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Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

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KOALITIONSFREIHEIT, ARBEITNEHMERRECHTE UND SOZIALER DIALOG<br />

Probleme <strong>der</strong> Tarifautonomie<br />

Was die Koalitionen <strong>der</strong> Sozialpartner schließlich<br />

an Inhalten tarifvertraglich vereinbaren, ist im<br />

Zuge <strong>der</strong> Transformation in Osteuropa heute von<br />

einem erkennbaren Trend zu mehr tarifautonomen<br />

Abschlüssen gekennzeichnet. Frühere detaillierte<br />

staatliche Vorgaben nach dem Motto<br />

„Was das Gesetz nicht ausdrücklich erlaubt, kann<br />

nicht durch bilaterale Vereinbarungen festgelegt<br />

werden“, sind zunehmend zugunsten einer freieren<br />

Gestaltung durch die Sozialpartner zurückgenommen<br />

worden. Das Günstigkeitsprinzip kommt<br />

dabei mit <strong>der</strong> Maßgabe zum Tragen, dass ansonsten<br />

gesetzlich geregelte Materien durch Kollektivverträge<br />

nur verbessert, nicht aber für die Betroffenen<br />

ungünstiger ausfallen dürfen.<br />

An<strong>der</strong>erseits gibt es auch auf nationaler Ebene<br />

festgelegte tripartistische o<strong>der</strong> bilaterale Lohnleitlinien<br />

o<strong>der</strong> Rahmenregulierungen, die darauf abzielen,<br />

sowohl Defizite <strong>der</strong> Verhandlungssysteme<br />

und -führung auszugleichen, als auch negative<br />

preistreibende und die internationale Wettbewerbsfähigkeit<br />

berührende Effekte zu begrenzen.<br />

Beispiele sind:<br />

• Tarifverträge sollen gemäß tripartiter Empfehlung<br />

des Wirtschafts- und Sozialrats in Bulgarien<br />

einen Ausgleich für die zu erwartenden Inflations-<br />

und Produktivitätsraten erbringen, d.h.<br />

konkret für den Zeitraum 2007–2009 in einer<br />

Bandbreite zwischen 7,5 und 10%. Für den öffentlichen<br />

Bereich gelten dabei als Indizes <strong>der</strong><br />

Verteilungspolitik: 100% Inflationsausgleich sowie<br />

75% des BIP-Wachstums als Orientierungsgröße.<br />

• In Litauen wurde wegen des Fehlens von Branchen-<br />

und vielfach auch Firmentarifverträgen<br />

eine „Methodik zur Bewertung von Tätigkeiten<br />

und Positionen“ für die unterschiedliche Klassifizierung<br />

von Lohngruppen in einem bilateralen<br />

nationalen Abkommen 2005 zur Anwendung<br />

empfohlen.<br />

• Slowenien weist ein dreistufiges Tarifvertragssystem<br />

auf: Im nationalen Sozialpakt sowie in<br />

den Rahmenabkommen für die Privatwirtschaft<br />

und den öffentlichen Sektor wurde zur Einhaltung<br />

<strong>der</strong> Maastricht-Kriterien vor Einführung<br />

des Euro 2007 für die nachfolgenden Verhandlungen<br />

festgelegt, dass in den Branchentarifverträgen<br />

80% <strong>der</strong> Inflationsrate ausgeglichen werden<br />

sollten, ferner die um jeweils einen Prozentpunkt<br />

verringerte Rate des Produktivitätsanstiegs.<br />

Diese Margen können aber in Firmenvereinbarungen<br />

entsprechend dem Unternehmenserfolg<br />

variiert werden.<br />

• In Polen gilt seit 2002 eine gesetzliche Härtefallregelung,<br />

wonach Unternehmen im Falle wirtschaftlicher<br />

Schwierigkeiten bestehende tarifvertragliche<br />

Regelungen bis zu drei Jahre aussetzen<br />

können. Davon wird in den letzten Jahren<br />

zunehmend häufiger Gebrauch gemacht,<br />

was jeweils die formelle Zustimmung <strong>der</strong> verhandelnden<br />

Gewerkschaft sowie einer lokalen<br />

tripartiten Kommission erfor<strong>der</strong>t. Ob dabei immer<br />

auch eine wirksame Kontrolle <strong>der</strong> Gewerkschaften<br />

erfolgt, kann bezweifelt werden, wenn<br />

die Arbeitsinspektion gleichzeitig feststellt, dass<br />

56% <strong>der</strong> 2005 geprüften Betriebe ihren rechtlichen<br />

Verpflichtungen bei <strong>der</strong> Lohnzahlung nicht<br />

nachgekommen sind.<br />

3.1.7 Rechtlich begrenzte Streikmöglichkeiten<br />

und gegenwärtige Streikpraxis<br />

Um überhaupt zu einem Tarifabschluss zu kommen,<br />

ist <strong>der</strong> Arbeitskampf als die ultima ratio anzudrohende<br />

o<strong>der</strong> einzusetzende Waffe <strong>der</strong> Gewerkschaften<br />

als verhandelnde Koalition unerlässlich.<br />

Genau dieses notwendige Druckmittel ist<br />

nach anfänglich häufigerem Einsatz zu Beginn <strong>der</strong><br />

Wende in den letzten Jahren offensichtlich stumpf<br />

geworden, sieht man die Streikbilanz in Osteuropa<br />

zumal in <strong>der</strong> Privatwirtschaft.<br />

Ein wesentlicher Grund dafür ist neben <strong>der</strong> nachlassenden<br />

Organisationsdichte und damit Stärke<br />

<strong>der</strong> Gewerkschaften ein teilweise extrem restriktives<br />

Streikrecht, das u.a. bereits verschiedentlich<br />

die einschlägigen Gremien <strong>der</strong> ILO (so wie<strong>der</strong>holt<br />

das dort eingerichtete „Committe of Freedom of<br />

Association“) sowie auch den Europarat wegen<br />

Verstoßes gegen die Europäische Sozialcharta auf<br />

den Plan gerufen hat.<br />

Zur Unterbindung einer als überbordend befürchteten<br />

Streikpraxis gibt es in einzelnen Län<strong>der</strong>n<br />

eine breite Klaviatur administrativer Hemmnisse<br />

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