br />

∞∑<br />

n=1<br />

u n


234 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

12.2 Das Konvergenzverhalten der geometrischen Reihe<br />

In diesem Kapitel wollen wir das Konvergenzverhalten einer der wichtigsten Reihe, der geometrischen<br />

Reihe untersuchen.<br />

Satz 12.2.1 (Konvergenzverhalten der geometrischen Reihe). Es sei x ∈ R. Die geometrische<br />

Reihe<br />

∞∑<br />

G(x) = x n = 1+x+x 2 +···+x n +···<br />

n=0<br />

ist konvergent wenn |x| < 1 und divergent wenn |x| ≥ 1. Im Falle der Konvergenz gilt<br />

G(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

x n = 1<br />

1−x .<br />

Beweis. Wir berechnen die Summe anhand der folgenden geometrischen Überlegung:<br />

y<br />

y = u − 1<br />

y = xu<br />

x 0 = 1<br />

x 2<br />

x<br />

x<br />

1 s<br />

u<br />

Abbildung 12.2.i: Konvergenzverhalten der geometrische Reihe für positives x<br />

Der konvergente Streckenzug in Abbildung 12.2.i existiert aber nur wenn |x| < 1. In diesem<br />

Fall ergibt die Abszisse des Schnittpunkts der Geraden y = u−1 und y = xu den Wert von<br />

s. Also erhalten wir u−1 = xu und damit u(x−1) = −1. Somit folgt<br />

G(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

x n = 1+x+x 2 +···+x n +··· = 1<br />

1−x .<br />

Beispiel 12.2.1. Wir betrachten nun einige konvergente und nicht konvergente geometrische<br />

Reihen.<br />

a. Die geometrische Reihe<br />

konvergiert gegen 2.<br />

G( 1 2 ) = ∞ ∑<br />

n=0<br />

1<br />

2 n = 1<br />

1− 1 2<br />

= 2


12.3. Konvergenzkriterien 235<br />

b. Die geometrische Reihe<br />

konvergiert gegen 3 2 .<br />

G( 1 3 ) = ∞ ∑<br />

n=0<br />

1<br />

3 n = 1<br />

1− 1 3<br />

= 3 2<br />

c. Die geometrische Reihe<br />

ist bestimmt divergent gegen +∞.<br />

d. Die geometrische Reihe<br />

ist bestimmt divergent gegen +∞.<br />

G(1) =<br />

G(2) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

∞∑<br />

n=0<br />

1 n<br />

2 n<br />

e. Die geometrische Reihe<br />

G(− 1 2 ) = ∞ ∑<br />

n=0<br />

( )<br />

−<br />

1 n 1<br />

2 =<br />

1+ 1 2<br />

= 2 3 .<br />

konvergiert gegen 2 3 .<br />

12.3 Konvergenzkriterien<br />

Im Folgenden geben wir so genannte Konvergenzkriterien an, die es uns in den meisten<br />

Fällen erlauben werden, zu entscheiden, ob eine gegebene Reihe konvergiert oder divergiert.<br />

Satz 12.3.1. Falls eine unendliche Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n konvergiert, dann gilt notwendigerweise<br />

lim u n = 0,<br />

n→∞<br />

d.h., die einzelnen Summanden bilden eine Nullfolge.<br />

Beispiel 12.3.1. Die geometrische Reihe<br />

G( 1 2 ) = ∞ ∑<br />

n=0<br />

konvergiert gegen 2. Also folgt lim n→∞<br />

1<br />

2 n = 0.<br />

1<br />

2 n = 1<br />

1− 1 2<br />

Die Umkehrung davon ist aber falsch, d.h., aus lim n→∞ u n = 0 kann nicht auf die Konvergenz<br />

geschlossen werden.<br />

= 2.<br />

Beispiel 12.3.2 (Harmonische Reihe). Die harmonische Reihe<br />

H =<br />

∞∑<br />

n=1<br />

1<br />

erfüllt lim n→∞ n<br />

= 0 , ist aber nicht konvergent.<br />

1<br />

n = 1+ 1 2 + 1 3 + 1 4 +···+ 1 n +···


236 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Beweis. Wir schätzen die Teilsummen nach unten ab und geben ihnen neue Namen a 2 n, d.h.,<br />

s 1 = 1 = a 2 0<br />

s 2 = 1+ 1 2 = 3 2 = a 2 1<br />

)<br />

)<br />

s 4 = 1+ 1 ( 1<br />

2 + 3 + 1 > 1+ 1 ( 1<br />

4 2 + 4 + 1 = 4 4 2 = a 2 2<br />

( 1<br />

s 8 = s 4 +<br />

5 + 1 6 + 1 7 + 1 ( 1<br />

> a<br />

8)<br />

2 2 +<br />

8 + 1 8 + 1 8 8)<br />

+ 1 = 5 2 = a 2 3<br />

.<br />

Allgemein ergibt sich nun durch vollständige Induktion<br />

Dies bedeutet aber<br />

s 2 n ≥ a 2 n = n+2 .<br />

2<br />

H = lim s 2<br />

n→∞ n ≥ lim a 2<br />

n→∞ n = lim n+2<br />

= +∞,<br />

n→∞ 2<br />

also divergieren die Teilsummen. Damit ist die harmonische Reihe divergent.<br />

Wir sehen bereits am Beweis der Divergenz der harmonischen Reihe, dass diese extrem langsam<br />

ist. In der Tat divergiert die harmonische Reihe gleich schnell wie der natürliche Logarithmus.<br />

Es ist<br />

γ = lim<br />

(1+ 1<br />

n→∞ 2 + 1 3 + 1 4 +···+ 1 )<br />

n −ln(n) = 0.577215664901532...<br />

die Euler-Mascheronische Konstante 2 .<br />

Wir können obigen Satz 12.3.1 negieren und erhalten das Korollar.<br />

Korollar 12.3.1. Ist<br />

so divergiert die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n.<br />

lim u n ≠ 0,<br />

n→∞<br />

2 Von ihr wissen die Mathematiker heute noch immer nicht, ob sie irrational (d.h. sie ist nicht ein Bruch<br />

zweier ganzen Zahlen), oder sogar transzendent (d.h. sie ist nicht Lösung einer polynomialen Gleichung mit<br />

ganzzahligen Koeffizienten) ist. Leonhard Euler schrieb sie 1734 noch mit dem Zeichen C, was einige Mathematiker<br />

(und Formelsammlungen) beibehalten haben. Ein jüngerer Zeitgenosse, der Geometer Lorenzo<br />

Mascheroni, benutzte bereits das Zeichen γ, das heute allgemein üblich ist. So ist auch der Name Euler-<br />

Mascheronische Konstante gebräuchlich. Sie spielt eine Rolle in der <strong>Analysis</strong> und der Zahlentheorie. Das<br />

war ein hinreichender Grund für die Zahlenknacker, sich ihrer anzunehmen. Im Jahre 1736 fand Euler schon<br />

5 und später 16 Stellen, 1790 glaubte Mascheroni 32 gefunden zu haben. Es waren aber nur deren 19 richtig.<br />

Im Oktober 1999 hatten X. Gourdon und P. Demichel mit einer HP J5000 und 2 Prozessoren 8500 (440 MHz)<br />

dann 108000000 Stellen geknackt. Sicher sind sich die Mathematiker deswegen aber immer noch nicht, ob in<br />

der Ziffernfolge keine Periode auftritt.


12.3. Konvergenzkriterien 237<br />

Alternierende Reihen<br />

Reihen mit streng wechselndem Vorzeichen heissen alternierende Reihen.<br />

Beispiel 12.3.3. Die Reihe<br />

∞∑ (−1) n+1<br />

= 1− 1 n 2 + 1 3 − 1 4 +−···<br />

n=1<br />

ist eine alternierende Reihe. Die so genannte alternierende harmonische Reihe.<br />

Für alternierende Reihen gibt es ein einziges Konvergenzkriterium, das notwendig und hinreichend<br />

ist.<br />

Satz 12.3.2 (Konvergenzkriterium von Leibniz). Eine alternierende Reihe<br />

∞∑<br />

(−1) n+1 u n = u 1 −u 2 +u 3 −u 4 +−···<br />

n=1<br />

mit u n ≥ 0 ist genau dann konvergent, wenn die absoluten Beträge der Glieder (−1) n+1 u n<br />

monoton gegen null konvergieren, d.h., wenn<br />

gilt.<br />

lim<br />

n→∞ |(−1)n+1 u n | = lim u n = 0<br />

n→∞<br />

Abbildung 12.3.i: Wilhelm Leibniz, 1646-1716<br />

IndiesemFall bildendieabsolutenBeträge |(−1) n+1 u n |derGlieder einemonotoneNullfolge.<br />

Der Beweis ergibt sich durch die Betrachtung des Schachtelvorgangs.<br />

Beispiel 12.3.4. Wir betrachten nun einige alternierende Reihen.<br />

a. Die alternierende harmonische Reihe<br />

ist konvergent, da lim n→∞<br />

∣ ∣∣ (−1) n+1<br />

n<br />

∞∑ (−1) n+1<br />

n=1<br />

n<br />

1<br />

∣ = lim n→∞ n = 0.


238 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

b. Die alternierende Reihe<br />

∞∑<br />

n=1<br />

(−1) n+1<br />

√ n<br />

ist konvergent, da lim n→∞<br />

∣ ∣∣ (−1) n+1<br />

√ n<br />

∣ ∣∣ = limn→∞<br />

1 √n = 0.<br />

c. Die alternierende Reihe<br />

ist divergent.<br />

∞∑<br />

cos(nπ) = 1−1+1−1+−···<br />

n=0<br />

Absolute Konvergenz<br />

Definition 12.3.1. Eine Reihe heisst absolut konvergent, wenn die Reihe der absoluten<br />

Beträge konvergiert.<br />

Korollar 12.3.2. Aus der absoluten Konvergenz folgt die gewöhnliche Konvergenz.<br />

Die Umkehrung des Korollars 12.3.2 ist falsch, denn die alternierende harmonische Reihe<br />

∑ ∞ (−1) n+1<br />

n=0 n<br />

konvergiert nach dem Konvergenzkriterium von Leibniz. Sie ist aber nicht absolut<br />

konvergent, da<br />

∞∑<br />

(−1) n+1<br />

∞ ∣ n ∣ = ∑ 1<br />

n<br />

n=1<br />

die divergente harmonische Reihe darstellt.<br />

Vergleichskriterien<br />

Wir können das Konvergenzverhalten einer Reihe untersuchen, indem wir ihre Glieder mit<br />

Gliedern von bekannten Reihen vergleichen.<br />

Definition 12.3.2. Es seien<br />

∞∑<br />

R = u n mit u n ≥ 0 für alle n ∈ R,<br />

S =<br />

n=1<br />

n=1<br />

∞∑<br />

v n mit v n ≥ 0 für alle n ∈ R.<br />

n=1<br />

Falls u n ≥ v n für alle n > n 0 ab einem bestimmten Index n 0 ∈ N gilt, so heisst R eine<br />

Majorante von S und S eine Minorante von R.<br />

Satz 12.3.3 (Majorantenkriterium). Besitzt eine Reihe ∑ ∞<br />

n=1 v n mit nichtnegativen Gliedern<br />

eine konvergente Majorante ∑ ∞<br />

n=1 u n, so ist sie konvergent.<br />

Ist insbesondere u n ≥ v n für alle n, also n 0 = 0 (oder n 0 = 1 je nach Reihe), so ist<br />

∞∑<br />

v n ≤<br />

n=1<br />

∞∑<br />

u n .<br />

n=1


12.3. Konvergenzkriterien 239<br />

v 1<br />

•<br />

v 6<br />

•<br />

•<br />

•<br />

u 1<br />

u 6<br />

n<br />

• • •<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

• •<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

n 0 = 4<br />

Abbildung 12.3.ii: Majorante ∑ ∞<br />

n=1 u n und Minorante ∑ ∞<br />

n=1 v n. Für alle n > n 0 gilt u n ≥ v n .<br />

Beispiel 12.3.5. Wir betrachten nun einige Anwendungen des Majorantenkriteriums.<br />

a. Untersuche die Reihe<br />

Für alle n ∈ N 0 gilt<br />

Die geometrische Reihe<br />

∞∑<br />

n=0<br />

ist somit eine konvergente Majorante.<br />

b. Untersuche die Reihe<br />

Für alle n ∈ N 0 gilt erneut<br />

1<br />

2 n +1 = 1 2 + 1 3 + 1 5 + 1 9 +··· .<br />

1<br />

2 n +1 < 1<br />

2 n.<br />

G( 1 2 ) = ∞ ∑<br />

∞∑<br />

n=0<br />

n=0<br />

1<br />

2 n = 2<br />

1<br />

2 n +n .<br />

1<br />

2 n +n ≤ 1<br />

2 n.<br />

Die geometrische Reihe ∑ ∞<br />

n=0 1<br />

2<br />

ist wieder eine konvergente Majorante. Wir könnten<br />

n<br />

aber auch folgendermassen argumentieren. Für alle n ∈ N gilt<br />

d.h., die harmonische Reihe ∑ ∞<br />

Majorante, was unnütz ist.<br />

n=1 1 n<br />

c. Wir betrachten die konvergente Majorante<br />

∞∑<br />

n=0<br />

1<br />

2 n +n ≤ 1 n ,<br />

ist eine Majorante. Dies ergibt aber eine divergente<br />

1<br />

∞<br />

3 n +n 2 ≤ ∑ 1<br />

3 n = 3 2 .<br />

n=0


240 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Satz 12.3.4 (Minorantenkriterium). Besitzt eine Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n mit nichtnegativen Gliedern<br />

u n eine divergente Minorante ∑ ∞<br />

n=1 v n mit nichtnegativen Gliedern v n , so ist sie divergent.<br />

Wie beim Majorantenkriterium genügt auch hier die Minoranteneigenschaft von einem bestimmten<br />

Index i ab, da das Ändern von endlich vielen Gliedern am Konvergenzverhalten<br />

nichts ändert.<br />

Beispiel 12.3.6. Wir betrachten nun einige Anwendungen des Minorantenkriteriums.<br />

a. Untersuche die Reihe<br />

Da für alle n ∈ N gilt<br />

∞∑<br />

n=1<br />

1<br />

√ n<br />

.<br />

1<br />

√ n<br />

≥ 1 n<br />

und die harmonische Reihe divergent ist, folgt, dass die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 1 √ n<br />

divergent ist.<br />

b. Untersuche die Reihe<br />

Da für alle n ∈ {2,3,4,...} gilt<br />

folgt, dass die Reihe ∑ ∞<br />

n=2<br />

1<br />

log(n)<br />

∞∑<br />

n=2<br />

1<br />

log(n) .<br />

1<br />

log(n) > 1 n ,<br />

divergent ist.<br />

Hier sehen wir die Wichtigkeit der konvergenten geometrischen Reihe als häufig benutzte<br />

Majorante und der divergenten harmonischen Reihe als häufig benutzte Minorante.<br />

Quotienten- und Wurzelkriterium<br />

Im Folgenden geben wir bequemere Kriterien an, um die Konvergenz einer Reihe zu testen.<br />

Satz 12.3.5 (Quotientenkriterium von d’Alembert). Die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n mit u n ≠ 0 sei<br />

gegeben.<br />

a. Gilt<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣ u n+1∣∣∣<br />

∣ < 1,<br />

u n<br />

so konvergiert die Reihe und zwar sogar absolut.<br />

b. Gilt<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣ u n+1∣∣∣<br />

∣ = 1,<br />

u n<br />

so kann nichts über die Konvergenz der Reihe ausgesagt werden.<br />

c. Gilt<br />

so divergiert die Reihe.<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣ u n+1∣∣∣<br />

∣ > 1,<br />

u n


12.3. Konvergenzkriterien 241<br />

Beispiel 12.3.7. Wir betrachten nun einige Anwendungen des Quotientenkriteriums.<br />

a. Untersuche die Reihe<br />

Wir betrachten den Quotienten<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣<br />

u n+1<br />

u n<br />

∣ ∣∣∣<br />

= lim<br />

n→∞<br />

also konvergiert die Reihe ∑ ∞<br />

n=0 n2<br />

n! .<br />

b. Untersuche die harmonische Reihe<br />

Wir betrachten den Quotienten<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣<br />

∞∑<br />

n=0<br />

(n+1) 2<br />

(n+1)!<br />

n 2<br />

n!<br />

u n+1<br />

u n<br />

∣ ∣∣∣<br />

= lim<br />

n→∞<br />

∞∑<br />

n=1<br />

n 2<br />

n! .<br />

1<br />

n .<br />

1<br />

n+1<br />

1<br />

n<br />

n+1<br />

= lim<br />

n→∞ n 2 = 0 < 1,<br />

n<br />

= lim<br />

n→∞ n+1 = 1.<br />

HieristkeineAussagemöglich. WirwissenaberausBeispiel12.3.2,dassdieharmonische<br />

Reihe divergiert.<br />

c. Untersuche die negative alternierende harmonische Reihe<br />

Wir betrachten den Quotienten<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣ u n+1∣∣∣<br />

∣ = lim<br />

u n n→∞<br />

∞∑<br />

n=1<br />

∣<br />

(−1) n<br />

n .<br />

(−1) n+1<br />

n+1<br />

(−1) n<br />

n<br />

∣ = lim<br />

n→∞<br />

n<br />

n+1 = 1.<br />

Hier ist auch keine Aussage möglich. Wir wissen aber aus Beispiel 12.3.4a, dass die<br />

negative alternierende harmonische Reihe konvergiert.<br />

d. Untersuche die Reihe<br />

Wir betrachten den Quotienten<br />

lim<br />

n→∞<br />

∣<br />

u n+1<br />

u n<br />

∣ ∣∣∣<br />

= lim<br />

n→∞<br />

∞∑<br />

n=1<br />

3 n<br />

n2 n.<br />

3 n+1<br />

(n+1)2 n+1<br />

3 n<br />

n2 n<br />

also divergiert die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 3n<br />

n2 n bestimmt.<br />

= lim<br />

n→∞<br />

3 n<br />

2n+1 = 3 2 > 1,<br />

Satz 12.3.6 (Wurzelkriterium von Cauchy). Die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n sei gegeben.


242 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

a. Gilt<br />

lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n<br />

|un | < 1,<br />

so konvergiert die Reihe und zwar sogar absolut.<br />

b. Gilt<br />

lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n |un | = 1,<br />

so kann nichts über die Konvergenz der Reihe ausgesagt werden.<br />

c. Gilt<br />

so divergiert die Reihe.<br />

lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n<br />

|un | > 1,<br />

Beispiel 12.3.8. Wir betrachten nun einige Anwendungen des Wurzelkriteriums.<br />

a. Untersuche die Reihe<br />

Wir betrachten die n-te Wurzel<br />

∞∑<br />

n=1<br />

1<br />

n n.<br />

lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n |un | = lim<br />

n→∞<br />

also konvergiert die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 1<br />

n n .<br />

√ ∣∣∣∣<br />

1<br />

n<br />

∣ ∣∣∣ 1<br />

n n = lim<br />

n→∞ n = 0 < 1<br />

b. Untersuche die Reihe<br />

Wir betrachten die n-te Wurzel<br />

∞∑<br />

n=0<br />

2+(−1) n<br />

2 n .<br />

lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n<br />

|un | = lim<br />

n→∞<br />

√ ∣∣∣∣<br />

2+(−1) n<br />

n<br />

2 n ∣ ∣∣∣<br />

= lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n 2+(−1) n<br />

2 n .<br />

Es folgt<br />

für alle n ∈ N und da<br />

√ √ √<br />

n 1 2+(−1)<br />

2 n ≤ n 3<br />

n<br />

2 n ≤ n 2 n.<br />

folgt<br />

√<br />

1<br />

2 = lim<br />

n 1<br />

n→∞ 2 n ≤ lim<br />

n→∞<br />

lim<br />

n→∞<br />

Also konvergiert die Reihe ∑ ∞ 2+(−1) n<br />

n=0 2<br />

. n<br />

√<br />

2+(−1) n<br />

n<br />

√<br />

n 3<br />

2 n ≤ lim<br />

n→∞ 2 n = 1 2 ,<br />

√<br />

n |un | = 1 2 < 1.


12.3. Konvergenzkriterien 243<br />

Mit dem Quotientenkriterium hätten wir<br />

∣ ∣ { u n+1∣∣∣<br />

2+(−1) n+1 ∣∣∣∣<br />

2<br />

∣ =<br />

n+1<br />

= 1 2+(−1) n+1<br />

1<br />

u n ∣ 2+(−1) n<br />

2 2+(−1) n = 6<br />

falls n gerade<br />

2 n 3<br />

2<br />

falls n ungerade<br />

erhalten. Es ist folglich kein Entscheid möglich, da der Grenzwert des Quotienten nicht<br />

existiert. Das Wurzelkriterium ist allgemein besser als das Quotientenkriterium.<br />

Abbildung 12.3.iii: Jean le Rond<br />

d’Alembert, 1717-1783<br />

Abbildung 12.3.iv: Augustin Louis<br />

Cauchy, 1789-1857<br />

Wichtige Grenzwerte<br />

Bei der Anwendung des Wurzelkriteriums verwenden wir häufig die folgenden drei wichtigen<br />

Grenzwerte. Es sei a eine beliebige positive reelle Zahl, dann gilt<br />

(a)<br />

(b)<br />

(c)<br />

lim<br />

n→∞<br />

lim<br />

n→∞<br />

n√ a = lim<br />

n→∞ eln(a) n = e 0 = 1<br />

n√ n = lim<br />

n→∞ eln(n) n = e 0 = 1<br />

lim<br />

n→∞<br />

n√<br />

n! = +∞<br />

BeiderHerleitungdesletztenGrenzwertesbenutzenwirdiefolgendesehrgrobeAbschätzung.<br />

Es sei n einfachheitshalber eine gerade Zahl, dann gilt<br />

n! = 1·2·3···(n<br />

2 −1) (<br />

n n<br />

2 2 +1)···n ≥ 1·1·1···1· n<br />

2 · n<br />

2 ··· n<br />

2 = ( )n<br />

n 2<br />

2<br />

.<br />

Also folgt<br />

lim<br />

n→∞<br />

√ (n )n<br />

n√<br />

n 2<br />

n! ≥ lim<br />

n→∞ 2<br />

n<br />

)1<br />

2<br />

= lim<br />

n→∞(<br />

2<br />

= +∞.<br />

Falls n ungerade ist, erhalten wir die Abschätzung n! ≥ ( )n+1<br />

n+1 2<br />

2<br />

.


244 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Allgemeines Vorgehen<br />

Um die Frage zu beantworten, ob die gegebene Reihe<br />

∞∑<br />

n=1<br />

konvergiert oder divergiert haben wir nun fünf Kriterien zur Auswahl, die wir anwenden<br />

können. Ein sinnvolles Vorgehen ist in nachfolgendem Diagramm dargestellt:<br />

u n<br />

Ist ∑ ∞<br />

n=1 u n konvergent?<br />

Ist lim n→∞ u n = 0 ?<br />

nein<br />

divergent<br />

ja<br />

Ist ∑ ∞<br />

n=1 u n alternierend?<br />

nein<br />

ja<br />

Konvergenzkriterium von Leibniz<br />

Gibt Quotienten- oder Wurzelkriterium Antwort?<br />

nein<br />

Majoranten- oder Minorantenkriterium<br />

Abbildung 12.3.v: Vorgehen zur Beantwortung der Frage, ob die Reihe ∑ ∞<br />

n=1 u n konvergiert<br />

oder divergiert.<br />

12.4 Konvergenzverhalten der hyperharmonischen Reihe<br />

Wir betrachten eine Verallgemeinerung der harmonischen Reihe, die so genannte hyperharmonischen<br />

Reihe<br />

∞∑ 1<br />

n α,<br />

wobei α ∈ R mit α > 0.<br />

n=1<br />

Satz 12.4.1 (Konvergenzverhalten der hyperharmonischen Reihe). Die hyperharmonische<br />

Reihe<br />

∞∑ 1<br />

n α<br />

n=1<br />

ist konvergent für α > 1 und divergent für 0 < α ≤ 1.


12.4. Konvergenzverhalten der hyperharmonischen Reihe 245<br />

Beweis. Wir verdichten die hyperharmonische Reihe und majorisieren sie mit einer geometrischen<br />

Reihe wie folgt<br />

∞∑<br />

n=1<br />

(<br />

1 1<br />

n α = 1+ 2 α + 1 ) ( 1<br />

3 α +<br />

4 α + 1<br />

5 α + 1<br />

6 α + 1 ) ( 1<br />

7 α +<br />

8 α + 1<br />

9 α +···<br />

< 1+ 1<br />

2 α + 1<br />

2 α + 1<br />

4 α + 1<br />

4 α + 1<br />

4 α + 1<br />

4 α + 1<br />

8 α + 1<br />

8 α +···<br />

= 1+ 1<br />

2 α−1 + 1<br />

4 α−1 + 1 +···<br />

8α−1 = 1+ 1<br />

2 α−1 + 1<br />

(2 2 ) α−1 + 1<br />

(2 3 +···<br />

) α−1<br />

= 1+ 1<br />

2 α−1 + 1<br />

(2 α−1 ) 2 + 1<br />

(2 α−1 ) 3 +···<br />

( ) 1<br />

= G<br />

2 α−1 .<br />

Damit die majorisierende geometrische Reihe konvergiert, muss<br />

1<br />

2 α−1 < 1<br />

gelten, was wiederum α > 1 impliziert. Dies beweist die Konvergenz der hyperharmonische<br />

Reihe für α > 1. Für α = 1 erhalten wir die divergente harmonische Reihe. Wenn 0 < α ≤ 1<br />

können wir die hyperharmonische Reihe mit der divergenten harmonische Reihe minorisieren.<br />

<br />

•<br />

•<br />

•<br />

<br />

α = 2<br />

α = 1 2<br />

•<br />

•<br />

•<br />

• •<br />

•<br />

α =<br />

•<br />

• 1<br />

• • •<br />

•<br />

• • •<br />

•<br />

•<br />

•<br />

• • • <br />

• • • • <br />

•<br />

<br />

n<br />

Abbildung12.4.i: Die hyperharmonische Reihe dargestellt für verschiedene α. Je grösser α ist,<br />

desto schneller fallen die einzelnen Glieder u n = 1<br />

n<br />

gegen null ab. Die Grenze der Konvergenz<br />

α<br />

liegt genau bei α = 1, was der divergenten harmonischen Reihe entspricht.


246 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Aufgaben<br />

Untersuchen Sie die folgenden Reihen auf Konvergenz. Geben Sie jeweils das verwendete<br />

Kriterium an.<br />

Aufgabe 12.4.1.<br />

Aufgabe 12.4.10.<br />

∞∑ log(n)<br />

∞∑ 1<br />

2 n n( √ n 2 +n−n)<br />

∞∑ 6 n<br />

∞∑ (arctan(n)) n<br />

n!<br />

n=1<br />

n=1<br />

2 n<br />

Aufgabe 12.4.2.<br />

Aufgabe 12.4.11.<br />

∞∑ n 3<br />

∞∑ 2+(−1) n<br />

2 n<br />

n=1<br />

n=1<br />

n 2<br />

Aufgabe 12.4.3.<br />

Aufgabe 12.4.12.<br />

∞∑ n!<br />

n n<br />

n=1<br />

∞∑ n!<br />

100 n<br />

n=0<br />

Aufgabe 12.4.4.<br />

Aufgabe 12.4.13.<br />

∞∑<br />

( 1<br />

∞∑<br />

cos<br />

(−1)<br />

n)<br />

( n√ 2−1)<br />

n=1<br />

n=1<br />

Aufgabe 12.4.5.<br />

√ ∞∑<br />

√ n+1− n<br />

Aufgabe 12.4.14.<br />

∞∑ 1+2+3+···+n<br />

n=1<br />

n<br />

n=1<br />

n 3<br />

Aufgabe 12.4.6.<br />

Aufgabe 12.4.15.<br />

∞∑<br />

(−1) n+1 3√ 1<br />

√ ∞∑<br />

n 1<br />

n=1 n<br />

n<br />

n=1<br />

Aufgabe 12.4.7.<br />

∞∑ 1<br />

Aufgabe 12.4.16.<br />

∞∑ sin(3 n )<br />

2n−1<br />

n=0<br />

Aufgabe 12.4.8.<br />

n=0<br />

Aufgabe 12.4.17.<br />

3 n<br />

∞∑ 1<br />

∞∑ (n−1)!(n+3)!3 n<br />

n(n+1)<br />

n=1<br />

n=1<br />

(2n)!<br />

Aufgabe 12.4.9.<br />

Aufgabe 12.4.18.<br />

n=1<br />

n=1


12.5. Potenzreihen 247<br />

Zu den folgenden Reihen bestimmen Sie zuerst die allgemeinen Formeln und dann das Konvergenzverhalten.<br />

Aufgabe 12.4.19. R = 1 4 + 1<br />

10 + 1<br />

28 + 1<br />

82 +···<br />

Aufgabe 12.4.20. R = 1+ 1 √<br />

2<br />

+ 1 √<br />

3<br />

+ 1 √<br />

4<br />

+···<br />

Aufgabe 12.4.21. R = 1+ 23<br />

2! + 33<br />

3! + 43<br />

4! +···<br />

Aufgabe 12.4.22. R = 1+2+ 22<br />

2! + 23<br />

3! + 24<br />

4! +···<br />

Aufgabe 12.4.23. R = 1<br />

1·2 + 1<br />

3·2 3 + 1<br />

5·2 5 +···<br />

Aufgabe 12.4.24. R = 1+ 3 2! + 5 3! + 7 4! +···<br />

Lösungen<br />

Lösung 12.4.1. konvergent<br />

Lösung 12.4.2. konvergent<br />

Lösung 12.4.3. konvergent<br />

Lösung 12.4.4. divergent<br />

Lösung 12.4.5. konvergent<br />

Lösung 12.4.6. konvergent<br />

Lösung 12.4.7. divergent<br />

Lösung 12.4.8. konvergent<br />

Lösung 12.4.9. konvergent<br />

Lösung 12.4.10. konvergent<br />

Lösung 12.4.11. konvergent<br />

Lösung 12.4.12. divergent<br />

Lösung 12.4.13. konvergent<br />

Lösung 12.4.14. divergent<br />

Lösung 12.4.15. divergent<br />

Lösung 12.4.16. konvergent<br />

Lösung 12.4.17. konvergent<br />

Lösung 12.4.18. divergent<br />

Lösung 12.4.19. konvergent<br />

Lösung 12.4.20. divergent<br />

Lösung 12.4.21. konvergent<br />

Lösung 12.4.22. konvergent<br />

Lösung 12.4.23. konvergent<br />

Lösung 12.4.24. konvergent<br />

12.5 Potenzreihen<br />

Reihen der folgenden Form heissen Potenzreihen<br />

∞∑<br />

P(x) = a n x n = a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +··· ,<br />

n=0


248 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

wobei alle a n ∈ R oder C und x eine unabhängige Variable ist. Konvergiert die Potenzreihe,<br />

so hängt der Summenwert von x ab und stellt somit eine Funktion von x dar. Für jedes x<br />

stellt die Potenzreihe eine Reihe im bisherigen Sinn dar.<br />

Beispiel 12.5.1. Wir betrachten die geometrische Reihe<br />

G(x) =<br />

∞∑<br />

x n .<br />

Dabei handelt es sich um eine Potenzreihe mit a n = 1 für alle n ∈ N 0 . Für |x| < 1 gilt die<br />

Summenformel<br />

∞∑<br />

P(x) = x n = 1<br />

1−x .<br />

n=0<br />

Alle Potenzreihen konvergieren fürx = 0, dennP(0) = ∑ ∞<br />

n=0 a n0 n = 0. Oftstellt sich aberdie<br />

Frage bei einer gegebenen Potenzreihe herauszufinden für welche Werte von x die Potenzreihe<br />

konvergiert. Dazu haben wir den Satz.<br />

Satz 12.5.1 (Konvergenzsatz für Potenzreihen). Konvergiert die Potenzreihe<br />

P(x) =<br />

n=0<br />

∞∑<br />

a n x n<br />

für x = x 0 , so konvergiert sie für alle x-Werte mit −x 0 < x < x 0 sogar absolut.<br />

n=0<br />

Der Beweis des Konvergenzsatzes für Potenzreihen erfolgt mit den Vergleichskriterien.<br />

Die obere Grenze aller Werte von |x|, für die P(x) konvergiert, heisst Konvergenzradius<br />

r von P(x). Der Konvergenzradius r kann je nach Reihe zwischen 0 und +∞ liegen. Das<br />

Konvergenzverhalten für die Randpunkte des Konvergenzintervalls |x| = r ist bei jeder Reihe<br />

anders. Es ist speziell zu untersuchen.<br />

Beispiel 12.5.2. Die geometrische Reihe<br />

P(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

x n = 1<br />

1−x<br />

hat denKonvergenzradius r = 1. IndenRandpunktendes Konvergenzintervalls herrschtkeine<br />

Konvergenz.<br />

Beispiel 12.5.3. Die Polynomfunktion<br />

P(x) = a 0 +a 1 x+···+a n x n<br />

ist eine spezielle Potenzreihe mit a k = 0 für alle k > n. Da eine Polynomfunktion auf ganz R<br />

definiert ist, haben wir den Konvergenzradius r = ∞.<br />

Nun lernen wir einige wirksame Methoden kennen, die uns helfen den Konvergenzradius einer<br />

Potenzreihe ∑ ∞<br />

n=0 a nx n = ∑ ∞<br />

n=0 u n zu bestimmen.


12.5. Potenzreihen 249<br />

1. Mit dem Quotientenkriterium von d’Alembert: Wir betrachten<br />

∣ lim<br />

u n+1∣∣∣<br />

n→∞∣<br />

= lim<br />

a n+1 x n+1 ∣ ∣ ∣∣∣ u n n→∞∣<br />

a n x n = lim<br />

a n+1∣∣∣<br />

n→∞∣<br />

|x|.<br />

a n<br />

Nun wissen wir, dass die Reihe absolut konvergiert, falls der Grenzwert kleiner ist als<br />

1, also folgt<br />

∣<br />

1<br />

|x| < ∣ ∣ ∣∣ a<br />

lim n+1∣∣<br />

= lim<br />

a n ∣∣∣<br />

n→∞∣<br />

= r<br />

a n→∞ n+1<br />

a n<br />

2. Mit dem Wurzelkriterium von Cauchy: Wir betrachten<br />

lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n |un | = lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n |an x n | = lim<br />

n→∞<br />

√<br />

n |an ||x|.<br />

Nun wissen wir, dass die Reihe absolut konvergiert, falls der Grenzwert kleiner ist als<br />

1, also folgt<br />

1<br />

|x| <<br />

lim √ n n→∞ |a n | = r<br />

Diese beiden Kriterien helfen uns den Konvergenzradius zu berechnen.<br />

Beispiel 12.5.4. Wir betrachten nun einige Berechnungen des Konvergenzradius.<br />

a. Untersuche die Potenzreihe<br />

Mit dem Quotientenkriterium folgt<br />

r = lim<br />

∣<br />

n→∞<br />

P(x) =<br />

a n<br />

∞∑<br />

n=1<br />

x n<br />

n .<br />

a n+1<br />

∣ ∣∣∣<br />

= lim<br />

n→∞<br />

n+1<br />

n<br />

= 1.<br />

Nun untersuchen wir die beiden Randpunkte einzeln:<br />

• Am rechten Randpunktx = 1 des Konvergenzintervalls haben wir die harmonische<br />

Reihe<br />

∞∑ 1<br />

P(1) =<br />

n ,<br />

die divergent ist.<br />

• AmlinkenRandpunktx = −1desKonvergenzintervalls habenwirdiealternierende<br />

harmonische Reihe<br />

∞∑ (−1) n<br />

P(−1) =<br />

n ,<br />

die konvergent ist.<br />

n=1<br />

n=1<br />

Somit konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈ [−1,1[.


250 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

b. Untersuche die Potenzreihe<br />

Mit dem Quotientenkriterium folgt<br />

r = lim<br />

∣<br />

n→∞<br />

P(x) =<br />

a n<br />

∞∑<br />

n=1<br />

a n+1<br />

∣ ∣∣∣<br />

= lim<br />

n→∞<br />

x n<br />

n 2.<br />

Nun untersuchen wir die beiden Randpunkte einzeln:<br />

(n+1) 2<br />

n 2 = 1.<br />

• Am rechten Randpunkt x = 1 des Konvergenzintervalls haben wir die hyperharmonische<br />

Reihe<br />

∞∑ 1<br />

P(1) =<br />

n 2,<br />

mit α = 2, die konvergent ist.<br />

• AmlinkenRandpunktx = −1desKonvergenzintervalls habenwirdiealternierende<br />

Reihe<br />

∞∑ (−1) n<br />

P(−1) =<br />

n 2 ,<br />

n=1<br />

n=1<br />

die nach dem Kriterium von Leibniz konvergent ist.<br />

Somit konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈ [−1,1].<br />

c. Betrachte die Potenzreihe<br />

P(x) =<br />

Mit dem Quotientenkriterium folgt<br />

∣ r = lim<br />

a n ∣∣∣ (n+1) n+1<br />

n→∞∣<br />

= lim<br />

a n+1 n→∞ n n<br />

∞∑<br />

n=1<br />

Somit konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈ R.<br />

d. Betrachte die Potenzreihe<br />

Mit dem Wurzelkriterium folgt<br />

r =<br />

P(x) =<br />

x n<br />

n n.<br />

(<br />

= lim 1+ 1 n<br />

(n+1) = e·∞ = ∞.<br />

n→∞ n)<br />

∞∑<br />

n=0<br />

x n<br />

2 n.<br />

1<br />

lim √ n n→∞ |a n | = 1<br />

√ = 2.<br />

n 1<br />

lim n→∞ 2 n<br />

Nun untersuchen wir die beiden Randpunkte einzeln:<br />

• Am rechten Randpunkt x = 2 des Konvergenzintervalls haben wir die Reihe<br />

die divergent ist.<br />

P(2) =<br />

∞∑ 2 n ∞ 2 n = ∑<br />

1,<br />

n=0<br />

n=0


12.5. Potenzreihen 251<br />

• AmlinkenRandpunktx = −2desKonvergenzintervalls habenwirdiealternierende<br />

Reihe<br />

∞∑ (−2) n ∞∑ (−1) n 2 n ∞∑<br />

P(−2) =<br />

2 n =<br />

2 n = (−1) n ,<br />

die divergent ist.<br />

n=0<br />

n=0<br />

Somit konvergiert die Potenzreihe für alle x ∈]−2,2[.<br />

n=0<br />

Aufgaben<br />

Bestimmen Sie die Konvergenzradien der folgenden Potenzreihen. Untersuchen Sie ferner die<br />

Randpunkte auf Konvergenz.<br />

Aufgabe 12.5.1.<br />

Aufgabe 12.5.2.<br />

Aufgabe 12.5.3.<br />

P(x) =<br />

P(x) =<br />

P(x) =<br />

Aufgabe 12.5.4.<br />

P(x) =<br />

∞∑<br />

n=1<br />

∞∑<br />

nx n<br />

n=1<br />

∞∑<br />

n=0<br />

∞∑<br />

n=1<br />

x n<br />

n!<br />

n n<br />

2 nxn<br />

( 1<br />

sin<br />

n)<br />

Aufgabe 12.5.5.<br />

∞∑<br />

P(x) = (2+(−1) n )x n<br />

n=0<br />

Aufgabe 12.5.6.<br />

∞∑ x n<br />

P(x) = √<br />

n=1 n<br />

Aufgabe 12.5.7.<br />

∞∑ 3 n<br />

P(x) =<br />

n+1 xn<br />

n=0<br />

Aufgabe 12.5.8.<br />

√ ∞∑ n!<br />

x n P(x) =<br />

10 n xn<br />

Bestimmen Sie die Konvergenzradien der folgenden Potenzreihen.<br />

n=1<br />

Aufgabe 12.5.9.<br />

Aufgabe 12.5.11.<br />

∞∑<br />

∞∑<br />

P(x) = cos(n)x n<br />

P(x) =<br />

n=0<br />

n=0<br />

Aufgabe 12.5.10.<br />

Aufgabe 12.5.12.<br />

∞∑ n n<br />

∞∑<br />

P(x) =<br />

n! xn P(x) =<br />

n=1<br />

n=0<br />

(2n)!<br />

(n!) 2xn<br />

n 3 +5 n<br />

n 2 +10 nxn


252 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Aufgabe 12.5.13. Es sei a > 1. Bestimmen Sie den Konvergenzradius der folgenden Potenzreihe<br />

und untersuchen Sie die Randpunkte auf Konvergenz<br />

Lösungen<br />

P(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

n!<br />

a n2 x n .<br />

Lösung 12.5.1. Konvergenzradius r = 1, für x = −1 divergent und für x = 1 divergent.<br />

Lösung 12.5.2. Konvergenzradius r = ∞<br />

Lösung 12.5.3. Konvergenzradius r = 0<br />

Lösung 12.5.4. Konvergenzradius r = 1, für x = −1 konvergent und für x = 1 divergent.<br />

Lösung 12.5.5. Konvergenzradius r = 1, für x = −1 divergent und für x = 1 divergent.<br />

Lösung 12.5.6. Konvergenzradius r = 1, für x = −1 konvergent und für x = 1 divergent.<br />

Lösung 12.5.7. Konvergenzradius r = 1 3 , für x = −1 3 konvergent und für x = 1 3 divergent.<br />

Lösung 12.5.8. Konvergenzradius r = 0<br />

Lösung 12.5.9. Konvergenzradius r = 1<br />

Lösung 12.5.10. Konvergenzradius r = 1 e<br />

Lösung 12.5.11. Konvergenzradius r = 1 4<br />

Lösung 12.5.12. Konvergenzradius r = 2<br />

Lösung 12.5.13. Konvergenzradius r = ∞<br />

12.6 Hauptsatz über Potenzreihen<br />

Satz 12.6.1 (Hauptsatz über Potenzreihen). Jede Potenzreihe<br />

f(x) =<br />

∞∑<br />

a n x n<br />

n=0<br />

darf innerhalb des Konvergenzbereichs gliedweise differenziert und integriert werden, und es<br />

gilt<br />

∞∑<br />

f ′ (x) = na n x n−1<br />

und<br />

∫<br />

F(x) =<br />

n=1<br />

f(x)dx =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

a n<br />

n+1 xn+1 +C,<br />

wobei C ∈ R eine Integrationskonstante ist. Die beiden Potenzreihen f ′ (x) und F(x) haben<br />

den gleichen Konvergenzradius wie die ursprüngliche Potenzreihe f(x). Hingegen kann das<br />

Konvergenzverhalten in den Randpunkten verschieden sein.<br />

Der Beweis ist in [13] zu finden.


12.7. Taylorreihe einer Funktion 253<br />

12.7 Taylorreihe einer Funktion<br />

Es soll zu einer gegebenen Funktion f eine Potenzreihe bestimmt werden, so dass im Konvergenzintervall<br />

gilt<br />

∞∑<br />

f(x) = a n x n .<br />

Dazu verwenden wir den Hauptsatz über Potenzreihen 12.6.1. Dann folgt<br />

n=0<br />

f(x) = a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +a 4 x 4 +··· , f(0) = a 0 , a 0 = f(0)<br />

f ′ (x) = a 1 +2a 2 x+3a 3 x 2 +4a 4 x 3 +··· , f ′ (0) = a 1 , a 1 = f ′ (0)<br />

f ′′ (x) = 2a 2 +6a 3 x +12a 4 x 2 +··· , f ′′ (0) = 2a 2 , a 2 = 1 2 f′′ (0)<br />

f ′′′ (x) = 6a 3 +24a 4 x +··· , f ′′′ (0) = 6a 3 , a 3 = 1 6 f′′′ (0)<br />

und allgemein<br />

f (n) (0) = n!a n , a n = 1 n! f(n) (0).<br />

Kennen wir also f und die Ableitungen aller Ordnungen im Nullpunkt, so lässt sich f als<br />

Reihe darstellen.<br />

Satz 12.7.1 (Maclaurinsche Form der Taylorreihe). Es sei f eine unendlich oft differenzierbare<br />

Funktion, dann gilt<br />

∞∑ f (n) (0)<br />

f(x) = x n .<br />

n!<br />

n=0<br />

Abbildung 12.7.i: Maclaurin Colin, 1698-<br />

1746<br />

Abbildung 12.7.ii: Taylor Brook, 1685-<br />

1731<br />

Daraus folgt insbesondere die erstaunliche Tatsache, dass eine Funktion global durch ihr<br />

Verhalten und das Verhältnis ihrer Ableitungen im Nullpunkt bestimmt ist.<br />

Beispiel 12.7.1. Wir betrachten nun einige Taylorreihen.<br />

a. Bestimme die Taylorreihe der Funktion<br />

f(x) = e x .


254 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Für alle n ∈ N 0 gilt bekanntlich f (n) (x) = e x , also folgt f (n) (0) = 1. Damit ist die<br />

Taylorreihe der Exponentialfunktion<br />

e x =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

Der Konvergenzradius beträgt r = +∞. Mit dieser Taylorreihe können wir nun die<br />

Eulersche Zahl e auf beliebig viele Stellen genau berechnen 3 , da gilt<br />

e =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

x n<br />

n! .<br />

1<br />

n! = 1 0! + 1 1! + 1 2! + 1 3! + 1 4! + 1 5! +···<br />

= 2.7182818284590452353602874713526624977572470937000...<br />

b. Bestimme die Taylorreihe der Funktion<br />

f(x) = e −x .<br />

Für alle n ∈ N 0 gilt f (n) (x) = (−1) n e −x , also folgt f (n) (0) = (−1) n . Damit wird<br />

e −x =<br />

Der Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

c. Bestimme die Taylorreihe der Funktion<br />

∞∑ (−1) n<br />

x n .<br />

n!<br />

n=0<br />

f(x) = sin(x).<br />

Wir berechnen die Ableitungen der Sinusfunktion an der Stelle x = 0. Für alle n ∈ N 0<br />

gilt<br />

f (4n) (x) = sin(x), f (4n) (0) = 0,<br />

f (4n+1) (x) = cos(x), f (4n+1) (0) = 1,<br />

f (4n+2) (x) = −sin(x), f (4n+2) (0) = 0,<br />

f (4n+3) (x) = −cos(x), f (4n+3) (0) = −1.<br />

Damit ist die Taylorreihe der Sinusfunktion<br />

sin(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

(−1) n<br />

(2n+1)! x2n+1 .<br />

3 Mathematiker früherer Jahrhunderte zeigten grossen Ehrgeiz in der expliziten Berechnung von e. Euler<br />

schaffte 1748 schon 23 Stellen. Im Jahre 1884 lag der Rekord bei 346 Stellen, den John von Neumann 1949<br />

mit dem ENIAC-Rechner auf 2010 Stellen hochschraubte. Danach boomten die Dezimalstellen. X. Gourdon und<br />

S. Kondo kamen mit einem Programm PiFast33 im August 2000 auf 12.8 Milliarden Stellen. Das dauerte<br />

immerhin 167 Stunden mit einem PentiumIII 800 Rechner.<br />

Die Zahl e ist eine transzendente Zahl, d.h., sie ist nicht Lösung einer polynomialen Gleichung mit ganzzahligen<br />

Koeffizienten.


12.8. Geometrische Bedeutung der Taylorreihe 255<br />

Da nicht alle a n ungleich null sind, ist der Konvergenzradius mit dem Wurzelkriterium<br />

zu bestimmen. Es gilt<br />

n√<br />

n! = +∞.<br />

lim<br />

n→∞<br />

Mit dem Wurzelkriterium finden wir nun den Konvergenzradius<br />

1<br />

r =<br />

lim √ n n→∞ |a n | = 1<br />

√<br />

n<br />

lim 1 n→∞ (2n+1)!<br />

= +∞.<br />

Der Konvergenzradius beträgtr = +∞. Für kleines x könnenwir nunsin(x) ≈ x setzen,<br />

da die Terme höherer Ordnung in der Taylorreihe des Sinus vernachlässigbar sind.<br />

d. Die Taylorreihenentwicklung einer Polynomfunktion<br />

p(x) = a 0 +a 1 x+···+a n x n<br />

bricht natürlich nach dem n-ten Glied ab und ist die Polynomfunktion selber.<br />

Nicht jede Funktion hat eine Maclaurinsche Reihe. Zum Beispiel besitzen die folgenden Funktionen<br />

keine:<br />

1<br />

x , x 2 −1<br />

, log(x), ...<br />

x<br />

Dies weil ihre Ableitungen im Nullpunkt nicht existieren. Wir werden in Kapitel 12.12 sehen,<br />

wie diese Funktionen in Reihen zu entwickeln sind.<br />

12.8 Geometrische Bedeutung der Taylorreihe<br />

Es sei<br />

f(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

f (n) (0)<br />

x n<br />

n!<br />

die Taylorreihe einer gegebenen Funktion f. Dann definieren wir die Polynomfunktionen<br />

Nun sehen wir, dass<br />

P 0 (x) = f(0),<br />

P 1 (x) = f(0)+ f′ (0)<br />

x,<br />

1!<br />

P 2 (x) = f(0)+ f′ (0)<br />

1!<br />

.<br />

P m (x) =<br />

m∑<br />

n=0<br />

f (n) (0)<br />

x n .<br />

n!<br />

x+ f′′ (0)<br />

x 2 ,<br />

2!<br />

• P 0 mit f im Nullpunkt nur die Ordinate gemeinsam hat,<br />

• P 1 mit f im Nullpunkt zusätzlich die Tangente gemeinsam hat und<br />

• P 2 mit f im Nullpunkt zusätzlich die Krümmung gemeinsam hat.


256 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Allgemein schmiegen sich die Polynomfunktionenskurven y = P m (x) der Funktionskurve y =<br />

f(x) immer besser an.<br />

Beispiel 12.8.1. Betrachten wir noch einmal die Taylorreihe der Sinusfunktion<br />

sin(x) =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

(−1) n<br />

(2n+1)! x2n+1 .<br />

aus Beispiel 12.7.1c. Dann erhalten wir sukzessive die Polynomfunktionen.<br />

P 0 (x) = 0,<br />

P 1 (x) = x,<br />

P 3 (x) = x− 1 3! x3 ,<br />

P 5 (x) = x− 1 3! x3 + 1 5! x5 ,<br />

P 7 (x) = x− 1 3! x3 + 1 5! x5 − 1 7! x7 ,<br />

P 9 (x) = x− 1 3! x3 + 1 5! x5 − 1 7! x7 + 1 9! x9 ,<br />

.<br />

y = P 7 (x)<br />

y<br />

y = P 1 (x)<br />

y = P 9 (x)<br />

y = sin(x)<br />

x<br />

y = P 5 (x)<br />

y = P 3 (x)<br />

Abbildung 12.8.i: Anschmiegeverhalten der Taylorapproximation an die Sinuskurve im Ursprung<br />

12.9 Allgemeine Form der Taylorreihe<br />

Interessieren wir uns nicht für eine Reihenentwicklung bei x = 0, sondern für eine bei x = a,<br />

so müssen wir die Taylorreihe verallgemeinern. Wir erhalten die allgemeine Form der<br />

Taylorreihe<br />

∞∑ f (n) (a)<br />

f(x) = (x−a) n<br />

n!<br />

n=0


12.9. Allgemeine Form der Taylorreihe 257<br />

mit Entwicklungspunkt an der Stelle x = a. Für a = 0 entsteht erneut die Maclaurinsche<br />

Form der Taylorreihe. Haben wir in diesem Fall einen Konvergenzradius von r berechnet,<br />

dann konvergiert die Reihe im offenen Intervall ]a−r,a+r[ absolut. Die Randpunkte a−r<br />

und a+r müssen wiederum separat untersucht werden.<br />

Beispiel 12.9.1. Wir betrachten nun einige Taylorreihen mit Entwicklungspunkt nicht im<br />

Ursprung.<br />

a. Entwickle die Taylorreihe der Funktion<br />

f(x) = e x<br />

im Punkt a = 1. Die Maclaurinsche Form der Taylorreihe der Exponentialfunktion ist<br />

gemäss Beispiel 12.7.1a<br />

Also folgt<br />

e x =<br />

e x =<br />

∞∑<br />

n=0<br />

∞∑<br />

n=0<br />

f (n) (1)<br />

n!<br />

wiederum mit Konvergenzradius r = +∞.<br />

f (n) (0)<br />

x n =<br />

n!<br />

(x−1) n = e<br />

∞∑<br />

n=0<br />

e 0<br />

n! xn .<br />

∞∑ (x−1) n<br />

,<br />

n!<br />

n=0<br />

b. Entwickle die ersten paar Glieder der Taylorreihe der Funktion<br />

f(x) = cot(x)<br />

im Punkt a = π 2 . Dazu berechnen wir die vier ersten Ableitungen im Punkt x = π 2 mit<br />

Hilfe einer rekursiven Formel<br />

f(x) = cot(x), f( π 2 ) = 0,<br />

f ′ (x) = − 1<br />

sin 2 (x) , f′ ( π 2 ) = −1,<br />

f ′′ (x) = 2cos(x)<br />

sin 3 (x) = 2cot(x) 1<br />

sin 2 (x) = −2f(x)f′ (x), f ′′ ( π 2 ) = 0,<br />

f ′′′ (x) = −2((f ′ (x)) 2 +f(x)f ′′ (x)), f ′′′ ( π 2 ) = −2,<br />

f (4) (x) = −6f ′ (x)f ′′ (x)−2f(x)f ′′′ (x)), f (4) ( π 2 ) = 0.<br />

Damit ergibt sich die Taylorreihe<br />

Aufgaben<br />

cot(x) = 0+ −1<br />

1! (x− π −2<br />

2<br />

)+0+<br />

3! (x− π 2 )3 +0+··· = −(x− π 2 )− 1 3 (x− π 2 )3 −··· .<br />

Aufgabe 12.9.1. Entwickeln Sie die Funktion f(x) = cos(x) in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt<br />

a = 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.9.2. Entwickeln Sie die Funktion f(x) = sinh(x) in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt<br />

a = 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.


258 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Aufgabe 12.9.3. Entwickeln Sie die Funktion f(x) = cosh(x) in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt<br />

a = 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.9.4. Beweisen Sie die Beziehung<br />

sinh(ix) = isin(x)<br />

mit Hilfe einer Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0. Es ist i 2 = −1.<br />

Aufgabe 12.9.5. Beweisen Sie die Beziehung<br />

cosh(ix) = cos(x)<br />

mit Hilfe einer Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0. Es ist i 2 = −1.<br />

Aufgabe 12.9.6. Entwickeln Sie die ersten paar Glieder der Funktion f(x) = tanh(x) in<br />

eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.<br />

Aufgabe 12.9.7. Entwickeln Sie die Funktion f(x) = 1 x<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt<br />

a = 2. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius und das Konvergenzverhalten<br />

in den Randpunkten.<br />

Aufgabe 12.9.8. Entwickeln Sie die Funktion f(u) = u √ u in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt<br />

a = 1. Bestimmen Sie ferner das Konvergenzintervall und das Konvergenzverhalten<br />

in den Randpunkten.<br />

Lösungen<br />

Lösung 12.9.1. Taylorreihe ist cos(x) = ∑ ∞ (−1) n<br />

n=0 (2n)! x2n , Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

Lösung 12.9.2. Taylorreihe ist sinh(x) = ∑ ∞<br />

n=0 x2n+1<br />

(2n+1)!, Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

Lösung 12.9.3. Taylorreihe ist cosh(x) = ∑ ∞<br />

n=0 x2n<br />

(2n)!, Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

Lösung 12.9.4. kein Kommentar<br />

Lösung 12.9.5. kein Kommentar<br />

Lösung 12.9.6. Taylorreihe ist tanh(x) = x− 2 3! x3 + 16<br />

5! x5 −+···.<br />

Lösung 12.9.7. Taylorreihe ist 1 x = ∑ ∞<br />

Konvergenzintervall ist ]0,4[.<br />

Lösung 12.9.8. Taylorreihe ist<br />

n=0<br />

(−1) n<br />

2 n+1 (x − 2) n , Konvergenzradius beträgt r = 2.<br />

u √ u = 1+ 3 2 (u−1)+ 3 2 2 (u−1) 2<br />

2!<br />

−3 1<br />

2 3 (u−1) 3<br />

3!<br />

+···+(−1) n 3 1·3···(2n−5)<br />

2 n (u−1) n<br />

n!<br />

+···<br />

Konvergenzradius beträgt r = 1. Konvergenzintervall ist [0,2].


12.10. Binomische Reihe 259<br />

12.10 Binomische Reihe<br />

Es sei f(x) = (1+x) s mit s ∈ R−{0} gegeben. Wir wollen diese Funktion in eine Taylorreihe<br />

mit Entwicklungspunkt im Ursprung entwickeln.<br />

f(x) = (1+x) s , f(0) = 1,<br />

f ′ (x) = s(1+x) s−1 , f ′ (0) = s,<br />

f ′′ (x) = s(s−1)(1+x) s−2 ,<br />

f ′′′ (x) = s(s−1)(s−2)(1+x) s−3 ,<br />

f ′′ (0) = s(s−1),<br />

f ′′′ (0) = s(s−1)(s−2),<br />

.<br />

f (n) (x) = s(s−1)···(s−n+1)(1+x) s−n ,<br />

.<br />

f (n) (0) = s(s−1)···(s−n+1).<br />

Somit folgt für die Taylorreihe unmittelbar<br />

(1+x) s = 1+ s 1!<br />

x+<br />

s(s−1)<br />

2!<br />

x 2 +···+ s(s−1)(s−2)···(s−n+1) x n +··· .<br />

n!<br />

Es handelt sich hier um die so genannte binomische Reihe. Nun wollen wir mit dem Quotientenkriterium<br />

den Konvergenzradius berechnen<br />

∣ r = lim<br />

a n ∣∣∣<br />

s(s−1)(s−2)···(s−n+1)<br />

n→∞∣<br />

= lim<br />

n!<br />

a n+1 n→∞<br />

∣<br />

∣ = lim<br />

n+1<br />

n→∞∣s−n∣ = 1.<br />

s(s−1)(s−2)···(s−n+1)(s−(n+1)+1)<br />

(n+1)!<br />

Mit der binomischen Reihe lassen sich einige wichtige Näherungsformeln herleiten, die in<br />

Anwendungen sehr nützlich sind<br />

(1+x) s ≈ 1+sx,<br />

(1+x) s ≈ 1+sx+ 1 2 s(s−1)x2 .<br />

Beispiel 12.10.1. Wir entwickeln die Funktion<br />

f(x) =<br />

1<br />

√ 1+x<br />

= (1+x) −1 2<br />

mit x ∈ ]−1,+∞[ in eine Reihe unter Ausnützung der Binomischen Reihe mit s = − 1 2 , d.h.,<br />

1<br />

√ = 1+ (−1 2 )<br />

1+x 1!<br />

x+ (−1 2 )(−3 2 )<br />

2!<br />

= 1− x 2 + 1·3<br />

2 2 ·2! x2 − 1·3·5<br />

2 3 ·3! x3 +··· .<br />

x 2 + (−1 2 )(−3 2 )(−5 2 ) x 3 +···<br />

3!<br />

Der Konvergenzradius beträgt gemäss der allgemeinen Betrachtung r = 1.<br />

12.11 Methoden zur Reihenentwicklung<br />

Im Folgenden geben wir an Hand einiger Beispiel weitere Methoden zur Reihenentwicklung<br />

an, die unter anderem den Hauptsatz über Potenzreihen 12.6.1 anwenden.


260 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Beispiel 12.11.1. Wir entwickeln die Funktion<br />

f(x) =<br />

1<br />

√<br />

1−x<br />

2<br />

mit x ∈ ]−1,1[ in eine Reihe. Wir machen zuerst die Substitution u = −x 2 und dann entwickeln<br />

wir<br />

1<br />

√ 1+u<br />

= 1− u 2 + 1·3<br />

2 2 ·2! u2 − 1·3·5<br />

2 3 ·3! u3 +···<br />

wie in Beispiel 12.10.1. Somit folgt durch Rücksubstitution sofort<br />

1<br />

√<br />

1−x 2<br />

= 1+<br />

x2<br />

2 + 1·3<br />

2 2 ·2! x4 + 1·3·5<br />

2 3 ·3! x6 +··· .<br />

Der Konvergenzradius beträgt gemäss der allgemeinen Betrachtung r = 1.<br />

Das nächste Beispiele benutzt den Hauptsatz über Potenzreihen 12.6.1.<br />

Beispiel 12.11.2. Wir entwickeln die Funktion<br />

f(x) = arcsin(x)<br />

mit x ∈ ]−1,1[ in eine Reihe. Wir berechnen zuerst die Reihenentwicklung für die Ableitung<br />

f ′ (x) = d<br />

dx arcsin(x) = 1<br />

√<br />

1−x 2<br />

wie in Beispiel 12.11.1. Somit folgt mit dem Hauptsatz über Potenzreihen 12.6.1<br />

∫<br />

dx<br />

arcsin(x) = √<br />

1−x 2<br />

∫<br />

=<br />

(1+ x2<br />

2 + 1·3<br />

2 2 ·2! x4 + 1·3·5 )<br />

2 3 ·3! x6 +··· dx<br />

= x+ x3<br />

2·3 + 1·3<br />

2 2 ·2!·5 x5 + 1·3·5<br />

2 3 ·3!·7 x7 +···+C,<br />

wobei C ∈ R eine jetzt zu bestimmende Integrationskonstante ist. Da arcsin(0) = 0 folgt<br />

unmittelbar, dass C = 0. Also haben wir die Potenzreihenentwicklung von<br />

arcsin(x) = x+ x3<br />

2·3 + 1·3<br />

2 2 ·2!·5 x5 + 1·3·5<br />

2 3 ·3!·7 x7 +··· .<br />

Der Konvergenzradius beträgt r = 1 gemäss der allgemeinen Betrachtung unddem Hauptsatz<br />

über Potenzreihen 12.6.1.<br />

Beispiel 12.11.3. Wir entwickeln die Funktion<br />

f(x) = x3 +2x<br />

x 2 −2<br />

in eine Taylorreihe mit Entwicklungspunkt 0. Dazu bedienen wir uns dem generellen Ansatz<br />

x 3 +2x<br />

x 2 −2 = a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +··· .


