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Volltext [pdf] - Hannah-Arendt-Institut Dresden

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Gerichte ordnungsgemäß besetzt und dem Angeklagten war laut Niederschrift<br />

‘die Möglichkeit der Verteidigung offengehalten worden’.« 112<br />

Der hohe Grad an Aktenkundlichkeit und prozessualistischer Akribie<br />

des sowjetischen Justizsystems, dem die eigenen wie fremde Staatsbürger<br />

gleichermaßen unterworfen waren, hat eine Unmenge von Aktenmaterial<br />

hinterlassen, das heute nach dem Ende des Sowjetstaates und dessen<br />

restriktiven Umgangs mit der eigenen quellenmäßigen Überlieferung<br />

der Forschung in und außerhalb Rußlands zumindest grundsätzlich zur<br />

Verfügung steht. Doch was sagen diese Akten, soweit es sich um solche<br />

der Justiz handelt, aus? Was können sie heute im Abstand von fast einem<br />

halben Jahrhundert und nach dem Tod der meisten Zeitzeugen über die<br />

Prozesse, ihren Ablauf, ihre Motive und Hintergründe mitteilen? Wie<br />

nützlich sind sie, neben dem juristischen Anliegen, Betroffene zu rehabilitieren,<br />

für die zeitgeschichtliche Forschung? Schon bei der Frage der<br />

Rehabilitierung Verurteilter zeigen sich Probleme, die vom Material her<br />

gegeben sind. Da es insbesondere für die Massenverfahren in der Regel<br />

zwar Anklageschriften und Urteilsausfertigungen, je nach dem auch<br />

unterschiedlich umfangreiche Ermittlungsakten, jedoch keine Urteilsbegründungen<br />

gibt, ist die rechtliche Würdigung der Urteile im Einzelfall<br />

ein schwieriges Unterfangen. So nimmt es kein Wunder, daß die auf<br />

Antrag vorgenommenen Rehabilitierungen durch die heutigen russischen<br />

Justizorgane häufig genauso ‘aktenmäßig’ und pauschal erfolgen<br />

wie die seinerzeitigen Verurteilungen selber. 113 Um so mehr zeigen sich<br />

für den Historiker die Grenzen einer rein dokumentenmäßigen Betrachtungsweise<br />

historischer Geschehnisse. Die lebendige Erinnerung von<br />

Zeugen, möglichst von beiden Seiten, der Verurteiler wie der Verurteilten,<br />

oder – angesichts deren rasant abnehmender Zahl – zumindest die<br />

Kenntnis der ‘allgemeinen Verhältnisse’ an Ort und Zeit, die kein papierenes<br />

Dokument für sich wiederzugeben vermag, ist deshalb so wichtig<br />

und unverzichtbar. Nur sie sichert die angemessene ‘Kontextualisierung’<br />

der Geschehnisse und liefert einen verläßlichen Boden für das historische<br />

Urteil. Rechtsgeschichtlich ist etwa die Entstehung und universelle Handhabung<br />

jenes Ukaz 43 von Interesse, der in einem großen ostsibirischen<br />

Schauprozeß des Jahres 1949 sogar auf Japaner angewendet wurde und<br />

erst 1983 aus dem sowjetischen Recht verschwand. 114 Ein anderes Feld<br />

beträfe die Durchführung der Untersuchungsverfahren und den Anteil<br />

von Gewalt und Einschüchterung sowie die Bedeutung von Denunziatio-<br />

112 Maurach: Die Kriegsverbrecherprozesse S. 76.<br />

113 Siehe dazu den Beitrag: Alles erfunden. In: Der Spiegel 45/1992, S. 226-231.<br />

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