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Volltext [pdf] - Hannah-Arendt-Institut Dresden

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itorium angewandt. Kennzeichen dieser Rechtsordnung war ein extremer<br />

Gesetzespositivismus gepaart mit einem teilweise ins Absurde gesteigerten<br />

Aktenformalismus und der peinlich genauen Befolgung von<br />

prozessualen Formalvorschriften, denen gegenüber die materielle Wahrung<br />

von Prozeßgarantien keine Rolle mehr spielte. Selbst bei den Massenverfahren<br />

von 1949, die bei im voraus feststehenden Urteilssprüchen<br />

nur der Erzeugung von neuen, nicht repatriierungspflichtigen Verurteilten<br />

aufgrund einer politischen Direktive von oben dienten, schien es<br />

wichtig, wenigstens äußerlich durch strafrechts- und strafprozessuale<br />

Regularien den Boden der ‘Scheinverrechtlichung’ (Martin Fincke) 111<br />

nicht zu verlassen. Bereits im Jahre 1950, als die deutsche Öffentlichkeit<br />

erstmals von der Verurteilungswelle in den sowjetischen Kriegsgefangenenlagern<br />

erfuhr, hat Reinhart Maurach im Rahmen einer allgemeinen<br />

Einschätzung des sowjetischen Rechtssystems der Stalinära eine Gesamtbewertung<br />

der Kriegsgefangenenprozesse gegeben, die heute, angesichts<br />

einer ungleich genaueren Kenntnis der damaligen Prozeßgeschehnisse,<br />

sich mehr als bestätigt hat. Maurach schrieb damals:<br />

»Der gesamte Staatsapparat der UdSSR stellt eine Bürokratie dar, deren Ausmaß<br />

westeuropäischem Denken stets unverständlich bleiben wird. Die sogenannte<br />

strenge Ordnung des Sozialismus hat den Formalien- und insbesondere<br />

Aktenkult auf eine seltsame Stufe der Vollendung gebracht. Der Akteninhalt<br />

mag sich beliebig weit vom wirklichen Leben entfernen; entscheidend ist stets er,<br />

und nicht dieses. In besonders hohem Maße gilt dies für das Gerichtsverfahren.<br />

Auf die Einhaltung der Formalvorschriften – und damit auch auf die Wahrung<br />

der Prozeßregeln zu Gunsten der Angeklagten – wird an sich großes Gewicht<br />

gelegt, soweit die Einhaltung derselben aus den Akten ersichtlich wird. Wie diese<br />

Akten zustande kommen, interessiert nicht, am wenigsten diejenigen Instanzen,<br />

welche nach dem Gesetz über die Innehaltung der ‘sozialistischen Gesetzmäßigkeit’<br />

zu wachen haben. Die sowjetischen Gerichte schreiben ihre Urteile für<br />

diese Aufsichtsinstanzen, und sie verstehen es, ihre Akten so zu führen und ihre<br />

Entscheidungen so zu begründen, daß sie einer formellen Beanstandung durch<br />

die übergeordneten Kassations-, Protestations- und Dienstaufsichtsinstanzen völlig<br />

sicher sind. Ob die Akten den tatsächlichen Hergang des Verfahrens wiedergeben,<br />

ist unerheblich, denn Verfahrens- und Urteilsnachprüfungen beschränken<br />

sich auf die formelle Seite, und diese pflegt meist in bester Ordnung zu sein: die<br />

Beweiserhebungen und insbesondere die Geständnisse, auf denen das Urteil<br />

beruht, sind lückenlos und überzeugend, die Fristen waren innegehalten, die<br />

111 Prof. Fincke in seinem Diskussionsbeitrag »Prinzipielle Widersprüche« in:<br />

Wagenlehner: Stalins Willkürjustiz S. 55.<br />

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