12.11. Methoden zur Reihenentwicklung 261<br />

Nun multiplizieren wir diese Identität aus und erhalten<br />

(x 2 −2)(a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +···) = x 3 +2x.<br />

Wir wissen, das zwei Potenzreihen genau dann gleich sind, wenn ihre Koeffizienten übereinstimmen<br />

4 , also führen wir eine Koeffizientenvergleich durch. Wir erhalten<br />

−2a 0 = 0 a 0 = 0,<br />

−2a 1 = 2 a 1 = −1,<br />

a 0 −2a 2 = 0 a 2 = 0,<br />

a 1 −2a 3 = 1 a 3 = −1.<br />

Die Koeffizienten von x n für n ≥ 4 sind dann allgemein durch die rekursive Formel<br />

a n = 1 2 a n−2<br />

definiert. Somit hat die Reihe die Form<br />

(<br />

x 3 +2x<br />

x 2 −2 = −x−x3 − 1 2 x5 − 1 ∞∑<br />

( x<br />

2) n<br />

)<br />

4 x7 +··· = −x 1+2 .<br />

2<br />

Die Reihe konvergiert für |x| < √ 2, da sie als geometrische Reihe ∑ ∞<br />

n=1 qn mit q = x2<br />

2<br />

aufgefasst werden kann.<br />

Aufgaben<br />

In den folgenden Aufgaben sollten Sie jeweils möglichst wenig Ableitungen rechnen, sondern<br />

von Vorteil den Hauptsatz über Potenzreihen 12.6.1, ein Ansatz oder eine Substitution verwenden.<br />

Aufgabe 12.11.1. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) = 1<br />

1+x 2<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.11.2. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) = arctan(x)<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0. Bestimmen Sie ferner das Konvergenzintervall.<br />

Aufgabe 12.11.3. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) = e −x2<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

4 Identitätssatz über Potenzreihen (vgl. [13])<br />

n=1


262 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Aufgabe 12.11.4. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) = a x<br />

mit a > 0 in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.11.5. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) = (a+x) s<br />

mit s ≠ 0 in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.11.6. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) = ln(|1+x|)<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.11.7. Entwickeln Sie die ersten 5 Glieder der Funktion<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0.<br />

f(x) = 1−x+x2<br />

1+x+x 2<br />

Aufgabe 12.11.8. Entwickeln Sie die ersten 6 Glieder der Funktion<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0.<br />

f(x) = −5x4 −7x 2 +1<br />

2x 3 −3x+1<br />

Aufgabe 12.11.9. Entwickeln Sie die ersten 4 Glieder ungleich null der Funktion<br />

∫ √1+z<br />

f(z) = 3 dz<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt 0.<br />

Lösungen<br />

Lösung 12.11.1. Taylorreihe ist<br />

1<br />

1+x 2 = ∑ ∞<br />

n=0 (−1)n x 2n , Konvergenzradius beträgt r = 1.<br />

Lösung 12.11.2. Taylorreihe ist<br />

arctan(x) =<br />

und das Konvergenzintervall beträgt [−1,1].<br />

∞∑<br />

n=0<br />

(−1) n<br />

2n+1 x2n+1 ,


12.12. Erweiterte Ansatzmethode zur Reihenentwicklung 263<br />

Unter Ausnutzung von 4arctan(1) = π haben wir nun die Möglichkeit die Zahl π auf beliebig<br />

viele Stellen genau zu berechnen. Es gilt<br />

π = 4<br />

∞∑<br />

n=0<br />

(−1) n<br />

2n+1 = 4( 1− 1 3 + 1 5 − 1 7 + 1 −+···)<br />

9<br />

= 3.1415926535897932384626433832795028841971693993751...<br />

Da die Konvergenzgeschwindigkeit dieser Methode sehr schlecht ist, werden in der Praxis oft<br />

andere Verfahren benutzt um die Zahl π explizit zu berechnen 5 .<br />

Lösung 12.11.3. Taylorreihe ist e −x2 = ∑ ∞ (−1) n<br />

n=0 n!<br />

x 2n , Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

Lösung 12.11.4. Benutzen SiedieIdentität a x = e xln(a) . Taylorreihe ista x = ∑ ∞<br />

Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

Lösung 12.11.5. Taylorreihe ist<br />

(a+x) s = a s + sas−1<br />

1!<br />

x+ s(s−1)as−2<br />

2!<br />

x 2 +···+ s(s−1)(s−2)···(s−n+1)as−n<br />

n!<br />

x n +···<br />

Konvergenzradius beträgt r = a.<br />

Lösung 12.11.6. Taylorreihe ist ln(|1 + x|) = ∑ ∞<br />

r = 1.<br />

n=0<br />

n=0<br />

ln n (a)<br />

n!<br />

x n ,<br />

(−1) n<br />

n+1 xn+1 , Konvergenzradius beträgt<br />

Lösung 12.11.7. Mit Ansatz ergibt sich f(x) = 1−2x+2x 2 −2x 4 +2x 5 +···.<br />

Lösung 12.11.8. Mit Ansatz ergibt sich f(x) = 1+3x+2x 2 +4x 3 +x 4 −x 5 −11x 6 +···.<br />

Lösung 12.11.9. Taylorreihe ist f(z) = z + 1 8 z4 − 1<br />

eine Integrationskonstante ist.<br />

56 z7 + 1<br />

160 z10 −+··· +C, wobei C ∈ R<br />

12.12 Erweiterte Ansatzmethode zur Reihenentwicklung<br />

Im Folgenden wollen wir noch eine letzte Methode angeben um Taylorreihen von Funktionen<br />

mit Singularitäten in ihren Singularitäten zu berechnen. Es handelt sich hier im Wesentlichen<br />

um so genannte Laurentsche Reihen, die in der komplexen <strong>Analysis</strong> (Funktionentheorie)<br />

studiert werden.<br />

Beispiel 12.12.1. Betrachten wir die Funktion<br />

f(x) = 1<br />

cos(x) .<br />

5 Diese am meisten zitierte Annäherungsformel für π stammt von Gottfried Wilhelm Leibniz. Diese Formel<br />

bringt erst nach 2 Milliarden Termen nur 9 genaue Stellen und ist damit für die Berechnung von π hoffnungslos<br />

ineffizient. Dafür fand 1706 John Machin eine sehr viel bessere arctan-Formel. Er berechnete damit immerhin<br />

100 Dezimalstellen. Sie blieb der Standard für die Berechnung der π-Dezimalen bis ins Computerzeitalter.<br />

Erst heutzutage werden bessere Annäherungen benötigt. Der Weltrekord wurde 1996 auf 8 Milliarden Stellen<br />

geschraubt. Dies schafft heute schon ein PC. Im Dezember 2002 haben Y. Kanada und seine Kollegen von der<br />

Universität Tokio die Berechnung von π auf 1.241 Billionen Stellen hochgeschraubt. Sie benötigten dazu 400<br />

Stunden Rechenzeit auf einem Supercomputer von Hitachi.<br />

Die Zahl π ist eine transzendente Zahl, d.h., sie ist nicht Lösungeiner polynomialen Gleichung mit ganzzahligen<br />

Koeffizienten.


264 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Wir machen den allgemeinen Ansatz<br />

1<br />

cos(x) = a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +··· .<br />

Da der Kosinuseine gerade Funktion ist, folgt sofort, dass dieungeraden Koeffizienten unseres<br />

Ansatzes verschwinden, i.e., a 2n+1 = 0füralle n ∈ N 0 . Nunkennen wir bereits diePotenzreihe<br />

für cos(x) = ∑ ∞ (−1) n<br />

n=0 (2n)! x2n , also folgt mit dem verdünnten Ansatz<br />

1 =<br />

Nach dem Ausmultiplizieren<br />

(1− x2<br />

2! + x4<br />

4! − x6<br />

6! +···)<br />

(a 0 +a 2 x 2 +a 4 x 4 +···).<br />

1 = a 0 +a 2 x 2 +a 4 x 4 +a 6 x 6 +a 8 x 8 +···<br />

− a 0<br />

2! x2 − a 2<br />

2! x4 − a 4<br />

2! x6 − a 6<br />

2! x8 −···<br />

+ a 0<br />

4! x4 + a 2<br />

4! x6 + a 4<br />

4! x8 +···<br />

− a 0<br />

6! x6 − a 2<br />

6! x8 −···<br />

können wir einen Koeffizientenvergleich machen und erhalten<br />

Damit folgt die Taylorreihe<br />

a 0 = 1, a 0 = 1,<br />

a 2 − a 0<br />

2! = 0, a 2 = a 0<br />

2 = 1 2 ,<br />

.<br />

. ..<br />

a 4 − a 2<br />

2! + a 0<br />

4! = 0, a 4 = a 2<br />

2 − a 0<br />

24 = 5<br />

24 ,<br />

a 6 − a 4<br />

2! + a 2<br />

4! − a 0<br />

6! = 0, a 6 = a 4<br />

2 − a 2<br />

24 + a 0<br />

720 = 61<br />

720 ,<br />

.<br />

1<br />

cos(x) = 1+ 1 2 x2 + 5 24 x4 + 61<br />

720 x6 +··· .<br />

Beispiel 12.12.2. Betrachten wir die Funktion<br />

f(x) = x2 −1<br />

x<br />

Dann sehen wir, dass f nicht mit den herkömmlichen Methoden in eine Potenzreihe mit<br />

Entwicklungspunkt a = 0 zu entwickeln ist, da f bei x = 0 eine Polstelle hat. Würden wir<br />

gleichwohl einen herkömmlichen Ansatz<br />

x 2 −1<br />

x<br />

= a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +···<br />

.


12.12. Erweiterte Ansatzmethode zur Reihenentwicklung 265<br />

versuchen, erhielten wir<br />

x 2 −1 = a 0 x+a 1 x 2 +a 2 x 3 +a 3 x 4 +···<br />

undwirmüssenfeststellen, dassderKoeffizientenvergleich fehlschlägt, darechts derSummand<br />

mit x 0 fehlt. Also versuchen wir einen besseren Ansatz mit einer einfachen Polstelle bei x = 0<br />

x 2 −1<br />

x<br />

= a −1<br />

x +a 0 +a 1 x+a 2 x 2 +a 3 x 3 +···<br />

Eine solche Potenzreihe mit gebrochenrationalen Gliedern wird Laurentreihe genannt. Nun<br />

multiplizieren wir wieder aus und erhalten<br />

x 2 −1 = a −1 +a 0 x+a 1 x 2 +a 2 x 3 +a 3 x 4 +··· .<br />

Diesmal glücktderKoeffizientenvergleich undwirerhaltendieKoeffizientena −1 = −1,a 0 = 0,<br />

a 1 = 1 und a n = 0 für alle n ≥ 2. Damit folgt<br />

Die Reihe bricht ab.<br />

x 2 −1<br />

x<br />

= − 1 x +x.<br />

Aufgaben<br />

In den folgenden Aufgaben sollten Sie jeweils mit der am besten geeigneten Methode Reihen<br />

entwickeln.<br />

Aufgabe 12.12.1. Entwickeln Sie die ersten 5 Glieder der Funktion<br />

f(x) = x2 −x+1<br />

x(x−1)<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.<br />

Aufgabe 12.12.2. Entwickeln Sie die ersten 3 Glieder der Funktion<br />

f(x) = 1<br />

sin(x)<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.<br />

Aufgabe 12.12.3. Entwickeln Sie die ersten 3 Glieder der Funktion<br />

f(x) =<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.<br />

1<br />

cos(x)−1<br />

Aufgabe 12.12.4. Entwickeln Sie die ersten 3 Glieder der Funktion<br />

f(x) = cot(x)<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.


266 Kapitel 12. Unendliche Reihen<br />

Aufgabe 12.12.5. Entwickeln Sie die Funktion<br />

φ(x) =<br />

∫ x<br />

0<br />

e −t2 dt<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.12.6. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) =<br />

∫ x<br />

0<br />

sin(t)<br />

dt<br />

t<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0. Bestimmen Sie ferner den Konvergenzradius.<br />

Aufgabe 12.12.7. Entwickeln Sie die Funktion<br />

f(x) =<br />

∫ x<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.<br />

1<br />

cos(t)<br />

dt<br />

t<br />

Aufgabe 12.12.8. Entwickeln Sie die ersten 3 Glieder der Funktion<br />

∫<br />

dx<br />

f(x) =<br />

1−e x<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0.<br />

Aufgabe 12.12.9. Entwickeln Sie die ersten 5 Glieder der Funktion<br />

φ(k) =<br />

∫ π<br />

2<br />

0<br />

dx<br />

√<br />

1−k 2 sin 2 (x)<br />

in eine Potenzreihe mit Entwicklungspunkt a = 0, wobei |k| < 1.<br />

Lösungen<br />

Lösung 12.12.1. Laurentreihe ist f(x) = − 1 x −x−x2 −x 3 −x 4 −···.<br />

Lösung 12.12.2. Laurentreihe ist f(x) = 1 x + 1 6 x+ 7<br />

360 x3 +···.<br />

Lösung 12.12.3. Laurentreihe ist f(x) = − 2 x 2 − 1 6 − 1 5! x2 +···.<br />

Lösung 12.12.4. Laurentreihe ist f(x) = 1 x − 1 3 x− 1 45 x3 +···.<br />

Lösung 12.12.5. Taylorreihe ist<br />

Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

φ(x) = ∑ ∞ (−1) n x 2n+1<br />

n=0 n! 2n+1 ,


12.12. Erweiterte Ansatzmethode zur Reihenentwicklung 267<br />

Lösung 12.12.6. Taylorreihe ist<br />

Konvergenzradius beträgt r = +∞.<br />

Lösung 12.12.7. Potenzreihe ist<br />

f(x) = x− x3<br />

3·3! + x5<br />

5·5! − x7<br />

7·7! + x9<br />

9·9! −+···<br />

f(x) = ln(x)− x2<br />

2·2! + x4<br />

4·4! − x6<br />

6·6! + x8<br />

8·8! −···+ 1<br />

2·2! − 1<br />

4·4! + 1<br />

6·6! − 1<br />

8·8! +··· .<br />

Lösung 12.12.8. Potenzreihe ist f(x) = −ln(x) + 1 2 x − 1<br />

24 x2 +··· +C, wobei C ∈ R eine<br />

Integrationskonstante ist.<br />

Lösung 12.12.9. Taylorreihe ist<br />

φ(k) = π (<br />

2 1+<br />

1<br />

4 k2 + 9 64 k4 + 25<br />

256 k6 + 1225<br />

16384<br />

+···).<br />

k8


268 Kapitel 12. Unendliche Reihen


Kapitel 13<br />

Funktionen mehrerer unabhängiger<br />

Variablen<br />

13.1 Motivation und Definitionen<br />

In den Anwendungen der Mathematik kommen häufig Beziehungen zwischen verschiedenen<br />

Grössen vor. Insbesondere spielen Beziehungen eine grosse Rolle, bei denen eine Grösse von<br />

mehreren anderen abhängt. Wir sprechen in diesem Fall von einer Funktion von mehreren<br />

Variablen.<br />

Beispiel 13.1.1 (Reihenschaltung von Ohmschen Widerständen). Bei der Reihenschaltung<br />

von n Ohmschen Widerständen R 1 ,...,R n addieren sich die Einzelwiderstände zu einem<br />

Gesamtwiderstand<br />

R(R 1 ,...,R n ) = R 1 +···+R n .<br />

Der Gesamtwiderstand R ist somit eine Funktion der n unabhängigen Variablen R 1 ,...,R n .<br />

Beispiel 13.1.2 (Schiefer Wurf). Die Flugbahn eines Objekts, das unter dem Winkel α<br />

(gemessen zur Horizontalen) mit einer Geschwindigkeit v 0 im Gravitationsfeld der Erde abgeworfen<br />

wird, hat die Parametrisierung<br />

x(t) = v 0 tcos(α)<br />

y(t) = v 0 tsin(α)− g 2 t2 .<br />

Daraus lässt sich die Wurfweite ermitteln, indem wir mit der Gleichung y(t) = 0 die Flugzeit<br />

t E = 2v 0<br />

g<br />

sin(α) ermitteln und in x(t) einsetzen. Wir erhalten<br />

W(α,v 0 ) = 2v2 0<br />

g sin(α)cos(α) = v2 0<br />

g sin(2α).<br />

Die Wurfweite ist eine Funktion von zwei Variablen.<br />

Allgemein schreiben wir für eine Funktion von n unabhängigen Variablen x 1 ,...,x n<br />

f : R n → R.<br />

269


270 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

13.2 Geometrische Darstellung<br />

Erinnern wir uns kurz, wie wir Grafen von Funktionen einer Variablen f : X f → R grafisch<br />

darstellen. Wir tragen über jedem Abszissenwert x ∈ X f die Höhe y = f(x) ab. Alle<br />

Punktepaare P(x,f(x)) zusammen ergeben den Grafen der Funktion f.<br />

y<br />

y = f(x)<br />

y<br />

P<br />

•<br />

•<br />

x<br />

x<br />

Abbildung 13.2.i: Darstellung der Funktion f einer Variablen mittels Grafen y = f(x).<br />

Nun machen wir genau das gleiche mit Funktionen zweier Variablen f : R 2 → R. Jedem<br />

Punkt P 1 (x,y) in der Grundebene wird der Punkt<br />

P(x,y,z) = P(x,y,f(x,y))<br />

zugeordnet. Die Gesamtheit der Punkte P bildet eine Fläche im Raum.<br />

z<br />

z = f(x, y)<br />

•<br />

P<br />

x<br />

x<br />

•<br />

P 1<br />

y<br />

y<br />

Abbildung 13.2.ii: Darstellung der Funktion f zweier Variablen mittels Grafen z = f(x,y).<br />

Funktionen, die von drei oder mehr Variablen abhängen, können nicht mehr im dreidimensionalen<br />

Raum dargestellt werden, da es im dreidimensionalen Raum zu wenig Platz hat, um<br />

vier oder mehr Dimensionen darstellen zu können. Ausgehend vom Begriff der Fläche im dreidimensionalen<br />

Raum wird in Analogie dazu der Begriff der Hyperfläche im n-dimensionalen<br />

Raum verwendet.<br />

Es stellt sich das Problem zu einer gegebenen Funktionsgleichung z = f(x,y) die zugehörige<br />

Fläche zu visualisieren. Eine Methode besteht darin, zu den drei Koordinatenebenen parallele<br />

Ebenen zu legen und diese mit der Fläche zu schneiden. Diese Schnittkurven ergeben uns<br />

oft ein ausreichendes Bild, um uns die Fläche bildlich vorstellen zu können. Ein Beispiel<br />

dazu sind die Höhen- oder Niveaulinien einer Flächendarstellung z = f(x,y), die durch


13.2. Geometrische Darstellung 271<br />

Schnitte mit Ebenen parallel zur xy-Koordinatenebene entstehen. Die Schnittkurven genügen<br />

den impliziten Kurvengleichungen f(x,y) = const. In einer topologischen Reliefkarte werden<br />

oft die Höhenlinien dargestellt. Dabei bedeuten eng beieinander liegende Höhenlinien eine<br />

grosse Steigung und weit auseinander liegende eine kleine Steigung.<br />

Moderne Computeralgebrasysteme wie Maple, Mathcad, Mathematica oder Matlab sind sehr<br />

gut geeignet, um recht einfach ansprechende Grafiken erzeugen zu können.<br />

Beispiel 13.2.1 (Ebenendarstellungen). Im Folgenden betrachten wir einige Ebenendarstellungen.<br />

Alle Grafiken sind mit dem Computeralgebrasysteme Maple 8 hergestellt worden.<br />

Abbildung 13.2.iii: Die Ebene mit der Gleichung z = x+y +3.<br />

Abbildung 13.2.iv: Die Ebene mit der Gleichung z = y.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 13.2.1. Bestimmen Sie den jeweiligen maximalen Definitionsbereich der folgenden<br />

Funktionen.


272 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

a. f(x,y) = 1−x 2 −y 2<br />

b. f(x,y) = √ 1−x 2 −y 2<br />

c. f(x,y) = √ x 2 +y 2 −1<br />

d. f(x,y) = √ x 2 +y 2 +1<br />

√<br />

y<br />

e. f(x,y) =<br />

2<br />

4 −x2<br />

f. f(x,y) = ln(x 2 +y 2 )<br />

Aufgabe 13.2.2. Machen Sie sich ein Bild vom Aussehen der Flächen, die durch die folgende<br />

Gleichungen gegeben sind. Benutzen Sie, falls vorhanden, auch elektronische Hilfsmittel.<br />

a. z = 1−x 2 −y 2<br />

b. z = √ 1−x 2 −y 2<br />

c. z = ± √ x 2 +y 2 −1<br />

d. z = ± √ x 2 +y 2 +1<br />

e. z 2 = y2<br />

4 −x2<br />

f. z = ln(x 2 +y 2 )<br />

Lösungen<br />

Lösung 13.2.1.<br />

a. X f = R 2<br />

b. X f = {x ∈ R,y ∈ R | x 2 +y 2 ≤ 1}<br />

c. X f = {x ∈ R,y ∈ R | x 2 +y 2 ≥ 1}<br />

d. X f = R 2<br />

e. X f = {x ∈ R,y ∈ R | |y| ≥ 2|x|}<br />

f. X f = R 2 −{(0,0)}<br />

Lösung 13.2.2. Siehe Mathcad-File: Lösung 13.2.2 Flächendarstellungen.mcd<br />

13.3 Partielle Ableitungen<br />

Wir betrachten den Punkt P(x 0 ,y 0 ,f(x 0 ,y 0 )) auf der Fläche z = f(x,y). Gesucht sind die<br />

Steigungen der Tangenten in x- und y-Richtung im Punkt P an die Fläche. Als Sekantensteigungen<br />

in P(x 0 ,y 0 ,f(x 0 ,y 0 )) in x- und y-Richtung erhalten wir<br />

tan(σ x ) = f(x 0 +∆x,y 0 )−f(x 0 ,y 0 )<br />

∆x<br />

tan(σ y ) = f(x 0,y 0 +∆y)−f(x 0 ,y 0 )<br />

∆y<br />

in x-Richtung,<br />

in y-Richtung.<br />

Daraus ergeben sich die Tangentensteigungen in x- und y-Richtung bei P(x 0 ,y 0 ,f(x 0 ,y 0 )) an<br />

die Fläche durch den Grenzübergänge ∆x → 0 und ∆y → 0. Wir erhalten die Tangentensteigungen<br />

in x- und y-Richtung<br />

f(x 0 +∆x,y 0 )−f(x 0 ,y 0 )<br />

tan(α) = lim<br />

= ∂ ∣<br />

∆x→0 ∆x ∂x f(x,y) ∣∣∣x=x0<br />

= f x (x 0 ,y 0 ),<br />

y=y 0<br />

f(x 0 ,y 0 +∆y)−f(x 0 ,y 0 )<br />

tan(β) = lim<br />

= ∂ ∣<br />

∆y→0 ∆y ∂y f(x,y) ∣∣∣x=x0<br />

= f y (x 0 ,y 0 ).<br />

y=y 0


13.3. Partielle Ableitungen 273<br />

z<br />

z = f(x, y)<br />

f(x 0 + ∆x,y 0 )<br />

α<br />

P<br />

•<br />

β<br />

f(x 0 ,y 0 + ∆y)<br />

x<br />

∆x<br />

∆y<br />

•<br />

P 0 (x 0 , y 0 , 0)<br />

x 0<br />

y 0<br />

y<br />

Abbildung 13.3.i: Die partiellen Ableitungen im Punkt P werden gebildet. Bild: T. Heim<br />

Diese Grenzwerte heissen partielle Ableitungen, da jeweils nur eine Variable variiert wird.<br />

Die praktische Berechnungeiner partiellen Ableitungerfolgt mitdengewohnten Ableitungsregeln,<br />

indem alle anderen Variablen während der Ableitung als Konstanten betrachtet werden.<br />

Die partielle Ableitung wird deshalb auch mit dem Zeichen ∂ speziell gekennzeichnet.<br />

Beispiel 13.3.1. Wir betrachten die Funktion<br />

f(x,y) = x 2 +y 2 ,<br />

dessen grafische Darstellung ein Rotationsparaboloid ist. Die Tangentensteigungen im Punkt<br />

Abbildung13.3.ii: Das Rotationsparaboloid mitderGleichung z = x 2 +y 2 , dasdurchRotation<br />

einer Parabel um die z-Achse entsteht.<br />

P(1,2,5) längs den Koordinatenachsen seien zu berechnen. Wir identifizieren x 0 = 1, y 0 = 2<br />

und demzufolge z 0 = f(1,2) = 5, also sind die partiellen Ableitungen<br />

∂<br />

∂x f(x,y) = f x(x,y) = 2x und<br />

∂<br />

∂y f(x,y) = f y(x,y) = 2y.


274 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

Daraus ergeben sich die Tangentensteigung im Punkt P(1,2,5) zu<br />

tan(α) = ∂<br />

∂x f(x,y) ∣<br />

∣∣∣x=1<br />

y=2<br />

= f x (1,2) = 2<br />

tan(β) = ∂ ∣<br />

∣∣∣x=1<br />

∂y f(x,y) = f y (1,2) = 4.<br />

Beispiel 13.3.2. Wir betrachten die Funktion<br />

y=2<br />

f(x,y) = x y .<br />

Die partiellen Ableitungen ergeben sich zu<br />

∂<br />

∂x f(x,y) = f x(x,y) = 1 y<br />

und<br />

∂<br />

∂y f(x,y) = f y(x,y) = − x y 2.<br />

Aufgaben<br />

Berechnen Sie jeweils die ersten partiellen Ableitungen der folgenden Funktionen.<br />

Aufgabe 13.3.1. f(x,y) = x 3 −8x 2 y +xy 2 +15x−20y +2<br />

Aufgabe 13.3.2. f(x,y,z) = x 5 +6x 3 y −2x 2 yz +3yz 3<br />

Aufgabe 13.3.3. f(x,y) = 3x2 +2xy 2<br />

1−x<br />

Aufgabe 13.3.4. f(x,y) = cos(x+y)cos(x−y)<br />

Aufgabe 13.3.5. f(x,y) = arctan( y x )<br />

Aufgabe 13.3.6. f(x,y,z) = e x ln(y)+z 2 cos(y)<br />

Aufgabe 13.3.7. v(p,t) = v 0<br />

p 0<br />

p<br />

(1+αt)<br />

Aufgabe 13.3.8. I 1 (R 1 ,R 2 ) = I<br />

Lösungen<br />

R 2<br />

R 1 +R 2<br />

Lösung 13.3.1. f x (x,y) = 3x 2 −16xy +y 2 +15 und f y (x,y) = −8x 2 +2xy −20<br />

Lösung 13.3.2. f x (x,y,z) = 5x 4 + 18x 2 y − 4xyz, f y (x,y,z) = 6x 3 − 2x 2 z + 3z 3 und<br />

f z (x,y,z) = −2x 2 y +9yz 2<br />

Lösung 13.3.3. f x (x,y) = 6x+2y2 −3x 2<br />

(1−x) 2<br />

und f y (x,y) = 4xy<br />

1−x<br />

Lösung 13.3.4. f x (x,y) = −sin(2x) und f y (x,y) = −sin(2y)<br />

Lösung 13.3.5. f x (x,y) = − y<br />

x 2 +y 2 und f y (x,y) = x<br />

x 2 +y 2<br />

Lösung 13.3.6. f x (x,y,z) = e x ln(y), f y (x,y,z) = ex y −z2 sin(y) und f z (x,y,z) = 2zcos(y)<br />

Lösung 13.3.7. v p (p,t) = −v 0<br />

p 0<br />

p 2 (1+αt) und v t (p,t) = v 0<br />

p 0<br />

p<br />

α<br />

Lösung 13.3.8.<br />

∂I 1<br />

R 2<br />

∂R 1<br />

(R 1 ,R 2 ) = −I<br />

(R 1 +R 2<br />

und ∂I ) 2 1<br />

∂R 2<br />

(R 1 ,R 2 ) = I<br />

R 1<br />

(R 1 +R 2 ) 2


13.4. Der Satz von Schwarz 275<br />

13.4 Der Satz von Schwarz<br />

Sinngemässlässt sichderBegriff derpartiellen AbleitungauchaufFunktionenf : R n → Rvon<br />

n Variablen x 1 ,...,x n ausdehnen. Für die partiellen Ableitungen schreiben wir entsprechend<br />

∂ ∂<br />

f,..., f oder in der Kurzschreibweise f x1 ,...,f xn .<br />

∂x 1 ∂x n<br />

Es lassen sich auch partielle Ableitungen höherer Ordnung bilden. Zweite Ableitungen<br />

schreiben sich dann ( )<br />

∂ ∂<br />

f = f xi x<br />

∂x j ∂x j<br />

,<br />

i<br />

wobei i,j ∈ {1,...,n}. Beachten Sie, dass hier zuerst nach x i und dann nach x j partiell<br />

abgeleitet wird. Im Falle einer Funktionen f : R 2 → R zweier Variablen x und y haben wir<br />

also bereits vier zweite Ableitungen zu bilden, d.h. f xx , f yy und die gemischten f yx , f xy .<br />

f<br />

f x<br />

f y<br />

1. Ordnung<br />

f xx<br />

f xy<br />

f yx<br />

f yy 2. Ordnung<br />

f xxx f xxy f xyx f xyy f yxx f yxy f yyx f yyy 3. Ordnung<br />

Abbildung 13.4.i: Die verschiedenen gemischten Ableitungen bis zur 3. Ordnung einer Funktion<br />

f : R 2 → R zweier Variablen x und y<br />

Bei den gemischten Ableitungen können wir uns in gewissen Fällen ein Teil der Arbeit ersparen,<br />

da der folgende Satz von Schwarz gilt.<br />

Satz 13.4.1 (Hermann Amadeus Schwarz, 1843-1921). Unter der Voraussetzung, dass die<br />

Funktion f und ihre partiellen Ableitungen stetig sind, ist die Reihenfolge der partiellen Differenziation<br />

gleichgültig.<br />

Abbildung 13.4.ii: Hermann Amadeus Schwarz, 1843-1921


276 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

Im Falle einer Funktion zweier Variablen gilt dann unter der Voraussetzung der Stetigkeit der<br />

partiellen Ableitungen, dass<br />

f xy = f yx .<br />

Beispiel 13.4.1. Wir betrachten die Funktion f(x,y) = e xy und berechnen<br />

f x (x,y) = ye xy , f xy (x,y) = e xy +xye xy ,<br />

f y (x,y) = xe xy , f yx (x,y) = e xy +yxe xy .<br />

Dass die Voraussetzung der Stetigkeit der partiellen Ableitungen wirklich nötig ist, zeigt das<br />

folgende Beispiel.<br />

Beispiel 13.4.2. Sind die Voraussetzungen des Satzes von Schwarz 13.4.1 nicht erfüllt, dann<br />

kann f xy ≠ f yx sein. Es sei die Funktion<br />

{<br />

xy x2 −y 2<br />

f(x,y) = x 2 +y<br />

wenn (x,y) ≠ (0,0)<br />

2<br />

0 wenn (x,y) = (0,0)<br />

gegeben. Dann gilt f x (0,y) = −y und f y (x,0) = x, also folgt f xy (0,0) ≠ f yx (0,0). In diesem<br />

Fall sind die zweiten partiellen Ableitungen im Ursprung unstetig.<br />

Abbildung 13.4.iii: Die zweite partielle Ableitung f xy der Funktion f in Beispiel 13.4.2 ist<br />

unstetig im Ursprung. Sie hat dort eine Sprungstelle.<br />

Für bestimmte Kombinationen von partiellen Ableitungen gibt es spezielle Symbole. Es sei f<br />

eine Funktion dreier Variablen x,y,z, dann schreiben wir zum Beispiel<br />

△f = ∂2 ∂2 ∂2<br />

∂x2f +<br />

∂y2f +<br />

∂z 2f = f xx +f yy +f zz .<br />

Dies ist der so genannte Laplace-Operator.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 13.4.1. Berechnen Sie alle ersten und zweiten partiellen Ableitungen der folgenden<br />

Funktionen. Überprüfen Sie jeweils die Aussage des Satz von Schwarz.


13.4. Der Satz von Schwarz 277<br />

Abbildung 13.4.iv: Pierre Simon Laplace, 1749-1827<br />

a. f(x,y) = x 5 +2x 3 y 2 +2y 5<br />

b. f(x,y,z) = xy +yz +zx.<br />

c. f(x,y) = x−y<br />

x+y<br />

d. f(x,y) = 2sin(x+y)cos(x−y)<br />

)<br />

e. f(x,y) = ln<br />

(<br />

sin(y)<br />

sin(x)<br />

Aufgabe 13.4.2. Es sei die Funktion f(x,y,z) = (x − y) z gegeben. Zeigen Sie, ohne den<br />

Satz von Schwarz zu benutzen, dass f xyz = f zyx .<br />

Aufgabe 13.4.3. Es sei die Funktion f(x,y,z) = x 2 ln(sin(y−z)) gegeben. Zeigen Sie, ohne<br />

den Satz von Schwarz zu benutzen, dass f xyz = f zyx und f yyz = f zyy .<br />

Aufgabe 13.4.4. Es sei die Funktion f(x,y) = e y arcsin(x − y) gegeben. Zeigen Sie, dass<br />

f x +f y = f.<br />

Aufgabe 13.4.5. Es sei die Funktion f(x,y,z) = ln(x 3 +y 3 +z 3 −3xyz) gegeben. Berechnen<br />

Sie f x +f y +f z .<br />

x 2<br />

y<br />

Aufgabe 13.4.6. Es sei die Funktion f(x,y) = e<br />

2 gegeben. Zeigen Sie, dass xf x +yf y = 0.<br />

(√ )<br />

Aufgabe 13.4.7. Berechnen Sie △f für die Funktion f(x,y,z) = ln x 2 +y 2 +z 2 .<br />

(<br />

Aufgabe 13.4.8. Berechnen Sie △f für die Funktion f(x,y,z) = ln<br />

Lösungen<br />

Lösung 13.4.1.<br />

a. f xx = 20x 3 +12xy 2 , f yy = 4x 3 +40y 3 und f xy = f yx = 12x 2 y<br />

b. f xx = f yy = f zz = 0 und f xy = f yz = f zx = 1<br />

1<br />

x 2 +y 2 +z 2 ).


278 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

c. f xx = − 4y<br />

(x+y) 3 , f yy = 4x<br />

(x+y) 3 und f xy = f yx = 2x−2y<br />

(x+y) 3<br />

d. f xx = −4sin(2x), f yy = −4sin(2y) und f xy = f yx = 0<br />

e. f xx = 1<br />

sin 2 (x) , f yy = − 1<br />

sin 2 (y) und f xy = f yx = 0<br />

Lösung 13.4.2. Gring abe u ableite ...<br />

Lösung 13.4.3. kein weiterer Kommentar<br />

Lösung 13.4.4. kein weiterer Kommentar<br />

Lösung 13.4.5. f x (x,y,z)+f y (x,y,z)+f z (x,y,z) = 3<br />

x+y+z<br />

Lösung 13.4.6. kein weiterer Kommentar<br />

Lösung 13.4.7. △f(x,y,z) =<br />

1<br />

x 2 +y 2 +z 2<br />

Lösung 13.4.8. △f(x,y,z) = −<br />

2<br />

x 2 +y 2 +z 2<br />

13.5 Das vollständige Differenzial, Linearisieren<br />

Bei einer Funktion einer unabhängigen Variablen y = f(x) ist die Änderungen des Funktionswertes<br />

1 ∆y und das Differenzial dy folgendermassen definiert (vgl. Kapitel 4.10.a). Die<br />

y<br />

y = f(x)<br />

P 1<br />

•<br />

P<br />

•<br />

dx<br />

dy<br />

∆y<br />

x<br />

x + dx<br />

x<br />

Abbildung 13.5.i: Das Differenzial bei einer Funktion einer Variablen.<br />

Steigung der Tangente an die Kurve y = f(x) im Punkt P ist y ′ = f ′ (x). Das Differenzial<br />

dy = f ′ (x)dx<br />

beschreibtdieLängederGegenkathete imTangentendreieck, wenndieAnkathetedieLänge<br />

dx hat. Im Gegensatz dazu beschreibt<br />

∆y = f(x+dx)−f(x)<br />

1 Verwechseln Sie nicht die Änderungen des Funktionswerts ∆y mit dem Laplace-Operator △ aus Kapitel<br />

13.4


13.5. Das vollständige Differenzial, Linearisieren 279<br />

den effektiven Zuwachs des Funktionswerts. Ersetzen wir nun für kleine 2 dx den effektiven<br />

Zuwachs ∆y durch das Differenzial dy, so machen wir den Fehler<br />

|∆y −dy|.<br />

BeimErsetzenvon∆y mitdy,ersetzenwirdieKurveimPunktP durchihreTangente.Diesist<br />

eine Approximation erster Ordnung, die so genannte Linearisierung. Den Approximationsfehler<br />

nennen wir den Linearisierungsfehler.<br />

Analoge Betrachtungen können auch für Funktionen von zwei und mehr Variablen durchgeführt<br />

werden. Aus Abbildung 13.5.ii erhalten wir den effektiven Funktionswertzuwachs<br />

∆f = f(x+dx,y +dy)−f(x,y).<br />

Für den linearisierten Zuwachs ergibt sich analog zum eindimensionalen Fall die Zunahme bis<br />

zur Tangentialebene<br />

df = f x dx+f y dy.<br />

Wir nennen diesen linearen Zuwachs das vollständige 3 Differenzial der Funktion f.<br />

z<br />

f(x + dx,y + dy)<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

P 1<br />

P<br />

f(x + dx,y)<br />

f(x,y + dy)<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

f y dy<br />

f x dx<br />

dx<br />

•<br />

dy<br />

•<br />

y<br />

y<br />

x<br />

•<br />

P 0 (x,y,0)<br />

x<br />

Abbildung13.5.ii: Das vollständige Differenzial bei einer Funktion zweier Variablen. Die graue<br />

Fläche ist die Tangentialebene an die Fläche z = f(x,y) im Punkt P. Bild: T. Heim<br />

Beispiel 13.5.1. Es seien f(x,y) = x 2 + y 2 und der Punkt P(1,1,2) gegeben. Bei einer<br />

Änderung in x- und y-Richtung von dx = dy = 1 ergibt sich ein effektiver Zuwachs von<br />

∆f = f(1+1,1+1)−f(1,1) = 8−2 = 6.<br />

Das vollständige Differenzial ist df = 2xdx +2ydy, also erhalten wir für den linearisierten<br />

Zuwachs<br />

df = 2·1·1+2·1·1 = 4.<br />

2 Klein ist natürlich ein relativer Begriff. Wenige Prozente der Grösse x.<br />

3 In der Literatur findet sich auch der Begriff des totalen Differenzials. Der Autor ist bestrebt, diesen<br />

Begriff aus nahe liegenden Gründen zu meiden.


280 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

Der Unterschied zwischen effektivem und linearisierten Zuwachs ergibt sich zu<br />

|∆f −df| = 6−4 = 2.<br />

Bei der Linearisierung machen wir diesen Fehler. Beachten Sie, dass der Linearisierungsfehler<br />

umso kleiner ist, desto kleiner die Änderungen sind.<br />

In analoger Weise wie in zwei Dimensionen kann eine Funktion in mehreren Variablen linearisiert<br />

werden Es sei die Funktion f in den Variablen x 1 ,...,x n gegeben. Die Variablen<br />

x 1 ,...,x n sollen nun um dx 1 ,...,dx n verändert werden. Das vollständige Differenzial,<br />

der so genannte linearisierte Funktionswertzuwachs, ergibt sich zu<br />

Der effektive Funktionswertzuwachs ist<br />

df = f x1 dx 1 +···+f xn dx n .<br />

∆f = f(x 1 +dx 1 ,...,x n +dx n )−f(x 1 ,...,x n ).<br />

Für kleine Variablenänderungen dx 1 ,...,dx n gilt<br />

∆f ≈ df,<br />

das heisst, es kann ∆f näherungsweise durch df ersetzt werden.<br />

Aufgabe<br />

Aufgabe 13.5.1. Berechnen Sie ∆f und df und deren Linearisierungsfehler für die Funktion<br />

f(x,y) = y 2 +xy mit x = 1, y = 2 und dx = 0.2, dy = 0.1<br />

Lösung 13.5.1. ∆f = 0.93 und df = 0.90<br />

Beispiel 13.5.2. Der Flächeninhalt eines Rechtecks mit den Seitenlängen x und y ist<br />

F(x,y) = xy.<br />

Nun vergrössern wir die eine Seite um dx und die andere Seite um dy.<br />

dy<br />

x<br />

y<br />

dx<br />

y + dy<br />

x + dx<br />

Abbildung 13.5.iii: Der Linearisierungsfehler bei der Berechnung des Flächeninhalts eines<br />

Rechtecks.<br />

Dann ergibt sich der linearisierte Flächenzuwachs<br />

dF = F x (x,y)dx+F y (x,y)dy = ydx+xdy,


13.5. Das vollständige Differenzial, Linearisieren 281<br />

und der effektive Flächenzuwachs ist<br />

∆F = F(x+dx,y +dy)−F(x,y) = (x+dx)(y +dy)−xy = ydx+xdy +dxdy.<br />

Der Linearisierungsfehler wird<br />

|∆F −dF| = dxdy.<br />

Es handelt sich beim Linearisierungsfehler also um das kleine Flächenstück oben rechts in der<br />

Abbildung 13.5.iii. Dieses Flächenstück wird beim vollständigen Differenzial vernachlässigt.<br />

Allgemein gilt: Beim Linearisieren werden Potenzen höherer als erster Ordnung der Differenziale<br />

vernachlässigt. Wir sprechen von einer Rechnung in erster Näherung.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 13.5.2. Berechnen Sie für die Funktion f(x,y,z) = xy + yz + zx die Funktionsänderung<br />

∆f und das vollständige Differenzial df an der Stelle x = 2, y = 3 und z = 1,<br />

wenn die Veränderungen dx = 0.1, dy = −0.2 und dz = 0.2 gegeben sind.<br />

Aufgabe 13.5.3. Berechnen Sie ∆f und df für die Funktion f(x,y) = x2<br />

y<br />

an der Stelle<br />

x = 12, y = −3 mit dx = dy = 0.2.<br />

Aufgabe 13.5.4. Berechnen Sie für die folgenden Funktionen jeweils das vollständige Differenzial.<br />

a. f(x,y) = 4x 3 −6x 2 y 2 +4y 3<br />

b. f(x,y) = x y + y x<br />

c. f(x,y) = x y<br />

d. f(x,y) = e x sin(y)<br />

(√ )<br />

e. f(x,y,z) = ln x 2 +y 2 +z 2<br />

Lösungen<br />

Lösung 13.5.2. ∆f = 0.76 und df = 0.8<br />

Lösung 13.5.3. ∆f = −5.16 und df = −4.8<br />

Lösung 13.5.4.<br />

a. df(x,y) = 12x(x−y 2 )dx+12y(y −x 2 )dy<br />

b. df(x,y) = x2 −y 2<br />

x 2 y 2 (ydx−xdy)<br />

c. df(x,y) = yx y−1 dx+x y ln(x)dy<br />

d. df(x,y) = e x (sin(y)dx+cos(y)dy)<br />

e. df(x,y,z) =<br />

1<br />

x 2 +y 2 +z 2 (xdx+ydy +zdz)


•<br />

282 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

13.6 Erste Anwendung der Fehlerrechnung<br />

Die Theorie des vollständigen Differenzials findet Verwendung in der Fehlerrechnung, wie im<br />

Weiteren gezeigt wird. Wir bringen eine erste Anwendung in diesem Gebiet.<br />

Beispiel 13.6.1. Welche Änderung ∆β ergibt sich annähernd für den Winkel β eines rechtwinkligen<br />

Dreiecks, wenn die Ankathete b = 28m um 5cm vergrössert und die Hypothenuse<br />

c = 35m um 10cm verkleinert wird?<br />

β<br />

a<br />

c<br />

β + ∆β<br />

c + dc<br />

b<br />

db<br />

Abbildung 13.6.i: Die Änderung ∆β des Winkels β eines rechtwinkligen Dreiecks, wenn die<br />

Ankathete b verlängert und die Hypothenuse c verkürzt wird.<br />

Im rechtwinkligen Dreieck haben wir sin(β) = b c<br />

, also ist der Winkel<br />

( b<br />

β(b,c) = arcsin<br />

c)<br />

eine Funktion zweier Variablen. Eine Approximation für die Änderung ∆β ist gegeben durch<br />

das vollständige Differenzial<br />

dβ(b,c) = ∂β ∂β<br />

(b,c)db+<br />

∂b<br />

1<br />

= 1 √<br />

c<br />

=<br />

1− ( b<br />

c<br />

∂c (b,c)dc<br />

)<br />

db− b 1<br />

2 c 2 √<br />

(<br />

1<br />

√ db− b )<br />

c 2 −b 2 c dc .<br />

1− ( )<br />

dc<br />

b 2<br />

Einsetzen der Werte b = 28m, db = 0.05m und c = 35m, dc = −0.1m ergibt<br />

(<br />

1<br />

dβ = √ 0.05m− 28m )<br />

(35m) 2 −(28m) 2 35m (−0.1m) = 0.00619 [Bogenmass].<br />

Diese entspricht ungefähr einer Änderung des Winkels von dβ = 21.28 ′ .<br />

Im Vergleich dazu ist die reale Änderung des Winkels<br />

∆β = β(b+db,c+dc)−β(b,c)<br />

( ) ( b+db b<br />

= arcsin −arcsin<br />

c+dc c)<br />

( ) ( )<br />

28m+0.05m 28m<br />

= arcsin −arcsin = 0.00623 [Bogenmass].<br />

35m−0.1m 35m<br />

Diese entspricht einer effektiven Änderung des Winkels von ∆β = 21.43 ′ .<br />

Der Linearisierungsfehler |∆β −dβ| = 0.15 ′ ist sehr klein und damit vernachlässigbar.<br />

c


13.7. Museum of Mathematical Art 283<br />

Aufgabe<br />

Aufgabe 13.6.1. Um welchen Wert ändert sich die Fläche F eines Dreiecks (effektiv, resp.<br />

linear approximativ), wenn die Seiten a = 10m, b = 16m und der eingeschlossene Winkel<br />

γ = 60 ◦ betragen und die Änderungen da = db = 0.2m und dγ = 1 ◦ gegeben sind?<br />

Lösung 13.6.1. Die effektive Flächenänderung beträgt ∆F = 2.98m 2 und die linearisierte<br />

dF = 2.95m 2 .<br />

13.7 Museum of Mathematical Art<br />

Die nachfolgenden Bilder sind zum geniessen da. Alle Darstellungen sind mit dem Computeralgebrasysteme<br />

Maple 8 hergestellt worden.<br />

Abbildung 13.7.i: Die Sattelfläche mit der Gleichung z = x 2 −y 2 .<br />

Abbildung 13.7.ii: Die Fläche mit der Gleichung z = 4−x 2 −4y 2 .


284 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

Abbildung 13.7.iii: Die Eierkarton-Fläche mit der Gleichung z = sin(x)sin(y).<br />

Abbildung 13.7.iv: Die Fläche mit der Gleichung z = x+y<br />

x 2 +y 2 +1 .<br />

Abbildung 13.7.v: Die Fläche mit der Gleichung z = tanh(x)tanh(y).


13.7. Museum of Mathematical Art 285<br />

Abbildung 13.7.vi: Die Fläche mit der Gleichung z = sin(x2 +y 2 )<br />

. Es handelt sich hierbei um<br />

x 2 +y 2<br />

eine Rotationsfläche.<br />

Abbildung 13.7.vii: Die Fläche mit der Gleichung z = sin(|x|+|y|)<br />

|x|+|y|<br />

.<br />

Abbildung 13.7.viii: Die Fläche mit der Gleichung z = sin(x2 +y 2 )<br />

|x|+|y|<br />

.


286 Kapitel 13. Funktionen mehrerer unabhängiger Variablen<br />

Abbildung 13.7.ix: Die Fläche mit der Gleichung z = xye −(x+y)2 .


Kapitel 14<br />

Ableitung impliziter Funktionen<br />

Das nachfolgende Kapitel 14.1 repetiert und ergänzt Kapitel 4.12 über die Ableitung impliziter<br />

Funktionen. Mit Hilfe der Betrachtungen über Funktionen zweier Variablen und deren<br />

vollständigem Differenzial lässt sich die Differenziation impliziter Funktionen unter einem<br />

etwas anderen (aber im Prinzip gleichen) Blickwinkel betrachten.<br />

14.1 Das vollständige Differenzial einer impliziten Funktion<br />

Es ist eine Tatsache der Mathematik, dass sich nicht jede Gleichung F(x,y) = 0 explizit<br />

nach y auflösen lässt, z.B. xy +cos(x +y) = 0, x = ye y oder ax 5 +bx 3 y 2 + cxy 4 +y 5 = 0.<br />

Gleichwohl sind wir oft an der Steigung der Tangenten in einem bestimmten Kurvenpunkt<br />

interessiert. Zu diesem Zweck ist es nicht nötig, die implizite Funktion F(x,y) = 0 explizit<br />

nach y aufzulösen, wie wir im Folgenden sehen werden.<br />

Die Gleichung<br />

F(x,y) = 0<br />

definiertinderEbeneeineKurve.Wirwollen imFolgenden dieSteigungeinerKurventangente<br />

bestimmen.DieKurveF(x,y) = 0kannalsSchnittkurvederFlächez = F(x,y)mitderEbene<br />

z = 0 aufgefasst werden. Das vollständige Differenzial von F ist<br />

Da F = 0 gilt, folgt dF = 0. Somit ist<br />

dF = ∂F ∂F<br />

dx+<br />

∂x ∂y dy.<br />

∂F ∂F<br />

dx+ dy = 0.<br />

∂x ∂y<br />

Nach Division durch dx erhalten wir<br />

∂F<br />

∂x + ∂F dy<br />

∂y dx = F x +F y y ′ = 0<br />

und aufgelöst nach y ′ ergibt sich<br />

y ′ = − F x<br />

F y<br />

.<br />

Es zeigt sich, dass oft nicht nach y aufgelöst werden kann, hingegen lässt sich y ′ immer<br />

berechnen.<br />

287


288 Kapitel 14. Ableitung impliziter Funktionen<br />

Abbildung 14.1.i: Tangentialebene an die Fläche z = F(x,y) im Punkt P(x,y,0). Bild: aus<br />

[17], Seite 400.<br />

Beispiel 14.1.1. Die Tangentensteigung am Kreis<br />

x 2 +y 2 = 4<br />

im Punkt P(1, √ 3) ist gesucht. Somit ist F(x,y) = x 2 +y 2 −4. Wir berechnen die partiellen<br />

Ableitungen F x = 2x und F y = 2y und daraus die Tangentensteigung<br />

y ′ (x,y) = − 2x<br />

2y = −x y .<br />

Die Steigung im gesuchten Punkt ist demzufolge y ′ (1, √ 3) = − 1 √<br />

3<br />

.<br />

Beispiel 14.1.2. Die Tangente an die Parabel<br />

y 2 = 2px<br />

im Punkt P(x 0 ,y 0 ) ist gesucht. Somit ist F(x,y) = y 2 − 2px. Wir berechnen wiederum die<br />

partiellen Ableitungen F x = −2p und F y = 2y und daraus die Tangentensteigung<br />

y ′ (x,y) = − −2p<br />

2y = p y .<br />

Die Gleichung der Tangenten im Punkt P(x 0 ,y 0 ) mit der Steigung p y 0<br />

ist<br />

y −y 0<br />

x−x 0<br />

= p y 0<br />

(vgl. Kapitel 2.3). Durch Ausmultiplizieren erhalten wir yy 0 − 2px 0 = px − px 0 . Wenn wir<br />

y 2 0 = 2px 0 ersetzen, dann folgt die implizite Tangentengleichung<br />

yy 0 = p(x+x 0 )<br />

und die nach y aufgelöste explizite Tangentengleichung<br />

y = p y 0<br />

x+ 1 2 y 0.


14.1. Das vollständige Differenzial einer impliziten Funktion 289<br />

Mit dem nachfolgenden Beispiel wollen wir aufzeigen, dass im Falle von Funktionen das Differenzieren<br />

impliziter Funktionen das uns bekannte Resultat liefert.<br />

Beispiel 14.1.3. Wir wollen die Steigung der Tangente an die Kurve mit der Gleichung<br />

y = f(x) bei x mit der Methode der Differenziation impliziter Funktionen berechnen. Also<br />

gilt für die Kurve die implizite Gleichung<br />

und somit<br />

F(x,y) = y −f(x) = 0<br />

F x = −f ′ (x) und F y = 1.<br />

Dies ergibt die uns bekannte Tangentensteigung im Punkt P(x,y)<br />

Aufgaben<br />

y ′ = − F x<br />

= − −f′ (x)<br />

= f ′ (x).<br />

F y 1<br />

Aufgabe 14.1.1. Berechnen Sie die Neigungen der Tangenten, die an die Kurve mit der<br />

Gleichung y 3 −3y +x = 0 in den Schnittpunkten der Kurve mit der y-Achse gelegt sind.<br />

Aufgabe 14.1.2. Bestimmen Sie die Ableitung y ′ der Funktion (y + 2)sin(x)−sin(y) = 0<br />

im Ursprung.<br />

Aufgabe 14.1.3. Berechnen Sie die erste Ableitung der Funktionen mit den impliziten Darstellungen.<br />

a. xy = y x<br />

b.<br />

1<br />

2 ln(x2 +y 2 )−ln|c| = arctan( y x )<br />

Aufgabe 14.1.4. UnterwelchenWinkelnschneideneinanderdieKurvenmitdenGleichungen<br />

Lösungen<br />

x 2 +4y 2 −100 = 0 und x 2 −y 2 −20 = 0?<br />

Lösung 14.1.1. Es hat drei Schnittpunkte y 0 = 0, y 1 = √ 3 und y 2 = − √ 3. Demzufolge sind<br />

die drei Neigungen m 0 = 1 3 , m 1 = m 2 = − 1 6 .<br />

Lösung 14.1.2. y ′ (0,0) = 2<br />

Lösung 14.1.3.<br />

a. y ′ (x,y) = − y−yx ln(y)<br />

x−xy x−1<br />

b. y ′ (x,y) = x+y<br />

x−y<br />

Lösung 14.1.4. Die Schnittpunkte sind P(±6,±4) und der Schnittwinkel beträgt 76 ◦ 52 ′ .


290 Kapitel 14. Ableitung impliziter Funktionen


Kapitel 15<br />

Gradient und Tangentialebene<br />

Wir betrachten einen Punkt P(x,y,z) einer regulären Fläche z = f(x,y) und alle durch diesen<br />

Punkt laufenden Kurven. Dann liegen in der Regel alle zugehörigen Kurventangenten im<br />

Punkt P(x,y,z) in ein und derselben Ebene, der so genannten Tangentialebene der Fläche<br />

des Punktes P(x,y,z). Mit Hilfe des so genannten Gradienten lässt sich diese Tangentialebeneauf<br />

elegante Art beschreiben.Der Gradient ist ein Vektor, dersich aus derBeschreibung<br />

der Fläche z = f(x,y) berechnen lässt und in jedem Punkt der Fläche senkrecht auf ihr steht.<br />

15.1 Berechnung des Gradienten<br />

Wir betrachten die Fläche mit der Gleichung<br />

und deren implizite Funktion<br />

z = f(x,y)<br />

F(x,y,z) = 0<br />

zwischen den drei Variablen x,y und z = f(x,y).<br />

Beispiel 15.1.1. Die Funktion f(x,y) = √ r 2 −x 2 −y 2 beschreibt die Fläche z = f(x,y) im<br />

Raum. Die dazu gehörigen Gleichungen in den drei Variablen x,y,z sind<br />

F(x,y,z) = x 2 +y 2 +z 2 −r 2 = 0 und z ≥ 0.<br />

Anbei handelt es sich um konzentrische Halbkugelschalen für verschiedene Radien r.<br />

Zu einer solchen Funktion gehört ein bestimmter Vektor: der so genannte Gradient der<br />

skalaren Funktion F.<br />

⎛ ⎞<br />

F x<br />

grad(F) = ⎝ F y<br />

⎠ = F x ⃗e x +F y ⃗e y +F z ⃗e z<br />

F z<br />

Seine Komponenten in einem Raumpunkt sind die Werte der partiellen Ableitungen nach<br />

den entsprechenden Variablen. Da die Gleichung F(x,y,z) = 0 mit beliebigen reellen Zahlen<br />

(ungleich null) multipliziert werden kann, ohnedieFläche zu verändern, ist der Gradient nicht<br />

invariant unter solchen Änderungen. Die Länge und das Vorzeichen des Gradienten hängen<br />

ab von der gewählten impliziten Funktion F. Hingegen gilt der nachfolgende wichtige Satz.<br />

291


292 Kapitel 15. Gradient und Tangentialebene<br />

Satz 15.1.1. Es sei z = f(x,y) eine Fläche und F(x,y,z) = z −f(x,y) = 0 deren implizite<br />

Gleichung. In jedem Punkt der Fläche steht der Gradient grad(F(x,y,z)) senkrecht auf dieser<br />

Fläche.<br />

Beweis. Wir betrachten eine Parametrisierung<br />

⎛<br />

⃗r(x,y) = ⎝<br />

x<br />

y<br />

f(x,y)<br />

der Fläche z = f(x,y). Nun berechnen wir den Tangentialvektor ⃗t x einer Kurve auf der<br />

Fläche, die parallel zur xz-Ebene liegt, d.h.<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

⃗t x = ∂<br />

∂x ⃗r(x,y) = ∂ x 1<br />

⎝ y ⎠ = ⎝ 0 ⎠<br />

∂x<br />

f(x,y) f x (x,y)<br />

und einer Kurve, die parallel zur yz-Ebene liegt, d.h.<br />

⎛ ⎞ ⎛<br />

⃗t y = ∂ ∂y ⃗r(x,y) = ∂ x<br />

⎝ y ⎠ = ⎝<br />

∂y<br />

f(x,y)<br />

⎞<br />

⎠<br />

0<br />

1<br />

f y (x,y)<br />

Wir wissen, dass die beiden Vektoren ⃗t x und ⃗t y die Tangentialebene aufspannen, also steht<br />

⎛<br />

1<br />

⎞ ⎛<br />

0<br />

⎞ ⎛ ⎞<br />

−f x (x,y)<br />

⃗t x ×⃗t y = ⎝ 0<br />

f x (x,y)<br />

⎠× ⎝ 1<br />

f y (x,y)<br />

⎠ = ⎝ −f y (x,y) ⎠<br />

1<br />

senkrecht auf der Tangentialebene. Andererseits gilt<br />

grad(F(x,y,z)) = grad(z −f(x,y)) = ⎝<br />

⎛<br />

⎞<br />

−f x (x,y)<br />

−f y (x,y)<br />

1<br />

Damit ist grad(F(x,y,z)) =⃗t x ×⃗t y , und die Behauptung ist bewiesen.<br />

Beispiel 15.1.2. Die Funktion f(x,y) = x 2 +y 2 beschreibt ein Rotationsparaboloid im<br />

Raum (vgl. Abbildung 15.1.i). Die dazugehörig Gleichung in den drei Variablen x,y und z<br />

lautet F(x,y,z) = x 2 +y 2 −z = 0. Die partiellen Ableitungen sind durch F x = 2x, F y = 2y<br />

und F z = −1 gegeben. Also ist der Gradient<br />

⎛<br />

grad(F(x,y,z)) = ⎝<br />

Wir berechnen nun den Gradient im Ursprung U(0,0,0) und im Punkt P(1,1,2)<br />

⎛ ⎞<br />

⎛ ⎞<br />

0<br />

2<br />

grad(F(0,0,0)) = ⎝ 0 ⎠ und grad(F(1,1,2)) = ⎝ 2 ⎠.<br />

−1<br />

−1<br />

2x<br />

2y<br />

−1<br />

⎞<br />

⎠.<br />

⎠.<br />

⎞<br />

⎠.


15.2. Berechnung der Tangentialebene 293<br />

z<br />

z = x 2 + y 2<br />

x 2 + y 2 = z 0<br />

•<br />

z 0<br />

•<br />

grad(F)<br />

x<br />

y<br />

Abbildung 15.1.i: Gradient grad(F) steht senkrecht auf der Fläche F(x,y,z) = 0.<br />

15.2 Berechnung der Tangentialebene<br />

Mit Hilfe des Gradienten lässt sich die Gleichung der Tangentialebene in einem Punkt<br />

P(x 0 ,y 0 ,z 0 ) einer gegebenen Fläche F(x,y,z) = 0 bestimmen (vgl. Abbildung 15.2.i).<br />

Der Gradient kann als Normalenvektor der Tangentialebene genommen werden. Falls die<br />

Tangentialebene die Gleichung<br />

besitzt, so hat der Gradient die Form 1<br />

Ax+By +Cz +D = 0<br />

⎛<br />

grad(F) = ⎝<br />

⎞ ⎛<br />

F x<br />

F y<br />

⎠ = ⎝<br />

F z<br />

Beispiel 15.2.1. Wir berechnen die Tangentialebene im Punkt P(1,1,2) des Rotationsparaboloids<br />

F(x,y,z) = x 2 +y 2 −z = 0.<br />

Der Gradient im Punkt P(x 0 ,y 0 ,z 0 ) ist<br />

grad(F(x 0 ,y 0 ,z 0 )) = ⎝<br />

Demzufolge ist die Gleichung der Tangentialebene an das Rotationsparaboloids im Punkt<br />

P(x 0 ,y 0 ,z 0 )<br />

2x 0 x+2y 0 y −z +D = 0,<br />

⎛<br />

A<br />

B<br />

C<br />

2x 0<br />

2y 0<br />

−1<br />

⎞<br />

⎠.<br />

⎞<br />

⎠.<br />

gilt.<br />

1 Beachten Sie, dass<br />

⎛<br />

grad(Ax+By +Cz +D) = ⎝<br />

A<br />

B<br />

C<br />

⎞<br />


294 Kapitel 15. Gradient und Tangentialebene<br />

Abbildung 15.2.i: Tangentialebene<br />

wobei die Konstante D noch so bestimmt werden muss, dass die Ebene durch den Punkt P<br />

geht. Im Punkt P(1,1,2) erhalten wir 2x +2y −z +D = 0 und für D ergibt sich 2·1+2·<br />

1−2+D = 0 also D = −2. Demnach ist die Tangentialebenengleichung durch<br />

gegeben.<br />

Aufgaben<br />

2x+2y −z −2 = 0<br />

Aufgabe 15.2.1. Bestimmen Sie die Tangentialebenen an die folgenden Flächen in den angegebenen<br />

Punkten. Um was für Flächen handelt es sich?<br />

a. F(x,y,z) = x 2 +y 2 +z 2 −1 = 0 im Punkt P(0,0,1)<br />

b. F(x,y,z) = e −x2 −y 2 −z = 0 im Punkt P(1,1,z 0 )<br />

c. F(x,y,z) = x 2 −y 2 +z 2 −1 = 0 im Punkt P(2, √ 6, √ 3)<br />

d. F(x,y,z) = −x 2 + y2<br />

4 −z2 = 0 im Punkt P(2,4,z 0 )<br />

Lösungen<br />

Lösung 15.2.1.<br />

a. z −1 = 0<br />

b. 2e −2 x+2e −2 y +z −5e −2 = 0<br />

c. 2x− √ 6y + √ 3z −1 = 0<br />

d. 2x−y = 0


Kapitel 16<br />

Extremstellen bei mehreren<br />

unabhängigen Variablen<br />

In diesem Kapitel verallgemeinern wir die Untersuchung von Funktionen aus Kapitel 5.4 auf<br />

Funktionen mehrerer Variablen. Maxima und Minima von Funktionen einer Variablen zeichnen<br />

sich dadurch aus, dass die jeweiligen Tangenten horizontal sind. Dieser Sachverhalt gilt<br />

auch für Funktionen zweier (oder mehrerer) Variablen: Eine horizontale Tangentialebene ist<br />

eine notwendige Bedingung für eine Extremstelle. Die zweiten partiellen Ableitungen liefern<br />

eine hinreichende Bedingung für die Unterscheidung zwischen Maxima, Minima und Sattelpunkten.<br />

In einem zweiten Teil benutzen wir diese Ergebnisse, um nach der Methode der kleinsten<br />

Quadrate zu einer gegebenen Punktewolke eine beste Gerade zu berechnen. Diese so genannte<br />

lineare Regression ist eine der wichtigsten Anwendungen der Kurvendiskussion von<br />

Funktionen mehrerer Variablen.<br />

16.1 Notwendige und hinreichende Bedingung<br />

Wir beschränken uns zuerst auf Funktionen von zwei Variablen. Gesucht sind die relativen<br />

Maxima und Minima. Bei solchen ist notwendigerweise die Tangentialebene an die Fläche<br />

z = f(x,y) horizontal, d.h., der Gradient muss parallel der z-Achse verlaufen. Die Fläche<br />

wird durch F(x,y,z) = z −f(x,y) = 0 beschrieben, also folgt<br />

⎛<br />

grad(F) = ⎝<br />

⎞ ⎛<br />

F x<br />

F y<br />

⎠ = ⎝<br />

F z<br />

−f x<br />

−f y<br />

1<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎠ = ⎝<br />

0<br />

0<br />

1<br />

⎞<br />

⎠.<br />

Woraus die notwendige Bedingung<br />

f x (x 0 ,y 0 ) = 0 und f y (x 0 ,y 0 ) = 0<br />

für einen Extremwert im Punkt P(x 0 ,y 0 ) folgt (vgl. Abbildung 16.1.i).<br />

Diese Bedingung ist aber nicht hinreichend, wie die Sattelfläche z = x 2 −y 2 im Sattelpunkt<br />

zeigt (vgl. Abbildung 16.1.ii).<br />

Die hinreichende Bedingung für die Existenz eines Extremwertes im Punkt P(x 0 ,y 0 ) ist<br />

295


296 Kapitel 16. Extremstellen bei mehreren unabhängigen Variablen<br />

Abbildung 16.1.i: Tangentialebene in einem Maximum respektive Minimum. Beachten Sie die<br />

ellipsenförmigen Höhenlinien.<br />

durch die drei folgenden Gleichungen<br />

f x (x 0 ,y 0 ) = 0<br />

f y (x 0 ,y 0 ) = 0<br />

f xx (x 0 ,y 0 )·f yy (x 0 ,y 0 )−f 2 xy (x 0,y 0 ) > 0<br />

gegeben. Diese Bedingungen ergeben sich durch die folgenden Überlegungen. Wir schneiden<br />

die Fläche mit einer horizontalen Ebene, die geringfügig höher (resp. tiefer) liegt als die<br />

Tangentialebene im Extrempunkt bei einem Minimum (resp. Maximum). Die resultierende<br />

Schnittkurve hat bei einem echten Extremwert ellipsenähnliche Form, bei einem Sattelpunkt<br />

hyperbelähnliches Aussehen. Die dritte Bedingung für die Existenz eines Extremwertes ist<br />

der formelmässige Ausdruck für diese Tatsache.<br />

Wir fassen diesen wichtigen Sachverhalt im folgenden Satz zusammen (vgl. Satz 5.4.5).<br />

Satz 16.1.1. Die Funktion f : R 2 → R sei in einer Umgebung des Punktes P(x 0 ,y 0 ) differenzierbar.<br />

Es gelten f x (x 0 ,y 0 ) = 0 und f y (x 0 ,y 0 ) = 0.<br />

a. Im Punkt P(x 0 ,y 0 ) hat die Funktion f eine lokale Minimumstelle genau dann, wenn 1<br />

f xx (x 0 ,y 0 )·f yy (x 0 ,y 0 )−f 2 xy (x 0,y 0 ) > 0 und f xx (x 0 ,y 0 ) > 0.<br />

b. Im Punkt P(x 0 ,y 0 ) hat die Funktion f eine lokale Maximumstelle genau dann, wenn 2<br />

f xx (x 0 ,y 0 )·f yy (x 0 ,y 0 )−f 2 xy(x 0 ,y 0 ) > 0 und f xx (x 0 ,y 0 ) < 0.<br />

c. Im Punkt P(x 0 ,y 0 ) hat die Funktion f einen Sattelpunkt genau dann, wenn<br />

f xx (x 0 ,y 0 )·f yy (x 0 ,y 0 )−f 2 xy (x 0,y 0 ) < 0.<br />

d. Wenn f xx (x 0 ,y 0 )·f yy (x 0 ,y 0 )−f 2 xy(x 0 ,y 0 ) = 0, dann ist keine Aussage möglich 3 .<br />

1 Aus den Bedingungen f xx ·f yy −f 2 xy > 0 und f xx > 0 folgt auch f yy > 0.<br />

2 Aus den Bedingungen f xx ·f yy −f 2 xy > 0 und f xx < 0 folgt auch f yy < 0.<br />

3 In diesem Fall müssen weitere Untersuchungen angestellt werden. In der Literatur findet sich für diesen<br />

Fall auch der Name Flachpunkt.


