Heribert Kohl - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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FRIEDRICH-EBERT-STIFTUNG<br />
ger als im Dienstleistungsbereich – dominieren<br />
stärker sektorale Tarifverträge. Eine Son<strong>der</strong>stellung<br />
nimmt Bosnien-Herzegowina ein, wo auf Entitätsebene<br />
jeweils tripartite Rahmenvereinbarungen<br />
geschlossen werden; ansonsten regeln bipartite<br />
Verträge in <strong>der</strong> Fö<strong>der</strong>ation auf kantonaler<br />
Ebene sowie in den Unternehmen Details <strong>der</strong> Entlohnung<br />
und weiteren Arbeitsbedingungen.<br />
Soweit Unternehmensverträge vorherrschen, sind<br />
im westlichen Balkan ähnliche Probleme wie auch<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> Tarifverhandlungen (s.u.) zu verzeichnen<br />
wie in allen an<strong>der</strong>en vormals sozialistischen<br />
Staaten (zu den Tarifvertragsstrukturen in<br />
Westeuropa vgl. Anhang 5.5).<br />
Das Arbeitskampfrecht erscheint im Westbalkan<br />
formal weniger reguliert und restriktiv. Gleichwohl<br />
werden Streikmaßnahmen hier keineswegs<br />
häufiger ergriffen als an<strong>der</strong>swo in Ost europa. Eine<br />
Ausnahme bildet hier wie<strong>der</strong>um Slowenien mit<br />
seiner ersichtlich hohen Aktionsbereitschaft und<br />
wirksamen Militanz in entscheidenden, auch allgemeineren<br />
gesellschafts- und sozialpolitischen<br />
Fragen (wie bei <strong>der</strong> erfolgreichen Abwehr <strong>der</strong> Flat<br />
Tax Rate – vgl. Hantke 2009). In an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n<br />
fehlt weithin dieses Druckpotenzial bei solchen<br />
wie auch tarifpolitischen Auseinan<strong>der</strong>setzungen<br />
in <strong>der</strong> Öffentlichkeit. Vielfach steht dahinter auch<br />
mangelnde Erfahrung mit <strong>der</strong> Vorbereitung und<br />
Durchführung erfolgreicher Verhandlungsrunden.<br />
Vergleicht man die Ergebnisse <strong>der</strong> Formen kollektiver<br />
Lohnfindung in Osteuropa, fällt als erstes<br />
<strong>der</strong> Indikator „Mindestlohn“ ins Gewicht. Für<br />
dessen Höhe ist entscheidend, wer darüber jeweils<br />
befindet und in welchem Maße die Gewerkschaften<br />
und Arbeitgeber neben <strong>der</strong> Regierung<br />
auf dessen Festlegung Einfluss nehmen (s. detaillierter:<br />
Schulten u.a. 2006). In Südosteuropa ist die<br />
Höhe des Mindest- bzw. Niedrigstlohns z.T. submarginal<br />
und deckt kaum das Existenzminimum<br />
ab. Teilweise wie<strong>der</strong>um übersteigt dessen Niveau<br />
aber auch deutlich das <strong>der</strong> Mindesteinkommen in<br />
vielen neuen Mitgliedslän<strong>der</strong>n <strong>der</strong> EU. Kroatien<br />
liegt in dieser Hinsicht bereits in <strong>der</strong> oberen Mittelgruppe<br />
<strong>der</strong> EU unmittelbar hinter Slowenien<br />
und Portugal (s. Vergleichstabelle über Höhe <strong>der</strong><br />
Mindestlöhne in Europa in Anh. 4.3; zur jeweiligen<br />
Reallohnentwicklung vgl. die Übersichten<br />
17 sowie A 4.5 ).<br />
Die Lohndifferenzierung zwischen hohen und<br />
niedrigen Einkommen ist in beiden Regionen<br />
stark ausgeprägt – stärker als durchschnittlich in<br />
Westeuropa (vgl. oben Übersicht 20). Der Anteil<br />
<strong>der</strong> Mindestlöhne an den Durchschnittseinkommen<br />
eines Landes liegt auch im westlichen Balkan<br />
weit unterhalb <strong>der</strong> von <strong>der</strong> EU definierten Armutsschwelle<br />
(= mindestens 50% des nationalen<br />
Durchschnittseinkommens), wie ähnlich auch bei<br />
<strong>der</strong> Mehrheit <strong>der</strong> neuen EU-Mitgliedslän<strong>der</strong>. Auch<br />
die Höhe <strong>der</strong> geschlechterspezifischen Lohnungleichheit<br />
(gen<strong>der</strong> pay gap) fällt in Abhängigkeit<br />
vom Regulierungsgrad von Tarifverträgen regional<br />
jeweils unterschiedlich aus. Diese Lohnlücke<br />
dürfte im Westbalkan einer ersten Prüfung zufolge<br />
– sieht man von Albanien ab – als Erbe des<br />
früheren Jugoslawien eher geringer ausfallen als<br />
in Mittelosteuropa mit seinen Spitzenreitern im<br />
gesamteuropäischen Vergleich.<br />
4.4 Kontrolle <strong>der</strong> Standards<br />
<strong>der</strong> Koalitionsfreiheit und <strong>der</strong><br />
Arbeitnehmerrechte<br />
Gegenüber den für Mittelosteuropa festgestellten<br />
Defiziten <strong>der</strong> Kontrolle <strong>der</strong> Umsetzung bestehen<strong>der</strong><br />
Rechte <strong>der</strong> Gewerkschaften und Arbeitnehmer<br />
(s. Abschn. 3.1) sind die für den Westbalkan festzuhaltenden<br />
Schwachpunkte kaum strukturell<br />
verschieden:<br />
• Die Interessenvertretung ist hier nicht mehr,<br />
son<strong>der</strong>n insgesamt eher weniger lückenhaft als<br />
im übrigen Osteuropa und insbeson<strong>der</strong>e defizitär<br />
auch hier in <strong>der</strong> breiten Masse <strong>der</strong> Kleinbetriebe.<br />
• Die Arbeitsinspektion zeigt durch beson<strong>der</strong>e<br />
Bemühungen in jüngster Zeit erfreuliche Fortschritte,<br />
was Art und Intensität ihrer Kontrolltätigkeit<br />
betrifft.<br />
• Die mangelnde Effizienz <strong>der</strong> gerichtlichen Kontrolle<br />
trägt die Hauptschuld für den vielfach<br />
beklagten fehlenden Rechtsschutz. Arbeitsgerichte<br />
sind im Gegensatz zu Län<strong>der</strong>n wie Slowenien<br />
o<strong>der</strong> Ungarn in dieser Region nicht vorhanden,<br />
lediglich spezielle Kammern für Arbeitsprozesse<br />
in zwei Län<strong>der</strong>n.<br />
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