16.1. Notwendige und hinreichende Bedingung 297<br />

Abbildung 16.1.ii: Tangentialebene in einem Sattelpunkt. Beachten Sie die hyperbelförmigen<br />

Höhenlinien.<br />

Bei Funktionen von mehreren unabhängigen Variablen x 1 ,...,x n lautet die notwendige Bedingung<br />

für eine Extremstelle von f im Punkt P(x 1 ,...,x n ):<br />

f x1 (x 1 ,...,x n ) = ··· = f xn (x 1 ,...,x n ) = 0<br />

Eine hinreichende Bedingung geben wir nicht an.<br />

Beispiel 16.1.1. Gesucht sind die Extremstellen der Funktion<br />

f(x,y) = x 2 +xy+y 2 −2x−2y +1.<br />

Die ersten partiellen Ableitungen sind f x (x,y) = 2x + y − 2 und f y (x,y) = 2y + x − 2. Da<br />

die Gleichungen linear sind, kann aus Symmetriegründen der Funktion f geschlossen werden,<br />

dass x = y. Also folgt 3x−2 = 0 und somit x = y = 2 3 . Handelt es sich beim Punkt P(2 3 , 2 3 )<br />

um eine Extremstelle oder um einen Sattelpunkt? Die zweiten partiellen Ableitungen sind<br />

f xx (x,y) = 2, f yy (x,y) = 2 und f xy (x,y) = 1. Also folgt<br />

f xx ( 2 3 , 2 3 )·f yy( 2 3 , 2 3 )−f2 xy( 2 3 , 2 3 ) = 2·2−12 = 3 > 0,<br />

damit handelt es sich um einen Extremwert. Da f xx ( 2 3 , 2 3<br />

) = 2 > 0 sogar um ein Minimum.<br />

Beispiel 16.1.2. Gegeben seien n Punkte P 1 (x 1 ,y 1 ),...,P n (x n ,y n ). Gesucht wird der Punkt<br />

P(x,y) mit minimaler Abstandsquadratsumme von P 1 ,...,P n<br />

n∑<br />

S = d 2 i = d 2 1 +···+d 2 n.<br />

Die Koordinaten x und y des Punktes P sind so zu wählen, dass<br />

n∑ (<br />

S(x,y) = (x−xi ) 2 +(y −y i ) 2)<br />

i=1<br />

i=1


298 Kapitel 16. Extremstellen bei mehreren unabhängigen Variablen<br />

minimal wird. Wir berechnen die ersten partiellen Ableitungen und setzen sie gleich null<br />

S x (x,y) = 2<br />

S y (x,y) = 2<br />

Dann folgt<br />

n∑ n∑<br />

(x−x i )= 2 x−2<br />

i=1<br />

n∑<br />

(y −y i ) = 2<br />

i=1<br />

i=1<br />

n∑<br />

y −2<br />

n∑ n∑<br />

x i = 2nx−2 x i = 0,<br />

i=1<br />

n∑<br />

y i = 2ny −2<br />

i=1<br />

i=1 i=1 i=1<br />

n∑<br />

y i = 0.<br />

¯x = 1 n<br />

ȳ = 1 n<br />

n∑<br />

x i ,<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

y i<br />

und somit ist der gesuchte Punkt P(x,y) = (¯x,ȳ). Die Koordinaten von P sind also die<br />

y<br />

•<br />

•<br />

P(¯x,ȳ)<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

P i (x i , y i )<br />

Abbildung 16.1.iii: Schwerpunkt einer Punktwolke<br />

arithmetischen Mittel der Koordinaten der gegebenen Punkte. Es handelt sich also in einem<br />

gewissen Sinne um den Schwerpunkt.<br />

Die Frage stellt sich nun, ob es sich beim gefundenen Punkt um ein Extremum oder einen<br />

Sattelpunkt handelt. Um dies abzuklären, berechnen wir die zweiten partiellen Ableitungen<br />

im Punkt P der Funktion S:<br />

S xx (x,y) = 2n<br />

S yy (x,y) = 2n<br />

S xy (x,y) = S xy (x,y) = 0<br />

Damit wird S xx (¯x,ȳ) · S yy (¯x,ȳ)−S xy (¯x,ȳ) 2 = 4n 2 > 0 und der gefundene Punkt ist somit<br />

ein Extrempunkt, da S xx (¯x,ȳ) > 0 handelt es sich in der Tat um ein Minimum.<br />

x<br />

16.2 Methode der kleinsten Quadrate (lineare Regression)<br />

Gegeben sei eine Punktewolke von n Punkten P i (x i ,y i ). Gesucht ist die Gerade mit der<br />

Gleichung y = ax+b, die diese Punktewolke im Sinnevon Gauss möglichst gut annähert. Dies


16.2. Methode der kleinsten Quadrate (lineare Regression) 299<br />

bedeutet,dassdieGerade,d.h.aundb,sogewähltwird,dassdiesogenannteFehlerquadratsumme<br />

S(a,b) =<br />

n∑<br />

∆yi 2 ,<br />

die Summe der quadratischen Abweichungen von den gegebenen Punkten minimal ist. Für<br />

i=1<br />

y<br />

•<br />

P i (x i , y i )<br />

•<br />

•<br />

∆y i<br />

•<br />

•<br />

y = ax + b<br />

•<br />

Abbildung 16.2.i: Regressionsgerade<br />

x<br />

die Fehlerquadratsumme erhalten wir<br />

S(a,b) =<br />

n∑<br />

(y i −ax i −b) 2 .<br />

i=1<br />

Sie ist zu minimalisieren, also berechnen wir die ersten partiellen Ableitungen und setzen sie<br />

gleich null<br />

S a (a,b) = −2<br />

S b (a,b) = −2<br />

n∑<br />

(y i −ax i −b)x i = 0,<br />

i=1<br />

n∑<br />

(y i −ax i −b) = 0.<br />

i=1<br />

Dies ergibt das lineare Gleichungssystem in den Variablen a und b<br />

n∑ n∑<br />

a x 2 i +b x i =<br />

i=1<br />

a<br />

i=1<br />

n∑<br />

x i +bn =<br />

i=1<br />

n∑<br />

x i y i ,<br />

i=1<br />

n∑<br />

y i ,<br />

i=1<br />

(16.2.a)<br />

(16.2.b)


300 Kapitel 16. Extremstellen bei mehreren unabhängigen Variablen<br />

welches mit der Cramerschen Regel (vgl. Fussnote 6 in Kapitel 22.4 oder [21] Seiten 86ff) die<br />

Lösung ⎛ ⎞<br />

n∑ n∑<br />

x i y i x i<br />

det<br />

i=1 i=1<br />

⎜ n∑ ⎟<br />

⎝<br />

n<br />

⎠<br />

n∑ n∑ n∑<br />

n x i y i − x i<br />

und<br />

b =<br />

a =<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎛<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎛<br />

⎛<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

x i<br />

x 2 i<br />

x i<br />

y i<br />

x 2 i<br />

x i<br />

n∑<br />

i=1<br />

n<br />

x i<br />

⎞<br />

n∑<br />

x i y i<br />

n∑ ⎟<br />

y<br />

⎠ i<br />

i=1<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

n<br />

x i<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

=<br />

=<br />

n∑<br />

i=1<br />

i=1<br />

n<br />

x 2 i<br />

n<br />

n∑<br />

i=1<br />

i=1<br />

x 2 i − ( n∑<br />

i=1<br />

n∑<br />

y i −<br />

i=1<br />

n∑<br />

i=1<br />

x i<br />

) 2<br />

y i<br />

n∑ n∑<br />

x i x i y i<br />

i=1<br />

i=1<br />

x 2 i − ( n∑<br />

i=1<br />

i=1<br />

x i<br />

) 2<br />

ergibt. Der Koeffizient a heisst Regressionskoeffizient und b die Regressionskonstante.<br />

Aus der Gleichung (16.2.b) entnehmen wir, dass der Schwerpunkt<br />

( )<br />

1<br />

n∑<br />

P(¯x,ȳ) = P x i , 1 n∑<br />

y i<br />

n n<br />

der Punktewolke auf der Geraden y = ax+b liegt.<br />

Die Frage stellt sich nun wiederum, ob es sich bei der gefundenen Lösung um ein Extremum<br />

oder einen Sattelpunkt handelt. Um dies abzuklären, berechnen wir die zweiten partiellen<br />

Ableitungen der Funktion S<br />

n∑<br />

S aa (a,b) = 2<br />

und betrachten<br />

i=1<br />

i=1<br />

i=1<br />

S bb (a,b) = 2n<br />

n∑<br />

S ab (a,b) = S ba (a,b) = 2<br />

S aa (a,b)·S bb (a,b)−S ab (a,b) 2 = 4n<br />

Wir benutzen die Cauchy-Schwarzsche Ungleichung<br />

|〈⃗u,⃗v〉| ≤ |⃗u|·|⃗v|,<br />

i=1<br />

n∑<br />

x 2 i<br />

x i<br />

i=1<br />

x 2 i −4 ( n∑<br />

i=i<br />

x i<br />

) 2<br />

.


16.2. Methode der kleinsten Quadrate (lineare Regression) 301<br />

die in Komponenten ausgeschrieben die folgende Form hat<br />

( n∑<br />

) 2 n∑ n∑<br />

u i v i ≤ u 2 i vi 2 .<br />

i=1 i=1 i=1<br />

Wenn die Vektoren ⃗u und⃗v parallel sind, danngilt die Gleichheit in der Cauchy-Schwarzschen<br />

Ungleichung.<br />

Mit der Setzung u 1 = 1,...,u n = 1 und v 1 = x 1 ,...,v n = x n folgt<br />

( n∑<br />

) 2 n∑<br />

x i > n x 2 i,<br />

i=i i=1<br />

da die Vektoren ⃗u und ⃗v nicht parallel sind. Damit ergibt sich die hinreichende Bedingung<br />

(<br />

n∑ n∑<br />

) 2<br />

S aa (a,b)·S bb (a,b)−S ab (a,b) 2 = 4n x 2 i −4 x i > 0<br />

i=1 i=i<br />

für einen Extrempunkt. Da S aa (a,b) = 2 ∑ n<br />

Minimum.<br />

Aufgaben<br />

i=1 x2 i<br />

> 0 gilt, handelt es sich in der Tat um ein<br />

Aufgabe 16.2.1. Bestimmen Sie für die folgenden Funktionen die Extremstellen und Extremwerte.<br />

a. f(x,y) = x 2 −xy +y 2 +3y<br />

b. f(x,y) = x 2 +3xy +y 2 −x−4y +8<br />

c. f(x,y) = 5(x+2y −1)−(x 2 +xy −y 2 )<br />

d. f(x,y) = xy<br />

27 + 1 x − 1 y<br />

e. f(x,y) = 2x 3 −3xy +2y 3 +1<br />

Aufgabe 16.2.2. Für f(x,y) = sin(x)+sin(y) +sin(x+y) sind die im Bereich 0 ≤ x ≤ π 2<br />

und 0 ≤ y ≤ π 2<br />

liegenden Extremstellen und dazugehörigen Extremwerte zu berechnen.<br />

Aufgabe 16.2.3. Eine Strecke l ist in drei Teile zu teilen, dass deren Produkt ein Maximum<br />

ist.<br />

Aufgabe 16.2.4. Ein Dreieck wird festgelegt durch drei Geraden mit den Gleichungen y =<br />

x+2, y = −x+3 und x = 6. Bestimmen Sie die Koordinaten des Punktes, für den die Summe<br />

der Quadrate seiner Abstände von den Seiten des Dreiecks ein Minimum ist.<br />

Aufgabe 16.2.5. Das Volumen eines Quaders sei V. Wie gross müssen die Kanten sein,<br />

damit die Oberfläche ein Minimum wird?<br />

Aufgabe 16.2.6. Ein Kanal hat einen trapezförmigen Querschnitt, dessen Fläche A gegeben<br />

ist. Wie müssen die Höhe h und der Böschungswinkel α gewählt werden, damit der benetzte<br />

Umfang U ein Minimum wird?


302 Kapitel 16. Extremstellen bei mehreren unabhängigen Variablen<br />

Lösungen<br />

Lösung 16.2.1.<br />

a. Minimum f min (−1,−2) = −3<br />

b. kein Extremum, Sattelpunkt bei x = 2,y = −1<br />

c. kein Extremum, Sattelpunkt bei x = 4,y = −3<br />

d. Maximum f max (−3,3) = −1<br />

e. Minimum f min ( 1 2 , 1 2 ) = 3 4<br />

, Sattelpunkte bei x = y = 0<br />

Lösung 16.2.2. Maximum f max ( π 3 , π 3 ) = 3√ 3<br />

2<br />

Lösung 16.2.3. Die drei Teile haben die gleiche Länge von l 3 .<br />

Lösung 16.2.4. Der gesuchte Punkt ist P( 13 4 , 5 2 ).<br />

Lösung 16.2.5. Die Länge der Kanten sind 3√ V.<br />

Lösung 16.2.6. Böschungswinkel α = π 3 und Höhe h = √A<br />

3√<br />

3.


Kapitel 17<br />

Approximation mit minimalem<br />

quadratischen Fehler<br />

Das Prinzip der Approximation mit minimalem quadratischen Fehler, bei dem wir zwischen<br />

stetigen (vgl. Kapitel 17.1) und diskreten Problemen (vgl. Kapitel 16.2 und 17.2) unterscheiden,<br />

wird auch als Gausssche Methode der kleinsten Quadrate (MKQ) bezeichnet oder<br />

unter dem Begriff Ausgleichsrechnung zusammengefasst.<br />

Abbildung 17.0.ii: Carl Friedrich Gauss,<br />

1777-1855<br />

Abbildung 17.0.iii: Pafnutij Tschebysheff,<br />

1821-1894<br />

Problemstellung: Gegeben sei eine exakte, z.B. durch Kurvenstücke zusammengesetzte<br />

Funktion g oder eine empirisch vorliegende, d.h. durch eine Anzahl Messpunkte gegebene<br />

Funktion. Gesucht wird eine Funktion f, die diese Funktion nach der Gaussschen Methode<br />

der kleinsten Quadrate am besten annähert.<br />

303


304 Kapitel 17. Approximation mit minimalem quadratischen Fehler<br />

17.1 Approximation einer stückweise stetigen Funktion<br />

(P. Tschebysheff, 1821-1894)<br />

Gesucht wird eine Funktion f : [a,b] → R, welche die gegebene Funktion g : [a,b] → R so<br />

annähert, dass das Integral<br />

∫ b<br />

a<br />

(g(x)−f(x)) 2 dx<br />

minimal wird. Wir sprechen auch etwa von einer Approximation im Mittel.<br />

y<br />

y = g(x)<br />

y = mx + q<br />

a<br />

Abbildung 17.1.i: Allgemeine Approximation mit minimalem quadratischen Fehler<br />

Der Typ der gesuchten Funktion f muss natürlich bekannt sein, z.B. Gerade, Parabel, etc.<br />

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich die Approximation immer auf ein bestimmtes<br />

Intervall [a,b] bezieht. Die obige Formel stellt die Verallgemeinerung der Fehlerquadratsumme<br />

auf stetige Funktionen dar.<br />

Beispiel 17.1.1. Gegeben sei die Funktion g(x) = x 2 . Gesucht wird die Gerade f(x) =<br />

mx+q, die die Parabel im Intervall [0,3] am besten annähert. Wir bilden das Integral<br />

F(m,q) =<br />

∫ 3<br />

0<br />

(x 2 −mx−q) 2 dx,<br />

welches minimalisiert werden soll. Zuerst berechnen wir das Integral<br />

F(m,q) =<br />

∫ 3<br />

0<br />

(x 4 +m 2 x 2 +q 2 −2mx 3 −2qx 2 +2mqx)dx<br />

( )∣ x<br />

5<br />

=<br />

5 +m2x3 3 +q2 x−2m x4 ∣∣∣<br />

3<br />

4 −2qx3 3 +2mx2 2 q 0<br />

= 243<br />

5 +9m2 +3q 2 − 81<br />

2<br />

m−18q +9mq.<br />

Nun sind m und q so zu wählen, dass die Funktion F minimal wird. Also berechnen wir die<br />

ersten partiellen Ableitungen und setzen sie gleich null<br />

F m (m,q) = 18m+9q − 81<br />

2 = 0,<br />

F q (m,q) = 9m+6q −18 = 0.<br />

Es resultiert ein lineares Gleichungssystem mit der eindeutigen Lösung m = 3 und q = − 3 2 .<br />

Also ist die gesuchte Gerade<br />

y = 3x− 3 2 .<br />

b<br />

x


17.2. Approximation von diskreten Funktionen 305<br />

Da F mm (m,q) = 18, F qq (m,q) = 6 und F mq (m,q) = F qm (m,q) = 9 folgt<br />

F mm (3,− 3 2<br />

) = 18 > 0,<br />

F mm (3,− 3 2 )·F qq(3,− 3 2 )−F2 mq (3,−3 2<br />

) = 27 > 0.<br />

Somit handelt es sich bei der gefundenen Lösung in der Tat um ein Minimum.<br />

Bemerkung 17.1.1. Das gleiche Resultat liesse sich auch dadurch erzielen, indem wir zuerst<br />

nach m und q partiell differenzieren und dann integrieren, d.h.<br />

F m (m,q) = −2<br />

F q (m,q) = −2<br />

∫ 3<br />

0<br />

∫ 3<br />

0<br />

x(x 2 −mx−q)dx = 18m+9q − 81 2 = 0,<br />

(x 2 −mx−q)dx = 9m+6q −18 = 0.<br />

Die im Beispiel 17.1.1 vorgeführte Methode folgt konsequent der Idee der Approximation<br />

einer stückweise stetigen Funktion mit minimalem quadratischen Fehler nach Tschebysheff;<br />

ist aber etwas aufwändiger zum Rechnen.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 17.1.1. Ermitteln sie die Konstanten a und b so, dass im Intervall [0,1] die Gleichung<br />

ax+b = √ x mit minimalem quadratischen Fehler gilt.<br />

Aufgabe 17.1.2. Gegeben sei die Funktion<br />

{ x<br />

2<br />

für x ∈ [0,1],<br />

g(x) =<br />

x für x ∈ [1,2].<br />

Bestimmen Sie für das Intervall [0,2] die beste Gerade zu dieser Funktion.<br />

Aufgabe 17.1.3. Bestimmen Sie für die Funktion g(x) = e x die beste Gerade im Intervall<br />

[0,1].<br />

Lösungen<br />

Lösung 17.1.1. a = 4 5 und b = 4 15<br />

Lösung 17.1.2. Die Steigung ist 9 8 und der Achsenabschnitt ist − 5 24 .<br />

Lösung 17.1.3. Die Steigung ist 18−6e und der Achsenabschnitt ist −10+4e.<br />

17.2 Approximation von diskreten Funktionen<br />

(C. F. Gauss, 1777-1855)<br />

Gegeben seien n Punkte P 1 (x 1 ,y 1 ),...,P n (x n ,y n ). Gesucht ist eine Funktion f der Form<br />

f(x) =<br />

m∑<br />

a k f k (x) = a 1 f 1 (x)+···+a m f m (x), wobei m < n.<br />

k=1


306 Kapitel 17. Approximation mit minimalem quadratischen Fehler<br />

Die m Funktionen f 1 ,...,f m sind vorgegebene Funktionen in analytischer Form, wie zum<br />

Beispiel x 2 , sin(x) oder 1 x . Die Koeffizienten a 1,...,a m werden so bestimmt, dass die Fehlerquadratsumme<br />

n∑<br />

n∑<br />

S(a 1 ,...,a m ) = (f(x i )−y i ) 2 =<br />

i=1<br />

bezüglich der n Punkte P i minimal wird. Dies stellt eine Verallgemeinerung der bereits besprochenen<br />

Methode der kleinsten Quadrate dar. Für a 1 = a, a 2 = b und f 1 (x) = x, f 2 (x) = 1<br />

i=1<br />

∆y 2 i<br />

y<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

f(x i )<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

P i (x i , y i )<br />

x i<br />

∆y i<br />

y = f(x)<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

x<br />

Abbildung 17.2.i: Allgemeine Approximation mit minimalem quadratischen Fehler.<br />

ergibt sich der der Spezialfall einer Ausgleichsgeraden. Wir wollen also die Fehlerquadratsumme<br />

(<br />

n∑<br />

n∑ m<br />

) 2<br />

∑<br />

S(a 1 ,...,a m ) = (f(x i )−y i ) 2 = a k f k (x i )−y i<br />

i=1 i=1 k=1<br />

minimieren, dazu berechnen wir alle ersten partiellen Ableitungen<br />

(<br />

n∑ ∑ m<br />

S a1 (a 1 ,...,a m ) = 2 a k f k (x i )−y i<br />

)f 1 (x i ) = 0,<br />

i=1 k=1<br />

.<br />

.<br />

(<br />

n∑ ∑ m<br />

S am (a 1 ,...,a m ) = 2 a k f k (x i )−y i<br />

)f m (x i ) = 0.<br />

i=1 k=1<br />

Dies ergibt ein lineares Gleichungssystem mit m Gleichungen für die m unbekannten Koeffizienten<br />

a 1 ,...,a m .<br />

(<br />

n∑ ∑ m<br />

) (<br />

n∑ m<br />

)<br />

∑<br />

n∑<br />

a k f k (x i ) f 1 (x i ) = a k f k (x i )f 1 (x i ) = y i f 1 (x i ),<br />

i=1 k=1<br />

i=1 k=1<br />

i=1<br />

.<br />

(<br />

n∑ ∑ m<br />

)<br />

a k f k (x i ) f m (x i ) =<br />

i=1 k=1<br />

.<br />

(<br />

n∑ ∑ m<br />

)<br />

a k f k (x i )f m (x i ) =<br />

i=1 k=1<br />

n∑<br />

y i f m (x i ).<br />

i=1


17.2. Approximation von diskreten Funktionen 307<br />

Jetzt sollen die Summenbildungen vertauscht werden 1 . Wir erhalten<br />

m∑ n∑<br />

) (<br />

m∑ n∑<br />

)<br />

a k f k (x i )f 1 (x i ) = k f k (x i )f 1 (x i ) =<br />

k=1(<br />

i=1<br />

k=1a<br />

i=1<br />

m∑<br />

k=1( n∑<br />

i=1<br />

und ausführlich geschrieben<br />

a 1<br />

( n∑<br />

i=1<br />

a 1<br />

( n∑<br />

i=1<br />

.<br />

.<br />

) (<br />

m∑ n∑<br />

)<br />

a k f k (x i )f m (x i ) = k f k (x i )f m (x i ) =<br />

k=1a<br />

i=1<br />

f 1 (x i )f 1 (x i )<br />

f 1 (x i )f m (x i )<br />

)<br />

)<br />

+···+a m<br />

( n∑<br />

i=1<br />

+···+a m<br />

( n∑<br />

i=1<br />

f m (x i )f 1 (x i )<br />

)<br />

=<br />

n∑<br />

y i f 1 (x i ),<br />

i=1<br />

n∑<br />

y i f m (x i )<br />

i=1<br />

n∑<br />

y i f 1 (x i ),<br />

i=1<br />

. (17.2.a)<br />

)<br />

n∑<br />

f m (x i )f m (x i ) = y i f m (x i ).<br />

Beim linearen Gleichungssystem (17.2.a) handelt es sich um das so genannte Normalgleichungssystem<br />

der Ausgleichsrechnung. Dieses lässt sich auch mit Hilfe vom Matrizen schreiben<br />

⎛<br />

⎞ ⎛ ⎞<br />

n∑<br />

n∑<br />

n∑<br />

⎜ f 1 (x i )f 1 (x i ) ··· f m (x i )f 1 (x i ) ⎟ ⎛ ⎜ y i f 1 (x i ) ⎟<br />

⎜<br />

⎝<br />

i=1<br />

i=1<br />

.<br />

. .. .<br />

n∑<br />

n∑<br />

f 1 (x i )f m (x i ) ··· f m (x i )f m (x i )<br />

i=1<br />

i=1<br />

⎜<br />

· ⎝<br />

⎟<br />

⎠<br />

⎞<br />

a 1<br />

.<br />

a m<br />

⎟<br />

⎠ =<br />

⎜<br />

⎝<br />

i=1<br />

i=1<br />

.<br />

n∑<br />

y i f m (x i )<br />

i=1<br />

. (17.2.b)<br />

⎟<br />

⎠<br />

In abkürzender Schreibweise können wir das obige lineare Normalgleichungssystem (17.2.b)<br />

gemäss<br />

A⃗a = ⃗ b<br />

(17.2.c)<br />

schreiben, wobei die m gesuchten unbekannten Koeffizienten a 1 ,...,a m zum Vektor⃗a zusammengefasst<br />

wurden. Die Koeffizienten<br />

A kj =<br />

n∑<br />

f k (x i )f j (x i ), k,j ∈ {1,...,m}<br />

i=1<br />

1 Wir betrachten dazu ein vereinfachtes Beispiel von Doppelsummen und der Vertauschung von Summenzeichen<br />

)<br />

3∑<br />

a ik = (a 11 +a 12)+(a 21 +a 22)+(a 31 +a 32)<br />

i=1( 2∑<br />

k=1<br />

= (a 11 +a 21 +a 31)+(a 12 +a 22 +a 32)<br />

)<br />

2∑<br />

= a ik .<br />

k=1( 3∑<br />

i=1


308 Kapitel 17. Approximation mit minimalem quadratischen Fehler<br />

der symmetrischen (m×m)-Matrix A und die Koeffizienten<br />

b k =<br />

n∑<br />

y i f k (x i ), k ∈ {1,...,m}.<br />

i=1<br />

desStörvektors ⃗ bberechnenwirausdenKoordinatendergegebenenPunkte.Damit lassensich<br />

nun die gesuchten Koeffizienten a 1 ,...,a m durch lösen des linearen Normalgleichungssystems<br />

(17.2.c) berechnen. Bei grossem m geschieht dies mittels Computer. Damit ist das gegebene<br />

Problem im Prinzip gelöst.<br />

Beispiel 17.2.1. Eine Punktmenge sei durch eine Funktion der Form<br />

f(x) = ax+bsin(x)<br />

[x im Bogenmass]<br />

im Gaussschen Sinne zu approximieren. Die folgenden 8 Punkte P 1 ,...,P 8 seien tabellarisch<br />

gegeben<br />

Wir minimieren<br />

i 1 2 3 4 5 6 7 8<br />

x i 0 1 2 3 4 5 6 7<br />

y i 0.0 0.2 1.1 2.9 4.8 6.0 6.3 6.3<br />

S(a,b) =<br />

8∑<br />

(ax i +bsin(x i )−y i ) 2 ,<br />

i=1<br />

dazu berechnen wir die ersten partiellen Ableitungen<br />

S a (a,b) = 2<br />

S b (a,b) = 2<br />

8∑<br />

(ax i +bsin(x i )−y i )x i = 0,<br />

i=1<br />

8∑<br />

(ax i +bsin(x i )−y i )sin(x i ) = 0.<br />

i=1<br />

Dies ergibt das lineare Gleichungssystem 2 mit zwei Gleichungen für die zwei unbekannten<br />

Koeffizienten a und b.<br />

8∑ 8∑ 8∑<br />

ax 2 i + bx i sin(x i ) = y i x i ,<br />

oder<br />

a<br />

i=1<br />

8∑<br />

ax i sin(x i )+<br />

i=1<br />

a<br />

i=1<br />

8∑<br />

bsin 2 (x i ) =<br />

i=1<br />

8∑ 8∑<br />

x 2 i +b x i sin(x i ) =<br />

i=1<br />

8∑<br />

x i sin(x i )+b<br />

i=1<br />

i=1<br />

8∑<br />

sin 2 (x i ) =<br />

i=1<br />

i=1<br />

8∑<br />

y i sin(x i )<br />

i=1<br />

8∑<br />

y i x i ,<br />

i=1<br />

8∑<br />

y i sin(x i ).<br />

i=1<br />

(17.2.d)<br />

2 Dieses lineare Gleichungssystem hätte sich auch direkt aus dem linearen Normalgleichungssystem (17.2.a)<br />

durch Einsetzen von n = 8, m = 2 und a 1 = a, a 2 = b und f 1(x) = x, f 2(x) = sin(x) ergeben.


17.2. Approximation von diskreten Funktionen 309<br />

Daraus lassen sich die gesuchten Koeffizienten a und b berechnen. Dieses Normalgleichungssystem<br />

lässt sich wiederum mit Hilfe einer Matrizengleichung schreiben<br />

⎛<br />

⎞ ⎛ ⎞<br />

8∑ 8∑<br />

8∑<br />

x 2 i x i sin(x i )<br />

)<br />

y i x i<br />

i=1 i=1<br />

a ⎜<br />

⎝<br />

8∑ 8∑ ⎟ =<br />

i=1<br />

⎠·(<br />

b ⎜<br />

x i sin(x i ) sin 2 ⎝<br />

8∑ ⎟<br />

⎠ .<br />

(x i ) y i sin(x i )<br />

i=1<br />

i=1<br />

Aus den Koordinaten der gegebenen 8 Punkte P 1 (x 1 ,y 1 ),...,P 8 (x 8 ,y 8 ) lassen sich die Koeffizienten<br />

dieses Normalgleichungssystems numerisch berechnen. Wir erhalten 3<br />

i=1<br />

8∑<br />

x 2 i = 140,<br />

i=1<br />

8∑<br />

sin 2 (x i ) = 3.5568,<br />

i=1<br />

8∑<br />

x i sin(x i ) = −1.8160,<br />

i=1<br />

8∑<br />

x i y i = 142.2,<br />

i=1<br />

8∑<br />

y i sin(x i ) = −5.4297.<br />

Damit ergibt sich das zu lösende lineare Normalgleichungssystem<br />

( ) ( ) ( )<br />

140 −1.8160 a 142.2<br />

· =<br />

−1.8160 3.5568 b −5.4297<br />

i=1<br />

mit der Lösung 4 a = 1.0026 und b = −1.0147. Die gesuchte Ausgleichsfunktion ist also durch<br />

f(x) = 1.0026x−1.0147sin(x)<br />

3 x im Bogenmass<br />

4 Wir könnten auch mit der Cramerschen Regel (vgl. Fussnote 6 in Kapitel 22.4 oder [21], Seiten 86ff) die<br />

Lösung<br />

und<br />

a =<br />

⎛<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎛<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

b =<br />

⎛<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎛<br />

det<br />

⎜<br />

⎝<br />

8∑<br />

y ix i<br />

i=1<br />

8∑<br />

y isin(x i)<br />

i=1<br />

8∑<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

8∑<br />

x isin(x i)<br />

i=1<br />

8∑<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

8∑<br />

x isin(x i)<br />

i=1<br />

8∑<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

8∑<br />

x isin(x i)<br />

i=1<br />

⎞<br />

8∑<br />

x isin(x i)<br />

8∑ ⎟<br />

sin 2 ⎠<br />

(x i)<br />

i=1<br />

i=1<br />

⎞ =<br />

8∑<br />

x isin(x i)<br />

8∑ ⎟<br />

sin 2 ⎠<br />

(x i)<br />

i=1<br />

i=1<br />

8∑<br />

y ix i<br />

i=1<br />

8∑<br />

y isin(x i)<br />

i=1<br />

i=1<br />

i=1<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

8∑ 8∑<br />

x iy i sin 2 (x i)−<br />

i=1<br />

⎞ =<br />

8∑<br />

x isin(x i)<br />

8∑ ⎟<br />

sin 2 ⎠<br />

(x i)<br />

8∑<br />

i=1<br />

8∑<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

8∑<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

8∑ 8∑<br />

y isin(x i) x isin(x i)<br />

i=1<br />

i=1<br />

(<br />

8∑ 8∑<br />

sin 2 (x i)− x isin(x i)<br />

i=1<br />

i=1<br />

8∑<br />

y isin(x i)−<br />

i=1<br />

x 2 i<br />

i=1 i=1<br />

direkt aus dem Normalgleichungssystem (17.2.d) explizit berechnen.<br />

i=1<br />

) 2<br />

8∑ 8∑<br />

x isin(x i) x iy i<br />

i=1<br />

(<br />

8∑ 8∑<br />

) 2<br />

.<br />

sin 2 (x i)− x isin(x i)<br />

i=1


310 Kapitel 17. Approximation mit minimalem quadratischen Fehler<br />

gegeben.<br />

Die berechneten Werte im Vergleich zu den gegebenen ergeben sich zu:<br />

Aufgaben<br />

i 1 2 3 4 5 6 7 8<br />

x i 0 1 2 3 4 5 6 7<br />

y i 0.0 0.2 1.1 2.9 4.8 6.0 6.3 6.3<br />

f(x i ) 0.0000 0.1488 1.0825 2.8646 4.7783 5.9860 6.2991 6.3526<br />

Aufgabe 17.2.1. In einem Wald sind die Durchmesser x 1 ,...,x n und die dazu gehörigen<br />

Höhen y 1 ,...,y n von n Bäumen gemessen worden, so dass n empirische Zahlenpaare (x 1 ,y 1 ),<br />

...,(x n ,y n ) gegeben sind. Durch die Punkte kann am ehesten eine passende logarithmische<br />

Ausgleichskurve gelegt werden. Bestimmen Sie diese Funktion in der Form<br />

f(x) = alog 10 (x)+b.<br />

Numerisches Beispiel: P 1 (1,1), P 2 (2,2), P 3 (4,2.5)<br />

Aufgabe 17.2.2. Bestimmen Sie die beste Funktion der Form<br />

zu den folgenden Punkten:<br />

f(x) = ax 2 +be −x<br />

i 1 2 3 4 5<br />

x i 0 1 2 3 4<br />

y i -1.0 1.6 7.9 17.9 32.0<br />

Aufgabe 17.2.3. Bestimmen Sie die beste Funktion der Form<br />

zu den folgenden Punkten:<br />

f(x) = a+bx+csin(x)<br />

[x im Bogenmass]<br />

i 1 2 3 4<br />

x i 0 1 2 3<br />

y i 1.0000 1.1585 2.0907 3.8589<br />

Aufgabe 17.2.4. Bestimmen Sie die beste Funktion der Form<br />

zu den folgenden Punkten:<br />

Lösungen<br />

f(x) = a+bx 2 +csin(x)+dcos(x)<br />

[x im Bogenmass]<br />

i 1 2 3 4 5 6<br />

x i -2 -1 0 1 2 3<br />

y i -3.7416 1.2391 4.0000 2.9221 -1.9230 -8.8389<br />

Lösung 17.2.1. a = 2.491 und b = 1.083<br />

Lösung 17.2.2. a = 1.999897 und b = −1.007806<br />

Lösung 17.2.3. a = 0.9999968, b = 1.00001021 und c = −1.0000318<br />

Lösung 17.2.4. a = 2.0000, b = −1.0000, c = 1.0000 und d = 1.9999


Kapitel 18<br />

Extremwerte mit<br />

Nebenbedingungen<br />

In Kapitel 16 haben wir uns mit Extremstellen bei mehreren unabhängigen Variablen befasst.<br />

Die unabhängigen Variablen waren im Allgemeinen keinerlei Einschränkungen unterworfen.<br />

In vielen Anwendungen sieht die Situation aber anders aus, d.h., die unabhängigen Variablen<br />

sind so genannten Nebenbedingungen unterworfen. Zum Beispiel müssen wir bei gegebenem<br />

Volumen die Oberfläche eines Quaders minimieren, indem wir die idealen Kantenlängen bestimmen.<br />

Abbildung 18.0.ii: Joseph Louis Lagrange, 1736-1813<br />

In diesem Kapitel werden wir nun eine elegante Methode kennen lernen, die es uns erlaubt,<br />

auch bei komplizierteren Nebenbedingung gewisse Funktionen zu minimieren oder maximieren.<br />

Die vorgestellte Methode geht auf Joseph Louis Lagrange, 1736-1813, zurück (vgl. Abbildung<br />

18.0.ii).<br />

18.1 Motivation<br />

Beispiel 18.1.1. Es sei V das gegebene Volumen eines Quaders. Wie sind die Kantenlängen<br />

a, b und c zu wählen, damit die Oberfläche des Quaders minimal wird (vgl. Aufgabe 16.2.5)?<br />

Das Volumen ist durch V(a,b,c) = abc und die Oberfläche durch<br />

O(a,b,c) = 2ab+2bc+2ca<br />

311


312 Kapitel 18. Extremwerte mit Nebenbedingungen<br />

gegeben. Um die Oberfläche zu minimieren ersetzen wir zuerst c = V ab in<br />

O(a,b) = 2ab+2b V ab +2V ab a = 2ab+2V a +2V b<br />

und berechnen dann die ersten partiellen Ableitungen<br />

O a (a,b) = 2b−2 V a2= 0,<br />

O b (a,b) = 2a−2 V b2= 0.<br />

Die erste Gleichung mit −a und die zweite mit b multiplizieren und danach die resultierenden<br />

Gleichungen addieren, ergibt 2 V a −2V b = 0, also folgt a = b. Damit folgt unmittelbar b = 3√ V<br />

und somit<br />

a = b = c = 3√ V.<br />

Der Quader mit minimaler Oberfläche ist also ein Würfel.<br />

Der Lösungsweg ist trotz der Symmetrie der Aufgabenstellung asymmetrisch. Dies bewirkt<br />

im Allgemeinen eine Komplizierung der Rechnung. Wir beschreiben im Folgenden einen<br />

Lösungsweg, bei dem eine vorhandene Symmetrie erhalten bleibt.<br />

18.2 Lagrangemultiplikatoren<br />

Wir gehen von folgender Problemstellung aus: Es sei eine Funktion f zweier Variablen x und<br />

y und eine Nebenbedingung g(x,y) = 0 gegeben. Gesucht wird der Extremwert von f unter<br />

der Nebenbedingung g(x,y) = 0.<br />

Abbildung 18.2.i: Extremwerte mit Nebenbedingungen. Bild: aus [17], Seite 408.<br />

Geometrisch ergibt sich eine Fläche mit einer Kurve. Ein Maximum mit einer Nebenbedingung<br />

beschreibt den höchsten Punkt der Kurve auf der Fläche z = f(x,y). Es sei z = c,


18.2. Lagrangemultiplikatoren 313<br />

damit erhalten wir die Höhenlinie c = f(x,y). Eine ganz bestimmte Höhenlinie berührt die<br />

Kurve auf der Fläche in ihrem obersten (resp. untersten) Punkt E. Wir betrachten den entsprechenden<br />

Projektionspunkt E ′ . Durch E ′ geht die projizierte Kurve K ′ und die Projektion<br />

der Höhenlinie<br />

g(x,y) = 0 und c = f(x,y).<br />

Die beiden Kurven haben in E ′ die gleiche Tangentensteigung. Durch implizites Ableiten<br />

erhalten wir die Tangentensteigung der Kurve K ′ im Punkt E ′ vermöge<br />

y ′ = − g x<br />

g y<br />

und die Tangentensteigung der projizierten Höhenlinie K im Punkt E ′<br />

y ′ = − f x<br />

f y<br />

.<br />

Demzufolge gilt im Punkt E ′ die Gleichung der Tangentensteigungen<br />

g x<br />

g y<br />

= f x<br />

f y<br />

.<br />

Das heisst, Zähler und Nenner sind proportional mit dem gleichen Faktor λ ∈ R<br />

f x −λg x = 0,<br />

f y −λg y = 0.<br />

Diese Ausdrücke sind partielle Ableitungen der so genannten Lagrangehilfsfunktion<br />

F(x,y,λ) = f(x,y)−λg(x,y)<br />

nach den Variablen x und y. Der Faktor λ heist Lagrangemultiplikator.<br />

Eine hinreichende Bedingung wird nicht besprochen. Meistens kann durch eine allgemeine<br />

Überlegung herausgefunden werden, welche Art von Extremum vorliegt.<br />

Diese Methode funktioniert auch für Funktionen von mehreren (mehr als zwei) Variablen.<br />

Gegeben seien eine Funktion f in den Variablen x 1 ,...,x n und die m Nebenbedingungen<br />

g 1 (x 1 ,...,x n ) = 0,<br />

g m (x 1 ,...,x n ) = 0.<br />

Gesucht sind die Extremwerte der Funktion f in den n Variablen x 1 ,...,x n unter den Nebenbedingungen<br />

g 1 (x 1 ,...,x n ) = 0,...,g m (x 1 ,...,x n ) = 0. Dazu definieren wir die Lagrangehilfsfunktion<br />

F(x 1 ,...,x n ,λ 1 ,...,λ m ) = f(x 1 ,...,x n )−λ 1 g 1 (x 1 ,...,x n )−···−λ m g m (x 1 ,...,x n )<br />

und bilden alle partiellen Ableitungen von F nach den Variablen x 1 ,...,x n und setzen sie<br />

gleich null<br />

F x1 (x 1 ,...,x n ,λ 1 ,...,λ m ) = 0,<br />

F xn (x 1 ,...,x n ,λ 1 ,...,λ m ) = 0.<br />

.<br />

.


314 Kapitel 18. Extremwerte mit Nebenbedingungen<br />

Zusammen mit den m Nebenbedingungen ergibt dies n+m Gleichungen für die n Variablen<br />

x 1 ,...,x n und m Lagrangemultiplikatoren λ 1 ,...,λ m .<br />

Beispiel 18.2.1. Wir betrachten noch einmal das Beispiel 18.1.1: Die Oberfläche<br />

O(a,b,c) = 2ab+2bc+2ca<br />

ist unter der Nebenbedingung g(a,b,c) = abc − V = 0 zu minimieren. Wir definieren die<br />

Funktion<br />

F(a,b,c,λ) = O(a,b,c)−λg(a,b,c) = 2ab+2bc+2ca−λ(abc−V)<br />

und berechnen die ersten partiellen Ableitungen nach den Variablen a,b und c und λ<br />

F a (a,b,c,λ) = 2b+2c−λbc= 0,<br />

F b (a,b,c,λ) = 2a+2c−λac= 0,<br />

F c (a,b,c,λ) = 2a+2b−λab= 0,<br />

F λ (a,b,c,λ) = −abc+V = 0.<br />

Daraus folgt unmittelbar, dass a = b = c. Aus der Nebenbedingung erhalten wir<br />

Dies entspricht einem Würfel.<br />

a = b = c = 3√ V.<br />

Beispiel 18.2.2. Wir berechnen den kürzesten Abstand der Geraden y = x − 3 von der<br />

Parabel y = x 2 +2.<br />

y<br />

y = x 2 + 2<br />

(x 1 , y 1 )<br />

d<br />

(x 2 , y 2 )<br />

x<br />

y = x − 3<br />

Abbildung 18.2.ii: Abstand der Geraden y = x−3 von der Parabel y = x 2 +2<br />

Die zu minimierende Funktion ergibt sich zu<br />

d 2 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ) = (x 1 −x 2 ) 2 +(y 1 −y 2 ) 2<br />

mit den beiden Nebenbedingungen<br />

g 1 (x 1 ,y 1 ) = x 2 1 −y 1 +2= 0,<br />

g 2 (x 2 ,y 2 ) = x 2 −y 2 −3= 0.


18.2. Lagrangemultiplikatoren 315<br />

Wir definieren die Lagrangehilfsfunktion<br />

F(x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = d 2 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 )−λ 1 g 1 (x 1 ,y 1 )−λ 2 g 2 (x 2 ,y 2 )<br />

und berechnen die ersten partiellen Ableitungen<br />

= (x 1 −x 2 ) 2 +(y 1 −y 2 ) 2 −λ 1 (x 2 1 −y 1 +2)−λ 2 (x 2 −y 2 −3)<br />

F x1 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = 2(x 1 −x 2 )−2λ 1 x 1 = 0,<br />

(18.2.a)<br />

F x2 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = −2(x 1 −x 2 )−λ 2 = 0, (18.2.b)<br />

F y1 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = 2(y 1 −y 2 )+λ 1 = 0, (18.2.c)<br />

F y2 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = −2(y 1 −y 2 )+λ 2 = 0, (18.2.d)<br />

F λ1 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = −(x 2 1 −y 1 +2) = 0,<br />

F λ2 (x 1 ,x 2 ,y 1 ,y 2 ,λ 1 ,λ 2 ) = −(x 2 −y 2 −3) = 0.<br />

Aus den Gleichungen (18.2.a) und (18.2.c) eliminieren wir λ 1 , aus den Gleichungen (18.2.b)<br />

und (18.2.d) eliminieren wir λ 2 und erhalten<br />

Damit ergibt sich die Gleichung<br />

− x 1 −x 2<br />

= 2(y 1 −y 2 ),<br />

x 1<br />

(18.2.e)<br />

x 1 −x 2 = −(y 1 −y 2 ).<br />

(18.2.f)<br />

x 1 −x 2<br />

x 1<br />

= 2(x 1 −x 2 ).<br />

Da sich die Kurven nicht schneiden, gilt x 1 ≠ x 2 . Also folgt x 1 = 1 2 und damit y 1 = 9 4<br />

aus der<br />

ersten Nebenbedingung g 1 (x 1 ,y 1 ) = x 2 1 −y 1 +2 = 0. Aus den Gleichungen (18.2.f) und der<br />

zweiten Nebenbedingung g 2 (x 2 ,y 2 ) = x 2 −y 2 −3 = 0 folgt nun<br />

1<br />

2 −x 2 = −( 9 4 −y 2) = −( 9 4 −x 2 +3)<br />

und demzufolge wird x 2 = 23 8 und y 2 = − 1 8<br />

. Der Abstand ist<br />

d( 1 2 , 23 8 , 9 4 ,−1 8 ) ≈ 3.359.<br />

Aus geometrischen Überlegungen handelt es sich um ein Minimum.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 18.2.1. Bestimmen Sie die Extremstellen und Extremwerte der Funktion<br />

f(x,y) = 3− 3 4 x−y<br />

unterderBeachtung derNebenbedingung4x 2 +4y 2 −9 = 0undüberlegenSiesich anschaulich,<br />

wo ein Maximum oder Minimum vorliegt.<br />

Aufgabe 18.2.2. Berechnen Sie die Extremstellen und Extremwerte der Funktion<br />

f(x,y) = xy<br />

unter der Nebenbedingung x 2 + y 2 − a 2 = 0, wobei a ein reeller Parameter ist. Durch eine<br />

Höhenliniendarstellung ist die Art der vorhandenen Extremwerte zu bestimmen.


316 Kapitel 18. Extremwerte mit Nebenbedingungen<br />

Aufgabe 18.2.3. Berechnen Sie die Extremstellen und Extremwerte der Funktion<br />

unter der Nebenbedingung x+y +z = 6.<br />

f(x,y,z) = x 3 +y 3 +z 3<br />

Aufgabe 18.2.4. Berechnen Sie die Extremstellen und Extremwerte der Funktion<br />

unter der Nebenbedingung 4 x + 9 y + 16<br />

z = 1.<br />

f(x,y,z) = x+y +z<br />

Aufgabe 18.2.5. Welcher Punkt P 1 der Hyperbel mit der Gleichung x 2 −y 2 = 1 hat vom<br />

Punkt P 0 (0,1) die kleinste Entfernung?<br />

Aufgabe 18.2.6. Die Gleichung einer Ellipse, deren Mittelpunkt mit dem Koordinatenursprung<br />

zusammenfällt, lautet 5x 2 −8xy +5y 2 −9 = 0. Bestimmen sie die Halbachsen a und<br />

b.<br />

Aufgabe 18.2.7. Welches dem Kreis mit Radius r einbeschriebene<br />

a. Fünfeck<br />

b. n-Eck<br />

hat den grössten Flächeninhalt?<br />

Aufgabe 18.2.8. Gegeben sei ein Kreissektor mit dem Inhalt A. Wie gross muss der Radius<br />

r sein, damit der Sektorumfang ein Minimum wird?<br />

Aufgabe 18.2.9. Bestimmen Sie den Kreiszylinder, der bei gegebener Oberfläche A das<br />

grösste Volumen hat.<br />

Aufgabe 18.2.10. Die Zahl a ist so in drei Summanden zu zerlegen, dass deren Produkt ein<br />

Maximum ist.<br />

Aufgabe 18.2.11. Extremwert mit Nebenbedingung: Bestimmen sie zu den folgenden Punkten<br />

i 1 2 3 4 5<br />

x i 0.5 1.0 1.5 2.0 2.5<br />

y i 2.4 4.1 4.4 4.0 2.6<br />

die beste Parabel y = ax 2 +bx+c, die durch die Punkte P 1 (0,0) und P 2 (3,0) geht.<br />

Aufgabe 18.2.12. Extremwert mit Nebenbedingung: Bestimmen sie zu den folgenden Punkten<br />

i 1 2 3 4<br />

x i 2 3 4 5<br />

y i 0.30 0.11 0.04 0.02<br />

die beste Funktion der Form f(x) = ae −x + b<br />

x 2 , die durch den Punkt P(1,1) geht.


18.2. Lagrangemultiplikatoren 317<br />

Lösungen<br />

Lösung 18.2.1. Minimum f( 9 10 , 6 5 ) = 9 8 und Maximum f(− 9 10 ,−6 5 ) = 39 8<br />

Lösung 18.2.2. Erstes Maximum f( √ a a<br />

2<br />

, √2 ) = a2<br />

2 , zweites Maximum f(− √ a 2<br />

,−√ a 2<br />

) = a2<br />

2<br />

und erstes Minimum f(−√ a a<br />

2<br />

, √2 ) = − a2<br />

2 , zweites Minimum f( √ a 2<br />

,−√ a 2<br />

) = − a2<br />

2 .<br />

Lösung 18.2.3. Das Minimum befindet sich bei f(2,2,2) = 24 und das Maximum bei<br />

f(6,6,−6) = f(6,−6,6) = f(−6,6,6) = 216.<br />

Lösung 18.2.4. Extremstellen f(18,27,36) = 81 und f(2,3,−4) = 1 und f(6,−9,12) = 9<br />

und f(−10,15,20) = 25<br />

Lösung 18.2.5. Es hat zwei Lösungen P 1 (√<br />

5<br />

2 , 1 2 ) und P′ 1 (− √<br />

5<br />

2 , 1 2 ).<br />

Lösung 18.2.6. Die Halbachsen sind a = 3 und b = 1.<br />

Lösung 18.2.7. In beiden Fällen handelt es sich um das reguläre n-Eck.<br />

Lösung 18.2.8. r = √ A und b = 2 √ A<br />

√ √<br />

A<br />

Lösung 18.2.9. r =<br />

6π und h =<br />

Lösung 18.2.10. a = a 3 + a 3 + a 3<br />

2A<br />

3π<br />

Lösung 18.2.11. f(x) = −1.9985x 2 +5.9954x +0.0000<br />

Lösung 18.2.12. a = 1.1846 und b = 0.5642


318 Kapitel 18. Extremwerte mit Nebenbedingungen


Kapitel 19<br />

Mehrfache Integrale<br />

Zur Berechnung von Volumina, Schwerpunkten und Trägheitsmomenten eines Massekörpers<br />

bedienen wir uns des so genannten Mehrfachintegrals.<br />

Das Trägheitsmoment einer punktförmigen Masse, die im Abstand δ um eine Achse l dreht,<br />

ist bekanntlich I l = δ 2 m.<br />

Sind wir nun vor die Aufgabe gestellt, das Trägheitsmoment eines ausgedehnten Körpers<br />

zu berechnen, so zerstückeln wir den Körper in kleine Quader mit Seitenlängen ∆x, ∆y<br />

und ∆z und berechnen die Masse dieser Volumenstücklein ∆m = ρ∆x∆y∆z, wobei ρ die<br />

Dichte dieses Volumenstückleins darstellt. Das Trägheitsmoment des ganzen Körpers ist nun<br />

ungefährdieSummeallerdieserTeilträgheitsmomente I l ≈ ∑ δ 2 ∆m,wobeiδ denAbstanddes<br />

Volumenstückleins zur Drehachse l bedeutet. Nach einem Grenzübergang ∆m → 0 erhalten<br />

wir die Formel für das Trägheitsmoment eines Körpers<br />

∫<br />

I l = δ 2 dm<br />

V<br />

bei Rotation um die Achse l. Es handelt sich dabei um ein so genanntes Mehrfachintegral.<br />

In einem ersten Schritt wenden wir uns nun Flächen- und Volumenberechnungen zu.<br />

19.1 Flächenberechnungen in kartesischen Koordinaten<br />

Das Integral<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx<br />

wurde als Grenzwert einer Summe von Masszahlen von Rechtecksflächen entwickelt, die bei<br />

zunehmender Anzahl einen immer gegen null gehenden Betrag besitzen. Wir erhalten die<br />

Masszahl der Fläche F unter einer Kurve, falls die Kurve oberhalb der x-Achse verläuft,<br />

sonst die Differenz der Masszahlen von positiver Fläche und negativer Fläche. Es sei<br />

a = x 0 < x 1 < x 2 < ··· < x i−1 < x i < ··· < x n = b<br />

eine Unterteilung des Intervalls [a,b] in n Teilintervalle der Länge ∆x i = x i − x i−1 und<br />

ξ i ∈ [x i−1 ,x i ] ein beliebiger Wert im i-ten Intervall. Dann gilt die Approximation<br />

F =<br />

∫ b<br />

a<br />

f(x)dx ≈<br />

n∑<br />

f(ξ i )∆x i ,<br />

i=1<br />

319


320 Kapitel 19. Mehrfache Integrale<br />

welche für kleiner werdende ∆x i immer besser wird. Dabei stellt ∆F i = f(ξ i )∆x i die Masszahl<br />

eines solchen Rechtecks dar. Wir können nun aber die Rechtecke selbst wieder aus<br />

y<br />

f(ξ i )<br />

∆F i<br />

y = f(x)<br />

y j<br />

∆y j<br />

∆x i<br />

a<br />

x i−1 ξ i<br />

x i<br />

b<br />

x<br />

Abbildung 19.1.i: Das quadratische Flächenstück hat den Flächeninhalt ∆y j ∆x i . Damit ergibt<br />

sich das Flächendifferenzial dydx bei einem Doppelintegral.<br />

Flächenstücken, kleinen Rechtecken aufbauen. Es sei<br />

0 = y 0 < y 1 < y 2 < ··· < y j−1 < y j < ··· < y mi = f(ξ i )<br />

eine Unterteilung des Intervalls [0,f(ξ i )] in m i Teilintervalle der Länge ∆y j = y j −y j−1 . Dann<br />

gilt<br />

∑m i<br />

∆F i = f(ξ i )∆x i = ∆y j ∆x i .<br />

Die Summation erfolgt dabei in Richtung der y-Achse bis y mi = f(ξ i ). Die Gesamtsumme der<br />

Rechteckflächen zwischen a und b ergibt sich zu<br />

⎛ ⎞<br />

n∑ ∑m i n∑ ∑m i<br />

⎝ ∆y j<br />

⎠∆x i = ∆y j ∆x i .<br />

i=1<br />

j=1<br />

j=1<br />

i=1 j=1<br />

Ein doppelter Grenzübergang, ∆x i → 0 und ∆y j → 0, d.h. n → ∞ und m i → ∞ für alle<br />

i ∈ {1,...,n}, ergibt ein so genanntes Doppelintegral<br />

F = lim<br />

n→∞<br />

n∑<br />

lim<br />

m i<br />

m i →∞<br />

i=1 j=1<br />

∑<br />

∆y j ∆x i =<br />

∫ b<br />

x=a<br />

∫ f(x)<br />

y=0<br />

dydx.<br />

Dies ist eine vollständige Analogie zur Berechnung der Länge eines Intervalls mit ∫ dx. Wir<br />

nennen dydx das Flächendifferenzial.<br />

Beispiel 19.1.1. Wir berechnen die Fläche unter der Kurve y = f(x) = mx zwischen a und<br />

b. Zuerst bestimmen wir das so genannte Fadendifferenzial<br />

( ∫ )<br />

f(x)<br />

(∫ mx<br />

)<br />

dF = dy dx = dy dx.<br />

y=0<br />

y=0


19.2. Verallgemeinerung des Flächenintegrals – Doppelintegral 321<br />

Integration über ein Fadendifferenzial ergibt<br />

F =<br />

∫ b<br />

x=a<br />

dF =<br />

∫ b<br />

x=a<br />

(∫ mx<br />

y=0<br />

)<br />

dy dx.<br />

Wir unterscheiden hier inneres Integral nach y und äusseres nach x, d.h.,<br />

F =<br />

Aufgabe<br />

∫ b<br />

x=a<br />

(∫ mx<br />

y=0<br />

) ∫ b<br />

dy dx =<br />

x=a<br />

y<br />

∣<br />

mx<br />

y=0<br />

dx =<br />

∫ b<br />

x=a<br />

mxdx = m ∣ ∣∣∣<br />

b<br />

2 x2 = m 2 (b2 −a 2 ).<br />

Aufgabe 19.1.1. Bestimmen Sie die Masszahl der Fläche, die von den beiden Kurven y =<br />

a−x und y = (x−a)2<br />

a<br />

eingeschlossen wird.<br />

Lösung 19.1.1. F = a2<br />

6<br />

19.2 Verallgemeinerung des Flächenintegrals – Doppelintegral<br />

Es seien I ⊆ R ein Intervall undD ⊆ R 2 ein Gebiet in der Ebene. Dann bedeuten arclength(I)<br />

die Geasamtlänge des Intervalls und area(D) die Masszahl des Flächeninhalts des Gebiets.<br />

So wie wir vom Integral<br />

∫<br />

∫<br />

arclength(I) = dx zum Integral F = f(x)dx<br />

I<br />

übergegangen sind, um die Masszahl F der Fläche unter der Kurve y = f(x) oberhalb des<br />

Intervalls I zu ermitteln, können wir vom Integral<br />

∫∫<br />

∫∫<br />

area(D) = dydx zum Integral V = f(x,y)dydx<br />

D<br />

übergehen. Wir erhalten das Volumen des Zylinders, der durch das Gebiet D, die Deckfläche<br />

z = f(x,y) und die entsprechenden Seitenflächen begrenzt wird.<br />

Ist insbesondere f(x,y) = 1, so gilt<br />

∫∫<br />

area(D) = dydx<br />

Eigenschaften des Doppelintegrals:<br />

1. Konstanter Faktor k ∈ R<br />

∫∫<br />

D<br />

D<br />

∫∫<br />

k·f(x,y)dydx = k f(x,y)dydx<br />

D<br />

D<br />

I<br />

a<br />

2. Summe<br />

∫∫<br />

D<br />

∫∫<br />

(f(x,y)+g(x,y))dydx =<br />

D<br />

∫∫<br />

f(x,y)dydx+ g(x,y)dydx<br />

D


322 Kapitel 19. Mehrfache Integrale<br />

3. Sind D 1 und D 2 zwei bis auf den Rand disjunkte (fremde) Gebiete, dann gilt<br />

∫∫ ∫∫ ∫∫<br />

f(x,y)dydx = f(x,y)dydx+ f(x,y)dydx.<br />

D 1 ∪D 2 D 1 D 2<br />

Beispiel 19.2.1 (Flächenberechnung). Es sei D das Gebiet in der Ebene, das durch die<br />

Geraden y = x, y = x − 2a, y = 0 und y = a begrenzt wird. Offensichtlich handelt es<br />

sich bei D um ein Parallelogramm. Wir wollen die Masszahl der Fläche des Parallelogramms<br />

bestimmen.<br />

∫∫ ∫ a ∫ y+2a<br />

area(D) = f(x,y)dydx = dxdy<br />

=<br />

D<br />

∫ a<br />

0<br />

(y +2a−y)dy =<br />

Beispiel 19.2.2 (Volumenberechnung I). Es seien<br />

y=0<br />

∫ a<br />

0<br />

x=y<br />

2ady = 2a 2<br />

D = {(x,y) ∈ R 2 | x ∈ [0,a] und y ∈ [0,b]}<br />

und die Funktion f(x,y) = c gegeben. Dann gilt<br />

∫∫<br />

V = f(x,y)dydx =<br />

=<br />

D<br />

∫ a<br />

0<br />

cy<br />

∣<br />

b<br />

0<br />

dx =<br />

∫ a<br />

0<br />

∫ a<br />

∫ b<br />

0<br />

0<br />

cdydx<br />

cbdx = cbx<br />

∣<br />

a<br />

0<br />

= abc.<br />

Es ergibt sich das Volumen eines Quaders mit den Seitenlängen a, b und c.<br />

Beispiel 19.2.3 (Volumenberechnung II). Natürlich können auch variable Integrationsgrenzen<br />

auftauchen. Die Menge D sei jetzt ein Kreisstück im ersten Quadranten mit Radius r,<br />

d.h.,<br />

D = {(x,y) ∈ R 2 | x ∈ [0,r] und 0 ≤ y ≤ √ r 2 −x 2 }.<br />

Nun erhalten wir mit der Funktion f(x,y) = h das Volumen<br />

∫∫ ∫ r ∫ √ r 2 −x 2<br />

V = f(x,y)dydx = hdydx<br />

=<br />

D<br />

∫ r<br />

0<br />

hy<br />

∣<br />

√<br />

r 2 −x 2<br />

y=0<br />

dx =<br />

0<br />

∫ r<br />

0<br />

0<br />

h √ r 2 −x 2 dx = π 4 r2 h.<br />

Um das Integral zu berechnen, haben wir x = rsin(t) substituiert und cos 2 (t) = 1 2 (1+cos(2t))<br />

benutzt. Es ergibt sich das Volumen eines Viertelzylinders mit der Höhe h und Radius r.<br />

Beispiel 19.2.4. Ein Körper sei begrenzt durch die Flächen y = x 2 , y = 1, z = x 2 +y 2 und<br />

z = 0. Wir berechnen das Volumen dieses Körpers<br />

V =<br />

= 2<br />

∫ 1<br />

∫ √ y<br />

0 − √ y<br />

∫ 1<br />

0<br />

(x 2 +y 2 )dxdy = 2<br />

(<br />

x 3<br />

3 +xy2 ) ∣ ∣ ∣∣<br />

√ y<br />

x=0<br />

= 4 15 + 4 7 = 88<br />

105 ≈ 0.8381.<br />

dy = 2<br />

∫ 1<br />

∫ √ y<br />

0 0<br />

∫ 1<br />

0<br />

(x 2 +y 2 )dxdy<br />

(<br />

y 3 2<br />

3 +y 5 2<br />

) (<br />

dy = 2<br />

2<br />

3<br />

)∣<br />

y 5 2 ∣∣∣<br />

1<br />

5 + 2 7 y 7 2<br />

0


19.2. Verallgemeinerung des Flächenintegrals – Doppelintegral 323<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 19.2.1. Bestimmen Sie für<br />

das Doppelintegral<br />

Aufgabe 19.2.2. Bestimmen Sie für<br />

das Doppelintegral<br />

D = {(x,y) ∈ R 2 | x ∈ [0,1] und y ∈ [0,2]}<br />

∫∫<br />

D<br />

xydxdy.<br />

D = {(x,y) ∈ R 2 | x ∈ [0,1] und y ∈ [0,1]}<br />

∫∫<br />

D<br />

e x+y dxdy.<br />

Aufgabe 19.2.3. Es sei S das von den Kurven x = 0, y = 0 und x+y = 2 eingeschlossene<br />

Gebiet. Berechnen Sie ∫∫<br />

(x+y)dxdy.<br />

S<br />

Aufgabe 19.2.4. Es sei S das von den Kurven x = 1, y = 0 und y = x eingeschlossene<br />

Gebiet. Berechnen Sie ∫∫<br />

(x 2 +y 2 )dxdy.<br />

S<br />

Aufgabe 19.2.5. Es sei S das von den Kurven y 2 = x und y = x eingeschlossene Gebiet.<br />

Berechnen Sie<br />

∫∫<br />

(x+y)dxdy.<br />

Aufgabe 19.2.6. Berechnen Sie<br />

∫∫<br />

S<br />

|x|+|y| 0,<br />

für x ≥ 0, y ≥ 0 und z ≥ 0. Machen Sie eine Skizze.<br />

Aufgabe 19.2.10. Berechnen Sie das Volumen des Körpers, der begrenzt ist durch z =<br />

x+y +1, x = 0, y = 0, z = 0 und x+y = 1. Machen Sie eine Skizze.<br />

Aufgabe 19.2.11. Gegeben sei ein Rotationszylinder mit Radius r und y-Achse als Rotationsachse.<br />

Bestimmen Sie das Volumen des Teils des Zylinders, der sich über dem Dreieck<br />

OAB befindet. Das Dreieck ist die Hälfte des in der xy-Ebene liegenden Quadrats OBAC<br />

mit Seitenlänge r und A(r,r,0), B(r,0,0) und C(0,r,0). Machen Sie eine Skizze.


324 Kapitel 19. Mehrfache Integrale<br />

Lösungen<br />

Lösung 19.2.1. 1<br />

Lösung 19.2.2. (e−1) 2<br />

Lösung 19.2.3. 8 3<br />

Lösung 19.2.4. 1 3<br />

Lösung 19.2.5.<br />

3<br />

20<br />

Lösung 19.2.7. 136<br />

3<br />

Lösung 19.2.8. 104<br />

3<br />

Lösung 19.2.9. r4<br />

8p<br />

Lösung 19.2.10. 5 6<br />

Lösung 19.2.11. r3 3<br />

Lösung 19.2.6. 1 3<br />

19.3 Variablensubstitution in einem Mehrfachintegral<br />

Wir haben gesehen, dass es in einigen Fällen recht mühsam sein kann, die richtigen Integrationsgrenzen<br />

zu finden. Vor allem, wenn die Geometrie des Gebietes D mit kartesischen<br />

Koordinaten schlecht beschrieben werden kann, empfiehlt es sich eventuell, andere, besser<br />

passende Koordinaten zu verwenden. Zu diesem Zweck führen wir eine Substitution durch.<br />

• Die Substitutionsgleichungen für zwei Variablen lauten<br />

J(u,v) = det⎜<br />

⎝<br />

x = φ(u,v),<br />

y = ψ(u,v).<br />

Ist im Gebiet D die Funktionaldeterminante<br />

⎛<br />

∂φ(u,v)<br />

∂u<br />

dann gilt<br />

∫∫<br />

D<br />

= ∂φ(u,v)<br />

∂u<br />

∫∫<br />

f(x,y)dxdy =<br />

∂ψ(u,v)<br />

∂u<br />

∂ψ(u,v)<br />

∂v<br />

D<br />

∂φ(u,v)<br />

∂v<br />

∂ψ(u,v)<br />

∂v<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

− ∂ψ(u,v)<br />

∂u<br />

• Die Substitutionsgleichungen für drei Variablen lauten<br />

∂φ(u,v)<br />

∂v<br />

≠ 0,<br />

f(φ(u,v),ψ(u,v))J(u,v)dudv<br />

x = φ(u,v,w),<br />

y = ψ(u,v,w),<br />

z = θ(u,v,w).<br />

Ist im Gebiet D Funktionaldeterminante<br />

⎛<br />

∂φ(u,v,w) ∂φ(u,v,w)<br />

∂u ∂v<br />

J(u,v,w) = det<br />

∂ψ(u,v,w) ∂ψ(u,v,w)<br />

⎜ ∂u ∂v<br />

⎝<br />

∂θ(u,v,w) ∂θ(u,v,w)<br />

∂u ∂v<br />

∂φ(u,v,w)<br />

∂w<br />

∂ψ(u,v,w)<br />

∂w<br />

∂θ(u,v,w)<br />

∂w<br />

⎞<br />

≠ 0,<br />

⎟<br />


19.3. Variablensubstitution in einem Mehrfachintegral 325<br />

dann gilt<br />

∫∫∫ ∫∫∫<br />

f(x,y,z)dxdyz =<br />

D<br />

D<br />

f(φ(u,v,w),ψ(u,v,w),θ(u,v,w))J(u,v,w)dudvdw.<br />

Im Folgenden betrachten wir die drei meist verwendeten Substitutionen:<br />

Polarkoordinaten<br />

Es sei P(x,y) ein Punkt in der Ebene, welcher in kartesischen Koordinaten ausgedrückt ist.<br />

Dann lautet die Substitution zu Polarkoordinaten<br />

x = rcos(ϕ),<br />

y = rsin(ϕ).<br />

Es bezeichnen r den Abstand des Punktes P zum Ursprung; und ϕ den Azimutwinkel, d.h.<br />

der Winkel zwischen dem Ortsvektores −→ 0P und der x-Achse (vgl. Abb. 19.3.i). Damit folgt<br />

r ∈ [0,∞[ und ϕ ∈ [0,2π[.<br />

Nach einiger Rechnung erhalten wir für die Funktionaldeterminante<br />

( ) cos(ϕ) −rsin(ϕ)<br />

J(r,ϕ) = det<br />

= rcos 2 (ϕ)+rsin 2 (ϕ) = r ≠ 0.<br />

sin(ϕ) rcos(ϕ)<br />

Also folgt<br />

∫∫<br />

D<br />

∫∫<br />

f(x,y)dxdy =<br />

D<br />

f(rcos(ϕ),rsin(ϕ))rdrdϕ.<br />

Die Funktionaldeterminante J(r,ϕ) = r lässt sich auch grafisch herleiten. Dies wollen wir nun<br />

mit Hilfe von Abb. 19.3.i tun.<br />

y<br />

r = r(ϕ)<br />

∆r<br />

r∆r∆ϕ<br />

r<br />

r∆ϕ<br />

∆ϕ P(x,y)<br />

ϕ<br />

x<br />

Abbildung 19.3.i: Das Flächenstück im Kreisring mit den Radien r + ∆r und r hat den<br />

Flächeninhalt ∆F = π((r+∆r) 2 −r 2 ) ∆ϕ<br />

2π = r∆r∆ϕ+ 1 2 ∆r2 ∆ϕ ≈ r∆r∆ϕ. Damit ergibt sich<br />

das Flächendifferenzial bei einer Variablensubstitution beim Übergang von kartesischen- zu<br />

Polarkoordinaten, da der Term 1 2 ∆r2 ∆ϕ, wegen dem quadratischen ∆r 2 im Grenzübergang<br />

∆r → 0 und ∆ϕ → 0 vernachlässigbar ist.


326 Kapitel 19. Mehrfache Integrale<br />

Zylinderkoordinaten<br />

Es sei P(x,y,z) ein Punkt im Raum, welcher in kartesischen Koordinaten ausgedrückt ist.<br />

Dann lautet die Substitution zu Zylinderkoordinaten<br />

x = rcos(ϕ),<br />

y = rsin(ϕ),<br />

z = z.<br />

Es bezeichnen r den Abstand der Projektion des Punktes P in die xy-Ebene zum Ursprung;<br />

und ϕ den Azimutwinkel, d.h. der Winkel zwischen der Projektion des Ortsvektores −→ 0P in die<br />

xy-Ebene und der x-Achse. Damit folgt r ∈ [0,∞[, ϕ ∈ [0,2π[ und z ∈ R.<br />

Nach einiger Rechnung erhalten wir für die Funktionaldeterminante<br />

⎛<br />

J(r,ϕ,z) = det⎝<br />

cos(ϕ) −rsin(ϕ) 0<br />

sin(ϕ) rcos(ϕ) 0<br />

0 0 1<br />

⎞<br />

⎠ = rcos 2 (ϕ)+rsin 2 (ϕ) = r ≠ 0.<br />

Also folgt<br />

∫∫∫ ∫∫∫<br />

f(x,y,z)dxdydz =<br />

D<br />

D<br />

f(rcos(ϕ),rsin(ϕ),z)rdrdϕdz.<br />

Kugelkoordinaten<br />

Es sei P(x,y,z) ein Punkt im Raum, welcher in kartesischen Koordinaten ausgedrückt ist.<br />

Dann lautet die Substitution zu Kugelkoordinaten<br />

x = rcos(ϕ)sin(ψ),<br />

y = rsin(ϕ)sin(ψ),<br />

z = rcos(ψ).<br />

Es bezeichnen r den Abstand des Punktes P zum Ursprung; ϕ den Azimutwinkel, d.h. der<br />

Winkel zwischen der Projektion des Ortsvektores −→ 0P in die xy-Ebene und der x-Achse; und<br />

ψ den Polarwinkel, d.h. der Winkel zwischen der positiven z-Achse und dem Ortsvektor −→ 0P.<br />

Damit folgt r ∈ [0,∞[, ϕ ∈ [0,2π[ und ψ ∈ [0,π[.<br />

Nach einiger Rechnung erhalten wir für die Funktionaldeterminante<br />

Also folgt<br />

∫∫∫<br />

D<br />

⎛<br />

J(r,ϕ,ψ) = det⎝<br />

∫∫∫<br />

f(x,y,z)dxdydz =<br />

cos(ϕ)sin(ψ) −rsin(ϕ)sin(ψ) rcos(ϕ)cos(ψ)<br />

sin(ϕ)sin(ψ) rcos(ϕ)sin(ψ) rsin(ϕ)cos(ψ)<br />

cos(ϕ) −rsin(ϕ) 0<br />

= r 2 sin(ψ)drdϕdψ ≠ 0.<br />

D<br />

f(rcos(ϕ)sin(ψ),rsin(ϕ)sin(ψ),rcos(ψ))r 2 sin(ψ)drdϕdψ.<br />

⎞<br />


19.4. Berechnung von Trägheitsmomenten 327<br />

19.4 Berechnung von Trägheitsmomenten<br />

Als Trägheitsmoment einer ebenen Fläche S bezüglich irgend einer Achse, die in der Ebene<br />

liegt, bezeichnen wir das Doppelintegral<br />

∫∫<br />

I =<br />

S<br />

µ(x,y)(δ(x,y)) 2 dxdy,<br />

wobei δ(x,y) die Entfernung des Punktes P(x,y) von der Achse ist, und µ(x,y) die örtliche<br />

Flächendichte [kg/m 2 ] ist. Insbesondere ist das Trägheitsmonent bezüglich der x- oder der<br />

y-Achse gleich den Integralen<br />

∫∫<br />

I x =<br />

S<br />

∫∫<br />

µ(x,y)y 2 dxdy und I y =<br />

Im Gegensatz dazu ist das Dreifachintegral<br />

∫∫∫<br />

I l =<br />

V<br />

ρ(x,y,z)(δ(x,y,z)) 2 dxdydz<br />

S<br />

µ(x,y)x 2 dxdy.<br />

das Trägheitsmoment eines Körpers bezüglich einer bestimmten Achse l, wobei δ(x,y,z)<br />

die Entfernung des Punktes P(x,y,z) von der Achse l ist und ρ(x,y,z) die örtliche Dichte<br />

[kg/m 3 ] bedeutet.<br />

Kennen wir das Trägheitsmoment eines Körpers I s in Bezug auf eine durch den Schwerpunkt<br />

gehende Achse, so können wir mit Hilfe des Satzes von Steiner auch das Trägheitsmoment<br />

I desselben Körpers um eine zu dieser Schwerpunktsachse parallelen Achse ohne erneute<br />

Integration berechnen. Es gilt<br />

I = I s +ma 2 ,<br />

wobei m die Gesamtmasse und a der Abstand der beiden Achsen darstellen.<br />

Abbildung 19.4.i: Jakob Steiner, 1796-1863<br />

Beispiel 19.4.1. Es ist das Trägheitsmoment einer kreisförmigen Blechscheibe der Dicke<br />

a vom Radius R zu ermitteln, die sich um einen ihrer Durchmesser dreht. Die Dichte des<br />

Materials der Scheibe sei konstant gleich ρ 0 . Wir legen die Scheibe parallel zur xy-Ebene mit


328 Kapitel 19. Mehrfache Integrale<br />

Zentrum im Ursprung und rotieren um die y-Achse. Also berechnen wir das Dreifachintegral<br />

∫∫∫<br />

∫∫<br />

I y = ρ 0 (x 2 +z 2 )dxdydz = ρ 0 (x 2 +z 2 )dzdxdy<br />

= ρ 0<br />

∫∫<br />

V<br />

x 2 +y 2 ≤R 2 (<br />

)∣a<br />

x 2 z + z3 ∣∣∣ 2<br />

3<br />

z=− a 2<br />

x 2 +y 2 ≤R 2 ∫ a<br />

2<br />

− a 2<br />

dxdy = ρ 0<br />

∫∫<br />

x 2 +y 2 ≤R 2 (<br />

)<br />

ax 2 + a3<br />

dxdy.<br />

12<br />

Bei einer dünnen Blechscheibe kann a ≪ R angenommen werden, also vernachlässigen wir<br />

in guter Näherung den Term mit a 3 gegenüber dem Term mit a und multiplizieren das<br />

Flächenmoment mit a, d.h. wir berechnen<br />

I y = aρ 0<br />

∫∫x 2 +y 2 ≤R 2 x 2 dxdy.<br />

Beachten Sie, dass aρ 0 nun eine konstante Flächendichte darstellt. Nun gehen wir zu Polarkoordinaten<br />

über und erhalten x 2 = r 2 cos 2 (ϕ). Damit ergibt sich<br />

I y = aρ 0<br />

∫ 2π<br />

= aρ 0<br />

R 4<br />

4<br />

∫ R<br />

0 0<br />

∫ 2π<br />

0<br />

∫ 2π<br />

r 2 cos 2 (ϕ)rdrdϕ = aρ 0 cos 2 (ϕ)<br />

cos 2 (ϕ)dϕ = aρ 0<br />

R 4<br />

4 π.<br />

0<br />

∫ R<br />

0<br />

r 3 drdϕ<br />

Um das letzte Integral zu bestimmen, benutzten wir cos 2 (ϕ) = 1 2 (1+cos(2ϕ)).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 19.4.1. Eingleichseitiges Dreieck derSeitenlängeadrehtsichumeineseinerSeiten.<br />

Es ist das Trägheitsmoment des Dreiecks zu ermitteln. Die Flächendichte sei konstant gleich<br />

µ 0 .<br />

Aufgabe 19.4.2. Gegeben sei ein homogener Quadermit Kantenlängen a, bundckonstanter<br />

Dichte ρ 0 . Berechnen Sie das Trägheitsmoment dieses Quaders bezüglich einer Rotation um<br />

eine der Kanten mit Kantenlänge c.<br />

Aufgabe 19.4.3. Ein homogener Kreiszylinder habe den Radius a und die Höhe 2h. Die<br />

z-Achse ist Zylinderachse und die x-Achse geht durch die Zylindermitte. Berechnen Sie die<br />

Trägheitsmomente in Bezug auf die z-Achse und die x-Achse. Die Dichte des Materials sei<br />

konstant gleich ρ 0 .<br />

Aufgabe 19.4.4. Der Zylinder x 2 +y 2 = a 2 wird begrenzt durch die beiden Ebenen z = 0<br />

und x+y+z = √ 2a. Berechnen Sie das Trägheitsmoment bezüglich der z-Achse. Die Dichte<br />

des Materials sei konstant gleich ρ 0 .<br />

Aufgabe 19.4.5. Bestimmen Sie das Trägheitsmoment des Kegelstumpfes der Höhe l bezüglich<br />

der z-Achse. Der Kegelstumpf steht auf der xy-Ebene, der Deckflächenradius ist R 1 und<br />

der Grundkreisradius ist R 2 . Die Dichte sei konstant gleich ρ 0 .<br />

Aufgabe 19.4.6. Bestimmen Sie das Trägheitsmoment des hohlen Kegelstumpfes der Höhe l<br />

bezüglich der z-Achse. Der hohleKegelstumpf steht auf derxy-Ebene, der Deckflächenaussenradius<br />

ist R 1 und der Deckflächeninnenradius ist r 1 , und der Grundkreisaussenradius ist R 2<br />

und der Grundkreisinnenradius ist r 2 . Die Dichte sei konstant gleich ρ 0 .


19.4. Berechnung von Trägheitsmomenten 329<br />

Aufgabe 19.4.7. Bestimmen sie das Trägheitsmoment einer homogenen Kugel vom Radius<br />

r der Dichte ρ 0 bezüglich eines Durchmessers.<br />

Aufgabe 19.4.8. Berechnen Sie das Trägheitsmoment eines Würfels konstanter Dichte ρ 0<br />

mit Kantenlänge a = b = c = 2, der um eine seiner Diagonalen dreht.<br />

Aufgabe 19.4.9. Berechnen Sie das Trägheitsmoment einer Kugel mit der rotationssymmetrischen<br />

Dichte<br />

ρ(x,y,z) = √ x 2 +y 2 +z 2<br />

vom Radius R = 1, die um einen Durchmesser dreht.<br />

Lösungen<br />

Lösung 19.4.1. I =<br />

√<br />

3<br />

32 a4 µ 0<br />

Lösung 19.4.2. I = abc<br />

3 (a2 +b 2 )ρ 0<br />

Lösung 19.4.3. Die Dichte ist der Quotient Masse m durch Volumen V, dannfolgt I z = m a2<br />

2<br />

und I x = m( h2<br />

3 + a2<br />

4 ).<br />

Lösung 19.4.4. I z = π √<br />

2<br />

ρ 0 a 5<br />

Lösung 19.4.5. Das Trägheitsmoment des Kegelstumpfes der Höhe l bezüglich der z-Achse<br />

beträgt I z = πρ 0 l<br />

10 R 2 −R 1<br />

(R2 5 −R5 1 ).<br />

Lösung 19.4.6. Sie brauchen keine weitere Integration durchzuführen, benutzen Sie das<br />

Resultat aus Aufgabe 19.4.5. Das Trägheitsmoment ( des hohlen Kegelstumpfes ) der Höhe l<br />

bezüglich der z-Achse beträgt I z = πρ 0 l<br />

10 R 2 −R 1<br />

(R2 5 −R5 1 )− l<br />

r 2 −r 1<br />

(r2 5 −r5 1 ) .<br />

Lösung 19.4.7. Benutzen Sie Kugelkoordinaten x = rcos(ϕ)sin(ψ), y = rsin(ϕ)sin(ψ) und<br />

z = rcos(ψ), dann wird dxdydz zu r 2 sin(ψ)drdϕdψ. Die Dichte ist der Quotient Masse m<br />

durch Volumen V, also folgt das Trägheitsmoment einer Kugel I = 2 5 mr2 .<br />

Lösung 19.4.8. Zentrieren Sie den Würfel im Ursprung mit den Kanten parallel zu den<br />

Koordinatenachsen. Dann erhalten Sie das Trägheitsmoment I = 16<br />

3 ρ 0.<br />

Lösung 19.4.9. Benutzen Sie Kugelkoordinaten, dann folgt I = 1.396.


330 Kapitel 19. Mehrfache Integrale


Kapitel 20<br />

Arbeit und Linienintegrale<br />

Arbeit wird definiert als Kraft mal dem Weg in Richtung der Kraft oder kurz Kraft längs des<br />

Weges. Im dreidimensionalen Raum gibt es allerdings mehrere Richtungen und das Teilchen<br />

kann, theoretisch gesehen, auf einer Bahnkurve unendlich oft die Richtung ändern und somit<br />

müssten wir unendlich oft Richtungsänderungen mit einbeziehen. Um diese Aufgabe zu lösen,<br />

bedienen wir uns des so genannten Linienintegrals.<br />

Es gibt aber auch Fälle bei denen die geleistete Arbeit vom Weg unabhängig ist. Zum Beispiel<br />

spielt es im Gravitationsfeld der Erde keine Rolle, auf welchem Weg eine Masse m die Höhe<br />

h überwindet, die Arbeit ist immer W = mgh. In diesem Fall sprechen wir von einem so<br />

genannten Potenzialfeld. Für ein gegebenes Kraftfeld entscheiden wir an Hand einer Bedingung,<br />

ob es sich um ein Potenzialfeld handelt oder nicht. Im Fall eines Potenzialfeldes<br />

berechnen wir ein Potenzial, welches uns die Bestimmung der geleisteten Arbeit wesentlich<br />

erleichtert. Das Linienintegral hängt dann nur vom Anfangs- und Endpunkt, nicht aber vom<br />

eingeschlagenen Weg ab.<br />

20.1 Kurven und Vektorfelder im Raum und in der Ebene<br />

Kurven<br />

Liegt eine Kurve in Parameterdarstellung x = x(t), y = y(t) und z = z(t) vor, so können<br />

die Komponentenkoordinaten zu einem t-abhängigen Vektor ⃗r(t) zusammengefasst werden.<br />

In der Ebene haben wir<br />

( ) x(t)<br />

⃗r(t) = = x(t)⃗e<br />

y(t) x +y(t)⃗e y<br />

und im Raum<br />

⎛<br />

⃗r(t) = ⎝<br />

x(t)<br />

y(t)<br />

z(t)<br />

⎞<br />

⎠ = x(t)⃗e x +y(t)⃗e y +z(t)⃗e z .<br />

Durch komponentenweises Differenzieren ergibt sich der Tangentialvektor an die Kurve. In<br />

der Ebene gilt<br />

( ) ẋ(t) ˙⃗r(t) = = ẋ(t)⃗e<br />

ẏ(t) x +ẏ(t)⃗e y<br />

331


332 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

y<br />

y(t)<br />

⃗r(t)<br />

˙⃗r(t)<br />

x(t)<br />

x<br />

Abbildung 20.1.i: Ortsvektor und Tangentialvektor einer Bahnkurve in der Ebene.<br />

und im Raum<br />

⎛<br />

˙⃗r(t) = ⎝<br />

ẋ(t)<br />

ẏ(t)<br />

ż(t)<br />

⎞<br />

⎠ = ẋ(t)⃗e x +ẏ(t)⃗e y +ż(t)⃗e z .<br />

Beispiel 20.1.1. Ein Massenpunkt bewegt sich in der Ebene auf einer Kreisbahn mit Radius<br />

R, dann sind seine Bahnkoordinaten durch<br />

x(t) = Rcos(t) und y(t) = Rsin(t)<br />

gegeben. Also haben wir den Ortsvektor der Bahnkurve<br />

⃗r(t) =<br />

( Rcos(t)<br />

Rsin(t)<br />

Der Geschwindigkeitsvektor in jedem Punkt der Bahnkurve ist demzufolge durch<br />

( ) −Rsin(t) ˙⃗r(t) =<br />

Rcos(t)<br />

gegeben. Beachten Sie, dass in diesem Fall der Ortsvektor und der Geschwindigkeitsvektor<br />

senkrecht stehen.<br />

)<br />

.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 20.1.1. Parametrisieren Sie alle Geradenstücke die im Punkt P(1,1) enden (vgl.<br />

Abbildung 20.1.ii, links).<br />

Aufgabe 20.1.2. Parametrisieren Sie die Ellipse mit Mittelpunkt bei M(x M ,y M ) in Abbildung<br />

20.1.iii, rechts.<br />

Aufgabe 20.1.3. Parametrisieren Sie die Normparabel mit Scheitel bei S(x S ,y S ) in Abbildung<br />

20.1.iv.<br />

Aufgabe 20.1.4. Parametrisieren SiedieSchraubenlinie(Helix) mit GanghöhehundRadius<br />

R in Abbildung 20.1.v.


20.1. Kurven und Vektorfelder im Raum und in der Ebene 333<br />

y<br />

y<br />

1<br />

•<br />

P(1,1)<br />

•<br />

y M<br />

b<br />

a<br />

•<br />

•<br />

1<br />

x<br />

x M<br />

x<br />

Abbildung 20.1.ii: Aufgabe 20.1.1 Geradenstücke.<br />

Abbildung 20.1.iii: Aufgabe 20.1.2 Ellipse.<br />

y S<br />

y<br />

x S<br />

x<br />

Abbildung 20.1.iv: Aufgabe 20.1.3<br />

Normparabel.<br />

Abbildung 20.1.v: Aufgabe 20.1.4<br />

Helix.<br />

Lösungen<br />

Lösung 20.1.1.<br />

( t<br />

⃗r Diagonale (t) =<br />

t<br />

) ( t<br />

, ⃗r oben (t) =<br />

1<br />

) ( 1<br />

, ⃗r rechts (t) =<br />

t<br />

)<br />

, wobei t ∈ [0,1]<br />

Lösung 20.1.2.<br />

Lösung 20.1.3.<br />

Lösung 20.1.4.<br />

⃗r(t) =<br />

( ) acos(t)+xM<br />

, wobei t ∈ [0,2π]<br />

bsin(t)+y M<br />

⃗r(t) =<br />

⎛<br />

⃗r(t) = ⎝<br />

( ) t+xS<br />

t 2 , wobei t ∈ R<br />

+y S<br />

⎞<br />

Rcos(t)<br />

Rsin(t) ⎠, wobei t ∈ [0,2π]<br />

h<br />

2π t


334 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Vektorfelder<br />

Jedem Punkt im Raume (in der Ebene) sei eindeutig ein Vektor zugeordnet, der die in diesem<br />

Punkt vorhandene Feldgrösse, zum Beispiel die Kraft, symbolisch darstellt. Dieser im<br />

Allgemeinen von Punkt zu Punkt verschiedene Vektor heisst Feldvektor und werde mit F ⃗<br />

bezeichnet.<br />

⎛ ⎞<br />

F 1 (x,y,z,t)<br />

⃗F(x,y,z,t) = ⎝ F 2 (x,y,z,t) ⎠.<br />

F 3 (x,y,z,t)<br />

Die Komponenten F i sind dabei Funktionen des Orts (x,y,z) im Raume ((x,y) in der Ebene)<br />

und können eventuell auch noch von der Zeit t abhängen. Im Fall eines zeitunabhängigen<br />

Feldes sprechen wir von einem stationären Vektorfeld.<br />

y<br />

x<br />

Abbildung 20.1.vi: Ebenes stationäres Vektorfeld mit normalisierten Vektoren<br />

Beispiel 20.1.2 (Föhnlage über der Schweiz). Bei der Abbildung 20.1.vii handelt es sich<br />

um eine 33-Stunden-Vorhersage des numerischen Wettervorhersagemodell der Meteo Schweiz.<br />

Die Windpfeile geben die Windrichtung an, die Länge eines Pfeiles entspricht der Windstärke<br />

(rechts oben ist eine Windstärke von 12ms −1 dargestellt). Erkennbar ist in der Abbildung<br />

die Endphase einer starken Föhnströmung, die bis ins östliche Mittelland (Zürichsee/Schaffhausen)<br />

vorstösst. Über dem westlichen Mittelland ist die Front mit Südwestwinden sichtbar.<br />

Die Messungen des automatischen Messnetzes der Meteo Schweiz zeigten zu diesem Zeitpunkt<br />

Föhn am Zürichsee mit 3ms −1 (in Altdorf 13ms −1 ) bei einer Temperatur von 26 ◦ ,<br />

währenddemwestlichvonZürichWestwindherrschteundimGenferseegebiet beiSüdwestwind<br />

von 10ms −1 und einer Temperatur von 18 ◦ Regen einsetzte. An der Punktierung ist ferner<br />

das Modellgebiet zu erkennen, welches auf einer Höhe über 750m liegt. Es handelt sich um<br />

das Alpenmassiv, den Jura, die Vogesen und den Schwarzwald. Selbst mit einem Modell mit<br />

einer Maschenweite von 7km können die Alpentäler noch nicht richtig wiedergegeben werden.<br />

Beispiel 20.1.3 (Laminare stationäre Strömung). Strömungslinien bei einer laminaren stationären<br />

Strömung (vgl. Abbildung 20.1.viii).<br />

Beispiel 20.1.4 (Geschwindigkeitsfeld). Es sei das folgende Geschwindigkeitsfeld<br />

( ) −y ⃗F(x,y) =<br />

x


20.1. Kurven und Vektorfelder im Raum und in der Ebene 335<br />

LM Forecast 04.06.2002 00 UTC +33h<br />

10m Wind in m/s Every gridpoint<br />

6 O E<br />

8 O E<br />

VT: Wed 5 Jun 2002 09 UTC<br />

12.0 m/s<br />

10 O E<br />

Copyright MeteoSwiss<br />

47 O N<br />

46 O N<br />

6 O E<br />

MAGICS 5.5 terra - morsier Wed Jun 19 11:50:37 2002 622<br />

8 O E<br />

10 O E<br />

Abbildung 20.1.vii: Windfeld für den 5. Juni 2002 um 11 Uhr auf 10m über der Modelltopographie<br />

in einem Ausschnitt über der Schweiz. Die Schweizer Grenze, Boden-, Genfer- und<br />

Langensee sowie die wichtigsten Flüsse sind eingezeichnet. Quelle: Meteo Schweiz<br />

mit| F(x,y)| ⃗ 2 = x 2 +y 2 = r 2 inderEbenevorgegeben. Der allgemeine Geschwindigkeitsvektor<br />

im Punkt (x,y) hat die Form<br />

( ) ẋ(t) ˙⃗r(t) = .<br />

ẏ(t)<br />

Somit gilt die Differenzialgleichung ⃗ F = ˙⃗r, oder in Komponenten ausgeschrieben<br />

ẋ = −y und ẏ = x.<br />

Es handelt sich hier um ein Differenzialgleichungssystem, welches wir mit den in Kapitel 23<br />

diskutierten Methoden lösen können. Wir betrachten die zeitliche Ableitung von ẋ = −y und<br />

setzen diese in der zweiten Gleichung ein, um<br />

ẍ+x = 0<br />

zu erhalten. Die allgemeine Lösung dieser Differenzialgleichung ist<br />

x(t) = Acos(t)+Bsin(t)<br />

mit A und B beliebige reelle Konstanten. Somit ergibt sich unmittelbar<br />

y(t) = −ẋ(t) = Asin(t)−Bcos(t).<br />

Wählen wir die Anfangsbedingung x(0) = r und y(0) = 0, dann folgt A = r und B = 0. Also<br />

handelt es sich hier um eine starre Drehbewegung um den Ursprung mit Radius r<br />

⃗r(t) =<br />

( rcos(t)<br />

rsin(t)<br />

)<br />

.


336 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Abbildung 20.1.viii: Strömungslinien bei einer laminaren stationären Strömung beim Umfliessen<br />

von Hindernissen. Links oben: Ein Kreis, der mit einer Wassergeschwindigkeit von 1mm<br />

pro Sekundeangeströmt wird. Links unten: Eine schräggestellte Platte wird mit einer Wassergeschwindigkeit<br />

von 1mm pro Sekunde angeströmt. Bei dieser Fliessgeschwindigkeit bilden<br />

sich noch keine Wirbel. Rechts oben: Ein Quader in einer Strömung. Die Geschwindigkeit<br />

des Wassers ist an den beiden oberen Ecken am grössten. Rechts unten: Ein NACA 64A015<br />

Flügelprofil bei einem Anstellwinkel von 0 Grad, das von Wasser umströmt wird. Die Bilder<br />

sind aus An Album of Fluid Motion, [4], entnommen.<br />

Beispiel 20.1.5 (Räumliches Kraftfeld - Coulombfeld). Im Ursprung befinde sich die elektrische<br />

Ladung +Q. Das von der Ladung erzeugte Kraftfeld, das so genannte Coulombfeld,<br />

wird durch den Vektor ⃗ F dargestellt, der auf die positive Ladung +e mit Ortsvektor ⃗r wirkende<br />

Kraft repräsentiert. Nach dem Coulombschen Gesetz hat ⃗ F den Betrag<br />

| F(x,y,z)| ⃗ = 1 eQ<br />

·<br />

4πǫ 0 ǫ r x 2 +y 2 +z 2 = 1 · eQ<br />

4πǫ 0 ǫ r |⃗r| 2,<br />

dabei bedeuten ǫ r die Dielektrizitätszahl und ǫ 0 = 8.85 · 10 −12 CV −1 m −1 . Weiter sind die<br />

Kraft und der Ortsvektor der Ladung parallel. Also gilt<br />

⃗F = 1<br />

4πǫ 0 ǫ r<br />

· eQ<br />

|⃗r| 3 ·⃗r.<br />

Wir verzichten hier auf eine Lösung dieser Differenzialgleichung, da dies der Gegenstand der<br />

Aufgabe 20.1.x ist.


20.2. Das Linienintegral 337<br />

y<br />

x<br />

Abbildung 20.1.ix: Rotierendes Geschwindigkeitsfeld<br />

y<br />

⃗F<br />

•<br />

+e<br />

+Q •<br />

x<br />

20.2 Das Linienintegral<br />

Abbildung 20.1.x: Ebenes Coulombfeld<br />

Wir betrachten das Kraftfeld, das durch den Feldvektor<br />

⎛ ⎞<br />

F 1 (x,y,z)<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ F 2 (x,y,z) ⎠<br />

F 3 (x,y,z)<br />

gegeben sei. In diesem Feld bewege sich unter dem Einfluss der Feldkraft ein Massenpunkt<br />

längs der Raumkurve mit dem Ortsvektor<br />

⎛ ⎞<br />

x(t)<br />

⃗r(t) = ⎝ y(t) ⎠.<br />

z(t)<br />

Wir wollen die von der Feldkraft am Massenpunkt verrichtete Arbeit berechnen. Für diese<br />

gilt in jedem Moment die Beziehung<br />

W = ⃗ F ·⃗s [in Nm = J]


338 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

d.h., die Arbeit ist gleich Kraft mal Wegkomponente. 1 Die Richtung von ⃗s wird in jedem<br />

Punkt der Kurve von d⃗r gegeben, also haben wir<br />

dW = ⃗ F ·d⃗r.<br />

Somit gilt für die Arbeit zwischen den beiden Punkten P 1 und P 2 der Kurve im Kraftfeld ⃗ F<br />

W =<br />

∫ P2<br />

P 1<br />

dW =<br />

∫ P2<br />

P 1<br />

⃗ F ·d⃗r.<br />

Ein solches Integral heisst Linien- oder Wegintegral. Für die praktische Berechnung gehen<br />

y<br />

P 2<br />

•<br />

⃗r(t)<br />

⃗ F<br />

d⃗r<br />

x<br />

P 1<br />

•<br />

Abbildung 20.2.i: Linienintegral<br />

wir wie folgt vor. Es sei eine Parametrisierung ⃗r(t) der Kurve gegeben, längs welcher der<br />

Massenpunkt im Kraftfeld von ⃗r(t 1 ) = P 1 nach ⃗r(t 2 ) = P 2 verschoben werden soll<br />

⎛ ⎞<br />

⎛ ⎞<br />

x(t)<br />

ẋ(t)<br />

⃗r(t) = ⎝ y(t) ⎠ und somit ˙⃗r(t) = ⎝ ẏ(t) ⎠.<br />

z(t)<br />

ż(t)<br />

Also ergibt sich mit der Kettenregel d⃗r = d⃗r<br />

dt dt = ˙⃗rdt und das Linienintegral wird zu<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

∫ P2<br />

∫ t2<br />

∫ t2 F 1 ẋ ∫ t2<br />

W = F ⃗ ·d⃗r = F ⃗ · ˙⃗rdt = ⎝ F 2<br />

⎠· ⎝ ẏ ⎠dt = (F 1 ẋ+F 2 ẏ +F 3 ż)dt.<br />

P 1 t 1 t 1<br />

F 3 ż<br />

t 1<br />

Hierin ist dann x = x(t), y = y(t) und z = z(t) zu setzen, und es ergibt sich die Formel<br />

W =<br />

=<br />

∫ t2<br />

t 1<br />

∫ t2<br />

⃗ F (⃗r(t))· ˙⃗r(t)dt<br />

t 1<br />

(F 1 (x(t),y(t),z(t))ẋ(t)+F 2 (x(t),y(t),z(t))ẏ(t)+F 3 (x(t),y(t),z(t))ż(t))dt.<br />

1 Der Punkt · bedeutet das Skalarprodukt.


20.2. Das Linienintegral 339<br />

Beispiel 20.2.1. Ein Körper der Masse m werde längs einer Windung einer Schraubenlinie<br />

⎛ ⎞<br />

cos(t)<br />

⃗r(t) = ⎝ sin(t) ⎠<br />

h<br />

2π t<br />

um die Höhe h im Kraftfeld der Erde gehoben. Welche Arbeit ist aufzuwenden, wenn die<br />

z-Achse vom Erdmittelpunkt wegzeigt? Das Kraftfeld hat die folgende Gestalt<br />

⎛ ⎞<br />

0<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ 0 ⎠.<br />

−mg<br />

Damit folgt für das Linienintegral<br />

W =<br />

∫ 2π<br />

0<br />

∫ 2π<br />

= −<br />

0<br />

⃗F (⃗r(t))· ˙⃗r(t)dt =<br />

mgh<br />

dt = −mgh.<br />

2π<br />

∫ 2π<br />

0<br />

⎛<br />

⎝<br />

0<br />

0<br />

−mg<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎠· ⎝<br />

−sin(t)<br />

cos(t)<br />

h<br />

2π<br />

Das Arbeitsintegral liefert stets die vom Kraftfeld verrichtete Arbeit.<br />

Beispiel 20.2.2. Um den Ursprung existiere ein Kraftfeld, bei dem alle Feldvektoren nach<br />

dem Ursprung hingerichtet sind. Ihr Betrag ist proportional dem Abstand von Ursprung mit<br />

der positiven Proportionalitätskonstante c. Welche Arbeit ist aufzubringen, wenn längs der<br />

Schraubenlinie<br />

⎛ ⎞<br />

acos(t)<br />

⃗r(t) = ⎝ asin(t) ⎠<br />

h<br />

2π t<br />

um die Höhe h bewegt wird? Der Feldvektor hat die Gestalt<br />

Damit folgt für das Linienintegral<br />

W =<br />

∫ 2π<br />

0<br />

= −c<br />

⎛<br />

⃗F(x,y.z) = −c⃗r = −c⎝<br />

⃗F (⃗r(t))· ˙⃗r(t)dt<br />

∫ 2π<br />

0<br />

∫ 2π<br />

= −c<br />

0<br />

⎛<br />

⎝<br />

(<br />

= −c h2<br />

4π 2 ∫ 2π<br />

0<br />

= −c h2<br />

4π 2 t 2 2<br />

⎞<br />

acos(t)<br />

asin(t) ⎠·<br />

h<br />

2π t<br />

⎛<br />

⎝<br />

−asin(t)<br />

acos(t)<br />

h<br />

2π<br />

x<br />

y<br />

z<br />

⎞<br />

⎞<br />

⎠.<br />

⎠dt<br />

−a 2 cos(t)sin(t)+a 2 sin(t)cos(t)+<br />

∣<br />

2π<br />

0<br />

tdt<br />

= −c h2 (2π) 2<br />

4π 2 2<br />

Demzufolge ist die aufzubringende Arbeit W = ch2<br />

2 .<br />

= − ch2<br />

2 .<br />

⎞<br />

⎠dt<br />

( ) h 2<br />

t)<br />

dt<br />


340 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 20.2.1. Berechnen Sie für das Kraftfeld<br />

⎛<br />

x 2 ⎞<br />

⎛<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ y 2 ⎠ die Feldarbeit längs der Kurve ⃗r(t) = ⎝<br />

z 2<br />

von A( √ 3,0,0) bis B(0,0,−1).<br />

Aufgabe 20.2.2. Deuten Sie den Verlauf der Raumkurve<br />

⎛<br />

sin 2 ⎞<br />

(t)<br />

⃗r(t) = ⎝ cos 2 (t) ⎠<br />

t 2 − π 2 t<br />

√<br />

3sin(t)<br />

0<br />

cos(t)<br />

⎞<br />

⎠<br />

und berechnen Sie das Linienintegral im Intervall 0 ≤ t ≤ π 2<br />

⎛ ⎞<br />

x<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ xy ⎠.<br />

z<br />

im Felde<br />

Aufgabe 20.2.3. Berechnen Sie für das Kraftfeld<br />

⎛ ⎞<br />

⎛<br />

0<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ −z ⎠ die Arbeit längs der Kurve ⃗r(t) = ⎝<br />

y<br />

im Intervall 0 ≤ t ≤ π 2<br />

und deuten Sie den Verlauf.<br />

√<br />

2cos(t)<br />

cos(2t)<br />

2t<br />

π<br />

⎞<br />

⎠<br />

Aufgabe 20.2.4. Berechnen Sie die Arbeit des Kraftfeldes<br />

⎛ ⎞<br />

⎛<br />

x+y<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ z ⎠ längs der Kurve ⃗r(t) = ⎝<br />

x<br />

im Intervall 0 ≤ t ≤ π 2 .<br />

Aufgabe 20.2.5. Berechnen Sie die Arbeit des Kraftfeldes<br />

⎛ ⎞<br />

⎛<br />

x+y<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ x ⎠ längs der Kurve ⃗r(t) = ⎝<br />

xz<br />

im Intervall 0 ≤ t ≤ π 2 .<br />

Aufgabe 20.2.6 (Wegunabhängigkeit). Gegeben sei das Kraftfeld<br />

( ) xy<br />

2<br />

⃗F(x,y) =<br />

x 2 .<br />

y<br />

sin(t)<br />

cos 2 (t)<br />

t<br />

sin(t)<br />

sin 2 (t)<br />

t 2<br />

Berechnen sie das Linienintegral ∫ P<br />

0 ⃗ F ·d⃗r zwischen dem Nullpunkt und dem Punkte P(1,1)<br />

längs den folgenden Wegen (vgl. Abbildung 20.2.ii)<br />

⎞<br />

⎠<br />

⎞<br />


20.2. Das Linienintegral 341<br />

y<br />

P(1,1)<br />

•<br />

a.<br />

c.<br />

b.<br />

•<br />

Q(1,0)<br />

x<br />

Abbildung 20.2.ii: Wege für Aufgabe 20.2.6<br />

a. y = x,<br />

b. y = x 2 und<br />

c. längs der x-Achse vom Ursprung nach Q(1,0) dann parallel zur y-Achse von Q(1,0)<br />

nach P(1,1).<br />

Was stellen Sie fest? Erstaunt? Wie erklären Sie sich das?<br />

Aufgabe 20.2.7 (Wegabhängigkeit). Berechnen Sie das Linienintegral über<br />

a. den oberen und<br />

b. den unteren<br />

Halbkreis mit Radius r und Zentrum im Ursprung von P 1 nach P 2 (vgl. Abbildung 20.2.iii)<br />

bei folgendem Feld<br />

y<br />

a.<br />

P 2 • •<br />

P 1<br />

r<br />

x<br />

b.<br />

Abbildung 20.2.iii: Wege für Aufgabe 20.2.7<br />

⃗F(x,y) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎞<br />

−y<br />

x 2 +y<br />

x<br />

2 ⎟<br />

⎠.<br />

x 2 +y 2<br />

Was stellen Sie fest? Erstaunt? Wie erklären Sie sich das?


342 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Lösungen<br />

Lösung 20.2.1. W = − 1 3 −√ 3<br />

Lösung 20.2.2. W = 1 3<br />

Lösung 20.2.3. W = 1<br />

Lösung 20.2.4. W = 13<br />

6 − π 4<br />

Lösung 20.2.5. W = 3 2 (π2 −7)<br />

Lösung 20.2.6. Die Arbeit beträgt für alle Wege immer W = 1 2<br />

. Für eine Erklärung vergleichen<br />

Sie das nächste Kapitel 20.3 über Potenzialfelder.<br />

Lösung 20.2.7. Die Arbeit für den oberen Halbkreis beträgt W = π und für den unteren<br />

Halbkreis W = −π. Für eine Erklärung vergleichen Sie das nächste Kapitel 20.3 über<br />

Potenzialfelder.<br />

20.3 Linienintegral im Potenzialfeld<br />

Die beiden letzten Beispiele 20.2.1 und 20.2.2 geben Anlass zur Frage: Wann ist ein Linienintegral<br />

vom Weg unabhängig?<br />

Wir betrachten zuerst nur ebene Felder. Seien ein Vektorfeld<br />

y<br />

P 2 (x 2 ,y 2 )<br />

•<br />

γ 1<br />

γ 2<br />

•<br />

P 1 (x 1 ,y 1 )<br />

x<br />

Abbildung 20.3.i: Zwei verschiedene Wege γ 1 und γ 2 von P 1 (x 1 ,y 1 ) nach P 2 (x 2 ,y 2 ) zur<br />

Berechnung eines Linienintegrals.<br />

⃗F(x,y) =<br />

(<br />

F1 (x,y)<br />

F 2 (x,y)<br />

)<br />

und eine Kurve ⃗r(t) =<br />

von P 1 (x 1 ,y 1 ) nach P 2 (x 2 ,y 2 ) gegeben. Dann gilt<br />

( ) ( ẋ(t)<br />

d⃗r = dt =<br />

ẏ(t)<br />

˙⃗rdt ẋdt<br />

=<br />

ẏdt<br />

also folgt<br />

W =<br />

∫ P2<br />

∫ (x2 ,y 2 )<br />

F ⃗ ·d⃗r =<br />

P 1 (x 1 ,y 1 )<br />

( ) (<br />

F1 dx<br />

·<br />

F 2 dy<br />

)<br />

=<br />

)<br />

=<br />

( dx<br />

dy<br />

∫ (x2 ,y 2 )<br />

(x 1 ,y 1 )<br />

( x(t)<br />

y(t)<br />

)<br />

)<br />

(F 1 dx+F 2 dy).


20.3. Linienintegral im Potenzialfeld 343<br />

Falls eine Stammfunktion W zweier Variablen x und y so auffindbar ist, dass der Integrand<br />

F 1 dx + F 2 dy gerade deren vollständiges Differenzial dW darstellt, so ist das Integral vom<br />

Weg unabhängig. Es müsste also gelten<br />

und damit würde<br />

dW = ∂W<br />

∂x<br />

F 1 = ∂W<br />

∂x<br />

dx+<br />

∂W<br />

∂y dy = F 1dx+F 2 dy<br />

und F 2 = ∂W<br />

∂y<br />

folgen. Bei einer stetigen Funktion W mit ebensolchen Ableitungen gilt nach dem Satz von<br />

Schwarz 13.4.1<br />

W xy = W yx .<br />

Somit müsste die folgende Bedingung von Schwarz richtig sein<br />

∂F 1<br />

∂y = ∂F 2<br />

∂x .<br />

Gilt dies nicht, so kann keine Stammfunktion W existieren.<br />

Satz20.3.1 (BerechnungdesLinienintegralsbeiWegunabhängigkeit). Genau dann ist F 1 dx+<br />

F 2 dy ein vollständiges Differenzial, wenn ∂F 1<br />

∂y = ∂F 2<br />

∂x gilt. Das Linienintegral von P 1(x 1 ,y 1 )<br />

nach P 2 (x 2 ,y 2 ) ist dann<br />

wobei<br />

∫ (x2 ,y 2 )<br />

(x 1 ,y 1 )<br />

dW = W(x 2 ,y 2 )−W(x 1 ,y 1 ),<br />

∂W<br />

∂x = F 1<br />

und<br />

∂W<br />

∂y = F 2.<br />

Das Integral ergibt sich als Differenz von End- und Anfangswert der Funktion W und ist<br />

folglich vom Weg unabhängig.<br />

Satz 20.3.2 (Wegunabhängigkeit des Linienintegrals). Erfüllen die Funktionen F 1 und F 2<br />

der Komponenten des Feldvektors ⃗ F eines ebenen Feldes die Bedingung von Schwarz<br />

∂F 1<br />

∂y = ∂F 2<br />

∂x ,<br />

so ist in diesem Feld jedes Linienintegral vom Weg unabhängig.<br />

Ein solches Feld heisst Potenzialfeld, und W heisst Potenzialfunktion oder Potenzial.<br />

Beispiel 20.3.1. Wir betrachten das ebene Feld<br />

( xy<br />

2<br />

⃗F(x,y) =<br />

x 2 y<br />

)<br />

und wollen das Linienintegral von P 1 (x 1 ,y 1 ) = (0,0) bis P 2 (x 2 ,y 2 ) = (1,1) berechnen. Also<br />

identifizieren wir F 1 (x,y) = xy 2 und F 2 (x,y) = x 2 y. Nun testen wir die Bedingung von<br />

Schwarz<br />

∂F 1<br />

∂y (x,y) = 2xy = ∂F 2<br />

∂x (x,y).


344 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Somit ist ⃗ F ein Potenzialfeld. Wie heisst das dazugehörige Potenzial? Wir haben also die<br />

partielle Differenzialgleichung<br />

∂W<br />

(x,y) = xy2 und<br />

∂x<br />

∂W<br />

∂y (x,y) = x2 y<br />

zu lösen. Zuerst integrieren wir die erste Gleichung ∂W<br />

∂x (x,y) = xy2 nach x und erhalten<br />

∫<br />

W(x,y) = xy 2 dx = x2 y 2<br />

+ϕ(y),<br />

2<br />

wobei ϕ eine nur von der Variable y abhängige, noch zu bestimmende Funktion ist. Nun<br />

differenzieren wir die erhaltene Stammfunktion W(x,y) = x2 y 2<br />

2<br />

+ ϕ(y) partiell nach y und<br />

erhalten<br />

F 2 (x,y) = x 2 y = ∂W<br />

∂y = x2 y +ϕ ′ (y),<br />

also folgt unmittelbar, dass ϕ ′ (y) = 0 und somit ϕ(y) = C, wobei C ∈ R eine beliebige<br />

Konstante ist. Damit haben wir ein Potenzial<br />

W(x,y) = x2 y 2<br />

+C,<br />

2<br />

gefunden. Also ist das Linienintegral von (x 1 ,y 1 ) = (0,0) bis (x 2 ,y 2 ) = (1,1) vom Weg<br />

unabhängig<br />

∫ (1,1)<br />

(0,0)<br />

dW = W(1,1)−W(0,0) = 1 2 .<br />

Beispiel 20.3.2. Wir betrachten das ebene Feld<br />

( ) 2xy ⃗F(x,y) =<br />

x 2 y 2<br />

und fragen uns, ob es sich um ein Potenzialfeld handelt oder nicht. Also identifizieren wir<br />

F 1 (x,y) = 2xy und F 2 (x,y) = x 2 y 2 . Nun testen wir die Bedingung von Schwarz<br />

∂F 1<br />

∂y (x,y) = 2x und ∂F 2<br />

∂x (x,y) = 2xy2 .<br />

Somit ist ⃗ F kein Potenzialfeld. Würden wir gleichwohl wie oben weiterfahren, dann ergäbe<br />

sich die partielle Differenzialgleichung<br />

∂W<br />

∂x (x,y) = 2xy und ∂W<br />

∂y (x,y) = x2 y 2 .<br />

Zuerst integrieren wir die erste Gleichung ∂W<br />

∂x<br />

= 2xy nach x und erhalten<br />

∫<br />

W(x,y) = 2xydx = x 2 y +ϕ(y),<br />

wobei ϕ eine nur von der Variable y abhängige, noch zu bestimmende Funktion ist. Nun<br />

differenzieren wir die erhaltene Stammfunktion W(x,y) = x 2 y + ϕ(y) partiell nach y und<br />

erhalten<br />

F 2 (x,y) = x 2 y 2 = ∂W<br />

∂y (x,y) = x2 +ϕ ′ (y),<br />

also würde ϕ ′ (y) = x 2 y 2 −x 2 folgen. Dies ist aber ein Widerspruch, da ϕ nur eine Funktion<br />

von y ist.


20.3. Linienintegral im Potenzialfeld 345<br />

Für dreidimensionale Felder ergibt sich eine analoge Bedingung. Es sei<br />

⎛ ⎞<br />

F 1 (x,y,z)<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ F 2 (x,y,z) ⎠<br />

F 3 (x,y,z)<br />

das Kraftfeld und wir fragen uns, ob die Linienintegrale in diesem Kraftfeld wegunabhängig<br />

sind oder nicht. Dazu benutzen wir den folgenden Satz.<br />

Satz 20.3.3. Es gibt genau dann eine Funktion W in den Variablen x, y und z mit<br />

∂W<br />

∂x = F 1,<br />

∂W<br />

∂y = F 2,<br />

∂W<br />

∂z = F 3,<br />

wenn F 1 , F 2 , F 3 und sämtliche ihrer partiellen Ableitungen stetig sind und<br />

gilt.<br />

∂F 1<br />

∂y = ∂F 2<br />

∂x , ∂F 2<br />

∂z = ∂F 3<br />

∂y , ∂F 3<br />

∂x = ∂F 1<br />

∂z<br />

Eine andere gleichwertige, aber sehr viel elegantere Methode für diesen Sachverhalt ist die<br />

Folgende. Wir bilden den Vektor Rotation<br />

rot( ⃗ F) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

∂<br />

∂x<br />

∂<br />

∂y<br />

∂<br />

∂z<br />

⎞ ⎛ ⎞ ⎛<br />

F 1<br />

⎟<br />

⎠ × ⎜<br />

⎝ F 2<br />

⎟<br />

⎠ = ⎜<br />

⎝<br />

F 3<br />

Die Bedingung von Schwarz ist nun gleichbedeutend mit<br />

da immer<br />

rot(grad(W)) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

rot(⃗F) = 0,<br />

∂W z<br />

∂y − ∂Wy<br />

∂z<br />

∂W x<br />

∂z<br />

− ∂Wz<br />

∂x<br />

∂W y<br />

∂x − ∂Wx<br />

∂y<br />

⎞<br />

⎛<br />

⎟<br />

⎠ = ⎝<br />

∂F 3<br />

∂y − ∂F 2<br />

∂z<br />

∂F 1<br />

∂z − ∂F 3<br />

∂x<br />

∂F 2<br />

∂x − ∂F 1<br />

∂y<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠ .<br />

⎞<br />

W zy −W yz<br />

W xz −W zx<br />

⎠ = 0<br />

W yx −W xy<br />

gilt. Wir sagen, dass die Rotation des Vektorfeldes verschwindet oder, dass das Vektorfeld<br />

wirbelfrei ist. Wir können auch einen Zusammenhang mit dem Gradienten aufzeigen.<br />

Satz 20.3.4. Das Vektorfeld ⃗ F sei ein Potenzialfeld mit Potenzial W. Dann gilt<br />

grad(W) = ⃗ F.<br />

Dieser Satz eignet sich vorzüglich, um das ausgerechnete Potenzial zu kontrollieren.<br />

Beispiel 20.3.3. Wir betrachten das räumliche Vektorfeld<br />

⎛ ⎞<br />

y<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ x+z 2 ⎠.<br />

2yz


346 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Nun bilden wir die Rotation dieses Feldes<br />

⎛<br />

rot( F(x,y,z)) ⃗ = ⎝<br />

2z −2z<br />

0−0<br />

1−1<br />

⎞<br />

⎠ = 0.<br />

Also handelt es sich wegen Satz 20.3.3 um ein Potenzialfeld. Wir suchen also das dazugehörige<br />

Potenzial W. Wir haben die partielle Differenzialgleichung<br />

∂W ∂W<br />

(x,y,z) = y,<br />

∂x<br />

∂y (x,y,z) = x+z2 ,<br />

∂W<br />

∂z<br />

(x,y,z) = 2yz<br />

zu lösen. Zuerst integrieren wir die erste Gleichung ∂W<br />

∂x<br />

(x,y,z) = y nach x und erhalten<br />

∫<br />

W(x,y,z) = ydx = xy +ϕ(y,z),<br />

wobei ϕ eine nur von den Variablen y und z abhängige, noch zu bestimmende Funktion ist.<br />

Nun differenzieren wir die erhaltene Stammfunktion W(x,y,z) = xy+ϕ(y,z) partiell nach y<br />

und erhalten<br />

F 2 (x,y,z) = x+z 2 = ∂W ∂ϕ<br />

(x,y,z) = x+<br />

∂y ∂y (y,z),<br />

also folgt unmittelbar, dass ∂ϕ<br />

∂y (y,z) = z2 und somit ϕ(y,z) = yz 2 +ψ(z), wobei ψ eine nur<br />

von der Variablen z abhängige, noch zu bestimmende Funktion ist. Nun differenzieren wir<br />

erneut die erhaltene Stammfunktion W(x,y,z) = xy +yz 2 +ψ(z) nach z und erhalten<br />

F 3 (x,y,z) = 2yz = ∂W<br />

∂z (x,y,z) = 2yz +ψ′ (z),<br />

also folgt unmittelbar, dass ψ ′ (z) = 0 und somit ψ(z) = C, wobei C ∈ R eine beliebige<br />

Konstante ist. Damit haben wir ein Potenzial<br />

W(x,y,z) = xy +yz 2 +C,<br />

gefunden. Wir machen noch die Kontrolle mit Satz 20.3.4<br />

⎛ ⎞<br />

y<br />

grad(W(x,y,z)) = ⎝ x+z 2 ⎠.<br />

2yz<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 20.3.1. Untersuchen Sie, welche der folgenden Vektorfelder Potenzialfelder sind.<br />

Bestimmen Sie bei den Potenzialfeldern die Potenziale undvergleichen Sie die entsprechenden<br />

Linienintegrale derobigen Beispiele mit denAuswertungenderPotenziale andenEndpunkten<br />

der Kurve.<br />

a. Vergleichen Sie mit dem entsprechenden Linienintegral von Beispiel 20.2.1.<br />

⎛ ⎞<br />

0<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝ 0 ⎠<br />

−mg


20.3. Linienintegral im Potenzialfeld 347<br />

b. Vergleichen Sie mit dem entsprechenden Linienintegral von Beispiel 20.2.2.<br />

⃗F = −c⃗r<br />

c.<br />

⎛<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝<br />

x+y<br />

z<br />

x<br />

⎞<br />

⎠<br />

d.<br />

⎛<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝<br />

x+y<br />

x<br />

xz<br />

⎞<br />

⎠<br />

e.<br />

f.<br />

⎛<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝<br />

⎛<br />

⃗F(x,y,z) = ⎝<br />

x 2 ⎞<br />

y 2 ⎠<br />

z 2<br />

0<br />

−z<br />

y<br />

⎞<br />

⎠<br />

Aufgabe 20.3.2. Zeigen Sie, dass das ebene Vektorfeld<br />

⃗F(x,y) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

x<br />

√<br />

x 2 +y +y<br />

⎞<br />

y<br />

2 ⎟<br />

√<br />

x 2 +y +x ⎠<br />

2<br />

ein Potenzialfeld ist und berechnen Sie die Arbeit von P 1 (0,0) nach P 2 (3,4) einmal unter<br />

Verwendung des Potenzials und dann längs der Geraden von P 1 nach P 2<br />

Aufgabe 20.3.3. Berechnen Sie die Potenziale der folgenden ebenen Vektorfelder.<br />

a. Für x 2 +y 2 ≠ 0 sei<br />

⎛<br />

⃗F(x,y) = ⎝<br />

x ⎞<br />

x 2 +y<br />

y<br />

2 ⎠.<br />

x 2 +y 2<br />

b. Für x 2 +y 2 ≠ 0 sei<br />

⃗F(x,y) =<br />

⎛<br />

⎜<br />

⎝<br />

⎞<br />

−y<br />

x 2 +y<br />

x<br />

2 ⎟<br />

⎠.<br />

x 2 +y 2<br />

Aufgabe 20.3.4. Bestimmen Sie das Potenzial des räumlichen elektrischen Feldes ⃗ E = 1 e ⃗ F<br />

einerPunktladungQ(vgl.Beispiel 20.1.5).ErmittelnSiedanndieBeziehungfürdieSpannung<br />

zwischen zwei Punkten A und B. Betrachten Sie ferner den Spezialfall wenn A → ∞.


348 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Integrationskonstante.<br />

Lösung 20.3.1.<br />

a. Das Potenzial ist W(x,y,z) = −mgz, Integrationskonstante wurde weggelassen.<br />

b. Das Potenzial ist W = − c 2 r2 = − c 2 (x2 +y 2 +z 2 )+C.<br />

c. Kein Potenzialfeld<br />

d. Kein Potenzialfeld<br />

e. Das Potenzial ist W(x,y,z) = 1 3 (x3 +y 3 +z 3 )+C.<br />

f. Kein Potenzialfeld<br />

Lösung 20.3.2. Das Potenzial ist W(x,y) = √ x 2 +y 2 + xy + C und die Arbeit beträgt<br />

W = 17.<br />

Lösung 20.3.3.<br />

a. Das Potenzial ist W(x,y) = 1 2 ln(x2 +y 2 )+C.<br />

b. Das Potenzial ist W(x,y) = −arctan( x y )+C.<br />

Lösung 20.3.4. Das Potenzial einer Punktladung Q ist W = − 1<br />

r<br />

, die Integrationskonstante<br />

wurde weggelassen. Die Spannung zwischen zwei Punkten A und B ist<br />

U = Q ( 1<br />

− 1 )<br />

.<br />

4πǫ 0 ǫ r r A r B<br />

Im Grenzfall ergibt sich somit die Spannung U = − 1<br />

4πǫ 0 ǫ r<br />

Q<br />

r B<br />

.<br />

4πǫ 0 ǫ r<br />

eQ<br />

Beispiel 20.3.4 (Aus der Thermodynamik). Wird einer abgeschlossenen Gasmenge mit den<br />

Zustandsgrössen p I , V I und T I eine Wärmemenge Q zugeführt, so geht sie in den Zustand<br />

p II , V II und T II über. Die Wärmemenge dient der Steigerung der inneren Energie des Gases<br />

und zur Aufbringung der Expansionsarbeit. In Differenzialform geschrieben, gilt<br />

δQ = dU +pdV = mc v dT + mRT<br />

V dV.<br />

Die Steigerung der inneren Energie dU ist durch mc v dT ausgedrückt, wobei c V die spezifische<br />

Wärmekapazität bei konstantem Volumen und m die Masse ist. Die Expansionsarbeit<br />

pdV wird mit Hilfe der Zustandsgleichung eines idealen Gases pV = mRT in mRT<br />

V dV<br />

umgeschrieben. Dabei bedeuten m die Masse und R = 8.31441Jmol −1 K −1 die universelle<br />

Gaskonstante.<br />

Hieraus folgt durch Integration (Integrationsweg in der TV-Ebene) die gesamte Wärmezufuhr<br />

Q, die das Gas vom Zustand I in den Zustand II führt. Ist diese Überführung vom Weg<br />

abhängig? Wenn nicht, so muss δQ ein vollständiges Differenzial dQ in den Variablen T und


20.3. Linienintegral im Potenzialfeld 349<br />

p<br />

p<br />

P I<br />

•<br />

P I<br />

•<br />

isochor<br />

isotherm<br />

•<br />

P II<br />

•<br />

P II<br />

V<br />

V<br />

Abbildung 20.3.ii: Links: Isotherme Zustandsänderungen (T = const) im pV-Diagramm.<br />

Rechts: Isochore Zustandsänderungen (V = const) im pV-Diagramm.<br />

V sein, undes muss dieBedingungvon Schwarz erfüllt sein. Wir identifizieren F 1 (T,V) = mc v<br />

und F 2 (T,V) = mRT<br />

V<br />

und folgern<br />

∂F 1<br />

∂V (T,V) = 0 und ∂F 2 mR<br />

(T,V) =<br />

∂T V ≠ 0<br />

Somit ist die Bedingung von Schwarz nicht erfüllt. Also ist das Integral vom Weg abhängig.<br />

Dividieren wir nun δQ durch T, dann erhalten wir<br />

δQ<br />

T = mc v mR<br />

dT +<br />

T V dV.<br />

Wir identifizieren F 1 (T,V) = mcv<br />

T<br />

und F 2 (T,V) = mR<br />

V<br />

und folgern nun, dass<br />

∂F 1<br />

∂V (T,V) = ∂F 2<br />

∂T (T,V) = 0<br />

Damit isthingegen δQ T<br />

einvollständiges Differenzial, undesexistiert demzufolgeeineFunktion<br />

S in den Variablen V und T mit dS = δQ T<br />

. Also folgt gemäss Satz 20.3.1, dass<br />

∫ II<br />

I<br />

δQ<br />

T = ∫ II<br />

I<br />

dS = S II −S I<br />

wegunabhängig ist. Die Funktion S beschreibt also den jeweiligen Zustand des Gases selbst,<br />

da der Weg, auf dem das Gas in diesen Zustand gelangte, auf den Wert von S keinen Einfluss<br />

hat. Die Grösse heisst Entropie und ist eine Zustandsgrösse. Die Entropie ist ein Mass für<br />

die Unordnung eines Systems.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 20.3.5. Bestimmen Sie die Entropie als Potenzial zum vollständigen Differenzial<br />

δQ<br />

T = mc v mR<br />

dT +<br />

T V dV.


350 Kapitel 20. Arbeit und Linienintegrale<br />

Aufgabe 20.3.6. Die Entropie einer abgeschlossenen Gasmenge ist in Differenzialform<br />

dS = δQ T = mc v<br />

T<br />

dT +<br />

mR<br />

V dV.<br />

wobei m, c v und R gegebene Konstanten sind. Berechnen Sie die Entropiezunahme zwischen<br />

den beiden Punkten P I (210K,3m 3 ) und P II (270K,5m 3 ) in der TV-Ebene.<br />

Aufgabe 20.3.7. Zeigen Sie für das Integral<br />

∫ II<br />

(<br />

Q = mc v dT + mRT )<br />

V dV ,<br />

I<br />

dass es wegabhängig ist, indemSiedas Integral vom ZustandIin denZustandIIüberfolgende<br />

Wege berechnen.<br />

a. isotherm, isochor und<br />

b. isochor, isotherm.<br />

p<br />

•<br />

P I<br />

b.<br />

a.<br />

•<br />

P II<br />

V<br />

Lösungen<br />

Lösung 20.3.5. Die Entropie ist S(T,V) = mc v ln(T)+mRln(V)+C, wobei C eine noch<br />

zu bestimmende Konstante ist.<br />

Lösung 20.3.6. Die Entropiezunahme beträgt ∆S = mRln( 5 3 )+mc vln( 9 7 ).<br />

Lösung 20.3.7.<br />

a. Q = mRT I ln(<br />

VII<br />

V I<br />

)+mc v (T II −T I )<br />

b. Q = mRT II ln(<br />

VII<br />

V I<br />

)+mc v (T II −T I )


Kapitel 21<br />

Differenzialgleichungen<br />

Bei der mathematischen Behandlung vieler technischer und physikalischer Probleme treten<br />

Differenzialgleichungen auf. Betrachten wir den radioaktiven Zerfall, bei dem die Atomkerne<br />

gewisser Substanzen (z.B. Uran) auf natürliche Weise zerfallen. Es stellt sich zum Beispiel<br />

die Frage, wie lange es dauert, bis nur noch die Hälfte aller Atomkerne vorhanden<br />

sind, d.h., wie gross ist die so genannte Halbwärtszeit. Diese Problemstellung lässt sich<br />

mit einer Differenzialgleichung modellisieren. Alle von uns kennen das Weg-Zeit-Gesetz<br />

s(t) = s 0 + v 0 t + g 2 t2 für einen Gegenstand im freien Fall. Wie kommt diese Beziehung zu<br />

Stande? Sie ist Lösung einer Differenzialgleichung. Eine weitere Frage könnte in etwa lauten:<br />

Bei welchen Funktionen stimmt der Funktionswert mit der Steigung der Tangenten an jeder<br />

Stelle überein? Mathematisch ausgedrückt heisst das: Gesucht sind alle Funktionen f, die die<br />

(Differenzial-)Gleichung f ′ = f erfüllen.<br />

21.1 Definitionen<br />

Definition 21.1.1. EineGleichung, die eine odermehrereAbleitungen einer gesuchten Funktion<br />

enthält, heisst Differenzialgleichung (abgekürzt DGl.).<br />

Im Gegensatz dazu stehen die algebraischen Gleichungen, zum Beispiel x 2 + x +1 = 0, bei<br />

denen eine Zahl als Lösung gesucht wird.<br />

Beispiel 21.1.1. Wir suchen Funktionen y in der Variablen x, die zum Beispiel die Differenzialgleichungen<br />

y ′ −y = 0, y ′ −cos(x) = 0 oder y ′ +y = sin(x) erfüllen.<br />

Allgemein lässt sich eine Differenzialgleichungen in der Form<br />

F(x,y,y ′ ,...,y (n) ) = 0<br />

(21.1.a)<br />

angeben.<br />

Definition 21.1.2. Tritt in einer Differenzialgleichungen die n-te Ableitung der gesuchten<br />

Funktion als höchste Ableitung auf, so wird die Differenzialgleichungen von n-ter Ordnung<br />

genannt.<br />

Beispiel 21.1.2. Die Gleichung y ′′ +y ′ y = 0ist eineDifferenzialgleichungen zweiter Ordnung.<br />

Definition 21.1.3. Jede Funktion y, welche die Differenzialgleichung F(x,y,y ′ ,...,y (n) ) = 0<br />

erfüllt, wird Lösung oder ein Integral der Differenzialgleichung genannt.<br />

351


352 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

21.2 Die geometrische Bedeutung einer Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung<br />

Es sei eine Differenzialgleichung erster Ordnung F(x,y,y ′ ) = 0 gegeben. Sie definiert ein<br />

Richtungsfeld, falls sie eindeutig nach y ′ auflösbar ist, d.h. y ′ = f(x,y). Indem in jedem<br />

Punkt P(x,y) die Richtung y ′ durch ein kurzes Tangentenstück dargestellt wird, ergibt sich<br />

ein Gesamtbild der Steigungen, ein Richtungsfeld. Setzen wir y ′ = c für verschiedene c ∈ R,<br />

so erhalten wir die so genannten Isoklinen, das sind Kurven gleicher Steigung der Linienelemente.<br />

Das Auflösen, respektive Erraten der Lösung einer Differenzialgleichung erster<br />

Ordnung mit Hilfe der Isoklinen heisst Isoklinenmethode. Jede Kurve, die auf das Richtungsfeld<br />

passt, ist eine Lösung der Differenzialgleichung oder ein Integral, denn sie erfüllt<br />

die Differenzialgleichung nach Konstruktion.<br />

Beispiel 21.2.1. Wir betrachten die Differenzialgleichung erster Ordnung y ′ +y = 0. Nach<br />

y ′ aufgelöst, ergibt sich y ′ = −y. Damit erhalten wir das durch die Steigung y ′ (x,y) = −y am<br />

Punkt P(x,y) definierte Richtungsfeld (vgl. Abbildung 21.2.i).<br />

y<br />

•<br />

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•<br />

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x<br />

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•<br />

•<br />

Abbildung 21.2.i: Richtungsfeld y ′ (x,y) = −y der Differenzialgleichung y ′ +y = 0 mit einer<br />

Lösungskurve.<br />

Setzen wiry ′ = cfüreineKonstante c ∈ R, dannfolgt y = −c. Somit entsprechendieIsoklinen<br />

den horizontalen Geraden. Mit Hilfe der Isoklinenmethode können wir vermuten, dass eine<br />

Lösung durch<br />

y(x) = Ce −x<br />

gegeben ist, wobei C ∈ R ein beliebiger Parameter ist.<br />

Wir erhalten eine so genannte 1-parametrige Kurvenschar. Wird ein spezieller Parameter<br />

C ∈ R gewählt, dann wird von einer partikulären Lösung gesprochen.<br />

Im Allgemeinen besitzt eine allgemeine Lösung einer Differenzialgleichung n-ter Ordnung<br />

genau n beliebige Konstanten, so genannte Freiheitsgrade. Jede Lösung mit weniger als n<br />

beliebigen Konstanten heisst partikuläre Lösung. Eine solche wird häufig mit einem Index<br />

y p versehen.<br />

Beispiel 21.2.2. Wir betrachten nun die Differenzialgleichung xy ′ = y. Nach y ′ aufgelöst,<br />

ergibt sich y ′ = y x . Damit erhalten wir das durch die Steigung y′ (x,y) = x y<br />

am Punkt P(x,y)


21.3. Problemstellungen mit Differenzialgleichungen 353<br />

definierte Richtungsfeld (vgl. Abbildung 21.2.ii).<br />

y<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

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x<br />

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•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Abbildung 21.2.ii: Richtungsfeld y ′ (x,y) = x y der Differenzialgleichung xy′ = y mit einer<br />

partikulären Lösungskurve y = 1 2 x.<br />

Mit Hilfe der Isoklinenmethode können wir anhand Abbildung 21.2.ii die folgende Lösung<br />

erraten:<br />

y(x) = ax, wobei a ∈ R ein beliebiger Parameter ist.<br />

Indem wir die erratene Lösung in die Differenzialgleichung einsetzen, sehen wir, dass es sich<br />

in der Tat um die allgemeine Lösung handelt.<br />

21.3 Problemstellungen mit Differenzialgleichungen<br />

Im Zusammenhang mit Differenzialgleichungen stellen sich zwei Hauptprobleme.<br />

1. Zu einer gegebenen Differenzialgleichung mit Anfangs- oder Randbedingungen ist die<br />

allgemeine Lösung zu suchen.<br />

2. ZueinergegebenenFunktion,respektiveFunktionenscharistdiezugehörigeDifferenzialgleichung<br />

zu suchen.<br />

21.4 Nachprüfen hypothetischer Lösungen - Kontrolle<br />

Im Bereich des ersten Hauptproblems ist es oft möglich, eine Lösung zu erraten. Durch Einsetzen<br />

dieser Lösung in die Differenzialgleichung lässt sie sich nachprüfen.<br />

Beispiel 21.4.1. Wir betrachten die Differenzialgleichung<br />

y ′′ +y = 0.<br />

Wir vermuten, dass y 1 (x) = cos(x) undy 2 (x) = sin(x) Lösungen sein könnten. Deshalb setzen<br />

wir diese Funktionen in die Differenzialgleichung ein:<br />

y ′′<br />

1 (x)+y 1(x) = −cos(x)+cos(x) = 0<br />

y ′′<br />

2(x)+y 2 (x) = −sin(x)+sin(x) = 0


354 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Wir stellen fest, dass auch y 1 (x) = C 1 cos(x), y 2 (x) = C 2 sin(x) und<br />

y(x) = C 1 cos(x)+C 2 sin(x)<br />

mit C 1 ,C 2 ∈ R Lösungen sind. Dies ist sogar die allgemeine Lösung, da sie zwei Konstanten<br />

(Freiheitsgrade) hat und die Differenzialgleichung von zweiter Ordnung ist. Eine partikuläre<br />

Lösung ergäbe sich, wenn zum Beispiel C 1 = 0 und C 2 = 1 gesetzt würde.<br />

Tipp: Kontrollieren Sie immer ihre erhaltene(n) Lösung(en) durch Einsetzen in die Differenzialgleichung.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.4.1. Welche der Funktionen y 1 (x) = Ce −ax , y 2 (x) = Ce ax und y 3 (x) = 3e −ax<br />

sind allgemeine, welche partikuläre Lösungen der Differenzialgleichung y ′ +ay = 0?<br />

Aufgabe 21.4.2. Welche der folgenden Funktionen<br />

y 1 (x) = 3e −x + 1 3 e2x<br />

y 2 (x) = 4e −x<br />

y 3 (x) = e 2x<br />

y 4 (x) = Ce −x + 1 3 e2x<br />

sind allgemeine, welche partikuläre Lösungen der Differenzialgleichung y ′ +y = e 2x ?<br />

Aufgabe 21.4.3. Welche der folgenden Funktionen<br />

y 1 (x) = sin(x)+ 1 3 cos(2x)<br />

y 2 (x) = cos(2x)+sin(2x)<br />

y 3(x) = C 1 sin(x)+C 2 cos(x)− 1 3 cos(2x)<br />

sind allgemeine, welche partikuläre Lösungen der Differenzialgleichung y ′′ +y = cos(2x)?<br />

Aufgabe 21.4.4. Welche der folgenden Funktionen<br />

y 1 (x) = Cxe −2x<br />

y 2 (x) = Ce 2x<br />

y 3 (x) = Ce −2x<br />

y 4 (x) = (K 1 x+K 2 )e −2x<br />

sind allgemeine, welche partikuläre Lösungen der Differenzialgleichung y ′′ +4y ′ +4y = 0?<br />

Lösungen<br />

Lösung 21.4.1. Esisty 1 dieallgemeineLösungundy 3 einepartikuläreLösung.KeineLösung<br />

ist y 2 .<br />

Lösung 21.4.2. Es ist y 4 die allgemeine Lösung und y 1 eine partikuläre Lösung. Keine<br />

Lösungen sind y 2 und y 3 .<br />

Lösung 21.4.3. Es ist y 3 die allgemeine Lösung. Keine der Funktionen y 1 und y 2 ist eine<br />

Lösung.<br />

Lösung 21.4.4. Es ist y 4 die allgemeine Lösung und y 1 und y 3 partikuläre Lösungen. Keine<br />

Lösung ist y 2 .


21.5. Differenzialgleichungen von Kurvenscharen 355<br />

21.5 Differenzialgleichungen von Kurvenscharen<br />

Beispiel 21.5.1. Gesucht sei die Differenzialgleichung aller durch den Nullpunkt gehender,<br />

zur y-Achse symmetrischer Parabeln.<br />

Eine allgemeine Parabel ist durch die Gleichung y = ax 2 +bx+c mit a,b,c ∈ R gegeben. Aus<br />

den beiden Bedingungen folgt, dass<br />

y = ax 2 .<br />

Bei der Funktion y(x) = ax 2 handelt es sich um die allgemeine Lösung der zu suchenden<br />

Differenzialgleichung. Diese besitzt genau einen so genannten Scharparameter a ∈ R (Freiheitsgrad).<br />

Also muss die gesuchte Differenzialgleichung von erster Ordnung sein.<br />

Wir eliminieren nun den Scharparameter: Differenzieren der Parabelgleichung nach x ergibt<br />

y ′ = 2ax. Aus der Parabelgleichung eliminieren wir den Scharparameter a = y x 2 . Zusammen<br />

erhalten wir<br />

y ′ = 2 y x 2x = 2y x .<br />

Dies ergibt die gesuchte Differenzialgleichung der Parabelkurvenschar<br />

xy ′ −2y = 0.<br />

Die Differenzialgleichung bestimmt das Richtungsfeld, das sich aus der Parabelschar ergibt.<br />

y<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

y<br />

•<br />

•<br />

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x<br />

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•<br />

x<br />

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•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

Abbildung 21.5.i: Die Kurvenschar und das Richtungsfeld der zur y-Achse symmetrischer,<br />

durch den Nullpunkt gehender Parabeln.<br />

Beispiel 21.5.2. Es sei y(t) = Acos(ωt) eine Schwingung mit der Amplitude A und der<br />

festen Kreisfrequenz ω. Dann kann A ∈ R als einziger Scharparameter aufgefasst werden.<br />

Also suchen wir die Differenzialgleichung erster Ordnung, so dass y die allgemeine Lösung ist.<br />

Durch differenzieren erhalten wir ẏ(t) = −Aωsin(ωt). Auflösen nach A und Einsetzen in die<br />

ursprüngliche Gleichung ergibt<br />

y = −ẏ cos(ωt)<br />

ωsin(ωt) .<br />

Dies führt uns schliesslich zur Differenzialgleichung<br />

ωy +ẏcot(ωt) = 0<br />

der Kurvenschar der Kosinusschwingungen mit fester Kreisfrequenz ω.


356 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

y<br />

x<br />

Aufgaben<br />

Abbildung 21.5.ii: Verschiedene Amplituden der Kosinusschwingung<br />

Aufgabe 21.5.1. Bestimmen Sie für die folgenden Funktionsscharen die Differenzialgleichung.<br />

a. f(x) = asinh(x)<br />

c. f(x) = asinh(x)+bcosh(x)<br />

b. f(x) = acosh(x)<br />

wobei a,b,c ∈ R die Scharparameter sind.<br />

d. f(x) = ccot(x)<br />

Aufgabe 21.5.2. Bestimmen Sie die Differenzialgleichung der Funktionenschar<br />

wobei a 0 ,a 1 ,a 2 ∈ R die Scharparameter sind.<br />

f(x) = a 0 +a 1 x+a 2 x 2<br />

Aufgabe 21.5.3. Bestimmen Sie für die folgenden Funktionsscharen die Differenzialgleichung.<br />

a. f(x) = c √ x<br />

c. f(x) = e x2 +c<br />

b. f(x) = ln(x+c)<br />

wobei c ∈ R der jeweilige Scharparameter ist.<br />

Aufgabe 21.5.4. Bestimmen Sie die Differenzialgleichung aller Tangenten an die Kurve mit<br />

der Gleichung<br />

y = x 2 .<br />

Aufgabe 21.5.5. BestimmenSiedieDifferenzialgleichung derKurvenscharmitderGleichung<br />

wobei c ∈ R der Scharparameter ist.<br />

y = c2<br />

x ,<br />

Aufgabe 21.5.6. Wie heisst die Differenzialgleichung aller Kreise mit dem Radius r, deren<br />

Mittelpunkt auf der x-Achse liegen?<br />

Aufgabe 21.5.7. Bestimmen Sie die Differenzialgleichung aller Polynomfunktionen zweiten<br />

Grades, die eine Nullstelle bei x = a haben und durch den Nullpunkt gehen.<br />

Aufgabe 21.5.8. Bestimmen Sie die Differenzialgleichung aller Polynomfunktionen zweiten<br />

Grades, die bei x = a eine doppelte Nullstelle besitzen.


21.6. Integration von Differenzialgleichungen durch Separation 357<br />

Lösungen<br />

Lösung 21.5.1.<br />

a. tanh(x)y ′ −y = 0<br />

b. coth(x)y ′ −y = 0<br />

c. y ′′ −y = 0<br />

d. sin(x)cos(x)y ′ +y = 0<br />

Lösung 21.5.2. y ′′′ = 0<br />

Lösung 21.5.3.<br />

a. 2xy ′ −y = 0<br />

c. y ′ −2xy = 0<br />

b. e y y ′ −1 = 0<br />

Lösung 21.5.4. Vgl. Kapitel 2.3 und Beispiel 4.1.1, y ′2 +4y −4xy ′ = 0<br />

Lösung 21.5.5. xy ′ +y = 0<br />

Lösung 21.5.6. y 2 y ′2 +y 2 = r 2<br />

Lösung 21.5.7. (x 2 −ax)y ′ +(a−2x)y = 0<br />

Lösung 21.5.8. (x−a)y ′ = 2y<br />

21.6 Integration von Differenzialgleichungen erster Ordnung<br />

durch Separation<br />

Im Folgenden betrachten wir ausschliesslich Differenzialgleichungen der Form<br />

y ′ (x) = g(x)h(y(x)).<br />

(21.6.a)<br />

Zum Beispiel<br />

y ′ = sin(x)cos(y) oder y ′ = e x+y .<br />

Ist eine Differenzialgleichung der Form (21.6.a) gegeben, so lösen wir diese durch Separation<br />

oder Trennen der Variablen. Zuerst trennen wir die Variablen<br />

y ′ = dy<br />

dx = g(x)h(y)<br />

und sortieren auf der linken Seite alles mit y und auf der rechten Seite alles mit x<br />

dy<br />

h(y) = g(x)dx.<br />

Danach integrieren wir beide Seiten<br />

∫<br />

∫<br />

dy<br />

h(y) =<br />

g(x)dx<br />

und lösen die Gleichung – wenn möglich – nach y auf.


358 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Beispiel 21.6.1. Zu lösen sei die Differenzialgleichung<br />

y ′ −x 2 y 2 −x 2 = 0 mit der Anfangsbedingung y(0) = 1.<br />

Zuerst identifizieren wir die Differenzialgleichung als eine der Form (21.6.a)<br />

y ′ = (y 2 +1)x 2 .<br />

Es ist g(x) = x 2 und h(y) = y 2 +1. Dann trennen wir die Variablen<br />

und integrieren die Gleichung:<br />

∫ ∫<br />

dy<br />

y 2 +1 =<br />

dy<br />

y 2 +1 = x2 dx<br />

x 2 dx ergibt<br />

arctan(y) = 1 3 x3 +C,<br />

wobei C ∈ R eine beliebige Konstante ist. Nun können wir nach<br />

y(x) = tan ( 1<br />

3 x3 +C )<br />

auflösen und erhalten die allgemeine Lösung. Einsetzen der Anfangsbedingung<br />

y(0) = tan( 1 3 03 +C) = 1<br />

ergibt C = π 4<br />

. Also folgt die partikuläre Lösung<br />

y p (x) = tan ( 1<br />

3 x3 + π 4)<br />

.<br />

Es empfiehlt sich, die erhaltene Lösung durch Einsetzen in die Differenzialgleichung zu kontrollieren<br />

y p (x) ′ −x 2 yp 2 (x)−x2 = ( 1+tan 2( 1<br />

3 x3 + π ))<br />

4 x 2 −x 2 tan 2( 1<br />

3 x3 + π 4)<br />

−x 2 = 0<br />

und y p (0) = tan ( 1<br />

3 03 + π 4)<br />

= tan<br />

( π<br />

4)<br />

= 1.<br />

Beispiel 21.6.2. Die Normale an eine Kurve y = f(x) schneidet die x-Achse und die Kurve,<br />

dadurch wird ein Geradenstück definiert. Die Projektion dieses Geradenstückes auf die x-<br />

Achse wird Subnormale genannt (vgl. Abbildung 21.6.i). Gesucht sei eine Kurve y = f(x),<br />

deren Subnormale eine konstante Länge a hat.<br />

Die Steigung der Tangenten ist y ′ . Damit ergibt sich unmittelbar das Verhältnis y ′ = a y . Dies<br />

ist eine Differenzialgleichung<br />

yy ′ = a,<br />

welche durch die Methode der Separation gelöst werden kann. Wir separieren die Gleichung<br />

integrieren sie<br />

∫<br />

y dy = a und erhalten ydy = adx,<br />

dx<br />

∫<br />

ydy =<br />

adx und erhalten<br />

1<br />

2 y2 = ax+C.<br />

Dann erhalten wir die implizite Lösung y 2 = 2ax+2C mit C ∈ R beliebig. Somit haben wir<br />

die allgemeine Lösung gefunden. Es handelt sich offensichtlich um eine nach rechts geöffnete<br />

Parabelschar mit den Scheitelpunkten bei S ( − C a ,0) mit C ∈ R.


21.6. Integration von Differenzialgleichungen durch Separation 359<br />

y<br />

y<br />

•<br />

y = f(x)<br />

y<br />

a<br />

x<br />

a<br />

x<br />

Abbildung 21.6.i: Kurve mit einer Subnormalen konstanter Länge<br />

Generell können wir folgende Lösungsmethode angeben:<br />

• Identifikation: Handeltessich beidergegebenen Differenzialgleichung umeinevonder<br />

Form y ′ (x) = g(x)·h(y(x))? Wenn ja, darf weiter nach diesem Programm vorgegangen<br />

werden.<br />

• Variablen trennen: Differenzialgleichung in die Form dy<br />

h(y)<br />

= g(x)dx bringen.<br />

• Integration: Integrieren der Gleichung ∫ dy<br />

h(y) = ∫ g(x)dx<br />

• Auflösen: Wenn möglich auflösen nach y. Einsetzen der Anfangsbedingung.<br />

• Kontrolle: Kontrollieren der Lösung durch Einsetzen in die ursprüngliche Differenzialgleichung.<br />

Beispiel 21.6.3. Bei einer gewissen Bewegung sei das Verhältnis zwischen der Geschwindigkeit<br />

[in ms −1 ] und dem durchlaufenen Weg [in m] konstant gleich 2s −1 . Zum Zeitpunkt, in<br />

dem wir mit der Zeitmessung beginnen, d.h. für t = 0s, betrugder durchlaufeneWeg x = 2m.<br />

Wir wollen den durchlaufenen Weg bis zum Zeitpunkt t = 5s berechnen.<br />

Wir finden v x = 2s−1 , wobei die Geschwindigkeit v die erste Ableitung des Weges x nach der<br />

Zeit t ist, i.e. v = dx<br />

dt<br />

. Damit ergibt sich unmittelbar die Differenzialgleichung<br />

dx<br />

dt = 2s−1 x mit der Anfangsbedingung x(0s) = 2m.<br />

Zum Lösen der Differenzialgleichung trennen wir die Variablen dx<br />

x = 2s−1 dt und integrieren<br />

ln(|x|) = 2s −1 t+C, wobei C ∈ R eine noch zu bestimmende Konstante ist. Auflösen nach x<br />

ergibt<br />

|x| = e 2s−1 t+C = e 2s−1t e C = De 2s−1 t<br />

mit einer neuen Konstanten D = e C ∈ R. Die Betragszeichen können weggelassen werden, da<br />

die neue Konstante D beliebiges Vorzeichen haben darf. Somit erhalten wir die allgemeine<br />

Lösung<br />

x(t) = De 2s−1t .<br />

Bestimmen der Konstante D durch Einsetzen der Anfangsbedingungergibt x(0s) = 2m = D,<br />

also erhalten wir die partikuläre Lösung x p (t) = 2me 2s−1t . Der zurückgelegte Weg nach 5s<br />

berechnet sich nun zu x p (5s) = 2me 10 ≈ 44km.


360 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Aufgaben<br />

Bestimmen Sie die Lösung der folgenden Differenzialgleichungen:<br />

Aufgabe 21.6.1. y ′ −2xy = 0<br />

Aufgabe 21.6.2. sin(2x)y ′ −2y = 0<br />

Aufgabe 21.6.3. y ′ −tanh(x)y = 0<br />

Aufgabe 21.6.4. y ′ +y 2 = 1<br />

Aufgabe 21.6.5. y ′ +cos(x)y = cos(x)<br />

Aufgabe 21.6.6. 2yy ′ − √ y 2 +3 = 0<br />

Aufgabe 21.6.7. y ′ −cos(x)y = 0 mit y( π 2 ) = e<br />

Aufgabe 21.6.8. sin(x)y ′ +2cos(x)y = 0 mit y( π 4 ) = 2<br />

Aufgabe 21.6.9. y ′ −y 2 = 1 mit y(0) = 1<br />

Aufgabe 21.6.10. x 2 y ′ = y 2 mit y(5) = −10<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnen C und D ∈ R Konstanten.<br />

Lösung 21.6.1. y(x) = Ce x2<br />

Lösung 21.6.2. Benutzen Sie ∫ dx<br />

sin(x) = ln(∣ ∣ tan<br />

( x<br />

2)∣ ∣<br />

)<br />

+D. Also folgt y(x) = Ctan(x).<br />

Lösung 21.6.3. y(x) = Ccosh(x)<br />

Lösung 21.6.4. Für |y| > 1 ist y(x) = coth(x+C) und für |y| < 1 ist y(x) = tanh(x+C).<br />

Lösung 21.6.5. y(x) = 1−Ce −sin(x)<br />

Lösung 21.6.6. Implizite allgemeine Lösung y 2 = 1 4 (x+C)2 −3<br />

Lösung 21.6.7. y p (x) = e sin(x)<br />

Lösung 21.6.8. y p (x) = 1<br />

sin 2 (x)<br />

Lösung 21.6.9. y p (x) = tan(x+ π 4 )<br />

Lösung 21.6.10. y p (x) = x<br />

1−0.3x<br />

Beispiel 21.6.4 (Ideale Raketenbewegung). Wir betrachten eine ruhende Rakete im Weltraum,<br />

die keinen Kräften ausgesetzt ist. Die Gesamtmasse der Rakete ist M = 13000kg,<br />

davon hat der Brennstoffanteil eine Masse von m B = 9000kg. Welche Geschwindigkeit v ergibt<br />

sich für die Rakete bei Brennschluss? Die Ausströmgeschwindigkeit v A der heissen Gase<br />

während der Brenndauer wird mit v A = 2000ms −1 als konstant angenommen.<br />

Es bezeichne m ∈ [0,m B ] die Masse des zur Zeit t verbrannten Brennstoffs und ∆m die


21.6. Integration von Differenzialgleichungen durch Separation 361<br />

t :<br />

t + ∆t :<br />

v + ∆v − v A<br />

•<br />

M − m<br />

• •<br />

v<br />

v + ∆v<br />

∆m<br />

M − (m + ∆m)<br />

Abbildung21.6.ii: Schematische Darstellung der Herleitung der idealen Raketenbewegung mit<br />

Hilfe des Impulserhaltungssatzes.<br />

während der Zeit ∆t verbrannte Brennstoffmasse. Dann haben wir die Situation in Abbildung<br />

21.6.ii.<br />

Da keine Kräfte wirken, folgt aus dem Impulserhaltungssatz für die ganze Brenndauer, dass<br />

Also haben wir zum Zeitpunkt t+∆t<br />

(M −m)v = const.<br />

(M −m)v = ∆m(v +∆v −v A )+(M −(m+∆m))(v +∆v)<br />

und demzufolge<br />

= ∆mv +∆m∆v −∆m v A +Mv −mv −∆mv +M∆v −m∆v −∆m∆v<br />

0 = (M −m)∆v −∆m v A .<br />

Die Geschwindigkeit v der Rakete hängt direkt von der verbrannten Brennstoffmenge m ab.<br />

Je mehr Brennstoff verbrannt ist, desto schneller wird die Rakete. Nach Division mit ∆m<br />

folgt<br />

(M −m) ∆v<br />

∆m = v A.<br />

Nach dem Grenzübergang ∆m → 0 erhalten wir die durch Separation lösbare Differenzialgleichung<br />

(M −m) dv<br />

dm = v A.<br />

Wir trennen die Variablen und integrieren<br />

∫ ∫<br />

dm<br />

dv = v A<br />

M −m .<br />

Dies ergibt die allgemeine Lösung<br />

v(m) = −v A ln(M −m)+C,<br />

wobei C eine noch zu bestimmende Konstante ist. Nun setzen wir die Anfangsbedingung<br />

v(0) = 0ms −1 ein und folgern, dass<br />

v(0) = −v A ln(M)+C = 0,<br />

also C = v A ln(M). Demzufolge erhalten wir eine partikuläre Lösung<br />

( ) M<br />

v p (m) = −v A ln(M −m)+v A ln(M) = v A ln .<br />

M −m


362 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Bei Brennschluss hat die Rakete m B = 9000kg Brennstoff verbrannt, also folgt für die Geschwindigkeit<br />

bei Brennschluss<br />

( ) ( )<br />

M<br />

v p (m B ) = v A ln = 2000ms −1 13000<br />

ln ≈ 2357ms −1 .<br />

M −m B 13000−9000<br />

Wir stellen fest, dass die Geschwindigkeit der Rakete bei Brennschluss im Wesentlichen von<br />

der Austrittsgeschwindigkeit v A der heissen Gase und der Grösse des Verhältnis<br />

M<br />

M −m B<br />

abhängt, d.h. vom Verhältnis der Raketenmasse beim Start zur Masse der brennstoffleeren<br />

Rakete.<br />

Aufgaben<br />

durch Sepa-<br />

Aufgabe 21.6.11. Bestimmen Sie die Lösung der Differenzialgleichung y ′ = x y<br />

ration der Variablen.<br />

Aufgabe 21.6.12. Bestimmen Sie die Lösung der Differenzialgleichung y ′ = ex y<br />

ration der Variablen.<br />

durch Sepa-<br />

Aufgabe 21.6.13. Es seien a und b zwei feste Parameter. Lösen Sie die Differenzialgleichung<br />

xy ′ −ay ′ −y +b = 0.<br />

Aufgabe 21.6.14. Lösen Sie die Differenzialgleichung y ′ −xy +x √ y = 0.<br />

Aufgabe 21.6.15. Lösen Sie die Differenzialgleichung sin(x)y ′ = yln(y) mit der Anfangsbedingung<br />

y( π 2 ) = 1.<br />

y ′<br />

xsin(x) + 1 y<br />

= 0 mit der Anfangsbedin-<br />

Aufgabe 21.6.16. Lösen Sie die Differenzialgleichung<br />

gung y(π) = 11.<br />

Aufgabe 21.6.17. Lösen Sie die Differenzialgleichung y ′ y 2 +x 2 −1 = 0 mit der Anfangsbedingung<br />

y(2) = 1.<br />

Aufgabe 21.6.18. Lösen Sie die Differenzialgleichung (1 − x 2 )y ′ − 1 − 2y 2 = 0 mit der<br />

Anfangsbedingung y( 1 3 ) = √<br />

2<br />

2 .<br />

Aufgabe 21.6.19. Ein Massepunkt mit der Masse m = 10 −3 kg bewegt sich geradlinig unter<br />

dem Einfluss einer Kraft<br />

F = λ t v ,<br />

wobei λ ein Proportionalitätsfaktor, t die Zeit und v die Geschwindigkeit ist. Zum Zeitpunkt<br />

t = 10s betrug die Geschwindigkeit v = 20ms −1 und die Kraft F = 10 −3 N. Ermitteln Sie<br />

die Geschwindigkeit, die nach einer Minute vom Zeitpunkt t = 0s aus erreicht wurde.<br />

Aufgabe 21.6.20. Die Differenzialgleichung Tẏ + y = K ist mit der Anfangsbedingung<br />

y(0) = 0 zu lösen.<br />

a. Wie gross ist lim<br />

t→∞<br />

y(t)?


21.7. Orthogonaltrajektorien 363<br />

b. Wie gross ist y zur Zeit t = T?<br />

c. Zu welcher Zeit t, bezogen auf T, hat y 95% von lim<br />

t→∞<br />

y erreicht?<br />

Aufgabe 21.6.21. Gesucht ist die Gleichung der Kurven, für deren Tangente gilt: Der<br />

Berührungspunkt teilt den durch den Schnittpunkt mit der y-Achse und der x-Achse begrenzten<br />

Tangentenabschnitt im Verhältnis eins zu zwei.<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Konstante.<br />

Lösung 21.6.11. Implizite Lösung x 2 −y 2 = C<br />

Lösung 21.6.12. Implizite Lösung y 2 = 2e x +C<br />

Lösung 21.6.13. y(x) = C(x−a)+b<br />

Lösung 21.6.14. y(x) =<br />

Lösung 21.6.15. y p (x) = 1<br />

( ) 2<br />

1+Ce x2 4<br />

Lösung 21.6.16. Implizite Lösung y 2 = 2(xcos(x)−sin(x))+121+2π<br />

Lösung 21.6.17. Implizite Lösung y 3 = 3+3x−x 3<br />

Lösung 21.6.18. y p (x) =<br />

Lösung 21.6.19. v p (60s) ≈ 86ms −1<br />

√ ( √2 ( ) )<br />

2<br />

2 tan 2 ln 1+x<br />

1−x<br />

+C mit C ≈ 0.295<br />

Lösung 21.6.20. Die partikuläre Lösung der Differenzialgleichung ist y p (t) = K(1−e − t T).<br />

a. lim<br />

t→∞<br />

y = K<br />

b. y(T) ≈ 0.632K<br />

c. t = T ln(20)<br />

Lösung 21.6.21. Implizite Gleichung xy 2 = C<br />

21.7 Orthogonaltrajektorien<br />

ImFolgendenseieineKurvenschargegeben,undwirwollendiedazuorthogonaleKurvenschar,<br />

die so genannte Orthogonaltrajektorienschar bestimmen.<br />

Definition 21.7.1. Eine Kurvenschar mit der Eigenschaft, dass in jedem Punkt der Ebene<br />

eine Kurve dieser Schar auf der entsprechenden Kurve einer vorgegebenen Kurvenschar<br />

senkrecht steht, heisst Orthogonaltrajektorienschar.


364 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Beispiel 21.7.1. Gesucht sind sämtliche Kurven, die die Kurven der Schar<br />

y 2 = x+C,<br />

mit Scharparameter C ∈ R, rechtwinklig schneiden. Es sei P(x,y) ein beliebiger Punkt der<br />

Ebene. In diesem Punkt P besitzt die Parabel die Steigung<br />

y ′ = 1<br />

2y .<br />

Die Steigung der Orthogonaltrajektorie in P muss das negative Reziproke davon sein. Also<br />

erhalten wir die Differenzialgleichung der Orthogonaltrajektorienschar<br />

y ′ = −2y,<br />

welche durch eine Separation der Variablen gelöst werden kann. Wir trennen die Variablen<br />

und erhalten<br />

dy<br />

y = −2dx.<br />

Integration ergibt die Lösung ln(|y|) = −2x + D 1 , wobei D 1 ∈ R eine Konstante ist. Somit<br />

lautet die Gleichung der Orthogonaltrajektorienschar<br />

wobei D ∈ R der Scharparameter ist.<br />

y<br />

y(x) = De −2x ,<br />

x<br />

Abbildung 21.7.i: Orthogonaltrajektorienschar der Parabeln mit der Gleichung y 2 = x+C.<br />

Dies ist ein Spezialfall, da der Scharparameter C der gegebenen Kurvenschar von selbst eliminiert<br />

wird. Sonst müssen wir die Differenzialgleichung der Kurvenschar der Orthogonaltrajektorien<br />

ermitteln (vgl. Kapitel 21.5) und diese lösen.


21.8. Integration von linearen Differenzialgleichungen erster Ordnung 365<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.7.1. Bestimmen Sie die Orthogonaltrajektorienschar zu xy = k mit Scharparameter<br />

k ∈ R−{0}.<br />

Aufgabe 21.7.2. Bestimmen Sie die Orthogonaltrajektorienschar zu y = e −x +C, mit Scharparameter<br />

C ∈ R.<br />

Aufgabe 21.7.3. Bestimmen Sie die Orthogonaltrajektorienschar zu y = Ce x , mit Scharparameter<br />

C ∈ R.<br />

Aufgabe 21.7.4. Bestimmen Sie die Orthogonaltrajektorienschar der Geradenschar durch<br />

den Punkt P(1,2). Machen Sie eine Skizze.<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet C ∈ R eine Konstante.<br />

Lösung 21.7.1. Implizite Lösung x 2 −y 2 = C<br />

Lösung 21.7.2. y = e x +C<br />

Lösung 21.7.3. Implizite Lösung y 2 = −2x+C<br />

Lösung 21.7.4. Implizite Lösung (x−1) 2 +(y−2) 2 = C, konzentrische Kreise mit Zentrum<br />

P(1,2).<br />

21.8 Integration von linearen Differenzialgleichungen erster<br />

Ordnung<br />

Eine lineare Differenzialgleichung erster Ordnung hat folgende allgemeine Form<br />

g(x)y ′ +h(x)y = S(x) wobei g(x) ≠ 0.<br />

Weil die Funktion y und ihre Ableitung y ′ nur in der ersten Potenz auftreten, heisst die<br />

Differenzialgleichung linear. Um diese Differenzialgleichung zu lösen, bringen wir sie auf<br />

Normalform<br />

y ′ + h(x)<br />

g(x) y = S(x)<br />

g(x)<br />

oder<br />

y ′ +f(x)y = s(x) mit f(x) = h(x)<br />

g(x)<br />

und s(x) = S(x)<br />

g(x) .<br />

Die Funktion s wird Störfunktion genannt, da sie die homogene Differenzialgleichung stört.<br />

Ist die Funktion s(x) ≠ 0, so heisst eine solche Differenzialgleichung eine inhomogene lineare<br />

Differenzialgleichung erster Ordnung. Im Falle s(x) = 0, nennen wir die Differenzialgleichung<br />

homogen. Die homogene Differenzialgleichung ist der bereits besprochene<br />

Fall einer separierbaren Differenzialgleichung:<br />

y ′ +f(x)y = dy<br />

dx +f(x)y = 0


366 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Trennen der Variablen<br />

gefolgt von einer Integration ergibt<br />

∫<br />

ln(|y|) = −<br />

dy<br />

y = −f(x)dx,<br />

f(x)dx+C 1 ,<br />

wobei C 1 ∈ R eine Konstante ist. Nun können wir diese implizite Lösung nach<br />

y(x) = e −∫ f(x)dx+C 1<br />

= e C 1<br />

e −∫ f(x)dx<br />

auflösen. Wenn wir die Konstante e C 1<br />

= C ersetzen, erhalten wir die allgemeine Lösung der<br />

homogenen Differenzialgleichung<br />

mit C ∈ R beliebig.<br />

y h (x) = Ce −∫ f(x)dx<br />

21.9 Integration inhomogener linearer Differenzialgleichungen<br />

erster Ordnung durch Variation der Konstanten<br />

Die inhomogene Differenzialgleichung<br />

y ′ +f(x)y = s(x)<br />

wird nun in zwei Schritten gelöst. Allgemein bestimmen wir immer zuerst die Lösung der homogenen<br />

Differenzialgleichung und dann eine Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung.<br />

1. Bestimmen der Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

y ′ +f(x)y = 0<br />

nach dem Verfahren von Kapitel 21.8 ergibt die allgemeine Lösung der homogenen<br />

Differenzialgleichung<br />

y h (x) = Ce −∫ f(x)dx .<br />

Nun bleibt uns nur noch die Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung zu finden.<br />

Dazu benötigen wir ein neues Verfahren.<br />

2. Variation der Konstanten C: Wir machen den Lösungsansatz<br />

y(x) = C(x)e −∫ f(x)dx .<br />

Es zeigt sich nun, dass die inhomogene Differenzialgleichung so gelöst werden kann, dass<br />

wir die allgemeine Konstante C in der Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

als Funktion von x auffassen und diese Funktion so bestimmen, dass die inhomogene<br />

Differenzialgleichung erfüllt wird. Die Funktion 1 C bestimmen wir durch Einsetzen<br />

1 in Abhängigkeit der Variablen x


21.9. Variation der Konstanten 367<br />

der Funktion y in die inhomogene Differenzialgleichung. Zuerst müssen wir unseren<br />

Lösungsansatz nach x differenzieren<br />

y ′ (x) = C ′ (x)e −∫ f(x)dx +C(x)(−f(x))e −∫ f(x)dx<br />

und dann in die inhomogene Differenzialgleichung einsetzen<br />

y ′ (x)+f(x)y(x) = C ′ (x)e −∫ f(x)dx +C(x)(−f(x))e −∫ f(x)dx +f(x)C(x)e −∫ f(x)dx<br />

Also folgt<br />

respektive<br />

= s(x).<br />

C ′ (x)e −∫ f(x)dx = s(x),<br />

C ′ (x) = s(x)e∫<br />

f(x)dx<br />

.<br />

Eine erneute Integration liefert uns die Funktion<br />

∫<br />

C(x) = f(x)dx<br />

s(x)e∫<br />

dx+D,<br />

wobei D ∈ R erneut eine Konstante darstellt. Die allgemeine Lösung lautet somit<br />

(∫ )<br />

y(x) = e −∫ f(x)dx f(x)dx<br />

s(x)e∫<br />

dx+D<br />

∫<br />

= De −∫ f(x)dx +e −∫ f(x)dx f(x)dx<br />

s(x)e∫<br />

dx.<br />

Wir stellen also fest, dass sich die allgemeine Lösung der inhomogenen linearen Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung<br />

1. aus der allgemeinen Lösung der homogenen linearen Differenzialgleichung und<br />

2. aus einer partikulären Lösung der inhomogenen linearen Differenzialgleichung<br />

zusammensetzt. Wir werden später sehen, dass dies bei allen linearen Differenzialgleichungen<br />

beliebiger Ordnung ein allgemeines Prinzip ist. Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

bezeichnen wir mit y h und die inhomogene mit y p .<br />

Beispiel 21.9.1. Wir betrachten die lineare Differenzialgleichung erster Ordnung<br />

y ′ +y = x<br />

und identifizieren sofort die Störfunktion s(x) = x.<br />

1. Nun suchen wir die Lösung der homogenen Differenzialgleichung y ′ + y = 0 durch<br />

Separation. Also folgt<br />

dy<br />

y = −dx<br />

und durch Integration erhalten wir die implizite Lösung<br />

welche nach<br />

ln(|y|) = −x+C 1 ,<br />

y h (x) = e −x+C 1<br />

= e C 1<br />

e −x = Ce −x<br />

aufgelöst, die Lösung der homogenen Differenzialgleichung darstellt. Es ist wiederum<br />

C ∈ R eine Konstante.


368 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

2. Zum Auffinden der Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung machen wir eine Variation<br />

der Konstanten. Unser Ansatz lautet<br />

welchen wir nun differenzieren<br />

y(x) = C(x)e −x ,<br />

y ′ (x) = C ′ (x)e −x −C(x)e −x<br />

und in die inhomogene Differenzialgleichung einsetzen<br />

y ′ (x)+y(x) = C ′ (x)e −x −C(x)e −x +C(x)e −x = x.<br />

Es bleibt uns also die Gleichung C ′ (x) = xe x , die durch partielle Integration zu lösen<br />

ist (vgl. Beispiel 11.2.1). Wir setzen u = x und v ′ = e x also u ′ = 1 und v = e x . Dann<br />

folgt ∫ ∫<br />

C(x) = xe x dx = xe x − e x dx = xe x −e x +D.<br />

Damit erhalten wir die allgemeine Lösung<br />

y(x) = (xe x −e x +D)e −x = x−1+De −x<br />

als Summe der Lösung der homogenen Differenzialgleichung y h (x) = De −x und einer partikulären<br />

Lösung y p (x) = x − 1. Die Konstante D ∈ R kann jetzt noch mit einer eventuell<br />

vorhandenen Anfangsbedingung bestimmt werden.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.9.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ +2y = e 3x .<br />

Aufgabe 21.9.2. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −2xy +e x2 = 0.<br />

Aufgabe 21.9.3. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −ytan(x)+sin(x) = 0.<br />

Aufgabe 21.9.4. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ =<br />

y<br />

sin(x)cos(x) − sin2 (x)<br />

cos(x) .<br />

Aufgabe 21.9.5. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von y ′ +3xy −2e −3x2 2 −4x = 0 zur<br />

Anfangsbedingung y(2) = 40.<br />

Aufgabe 21.9.6. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von xy ′ + 2y = 3x 2 − 2x + 4 zur<br />

Anfangsbedingung y(1) = 1 12 .<br />

Aufgabe 21.9.7. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von y ′ +y+e x = 0 zur Anfangsbedingung<br />

y(1) = 0.<br />

Aufgabe 21.9.8. Esseien a,b undcbeliebigereelle Parameter. Bestimmen Siedieallgemeine<br />

Lösung von y ′ +ay = ce bx<br />

a. wenn a+b ≠ 0,<br />

b. wenn a+b = 0.


21.9. Variation der Konstanten 369<br />

Aufgabe 21.9.9. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von y ′ + ycos(x) = 1 2<br />

sin(2x) zur<br />

Anfangsbedingung y(π) = 1.<br />

Aufgabe 21.9.10. Es sei n ∈ Z beliebig. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von<br />

zur Anfangsbedingung y(0) = 0.<br />

y ′ +(n+1)x n y = (n+1)x 2n+1<br />

Aufgabe 21.9.11. Es sei a ein reeller positiver Parameter. Bestimmen Sie die partikuläre<br />

Lösung von y ′ + 1 x y = 1 x<br />

ln(ax) zur Anfangsbedingung y(1) = ln(a).<br />

Aufgabe 21.9.12. Es sei f eine vorgegebene differenzierbare Funktion. Bestimmen Sie die<br />

allgemeine Lösung von y ′ +f ′ (x)y = f(x)f ′ (x).<br />

Aufgabe 21.9.13. Für ein System mit einfacher Speicherwirkung gilt die Differenzialgleichung<br />

T ẋ a +x a = Kx e .<br />

dabei bedeutenx a die Ausgangsgrösse, x e dieEingangsgrösse, T eine Zeitkonstante undK der<br />

proportionale Übertragungsfaktor 2 . Wie ändert sich die Ausgangsgrösse x a in Abhängigkeit<br />

der Zeit t, wenn x e (t) = ct für eine Konstante c?<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet D ∈ R eine Konstante.<br />

Lösung 21.9.1. y(x) = De −2x + 1 5 e3x<br />

Lösung 21.9.2. y(x) = e x2 (D −x)<br />

Lösung 21.9.3. y(x) = D<br />

cos(x) + 1 2 cos(x)<br />

Lösung 21.9.4. y(x) = Dtan(x)+sin(x)<br />

Lösung 21.9.5. y p (x) = e −3x2 2 (C − 1 2 e−4x ) mit C ≈ 16137.15<br />

Lösung 21.9.6. y p (x) = 3 4 x2 − 2 3 x+2−2 1<br />

x 2<br />

Lösung 21.9.7. y p (x) = 1 2 (e2−x −e x )<br />

Lösung 21.9.8.<br />

a. y(x) = cebx<br />

a+b +De−ax<br />

b. y(x) = (cx+D)e −ax<br />

Lösung 21.9.9. y p (x) = sin(x)−1+2e −sin(x)<br />

Lösung 21.9.10. y p (x) = x n+1 −1+e −xn+1<br />

Lösung 21.9.11. y p (x) = ln(ax)−1+ 1 x<br />

Lösung 21.9.12. y(x) = f(x)−1+De −f(x)<br />

Lösung 21.9.13. x a (t) = Kc(t−T)+De − t T<br />

2 Der Übertragungsfaktor K hat die gleiche Dimension wie der Quotient xa<br />

x e<br />

.


370 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

21.10 Ansatzmethode und Superpositionsprinzip<br />

Nach dem Bisherigen setzt sich die allgemeine Lösung einer inhomogenen linearen Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung zusammen aus der allgemeinen Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

plus einer partikulären Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung. Für<br />

letztere besteht für gewisse Störfunktionstypen s und für f(x) = a = const die Möglichkeit<br />

einer einfachen Berechnung mit Hilfe eines Ansatzes. Das umständliche Verfahren der Variation<br />

der Konstanten kann damit umgangen werden. Die folgenden Methoden gelten also für<br />

Differenzialgleichungen der Form<br />

y ′ +ay = s(x) mit a ∈ R.<br />

Wir sprechen von einer linearen Differenzialgleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten.<br />

Entsprechend der Form der Störfunktion machen wir einen Ansatz. Das allgemeine Prinzip<br />

besagt, dass wir immer denselben Funktionstyp ansetzen wie die Störfunktion, allerdings mit<br />

allgemeinen multiplikativen Konstanten. Die folgende Liste zeigt die wichtigsten Typen von<br />

Störfunktionen und deren Ansatz zur Auffindung einer partikulären Lösung.<br />

1. Die Störfunktion ist eine Exponentialfunktion s(x) = a 0 e λx . Der Ansatz lautet in<br />

diesem Fall<br />

y p (x) = A 0 e λx ,<br />

wobei A 0 ∈ R zu bestimmen ist. Beachten Sie, dass der Ansatz die gleiche Exponentialfunktion<br />

besitzt wie die Störfunktion.<br />

2. Die Störfunktion ist eine Polynomfunktion s(x) = a n x n +···+a 1 x+a 0 . Der Ansatz<br />

ist in diesem Fall auch eine Polynomfunktion<br />

y p (x) = A n x n +···+A 1 x+A 0 ,<br />

wobeiA 0 ,A 1 ,...,A n ∈ Rzubestimmensind.Beachten Sie,dassderAnsatzdengleichen<br />

Grad n besitzt wie die Störpolynomfunktion.<br />

3. Die Störfunktion ist eine Linearkombination von trigonometrischen Funktionen<br />

s(x) = a 0 sin(ωx)+b 0 cos(ωx) mit der gleichen Frequenz ω. Der Ansatz ist in diesem Fall<br />

(auch wenn a 0 oder b 0 null sein sollten) eine Linearkombination von trigonometrischen<br />

Funktionen<br />

y p (x) = A 0 sin(ωx)+B 0 cos(ωx),<br />

wobei A 0 ,B 0 ∈ R zu bestimmen sind. Beachten Sie, dass die Frequenz ω des Ansatzes<br />

die gleiche ist wie die der Störfunktion.<br />

4. DieStörfunktionisteineExponentialfunktionmultipliziert miteinerPolynomfunktion<br />

s(x) = (a n x n +···+a 1 x+a 0 )e λx . Der Ansatz ist in diesem Fall auch eine Exponentialfunktion<br />

multipliziert mit einer Polynomfunktion<br />

y p (x) = (A n x n +···+A 1 x+A 0 )e λx ,<br />

wobeiA 0 ,A 1 ,...,A n ∈ Rzubestimmensind.Beachten Sie,dassderAnsatzdengleichen<br />

Grad n besitzt wie die Störpolynomfunktion und die gleiche Exponentialfunktion.


21.10. Ansatzmethode und Superpositionsprinzip 371<br />

5. Die Störfunktion ist eine Summe von trigonometrischen Funktionen multipliziert<br />

mitPolynomfunktionen s(x) = (a n1 x n 1<br />

+···+a 0 ) sin(ωx)+(b n2 x n 2<br />

+···+b 0 ) cos(ωx).<br />

Der Ansatz ist in diesem Fall auch eine Summe von trigonometrischen Funktionen multipliziert<br />

mit Polynomfunktionen<br />

y p (x) = (A m x m +···+A 0 ) sin(ωx)+(B m x m +···+B 0 ) cos(ωx)<br />

mit m = max{n 1 ,n 2 }, wobei A m ,...,A 0 ,B m ,...,B 0 ∈ R zu bestimmen sind. Beachten<br />

Sie, dass die Frequenz ω des Ansatzes die gleiche ist wie die der Störfunktion, und der<br />

Grad das Maximum der Grade der Störpolynomfunktionen ist.<br />

6. DieStörfunktionsisteineLinearkombination derobigenFälle, dannistauchderAnsatz<br />

eine solche Linearkombination vom selben Typ. In diesem Fall empfiehlt es sich, die<br />

einzelnen Fälle separat zu behandeln, und dann die einzelnen partikulären Lösungen<br />

nach dem Superpositionsprinzip zu addieren (vgl. Satz 21.10.1).<br />

Beispiel 21.10.1. Wir betrachten die lineare inhomogene Differenzialgleichung erster Ordnung<br />

mit konstanten Koeffizienten<br />

y ′ +2y = x 2 .<br />

Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung lautet y h (x) = ce −2x , wobei c ∈ R eine<br />

Konstante ist. Da es sich bei der Störfunktion s(x) = x 2 um eine Polynomfunktion zweiten<br />

Grades handelt, machen wir den polynomialen Ansatz 3<br />

y p (x) = Ax 2 +Bx+C<br />

für eine partikuläre Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung. Wir differenzieren den<br />

Ansatz<br />

y p ′ (x) = 2Ax+B<br />

und setzen ihn in die Differenzialgleichung ein<br />

2Ax+B +2Ax 2 +2Bx+2C = x 2 .<br />

Die Koeffizienten sind nun so zu bestimmen, dass links und rechts für alle x die gleiche<br />

Funktion steht, dass also die Differenzialgleichung identisch erfüllt ist. Das heisst, dass die<br />

Koeffizienten der entsprechenden Potenz links und rechts gleich sein müssen.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 2 ergibt 2A = 1.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 1 ergibt 2A+2B = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 0 ergibt B +2C = 0.<br />

Dies ergibt ein lineares Gleichungssystem in den unbekannten A,B und C mit der Lösung<br />

A = 1 2 ,B = −1 2 und C = 1 4<br />

. Also erhalten wir eine partikuläre Lösung<br />

y p (x) = 1 2 x2 − 1 2 x+ 1 4 .<br />

A 0.<br />

3 Aus Gründen der Übersichtlichkeit heissen die gesuchten Koeffizienten A,B und C und nicht A 2,A 1 und


372 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Somit lautet die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung<br />

y(x) = y h (x)+y p (x) = ce −2x + 1 2 x2 − 1 2 x+ 1 4 ,<br />

wobei c ∈ R eine Konstante ist, die noch durch eine allfällige Anfangsbedingung bestimmt<br />

werden könnte.<br />

Beispiel 21.10.2. Wir betrachten die lineare inhomogene Differenzialgleichung erster Ordnung<br />

mit konstanten Koeffizienten<br />

y ′ +y = 5sin(3x).<br />

Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung lautet y h (x) = ce −x , wobei c ∈ R eine<br />

Konstante ist. Da es sich bei der Störfunktion s(x) = 5sin(3x) um eine trigonometrische<br />

Funktion mit Frequenz ω = 3 handelt, machen wir den Ansatz<br />

y p (x) = Asin(3x)+Bcos(3x).<br />

Obwohl die Störfunktion nur aus einer Sinusfunktion besteht, müssen wir den Ansatz mit<br />

einer Sinus- und einer Kosinusfunktion machen. Wir differenzieren den Ansatz<br />

und setzen ihn in die Differenzialgleichung ein<br />

y p ′ (x) = 3Acos(3x)−3Bsin(3x)<br />

3Acos(3x)−3Bsin(3x)+Asin(3x)+Bcos(3x) = 5sin(3x).<br />

Wieder muss diese Gleichung für alle x erfüllt sein. Somit muss links und rechts die gleiche<br />

Funktion stehen, das heisst die Koeffizienten von sin und cos müssen je übereinstimmen.<br />

Der Koeffizientenvergleich von sin(3x) ergibt A−3B = 5.<br />

Der Koeffizientenvergleich von cos(3x) ergibt 3A+ B = 0.<br />

Die Lösung ist A = 1 2 und B = −3 2<br />

. Somit lautet die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung<br />

wobei c ∈ R eine Konstante ist.<br />

y(x) = ce −x + 1 2 sin(3x)− 3 2 cos(3x),<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.10.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −2y = 2e 3x .<br />

Aufgabe 21.10.2. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −4y = 2e 4x .<br />

Aufgabe 21.10.3. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ +y = x 3 +x 2 +x+1.<br />

Aufgabe 21.10.4. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −2y = 3.<br />

Aufgabe 21.10.5. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von ṡ+3s = sin(t)−cos(t).<br />

Aufgabe 21.10.6. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von ˙ I +2I = −2cos(2t).


21.10. Ansatzmethode und Superpositionsprinzip 373<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet c ∈ R eine Konstante.<br />

Lösung 21.10.1. y(x) = ce 2x +2e 3x<br />

Lösung 21.10.2. Eshandeltsich hierumeinensogenanntenResonanzfall, d.h.,dieLösung<br />

derhomogenenDifferenzialgleichung y h (x) = ce 4x enthält diegleiche Exponentialfunktionwie<br />

die Störfunktion. In diesem Fall muss der Polynomgrad des Ansatzes um Eins erhöht werden,<br />

d.h., der Ansatz lautet y p (x) = (Ax+B)e 4x . Die Lösung ist y(x) = e 4x (c+2x).<br />

Lösung 21.10.3. y(x) = ce −x +x 3 −2x 2 +5x−4<br />

Lösung 21.10.4. y(x) = ce 2x − 3 2<br />

Lösung 21.10.5. s(t) = ce −3t + 1 5 sin(t)− 2 5 cos(t)<br />

Lösung 21.10.6. I(t) = ce −2t − 1 2 sin(2t)− 1 2 cos(2t)<br />

Beispiel 21.10.3. Nun interessieren wir uns für die Differenzialgleichung<br />

y ′ +2y = 25x 2 e 3x .<br />

Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung lautet y h (x) = ce −2x , wobei c ∈ R eine<br />

Konstante ist. Wir machen den Ansatz<br />

y p (x) = (Ax 2 +Bx+C)e 3x ,<br />

differenzieren ihn<br />

y ′ p(x) = ((2Ax+B)+3(Ax 2 +Bx+C))e 3x<br />

und setzen ihn in die Differenzialgleichung ein. Dividieren wir beide Seiten durch die Funktion<br />

e 3x ≠ 0, dann folgt<br />

2Ax+B +3(Ax 2 +Bx+C)+2(Ax 2 +Bx+C) = 25x 2 .<br />

Wiederum muss diese Gleichung für alle x gelten.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 2 ergibt 5A = 25.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 1 ergibt 2A+5B = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 0 ergibt B +5C = 0.<br />

Die Lösung beträgt A = 5, B = −2 und C = 2 5<br />

. Somit lautet die allgemeine Lösung der<br />

Differenzialgleichung<br />

(<br />

y(x) = ce −2x + 5x 2 −2x+ 2 )<br />

e 3x ,<br />

5<br />

wobei c ∈ R eine Konstante ist.


374 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Beispiel 21.10.4. Die Differenzialgleichung<br />

y ′ +y = 2xcos(x)<br />

sei zu lösen. Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung lautet y h (x) = ce −x , wobei<br />

c ∈ R eine Konstante ist. Wir setzen eine partikuläre Lösung vom gleichen Typ wie die<br />

Störfunktion s(x) = 2xcos(x) an<br />

Diesen Ansatz differenziert<br />

y p (x) = (Ax+B)sin(x)+(Cx+D)cos(x).<br />

y p ′ (x) = Asin(x)+(Ax+B)cos(x)+Ccos(x)−(Cx+D)sin(x)<br />

und in die Differenzialgleichung eingesetzt, ergibt<br />

Asin(x)+(Ax+B)cos(x)+Ccos(x)−(Cx+D)sin(x) +<br />

Wir machen einen Koeffizientenvergleich.<br />

+(Ax+B)sin(x)+(Cx+D)cos(x) = 2xcos(x).<br />

Der Koeffizientenvergleich von xsin(x) ergibt A −C = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von sin(x) ergibt A+B −D = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von xcos(x) ergibt A +C = 2.<br />

Der Koeffizientenvergleich von cos(x) ergibt B +C +D = 0.<br />

Das lineare Gleichungssystem hat die Lösung A = C = 1, B = −1 und D = 0. Damit ergibt<br />

sich die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung zu<br />

wobei c ∈ R eine Konstante ist.<br />

Aufgaben<br />

y(x) = ce −x +(x−1)sin(x)+xcos(x),<br />

Aufgabe 21.10.7. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ +2y = xsin(x).<br />

Aufgabe 21.10.8. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −y = (x+1)e −x .<br />

Aufgabe 21.10.9. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von y ′ −y = xe 2x .<br />

Aufgabe 21.10.10. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von ˙ϕ+ϕ = 2tsin(t).<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet c ∈ R eine Konstante.<br />

Lösung 21.10.7. y(x) = ce −2x + ( 2<br />

5 x− 3 ) (<br />

25 sin(x)+ −<br />

1<br />

Lösung 21.10.8. y(x) = ce x − ( 1<br />

2 x+ 3 )<br />

4 e<br />

−x<br />

Lösung 21.10.9. y(x) = ce x +(x−1)e 2x<br />

Lösung 21.10.10. ϕ(t) = ce −t +tsin(t)+(1−t)cos(t)<br />

5 x+ 4<br />

25)<br />

cos(x)<br />

Wir kommen nun zum letzten Fall, bei dem die Störfunktion eine Linearkombination der Fälle<br />

1 - 5 darstellt. Diesen Fall können wir in einem allgemeineren einbetten.


21.10. Ansatzmethode und Superpositionsprinzip 375<br />

Das Überlagerungs- oder Superpositionsprinzip<br />

Die inhomogene lineare Differenzialgleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten<br />

habe die Form<br />

y ′ +ay = s 1 (x)+s 2 (x).<br />

DasAuflösendieserDifferenzialgleichung kannalsSpezialfall,desfolgendenProblemsbetrachtet<br />

werden: Gesucht sei die allgemeine Lösungder inhomogenen linearen Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung<br />

y ′ +f(x)y = s 1 (x)+s 2 (x).<br />

Es gilt der folgende Satz:<br />

Satz 21.10.1 (Superpositionsprinzip). Es seien y 1 eine partikuläre Lösung der linearen Differenzialgleichung<br />

y ′ +f(x)y = s 1 (x) und y 2 eine partikuläre Lösung der linearen Differenzialgleichung<br />

y ′ +f(x)y = s 2 (x). Dann ist<br />

y = y 1 +y 2<br />

eine partikuläre Lösung der linearen Differenzialgleichung y ′ +f(x)y = s 1 (x)+s 2 (x).<br />

Beweis. Unter der Voraussetzung gilt<br />

(y 1 +y 2 ) ′ +f(x)(y 1 +y 2 ) = y 1 ′ +y′ 2 +f(x)y 1 +f(x)y 2<br />

= y 1 ′ +f(x)y 1 +y 2 ′ +f(x)y 2<br />

= s 1 (x)+s 2 (x).<br />

Der Beweis profitiert wesentlich von der Linearität der Differenzialgleichung.<br />

Die allgemeine Lösung y der Differenzialgleichung<br />

y ′ +f(x)y = s 1 (x)+s 2 (x)<br />

setzt sich wie folgt zusammen<br />

y = y h +y 1 +y 2 .<br />

Dabei ist y h die allgemeine Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

und<br />

y ′ +f(x)y = 0<br />

y 1 ist eine partikuläre Lösung der Differenzialgleichung y ′ +f(x)y = s 1 (x),<br />

y 2 ist eine partikuläre Lösung der Differenzialgleichung y ′ +f(x)y = s 2 (x).<br />

Ähnliches gilt für kompliziertere Störfunktionen. Dieses Superpositionsprinzip gilt insbesondere<br />

für Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten.<br />

Beispiel 21.10.5. Wir betrachten die Differenzialgleichung<br />

y ′ −2y = 6cos(2x)−2sin(2x)+x−2x 3 .


376 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung ist y h (x) = ce 2x , wobei c ∈ R eine Konstante<br />

ist. Da sich die Störfunktion aus zwei Funktionstypen zusammensetzt, machen wir zwei<br />

Ansätze, die getrennt gerechnet werden. Die beiden Ansätze lauten<br />

y 1 (x) = Asin(2x)+Bcos(2x) also y ′ 1(x) = 2Acos(2x)−2Bsin(2x),<br />

y 2 (x) = Cx 3 +Dx 2 +Ex+F also y ′ 2(x) = 3Cx 2 +2Dx+E.<br />

Nun setzen wir den Ansatz y 1 in die Differenzialgleichung ein und erhalten<br />

2Acos(2x)−2Bsin(2x)−2Asin(2x)−2Bcos(2x) = 6cos(2x)−2sin(2x),<br />

dann erfolgt ein Koeffizientenvergleich.<br />

Der Koeffizientenvergleich von sin(2x) ergibt −2A−2B = −2.<br />

Der Koeffizientenvergleich von cos(2x) ergibt 2A−2B = 6.<br />

Die Lösung ist A = 2 und B = −1. Nun setzen wir den Ansatz y 2 in die Differenzialgleichung<br />

ein und erhalten<br />

3Cx 2 +2Dx+E −2Cx 3 −2Dx 2 −2Ex−2F = x−2x 3 ,<br />

dann erfolgt ein Koeffizientenvergleich.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 3 ergibt −2C = −2.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 2 ergibt 3C−2D = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 1 ergibt 2D−2E = 1.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 0 ergibt E−2F = 0.<br />

Die Lösung beträgt C = 1,D = 3 2 ,E = 1 und F = 1 2<br />

. Aus diesen Lösungen lässt sich jetzt die<br />

allgemeine Lösung mit dem Superpositionsprinzip zusammensetzen<br />

y(x) = y h (x)+y 1 (x)+y 2 (x) = ce 2x −cos(2x)+2sin(2x)+x 3 + 3 2 x2 +x+ 1 2 ,<br />

wobei c ∈ R eine Konstante ist, die durch eine allfällige Nebenbedingungen bestimmt werden<br />

könnte.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.10.11. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von<br />

y ′ +y = (x+1)sin(3x)+3xcos(3x)+x 2 −2+2xe −x .<br />

Aufgabe 21.10.12. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von<br />

y ′ +3y = cos(3x)−(6x+1)sin(3x)+e −3x .<br />

Aufgabe 21.10.13. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von<br />

y ′ −2y = 3x 2 −2x 3 +(4x−2)cos(2x)−4xsin(2x).<br />

Aufgabe 21.10.14. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von<br />

y ′ −y = 3x 2 cos(2x)+xsin(x)−x 2 e x +x−1.


21.11. Differenzialgleichungen zweiter Ordnung 377<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnet c ∈ R eine Konstante.<br />

Lösung 21.10.11. Die Lösung der homogenen Differenzialgleichung y h (x) = ce −x steht in<br />

Resonanz mit der Störfunktion s 3 (x) = 2xe −x . Die allgemeine Lösung ist y(x) = x 2 −2x +<br />

xsin(3x)+(x 2 +c)e −x .<br />

Lösung 21.10.12. Achtung Resonanz, also y(x) = xcos(3x)−xsin(3x)+(x+c)e −3x .<br />

Lösung 21.10.13. y(x) = cos(2x)+2xsin(2x)+x 3 +ce 2x .<br />

Lösung 21.10.14. Achtung Resonanz, also<br />

y(x) = ( − 3 5 x2 + 18 66<br />

25x+ 125<br />

− 1 2 xsin(x)−( 1<br />

2 x+ 1 2<br />

)<br />

cos(2x)+<br />

( 6<br />

5 x2 + 24<br />

12<br />

25x− 125)<br />

sin(2x)<br />

)<br />

cos(x)−x+<br />

(<br />

−<br />

1<br />

3 x3 +c ) e x .<br />

21.11 Auf Differenzialgleichungen erster Ordnung zurückführbare<br />

Differenzialgleichungen zweiter Ordnung<br />

Differenzialgleichungen zweiter Ordnung haben die allgemeine Form<br />

F(x,y,y ′ ,y ′′ ) = 0.<br />

Lässt sich diese Gleichung nach y ′′ auflösen, so sprechen wir von der expliziten Form<br />

y ′′ = f(x,y,y ′ ).<br />

Je nachdem, wie die Funktion f aussieht, lässt sich diese Differenzialgleichung auf eine Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung zurückführen.<br />

1. Differenzialgleichung der Form y ′′ = f(x)<br />

Da y und y ′ nicht auftreten, lässt sich eine solche Differenzialgleichung durch zweimaliges<br />

Integrieren lösen.<br />

Beispiel 21.11.1. Wir suchen die Lösung der Differenzialgleichung<br />

y ′′ = x+sin(x).<br />

Die erste Integration ergibt<br />

und die zweite Integration ergibt<br />

y ′ (x) = x2<br />

2 −cos(x)+C 1<br />

y(x) = x3<br />

6 −sin(x)+C 1x+C 2 ,<br />

wobei C 1 und C 2 ∈ R Konstanten sind, die durch allfällige Nebenbedingungen bestimmt<br />

werden können.


378 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

2. Differenzialgleichung der Form y ′′ = f(x,y ′ )<br />

Hier tritt y nicht auf. Durch die Substitution u = y ′ entsteht nun die Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung u ′ = f(x,u).<br />

Beispiel 21.11.2. Wir suchen die Lösung der Differenzialgleichung<br />

y ′′ −2y ′ = cos(x).<br />

Also substituieren wir u = y ′ und erhalten die inhomogene Differenzialgleichung erster Ordnung<br />

u ′ −2u = cos(x),<br />

die u h (x) = C 1 e 2x , wobei C 1 ∈ R beliebig, zur Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

hat. Nun machen wir den Ansatz<br />

u p (x) = Asin(x)+Bcos(x),<br />

also u ′ p (x) = Acos(x)−Bsin(x)<br />

zur Auffindung der Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung. Eingesetzt in die substituierte<br />

Differenzialgleichung erfolgt<br />

dann erfolgt ein Koeffizientenvergleich.<br />

Acos(x)−Bsin(x)−2Asin(x)−2Bcos(x) = cos(x),<br />

Der Koeffizientenvergleich von sin(x) ergibt −2A− B = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von cos(x) ergibt A−2B = 1.<br />

Die Lösung berechnet sich zu A = 1 5 und B = −2 5<br />

. Damit ist die allgemeine Lösung der<br />

substituierten Differenzialgleichung<br />

u(x) = u h (x)+u p (x) = C 1 e 2x + 1 5 sin(x)− 2 5 cos(x).<br />

Durch Integration erfolgt die allgemeine Lösung der ursprünglichen Differenzialgleichung<br />

∫<br />

y(x) = u(x)dx = C 1<br />

2 e2x − 1 5 cos(x)− 2 5 sin(x)+C 2,<br />

wobei C 1 und C 2 ∈ R Konstanten sind, die durch allfällige Nebenbedingungen bestimmt<br />

werden können.<br />

3. Differenzialgleichung der Form y ′′ = f(x,y,y ′ )<br />

Da alle Ableitungen vorkommen, brauchen wir eine neue Methode (vgl. Kapitel 21.12 und<br />

folgende).<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.11.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von<br />

y ′′ +2y ′ = e x .


21.11. Differenzialgleichungen zweiter Ordnung 379<br />

Aufgabe 21.11.2. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung von<br />

y ′′ −y ′ = −x 2 +2x.<br />

Aufgabe 21.11.3. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von<br />

y ′′ = 1+y ′2<br />

mit den Anfangsbedingungen y(0) = y ′ (0) = 0.<br />

Aufgabe 21.11.4. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von<br />

y ′′<br />

y ′ =<br />

1<br />

xln(x)<br />

mit den Anfangsbedingungen y(1) = 0 und y ′ (e) = π.<br />

Aufgabe 21.11.5. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von<br />

¨s = ṡ<br />

t +tsin(t)<br />

mit den Anfangsbedingungen s(0) = 0 und s( π 2 ) = 1− π 2 .<br />

Aufgabe 21.11.6. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung von<br />

t d2 T<br />

dt 2 = dT ( ) 1<br />

dt ln dT<br />

t dt<br />

mit den Anfangsbedingungen T(0) = 0 und dT<br />

dt<br />

(1) = 1.<br />

Aufgabe 21.11.7. Bestimmen Sie die Gleichung der Bewegung, bei der die Beschleunigung<br />

konstant ẍ = 10ms −2 ist. Ermitteln Sie den bis zum Zeitpunkt t = 2s zurückgelegten Weg,<br />

wenn x(0) = 0 und v(0) = 5ms −1 vorgegeben ist.<br />

Aufgabe 21.11.8. Bestimmen Sie die Geschwindigkeit v eines unter seinem Gewicht mg<br />

aus der Ruhelage fallenden Objekts unter Berücksichtigung des Reibungswiderstandes und<br />

des Luftwiderstandes. Setzen Sie die Reibungskraft F R = −λv 2 und den Luftwiderstand<br />

F L = −mkv 2 .<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnen C und D ∈ R Konstanten.<br />

Lösung 21.11.1. y(x) = D +Ce −2x + 1 3 ex<br />

Lösung 21.11.2. y(x) = Ce x + x3<br />

3 +D<br />

Lösung 21.11.3. y p (x) = −ln(|cos(x+nπ)|) mit n ∈ Z<br />

Lösung 21.11.4. y p (x) = π(xln(x)−x+1)<br />

Lösung 21.11.5. s p (t) = 1−tsin(t)−cos(t)<br />

Lösung 21.11.6. Substituieren Sie u = 1 t<br />

Lösung 21.11.7. x p (2s) = 30m<br />

dT<br />

dt , dann folgt T p(t) = e−(t+1)e 1−t .<br />

Lösung 21.11.8. Es ist v p (t) =<br />

√<br />

g<br />

a tanh(√ agt), wobei a = λ m +k.


380 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

21.12 Allgemeine Betrachtungen zu linearen Differenzialgleichungen<br />

mit konstanten Koeffizienten<br />

Eine lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten hat die<br />

allgemeine Form<br />

a n y (n) +a n−1 y (n−1) +···+a 1 y ′ +a 0 y = s(x) mit allen a i ∈ R.<br />

Weil die gesuchte Funktion y und ihre Ableitungen y ′ ,...,y (n) nur in der ersten Potenz<br />

vorkommen, sprechen wir von einer linearen Differenzialgleichung. Die linke Seite der<br />

Differenzialgleichung wird durch<br />

abgekürzt. Der Ausdruck<br />

L[y] = a n y (n) +a n−1 y (n−1) +···+a 1 y ′ +a 0 y<br />

d n<br />

L = a n<br />

dx n +a d n−1<br />

n−1<br />

dx n−1 +···+a d<br />

1<br />

dx +a 0<br />

heisst ein linearer Differenzialoperator. Ein Operator kann als Rechenvorschrift aufgefasst<br />

werden. Ein Differenzialoperator beinhaltet eine Vorschrift zur Differenziation und Verknüpfung<br />

der verschiedenen Ableitungen.<br />

Beispiel 21.12.1. Es sei der Differenzialoperator<br />

L = d2<br />

dx 2 +3 d<br />

dx +1<br />

gegeben. Die Kurzschreibweise L[y] = cos(x) definiert die Differenzialgleichung<br />

Andererseits wäre etwa<br />

d 2 d<br />

dx2y +3<br />

dx y +y = y′′ +3y ′ +y = cos(x).<br />

L[x 2 ] = d2<br />

dx 2x2 +3 d<br />

dx x2 +x 2 = 2+6x+x 2 .<br />

Allgemein kann eine lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnungmit konstanten Koeffizienten<br />

in der Kurzschreibweise<br />

dargestellt werden.<br />

inhomogene Differenzialgleichung L[y] = s(x)<br />

homogene Differenzialgleichung L[y] = 0<br />

Definition 21.12.1 (Linearkombination). Sind y 1 und y 2 zwei Funktionen, so heisst die<br />

Funktion<br />

y(x) = c 1 y 1 (x)+c 2 y 2 (x) mit c 1 ,c 2 ∈ C<br />

eine (komplexe) Linearkombination der beiden Funktionen y 1 und y 2 .


21.12. Allgemeine Betrachtungen zu linearen Differenzialgleichungen 381<br />

Beispiel 21.12.2. Es sind y 1 (x) = x und y 2 (x) = x 2 . Dann ist y(x) = c 1 x + c 2 x 2 eine<br />

Linearkombination. Oder y 1 (x) = sin(x) und y 2 (x) = cos(x) sind gegeben, und dann ist<br />

y(x) = c 1 sin(x)+c 2 cos(x) eine Linearkombination.<br />

Satz 21.12.1 (Linearität des Differenzialoperators). Sind die beiden Funktionen y 1 und y 2<br />

genügend oft differenzierbar, so gilt<br />

L[c 1 y 1 (x)+c 2 y 2 (x)] = c 1 L[y 1 (x)]+c 2 L[y 2 (x)] mit c 1 ,c 2 ∈ C,<br />

wobei L ein linearer Differenzialoperator mit konstanten Koeffizienten ist.<br />

Beweis. Wir nehmen die linke Seite und formen sie mit Hilfe der Definition eines linearen<br />

Differenzialoperators in die rechte Seite um.<br />

L[c 1 y 1 +c 2 y 2 ] = a n (c 1 y 1 +c 2 y 2 ) (n) +···+a 0 (c 1 y 1 +c 2 y 2 )<br />

= a n c 1 y (n)<br />

1 +a n c 2 y (n)<br />

2 +···+a 0 c 1 y 1 +a 0 c 2 y 2<br />

= a n c 1 y (n)<br />

1 +···+a 0 c 1 y 1 +a n c 2 y (n)<br />

2 +···+a 0 c 2 y 2<br />

= c 1 (a n y (n)<br />

1 +···+a 0 y 1 )+c 2 (a n y (n)<br />

2 +···+a 0 y 2 )<br />

= c 1 L[y 1 ]+c 2 L[y 2 ]<br />

Beispiel 21.12.3. Es sind die Funktionen y 1 (x) = x 2 , y 2 (x) = x 3 und der Differenzialoperator<br />

L = d2<br />

dx 2 +2 gegeben. Dann gilt für beliebige Zahlen c 1 ,c 2 ∈ C<br />

L[c 1 x 2 +c 2 x 3 ] = d2<br />

dx 2(c 1x 2 +c 2 x 3 )+2(c 1 x 2 +c 2 x 3 )<br />

d 2 d 2<br />

= c 1<br />

dx 2x2 +c 2<br />

dx 2x3 +2c 1 x 2 +2c 2 x 3<br />

( d<br />

2<br />

) ( d<br />

= c 1<br />

dx 2x2 +2x 2 2<br />

)<br />

+c 2<br />

dx 2x3 +2x 3<br />

= c 1 L[x 2 ]+c 2 L[x 3 ].<br />

Satz 21.12.2 (Linearkombinationen homogener Lösungen sind auch Lösungen). Sind die<br />

beiden Funktionen y 1 und y 2 zwei verschiedene Lösungen der homogenen linearen Differenzialgleichung<br />

mit konstanten Koeffizienten L[y] = 0, d.h., es gilt L[y 1 ] = 0 und L[y 2 ] = 0. Dann<br />

sind Linearkombinationen c 1 y 1 +c 2 y 2 mit c 1 ,c 2 ∈ C der beiden Lösungen auch Lösungen der<br />

Differenzialgleichung, d.h.<br />

Beweis. Mit Satz 21.12.1 folgt<br />

L[c 1 y 1 +c 2 y 2 ] = 0.<br />

L[c 1 y 1 +c 2 y 2 ] = c 1 L[y 1 ]+c 2 L[y 1 ] = c 1 0+c 2 0 = 0.


382 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Beispiel 21.12.4. Wir erraten 4 zwei Lösungen y 1 (x) = sinh(x) und y 2 (x) = cosh(x) der<br />

homogenen linearen Differenzialgleichung mit konstanten Koeffizienten<br />

y ′′ −y = 0.<br />

Dann sind y(x) = c 1 sinh(x)+c 2 cosh(x) auch Lösungen der Differenzialgleichung. Im Spezialfall<br />

wenn c 1 = c 2 = 1 erhalten wir die Lösung<br />

y 3 (x) = sinh(x)+cosh(x) = 1 2<br />

und wenn c 1 = −1 und c 2 = 1 die Lösung<br />

y 4 (x) = −sinh(x)+cosh(x) = − 1 2<br />

(<br />

e x −e −x) + 1 2<br />

(<br />

e x −e −x) + 1 2<br />

(<br />

e x +e −x) = e x<br />

(<br />

e x +e −x) = e −x .<br />

Durch Einsetzen in die Differenzialgleichung verifizieren wir in der Tat, dass y 3 (x) = e x und<br />

y 4 (x) = e −x Lösungen sind. Obwohl wir nun vier Lösungen gefunden haben, sind nur zwei<br />

davon linear unabhängig. Das heisst, die anderen zwei sind jeweils Linearkombinationen.<br />

Satz 21.12.3 (Real- und Imaginärteil homogener Lösungen sind auch Lösungen). Ist die<br />

komplexe Funktion u+iv Lösung der homogenen linearen Differenzialgleichung mit konstanten<br />

Koeffizienten L[y] = 0, dann ist auch der Realteil u und der Imaginärteil v je eine Lösung<br />

von L[y] = 0.<br />

Beweis. Nach Voraussetzung gilt L[u+iv] = 0 und mit Satz 21.12.1 folgt<br />

0 = L[u+iv] = L[u]+iL[v].<br />

Eine komplexe Zahl ist genau dann null, wenn Real- und Imaginärteil null sind. Also folgt<br />

L[u] = 0 und L[v] = 0, d.h., u und v sind auch Lösungen der homogenen linearen Differenzialgleichung<br />

mit konstanten Koeffizienten L[y] = 0.<br />

Beispiel 21.12.5. Wir untersuchen die Differenzialgleichung<br />

y ′′ +y = 0.<br />

Durch Einsetzen verifizieren wir, dass die erratene komplexe Funktion y(x) = e ix in der Tat<br />

eine Lösung ist<br />

y ′′ +y = i 2 e ix +e ix = −e ix +e ix = 0.<br />

Mit der Eulerformel (vgl. Formel 1.136b in [3])<br />

e ix = cos(x)+isin(x)<br />

und Satz 21.12.3 folgt, dass R(e ix ) = cos(x) und I(e ix ) = sin(x) auch Lösungen der Differenzialgleichung<br />

sind, was wir durch Einsetzen rasch verifizieren können.<br />

4 Im Folgenden werden wir Methoden entwickeln, um solche Differenzialgleichungen systematisch zu lösen.


21.13. Homogene lineare Differenzialgleichungen zweiter Ordnung 383<br />

21.13 Homogene lineare Differenzialgleichungen zweiter Ordnung<br />

mit konstanten Koeffizienten<br />

Für die homogene lineare Differenzialgleichungen zweiter Ordnung<br />

ay ′′ +by ′ +cy = 0<br />

mit a,b,c ∈ R und a ≠ 0 gilt ein universeller Ansatz<br />

y(x) = e kx wobei k ∈ C.<br />

Der (komplexe) Faktor k ist so zu bestimmen, dass<br />

ay ′′ +by ′ +cy = ak 2 e kx +bke kx +ce kx = 0.<br />

Nun dividieren wir obige Gleichung durch e kx ≠ 0 und erhalten die so genannte charakteristische<br />

Gleichung der Differenzialgleichung<br />

mit den Lösungen<br />

k 1 = −b+√ b 2 −4ac<br />

2a<br />

ak 2 +bk+c = 0<br />

und k 2 = −b−√ b 2 −4ac<br />

.<br />

2a<br />

Die Lösungen k 1 und k 2 der charakteristischen Gleichung ergeben maximal zwei Lösungen<br />

y 1 (x) = e k 1x<br />

und y 2 (x) = e k 2x<br />

der Differenzialgleichung ay ′′ +by ′ +cy = 0. Nach Satz 21.12.2 sind y(x) = C 1 e k 1x +C 2 e k 2x<br />

mit C 1 ,C 2 ∈ C auch Lösungen. Wenn k 1 ≠ k 2 , dann ist dies sogar die allgemeine Lösung, weil<br />

wir genau zwei beliebige Konstanten zur Wahl haben. Ist aber k 1 = k 2 , dann haben wir nur<br />

eine Lösung gefunden und müssen für die zweite noch etwas arbeiten. Wir sehen also bereits<br />

hier, dass wir eine Fallunterscheidung der Diskriminante b 2 −4ac machen müssen.<br />

1. Diskriminante b 2 −4ac > 0, dann sind k 1 und k 2 reell und verschieden:<br />

In diesem Fall erhalten wir unmittelbar die allgemeine Lösung<br />

y(x) = C 1 e k 1x +C 2 e k 2x<br />

mit C 1 ,C 2 ∈ R.<br />

Beispiel 21.13.1. Wir betrachten die Differenzialgleichung<br />

Die charakteristische Gleichung ist dann<br />

2y ′′ −5y ′ −3y = 0.<br />

2k 2 −5k −3 = 0<br />

mit den zwei reellen unterschiedlichen Lösungen k 1 = 3 und k 2 = − 1 2<br />

. Somit lautet die<br />

allgemeine Lösung<br />

y(x) = C 1 e 3x +C 2 e −1 2 x mit C 1 ,C 2 ∈ R.


384 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

2. Diskriminante b 2 −4ac = 0, dann sind k 1 = k 2 reell:<br />

Es sei<br />

k 1 = k 2 = ρ = − b<br />

2a<br />

die einzige reelle Nullstellen der charakteristischen Gleichung. Also erhalten wir vorerst nur<br />

eine Lösung<br />

y(x) = Ce ρx .<br />

Da es sich aber um eine homogene lineare Differenzialgleichung zweiter Ordnung handelt,<br />

ist dies noch nicht die allgemeine Lösung. Wir sollten zwei Konstanten (Freiheitsgrade) haben.<br />

Um die allgemeine Lösung zu erhalten, variieren wir nun die Konstante C, indem wir<br />

annehmen, dass diese eine Funktion der Variable x sei. Wir setzen also<br />

als Lösung an. Damit erhalten wir<br />

y(x) = C(x)e ρx<br />

y ′ (x) = C ′ (x)e ρx +ρC(x)e ρx<br />

Einsetzen in die Differenzialgleichung ergibt<br />

y ′′ (x) = C ′′ (x)e ρx +2ρC ′ (x)e ρx +ρ 2 C(x)e ρx .<br />

a ( C ′′ (x)e ρx +2ρC ′ (x)e ρx +ρ 2 C(x)e ρx) +b ( C ′ (x)e ρx ρC(x)e ρx) +cC(x)e ρx = 0.<br />

Nach Division mit e ρx ≠ 0 erhalten wir eine Differenzialgleichung für die Funktion C<br />

a ( C ′′ (x)+2ρC ′ (x)+ρ 2 C(x) ) +b ( C ′ (x)+ρC(x) ) +cC(x) = 0.<br />

Nun ordnen wir nach den Ableitungen von C und erhalten<br />

aC ′′ (x)+(b+2aρ)C ′ (x)+(aρ 2 +bρ+c)C(x) = 0.<br />

Da ρ eine Lösung der charakteristischen Gleichung ist, verschwindet der Vorfaktor von C(x).<br />

Setzen wir ρ = − b<br />

2a im Vorfaktor b+2aρ von C′ (x) ein, so sehen wir, dass sich auch dieser<br />

annulliert<br />

b−2aρ = b−2a b<br />

2a = 0.<br />

Somit bleibt die Differenzialgleichung C ′′ (x) = 0 mit der Lösung<br />

C(x) = C 1 x+C 2<br />

mit C 1 ,C 2 ∈ R<br />

übrig. Die allgemeine Lösung für diesen dritten Fall lautet somit<br />

Beispiel 21.13.2. Die Differenzialgleichung<br />

y(x) = (C 1 x+C 2 )e ρx mit C 1 ,C 2 ∈ R.<br />

y ′′ −8y ′ +16y = 0<br />

hat die charakteristische Gleichung k 2 −8k+16 = 0 mit der Lösung k = ρ = 4. Also erhalten<br />

wir die allgemeine Lösung<br />

y(x) = (C 1 x+C 2 )e 4x .


21.13. Homogene lineare Differenzialgleichungen zweiter Ordnung 385<br />

3. Diskriminante b 2 − 4ac < 0, dann sind k 1 und k 2 komplex konjugiert und verschieden:<br />

Es seien<br />

k 1 = ρ+iω und k 2 = ρ−iω<br />

die beiden komplex konjugierten Nullstellen der charakteristischen Gleichung, wobei<br />

ρ = − b<br />

√<br />

4ac−b 2<br />

und ω =<br />

2a 2a<br />

wir setzen. Die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung lässt sich dann folgendermassen<br />

aus der komplexen Form in eine reelle Form umschreiben.<br />

y(x) = C 1 e (ρ+iω)x +C 2 e (ρ−iω)x<br />

= C 1 e ρx+iωx +C 2 e ρx−iωx<br />

= e ρx( C 1 e iωx +C 2 e −iωx)<br />

= e ρx (C 1 (cos(ωx)+isin(ωx))+C 2 (cos(ωx)−isin(ωx)))<br />

= e ρx ((C 1 +C 2 )cos(ωx)+i(C 1 −C 2 )sin(ωx)).<br />

Damit erhalten wir mit Satz 21.12.3 die zwei linear unabhängigen reellen Lösungen<br />

y 1 (x) = e ρx sin(ωx) und y 2 (x) = e ρx cos(ωx).<br />

Daraus folgt mit Satz 21.12.2, dass auch eine Linearkombination Lösung ist. Also ist<br />

die allgemeine Lösung.<br />

Beispiel 21.13.3. Die Differenzialgleichung<br />

y(x) = e ρx (Asin(ωx)+Bcos(ωx))<br />

y ′′ +4y ′ +13y = 0<br />

hat die charakteristische Gleichung k 2 +4k+13 = 0 mit den konjugiert komplexen Lösungen<br />

k 1 = −2+3i und k 2 = −2−3i. Also erhalten wir die allgemeine Lösung in der komplexen<br />

Schreibweise<br />

y(x) = C 1 e (−2+3i)x +C 2 e (−2−3i)x<br />

oder in der reellen Schreibweise<br />

y(x) = e −2x (Asin(3x)+Bcos(3x))<br />

wobei A,B ∈ R noch zu bestimmende Konstanten sind.<br />

Zusammenfassung:<br />

Allgemein lösen wir eine homogene lineare Differenzialgleichungen zweiter Ordnung<br />

in vier Schritten.<br />

ay ′′ +by ′ +cy = 0.


386 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

1. Aufstellen der charakteristischen Gleichung.<br />

2. Berechnen der Nullstellen der charakteristischen Gleichung.<br />

3. Fallunterscheidung der Nullstellen und eventuell die zweite Lösung durch eine Variation<br />

der Konstanten ausfindig machen.<br />

4. Bilden der Linearkombinationen.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.13.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ −2y ′ +3y = 0.<br />

Aufgabe 21.13.2. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ +2y ′ −15y = 0.<br />

Aufgabe 21.13.3. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ +6y ′ +9y = 0.<br />

Aufgabe 21.13.4. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung in reeller Form von<br />

4y ′′ +12y ′ +9y = 0<br />

mit den Anfangsbedingungen y(0) = π und y ′ (0) = 0.<br />

Aufgabe 21.13.5. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ −y ′ −2y = 0.<br />

Aufgabe 21.13.6. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

Lösungen<br />

¨s+2ṡ+2s = 0.<br />

Im Folgenden bezeichnen C und D ∈ R Konstanten.<br />

Lösung 21.13.1. y(x) = e x( Csin( √ 2x)+Dcos( √ 2x) )<br />

Lösung 21.13.2. y(x) = Ce 3x +De −5x<br />

Lösung 21.13.3. y(x) = (Cx+D)e −3x<br />

Lösung 21.13.4. y p (x) = π( 3 2 x+1)e−3 2 x<br />

Lösung 21.13.5. y(x) = Ce −x +De 2x<br />

Lösung 21.13.6. s(t) = e −t (Csin(t)+Dcos(t))


21.14. Homogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung 387<br />

21.14 Homogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung<br />

mit konstanten Koeffizienten<br />

Die homogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung hat die Form<br />

a n y (n) +···+a 1 y ′ +a 0 y = 0.<br />

Auch im allgemeinen Fall liefert der universelle Ansatz<br />

die charakteristische Gleichung<br />

y(x) = e kx<br />

a n k n +···+a 1 k +a 0 = 0.<br />

Sie ist vom Grad n und hat somit nach dem Fundamentalsatz der Algebra 11.3.1 genau n<br />

(komplexe) Lösungen k 1 ,...,k n . Die allgemeine Lösung setzt sich nun aus einer Linearkombination<br />

der Basisfunktionen e k 1x ,...,e knx zusammen. Diese Basisfunktionen hängen dabei<br />

noch von der Art der Lösungen der zugehörigen charakteristischen Gleichung ab. Es sind die<br />

folgenden drei Fälle zu unterscheiden:<br />

1. Es hat einfache reelle Nullstellen: Jede einfache reelle Nullstelle k 1 ,...,k s liefert<br />

den additiven Beitrag<br />

C i e k ix<br />

zur Gesamtlösung, wobei C i ∈ R und i ∈ {1,...,s}.<br />

2. Es hat auch mehrfache reelle Nullstellen: Eine r-fache reelle Nullstelle k 1 = k 2 =<br />

··· = k r = ρ liefert den Beitrag<br />

(C r−1 x r−1 +···+C 1 x+C 0 )e ρx mit C r−1 ,...,C 0 ∈ R.<br />

3. Es hat konjugiert komplexe Nullstellen: Eine einfache konjugiert komplexe Nullstelle<br />

k 1 = ρ+iω und k 2 = ρ−iω liefert den Beitrag<br />

e ρx (Asin(ωx)+Bcos(ωx)) mit A,B ∈ R.<br />

Tritt das konjugiert komplexe Nullstellenpaar jedoch r-fach auf, so müssen die beiden<br />

Konstanten A und B durch Polynome vom Grade r−1 ersetzt werden, d.h. durch<br />

e ρx( (A r−1 x r−1 +···+A 0 )sin(ωx)+(B r−1 x r−1 +···+B 0 )cos(ωx) ) .<br />

Die allgemeine Lösung der homogenen Differenzialgleichung ist dann die Summeder in den<br />

Fällen 1 bis 3 beschriebenen Einzelbeiträge.<br />

Beispiel 21.14.1. Wir suchen die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung<br />

y (5) +2y (4) −9y (3) −4y ′′ +30y ′ −36y = 0.<br />

Das charakteristische Polynom lässt sich durch sukzessive Polynomdivision wie folgt in Faktoren<br />

zerlegen<br />

k 5 +2k 4 −9k 3 −4k 2 +30k −36 = (k −2)(k +3) 2 (k 2 −2k +2) = 0.<br />

Also haben wir die einfache reelle Nullstelle k 1 = 2, die 2-fache reelle k 2 = k 3 = −3 und<br />

die einfache konjugiert komplexe k 4 = 1 + i, k 5 = 1 − i. Gemäss obiger Fallunterscheidung<br />

erhalten wir die allgemeine Lösung<br />

y(x) = C 1 e 2x +(C 2 x+C 3 )e −3x +e x (Asin(x)+Bcos(x)).


388 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.14.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (3) −2y ′′ −5y ′ +6y = 0.<br />

Aufgabe 21.14.2. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (3) +8y = 0.<br />

Aufgabe 21.14.3. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (7) −3y (6) +5y (5) −7y (4) +7y (3) −5y ′′ +3y ′ −y = 0.<br />

Aufgabe 21.14.4. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (3) −8y = 0.<br />

Aufgabe 21.14.5. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (3) −5y ′′ +8y ′ −4y = 0.<br />

Aufgabe 21.14.6. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (3) −6y ′′ +12y ′ −8y = 0.<br />

Aufgabe 21.14.7. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (4) +2y (3) +3y ′′ +2y ′ +y = 0.<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnen A,B,A i ,B i ,C i ∈ R Konstanten.<br />

Lösung 21.14.1. y(x) = C 1 e x +C 2 e −2x +C 3 e 3x<br />

Lösung 21.14.2. y(x) = C 1 e −2x +e x( Asin (√ 3x ) +Bcos (√ 3x ))<br />

Lösung 21.14.3. y(x) = (C 2 x 2 +C 1 x+C 0 )e x +(A 1 x+A 0 )sin(x)+(B 1 x+B 0 )cos(x)<br />

Lösung 21.14.4. y(x) = C 1 e 2x +e −x( Asin (√ 3x ) +Bcos (√ 3x ))<br />

Lösung 21.14.5. y(x) = (C 1 x+C 0 )e 2x +C 2 e x<br />

Lösung 21.14.6. y(x) = (C 2 x 2 +C 1 x+C 0 )e 2x<br />

Lösung 21.14.7. y(x) = e −x 2<br />

( ( √3 ( √3 ))<br />

(A 1 x+A 0 )sin<br />

2<br />

)+(B x 1 x+B 0 )cos<br />

2 x


21.15. Inhomogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung 389<br />

21.15 Inhomogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung<br />

mit konstanten Koeffizienten<br />

Die inhomogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten<br />

hat die Form<br />

a n y (n) +···+a 1 y ′ +a 0 y = s(x),<br />

wobei s die Störfunktion darstellt. Die allgemeine Lösung dieser Differenzialgleichung besteht<br />

wie bei der linearen Differenzialgleichung erster Ordnung aus der allgemeinen Lösung<br />

der homogenen Differenzialgleichung a n y (n) +···+a 0 y = 0 und einer beliebigen partikulären<br />

Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung a n y (n) + ··· + a 0 y = s(x). Diese partikuläre<br />

Lösungkannentweder durcheinenAnsatzoderdurcheineVariation derKonstantenbestimmt<br />

werden.<br />

Eine spezielle Erwähnung verdient der Resonanzfall, das ist der Fall, bei dem die Störfunktion<br />

eine Eigenfunktion enthält. Unter einer Eigenfunktion verstehen wir eine partikuläre<br />

Lösung der Differenzialgleichung a n y (n) +···+a 0 y = 0. In diesem Fall funktioniert die<br />

Variation der Konstanten normal, aber der Ansatz bei der Ansatzmethode muss entsprechend<br />

geändert werden.<br />

Beispiel 21.15.1 (Resonanzfall). Wir betrachten die inhomogene lineare Differenzialgleichung<br />

zweiter Ordnung<br />

y ′′ +2y ′ −3y = e x .<br />

Zuerst erstellen wir die charakteristische Gleichung k 2 +2k−3 = 0 mit den zwei verschiedenen<br />

reellen Nullstellen k 1 = 1 und k 2 = −3. Wir finden die Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

y h (x) = C 1 e x +C 2 e −3x mit C 1 ,C 2 ∈ R.<br />

Jetzt stellen wir fest, dass die Eigenfunktion e x mit der Störfunktion s(x) = e x identisch ist,<br />

also liegt ein Resonanzfall vor. Zur Bestimmung einer partikulären Lösung machen wir nun<br />

einen Ansatz oder variieren die Konstante:<br />

1. Versuch eines Ansatz: Der Ansatz<br />

y p (x) = Ae x<br />

in die Differenzialgleichung eingesetzt, ergibt<br />

und damit y p ′ (x) = y′′ p (x) = Aex<br />

Ae x +2Ae x −3Ae x = e x .<br />

Damit ergibt sich aber eine unlösbare Gleichung, respektive 0 = e x . Hier sehen wir, dass<br />

unser Ansatz nicht der richtige war.<br />

2. Versuch eines Ansatz: Aus obiger Erfahrung machen wir nun einen erneuten Versuch<br />

mit einem anderen Ansatz, indem der Polynomgrad um Eins erhöht wird<br />

y p (x) = (Ax+B)e x .<br />

Also erhalten wir durch zweimaliges Differenzieren des Ansatzes<br />

y ′ p(x) = Ae x +(Ax+B)e x = (Ax+A+B)e x<br />

y ′′<br />

p (x) = Aex +(Ax+A+B)e x = (Ax+2A+B)e x .


390 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

Einsetzen in die Differenzialgleichung liefert uns<br />

(Ax+2A+B)e x +2(Ax+A+B)e x −3(Ax+B)e x ,= e x<br />

und nach Division mit e x ≠ 0 erhalten wir die Gleichung<br />

Ax+2A+B +2(Ax+A+B)−3(Ax+B) = 1.<br />

Diese Gleichung muss natürlich für alle x gelten.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 1 ergibt A+2A−3A = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von x 0 ergibt 2A+B +2A+2B−3B = 1.<br />

Die Lösung ergibt A = 1 4<br />

Differenzialgleichung<br />

und B ∈ R beliebig. Somit lautet die partikuläre Lösung der<br />

y p (x) =<br />

( 1<br />

4 x+B )<br />

e x ,<br />

wobei B ∈ R eine beliebige Konstante ist. Nun können wir die allgemeine Lösung der<br />

homogenen Differenzialgleichung mit Hilfe des Superpositionsprinzip (vgl. Satz 21.10.1)<br />

zusammensetzen.<br />

( ) ( )<br />

1 1<br />

y(x) = y h (x)+y p (x) = C 1 e x +C 2 e −3x +<br />

4 x+B e x =<br />

4 x+a e x +be −3x<br />

wobei a = B +C 1 und b = C 2 zu neuen Konstanten zusammengefasst wurden.<br />

Eine andere, wesentlich aufwändigere, aber dafür immer funktionierende Methode zur Auffindung<br />

einer partikulären Lösung bei Resonanz, als auch ohne Resonanz, ist die Variation<br />

aller Konstanten der homogenen allgemeinen Lösung.<br />

Wir werden dies hier am Beispiel der in Resonanz stehenden Eigenfunktion durchführen.<br />

Unser Ansatz lautet<br />

y p (x) = C(x)e x ,<br />

wobei C die zu variierende Funktion ist. Also folgt<br />

y ′ p(x) = C ′ (x)e x +C(x)e x ,<br />

y ′′<br />

p (x) = C′′ (x)e x +2C ′ (x)e x +C(x)e x .<br />

Einsetzen in die Differenzialgleichung y ′′ +2y ′ −3y = e x liefert<br />

C ′′ (x)e x +2C ′ (x)e x +C(x)e x +2C ′ (x)e x +2C(x)e x −3C(x)e x = e x .<br />

Nach Division mit e x ≠ 0 erhalten wir die inhomogene lineare Differenzialgleichung zweiter<br />

Ordnung<br />

C ′′ +4C ′ = 1,<br />

die auf eine Differenzialgleichung erster Ordnung zurückführbar ist (vgl. Kapitel 21.11). Wir<br />

substituieren u = C ′ , dann erhalten wir die Differenzialgleichung u ′ +4u = 1 mit der Lösung<br />

derhomogenenDifferenzialgleichung u h (x) = Ae −4x ,wobeiA ∈ ReineKonstanteist.Füreine<br />

partikuläreLösungder inhomogenen Differenzialgleichung machen wirdenAnsatz u p (x) = B,


21.15. Inhomogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung 391<br />

also folgt durch Einsetzen unmittelbar B = 1 4 . Nun integrieren wir die Lösung u(x) = u h(x)+<br />

u p (x) = Ae −4x + 1 4 , um ∫<br />

C(x) =<br />

u(x)dx = − A 4 e−4x + 1 4 x+D<br />

zu erhalten. Jetzt können wir die partikuläre Lösung der ursprünglichen Differenzialgleichung<br />

y ′′ +2y ′ −3y = e x zusammensetzen<br />

y p (x) = C(x)e x =<br />

(− A 4 e−4x + 1 )<br />

4 x+D e x = − A ( ) 1<br />

4 e−3x +<br />

4 x+D e x .<br />

Nun können wir erneut die allgemeine Lösung der homogenen Differenzialgleichung mit Hilfe<br />

des Superpositionsprinzip (vgl. Satz 21.10.1) zusammensetzen und erhalten<br />

y(x) = y h (x)+y p (x)<br />

= C 1 e x +C 2 e −3x − A 4 e−3x +<br />

( ) 1<br />

=<br />

4 x+a e x +be −3x ,<br />

( 1<br />

4 x+D )<br />

e x<br />

wobei a = C 1 +D und b = − A 4 +C 2 zu neuen Konstanten zusammengefasst wurden.<br />

Beispiel 21.15.2 (Resonanzfall). Wir betrachten die inhomogene lineare Differenzialgleichung<br />

zweiter Ordnung<br />

y ′′ +2y ′ +y = e −x +e x .<br />

Zuerst erstellen wir die charakteristische Gleichung k 2 + 2k + 1 = 0 mit doppelter reeller<br />

Nullstelle k 1 = k 2 = −1. Wir finden die Lösung der homogenen Differenzialgleichung, die so<br />

genannte Eigenfunktion<br />

y h (x) = (C 1 x+C 0 )e −x mit C 0 ,C 1 ∈ R.<br />

Wir stellen also fest, dass wir ein Resonanzfall mit der Störfunktion s 1 (x) = e −x haben.<br />

1. Superpositionsansatz: Der Ansatz für die Störfunktion s 1 (x) = e −x , die in Resonanz<br />

steht, lautet<br />

y 1 (x) = (Ax 2 +Bx+C)e −x .<br />

Der Polynomgrad des anmultiplizierten Polynoms der in Resonanz stehenden Eigenfunktion<br />

(Lösung der homogene Differenzialgleichung) ist bereits 1, somit müssen wir<br />

hier einen Ansatz vom Grad 1 + 1 = 2 tätigen, sonst entspricht unser Ansatz der Eigenfunktion.<br />

5 Bei Resonanz ist der Polynomgrad des anmultiplizierten Polynoms stets<br />

um Eins zu erhöhen. Nun differenzieren wir diesen modifizierten Ansatz<br />

y ′ 1(x) = (−Ax 2 +(2A−B)x+B −C)e −x ,<br />

y ′′<br />

1 (x) = (Ax2 −(4A−2B)x+2A−2B +C)e −x<br />

5 Beachten Sie, dass die Eigenfunktion y h (x) = (C 1x+C 0)e −x nicht als Ansatz für die inhomogene Differenzialgleichung<br />

dienen kann. Wieso?


also D = 1 4 und damit folgt y 2 (x) = 1 4 ex .<br />

392 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

und setzen ihn in die Differenzialgleichung ein. Gleichzeitig dividieren wir durch e −x ≠ 0<br />

und erhalten<br />

Ax 2 −(4A−2B)x+2A−2B+C+2(−Ax 2 +(2A−B)x+B−C)+Ax 2 +Bx+C = 1.<br />

Der Koeffizientenvergleich ergibt unmittelbar A = 1 2<br />

und B,C ∈ R beliebig. Damit lässt<br />

sich jetzt eine partikuläre Lösung angeben<br />

( ) 1<br />

y 1 (x) =<br />

2 x2 +Bx+C e −x ,<br />

wobei B,C ∈ R beliebige Konstanten sind.<br />

2. Superpositionsansatz: Der zweite Ansatz ohne Resonanz lautet<br />

y 2 (x) = De x<br />

also y 2 ′ (x) = y′′ 2 (x) = Dex .<br />

Eingesetzt in die Differenzialgleichung ergibt sich<br />

De x +2De x +De x = e x ,<br />

Aus diesen Lösungen lässt sich jetzt die allgemeine Lösung mit dem Superpositionsprinzip<br />

zusammensetzen<br />

y(x) = y h (x)+y 1 (x)+y 2 (x)<br />

) 1<br />

= (C 1 x+C 0 )e +( −x 2 x2 +Bx+C e −x + 1 4 ex<br />

( ) 1<br />

=<br />

2 x2 +ax+b e −x + 1 4 ex ,<br />

wobei a = C 1 +B und b = C 0 +C zu neuen Konstanten zusammengefasst wurden.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 21.15.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ +y ′ +y = sin(2x).<br />

Aufgabe 21.15.2. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ −4y ′ = x 2 +sin(x).<br />

Aufgabe 21.15.3. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ −2y ′ −y = 2e x .


21.15. Inhomogene lineare Differenzialgleichung n-ter Ordnung 393<br />

Aufgabe 21.15.4. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ −3y ′ +2y = 4e x .<br />

Aufgabe 21.15.5. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

¨s+s = cos(t)<br />

Aufgabe 21.15.6. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ +3.2y ′ +2.56y = e −1.6x .<br />

Aufgabe 21.15.7. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (4) +y = 3sin(2x).<br />

Aufgabe 21.15.8. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y (3) −2y ′′ +5y ′ = x 2 .<br />

Aufgabe 21.15.9. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung in reeller Form von<br />

y ′′ +y ′ −2y = 3x+e −2x .<br />

Lösungen<br />

Im Folgenden bezeichnen A,B,C,D ∈ R Konstanten.<br />

( √3 ( √3 ))<br />

Lösung 21.15.1. y(x) = e −x 2 Asin(<br />

2<br />

)+Bcos x 2 x − 3 13 sin(2x)− 2<br />

13 cos(2x)<br />

Lösung 21.15.2. y(x) = Ae 4x +B + 1<br />

x3<br />

17<br />

(4cos(x)−sin(x))−<br />

12 − x2<br />

16 − x 32<br />

Lösung 21.15.3. y(x) = Ae (1+√ 2)x +Be (1−√ 2)x −e x<br />

Lösung 21.15.4. y(x) = (A−4x)e x +Be 2x<br />

Lösung 21.15.5. s(t) = Asin(t)+Bcos(t)+ t 2 sin(t)<br />

Lösung 21.15.6. y(x) =<br />

Lösung 21.15.7.<br />

(<br />

x 2<br />

2 +Ax+B )<br />

e −1.6x<br />

( ) ( ( ( ) ( ))<br />

√<br />

y(x) = e x 2<br />

(Asin x√2<br />

+Bcos x√2<br />

))+e − √ x 2 Csin x√2<br />

+Dcos x√2<br />

+ 3<br />

17 sin(2x)<br />

Lösung 21.15.8. y(x) = e x (Asin(2x)+Bcos(2x))+ x3<br />

15 + 2x2<br />

25 − 2x<br />

125 +C<br />

Lösung 21.15.9. y(x) = e −2x( A− x 3)<br />

+Be x − 3x 2 − 3 4


394 Kapitel 21. Differenzialgleichungen<br />

21.16 Zusammenstellung der Lösungsverfahren<br />

Generell betrachten wir die Differenzialgleichung n-ter Ordnung<br />

F(x,y,y ′ ,...,y (n) ) = 0<br />

für die unbekannte Funktion y in der Variablen x. Eventuell sind Anfangs- oder Randbedingungen<br />

vorgegeben.<br />

Im Folgenden geben wir nur eine Zusammenstellung der von uns betrachteten Lösungsverfahren.<br />

1. Differenzialgleichung ist nicht linear: Wir betrachten nur den folgenden Spezialfall<br />

Lösung durch Trennen der Variablen.<br />

2. Differenzialgleichung ist linear:<br />

y ′ = g(x)h(y).<br />

a n (x)y (n) +···+a 1 (x)y ′ +a 0 (x)y = s(x)<br />

Lösungsprinzip: allgemeine Lösung der Differenzialgleichung = allgemeine Lösung<br />

der homogenen Differenzialgleichung + partikuläre Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung<br />

Allgemeine Lösung der Differenzialgleichung hat genau n Freiheitsgrade, d.h., es können<br />

genau n Konstanten gewählt werden.<br />

(a) Koeffizienten a n (x),...,a 0 (x) nicht konstant: Wir betrachten nur den folgenden<br />

Spezialfall<br />

y ′ +f(x)y = s(x)<br />

Lösung der homogenen Differenzialgleichung: Separation der Variablen ergibt<br />

y h (x) = Ce −∫ f(x)dx<br />

Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung: Variation der Konstanten C der<br />

Lösung der homogenen Differenzialgleichung, d.h., den Ansatz<br />

y p (x) = C(x)e −∫ f(x)dx<br />

in die Differenzialgleichung einsetzen und die Funktion C bestimmen.<br />

(b) Koeffizienten a n ,...,a 0 alle konstant:<br />

a n y (n) +···+a 1 y ′ +a 0 y = s(x)<br />

Lösung der homogenen Differenzialgleichung: universeller Ansatz y(x) = e kx führt<br />

zur charakteristischen Gleichung a n k n +···+a 1 k+a 0 = 0, das n (eventuell komplexe)<br />

Nullstellen hat. Wir diskutieren die möglichen Fälle: verschiedene reelle<br />

Nullstellen, r-fache reelle Nullstelle, komplex konjugierte Nullstelle, r-fache komplex<br />

konjugierte Nullstelle und Kombinationen dieser Fälle. Daraus ergeben sich n<br />

linear unabhängige Lösungen.<br />

Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung: Es bieten sich zwei verschiedene<br />

Lösungsverfahren an.


21.16. Zusammenstellung der Lösungsverfahren 395<br />

i. Ansatz:<br />

keine Resonanz: Ansatz vom gleichem Typ wie die Störfunktion.<br />

Resonanz: Ansatz vom gleichem Typ wie die in Resonanz stehende Störfunktion,<br />

aber der Polynomgrad ist solange um Eins zu erhöhen, bis die partikuläre<br />

Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung gefunden ist.<br />

ii. Variation der Konstanten:<br />

Variation aller Konstanten der Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

bis die partikuläre Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung gefunden<br />

ist. (Dieses Verfahren ist aufwändig, aber funktioniert dafür immer.)<br />

Kontrolle: Immer die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung durch Einsetzen in die<br />

Differenzialgleichung verifizieren.<br />

Anfangsbedingungen: Mit eventuell vorhandenen Anfangs- oder Randbedingungen die<br />

Konstanten in der allgemeinen Lösung bestimmen, ergibt eine partikuläre Lösung.


396 Kapitel 21. Differenzialgleichungen


Kapitel 22<br />

Differenzialgleichungen in der<br />

Mechanik<br />

Grundlage für das Folgende sind die Newtonschen Axiome, die wir hier kurz repetieren:<br />

1. Trägheitsprinzip: Ein Körper beharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen<br />

Bewegung, solange keine äusseren Einflüsse auf ihn wirken. Die Geschwindigkeit<br />

eines solchen sich frei bewegenden Körpers ist nach Betrag und Richtung konstant.<br />

2. Beschleunigungsprinzip: Durch einwirkendeKräfteerfährtein KörpereineBeschleunigung,<br />

die der Kraft proportional ist und deren Richtung besitzt: Kraft = Masse ×<br />

Beschleunigung. (Zu Ehren Sir Isaac Newtons wird die Einheit der Kraft 1 N (Newton)<br />

genannt.)<br />

3. Wechselwirkungsprinzip (actio = reactio): Übt ein Körper A auf einen Körper B<br />

eine Kraft aus (actio), soübt auch Bauf A eine Kraft aus, Gegenkraft (reactio) genannt,<br />

die entgegengesetzt gleich der ersten Kraft ist.<br />

Wir stellen im Folgenden die verschiedenen Anwendungen der Differenzialgleichung in elementaren<br />

Aufgabenstellungen zusammen.<br />

Es sei s = s(t) der zurückgelegte Weg, v(t) = ṡ(t) die Geschwindigkeit 1 und a(t) = ˙v(t) = ¨s(t)<br />

die Beschleunigung in Funktion der Zeit. Nach dem Newtonschen Beschleunigungsprinzip<br />

lautet die Bewegungsgleichung<br />

m¨s = F,<br />

wobei F die Summe aller wirkenden Kräfte ist.<br />

Vier verschiedene Fälle wollen wir nun betrachten:<br />

1. Die Kraft ist nur eine Funktion der Zeit<br />

m¨s = F(t).<br />

Die Differenzialgleichung lässt sich durch zweimaliges Integrieren lösen (vgl. Kapitel<br />

21.11). Ein Beispiel dazu ist der freie Fall ohne Luftwiderstand im Gravitationsfeld der<br />

Erde (vgl. Kapitel 22.1).<br />

1 Der Punkt bedeutet die Ableitung nach der Zeit t, d.h. ṡ(t) = ds<br />

dt (t).<br />

397


398 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

Abbildung 22.0.i: Sir Isaac Newton, 1643-1727<br />

2. Die Kraft ist eine Funktion der Geschwindigkeit<br />

m¨s = F(ṡ).<br />

Die Differenzialgleichung lässt sich durch Substitution v = ṡ auf eine Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung zurückführen (vgl. Kapitel 21.11). Ein Beispiel dazu ist der freie<br />

Fall mit Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit oder zur Geschwindigkeit im<br />

Quadrat (vgl. Kapitel 22.1).<br />

3. Die Kraft ist eine Funktion des Weges<br />

m¨s = F(s).<br />

Wir betrachten nur den Spezialfall F(s) = κs, was einer Differenzialgleichung zweiter<br />

Ordnung mit konstanten Koeffizienten ergibt. Ein Beispiel dazu ist die Rückführungskraft<br />

einer Feder (vgl. Kapitel 22.3).<br />

4. Die Kraft ist eine Funktion des Weges und der Geschwindigkeit<br />

m¨s = F(s,ṡ).<br />

Ein Beispiel dazu ist die Differenzialgleichung der gedämpften Schwingung (vgl. Kapitel<br />

22.3).<br />

22.1 Freier Fall mit und ohne Luftwiderstand<br />

1. Ohne Luftwiderstand<br />

Beim freien Fall im Gravitationsfeld der Erde ohne Luftwiderstand ergibt sich die zu lösende<br />

Differenzialgleichung<br />

m¨s = mg,<br />

wobei m die Masse des fallenden Objektes und g = 9.81ms −2 die Erdbeschleunigung ist.<br />

Wir suchen die partikuläre Lösung zu den Anfangsbedingungen s(0) = s 0 und v(0) = v 0 . Die


22.1. Freier Fall mit und ohne Luftwiderstand 399<br />

Differenzialgleichung lässt sich einfach integrieren und wir erhalten<br />

v(t) = ṡ(t) = v 0 +gt<br />

s(t) = s 0 +v 0 t+ g 2 t2 ,<br />

wobei s 0 die Anfangshöhe und v 0 die Anfangsgeschwindigkeit ist. Wir stellen fest, dass beim<br />

freien Fall ohne Luftwiderstand die Geschwindigkeit linear zunimmt (vgl. Abbildung 22.1.i).<br />

2. Viskose Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit (Stokessche Reibung)<br />

Beim Fall einer Kugel im Gravitationsfeld der Erde mit Luftwiderstand proportional zur<br />

Geschwindigkeit ergibt sich die zu lösende Differenzialgleichung<br />

m¨s = mg−6πηRṡ,<br />

wobei m die Masse des Objekts, R der Radius der fallenden Kugel, g = 9.81ms −2 die Erdbeschleunigung<br />

und η = 20.29·10 −6 kgm −1 s −1 die dynamische Viskosität von Luft bei<br />

Zimmerbedingungen bezeichnet. Dieses Modell ist bei laminarer Umströmung des fallenden<br />

Objekts zu verwenden, so genannte Stokessche Reibung. Wir suchen die partikuläre<br />

Lösung zu den Anfangsbedingungen s(0) = s 0 und v(0) = v 0 .<br />

Wirsetzenq = 6πηR undsubstituierenv = ṡunderhaltendiezulösendeDifferenzialgleichung<br />

˙v + q m v = g.<br />

Die homogene Lösung lautet<br />

v h (t) = Ce − q m t<br />

Für die inhomogene Lösung machen wir den Ansatz gemäss der Theorie v p (t) = A. Durch<br />

Einsetzen und Koeffizientenvergleich folgt sogleich A = mg<br />

q<br />

. Damit haben wir die allgemeine<br />

Lösung<br />

v(t) = mg<br />

q +Ce− q m t<br />

s(t) = mg<br />

q t− m q Ce− q m t +D,<br />

wobei<br />

( )<br />

C = v 0 − mg<br />

q<br />

und D = s 0 + m q<br />

(<br />

v 0 − mg<br />

q<br />

)<br />

aus der Anfangshöhe s 0 und der Anfangsgeschwindigkeit v 0 bestimmt werden. Beim Fall mit<br />

Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit gibt es eine Grenzgeschwindigkeit<br />

(vgl. Abbildung 22.1.i).<br />

v End = lim<br />

t→∞<br />

v(t) = mg<br />

q = mg<br />

6πηR


400 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

3. Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit im Quadrat<br />

Beim Fall im Gravitationsfeld der Erde mit Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit<br />

im Quadrat ergibt sich die zu lösende Differenzialgleichung<br />

m¨s = mg−c w<br />

ρA<br />

2 ṡ2 ,<br />

wobei m die Masse des Objekts, g = 9.81ms −2 die Erdbeschleunigung, c w den Widerstandsbeiwert,<br />

ρ = 1.2929kgm −3 die Dichte der Luft und A die Anströmfläche bezeichnet.<br />

Diese Model ist bei turbulenter Umströmung des fallenden Objekts und bei hohen<br />

Geschwindigkeiten zu verwenden. Wir suchen die partikuläre Lösung zu den Anfangsbedingungen<br />

s(0) = s 0 und v(0) = v 0 .<br />

ρA<br />

Wirsetzenk = c w 2<br />

undsubstituierenv = ṡunderhaltendiezulösendeDifferenzialgleichung<br />

˙v = g− k m v2 .<br />

Diese lässt sich durch Separation der Variablen lösen (vgl. Kapitel 21.6). Es folgt<br />

∫ ∫<br />

dv<br />

dt =<br />

g− k m v2<br />

Integration ergibt<br />

also folgt<br />

t+C =<br />

√<br />

m<br />

gk artanh (√<br />

k<br />

mg v )<br />

,<br />

√ (√ )<br />

v(t) = mg<br />

k tanh gk<br />

m (t+C)<br />

(√<br />

s(t) = m k<br />

(cosh ln gk<br />

m<br />

))+D, (t+C)<br />

wobei<br />

C =<br />

√<br />

m<br />

gk artanh (√<br />

k<br />

mg v 0<br />

)<br />

und D = s 0 + m k ln (√1− k mg v2 0<br />

)<br />

aus der Anfangshöhe s 0 und der Anfangsgeschwindigkeit v 0 bestimmt werden. 2 Beim Fall mit<br />

Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit im Quadrat gibt es eine Grenzgeschwindigkeit<br />

√ √<br />

mg 2mg<br />

v End = lim v(t) =<br />

t→∞ k = c w ρA<br />

(vgl. Abbildung 22.1.i).<br />

In der nachfolgenden Abbildung vergleichen wir die Weg-Zeit-Diagramme aller drei Fälle.<br />

Interessiert uns das Flugverhalten eines Fallschirmspringers im freien Fall vor dem Öffnen des<br />

Fallschirms, so ist das Modell mit Luftwiderstand im Quadrat geeignet. Wollen wir hingegen<br />

wissen,wielangeeinKreidestückbraucht,umamBodenaufzuschlagen,wenneswiedereinmal<br />

dem Dozenten aus der Hand fällt, können wir ruhig ohne Luftwiderstand rechnen. Wenn der<br />

2 Wir benutzten die Beziehung cosh(artanh(x)) =<br />

√ 1 (vgl. Kapitel 9).<br />

1−x2


22.2. Randwertprobleme, Eigenwerte und Eigenfunktionen 401<br />

v<br />

ohne Luftwiderstand<br />

v End<br />

v<br />

mit Luftwiderstand ∼ v<br />

v End<br />

v<br />

mit Luftwiderstand ∼ v 2<br />

t<br />

t<br />

t<br />

Abbildung 22.1.i: Das Geschwindigkeit-Zeit-Diagramm des freien Falls ohne Luftwiderstand<br />

(links), mit Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit (mitte) und proportional zur<br />

Geschwindigkeit im Quadrat (rechts).<br />

Luftwiderstand nicht vernachlässigbar ist und das fallende Objekt turbulent umströmt wird,<br />

so rechnen wir mit Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit im Quadrat. Sind hingegen<br />

moderate Geschwindigkeiten und eine laminare Umströmung des Objekts zu erwarten,<br />

so rechnen wir mit Luftwiderstand proportional zur Geschwindigkeit. Für kleine Flugzeiten<br />

kommt es nicht auf die Wahl des Modells an, da die drei Kurven zu Beginn fast alle identisch<br />

sind.<br />

22.2 Randwertprobleme, Eigenwerte und Eigenfunktionen<br />

Als Beispiel eines klassischen Randwertproblems betrachten wir die Eulersche Knicklast.<br />

Ein schlanker Stab werde in Richtung seiner Achse durch die Kraft F belastet. Die Enden<br />

seien je nach Situation verschiedenartig gelagert oder eingemauert. Vorerst betrachten wir<br />

die Situation, wo beide Enden beweglich gelagert sind (vgl. Abbildung 22.2.i). Der Stab kann<br />

nach allen Seiten ausbrechen. Die Enden können sich aber nicht seitlich verschieben. Es stellt<br />

sich die Frage: wie gross ist die Kraft F, bei der der Stab seitlich ausknickt?<br />

F<br />

•<br />

y<br />

l<br />

•<br />

x<br />

Abbildung 22.2.i: Ein schlanker Stab, der in Richtung seiner Achse durch die Kraft F belastet<br />

wird. Beide Enden sind beweglich gelagert, d.h. y(0) = y(l) = 0.


402 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

Das Problem wird durch die Differenzialgleichung der elastischen Linie 3<br />

y ′′<br />

√<br />

1+y ′2 3 = −M EI<br />

beschrieben. Da die Durchbiegung des Stabes in den meisten Fällen sehr klein gegenüber<br />

der Stablänge l ist, ist y ′ , das als Tangenswert des Auslenkwinkels gedeutet werden kann,<br />

sehr klein, und y ′2 kann gegenüber 1 vernachlässigt werden. Die Differenzialgleichung der<br />

elastischen Linie nimmt dann die wesentlich einfacher zu lösende Form an:<br />

y ′′ = − M EI ,<br />

wobei E das Elastizitätsmodul, I das axiale Flächenmoment des Stabquerschnitts<br />

und<br />

M(y) = Fy<br />

das Biegemoment angepasst an unsereSituation darstellen. Wir erhalten also die zu lösende<br />

Differenzialgleichung<br />

Wir setzen<br />

y ′′ = − F EI y.<br />

a 2 = F EI<br />

und erhalten die homogene lineare Differenzialgleichung zweiter Ordnung<br />

y ′′ +a 2 y = 0.<br />

Die charakteristische Gleichung k 2 +a 2 = 0 hat die konjugiert komplexen Lösungen k 1 = ia<br />

und k 2 = −ia. Also ist die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung<br />

y(x) = Acos(ax)+Bsin(ax),<br />

wobei wir jetzt die Konstanten A und B aus den Randbedingungen bestimmen. Die aus der<br />

Problemstellung gegebenen Randbedingungen lauten y(0) = y(l) = 0. Es folgt unmittelbar<br />

aus y(0) = A = 0 und<br />

y(l) = Bsin(al) = 0<br />

(mit B ≠ 0, da wir sonst keine Auslenkung haben), dass sin(al) = 0 sein muss. Dies ist aber<br />

nur der Fall, wenn<br />

al = nπ mit n ∈ {1,2,3,...}<br />

oder wenn<br />

a n = nπ<br />

l<br />

=<br />

√<br />

Fn<br />

EI .<br />

3 Herleitung: Wird ein Stab von konstantem Querschnitt durch ein positives Moment M auf Biegung<br />

beansprucht, so wirken auf der einen Seite Zugspannungen, verbunden mit einer Verlängerung der Fasern und<br />

auf der anderen Seite Druckspannungen, verbunden mit einer Verkürzung der Fasern. In der Mitte befindet<br />

sich dann eine Schicht, die ihre Länge beibehält. Die Krümmungdes Stabes (vgl. Gleichung 5.6.a) k =<br />

ist nun proportional zum wirkenden Moment M (vgl. [19], Seiten 87ff).<br />

y ′′<br />

√1+y ′2 3


22.2. Randwertprobleme, Eigenwerte und Eigenfunktionen 403<br />

Die a n heissen Eigenwerte des Randwertproblems. Aus all dem folgt nun<br />

n 2 π 2<br />

l 2<br />

= F n<br />

EI<br />

und somit F n = n2 π 2<br />

l 2 EI.<br />

Der Bruch findet beim kleinsten Wert von F statt, das heisst bei n = 1. Die Kraft<br />

F 1 = π2<br />

l 2 EI.<br />

heisst Eulersche Knicklast. Würde es gelingen, diese erste Knicklast zu übersteigen, ohne<br />

dass ein Bruch entsteht, würde erst bei der nächst höheren Kraft F 2 die nächste Bruchgefahr<br />

auftreten.<br />

Die Lösungen zu den Randwertproblemen heissen Eigenfunktionen. Wir erhalten in diesem<br />

Fall die folgenden Eigenfunktionen<br />

( nπ<br />

)<br />

y n (x) = Bsin(a n x) = Bsin<br />

l x mit n ∈ {1,2,3,...}.<br />

Die Biegelinie ist eine Sinuskurve, die durch die erste Eigenfunktion<br />

( π<br />

)<br />

y 1 (x) = Bsin<br />

l x<br />

beschrieben wird. Die Konstante B würde erst mit einer weiteren Bedingung, zum Beispiel<br />

der maximalen Auslenkung, bestimmt.<br />

n = 1<br />

n = 2<br />

n = 3<br />

n = 4<br />

n = 5<br />

n = 6<br />

n = 7<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

y<br />

l l l<br />

l<br />

l l l<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

x<br />

x<br />

x<br />

x<br />

x<br />

x<br />

x<br />

Abbildung 22.2.ii: Eigenfunktionen bei einem Randwertproblem<br />

An diesem Beispiel sehen wir das Typische eines so genannten Randwertproblems: Die Lösungen<br />

der Differenzialgleichung zu den vorgegebenen Randbedingungen sind nur bei einer<br />

speziellen Wahl von bestimmten Konstanten, den Eigenwerten, möglich. Analoge Situationen<br />

finden wir auch bei der schwingenden Saite und in der Quantenmechanik, zum Beispiel bei<br />

den diskreten Energieniveaus des Elektrons im Wasserstoffatom.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 22.2.1. Bestimmen Sie für den Fall y(0) = 0 und y ′ (l) = 0 (vgl. Abbildung 22.2.iii,<br />

links) die Knicklast, die Eigenwerte und die Eigenfunktionen.


404 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

F<br />

F<br />

•<br />

y<br />

y<br />

l<br />

l<br />

x<br />

x<br />

Abbildung22.2.iii: Mögliche andereFälle desEinspannensdesStabesfürdenAnsatzmiteiner<br />

Differenzialgleichung zweiter Ordnung. Links y(0) = 0,y ′ (l) = 0 und rechts y ′ (0) = y ′ (l) = 0.<br />

Aufgabe 22.2.2. Bestimmen Sie für den Fall y ′ (0) = 0 und y ′ (l) = 0 (vgl. Abbildung22.2.iii,<br />

rechts) die Knicklast, die Eigenwerte und die Eigenfunktionen.<br />

22.3 Die freie Schwingung<br />

Ein schwingfähiges System wird einmal angestossen und dann sich selbst überlassen oder in<br />

eine Auslenkung gebracht und dann angestossen. Es seien keine von aussen wirkende Kräfte<br />

vorhanden. Im Allgemeinen wirken auf die Masse m folgende zwei Kräfte:<br />

Feder κ Dämpfung r Masse m Führung<br />

•<br />

Abbildung 22.3.i: Ein schwingfähiges System mit Dämpfung.<br />

0<br />

s<br />

1. Die rücktreibende Federkraft ist proportional zur Auslenkung aus der Ruhelage,<br />

wobei die Kraft stets nach der Ruhelage gerichtet ist<br />

F Feder = −κs.<br />

Es bezeichnet κ die Federkonstante [in Nm −1 ].<br />

2. Die Dämpfungskraft, dargestellt durch einen Öldämpfer, ist proportional zur Geschwindigkeit<br />

und deren Richtung der Bewegung entgegengesetzt<br />

F Dämpfung = −rṡ.<br />

Es bezeichnet r die Dämpfungskonstante [in Nsm −1 ].


22.3. Die freie Schwingung 405<br />

Wenn wir die Federmasse vernachlässigen, so gilt nach Newtons Kraftgesetz<br />

m¨s = F Total = F Dämpfung +F Feder .<br />

Dies ist die Differenzialgleichung einer freien Schwingung<br />

m¨s+rṡ+κs = 0.<br />

Wir gehen über zur normierten linearen homogenen Differenzialgleichung zweiter Ordnung<br />

¨s+2ρṡ+ω 2 0s = 0 mit ρ = r<br />

2m und ω2 0 = κ m .<br />

Der Ansatz s(t) = e kt ergibt die charakteristische Gleichung<br />

k 2 +2ρk +ω 2 0 = 0<br />

mit den Lösungen<br />

√<br />

√<br />

k 1,2 = −ρ± ρ 2 −ω0 2 = −ρ±ω 0<br />

ρ 2<br />

ω0<br />

2<br />

−1 = −ρ±ω 0<br />

√D 2 −1,<br />

wobei das Verhältnis D = ρ ω 0<br />

als Dämpfungsgrad bezeichnet wird. Nun wollen wir je nach<br />

Wert des Dämpfungsgrades vier Fälle unterscheiden:<br />

1. Ungedämpfte Schwingung, wenn D = 0: In diesem Fall gilt ρ = 0 und somit auch<br />

r = 0. Es hat also, wie der Name schon sagt, keine Dämpfung. Also vereinfachen sich<br />

die Nullstellen der charakteristischen Gleichung zu<br />

k 1,2 = ±iω 0 ,<br />

und die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung lautet dann<br />

s h (t) = Asin(ω 0 t)+Bcos(ω 0 t).<br />

Diese Funktion lässt sich als reine Sinusfunktion schreiben, indem wir die beiden freien<br />

Konstanten A und B in Polarkoordinaten ausdrücken<br />

A = Rcos(ϕ) und B = Rsin(ϕ).<br />

Dann folgt mit dem Additionstheorem für den Sinus<br />

s h (t) = Asin(ω 0 t)+Bcos(ω 0 t)<br />

= Rcos(ϕ)sin(ω 0 t)+Rsin(ϕ)cos(ω 0 t)<br />

= Rsin(ω 0 t+ϕ).<br />

Da es sich um einen Koordinatenwechsel (A,B) ⇄ (R,ϕ) handelt, lassen sich R und ϕ<br />

aus A und B wie folgt bestimmen 4<br />

R = √ A 2 +B 2<br />

4 Wenn A = 0 ist der Quotient B A<br />

und ϕ = arctan ( B<br />

A)<br />

wenn A ≠ 0.<br />

unbestimmt, und wir müssen die folgende Fallunterscheidung machen<br />

{ π<br />

wenn B > 0,<br />

ϕ =<br />

2<br />

− π wenn B < 0.<br />

2


406 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

Die reellen Konstanten A,B respektive R,ϕ sind aus den Anfangsbedingungen zu bestimmen.<br />

Der Verlauf der Schwingung hängt von den Anfangsbedingungen ab. Der<br />

Faktor R heisst Amplitude, das Argument ω 0 t+ϕ die Phase und ϕ die Phasenverschiebung.<br />

Die Periode T folgt aus der Bedingung<br />

also<br />

ω 0 (t+T)+ϕ = ω 0 t+ϕ+2π,<br />

T = 2π<br />

ω 0<br />

.<br />

Die Verschiebung der Sinuskurve ergibt sich mit ω 0 t + ϕ = 0, also ist t = − ϕ ω 0<br />

(vgl.<br />

Abbildung 22.3.ii).<br />

R<br />

s<br />

− ϕ ω 0<br />

t<br />

−R<br />

T = 2π<br />

ω 0<br />

Abbildung 22.3.ii: Keine Dämpfung, d.h. D = 0, Verschiebung der Sinuskurve um t = − ϕ ω 0<br />

.<br />

2. Gedämpfte Schwingung, wenn 0 < D < 1: In diesem Fall gilt ρ < ω 0 , das heisst die<br />

Dämpfung ist klein gegenüber der rücktreibenden Kraft. Die Nullstellen der charakteristischen<br />

Gleichung sind dann komplex konjugiert<br />

k 1,2 = −ρ±ω 0<br />

√<br />

D 2 −1 = −ρ±iω 0<br />

√<br />

1−D 2 = −ρ±iω<br />

mit ω = ω 0<br />

√<br />

1−D 2 . Die Eigenfrequenz ω weicht umso mehr von der Eigenfrequenz<br />

des ungedämpften Systems ω 0 ab, je grösser der Dämpfungsgrad D ist. Nun erhalten<br />

wir die allgemeine reelle Lösung<br />

s h (t) = e −ρt (Asin(ωt)+Bcos(ωt)) = Re −ρt sin(ωt+ϕ)<br />

mit R = √ A 2 +B 2 und ϕ = arctan ( B<br />

A)<br />

(vgl. 1. Fall der ungedämpften Schwingung).<br />

Die reellen Konstanten A,B respektive R,ϕ sind aus den Anfangsbedingungen zu bestimmen.<br />

Diskussion der Kurve: Da |sin(x)| ≤ 1 ist, verläuft die Kurve innerhalb der beiden<br />

einhüllenden Kurven<br />

s + (t) = Re −ρt und s − (t) = −Re −ρt .<br />

Also gilt<br />

lim<br />

t→∞ s h(t) = 0.


22.3. Die freie Schwingung 407<br />

R<br />

R sin(ϕ)<br />

s<br />

Re −ρt<br />

−Re −ρt<br />

t<br />

−R<br />

T = 2π ω<br />

Abbildung 22.3.iii: Dämpfungsgrad 0 < D < 1. Die einhüllenden Kurven sind s + (t) = Re −ρt<br />

und s − (t) = −Re −ρt .<br />

Wir sagen, s h sei gedämpft periodisch. Analog wie im 1. Fall der ungedämpften Schwingung<br />

folgt<br />

T = 2π ω<br />

für die Periode der ungedämpften Schwingung und t = − ϕ ω<br />

für die Verschiebung<br />

der Kurve. Dort wo |sin(ωt + ϕ)| = 1 fallen s h und s + , resp. s − zusammen. Diese<br />

Berührungspunkte sind aber nicht die Extremwerte der Amplitude, wenn D > 0.<br />

3. Aperiodischer Grenzfall, wenn D = 1: In diesem Fall gilt ρ = ω 0 , und die charakteristische<br />

Gleichung hat eine doppelte reelle Nullstelle k 1,2 = −ρ. Die allgemeine Lösung<br />

der Differenzialgleichung lautet dann<br />

s h (t) = (C 1 t+C 2 )e −ρt .<br />

Die reellen Konstanten C 1 und C 2 sind aus den Anfangsbedingungen zu bestimmen.<br />

In diesem Fall ist die Dämpfung gerade so stark, dass es gerade nicht mehr zu einer<br />

Schwingung kommt. Auch hier gilt<br />

lim s h(t) = 0.<br />

t→∞<br />

4. Aperiodische Bewegung, wenn D > 1: In diesem Fall gilt ρ > ω 0 , also herrscht eine<br />

starke Dämpfung des Systems. Die charakteristische Gleichung hat zwei verschiedene<br />

reelle Nullstellen<br />

k 1,2 = −ρ±ω 0<br />

√D 2 −1 = −ρ±w<br />

√<br />

mit w = ω 0 D 2 −1 = √ ρ 2 −ω0 2 . Die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung<br />

lautet dann<br />

s h (t) = e −ρt( C 1 e wt +C 2 e −wt) .<br />

Die reellen Konstanten C 1 und C 2 sind aus den Anfangsbedingungen zu bestimmen. In<br />

diesem Fall ist die Dämpfung so stark, dass es gar nicht zu einer Schwingung kommt.<br />

Da ρ > w folgt auch in diesem Fall<br />

lim s h(t) = 0.<br />

t→∞


408 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

s<br />

D=0.9<br />

R<br />

D=0.6<br />

D=1<br />

D=0.3<br />

t<br />

Abbildung 22.3.iv: Gedämpfte Schwingung 0 < D < 1 bei gleichen Anfangsbedingungen. Die<br />

graue Kurve entspricht dem aperiodischen Grenzfall D = 1.<br />

s<br />

D=2<br />

C 1 + C 2<br />

D=1<br />

D=1.5<br />

D=1.2<br />

Abbildung 22.3.v: Aperiodische Bewegung mit bei verschiedenen Dämpfungsgraden D > 1<br />

bei gleichen Anfangsbedingungen. Die graue Kurve entspricht dem aperiodischen Grenzfall<br />

D = 1.<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 22.3.1. Bestimmen Sie für die freie Schwingung die partikuläre Lösung, die der<br />

allgemeinen Anfangslage s(0) = s 0 und ṡ(0) = v 0 genügt<br />

t<br />

a. wenn D = 0,<br />

b. wenn 0 < D < 1,<br />

c. wenn D = 1,<br />

d. wenn D > 1.<br />

Aufgabe 22.3.2. Bestimmen Sie für die freie Schwingung die partikuläre Lösung, die dem<br />

Anstoss aus der Ruhelage s(0) = 0 und ṡ(0) = v 0 genügt<br />

a. wenn 0 < D < 1, b. wenn D > 1.<br />

Aufgabe 22.3.3. Bestimmen Sie für die freie gedämpfte Schwingung die partikuläre Lösung,<br />

die der Auslenkung aus der Ruhelage s(0) = s 0 und ṡ(0) = 0 genügt.<br />

Aufgabe 22.3.4. Bestimmen Siedie Lage der Extremwerte fürs h im aperiodischen Grenzfall<br />

bei der allgemeinen Anfangslage s(0) = s 0 und ṡ(0) = v 0 .


22.3. Die freie Schwingung 409<br />

Aufgabe 22.3.5. Zeigen Sie, dass im Fall der aperiodischen Bewegung die allgemeine Lösung<br />

der Schwingungsdifferenzialgleichung in der Form<br />

√<br />

s h (t) = e −ρt (Asinh(wt)+Bcosh(wt)) mit w = ρ 2 −ω0<br />

2<br />

geschrieben werden kann.<br />

Aufgabe 22.3.6. Zeigen Sie für den aperiodischen Grenzfall und für die aperiodische Bewegung,<br />

dass<br />

lim<br />

t→∞ s h(t) = 0.<br />

Aufgabe 22.3.7. Bestimmen Sie den zeitlichen Verlauf der folgenden Schwingungsvorgänge.<br />

a. ¨s+16s = 0 mit s(0) = 0 und ṡ(0) = 8<br />

b. ¨s+10ṡ+100s = 0 mit s(0) = 4 und ṡ(0) = 0<br />

c. ¨s+20ṡ+100s = 0 mit s(0) = 0 und ṡ(0) = 1<br />

Stellen Sie die Lösungen wenn möglich als Sinusfunktion mit einer Phasenverschiebung dar.<br />

Lösungen<br />

Lösung 22.3.1.<br />

√<br />

a. s p (t) =<br />

b. s p (t) =<br />

s 2 0 + v2 0<br />

ω 2 0<br />

sin(ω 0 t+ϕ) mit tan(ϕ) = ω 0s 0<br />

v 0<br />

√<br />

s 2 0 + (v 0+ρs 0 ) 2<br />

ω 2 e −ρt sin(ωt+ϕ) mit tan(ϕ) = ωs 0<br />

v 0 +ρs 0<br />

c. s p (t) = ((v 0 +ρs 0 )t+s 0 )e −ρt<br />

d. s p (t) = 1<br />

2w e−ρt( (v 0 +s 0 (ρ+w))e wt −(v 0 +s 0 (ρ−w))e −wt)<br />

Lösung 22.3.2.<br />

a. s p (t) = v 0<br />

ω<br />

e −ρt sin(ωt)<br />

b. s p (t) = v 0<br />

2w e−ρt( e wt −e −wt)<br />

Lösung 22.3.3. s p (t) = s 0<br />

√<br />

1+ ρ2<br />

ω 2 e −ρt sin(ωt+ϕ) mit tan(ϕ) = ω ρ<br />

Lösung 22.3.4. t Extrema =<br />

v 0<br />

ρ(v 0 +ρs 0 )<br />

Lösung 22.3.5. Benutzen Sie die Definitionen von sinh und cosh.<br />

Lösung 22.3.6. kein Hinweis<br />

Lösung 22.3.7.<br />

a. s p (t) = 2sin(4t)<br />

b. s p (t) = 8 √<br />

3<br />

e −5t sin(5 √ 3t+ π 3 )<br />

c. s p (t) = te −10t


410 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

22.4 Die erzwungene Schwingung<br />

Das schwingfähige System aus Kapitel 22.3 wird nun zusätzlich durch eine kosinusförmige<br />

Störkraft<br />

F Störkraft (t) = p 0 mcos(ω 1 t)<br />

gestört. Dabei bezeichnen p 0 m ≥ 0 die maximale Kraft und ω 1 ≥ 0 die Kreisfrequenz der<br />

Störung.Die normiertelineareinhomogene Differenzialgleichung zweiter Ordnunglautet dann<br />

Feder κ 2<br />

Dämpfung r Masse m Feder κ 2<br />

Führung<br />

Antrieb<br />

•<br />

ω 1<br />

•<br />

•<br />

•<br />

•<br />

0<br />

Abbildung 22.4.i: Ein schwingfähiges System mit Dämpfung und Antrieb.<br />

s<br />

¨s+2ρṡ+ω 2 0s = p 0 cos(ω 1 t) mit ρ = r<br />

2m und ω2 0 = κ m .<br />

Es bedeuten m die Masse, r die Dämpfungskonstante und κ die Federkonstante.<br />

Die homogene Differenzialgleichung zweiter Ordnunghaben wir in Kapitel 22.3 bereits gelöst.<br />

Wir erhielten mit der Fallunterscheidung des Dämpfungsgrades D = ρ ω 0<br />

die allgemeinen<br />

homogenen Lösungen:<br />

1. Wenn D = 0, dann s h (t) = Rsin(ω 0 t+ϕ).<br />

2. Wenn 0 < D < 1, dann s h (t) = Re −ρt sin(ωt+ϕ) mit ω = ω 0<br />

√<br />

1−D 2 .<br />

3. Wenn D = 1, dann s h (t) = (C 1 t+C 2 )e −ρt .<br />

4. Wenn D > 1, dann s h (t) = e −ρt( C 1 e wt +C 2 e −wt) mit w = ω 0<br />

√<br />

D 2 −1.<br />

Der Ansatz für eine partikuläre Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung zweiter Ordnung<br />

lautet der Theorie entsprechend 5<br />

also<br />

s 1 (t) = Asin(ω 1 t)+Bcos(ω 1 t),<br />

ṡ 1 (t) = ω 1 Acos(ω 1 t)−ω 1 Bsin(ω 1 t),<br />

¨s 1 (t) = −ω 2 1Asin(ω 1 t)−ω 2 1Bcos(ω 1 t).<br />

5 Die Eigenfunktion s h kann nur im Fall D = 0 vom gleichen Typ sein wie die Störfunktion. Somit müssen<br />

wir den Ansatz im Fall D = 0, wenn ω 1 = ω 0 ist, wie folgt modifizieren<br />

s 1(t) = (A 1t+A 0)sin(ω 1t)+(B 1t+B 0)cos(ω 1t)<br />

(Resonanzfall). Diesen Ansatz werden wir nicht explizit durchrechnen (vgl. Diskussion der Amplitude im<br />

stationären Zustand für Schwingungen).


22.4. Die erzwungene Schwingung 411<br />

Eingesetzt in die inhomogene Differenzialgleichung ergibt sich<br />

−ω 2 1Asin(ω 1 t)−ω 2 1Bcos(ω 1 t)+2ρω 1 Acos(ω 1 t)−2ρω 1 Bsin(ω 1 t)<br />

dann erfolgt ein Koeffizientenvergleich.<br />

+ω 2 0 Asin(ω 1t)+ω 2 0 Bcos(ω 1t) = p 0 cos(ω 1 t),<br />

Der Koeffizientenvergleich von sin(ω 1 t) ergibt −ω 2 1 A−2ρω 1B +ω 2 0 A = 0.<br />

Der Koeffizientenvergleich von cos(ω 1 t) ergibt 2ρω 1 A−ω 2 1B +ω 2 0B = p 0 .<br />

Dies ergibt das lineare Gleichungssystem<br />

(ω 2 0 −ω 2 1)A −2ρω 1 B = 0<br />

2ρω 1 A+(ω 2 0 −ω2 1 )B = p 0,<br />

dessen Lösungen wir mit der Cramerschen Regel 6 bestimmen. Wir finden<br />

( ) 0 −2ρω1<br />

det<br />

p 0 ω0 2 A =<br />

−ω2 1 2p<br />

( ω<br />

2<br />

det 0 −ω1 2 ) 0 ω 1 ρ<br />

=<br />

−2ρω 1 (ω<br />

2ρω 1 ω0 2 0 2 −ω2 1 )2 +4ρ 2 ω 2 ,<br />

1<br />

−ω2 1<br />

( ω<br />

2<br />

det 0 −ω 2 )<br />

1 0<br />

2ρω 1 p 0 p<br />

B = ( ω<br />

2<br />

det 0 −ω1 2 ) 0 (ω0 2 =<br />

−ω2 1 )<br />

−2ρω 1 (ω<br />

2ρω 1 ω0 2 0 2 −ω2 1 )2 +4ρ 2 ω 2 .<br />

1<br />

−ω2 1<br />

Wiederum bringen wir diese Lösung auf die Form<br />

s 1 (t) = Ksin(ω 1 t+ψ)<br />

mit<br />

und<br />

K = √ A 2 +B 2 =<br />

p 0<br />

√<br />

(ω<br />

2<br />

0 −ω 2 1 )2 +4ρ 2 ω 2 1<br />

ψ = arctan ( (<br />

)<br />

B ω<br />

2<br />

A = arctan 0 −ω1<br />

2 )<br />

.<br />

2ω 1 ρ<br />

6 Cramersche Regel: Wir betrachten das lineare Gleichungssystem Ax = b. Es seien<br />

⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />

a 11 ··· a 1n b 1<br />

⎜<br />

A =<br />

⎝<br />

.<br />

. ..<br />

. ⎟ ⎜ .. ⎠ und b =<br />

. ⎟<br />

⎝ .. ⎠<br />

··· a nn b n<br />

a n1<br />

gegeben. Wenn det(A) ≠ 0, dann besitzt Ax = b genau eine Lösung<br />

⎛<br />

⎞<br />

a 11 ··· a 1i−1 b 1 a 1i+1 ··· a 1n<br />

⎜<br />

⎛ ⎞ det<br />

⎝<br />

.<br />

x 1<br />

. ..<br />

. ..<br />

. ..<br />

. .. . ..<br />

. ..<br />

⎟<br />

⎠<br />

⎜<br />

x =<br />

⎟<br />

a n1 ··· a ni−1 b n a ni+1 ··· a nn<br />

⎝<br />

. ⎠, wobei x i =<br />

.<br />

det(A)<br />

x n


412 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

Somit lautet die allgemeine Lösung der Differenzialgleichung der erzwungenen Schwingung<br />

s(t) = s h (t)+s 1 (t).<br />

Aufgeschlüsselt nach den verschiedenen Graden der Dämpfung ergibt sich:<br />

1. Wenn D = 0, dann s(t) = Rsin(ω 0 t+ϕ)+Ksin(ω 1 t+ψ).<br />

2. Wenn 0 < D < 1, dann s(t) = Re −ρt sin(ωt+ϕ)+Ksin(ω 1 t+ψ), ω = ω 0<br />

√<br />

1−D 2 .<br />

3. Wenn D = 1, dann s(t) = (C 1 t+C 2 )e −ρt +Ksin(ω 1 t+ψ).<br />

4. Wenn D > 1, dann s(t) = e −ρt( C 1 e wt +C 2 e −wt) +Ksin(ω 1 t+ψ), w = ω 0<br />

√<br />

D 2 −1.<br />

Die verschiedenen Konstanten werden unterschiedlich definiert:<br />

• Die Konstanten R und ϕ, resp. C 1 und C 2 , sind durch die Anfangsbedingungen festgelegt.<br />

• Die Konstanten K und ψ sind abhängig von ρ,ω 0 ,ω 1 und p 0 , also durch das System<br />

und die einwirkende Störkraft gegeben.<br />

FürdieAnwendunginteressiertebensoderGrenzfallwennt → ∞,dersogenanntestationäre<br />

Zustand. Falls D > 0 gilt lim t→∞ s h (t) = 0, also folgt im stationären Zustand<br />

s(t) ≈ s 1 (t).<br />

s<br />

1<br />

1<br />

t<br />

Abbildung 22.4.ii: Die graue Kurve ist die gedämpfte Eigenschwingung des Systems mit<br />

R = 2.5,ϕ = π 6<br />

und Dämpfungsgrad D = 0.4. Die schwarze Kurve zeigt die erzwungene<br />

Schwingung mit ω 1 = 5ω und K = 0.25. Nach dem Einschwingvorgang sehen wir nur noch<br />

den stationären Zustand.<br />

Zusammenfassung<br />

Die Lösung der Differenzialgleichung der erzwungenen Schwingung besteht<br />

1. aus der von den Anfangsbedingungen abhängigen Lösung der homogenen Differenzialgleichung<br />

der freien Schwingung, die wesentlich zum Einschwingvorgang beiträgt und


22.4. Die erzwungene Schwingung 413<br />

2. aus der nur von den Systemparametern ρ,ω 0 und den Parametern der Störkraft ω 1 ,p 0<br />

abhängigen partikulären Lösung der inhomogenen Differenzialgleichung, welche die ungedämpfte<br />

Schwingung des stationären Zustands nach Abklingen des Einschwingvorgangs<br />

im Falle von D > 0 beschreibt. Falls D = 0 gibt es keinen abklingenden Einschwingvorgang.<br />

Diskussion der Amplitude im stationären Zustand für Schwingungen<br />

Es stellt sich die Frage für welche Störfrequenz ω 1 die Amplitude<br />

p 0<br />

K(ω 1 ) = √<br />

(ω<br />

2<br />

0 −ω1 2)2 +4ρ 2 ω1<br />

2<br />

bei festen Parametern p 0 ,ω 0 und ρ am grössten wird?<br />

K<br />

D=0<br />

D=0.05<br />

D=0.08<br />

D=0.12<br />

D=0.5<br />

D=0.2<br />

ω 0<br />

ω 1<br />

Abbildung 22.4.iii: Resonanzkurven bei verschiedenen Dämpfungsgraden 0 ≤ D < 1.<br />

Nun diskutieren wir die Amplitude wenn 0 ≤ D < 1:<br />

1. Ungedämpfte erzwungene Schwingung, D = 0: Die Amplitude vereinfacht sich<br />

wegen ρ = 0 zu<br />

{ p0<br />

wenn ω<br />

ω0 K(ω 1 ) =<br />

2−ω2 0 2 > ω2 1<br />

1<br />

wenn ω0 2 < ω2 1 .<br />

p 0<br />

ω 2 1 −ω2 0<br />

Die Amplitude K hat also bei ω 1 = ω 0 eine Polstelle (vgl. Abbildung 22.4.iii). Falls<br />

ω 1 = ω 0 haben wir Resonanz. Um in diesem Fall eine Lösung der inhomogene Differenzialgleichung<br />

zu finden, müssten wir unseren Ansatz modifizieren (vgl. Fussnote 5).<br />

2. Gedämpfte erzwungene Schwingung, 0 < D < 1: Die Amplitude wird dann maximal,<br />

wenn der Nenner N(ω 1 ) = (ω0 2 − ω2 1 )2 +4ρ 2 ω1 2 minimal wird. Also differenzieren<br />

wir den Nenner nach ω 1 und setzen die Ableitung gleich null<br />

N ′ (ω 1 ) = 2(ω 2 0 −ω 2 1)(−2ω 1 )+8ρ 2 ω 1 = 0.


414 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

Es folgt dieuninteressante Stelle ω 1 = 0, die keiner erzwungenen Schwingungentspricht,<br />

und ω 1 = √ ω0 2 −2ρ2 . Die zweite Lösung nennen wir Resonanzfrequenz und setzen<br />

√ √<br />

ω r = ω0 2 −2ρ2 = ω 0 1−2D 2 < ω 0 ,<br />

wobei D = ρ<br />

ω 0<br />

. Für 1 − 2D 2 ≤ 0, also für D ≥ 1 √<br />

2<br />

gibt es keine Resonanzfrequenz.<br />

ResonanzgibtesalsonurfürSchwingungen.EsbleibtdieFrage, obbeiω r dieAmplitude<br />

K<br />

K max<br />

ω r ω 0<br />

ω 1<br />

Abbildung 22.4.iv: Maximale Amplitude K max = K(ω r ) bei der Resonanzfrequenz ω r < ω 0<br />

bei einem Dämpfungsgrad von D = 0.2.<br />

maximal oder minimal ist. Dazu differenzieren wir den Nenner N ein zweites Mal nach<br />

ω 1 und erhalten<br />

N ′′ (ω 1 ) = 2(ω 2 0 −ω 2 1)(−2)+2(−2ω 1 )(−2ω 1 )+8ρ 2 = −4ω 2 0 +2ω 2 1 +8ρ 2 .<br />

Also folgt an der Stelle ω 1 = ω r , dass<br />

N ′′ (ω r ) = −4ω 2 0 +2(ω 2 0 −2ρ 2 )+8ρ 2 = 8(ω 2 0 −2ρ 2 ) = 8ω 2 r > 0.<br />

Demzufolge handelt es bei N(ω r ) um ein Minimum. Also erhalten wir an der Stelle<br />

ω 1 = ω r die maximale Amplitude<br />

p 0<br />

K max = K(ω r ) = √<br />

(ω<br />

2<br />

0 −ω0 2 +2ρ2 ) 2 +4ρ 2 (ω0 2 −2ρ2 ) = p 0<br />

2ρ √ ω0 2 −ρ2.<br />

Diskussion der Phasenverschiebung im stationären Zustand für Schwingungen<br />

Es stellt sich die Frage, wie sich die Phasenverschiebung<br />

( ω<br />

2<br />

ψ(ω 1 ) = arctan 0 −ω1<br />

2 )<br />

2ω 1 ρ<br />

bei festen Parametern p 0 ,ω 0 und veränderlicher Dämpfung ρ verhält.<br />

Nun diskutieren wir die Phasenverschiebung für 0 ≤ D < 1:<br />

1. Ungedämpfte erzwungene Schwingung, D = 0: In diesem Fall müssen wir den<br />

Grenzwert für ρ → 0 berechnen. Dabei haben wir zwei Fälle zu unterscheiden:<br />

• Ist ω 1 < ω 0 , dann ist das Argument ω2 0 −ω2 1<br />

2ω 1 ρ<br />

für alle 0 ≤ ω 1 < ω 0 .<br />

lim ψ ρ(ω 1 ) = lim arctan<br />

ρ→0 ρ→0<br />

> 0. Also folgt<br />

( ω<br />

2<br />

0 −ω1<br />

2 )<br />

= π 2ω 1 ρ 2


22.4. Die erzwungene Schwingung 415<br />

π<br />

2<br />

ψ<br />

D=0.5<br />

D=0<br />

ω 0<br />

ω 1<br />

− π 2<br />

D=0.05<br />

D=0.2<br />

Abbildung 22.4.v: Phasenverschiebungen bei verschiedenen Dämpfungsgraden 0 ≤ D < 1.<br />

• Ist ω 1 > ω 0 , dann ist das Argument ω2 0 −ω2 1<br />

2ω 1 ρ<br />

für alle ω 1 > ω 0 .<br />

< 0. Also folgt<br />

( ω<br />

2<br />

lim ψ ρ(ω 1 ) = lim arctan 0 −ω 2 )<br />

1<br />

= − π<br />

ρ→0 ρ→0 2ω 1 ρ 2<br />

Hat das System keine Dämpfung, so hat die Phasenverschiebung bei ω 1 = ω 0 eine<br />

Sprungstelle der Grösse −π (vgl. Abbildung 22.4.v).<br />

2. Gedämpfte erzwungene Schwingung, 0 < D < 1: In diesem Fall ist ρ > 0. Wir<br />

berechnen<br />

( ω<br />

2<br />

lim ψ(ω 1) = lim arctan 0 −ω 2 )<br />

1<br />

= π<br />

ω 1 →0 ω 1 →0 2ω 1 ρ 2 ,<br />

lim ψ(ω 1 ) = lim = 0,<br />

ω 1 →ω 0 ω 1 →ω 0<br />

Vergleichen Sie Abbildung 22.4.v.<br />

( ω<br />

2<br />

lim ψ(ω 1) = lim arctan 0 −ω1<br />

2<br />

ω 1 →∞ ω 1 →∞ 2ω 1 ρ<br />

)<br />

= − π 2 .<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 22.4.1. Betrachten Sie die durch folgende inhomogene Differenzialgleichung erzwungene<br />

Schwingung<br />

¨s+6ṡ+10s = 3cos(2t).<br />

a. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung. Führen Sie alle Rechnungen durch.<br />

b. Stellen Sie die allgemeine Lösung als Sinusfunktionen mit Phasenverschiebungen dar.<br />

c. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung zu den beiden Anfangsbedingungen s(0) = 1 und<br />

v(0) = 0.<br />

d. Bestimmen Sie die Amplitude und die Phasenverschiebung im stationären Zustand.


416 Kapitel 22. Differenzialgleichungen in der Mechanik<br />

s<br />

1<br />

1<br />

t<br />

Abbildung 22.4.vi: Die graue Kurve ist die gedämpfte Eigenschwingung des Systems mit<br />

R = 0.3,ϕ = 60 ◦ und Dämpfungsgrad D = 0.4. Die schwarze Kurve zeigt die erzwungene<br />

Schwingung mit ω 1 = ω r (Resonanzfall) und K = 0.4. Es ist auch die Phasenverschiebung ψ<br />

schön sichtbar. Die maximale Amplitude K max = 2.5 ist zwar gross aber noch nicht unendlich,<br />

da D > 0.<br />

Aufgabe 22.4.2. Betrachten Sie die durch folgende inhomogene Differenzialgleichung erzwungene<br />

Schwingung<br />

¨s+2ṡ+50s = 10cos(ω 1 t).<br />

Wie gross wird die maximale Amplitude im Dauerzustand und für welche Störfrequenz wird<br />

sie angenommen? Führen Sie alle Rechnungen durch.<br />

Aufgabe 22.4.3. Ein an einer Feder mit Federkonstante κ 0 aufgehängter Körper mit der<br />

Masse m wird dadurch zum Schwingen gebracht, dass wir ihn um die Strecke s 0 nach unten<br />

aus der Ruhelage ziehen und dann loslassen. Welche Schwingungen führt er aus, wenn die<br />

Reibung vernachlässigt wird?<br />

Lösungen<br />

Lösung 22.4.1.<br />

a. s(t) = e −3t (Asin(t)+Bcos(t))+ 1 5 sin(2t)+ 1<br />

10 cos(2t)<br />

b. s(t) = Re −3t sin(t+ϕ)+ 1<br />

2 √ 5 sin(2t+ψ) mit ψ = arctan(1 2 )<br />

c. s p (t) = e −3t (2.3sin(t)+0.9cos(t))+ 1 5 sin(2t)+ 1<br />

10 cos(2t)<br />

d. K = 1<br />

2 √ 5 und ψ = arctan(1 2 ) ≈ 0.4636<br />

Lösung 22.4.2. K max = 5 7 und ω 1 = ω r = 4 √ 3<br />

( )<br />

Lösung 22.4.3. s(t) = g<br />

−s<br />

ω0<br />

2 0 cos(ω 0 t)− g<br />

ω0<br />

2<br />

mit ω 0 = √ κ 0<br />

m


Kapitel 23<br />

Systeme von<br />

Differenzialgleichungen<br />

Genau gleich wiees auch oft mehrerealgebraische Gleichung gleichzeitig zu lösen gibt, kann es<br />

vorkommen, dass ein System von Differenzialgleichungen zu lösen ist. Wir wollen uns hier nur<br />

kurz mit Systemen von linearen Differenzialgleichung befassen, wie sie zum Beispiel in<br />

der Mechanik oder der Regelungstechnik auftreten.<br />

23.1 Systeme von linearen Differenzialgleichungen<br />

Durch eine einfache Methode können solche Systeme auf lineare Differenzialgleichungen mit<br />

konstanten Koeffizienten zurückgeführt werden. Betrachten wir zum Beispiel die Bewegung<br />

eines Massenpunktes in der Ebene. Er besitzt dann in jedem Moment eine Geschwindigkeit<br />

⃗v = ˙⃗s, respektive zwei Komponenten ẋ und ẏ.<br />

y<br />

ẏ(t)<br />

⃗s(t)<br />

ẋ(t)<br />

⃗v(t)<br />

Abbildung 23.1.i: In ẋ- und ẏ-Komponente aufgeteilter Geschwindigkeitsvektor ⃗v = ˙⃗s.<br />

Je nachdem wovon diese abhängen, erhalten wir andere Verhältnisse. Verschiedene Varianten<br />

von ebenen Bewegungsgleichungen sind möglich.<br />

1. Zwei unabhängige (entkoppelte) Differenzialgleichungen:<br />

x<br />

ẋ = f(x,t) und<br />

ẏ = g(y,t),<br />

417


418 Kapitel 23. Systeme von Differenzialgleichungen<br />

wobei f und g zwei bekannte Funktionen sind.<br />

2. Zwei gekoppelte Differenzialgleichungen:<br />

ẋ = f(x,y,t) und<br />

ẏ = g(x,y,t),<br />

wobei f und g zwei bekannte Funktionen sind.<br />

Im zweiten Fall sind die beiden Differenzialgleichungen zusammen zu lösen, im ersten können<br />

sie völlig getrennt gelöst werden, da die Differenzialgleichungen voneinander entkoppelt sind.<br />

Prinzipielles Lösungsvorgehen:<br />

Wir eliminieren eine der gesuchten Funktionen und sämtliche ihrer Ableitungen, indem wir<br />

nach ihr auflösen und allenfalls die benötigten Ableitungen daraus berechnen und in die<br />

übrigen Gleichungen einsetzen. Wir erhalten dann aus zwei Differenzialgleichungen erster<br />

Ordnung eine Differenzialgleichung zweiter Ordnung oder aus zwei Differenzialgleichungen<br />

zweiter Ordnung eine vierter Ordnung, welche nach den bekannten Methoden lösbar sind.<br />

Beispiel 23.1.1. Wir betrachten das homogene Differenzialgleichungssystem<br />

ẋ = 3x+8y<br />

ẏ = −x−3y<br />

mit den Anfangsbedingungen x(0) = −2 und y(0) = 1. Gesucht sind die Funktionen x = x(t)<br />

und y = y(t). Nun lösen wir die zweite Gleichung nach<br />

x = −ẏ−3y<br />

auf und differenzieren sie nach der Variablen t<br />

ẋ = −ÿ −3ẏ.<br />

Eingesetzt in der ersten Gleichung erhalten wir nun die homogene Differenzialgleichung zweiter<br />

Ordnung<br />

ẋ−3x−8y = −ÿ −3ẏ −3(−ẏ −3y)−8y = −ÿ +y = 0,<br />

welche mit den herkömmlichen Methoden aus Kapitel 21 zu lösen ist. Die charakteristische<br />

Gleichung −k 2 +1 = hat die verschiedenen reellen Nullstellen k 1 = 1 und k 2 = −1. Also folgt<br />

die Lösung<br />

y(t) = Ae t +Be −t ,<br />

welche uns nun auch die x-Komponente liefert<br />

x(t) = −ẏ −3y = −Ae t +Be −t −3(Ae t +Be −t ) = −4Ae t −2Be −t .<br />

Die Konstanten A und B ∈ R bestimmen wir nun mit den beiden Anfangsbedingungen<br />

x(0) = −4A−2B = −2,<br />

y(0) = A+B = 1.


23.1. Systeme von linearen Differenzialgleichungen 419<br />

Also folgt A = 0 und B = 1, demzufolge ergibt sich die partikuläre Lösung des Differenzialgleichungssystem<br />

zu<br />

x(t) = −2e −t }<br />

y(t) = e −t mit t ∈ [0,∞[.<br />

Eliminieren wir nun noch den Zeitparameter t aus der Lösung, so erhalten wir die Gleichung<br />

der Bahnkurve<br />

y = − x mit x ∈ [−2,0[.<br />

2<br />

t = 0<br />

y<br />

1<br />

−2<br />

t → ∞<br />

x<br />

Abbildung 23.1.ii: Bahnkurve der Lösung<br />

Aufgaben<br />

Aufgabe 23.1.1. Bestimmen Sie die allgemeine Lösung des Differenzialgleichungssystem<br />

ẋ = x+y<br />

ẏ = x+y +t.<br />

Aufgabe 23.1.2. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung des Differenzialgleichungssystem<br />

ẋ = −5x−2y<br />

ẏ = x−7y<br />

mit der Anfangsbedingung x(0) = 1 und y(0) = 1 und die Gleichung der Bahnkurve.<br />

Aufgabe 23.1.3. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung des Differenzialgleichungssystem<br />

ẋ = −2x−4y +4t+1<br />

ẏ = −x+y + 3 2 t2<br />

mit der Anfangsbedingung x(0) = 0 und y(0) = 0 und die Gleichung der Bahnkurve.<br />

Aufgabe 23.1.4. Bestimmen Sie die partikuläre Lösung des Differenzialgleichungssystem<br />

ẋ = −3x−y<br />

ẏ = x−y<br />

mit der Anfangsbedingung x(0) = 1 und y(0) = 1 und die Gleichung der Bahnkurve.


420 Kapitel 23. Systeme von Differenzialgleichungen<br />

Lösungen<br />

Lösung 23.1.1. x(t) = A + Be 2t − 1 4 (t2 + t) und y(t) = −A + Be 2t + 1 4 (t2 − t − 1) wobei<br />

A,B ∈ R Konstanten sind.<br />

Lösung 23.1.2. x(t) = e −6t (cos(t)−sin(t)) und y(t) = e −6t cos(t)<br />

Lösung 23.1.3. x(t) = t 2 +t und y(t) = − 1 2 t2<br />

Lösung 23.1.4. x(t) = (1−2t)e −2t und y(t) = (2t+1)e −2t


Anhang A<br />

Anwendungen<br />

A.1 Elementare Arithmetik<br />

A.1.1 Was ist falsch?<br />

Nachfolgend seien a und b zwei reelle Zahlen. Wir machen die folgenden algebraischen Umformungen:<br />

a = b<br />

a 2 = ab<br />

a 2 +(a 2 −2ab) = ab+(a 2 −2ab)<br />

Voraussetzung<br />

2(a 2 −ab) = a 2 −ab vereinfachen<br />

beide Seiten mit a multiplizieren<br />

auf beiden Seiten a 2 −2ab addieren<br />

2 = 1 auf beiden Seiten a 2 −ab kürzen<br />

Offensichtlich haben wir etwas Unerlaubtes getan - aber was?<br />

Ein anderes Beispiel einer falschen algebraischen Umformungen ist das folgende:<br />

−20 = −20<br />

16−36 = 25−45<br />

triviale Aussage<br />

umschreiben<br />

16−36+ 81 4 = 25−45+ 81 4<br />

auf beiden Seiten 81 4<br />

( ) addieren<br />

4−<br />

9 2 (<br />

2 = 5−<br />

9 2<br />

2)<br />

als Binom umschreiben<br />

4− 9 2 = 5− 9 2<br />

auf beiden Seiten die Wurzel ziehen<br />

4 = 5 auf beiden Seiten 9 2 addieren<br />

Offensichtlich haben wir wieder etwas Unerlaubtes getan - aber was?<br />

Mathematische Argumente scheinen oft überzeugend, nur weil sie mit abstrakten Symbolen<br />

dargestellt werden. Im Allgemeinen können sich in Argumenten, die in einer technischen<br />

Sprache ausgedrückt werden, sehr wohl Fehlüberlegungen verstecken, die auf den ersten Blick<br />

nicht erkannt werden.<br />

Moral der Geschicht: Nicht einfach planlos mathematische Hieroglyphen herumschieben,<br />

sondern gezielt und überlegt algebraische Umformungen tätigen.<br />

421


422 Anhang A. Anwendungen<br />

A.2 Folgen<br />

A.2.1 Fibonaccifolge<br />

Der italienische Mathematiker Leonardo Pisano (1170?-1250?; 80?) (vgl. Abbildung 3.1.i),<br />

besser bekannt unter dem Namen Fibonacci, stellte in seinem wichtigen Werk dem Liber<br />

Abbaci von 1202 eine Aufgabe zur Kanichenvermehrung, die harmlos genug aussah und<br />

doch ganz unerwartete Folgen haben sollte:<br />

Ein Mann hält ein Kaninchenpaar an einem Ort, der gänzlich von einer<br />

”<br />

Mauer umgeben ist. Wir wollen nun wissen, wie viele Paare von ihnen in einem<br />

Jahr gezüchtet werden können, wenn die Natur es so eingerichtet hat, dass diese<br />

Kaninchen jeden Monat ein weiteres Paar zur Welt bringen und damit im zweiten<br />

Monat nach ihrer Geburt beginnen.“ 1<br />

Die Frage, ob die Fibonaccischen Fortpflanzungskonstruktion ein gutes Modell der Natur ist,<br />

wollen wir hier nicht diskutieren. Um unsere Ideen zu fixieren, nehmen wir noch an, dass<br />

das Urpaar unmittelbar nach seiner Geburt in das Gehege eingesperrt worden sei. Wir finden<br />

also von Monat zu Monat die folgenden Anzahlen von Kaninchenpaaren im Gehege: 1 (das<br />

Urpaar), 1 (immer noch das Urpaar), 2 (das Urpaar und das erste Nachwuchspaar), 3 (das<br />

Urpaar, das erste und zweite Nachwuchspaar des Urpaars), 5 (die drei Paare von vorhin und<br />

der Nachwuchs des Urpaars und des ersten Nachwuchspaares), 8, 13, 21, 34, 55, 89, 144, ....<br />

Also lautet die Antwort auf Fibonaccis Frage: 144 Kaninchenpaare<br />

Diese so genannten Fibonaccizahlen a 1 ,a 2 ,a 3 ,... werden offenbar durch die nachstehende<br />

Rekursionsvorschrift gegeben<br />

a 1 = a 2 = 1 und a n+2 = a n+1 +a n für n ∈ N.<br />

Glanz und Ruhm der Fibonaccizahlen entstammen weniger ihrer eher dubiosen Rolle in der<br />

Kaninchenvermehrung,als vielmehrderTatsache, dassnach undnach eineschier unglaubliche<br />

Fülle interessanter Resultate über sie entdeckt worden ist. Seit 1963 gibt es denn auch eine<br />

mathematische Zeitschrift, The Fibonacci Quarterly, die sich diesen faszinierenden Zahlen<br />

verschrieben hat.<br />

Überraschenderweise tauchen die Fibonaccizahlen auch in vielen Naturwissenschaften (aus<br />

denen sie ja via Kaninchenaufgabe ursprünglich stammen) auf: Die Blätter oder Früchte<br />

von Pflanzen bilden oft Spiralmuster. Die Anzahl der Spiralen sind meist Fibonaccizahlen.<br />

Ein Föhrenzapfen (vgl. Abbildung A.2.i) hat zum Beispiel in der einen Richtung 8, in der<br />

anderen5Spiralen.DasgleichePhänomenkannauchbeiSonnenblumenoderAnanasfrüchten 2<br />

festgestellt werden.<br />

A.2.2 Folge von Collatz<br />

DerMathematiker LotharCollatz(1910-1990) hateineAufgabegestellt, diedieMathematiker<br />

sehr beschäftigt und bis heute ungelöst ist (vgl. [2], Seite 55 und 56). Das Problem selbst<br />

klingt eigentlich harmlos: Starten Sie mit einer natürlichen Zahl a 1 und bilden Sie aus ihr auf<br />

1 Todesfälle mögen jedoch nicht eintreten.<br />

2 Für Mathematiker ist dies ein beliebtes Thema, um an Parties die Gäste zu beeindrucken (langweilen?).


A.2. Folgen 423<br />

Abbildung A.2.i: Tannenzapfen zeigen deutliche Spiralmuster. Folgen Sie einer grauen Spirale<br />

vom Zentrum und zählen Sie die Schnittpunkte mit den hellgrauen Spiralen bis Sie eine<br />

Fibonaccizahl erreichen. Nun folgen Sie der hellgrauen Spirale ins Zentrum und zählen die<br />

Schnittpunkte mit den grauen Spiralen. Sie sollten jeweils zwei aufeinander folgende Fibonaccizahlen<br />

erhalten. Da es sich hier um Natur pur handelt, können natürlich Ausnahmen von<br />

dieser Regel vorkommen.<br />

folgende Weise die so genannte Folge von Collatz (a n ) n∈N von natürlichen Zahlen<br />

a n+1 =<br />

{<br />

an2<br />

wenn a n gerade<br />

3a n +1 wenn a n ungerade.<br />

Beispiel A.2.1. Wir beginnen mit der Zahl a 1 = 3 und erhalten die Folge<br />

Aus a 1 = 7 erhalten wir<br />

3,10,5,16,8,4,2,1,4,2,1,4,2,1,2,...<br />

7,22,11,34,17,52,26,13,40,20,10,5,16,8,4,2,1,4,2,1,4,2,1,2,...<br />

Wir beobachten: Tritt in der Zahlenfolge irgendwann eine Potenz von 2 auf, so müssen wir<br />

nur noch einige Male halbieren und treffen dann mit Sicherheit auf die Zahl 1, und von da an<br />

dreht sich dann die Folge ewig in der Schleife 1,4,2,1.<br />

Vermutung A.2.1 (Collatz). Unabhängig vom Startwert a 1 endet die Folge von Collatz<br />

immer in der Schleife 1,4,2,1.<br />

Welches ist die nächste Zahl, die wir testen müssen? Alle Zahlen, die in einer der beiden<br />

obigen Folgen vorkommen, haben die vermutete Eigenschaft. Die erste Zahl ist 6, aber das<br />

ist zu einfach. Also nehmen wir a 1 = 9 und erhalten die Reihe 9,28,14,7,22 und dann geht<br />

es weiter wie bei der zweiten Folge im Beispiel A.2.1.<br />

Nun gut für kleine Zahlen können wir einzeln Nachprüfen, ob die Vermutung von Collatz<br />

stimmt. Dies wurde dann auch für alle Zahlen bis etwa 10 40 mit Computern erfolgreich getestet.<br />

Ein mathematisch geführter Beweis, der für alle natürlichen Zahlen gilt, ist aber bisher<br />

noch nicht gefunden worden. Dieses Problem eignet sich ideal zum Nachrechnen mit dem<br />

Computer oder einem Taschenrechner.


424 Anhang A. Anwendungen<br />

7 46 47 280<br />

ց ց ց ւ<br />

22 23 140<br />

ց ց ւ<br />

11 68 70<br />

ց ւ ց<br />

34 35<br />

ց<br />

ց<br />

96 17 104 106<br />

ց ց ւ ց<br />

48 52 53 320<br />

ց ց ց ւ<br />

24 26 160<br />

ց ց ւ<br />

12 13 80 84<br />

ց ց ւ ւ<br />

6 40 42<br />

ց ւ ւ<br />

3 20 21 128<br />

ց ւ ց ւ<br />

10 64<br />

ց<br />

ւ<br />

5 32<br />

ց ւ<br />

16<br />

ւ<br />

8<br />

ւ<br />

4<br />

ւ տ<br />

2 −→ 1<br />

Abbildung A.2.ii: Die Situation bei kleinen Zahlen. Wir erkennen, dass diese Zahlen mehr<br />

oder weniger zielstrebig der Zahl 1 zustreben.<br />

A.2.3 Summenformeln spezieller endlicher Reihen<br />

In der Theorie des Riemannschen Integrals (vgl. Beispiel 7.1.1 und Aufgabe 7.1.1) und der<br />

Stochastik taucht das Problem auf, für die Summen<br />

S p (n) = 1 p +2 p +3 p +···+n p ,<br />

wobei p ∈ N 0 , geschlossene Formeln zurVerfügungzu haben.Einemögliche Herleitung solcher<br />

Formeln basiert auf der Potenzreihenentwicklung der Funktion f(x) = x<br />

e x −1<br />

(vgl. [13], Kapitel<br />

71). Im Folgenden geben wir eine weitgehend elementare Herleitung, die auf der endlichen<br />

geometrischen Reihe basiert. Es sei x ∈ R eine beliebige Zahl und n ∈ N, dann berechnen wir<br />

die endliche Summe<br />

s n (x) = x+x 2 +x 3 +···+x n .<br />

Wir schreiben<br />

s n (x) = x+ x 2 +x 3 +···+x n−1 +x n<br />

xs n (x) = x 2 +x 3 +···+x n−1 +x n +x n+1<br />

Nun subtrahieren wir die obere Zeile von der unteren und lösen nach<br />

auf. Wir sehen sofort, dass<br />

s n (x) = xn+1 −x<br />

x−1<br />

S 0 (n) = 1 0 +2 0 +3 0 +···+n 0 = 1+1+1+···+1 = lim<br />

x→1<br />

s n (x)


A.2. Folgen 425<br />

x<br />

Um lim n+1 −x x→1 x−1<br />

zu bestimmen, benutzen wir einmal die Regel von de l’Hospital und erhalten<br />

x n+1 −x (n+1)x n −1<br />

S 0 (n) = lim = lim = n,<br />

x→1 x−1 x→1 1<br />

was wir natürlich schon lange wussten. Nun definieren wir den Differenzialoperator x d<br />

dx und<br />

wenden diesen auf die Funktion s n (x) an<br />

x d<br />

dx s n(x) = x d x n+1 −x<br />

dx x−1<br />

x+2x 2 +3x 3 +···+nx n = x nxn+1 −(n+1)x n +1<br />

(x−1) 2<br />

Wir berechnen x → 1 beider Seiten und erhalten nach zweimaliger Anwendung der Regel von<br />

de l’Hospital<br />

S 1 (n) = 1+2+3+···+n = n2<br />

2 + n 2 = n(n+1) . (A.2.a)<br />

2<br />

Nun wenden wir den Differenzialoperator x d<br />

dx zweimal auf die Funktion s n(x) an und erhalten<br />

x d (<br />

x d )<br />

dx dx s n(x) = x d (<br />

x d x n+1 )<br />

−x<br />

dx dx x−1<br />

x+2 2 x 2 +3 2 x 3 +···+n 2 x n = x n2 x n+2 −(2n 2 +2n−1)x n+1 +(n 2 +2n+1)x n −x−1<br />

(x−1) 3<br />

Dann berechnen wir den Grenzübergang x → 1 durch dreimaliges Anwenden der Regel von<br />

de l’Hospital und erhalten<br />

S 2 (n) =<br />

n∑<br />

k 2 = n3<br />

3 + n2<br />

2 + n 6 = n(n+1)(2n+1) . (A.2.b)<br />

6<br />

k=1<br />

Nun iterieren wir dieses Verfahren und erhalten der Reihe nach folgende Summenformeln<br />

spezieller endlicher Reihen.<br />

S 3 (n) =<br />

S 4 (n) =<br />

S 5 (n) =<br />

S 6 (n) =<br />

n∑<br />

k=1<br />

n∑<br />

k=1<br />

n∑<br />

k=1<br />

n∑<br />

k=1<br />

k 3 = n4<br />

4 + n3<br />

2 + n2<br />

4 = n2 (n+1) 2<br />

4<br />

k 4 = n5<br />

5 + n4<br />

2 + n3<br />

3 − n 30 = n(n+1)(2n+1)(3n2 +3n−1)<br />

30<br />

k 5 = n6<br />

6 + n5<br />

2 + 5n4<br />

12 − n2<br />

12<br />

(A.2.c)<br />

(A.2.d)<br />

(A.2.e)<br />

k 6 = n7<br />

7 + n6<br />

2 + n5<br />

2 − n3<br />

6 + n 42 . (A.2.f)<br />

Anhand der obigen Herleitung sehen wir, dass S p (n) ein Polynom (p + 1)-Grades in n mit<br />

Leitkoeffizient a p+1 = 1<br />

p+1 ist. Einen allgemeinen Ausdruck für S p(n) ist in [13], Formel (71.8)<br />

zu finden. Dieser enthält die Bernoullischen Zahlen.


426 Anhang A. Anwendungen<br />

A.3 Fraktale<br />

Definition A.3.1. Ein Fraktal ist ein von Benoit Mandelbrot (1977) geprägter Begriff 3 , der<br />

alle natürlichen oder künstlichen Gebilde oder Muster bezeichnet, die einen hohen Grad von<br />

Selbstähnlichkeit aufweisen.<br />

Abbildung A.3.i: Benoit Mandelbrot, 1924-2010<br />

Benoit Mandelbrot (1924-2010) benutzte den Begriff der verallgemeinerten Dimension nach<br />

FelixHausdorffundstelltefest,dassfraktaleGebildealsRäume(odermathematischeGebilde)<br />

mit einer nicht-ganzzahligen Dimension angesehen werdenkönnen. Daher wirdnach ihm alles,<br />

was eine gebrochene Dimension aufweist, als Fraktal bezeichnet. In Mandelbrots Worten:<br />

A fractal is by definition a set for which the Hausdorff-Besicovitch dimension<br />

”<br />

strictly exceeds the topological dimension.“<br />

Mit modernen Computeralgebraprogrammen wie Maple, Mathcad, Mathematica oder Matlab<br />

lassen sich relativ einfach solche Fraktale erzeugen. Alle Bilder sind mit Matlab 6.5 generiert<br />

worden. Sie können den Programmcode für Matlab oder Mathcad von meiner Webseite<br />

http://www.fhnw.ch/personenseiten/marcel.steiner/ herunter laden.<br />

A.3.1 Polygone im Kreis<br />

Gegeben sei ein Kreis mit Radius r 0 . Diesem wird ein gleichseitiges Dreieck einbeschrieben.<br />

Danach wird dem Dreieck ein Kreis einbeschrieben, dieser habe Radius r 1 . Dem Kreis wiederum<br />

wird nun ein gleichseitiges Viereck und diesem ein Kreis einbeschrieben, dieser habe<br />

Radius r 2 . Nun fahren wir so fort: Kreis → gleichseitiges n-Eck → Kreis → gleichseitiges<br />

(n+1)-Eck und so weiter. Es stellt sich die Frage nach der Grösse des Verhältnis<br />

r n<br />

lim .<br />

n→∞ r 0<br />

Ist dieses ungleich null und wenn ja, wie gross ist es? Wir erhalten die rekursive Formel<br />

( ) π<br />

r n+1 = r n cos wobei n ∈ N 0<br />

n+3<br />

3 aus dem lateinischen adjektiv fractus; von dem lat. Verb frangere: in Stücke zerbrechen, irregulär


A.3. Fraktale 427<br />

Abbildung A.3.ii: Polygone im Kreis<br />

für die Kreisradien, also folgt<br />

π<br />

) ( π<br />

( π<br />

r ∞ = lim r n = r 0 cos(<br />

cos cos ···<br />

n→∞ 3 4)<br />

5)<br />

Numerisch erhalten wir r∞<br />

r 0<br />

≃ 0.1149420448.<br />

A.3.2 Kochsche Kurve - Schneeflocke<br />

Der dänische Mathematiker Niels Fabian Helge von Koch (1870-1924) beschrieb 1906 ein<br />

Verfahren, das zu einer berühmten,nach ihm benanntenKurveführt,der Kochschen Kurve<br />

(vgl. Abbildung A.3.iii). Wir beginnen mit einem Intervall der Länge a. Im nächsten Schritt<br />

n = 1 Iterationen<br />

n = 2 Iterationen<br />

n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen<br />

n = 5 Iterationen<br />

n = 6 Iterationen<br />

Abbildung A.3.iii: Die Kochsche Kurve<br />

wird im Intervall das mittlere Drittel durch ein gleichseitiges Dreieck ersetzt und dessen<br />

Grundlinie entfernt. Aus dem Intervall sind so vier gleich lange Teilstücke geworden. In jedem<br />

weiteren Schritt wird das obige Verfahren auf jedes Teilstück angewandt. Die Kochsche Kurve<br />

ergibt sich als Grenzwert der obigen Kurvenfolge.<br />

Beginnen wir mit einem gleichseitigen Dreieck der Seitenlänge a, so können wir das obige Ite-


428 Anhang A. Anwendungen<br />

rationsverfahren aufjedeSeiteanwenden underhalten diesogenannte Kochsche Schneeflocke<br />

(vgl. AbbildungA.3.iii). DieKochscheSchneeflocke hat folgendeerstaunlicheEigenschaft.<br />

n = 1 Iterationen n = 2 Iterationen n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen n = 5 Iterationen n = 6 Iterationen<br />

Abbildung A.3.iv: Die Kochsche Schneeflocke<br />

Satz A.3.1. Der Flächeninhalt des Innern der Kochschen Schneeflocke mit gleichseitigem<br />

Basisdreieck der Seitenlänge a beträgt A = 2√ 3<br />

5 a2 , ist also endlich, und ihr Umfang unendlich.<br />

Beweis. Bei jeder Iteration wächst die Kantenlänge der Figur um den Faktor 4 3<br />

und der<br />

Flächeninhalt um um den Faktor 4 9 .<br />

Damit erhalten wir für den Umfang der Kochschen Schneeflocke<br />

( ) 4 n<br />

U = lim 3a = +∞.<br />

n→+∞ 3<br />

√<br />

Essei A 0 = 3<br />

4 a2 derFlächeninhalt desursprünglichengleichseitigen Dreiecks mit Seitenlänge<br />

a. Im Gegensatz dazu erhalten wir für den Flächeninhalt der Kochschen Schneeflocke<br />

A 0<br />

A = A 0 + lim<br />

k→+∞ 3<br />

k∑<br />

( ) 4 n<br />

= A 0 + A 0<br />

9 3<br />

n=0<br />

1<br />

1− 4 9<br />

= A 0<br />

8<br />

5 = a22√ 3<br />

5 ,<br />

daes sich umeine geometrische Reihemit q = 4 9<br />

< 1handelt, dienach Satz12.2.1 konvergiert.<br />

Weiter ist die Kurve überall stetig aber nirgends differenzierbar. Die (Hausdorff-)Dimension<br />

der Kochschen Kurve ist nicht ganzzahlig und beträgt<br />

Dim(Kochsche Kurve) = ln(4)<br />

ln(3) ≈ 1.262.<br />

Die (Hausdorff-)Dimensionen ist also grösser als die einer Linie (Dim(Linie) = 1).<br />

Falls wir die Iteration etwas ändern, so erhalten wir analoge Schneeflocken mit ähnlichen<br />

Eigenschaften (vgl. Abbildungen A.3.v und A.3.vi).<br />

Solche Kurven werden auch etwa Monster Kurven genannt.


A.3. Fraktale 429<br />

n = 1 Iterationen n = 2 Iterationen n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen n = 5 Iterationen n = 6 Iterationen<br />

Abbildung A.3.v: Die Kochsche Schneeflocke mit nach innen gedrehten Dreiecken<br />

n = 1 Iterationen<br />

n = 2 Iterationen<br />

n = 1 Iterationen<br />

n = 2 Iterationen<br />

n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen<br />

n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen<br />

Abbildung A.3.vi: Auf einem Quadrat basierende Kochsche Schneeflocke<br />

A.3.3 Sierpinski-Dreieck und -Teppich<br />

EinSierpinski-Dreieck, nachdempolnischenMathematiker Waclaw Sierpinski(1882-1969),<br />

entsteht dadurch, dass ein gleichseitiges Dreieck in vier kongruente Teildreiecke unterteilt<br />

wird und dieser Schritt auf die drei äusseren Dreiecke erneut angewendet wird, usw. ad infinitum<br />

(vgl. Abbildung A.3.vii (links)). Das Sierpinski-Dreieck ist zu sich selbst ähnlich. Die<br />

(Hausdorff-)Dimension des Sierpinski-Dreiecks beträgt<br />

Dim(Sierpinski-Dreieck) = ln(3)<br />

ln(2) ≈ 1.585.<br />

Einanaloges Verfahrenlässt sichauch miteinem Quadratdurchführen,dannergibtsich derso<br />

genannte Sierpinski-Teppich (vgl. AbbildungA.3.vii (rechts)). Auch der Sierpinski-Teppich<br />

ist zu sich selbst ähnlich. Die (Hausdorff-)Dimension des Sierpinski-Teppichs beträgt<br />

Dim(Sierpinski-Teppich) = ln(8)<br />

ln(3) ≈ 1.896.


430 Anhang A. Anwendungen<br />

n = 1 Iterationen<br />

n = 2 Iterationen<br />

n = 1 Iterationen<br />

n = 2 Iterationen<br />

n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen<br />

n = 3 Iterationen<br />

n = 4 Iterationen<br />

Abbildung A.3.vii: Sierpinski-Dreieck (links) und Sierpinski-Teppich (rechts)<br />

Die (Hausdorff-)Dimensionen liegen also etwas zwischen der einer Linie (Dim(Linie) = 1) und<br />

der einer Fläche (Dim(Fläche) = 2).<br />

Das Sierpinski-Dreieck lässt sich auch ausgehend von einem Pascalschen Dreieck (vgl.<br />

Kapitel 4.2) erstellen, indem wir alle ungeraden Zahlen schwarz und alle geraden Zahlen weiss<br />

einfärben (vgl. Abbildung A.3.viii).<br />

Abbildung A.3.viii: Sierpinski-Dreieck und Pascalsches Dreieck


A.4. Rollkurven 431<br />

A.3.4 Mengerwürfel<br />

A.3.5 Mandelbrot und Juliamengen<br />

A.4 Rollkurven<br />

A.4.1 Katakaustik - Kaffeetasse<br />

A.4.2 Epizykloide - Wankelmotor<br />

A.4.3 Klothoide - Idealer Strassen- und Eisenbahnbau<br />

Klothoide 4 heissteineKurve,diesichausderumgekehrtenProportionalitätihresKrümmungsradius<br />

r zur Länge des Bogens s ergibt<br />

r = a2<br />

s ,<br />

dabei ist a > 0 der Proportionalitätsfaktor. Wir suchen eine Parametrisierung (x(t),y(t)) der<br />

Klothoide. Der Krümmungsradius der Kurve ist das Inverse der Krümmung k der Kurve (vgl.<br />

Gleichung 5.6.b), also<br />

Die Bogenlänge ergibt sich als Integral<br />

r = 1 k = √ẋ2 +ẏ 23<br />

ẋÿ −ẍẏ .<br />

s(t) =<br />

∫ t<br />

0<br />

√ẋ2 +ẏ 2 dt.<br />

Damit erhalten wir die Differenzial-Integralgleichung der Parametrisierung<br />

ẋÿ −ẍẏ<br />

√ẋ2 = 1 ∫ t √ẋ2<br />

+ẏ 23 a 2 +ẏ 2 dt.<br />

Da jede Kurve nach Bogenlänge parametrisiert werden kann, machen wir den Ansatz ẋ(t) =<br />

cos(ϕ(t)) und ẏ(t) = sin(ϕ(t)), wobei ϕ eine noch zu bestimmende Funktion ist. Unseren<br />

Ansatz nach t differenziert,<br />

ẍ(t) = sin(ϕ(t)) ˙ϕ(t) und ÿ(t) = cos(ϕ(t)) ˙ϕ(t)<br />

und in die Differenzialgleichung eingesetzt, ergibt<br />

0<br />

˙ϕ(t) = 1 a 2 ∫ t<br />

0<br />

dt = t<br />

a 2.<br />

Somit folgt ϕ(t) = t2 + ϕ<br />

2a 2 0 , wobei ϕ 0 ∈ R eine Integrationskonstante ist, die die Drehlage<br />

der Kurve festlegt. Wir erhalten eine allgemeine Parametrisierung der Klothoide<br />

∫ t<br />

( ) t<br />

2<br />

∫ t<br />

( ) t<br />

2<br />

x(t) = x 0 + cos<br />

2a 2 +ϕ 0 dt und y(t) = y 0 + sin<br />

2a 2 +ϕ 0 dt,<br />

0<br />

4 Vom griechischen Verb κλώϑω (klotho), spinnen; ein in Drehung versetzter, aufgewickelter Faden nimmt<br />

die Form einer Klothoidenkurve an.<br />

0


432 Anhang A. Anwendungen<br />

wobeix 0 ,y 0 ∈ RIntegrationskonstanten sind,diedasZentrumderKurvebei(x 0 ,y 0 )festlegen.<br />

Durch eine Variablensubstitution und Setzung von (x 0 ,y 0 ) = (0,0) und ϕ 0 = 0 erhalten wir<br />

die in der Literatur übliche Darstellung der Klothoidenparametrisierung (vgl. [3] Seite 109)<br />

x(t) = a √ π<br />

∫ t<br />

0<br />

cos( π<br />

2 t2) dt und y(t) = a √ π<br />

∫ t<br />

0<br />

sin( π<br />

2 t2) dt.<br />

Die Integrale können nicht durch elementare Funktionen ausgedrückt werden und müssen<br />

deshalb durch numerische Integration für jeden Parameter berechnet werden. Dies erlaubt<br />

die grafische punktweise Darstellung. Die Klothoide ist punktsymmetrisch zum Ursprung. Im<br />

Ursprunghat dieKlothoide einen Wendepunkt. Die Tangente ist im Wendepunktdie x-Achse.<br />

√<br />

Betrachten wir nun, nach einer erneuten Variablensubstitution t =<br />

lim x(t) = lim a√ π<br />

t→∞ t→∞<br />

lim y(t) = lim a√ π<br />

t→∞ t→∞<br />

∫ t<br />

0<br />

∫ t<br />

0<br />

( π<br />

cos<br />

2 t2) dt = √ a ∫ ∞<br />

2<br />

( π<br />

sin<br />

2 t2) dt = √ a ∫ ∞<br />

2<br />

undanalogfürt → −∞.Sosehenwir,dassdieKlothoidebeiA( a√ π<br />

einen asymptotischen Punkt hat.<br />

0<br />

0<br />

2<br />

π<br />

cos(τ)<br />

√ τ<br />

dτ = a√ π<br />

2 ,<br />

sin(τ)<br />

√ τ<br />

dτ = a√ π<br />

2<br />

2 , a√ π<br />

√ τ, die Grenzwerte<br />

5<br />

2 )undB(−a√ π<br />

2 ,−a√ π<br />

2 )<br />

A<br />

B<br />

Abbildung A.4.i: Die Klothoide mit a = 1 und (x 0 ,y 0 ) = (0,0), ϕ 0 = 0.<br />

Die Klothoide findet zum Beispiel beim Strassen- und Eisenbahnbau Anwendung, wo der<br />

Übergang von einer Geraden in eine Kreiskurve durch einen Klothoidenabschnitt vermittelt<br />

wird. Der Klothoidenabschnitt zeichnet sich durch eine veränderliche Krümmung aus.<br />

Der Grund für die Verwendung von Klothoidenabschnitten liegt in der Fahrdynamik. Beim<br />

Befahren eines Bogens tritt eine Radialbeschleunigung des Fahrzeuges auf, welche von der<br />

Geschwindigkeit und der Krümmung des Bogens abhängt. Durch das Einfügen eines Klothoidenabschnitt<br />

zwischen einer Gerade und einem Kreis wird ein sprunghafter Wechsel der<br />

Radialbeschleunigung vermieden.<br />

5 Wir benutzen dabei die uneigentlichen Integrale<br />

∫ ∞<br />

∫<br />

cos(x) ∞<br />

√<br />

sin(x) π<br />

√ dx = √ dx =<br />

x 0 x 2<br />

0<br />

(vgl. [3], Integral (21.32)), welche in unserem <strong>Analysis</strong> Kurs nicht hergeleitet werden.


A.5. Bauwerke mathematisch betrachtet 433<br />

A.4.4 Dendrochronologie - Jahresringe<br />

Frage: Sind die Jahresringe eines schön gewachsenen Baumes auf unserer Breite Ellipsen?<br />

A.5 Bauwerke mathematisch betrachtet<br />

A.5.1 Kühlturm<br />

A.5.2 Eiffelturm<br />

Die Berge sind unten breiter also oben und bis in die heutige Zeit wenden Architekten bei<br />

der Konstruktion hoher Türme das gleiche Prinzip an. Auf jeder Höhe des Turms müssen die<br />

Materialien der Konstruktion das Gewicht der darüber liegenden Struktur tragen. Damit der<br />

Turm nicht unter der Last des Gewichtes zusammenbricht, muss der Querschnitt des Turmes<br />

unten grösser sein als oben. Der berühmte Eiffelturm, konstruiert für die Weltausstellung<br />

1889 in Paris durch den genialen Ingenieur Gustave Eiffel, kommt dieser idealen Form am<br />

nächsten.<br />

Welche Funktion beschreibt die Form des idealen Turmbaus? Um diese Frage zu beantworten,<br />

vereinfachen wir die Situation, indem wir annehmen, dass unser Turm homogen und gefüllt<br />

ist. Die konstante Dichte des Turms betrage ρ. Der Turm soll eine Höhe von h erhalten und<br />

die Querschnittsfläche zuoberst soll S h betragen.<br />

x<br />

S h<br />

h<br />

S(x)<br />

∆x<br />

x<br />

0<br />

y = d p (x)<br />

y<br />

Abbildung A.5.i: Schematischer Turmbau<br />

Aus statischen Gründen fordern wir, dass der Druck auf eine horizontale Schnittfläche auf<br />

jeder Höhe konstant gleich λ ist. Aus dieser Tatsache können wir eine Differenzialgleichung<br />

für die Querschnittsfläche S in Funktion der Höhe x ∈ [0,h] herleiten:<br />

Wir betrachten eine Scheibe der Höhe ∆x auf der Höhe x aus dem Turm. Diese hat das<br />

Gewicht<br />

∆F = −ρgS(x)∆x,<br />

wobei g die Erdbeschleunigung darstellt. Nach Division durch ∆x und einem Grenzübergang<br />

∆x → 0 erhalten wir einerseits<br />

F ′ (x) = −ρgS(x).<br />

Andererseits folgt aus der Annahmedes konstanten Druckes auf eine horizontale Schnittfläche<br />

S(x) im ganzen Gebäude, dass<br />

λ = F(x)<br />

S(x)<br />

für x ∈ [0,h]


434 Anhang A. Anwendungen<br />

und somit F ′ (x) = λS ′ (x). Eingesetzt in die zweite Gleichung erhalten wir die gesuchte<br />

Differenzialgleichung<br />

S ′ (x) = − ρg<br />

λ S(x)<br />

mit der Anfangsbedingung S(h) = S h . Es handelt sich um eine lineare Differenzialgleichung<br />

erster Ordnung mit der allgemeinen Lösung<br />

S(x) = Ce −ρg λ x ,<br />

wobei C = S h e ρg λ h durch die Anfangsbedingung definiert wird. Damit ergibt sich die partikuläre<br />

Lösung<br />

S p (x) = S h e −ρg λ (x−h) .<br />

Weil der Querschnitt proportional zum Quadrat des Durchmessers ist, können wir für den<br />

Durchmesser d p des Turmes in Funktion der Höhe x ∈ [0,h] auch schreiben<br />

wobei S h = π 4 d2 h .<br />

d p (x) = d h e −ρg 2λ (x−h) ,<br />

Abbildung A.5.ii: Eiffelturm<br />

DieeleganteFormdesEiffelturmswirdinderTatdurcheineExponentialfunktionbeschrieben,<br />

obwohl dieser nicht homogen und gefüllt ist (vgl. Abbildung A.5.ii).<br />

A.5.3 Sprungschanze<br />

A.5.4 Überhängender Turmbau<br />

(vgl. [2] Seite 62)


A.5. Bauwerke mathematisch betrachtet 435<br />

A.5.5 Kettenlinie<br />

Die Differenzialgleichung der Kettenlinie (vgl. Abbildung A.5.iii) soll hergeleitet werden.<br />

Ketten und Seile zeichnen sich dadurch aus, dass sie in guter Näherung Zugkräfte übertragen,<br />

die in jedem Punkt tangential wirken. Um die Differenzialgleichung der Kettenlinie unter Eigenlast<br />

herzuleiten,wirdausderKettenlinieeinkurzesStückderLänge∆sherausgeschnitten.<br />

Dabei ist q das konstante Eigengewicht pro Längeneinheit und F H die Horizontalkomponente<br />

und F V die Vertikalkomponente der Kettenkraft.<br />

y<br />

F H (x + ∆x) F V(x + ∆x)<br />

F V (x)<br />

F H (x)<br />

∆s<br />

q∆s<br />

∆y<br />

x<br />

∆x<br />

x + ∆x<br />

x<br />

Abbildung A.5.iii: Herleitung der Differenzialgleichung der Kettenlinie<br />

Aus Abbildung A.5.iii ergeben sich dann die folgenden Gleichgewichtsbedingungen:<br />

F H (x+∆x)−F H (x) = 0<br />

F V (x+∆x)−F V (x) = q∆s<br />

Nun teilen wir beide Gleichungen durch ∆x und erhalten<br />

F H (x+∆x)−F H (x)<br />

∆x<br />

F V (x+∆x)−F V (x)<br />

∆x<br />

= 0<br />

= q ∆s<br />

√<br />

∆x<br />

∆x = q 2 +∆y 2<br />

∆x<br />

= q<br />

√<br />

1+<br />

( ) ∆y 2<br />

.<br />

∆x<br />

Nach einem Grenzübergang ∆x → 0 ergeben sich die Gleichungen<br />

F ′ H = 0<br />

F ′ V = q√ 1+y ′2 .<br />

Aus der ersten Gleichung folgt unmittelbar, dass die Horizontalkomponente der Kettenkraft<br />

F H konstant ist. Andererseits gilt für die Steigung der Kette<br />

y ′ = F V<br />

F H<br />

also y ′′ = F′ V<br />

F H<br />

.<br />

Damit haben wir die Herleitung der Differenzialgleichung<br />

y ′′ = q<br />

F H<br />

√<br />

1+(y ′ ) 2<br />

der freihängenden Kette, die an zwei Punkten A und B befestigt ist und ausschliesslich durch<br />

ihr Eigengewicht belastet wird.


436 Anhang A. Anwendungen<br />

y<br />

A<br />

•<br />

h<br />

B<br />

•<br />

Kettenlinie<br />

−a<br />

a<br />

x<br />

Abbildung A.5.iv: Die symmetrisch aufgehängte freihängende Kette<br />

Wir wollen die Lösung dieser nicht linearen Differenzialgleichung zweiter Ordnung bei symmetrischer<br />

Aufhängung an den zwei Punkten A(−a,h) und B(a,h) berechnen (vgl. Abbildung<br />

A.5.iv).<br />

Dazu lösen wir obige Differenzialgleichung, indem wir u = y ′ substituieren und<br />

u ′ = q<br />

F H<br />

√<br />

1+u 2<br />

erhalten. Wir trennen die Variablen ∫<br />

Diese Grundintegrale können wir integrieren<br />

du<br />

√ = q ∫<br />

1+u 2 F H<br />

dx.<br />

arsinh(u) = q<br />

F H<br />

x+C,<br />

wobeiC einenochzubestimmendeKonstantebezeichnet.DieseGleichungnachderabhängigen<br />

Variablen u aufgelöst, ergibt ( ) q<br />

u(x) = sinh x+C .<br />

F H<br />

da die Kettenlinie bei symmetrischer Aufhängung im tiefsten Punkt, d.h., an der Stelle x = 0<br />

eine horizontale Tangente besitzt, ist y ′ (0) = u(0) = 0. Aus dieser Eigenschaft berechnen wir<br />

die erste Integrationskonstante C. Es folgt u(0) = sinh(C) = 0, also C = 0.<br />

Durch einmalige Integration erhalten wir nun die Gleichung der Kettenlinie<br />

∫ ( ) q<br />

y = sinh x dx = F ( )<br />

H q<br />

F H q cosh x +D.<br />

F H<br />

Die zweite Integrationskonstante D können wir ( nun ) durch die symmetrischen Randbedingungen<br />

y(−a) = y(a) = h mit D = h− F H<br />

q<br />

cosh q<br />

F H<br />

a bestimmen.<br />

A.6 Aus der Stochastik<br />

A.6.1 Monte-Carlo Integration<br />

Wir wollen das bestimmte Integral<br />

A =<br />

∫ a<br />

0<br />

f(x)dx


A.6. Aus der Stochastik 437<br />

berechnen.<br />

Geometrisch handelt es sich um die Berechnung der Masszahl der Fläche unter der Kurve<br />

y = f(x) über dem Intervall [0,a] (siehe Abbildung A.6.i). Wir bestimmen eine Anzahl N<br />

y<br />

b<br />

P i (x i , y i )<br />

•<br />

Q<br />

A<br />

y = f(x)<br />

a<br />

x<br />

Abbildung A.6.i: Masszahl der Fläche unter der Kurve y = f(x) über dem Intervall [0,a]<br />

zufälliger Punkte P 1 (x 1 ,y 1 ),...,P N (x N ,y N ) im Rechteck Q = [0,a]×[0,b].<br />

Das geschieht mit Hilfe von Zufallszahlen, die wir auf jedem Rechner zur Verfügung haben.<br />

Wir wählen eine erste Zufallszahl x 1 im Intervall [0,a] und eine zweite Zufallszahl y 1 in [0,b].<br />

Dies ergibt uns einen ersten zufälligen Punkt P 1 (x 1 ,y 1 ) im Rechteck Q. Dieses Prozedere<br />

führen wir nun N mal durch. Dann haben wir N zufällige Punkte P 1 (x 1 ,y 1 ),...,P N (x N ,y N )<br />

bestimmt, die zufällig verteilt im Rechteck Q liegen. Einige Punkte werden nun oberhalb der<br />

Kurve y = f(x) und andere unterhalb dieser liegen.<br />

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Punkt in der Fläche mit der gesuchten Masszahl liegt, ist<br />

p =<br />

A<br />

area(Q) .<br />

Bestimmen wir N zufällige Punkte, ist die relative Häufigkeit<br />

h = n N<br />

der n Punkte, die in der zu berechnenden Fläche liegen, zur gesamten Zahl N eine gute<br />

Schätzung für p. Daraus lässt sich A näherungsweise berechnen<br />

A = p·area(Q) ≈ n N area(Q).<br />

Wir haben somit nur rechnerisch zu bestimmen, ob ein Punkt P i (x i ,y i ) eine Ordinate<br />

y i < f(x i )<br />

hat. Trifft dies zu, muss ein Zähler um eins erhöht werden. Sind alle N Punkte getestet, dann<br />

ergibt sich das gesuchte Verhältnis n N .<br />

Nach dieser Methode lassen sich auch mehrfache Integrale näherungsweise berechnen.<br />

Monte-Carlo-Methoden sind im Allgemeinen sehr einfach durchzuführen. Allerdings ist ihre<br />

Genauigkeit für kleine Versuchszahlen N gering. Die Genauigkeit in diesem Beispiel erhöht<br />

sich proportional zu √ N. Das heisst, um eine Dezimalstelle zu gewinnen, braucht es 100 mal<br />

mehr Versuche.


438 Anhang A. Anwendungen


Anhang B<br />

Tafeln<br />

B.1 Tafel der Grundintegrale<br />

Im Folgenden bezeichnen C und C 1 ,C 2 ∈ R Integrationskonstanten.<br />

∫<br />

d<br />

dx c = 0<br />

0dx = C<br />

∫<br />

d<br />

dx x = 1<br />

1dx = x+C<br />

∫<br />

d<br />

dx xn+1 = (n+1)x n<br />

x n dx = xn+1<br />

+C, n ≠ −1<br />

n+1<br />

d<br />

dx ln(x) = 1 x , x > 0<br />

⎫<br />

⎪⎬ ∫ 1<br />

d<br />

dx ln(−x) = 1 x , x < 0 ⎪ ⎭ x<br />

d<br />

dx ex = e x<br />

d<br />

dx ax = a x ln(a)<br />

∫<br />

d<br />

dx<br />

sin(x) = cos(x)<br />

∫<br />

d<br />

dx<br />

cos(x) = −sin(x)<br />

∫<br />

∫<br />

dx = ln(|x|)+C, x ≠ 0<br />

e x dx = e x +C<br />

a x dx = ax<br />

+C, a > 0, a ≠ 1<br />

ln(a)<br />

cos(x)dx = sin(x)+C<br />

sin(x)dx = −cos(x)+C<br />

d<br />

dx tan(x) = 1<br />

cos 2 (x) = 1+tan2 (x)<br />

d<br />

dx cot(x) = − 1<br />

sin 2 (x) = −1−cot2 (x)<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

1<br />

cos 2 dx = tan(x)+C<br />

(x)<br />

tan 2 (x)dx = tan(x)−x+C<br />

1<br />

sin 2 dx = −cot(x)+C<br />

(x)<br />

cot 2 (x)dx = −cot(x)−x+C<br />

439


440 Anhang B. Tafeln<br />

d<br />

dx arcsin(x) = 1<br />

√<br />

1−x<br />

2<br />

d<br />

dx arccos(x) = − 1<br />

√<br />

1−x 2<br />

⎫<br />

⎪⎬<br />

⎪⎭<br />

∫<br />

{<br />

1<br />

√ dx = 1−x 2<br />

arcsin(x)+C 1<br />

−arccos(x)+C 2<br />

d<br />

dx arctan(x) = 1<br />

1+x<br />

⎫⎪ 2 ⎬ ∫<br />

d<br />

dx arccot(x) = − 1 ⎪ ⎭<br />

1+x 2<br />

1<br />

1+x 2 dx = { arctan(x)+C1<br />

−arccot(x)+C 2<br />

∫<br />

d<br />

dx<br />

sinh(x) = cosh(x)<br />

∫<br />

d<br />

dx<br />

cosh(x) = sinh(x)<br />

d<br />

dx tanh(x) = 1<br />

cosh 2 (x) = 1−tanh2 (x)<br />

d<br />

dx coth(x) = − 1<br />

sinh 2 (x) = 1−coth2 (x)<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

∫<br />

cosh(x)dx = sinh(x)+C<br />

sinh(x)dx = cosh(x)+C<br />

1<br />

cosh 2 dx = tanh(x)+C<br />

(x)<br />

tanh 2 (x)dx = x−tanh(x)+C<br />

1<br />

sinh 2 dx = −coth(x)+C<br />

(x)<br />

coth 2 (x)dx = x−coth(x)+C<br />

d<br />

dx arsinh(x) = 1<br />

√<br />

x 2 +1<br />

∫<br />

{<br />

dx arsinh(x)+C<br />

√<br />

x 2 +1 = (<br />

ln x+ √ )<br />

x 2 +1 +C<br />

d<br />

dx arcosh(x) = 1<br />

√<br />

x 2 −1<br />

∫<br />

{<br />

dx arcosh(x)+C, x > 1<br />

√<br />

x 2 −1 = (<br />

ln x+ √ )<br />

x 2 −1 +C, |x| > 1<br />

d<br />

dx artanh(x) = 1<br />

∫<br />

1−x2, |x| < 1<br />

d<br />

dx arcoth(x) = 1<br />

∫<br />

1−x2, |x| > 1<br />

1<br />

dx = artanh(x)+C, |x| < 1<br />

1−x2 1<br />

dx = arcoth(x)+C, |x| > 1<br />

1−x2


Literaturverzeichnis<br />

[1] M. Aigner und G. M. Ziegler, Proofs from THE BOOK, Second Edition, Springer<br />

Verlag, 2002.<br />

[2] A. Beutelspacher, ”<br />

In Mathe war ich immer schlecht ...“, 3. Auflage, Vieweg Verlag,<br />

2001.<br />

[3] I. N. Bronstein, K. A. Semendjajew, G. Musiol, H. Mülig, Taschenbuch der Mathematik,<br />

5. Auflage, Verlag Harri Deutsch AG, 2001.<br />

[4] M. V. Dyke, An Album of Fluid Motion, The Parabolic Press, Stanford University,<br />

1988.<br />

[5] P. Gschwind, <strong>Analysis</strong> 1, Skriptum FHBB, Version 01, 2001.<br />

[6] P. Gschwind, <strong>Analysis</strong> 2, Skriptum FHBB, Version 02, 2002.<br />

[7] P. Gschwind, <strong>Analysis</strong> 3, Skriptum FHBB, Version 01, 2001.<br />

[8] P. Gschwind, <strong>Analysis</strong> 4, Skriptum FHBB, Version 02, 2002.<br />

[9] P. Gschwind, Einführung in die Stochastik, Skriptum FHBB, Version 00, 2000.<br />

[10] P. Gschwind, Statistische Methoden, Skriptum FHBB, Version 98, 1998.<br />

[11] P. Gschwind, Geometrie, Skriptum FHBB, Version 92, 1992.<br />

[12] E. Hairer und G. Wanner, <strong>Analysis</strong> by its History, UTM, Springer Verlag, 1996.<br />

[13] H. Heuser, Lehrbuch der <strong>Analysis</strong>, Teil 1, 14. Auflage, Teubner Verlag, 2001.<br />

[14] H. Heuser, Lehrbuch der <strong>Analysis</strong>, Teil 2, 11. Auflage, Teubner Verlag, 2000.<br />

[15] A. Hoffmann, B. Marx und W. Vogt, Mathematik für Ingenieure 1. Lineare Algebra,<br />

<strong>Analysis</strong> - Theorie und Numerik, Pearson Studium, 2005.<br />

[16] A. Hoffmann, B. Marx und W. Vogt, Mathematik für Ingenieure 2. Vektoranalysis,<br />

Integraltransformationen, Differenzialgleichungen, Stochastik - Theorie und Numerik,<br />

Pearson Studium, 2006.<br />

[17] W. Leupold, R. Conrad, S. Völkel, G. Große, <strong>Analysis</strong> für Ingenieure, 11. Auflage,<br />

VEB Fachbuchverlag Leipzig, 1974.<br />

441


442 Literaturverzeichnis<br />

[18] W.Leupold,Mathematik, ein Studienbuch für Ingenieure, Band 1, Algebra, Geometrie,<br />

<strong>Analysis</strong> für eine Variable, Fachbuchverlag Leipzig, 1994.<br />

[19] W. Leupold, Mathematik, ein Studienbuch für Ingenieure, Band 2, Reihen, Differentialgleichungen,<br />

<strong>Analysis</strong> für mehrere Variable, Stochastik, Fachbuchverlag Leipzig,<br />

1995.<br />

[20] L. Papula, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Band 1, 10. Auflage,<br />

Viewegs Fachbücher der Technik, 2001.<br />

[21] L. Papula, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Band 2, 10. Auflage,<br />

Viewegs Fachbücher der Technik, 2001.<br />

[22] L. Papula, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Band 3, 4. Auflage,<br />

Viewegs Fachbücher der Technik, 2001.<br />

[23] L. Papula, Mathematische Formelsammlung für Ingenieure und Naturwissenschaftler,<br />

7. Auflage, Viewegs Fachbücher der Technik, 2001.<br />

[24] L. Papula, Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler, Übungen, 4. Auflage,<br />

Viewegs Fachbücher der Technik, 2001.<br />

[25] H.R. Schärer, W. Meier und S. Niggli, Die Mathematik der technischen Berufsmaturität,<br />

h.e.p Verlag AG, 2005.


Index<br />

N, 1<br />

N 0 , 1<br />

Z, 1<br />

Q, 1<br />

R, 1<br />

C, 1<br />

∅, 1<br />

∞, 4, 113<br />

◦, 83, 160<br />

⇓, 119<br />

↓, 119<br />

⇑, 119<br />

↑, 119<br />

∂, 273<br />

γ, Euler-Mascheronische Konstante, 236<br />

e, Eulersche Zahl, 254<br />

π, Kreiszahl Pi, 263<br />

abgeschlossenes Intervall, 4<br />

abhängige Variable, 12<br />

abhängiges Differenzial, 81<br />

Ableitung, 53<br />

einer Summe, 64<br />

eines Produkts, 67<br />

eines Quotienten, 69<br />

erste, 54<br />

höhere, 96<br />

implizite Funktion, 287<br />

impliziter Funktionen, 89<br />

partiel, 273<br />

partiell<br />

höhere Ordnung, 275<br />

verknüpfter Funktionen, 83<br />

zweite, 96<br />

Abstandsquadratsumme, 297<br />

allgemeiner Grenzwert, 39<br />

alternierende Zahlenfolge, 34<br />

Amplitude, 406<br />

Ansatz<br />

universeller, 387<br />

Ansatzmethode, 370<br />

Reihenentwicklung, 263<br />

Aperiodische Bewegung, 407<br />

Aperiodischer Grenzfall, 407<br />

Approximation, 305<br />

im Mittel, 304<br />

Arbeit, 331, 337<br />

Areafunktion, 180<br />

Argument, 12<br />

arithmetische Mittel, 232<br />

Arkusfunktion, 164<br />

Asteroide, 92<br />

Attraktionsbereich, 107<br />

aufleiten, 138<br />

Ausgleichs<br />

-funktion, 305<br />

-gerade, 305<br />

-kurve, 305<br />

Ausgleichsrechnung, 303<br />

Axiome<br />

Newton, 397<br />

Basiswechsel, 78<br />

Beschleunigung<br />

momentan, 103<br />

Beschleunigungsprinzip, 397<br />

beschränkte Funktion, 26<br />

beschränkte Menge, 4<br />

beschränktes Intervall, 4<br />

bestimmtes Integral, 140, 153<br />

Betrage, 55<br />

Betragsfunktion, 55, 100<br />

Bewegungsgleichungen, 417<br />

Biegelinie, 403<br />

Biegemoment, 402<br />

bijektiv, 3, 159<br />

Bild, 12, 13<br />

Binomialkoeffizient, 56<br />

443


444 Index<br />

Binomialkoeffizienten, 57<br />

Binomische Reihe, 259<br />

Binomischer Satz, 58<br />

Bogenlänge, 191<br />

Parameterdarstellung, 192<br />

Bogenlängenberechnung, 185<br />

Brechungsgesetz, 127<br />

Carl Friedrich Gauss, 1777-1855, 303<br />

Cauchy Augustin Louis, 1789-1857, 243<br />

Cauchy-Hauptwert, 184<br />

charakteristische Gleichung, 383<br />

Collatz Lothar, 1910-1990, 422<br />

Coulombfeld, 336<br />

Cramer Gabriel, 1704-1752, 411<br />

Cramersche Regel, 300, 411<br />

D’Alembert Jean le Rond, 1717-1783, 243<br />

Dämpfungsgrad, 405<br />

Dämpfungskraft, 404<br />

De l’Hospital Guillaume Fronçois Antoine<br />

Marquis, 1661-1704, 114, 115<br />

Definitionsbereich, 12<br />

Definitionsmenge, 12<br />

Dendrochronologie, 433<br />

DGl., 351<br />

Dichte<br />

Luft, 400<br />

Dielektrizitätszahl, 336<br />

Differenzenquotient, 27<br />

Differenzial, 81, 278<br />

abhängiges, 81<br />

Flächen-, 320<br />

totales, 279<br />

unabhängiges, 81<br />

Differenzialgleichung, 351<br />

n-ter Ordnung, 380<br />

n-ter Ordnung homogen, 387<br />

n-ter Ordnung inhomogen, 389<br />

Ansatzmethode, 370<br />

elastische Linie, 402<br />

erster Ordnung, 365<br />

freie Schwingung, 405<br />

homogen, 365<br />

inhomogen, 365<br />

Integral, 351<br />

konstante Koeffizienten, 370, 380<br />

Kontrolle, 354<br />

Lösung, 351<br />

linear, 365<br />

lineare, 380<br />

Ordnung, 351<br />

System<br />

entkoppelt, 417<br />

gekoppelt, 418<br />

System von, 417<br />

universeller Ansatz, 383<br />

Zusammenstellung, 394<br />

zweiter Ordnung, 377, 383<br />

Differenzialoperator<br />

linear, 380<br />

Differenzialrechnung, 53<br />

differenzierbar, 54<br />

Differenzierbarkeit, 99<br />

differenzierbarkeit, 99<br />

differenzieren, 54<br />

Differenzmenge, 2<br />

Dirichlet Lejeune, 1805-1859, 156<br />

Dirichletfunktion, 47, 155<br />

Diskriminante, 21<br />

divergent, 33, 233<br />

divergieren, 33<br />

Doppelintegral, 320<br />

Variablensubstitution, 324<br />

Dreieck<br />

Pascal, 56, 430<br />

von Sierpinski, 429<br />

Durchschnittsmenge, 2<br />

e, 36, 254<br />

e-Funktion, 44<br />

Ebene, 271<br />

echt gebrochenrationale Funktion, 51<br />

effektiver Zuwachs, 279<br />

Eierkarton, 284<br />

Eiffelturm, 433<br />

Eigenfrequenz, 406<br />

Eigenfunktion, 389, 401, 403<br />

Eigenwert, 401, 403<br />

eineindeutig, 159<br />

eineinedeutig, 3<br />

einseitige Umgebung, 5<br />

Eisenbahnbau, 431<br />

Elastizitätsmodul, 402


Index 445<br />

Entropie, 349<br />

Entwicklungspunkt, 257<br />

Epizykloide, 431<br />

Erdbeschleunigung, 398<br />

erste Ableitung, 54<br />

Euler Leonard, 1707-1783, 36<br />

Euler-Mascheronische Konstante, 236<br />

Eulersche Knicklast, 401, 403<br />

Eulersche Zahl, 36, 254<br />

Eulersymbol, 57<br />

Evolute, 133<br />

Parameterdarstellung, 134<br />

Evolvente, 133<br />

exp, 44<br />

Exponentialfunktion, 23<br />

Extrempunkt, 119<br />

Extremwerte<br />

mehrere Variablen, 295<br />

mit Nebenbedingungen, 311<br />

Fadendifferenzial, 320<br />

Fahrstrahl, 212<br />

Fakultät, 57<br />

Federkraft, 404<br />

Fehlerquadratsumme, 299, 306<br />

Feldvektor, 334<br />

Fibonacci Leonardo Pisano, 1170?-1250?,<br />

35, 422<br />

Fibonaccifolge, 35, 422<br />

Fibonaccizahlen, 35, 422<br />

Flächenberechnungen, 144, 319<br />

Flächendifferenzial, 154, 320<br />

Flächenelement, 154<br />

Zusammenstellung, 194<br />

Flächenfunktion, 137, 180<br />

Flächenmoment<br />

achsiales, 327<br />

axiale, 402<br />

Flachpunkt, 296<br />

Folge<br />

alternierend, 34<br />

Fibonacci, 35, 422<br />

Null-, 34<br />

Polygone im Kreis, 426<br />

von Collatz, 35, 422<br />

Folge von Collatz, 35, 422<br />

Formel von Euler<br />

Hyperbelfunktionen, 175<br />

Formel von Moivre<br />

Hyperbelfunktionen, 179<br />

Fraktal, 426<br />

Freier Fall, 398<br />

mit Luftwiderstand ∼ v 2 , 400<br />

mit Reibungskraft ∼ v, 399<br />

ohne Luftwiderstand, 398<br />

Freiheitsgrade, 352<br />

Fundamentalsatz der Algebra, 218<br />

Funktion, 11, 12<br />

affine, 14<br />

Area-, 180<br />

Arkus-, 164<br />

Arkuscosinus, 165<br />

Arkuskotangens, 166<br />

Arkussinus, 165<br />

Arkustangens, 166<br />

beschränkt, 26<br />

Betrags-, 100<br />

bijektive, 159<br />

ceil, 47<br />

ceiling, 47<br />

differenzierbar, 99<br />

Dirichlet, 47, 155<br />

e-, 44<br />

eineindeutige, 159<br />

Exponential-, 23, 26<br />

Flächen-, 137, 180<br />

Floor, 47<br />

gebrochenrational, 51<br />

echt, 51<br />

unecht, 52<br />

gerade, 24<br />

Heavyside, 46<br />

Hyperbel-, 173<br />

implizit, 89<br />

integrierbar, 154<br />

Inverse-, 159<br />

lineare, 14<br />

Polynom-, 20<br />

rationale<br />

echt gebrochen, 217<br />

unecht gebrochen, 217<br />

sgn, 46<br />

sign, 46<br />

Signum, 46


446 Index<br />

Umkehr-, 159<br />

ungerade, 24<br />

Vorzeichen, 46<br />

Wurzel-, 26, 100<br />

Zyklometrische-, 164<br />

Funktion-Stamm, 138<br />

Funktionaldeterminante, 324<br />

Funktionswertzuwachs<br />

effektiver, 280<br />

linearisierter, 280<br />

ganze Zahlen, 1<br />

Gaskonstante<br />

universelle, 348<br />

Gauss Carl Friedrich, 1777-1855, 305<br />

Gausssches Gitter, 6<br />

gebrochenrationale Funktion, 51<br />

geometrische Mittel, 232<br />

Gerade, 14<br />

gerade Funktion, 24<br />

Geradengleichung, 14<br />

Geschwindigkeit<br />

momentan, 103<br />

Gleichung der Kettenlinie, 436<br />

Gleichungssystem<br />

lineares, 306<br />

Glieder, 231<br />

Goldenen Schnitt, 35<br />

Gradient, 291<br />

Grenzgeschwindigkeit, 399, 400<br />

Grenzwert, 33<br />

allgemein, 39<br />

im Unendlichen, 50<br />

linksseitig, 39<br />

rechtsseitig, 39<br />

uneigentlich, 34<br />

uneigentlicher, 112<br />

Zahlenfolge, 33<br />

Grenzwertkalkül<br />

Differenzregel, 112<br />

Produktregel, 113<br />

Quotientenregel, 113<br />

Summenregel, 112<br />

Grenzwertsätze, 38<br />

Grundintegrale, 138<br />

Arkusfunktionen, 168<br />

Hyperbelfunktionen, 176<br />

Tafel, 439<br />

Höhenlinien, 270<br />

höhere Ableitungen, 96<br />

Halbwärtszeit, 351<br />

harmonische Mittel, 232<br />

Hauptwert, 165<br />

Heavyside Funktion, 46<br />

hebbare Singularität, 47<br />

Helix, 332<br />

Herzkurve, 92<br />

Hyperbel<br />

-cosinus, 173<br />

-kotangens, 174<br />

-sinus, 173<br />

-tangens, 174<br />

Hyperbelfunktion, 173<br />

Hyperfläche, 270<br />

Identitätsabbildung, 160<br />

implizite Funktion, 89<br />

Induktion, 58<br />

Induktionshypothese, 58<br />

Verankerung, 58<br />

Vererbung, 59<br />

Integartionskonstante, 138<br />

Integral<br />

bestimmt, 140<br />

bestimmtes, 153<br />

Grund-, 138<br />

Linien-, 331<br />

mehrfach, 319<br />

Monte-Carlo, 436<br />

Riemannsche, 151<br />

unbestimmt, 138<br />

Integralrechnung, 137<br />

Integration<br />

durch Partialbruchzerlegung, 217<br />

Partialbruchzerlegung, 229<br />

Partielle-, 209<br />

rationaler Funktion, 217<br />

Rekursionsformeln, 213<br />

Substitution, 195<br />

Integrationsmethoden, 195<br />

Integrationsregeln, 142<br />

integrierbar, 154<br />

Intervall, 3


Index 447<br />

abgeschlossen, 4<br />

beschränkt, 4<br />

linksoffen, 4<br />

offen, 4<br />

rechtsoffen, 4<br />

Isoklinen, 352<br />

Isoklinenmethode, 352<br />

Iteration, 106<br />

Fixpunktverfahren, 107<br />

Tangentenverfahren<br />

Newton, 109<br />

Jahresringe, 433<br />

Juliamengen, 431<br />

Kühlturm, 433<br />

Kaffeetasse, 431<br />

Kanichenvermehrung, 422<br />

Kardioide, 92, 431<br />

Kartesisches Blatt, 91<br />

kartesisches Koordinatensystem, 5<br />

Katakaustik, 431<br />

Kegelvolumen, 188<br />

Kettenlinie, 435<br />

Länge, 192<br />

Kettenlinienfunktion, 173<br />

Kettenregel, 84<br />

Klothoide, 431<br />

Knick, 99<br />

Knicklast, 401<br />

Koeffizientenvergleich, 224<br />

Potenzreihen, 261<br />

Komplementärmenge, 2<br />

komplexe Zahlen, 1<br />

konkav, 120<br />

Konstante<br />

Integrations-, 138<br />

Kontrolle, 354<br />

konvergent, 33, 233<br />

absolut, 238<br />

konvergente<br />

Reihe, 233<br />

Konvergenzkriterien, 235<br />

Konvergenzkriterium<br />

Iterationsverfahren, 107<br />

Leibniz, 237<br />

Tangentenverfahren von Newton, 110<br />

Konvergenzradius, 248<br />

Konvergenzverhalten, 234<br />

konvergieren, 33<br />

konvex, 120<br />

Koordinaten, 5<br />

kartesische, 5<br />

Kugel-, 5<br />

polar-, 5<br />

Zylinder-, 5<br />

Koordinatensystem<br />

kartesisches, 5<br />

Kosinus hyperbolikus, 173, 435<br />

Kotangens hyperbolikus, 174<br />

Krümmung, 130<br />

links-, 121, 131<br />

mittlere, 130<br />

Parameterdarstellung, 132<br />

Polarkoordinaten, 136<br />

rechts-, 121, 131<br />

Krümmungskreis, 133<br />

Krümmungsmittelpunkt, 133<br />

Krümmungsradius, 133<br />

Kugeloberfläche, 194<br />

Kurve, 331<br />

Bogenlänge, 191<br />

Kochsche, 427<br />

Kurvendiskussion, 118<br />

Beispiel, 123<br />

Kurvenintegral, 337<br />

Kurvenlänge, 191<br />

Kurvenschar, 352<br />

Länge<br />

Kurve, 191<br />

Länge der Kettenlinie, 192<br />

Lösung<br />

allgemeine, 352<br />

partikuläre, 352<br />

Lücke, 47<br />

Lagrange<br />

-hilfsfunktion, 313<br />

-multiplikatoren, 312, 313<br />

Lagrange Joseph Louis, 1736-1813, 311<br />

Laplace Pierre Simon, 1749-1827, 277<br />

Laplace-Operator, 276<br />

Laurent Paul Hermann, 1841-1908, 263<br />

Laurent Reihe, 263


448 Index<br />

Lebesgue Henri, 1875-1941, 156<br />

Linearisierung, 279<br />

Linearisierungsfehler, 82, 279<br />

Linearkombination, 380<br />

Linienelement, 191<br />

Zusammenstellung, 194<br />

Linienintegral, 337<br />

Linienintegrale, 331<br />

Linkskrümmung, 121<br />

linksoffenes Intervall, 4<br />

linksseitige Umgebung, 5<br />

linksseitiger Grenzwert, 39<br />

Logarithmengesetze, 77<br />

Logarithmus, 76<br />

natürlicher, 76<br />

Logarithmusfunktion, 79, 80<br />

Maclaurin Colin, 1698-1746, 253<br />

Maclaurinreihe, 253<br />

Majorante, 238<br />

Majorantenkriterium, 238<br />

Mandelbrot Benoit, 1924-2010, 426<br />

Mandelbrotmenge, 431<br />

Mantelfläche, 192<br />

Mantelflächenelement, 193<br />

Zusammenstellung, 194<br />

Maximum<br />

lokales, 120<br />

mehrere Variablen, 296<br />

Maximumstelle, 120<br />

Menge, 1<br />

beschränkt, 4<br />

Differenz, 2<br />

Durchschnitt, 2<br />

Komplement, 2<br />

leere, 1<br />

Punkt, 3<br />

unbeschränkt, 4<br />

Vereinigung, 2<br />

Zahlen, 3<br />

Mengenlehre, 1<br />

Mengenoperation, 2<br />

Mengenrelation, 2<br />

Mengerwürfel, 431<br />

Methode der kleinsten Quadrate, 127, 298,<br />

303<br />

Methode von Tschebysheff, 304<br />

Minimum<br />

lokales, 119<br />

mehrere Variablen, 296<br />

Minimumstelle, 119<br />

Minorante, 238<br />

Minorantenkriterium, 240<br />

Mittel<br />

arithmetische, 232<br />

arithmetischen, 298<br />

geometrische, 232<br />

harmonische, 232<br />

harmonisches, 232<br />

quadratische, 232<br />

Mittelwert, 129<br />

MKQ, 127, 298, 303<br />

Momentanbeschleunigung, 103<br />

Momentangeschwindigkeit, 103<br />

monoton<br />

fallend, 119<br />

steigend, 119<br />

streng, 119<br />

wachsend, 119<br />

monoton fallend, 26<br />

monoton wachsend, 26<br />

Monotonie, 25<br />

streng, 26<br />

Monotoniebogen, 119<br />

Monster Kurven, 428<br />

Monte-Carlo Integration, 436<br />

Näherung<br />

erste, 281<br />

Näherungsformel<br />

Binomische Formel, 259<br />

Sinus, 255<br />

natürliche Zahlen, 1<br />

natürlicher Logarithmus, 76<br />

Nebenbedingung, 312<br />

Newton Sir Isaac, 1643-1727, 398<br />

Newtonsche Axiome, 397<br />

nicht-hebbare Singularität, 47<br />

Nielsche Parabel, 98, 99<br />

Niveaulinien, 270<br />

Normale, 14<br />

Normalenvektor, 293<br />

Normalgleichungssystem, 307<br />

Nullfolge, 34, 235, 237


Index 449<br />

Nullstelle, 21<br />

Formel, 21<br />

numerische Integration, 156<br />

Oberflächenberechnung, 185<br />

Obersumme, 152<br />

offenes Intervall, 4<br />

Ohmscher Widerständ<br />

Reihenschaltung, 269<br />

Operator<br />

Laplace, 276<br />

Orthogonaltrajektorien, 363<br />

Orthogonaltrajektorienschar, 363<br />

Ortsvektor, 332<br />

Parabel<br />

Nielsche, 98, 99<br />

Parameterdarstellung<br />

Bogenlänge, 192<br />

Evolute, 134<br />

Krümmung, 132<br />

Partialbruch<br />

dritter Art, 224<br />

erster Art, 219<br />

vierter Art, 226<br />

zweiter Art, 221<br />

Partialbruchzerlegung, 219<br />

Zusammenfassung, 229<br />

Partialsummenfolge, 233<br />

partielle Ableitung, 273<br />

Partielle Integration, 209<br />

Pascal Blaise, 1623-1662, 57<br />

Pascalsches Dreieck, 56, 430<br />

Periode<br />

gedämpfte Schwingung, 407<br />

ungedämpfte Schwingung, 406<br />

Phase, 406<br />

Phasenverschiebung, 406<br />

Pi, π, 263<br />

Pierre Fermat, 1601-1665, 151<br />

Polarkoordinaten, 325<br />

Polstelle, 47<br />

Polygone im Kreis, 426<br />

Polynom, 20<br />

Grad, 20<br />

Polynomdivision, 217<br />

Polynomefunktion, 20<br />

Polynomnullstellen, 218<br />

Potenzfunktion, 15<br />

Ableitung, 63<br />

Potenzial, 343<br />

Potenzialfeld, 342, 343<br />

Potenzialfunktion, 343<br />

Potenzreihen, 247<br />

Hauptsatz, 252<br />

Produktregel, 68<br />

Punktmenge, 3<br />

Quadrant<br />

dritter, 5<br />

erster, 5<br />

vierter, 5<br />

zweiter, 5<br />

quadratische Ergänzung, 20<br />

quadratische Mittel, 232<br />

Querschnittsflächenfunktion, 190<br />

Quotientenkriterium von d’Alembert, 240<br />

Quotientenregel, 70<br />

radioaktiven Zerfall, 351<br />

Raketenbewegung, 360<br />

Randwertproblem, 401<br />

rationale Zahlen, 1<br />

Rechtskrümmung, 121<br />

rechtsoffenes Intervall, 4<br />

rechtsseitige Umgebung, 5<br />

rechtsseitiger Grenzwert, 39<br />

reelle Zahlen, 1<br />

Reflektionsgesetz, 127<br />

Regel<br />

von Cramer, 300<br />

Regel von Cramer, 411<br />

Regel von de l’Hospital, 114<br />

Regression<br />

lineare, 298<br />

Regressionskoeffizient, 300<br />

Regressionskonstante, 300<br />

Reihe, 231<br />

alternierende, 237<br />

alternierende harmonische, 237<br />

bestimmt divergente, 233<br />

binomische, 259<br />

divergente, 233<br />

geometrische, 232, 234


450 Index<br />

harmonische, 232, 233<br />

hyperharmonische, 244<br />

Laurent-, 263<br />

Maclaurin-, 253<br />

oszillierende, 233<br />

Taylor-, 253<br />

unendliche, 231<br />

verdichten, 245<br />

Reihen, 231<br />

Rekursionsformel<br />

Integration, 213<br />

Resonanzfall, 373, 389<br />

Resonanzfrequenz, 414<br />

Richtungsfeld, 352, 355<br />

Riemann Bernhard 1826-1866, 151<br />

Riemannsche<br />

Obersumme, 152<br />

Untersumme, 152<br />

Riemannsche Integral, 151<br />

Rollkurve, 431<br />

Epizykloide, 431<br />

Kardioide, 431<br />

Rotation, 345<br />

Rotationsfläche, 285<br />

Rotationskörper<br />

Mantelfläche, 192<br />

Volumen, 185<br />

Rotationsparaboloid, 273, 292<br />

Sandwich-Theorem, 42<br />

Sattelfläche, 283<br />

Sattelpunkt, 122<br />

mehrere Variablen, 296<br />

Satz<br />

binomischer, 58<br />

Extrempunkte, 121<br />

Fundamental- der Algebra, 218<br />

geometrische Reihe, 234<br />

Haupt- über Potenzreihen, 252<br />

hyperharmonische Reihe, 244<br />

Konvergenz- für Potenzreihen, 248<br />

Konvergenzkriterium von Leibniz, 237<br />

Krümmungsverhalten, 121<br />

Linearität Differenzialoperators, 381<br />

Linienintegral wegunabhängig, 343<br />

Majorantenkriterium, 238<br />

Minorantenkriterium, 240<br />

Potenzialfelder und Gradienten, 345<br />

Quotientenkriterium von d’Alembert,<br />

240<br />

Superpositionsprinzip, 375<br />

Taylorreihen, 253<br />

von Schwarz, 275<br />

von Steiner, 327<br />

Wurzelkriterium von Cauchy, 241<br />

Scharparameter, 355, 364<br />

Scheitelpunkt, 131<br />

Schiefer Wurf, 269<br />

Schneeflocke, 427<br />

Schraubenlinie, 332<br />

Schwarz A. Hermann, 1843-1921, 275<br />

Schwerpunkt, 298<br />

Schwingung<br />

erzwungene, 410<br />

freie, 404<br />

gedämpft, 406<br />

stationäre Zustand, 412<br />

ungedämpft, 405<br />

Separation der Variablen, 357<br />

Sierpinski Waclaw, 1882-1969, 429<br />

Sierpinski-<br />

Dreieck, 429<br />

Teppich, 429<br />

Signumfunktion, 46<br />

Singularität, 47<br />

hebbar, 47<br />

nicht-hebbar, 47<br />

Sinus hyperbolikus, 173<br />

Spitze, 121<br />

Sprungschanze, 434<br />

Sprungstelle, 47<br />

Störfunktion, 365, 389<br />

Stammfunktion, 138<br />

Stauchung, 15<br />

Steigung, 14<br />

linksseitig, 100<br />

rechtsseitig, 100<br />

Sekante, 27<br />

Tangente, 29<br />

Steigungswinkel, 14<br />

Steiner Jakob, 1796-1863, 327<br />

Sternenkurve, 92<br />

stetig, 45<br />

Stetigkeit, 45


Index 451<br />

Stokes George Gabriel, 1819-1903, 399<br />

Stokessche Reibung, 399<br />

Strassenbau, 431<br />

Streckung, 15<br />

strenge Monotonie, 26<br />

Strophoide, 91<br />

Subnormale, 358<br />

Substitution, 195<br />

mit hyperbolischen Funktionen, 206<br />

mit trigonometrischen Funktionen, 206<br />

Summenfolge, 151<br />

Summenformel<br />

arithmetische Reihe, 424<br />

endliche Reihe, 424<br />

Summenwert, 233<br />

Summenzeichen<br />

vertauschen, 307<br />

Superpositionsprinzip, 370, 371, 375, 390,<br />

391<br />

Symmetrie, 24<br />

Tafel<br />

der Grundintegrale, 439<br />

Tangens hyperbolikus, 174<br />

Tangentendreieck, 278<br />

Tangentengleichung, 288<br />

Tangentenproblem, 53<br />

Tangentialebene, 291, 293<br />

Tannenzapfen, 423<br />

Taylor Brook, 1685-1731, 253<br />

Taylorapproximation, 256<br />

Taylorreihe, 253<br />

allgemeine Form, 256<br />

Teilmenge<br />

echt, 2<br />

Teilsumme, 233<br />

Teilsummenfolge, 233<br />

Teppich von Sierpinski, 429<br />

Terassenpunkt, 122<br />

Theorem<br />

Sandwich, 42<br />

Thermodynamik, 348<br />

totales Differenzial, 279<br />

Trägheitsmoment, 327<br />

achsiales, 327<br />

Körpers, 327<br />

Trägheitsprinzip, 397<br />

Trennen der Variablen, 357<br />

Tschebysheff<br />

Methode von, 304<br />

Tschebysheff Pafnutij, 1821-1894, 303, 304<br />

Turmbau, 434<br />

Überlagerungsprinzip, 375<br />

Umgebung, 5<br />

einseitig, 5<br />

linksseitig, 5<br />

rechtsseitig, 5<br />

Umkehrfunktion, 76, 159<br />

unabhängige Variable, 12<br />

unabhängiges Differenzial, 81<br />

unbeschränkte Menge, 4<br />

unbestimmt divergente<br />

Reihe, 233<br />

unbestimmtes Integral, 138<br />

unecht gebrochenrationale Funktion, 52<br />

Uneigentlicher Grenzwert, 112<br />

uneigentlicher Grenzwert, 34<br />

Unendlichkeitsstelle, 47<br />

ungerade Funktion, 24<br />

Ungleichung<br />

Cauchy-Schwarz, 300<br />

Untersumme, 152<br />

Urbild, 12, 13<br />

Ursprung, 5<br />

Variable<br />

abhängig, 12<br />

unabhängig, 12<br />

Variablen trennen, 357<br />

Variablensubstitution, 324<br />

Variation der Konstanten, 366<br />

Vektorfeld, 331<br />

stationär, 334<br />

Vereinigungsmenge, 2<br />

Vergleichskriterien, 238<br />

Verknüpfung, 83, 160<br />

Verschiebung, 15<br />

Viskosität<br />

dynamische, 399<br />

vollständige Differenzial, 279, 280<br />

vollständige Induktion, 58<br />

Volumen<br />

Ellipsoid, 190


452 Index<br />

Sechseckpyramide, 190<br />

Zylinderabschnitt, 190<br />

Volumenberechnung, 185<br />

verallgemeinert, 189<br />

Volumenelement, 186, 189<br />

Zusammenstellung, 194<br />

von Koch Niels Fabian Helge, 1870-1924,<br />

427<br />

Vorzeichenfunktion, 46<br />

Wärmekapazität<br />

spezifische, 348<br />

Würfel von Menger, 431<br />

Wankelmotor, 431<br />

Was ist falsch?, 421<br />

Wechselwirkungsprinzip, 397<br />

Wegintegral, 337<br />

wegunabhängig, 343<br />

Weierstrass Karl Theodor Wilhelm, 1815-<br />

1897, 102<br />

Wendepunkt, 122, 131<br />

Wertebereich, 13<br />

Widerstandsbeiwert, 400<br />

Wilhelm Leibniz, 1646-1716, 237<br />

wirbelfrei, 345<br />

Wurzel, 218<br />

Wurzelfunktion, 100<br />

Wurzelkriterium von Cauchy, 241<br />

y-Achsenabschnitt, 14<br />

Zahlen<br />

nicht-negative ganze, 1<br />

positve ganze, 1<br />

Zahlenfolge, 231<br />

alternierend, 34<br />

Zahlenmenge, 3<br />

Zielmenge, 12<br />

Zufallszahlen, 437<br />

Zustandsgleichung<br />

ideales Gas, 348<br />

Zustandsgrösse, 349<br />

Zuwachs<br />

effektiver, 280<br />

linearisierter, 280<br />

zweite Ableitung, 96<br />

Zylinderkoordinaten, 326

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